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Die Mohicaner von Paris

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XCVI
Was der Nazzer des indischen Generals enthielt

Nach beendigter Ceremonie, wie naiv in der Legende von Malbrouk gesagt ist, legte sich Jeder zu Bette, die Einen mit ihren Frauen und die Andern ganz allein.

Wir werden weder den Einen, noch den Andern folgen; immerhin jedoch von unseren Rechten und Privilegien als dramatischer Schriftsteller Gebrauch machend, wollen wir kühn in die Coulissen eindringen und es versuchen, durch die matten Scheiben ihrer Loge zu sehen, was bei der Signora Rosenha Engel vorgeht.

Vor Allem wartete bei der Thüre eine Menge von Prinzen, Kurfürsten, Markgrafen, Banquiers, Höflingen ähnlich, welche beim kleinen Schlafengehen einer Königin antichambriren.

Die Signora Rosenha brauchte Zeit, um ihr Almee-Costume auszuziehen, ihr Roth und ihr Weiß abzuwischen, und ihr Hauskleid anzuziehen; nur dehnte sich an diesem Abend das Warten weit über die gewöhnliche Zeit aus; eine Folge hiervon war, daß diese an der Thüre eines engen Ganges zusammengeschaarte aristokratische Menge beinahe erstickte und zu murren anfing, – allerdings artiger dem Anscheine nach, jedoch im Grunde fast ebenso ungeduldig, als die Volksmenge, wenn sie murrt.

Man hörte einen Tritt, der sich der Thüre näherte, und die Thüre wurde zur allgemeinen Befriedigung ein wenig geöffnet . . . Doch durch diese ein wenig geöffnete Thüre kam die pfiffige Schnauze einer französischen Kammerfrau hervor, und diese sagte mit der Zungenfertigkeit, welche die ehrenwerthe Klasse der Kammerfrauen im Allgemeinen und der Kammerfrauen von Schauspielerinnen insbesondere charakterisiert:

»Meine Herren. die Signora Rosenha ist in Verzweiflung, daß sie Sie muß warten lassen; doch sie ist ein wenig leidend, und sie bittet Sie, wenn Sie durchaus bleiben wollen, noch um zehn Minuten Ruhe.«

Es war bei dieser Nachricht ein wahres Hurrah! Zehn Minuten warten in diesem engen Raume, der äußeren Lust beraubt, das gab sicherlich ein paar Ohnmachten für die zarten Lungen der Diplomatie, und eben so viel Hirncongestionen für die dicken Schädel der Banquiers!

Man murrte stark.

»Ah!« sagte die Marion, »ich glaube, man murrt dort? . . . Meine Herren, nach Belieben: Jedem steht es frei, zu bleiben, aber noch mehr frei, zu gehen.«

»Charmant! charmant!« riefen mehrere Stimmen, den französischen Accent affektierend.

»Wir bewilligen die zehn Minuten, doch nicht eine Secunde mehr!« sprach ein dicker Banquier, der gewohnt war, seinen Schuldnern keine Frist zu gewähren.

»Es ist gut, es ist gut,« sagte Mademoiselle Mirza, während sie die Thüre wieder schloß, »die Signora ist benachrichtigt, und brauchte sie eine Minute, zwei Minuten, zehn Minuten mehr, so wird sie Sie nicht darum bitten: sie wird dieselben nehmen. Was Teufels, man muß wohl Athem schöpfen!«

Und der Riegel des Schlosses knirschte in der Schließkappe.

Es war aber weder das Verlangen nach Ruhe, noch das Bedürfniß, zu athmen, was den Eintritt des Hofes von Rosenha, den offiziellen Empfang ihrer Anbeter verzögerte: sie war längst angekleidet; doch das diamantene Armband, das den Bisamsack des Indiers umschloß, anschauend und den Sack selbst ein wenig öffnend, hatte sie einen Brief erblickt, und der Werth des kostbaren Sackes verbunden mit der Originalität der Sendung hatte bei der Tänzerin eine lebhafte Neugierde, zu erfahren, was der Brief enthielt, erregt.

Da hatte sie das Billet entfaltet, gelesen, war einen Augenblick nachdenkend geblieben, hatte es wieder gelesen und sich in eine zweite Träumerei noch tiefer als die erste zu versenken geschienen. Endlich, nachdem sie einen letzten Blick aus die Unterschrift geworfen, faltete sie den Brief wieder zusammen, steckte ihn in seine bisamduftende Hülle und befestigte den indischen Nazzer an ihrem Gürtel.

Sodann, als wollte sie nach ihrer Bequemlichkeit eine süße Gemüthsbewegung genießen, von der sie die Gegenwart aller dieser Ueberlästigen zerstreut hätte, ließ sie ihren Anbetern durch das Organ von Mademoiselle Mirza sagen, sie bitte noch um zehn Minuten, um zu ruhen und zu athmen.

Nach Ablauf dieser zehn Minuten rief sie ihrer Kammerfrau und befahl ihr, die Thüre zu öffnen.

Sie lächelte und zuckte vor Mitleid die Achseln, als sie bei Annäherung der Kammerfrau ihre Schmeichler brüllen hörte, wie bei Annäherung des Fütterers die Thiere des Circus brüllten.

Sie stürzten durch die Thüre der halb geöffneten Loge mit dem Ungestüm, mit dem die Woge durch die Schleuse stürzt.

Wonach die Procession begann; Jeder defilierte vor der Tänzerin, welche nachlässig aus ihrem Canape lag, und küßte ihr die Hand.

Wir wollen unsere Leser und besonders unsere Leserinnen mit den faden Complimenten verschonen, welche zu den Füßen der schönen Rosenha strandeten; bei einem kleinen Unterschiede in der Form, war der Grund von jedem derselbe: »Sie sind schön wie die Liebesgötter, und Sie tanzen wie ein Engel!«

Die Tänzerin hörte sie ungefähr wie die Gottheiten an, an die wir unsere Gebete richten; wie sie, ließ sie ihren Geist in den hohen Regionen schweben, und sie vernahm das Gesumme von allen diesen Stimmen nur unbestimmt, ohne es zu begreifen und ohne daraus zu antworten, gerade wie die Rose das Summen der Bienen vernimmt.

Es scheint uns indessen dienlich, als gewissenhafter Erzähler zu bemerken, daß unter allen den rhetorischen Blumen der Reden, die man an sie richtete, und die sie nicht hörte, sich die Schlange der Eifersucht verbarg, welche von Zeit zu Zeit, mitten unter den zu den Füßen der Tänzerin entblätterten Blumen, ihren platten, zischenden Kopf emporstreckte.

Seltsam! es war nicht dieser vor Aller Augen, von den Händen des Indiers ihr zugeworfener Nazzer; es war nicht das um das Handgelenke des Mädchens geschlungene Armband von Diamanten, das sich im Ausstrahlen von Flammen zu erschöpfen schien; es war nicht dieser unter seiner Goldstickerei duftende Bisamsack, der wie eine Geldtasche am Gürtel der schönen Rosenha hing; es war nicht dieser ganze sichtbare Reichthum, was den Anbetern der Tänzerin ins Herz schnitt.

Nein, es war das Veilchenbouquet, das man vergebens unter den andern, aus dem Canape, aus den Fauteuils und den Consoles ausgebreiteten Sträußen suchte; dieses Veilchenbouquet, dessen lieblicher Duft mit dem scharfen Geruche des Bisams kämpfte, und das von unsichtbaren Händen gefallen war; es war der Blick, den Rosenha Engel nach der Loge, von der es ausgegangen, geworfen hatte; es war die zugleich flinke, zierliche und freudige Art, wie sie es ausgenommen, um es sodann an ihre Lippen emporzuheben; es waren die, scheinbar nichtigen. Einzelheiten, welche jedoch gesehen, beobachtet und aus tausend verschiedene Arten ausgelegt worden waren, und aus deren Gesamtheit hervorging, daß der Ruf der Tugend, der schönste Blumenzierath der Krone des Mädchens, an diesem Abend einen ersten, aber gewaltigen Stoß erlitten hatte.

Nachdem er um Erlaubniß gebeten, das um den Arm der Tänzerin geschlungene Diamantenbracelet bewundern zu dürfen; nachdem er laut aufgeschrien über den Reichthum dieser Haut einer Bisamratte, welche zu ihren Lebzeiten entfernt nicht vermuthete, sie werde nach ihrem Tode mit Gold und Perlen gestickt werden, wagte es der Graf von Himmel, einer der beharrlichsten Anbeter der schönen Rosenha, sie zu fragen, ob sie keine Idee habe, welche mysteriöse Person ihr das Veilchenbouquet zugeworfen.

Hieraus erwiderte Rosenha ganz leise, fast beiseit:

»Graf, es ist mein Beichtvater.«

»Wie! Ihr Beichtvater?«

»Nicht der alte; der neue.«

»Ich verstehe nicht.«

»Das ist doch ganz einfach, und sogar noch einfacher für Sie, als für jeden Andern. Sie haben meinen Entschluß, ins Kloster zu gehen, bekannt gemacht; da nun mein Engagement heute beendigt ist, und mein Noviziat morgen beginnt, so können Sie es nicht schlimm finden, daß mein neuer Gewissensrath begierig war, so bald als möglich die Bekanntschaft seiner Novize zu machen.«

Der alte Graf von Aspern, der die Antwort von Rosenha nicht gehört hatte, richtete dieselbe Frage an sie, und sie antwortete ihm ebenfalls leise:

»Graf, ich kann Ihnen wohl die Wahrheit gestehen, da Sie es sind, der das Gerücht verbreitet, ich werde heirathen; und beiläufig gesagt, ich weiß nicht, warum Sie mir einen solchen Streich spielen, während ich für Sie mehr Schwäche habe, als für einen von den hier anwesenden Herren . . . Nun wohl, Graf, es ist das Bouquet meines Bräutigams: die weiße Rose ist das Symbol meiner Tugend und das Veilchen das seiner Bescheidenheit. Riechen Sie an diese Veilchen, Graf, und suchen Sie den Wohlgeruch davon zu bewahren.«

Als endlich ein Attache der russischen Gesandtschaft – der junge Graf von Gersthof auch nach dem Geheimnisse des Straußes fragte, schaute ihm Rosenha ins Gesicht und sagte ganz laut:

»Ah! Graf, thun Sie im Ernste diese Frage an mich?«

»Ei! allerdings,« antwortete der Graf.

»Das heißt mir sagen, Sie wollen diese Herren bei unserer kleinen Privatübereinkunst ins Vertrauen ziehen.«

»Ich verstehe Sie nicht,« sagte der moskowitische Dandy.

»Meine Herren, vernehmen Sie, wie sich die Sache verhält. Sie wissen, daß man mir ein Engagement für das kaiserliche Theater in St. Petersburg angeboten hat?«

Die Einen antworteten ja, die Andern antworteten nein.

»Nun wohl, der Herr Graf von Gersthof war beauftragt, mir diese Proposition zu machen, und um mich zu bestimmen, daß ich das, übrigens äußerst vortheilhafte, Engagement annehme, hat er das Anbieten seines Herzens beigefügt und mir gesagt, da ich noch nicht entschlossen war, das eine und das andere anzunehmen: ›Schöne Rosenha Engel, nehmen Sie den bescheidensten von den Sträußen an, die Ihnen heute Abend zugeworfen werden, so machen Sie aus mir den glücklichsten Menschen; denn das wird der Beweis sein, daß Sie nach Petersburg kommen, und daß Sie mir erlauben, Sie dahin zu begleiten!‹ Entschlossen, wenn nicht von beiden Anträgen, doch wenigstens von einem Gebrauch zu machen, – ich überlasse es der Bescheidenheit des Herrn Grafen, zu errathen, von welchem, – hob ich den Veilchenstrauß auf, da ich ihn für den bescheidensten von den Sträußen hielt, die mir zugeworfen wurden.«

 

»Sie reisen also nach Petersburg?« riefen mehrere Stimmen.

»Wenn ich nicht nach Indien reise, wohin mich Rundschit Sing für sein königliches Theater in Lahore verlangt, meine Herren, wie Sie dies aus dem prachtvollen Handgelde ersehen können, das mir heute Abend sein Botschafter geschickt hat.«

»Somit ist Ihr Engagement? . . . « fragte der Graf von Himmel.

»Hier in dieser Bisamhaut,« antwortete die Tänzerin. »Ich zeige es Ihnen nicht, weil es in indischer Sprache geschrieben ist; morgen werde ich es jedoch übersetzen lassen, und finde ich es so, wie ich zu hoffen Grund habe, so gebe ich allen denjenigen von meinen Anbetern, welche sich nicht fürchten, mir zu Liebe von der Stelle zu gehen, Rendez-vous an den Usern des Sind oder des Pendschab. Da es nun,« fügte die schöne Rosenha bei, während sie aufstand, »da es hundert Meilen von hier nach Petersburg sind, viertausend von hier nach Lahore, und ich, auf welche Seite sich auch meine Wahl neigen mag, keine Zeit zu verlieren habe, so erlauben sie. meine Herren, daß ich von Ihnen Abschied nehme, mit dem sehr aufrichtigen Versprechen, nie die Freundlichkeiten zu vergessen, mit denen Sie mich überhäuften.«,

Und mit einem reizenden Lächeln, mit einer Verneigung von tadelloser choregraphischer Genauigkeit, grüßte die Tänzerin die erlauchte, galante Versammlung, welche sie, da sie dieselbe erst im letzten Augenblicke verlassen wollte, bis aus den Theaterplatz, das heißt bis zum Fußtritte ihres Wagens begleitete, in den sie leicht wie eine Meise, die in ihren Käfig zurückkehrt, sprang.

In dem Augenblicke, wo der Kutscher den ungeduldigen Pferden die Zügel schießen ließ, flogen zum Zeichen des Abschiedes alle Hüte gleichzeitig empor, als ob ein Wetterwirbel durchgefahren wäre.

Lassen wir den Wagen der Tänzerin in die Augustinerstraße und die Krügerstraße eindringen, und in der Seilerstätte, wo ihr Hotel war, anhalten.

XCVII
Geschichte eines Kindes

Der Zuschauer, der, das kaiserliche Theater verlassend, die Einbildungskraft entflammt von dem feenartigen Schauspiele, das er eine Stunde lang vor Augen gesehen, nach Hause zurückzukehren bange gehabt hätte, – aus Furcht, beim Anblicke der bekannten Gegenstände, das Gefühl des wirklichen Lebens, das er einen Moment vergessen, wiederzufinden, – dieser Zuschauer hätte es, um durch die dunstige, poetische Natur Ober-Deutschlands das im Theater begonnene Mährchen der Tausend und eine Nacht fortzusetzen, er hätte es nicht unterlassen, sagen wir, statt wieder den Weg nach Hause einzuschlagen, über den Parade-Platz zu schreiten, sich gegen die Vorstadt Mariahilf zu wenden, und beim Mondscheine aus der Landstraße hinzugehen, welche nach dem Schlosse Schönbrunn führt, um hier, ganz nach seiner Gemächlichkeit, aus einer der Anhöhen stehend, welche das Schloß beherrschen, das wundervolle Panorama zu betrachten, das sich vor ihm entrollt hätte.

Er wäre übrigens vielleicht, ehe er nach dem Dorfe Meidling gekommen, stehengeblieben, hätte er an einem der Fenster des linken Flügels vom Schlosse Schönbrunn, beide Ellenbogen gestützt aus den Balcon des Fensters, das Gesicht beleuchtet vom Monde, der minder bleich als er, einen jungen Mann oder vielmehr ein sechzehnjähriges Kind gesehen, das selbst in Betrachtung vor dem glänzenden Schauspiele, welches unser nächtlichen Spaziergänger hatte suchen wollen, zu sein schien.

In der That, vom Fenster aus, wo es stand, konnte das Kind durch die klare Atmosphäre dieser wie eine Frühlingsnacht lichtvollen Nacht vor sich und unter sich Wien sehen mit allen seinen Gebäuden, seinen Kirchen, seinen hohen Thürmen, welche die zierliche Spitze seiner Kathedrale beherrscht, und als Contrast die Stadt noch beleuchtet im Innern durch die letzten Feuer, aber außen kräftig schattiert durch seine mächtigen Ringmauern und seine schwarzen Wälle; sodann, jenseits der Stadt, die riesige Donau, welche, nachdem sie unter einen ihrer Arme die Insel Lobau genommen hat, ihren Weg fortsetzt und sich am Horizont in den berühmten Ebenen von Aspern, Eßling und Wagram verliert.

Aus der entgegengesetzten Seite hätte der junge Mann den ungeheuren Wiesengrund sehen können, umgeben von Hügeln, aus denen im Ueberflusse die in Cascaden in die durchsichtigen Seen fallenden Wasser hervorquollen, und deren Zugänge hundertjährige Bäume wie vorsichtige Schildwachen zu beschützen schienen. Noch aufmerksamer schauend, hätte er ohne Zweifel durch den durchsichtigen Nebel dieser Nacht den Horizont der mit Wäldern bedeckten Hügel bemerkt, welche, springend wie eine scheu gewordene Herde Büffel, bis zu den höchsten Gipfeln der letzten Alpen emporsteigen.

Doch es war weder das Schauspiel von Wien, das halb entschlummert war in seiner Opposition von Licht und Schatten, noch die murmelnden Seen, noch die munteren Cascaden, noch die nebeligen Horizonte, noch die dunklen Berge, was dieses Kind anschaute.

Nein; seine unter ihn gehefteten Augen schauten aus die Landstraße, welche von Schönbrunn nach Wien führt, und mit gespanntem Ohre, ohne daß der junge Mann sich um den eisigen Wind einer kalten Decembernacht zu bekümmern schien, horchte er aufmerksam aus die geringsten von der Seite der Stadt kommenden Geräusche; und mehr als ein Mal machten ihn das Krachen eines Baumastes, das Aechzen einer Wettersahne, oder daß Knarren der letzten Thüren von Schönbrunn, die man schloß, beben.

Uebrigens wäre der unter ihn gestellte Zuschauer, der ihn betrachtet hätte, wie er in seiner weißen Uniform eines österreichischen Obersten, mit seinen langen, blonden, gelockten, im Winde flatternden Haaren da stand, betroffen gewesen von der melancholischen Schönheit des jungen Mannes, der in dieser nachdenkenden Haltung entweder ein die Stunde seines ersten Rendezvous erwartender Verliebter, oder ein von der Stille und der Nacht die Inspiration seiner ersten Verse fordernder Dichter zu sein schien.

Sagen wir sogleich, daß der junge Mann mit den blonden Haaren, mit dem melancholischen Gesichte, mit dem weißen Rocke, derselbe war, den, – obgleich er der Vorstellung beiwohnte, – so lange und so vergeblich die zwei Indier während des Abends, den sie im kaiserlichen Theater zugebracht, gesucht hatten.

Man vermuthet nun wohl, daß es kein in den Sternen das Geheimnis der Schöpfung, die man vor sich hat, suchender Dichter ist, sondern einfach ein Verliebter, der mit dem Blicke den vom Monde beleuchteten Theil der Straße erforscht, welche von Schönbrunn nach der Seilerstätte geht, wie ein weißes Atlaßband bestimmt, bis zu ihm die Schritte der schönen Tänzerin zu lenken.

Einen Augenblick, – war es Müdigkeit durch dieselbe Stellung oder glaubte er ein entferntes Geräusch zu hören, – richtete er sich auf, und nun erschien er in seiner ganzen Höhe. Seine Gestalt war in der That zu hoch für seine Corpulenz, und schlank und biegsam wie der Stamm eines Pappelbaums, motivierte sie hinreichend die Besorgnisse, die der indische General ausgedrückt hatte.

Wünschen nun unsere Leser über das am Fenster stehende Kind gewisse unbekannte Details zu kennen, welche zu sammeln unsere Geschichtschreibertreue uns genötigt hat, und welche vielleicht hier nicht am unrechten Platze sein werden? Wir wollen ihnen diese Details mit ein paar Worten geben.

Eine Strophe unseres großen Dichters Victor Hugo wird uns vor Allem mehr als zwanzig Seiten von Herrn von Montbel über die Anfänge dieses kurzen Lebens sagen, das viel eher der Poesie, als der Geschichte angechört.

 
Un soir, l’aigle planait aux voûtes éternelles,
Lorsqu’un grand coup de vent lui cassa les deux ailes!
Sa chute fit dans l’air un foudroyant sillon.
Tous alors, sur son nid fondirent plein de joie;
Chacun selon ses dents se partagea sa proie:
L’Angleterre prit l’aigle, et l’Autriche l’aiglon. 41
 

Der junge Adler wurde in den Käfig im kaiserlichen Schlosse von Schönbrunn gebracht, das an den Ufern der Wien ungefähr anderthalb Stunden von der Hauptstadt Oesterreichs liegt.

Hier wuchs er das von uns so eben beschriebene glänzende Schauspiel vor den Augen habend heran; er wuchs heran unter dem Schatten des herrlichen Gartens, der zum Pavillon der Gloriette führt, und dessen Bassins, Marmorstatuen und Gewächshäuser ihn an den Park von Versailles hätten erinnern können, während die Wildschweine, die Hindinnen, die Damhirsche, die Edelhirsche und die Rehe ihm einen Begriff von denen von Saint-Cloud und Fontainebleau zu geben im Stande gewesen wären; er wuchs heran und sah in der Sonne die reizenden Dörfer Meidling, Grünberg und Hitzing, Gruppen von Landhäusern um den Palast gesäet ähnlich, strahlen: er stammelte mit Anstrengung diese unbekannten Namen, und lernte sie am Ende, – so wie er die von Meudon, Sèvres und Bellevue vergaß.

Und dennoch hatte der arme verbannte Knabe tiefe, leuchtende Erinnerungen, welche wie Blitze an ihm vorüberzogen.

Er erinnerte sich zum Beispiel, daß er als Kind den Namen Napoleon und den Titel König von Rom getragen hatte.

Vom 22. Juli 1818 an war aber sein Name Franz, sein Titel Herzog von Reichstadt.

»Warum nennt man mich denn Franz?« fragte eines Tages das Kind seinen Großvater den Kaiser von Oesterreich, der ihn aus seinen Knieen springen ließ; »ich glaubte, ich heiße Napoleon.«

Die Frage war bestimmt; die Antwort setzte in Verlegenheit.

Der Kaiser überlegte einen Augenblick und antwortete dann:

»Man nennt Dich nicht mehr Napoleon aus demselben Grunde, aus dem man Dich nicht mehr König von Rom nennt.«

Das Kind dachte auch einen Augenblick nach; und da ihm ohne Zweifel die Antwort nicht befriedigend schien, so entgegnete es:

»Aber, Großpapa, warum nennt man mich nicht mehr König von Rom?«

Der Großvater war noch mehr in Verlegenheit bei dieser zweiten Frage, als er es bei der ersten gewesen; er wollte ihr Anfangs ausweichen, wie er es bei der andern gethan, doch er bedachte, es sei besser seinen Enkel mit einem großen Raisonnement zu schlagen, damit er nicht mehr aus diesen Gegenstand zurückkomme.

»Du weißt, mein Kind, daß meinem Titel Kaiser von Oesterreich der König von Jerusalem beigefügt wird, ohne daß ich deshalb irgend eine Gewalt über diese Stadt habe, welche in der Macht der Türken ist?«

»Ja,« erwiderte das Kind mit der ganzen Aufmerksamkeit, welcher es fähig, dem Raisonnement von Franz l. folgend.

»Nun wohl,« sprach der Kaiser, »Du bist König von Rom, mein lieber Franz, gerade wie ich König von Jerusalem bin.«

Mochte nun das Kind die Erklärung nicht ganz begreifen, mochte es dieselbe zu wohl begreifen, es neigte das Haupt, schwieg und kam nie mehr aus diesen Gegenstand zurück.

Obgleich Kind, hatte es übrigens, – wie und durch wen? Gott weißes! durch die innere Anschauung, durch den Engel seiner ersten Jahre vielleicht, der mit ihm in der Stille der Nächte plauderte, – einige Erinnerung vom Ruhme und von den Mißgeschicken seines Vaters.

Eines Tags machte der bekannte Fürst von Ligne, einer der bravsten und geistreichsten Edelleute des achtzehnten Jahrhunderts, einen Besuch bei der Kaiserin Marie Louise, welche damals bei ihrem Sohne in Schönbrunn war.

Man meldete ihn in Gegenwart des Kindes unter dem Titel: »Der Herr Marschall Fürst von Ligne.«

»Das ist ein Marschall?« fragte das Kind Frau von Montesquieu, seine Gouvernante.

»Ja. Hoheit.«

»Ist es einer von denen, welche meinen Vater verrathen haben?«

Man sagte ihm nein; der Fürst sei im Gegentheile ein braver, redlicher Soldat; er faßte auch eine große Freundschaft für den alten Marschall.

Einmal erzählte ihm das Kind, wie sehr es erstaunt gewesen sei über das militärische Gepränge, das man beim Leichenbegängnisse des Generals Delmotte entfaltet habe, und welches Vergnügen es ihm bereitet, so viel schöne Truppen defilieren zu sehen.

 

»Hoheit,« erwiderte der Fürst, »dann werde ich Ihnen bald eine viel größere Freude gewähren, denn die Beerdigung eines Feldmarschalls ist in dieser Art Alles, was man Prachtvolles sehen kann.«

Und der Fürst hielt in der That Wort: fünf oder sechs Monate nachher gab er dem kaiserlichen Kinde das großartige Schauspiel von zehntausend Mann Truppen mit allen ihren Kriegsequipagen, die den Leichenzug eines Feldmarschalls eskortieren.

Um dieselbe Zeit sprach die Prinzessin Caroline von Fürstenberg in einem vertrauten Kreise, in Gegenwart des jungen Herzogs von Reichstadt, von den Ereignissen und den großen Namen des Jahrhunderts . . . Man hatte vergessen, daß er da war, oder man glaubte vielleicht vor einem sechsjährigen Kinde Alles sagen zu können.

Der General Sommariva nannte sodann drei Personen, die er als die drei größten Feldherren der Zeit anführte.

Das Kind, das die Aufzählung nachdenkend und mit gesenktem Kopfe angehört hatte, erhob plötzlich die Stimme, unterbrach den General und sagte:

»Ich kenne einen Vierten, den Sie nicht genannt haben, Herr General.«

»Wer ist das, Hoheit?«

»Mein Vater!« rief das Kind mit starker Stimme.

Und es entfloh eiligst.

Der General Sommariva lief ihm nach, holte es ein und führte es zurück.

»Hoheit,« sagte der General, »Sie haben Recht gehabt, von Ihrem Vater zu sprechen, wie Sie es gethan; doch Sie haben Unrecht gehabt, zu entfliehen.«

Trotz des Titels Herzog von Reichstadt, der ihm auferlegt worden war, trotz der geistreichen Vergleichung, die ihm sein Großvater zwischen dem Königthum Jerusalem und dem Königthum Rom gemacht, hatte das Kind die Herrlichkeiten seiner Wiege nicht vergessen.

Einer von den Erzherzogen zeigte ihm eines Tages eine von den kleinen goldenen Denkmünzen, welche bei Gelegenheit seiner Geburt geschlagen und nach seiner Tauffeier unter das Volk ausgetheilt worden waren; er war im Brustbilde daraus vorgestellt.

»Weißt Du, wen diese Münze vorstellt, Reichstadt?« fragte der Erzherzog.

»Mich, zur Zeit, wo ich König von Rom war,« antwortete ohne zu zögern das Kind.

Im Alter von fünf Jahren, – in welchem Alter auch die Erziehung der Prinzen vom Hause Oesterreich beginnt, – begann die Erziehung des Sohnes von Napoleon. Der Graf Moritz Dietrichstein hatte die oberste Leitung; und unter ihm waren der Hauptmann Foresti, was die militärischen Dinge betrifft, und der Dichter Collin, – Bruder von Heinrich Collin, dem Verfasser der Trauerspiele Regulus und Coriolan, selbst Verfasser eines Trauerspiels Graf von Essex, – mit den Einzelheiten betraut.

Mit fünf Jahren sprach der Prinz-Herzog Französisch wie ein Pariser, und zwar mit dem den Einwohnern der Hauptstadt eigenthümlichen Accente.

Man wollte ihm das Deutsche lehren. Der Kampf dauerte lange, und der Widerwille, den er dem Studium dieser Sprache entgegensetzte, ist noch heute in Oesterreich sprichwörtlich. Man mochte ihm immerhin durch alle erdenkliche Raisonnements zu beweisen suchen, welches Interesse er habe, die Sprache eines Landes zu sprechen, das sein Vaterland geworden, der Prinz widerstand aus allen Kräften und sprach beharrlich nur französisch oder Italienisch.

Um diese Hartnäckigkeit zu besiegen, mußte man dem jungen Herzog die Zusage geben, das Deutsche werde für ihn immer nur eine Luxussprache sein, und er könne fortwährend Französisch sprechen.

Sein, zu jener Zeit schon ziemlich scharf hervortretender, Charakter war eine Mischung von Güte und Stolz, von Festigkeit und Vernunft; von Natur hartnäckig, fing er bei jeder Idee, mit der er nicht vertraut war, damit an, daß er einen lebhaften Widerstand entgegensetzte, von dem ihn das Raisonnement allein abbringen konnte; gut gegen die ihm Untergeordneten, zärtlich gegen seine Lehrer, waren seine Güte und seine Zärtlichkeit innerlich; man mußte sie in der Tiefe seiner Seele verborgen errathen, sie suchen, wie der Taucher die Perle sucht.

Die Liebe für das absolut Wahre trieb er bis zum Fanatismus, und er haßte die Mährchen und die Fabeln.

»Da dies nicht geschehen ist, so ist es unnütz,« sagte er.

Das war nicht die Ansicht seines Lehrers Collin, der als Dichter im Gegentheile in der Welt der Träume lebte. Er suchte auch diesen Sinn des Kindes, nur als wahr anzunehmen, was absolut so war, zu überwinden. Er glaubte das Mittel gesunden zu haben; eines Tages ging er mit dem Prinzen aus und sagte ihm, sie werden eine lange Wanderung unternehmen^ aus den grünen Bergen angelangt, welche Schönbrunn beherrschen, machten der Lehrer und sein Zögling einen kurzen Halt; dann setzten sie ihren Marsch fort und vertieften sich in ein schmales, schattiges Thal, wo sich ein geschlossener Raum findet, der, durch blätterreiche Bäume vom Anblicke Wiens und den weiten Ebenen der Donau völlig getrennt, zum Horizonte nur noch die Berge hat, die sich stufenweise wie ein riesiges Amphitheater bis zu den Gipfeln des Schneebergs erheben.

An diesem Orte steht eine einsame Hütte, in Uebereinstimmung mit den Bergen, die sie umgeben, in Form einer Tyroler Senne gebaut und wegen dieser Aehnlichkeit Tyrolerhaus genannt.

Hier an diesem Orte, der von der übrigen Welt durch Berge Schluchten und Wälder getrennt ist, nachdem er seinem Zögling die Schönheiten dieser pittoresken Gegend begreiflich gemacht und es versucht hatte, ihm die Größe der einsamen, wilden Natur darzuthun, erzählte ihm der Dichter-Professor plötzlich, ohne sie ihm als wahr oder falsch zu geben, die wunderbare Geschichte von Robinson Crusoe, welche einen so tiefen Eindruck aus den Geist des Knaben machte oder vielmehr seine noch schlummernde Einbildungskraft so völlig aufweckte, daß er sich einen Augenblick in einer Wüste glaubte und von selbst seinem Lehrer vorschlug, es zu versuchen, die für die ersten Bedürfnisse des Lebens nothwendigen Werkzeuge zu verfertigen. Beide schritten in der That zur Arbeit, und als sie diese Werkzeuge, so gut sie eben konnten, verfertigt hatten, gruben sie mit einander in weniger als vierzehn Tagen, nach dem Muster von der des schiffbrüchigen Engländers, eine Grotte, die man noch heute den Reisenden als das Werk des Sohnes von Napoleon zeigt und nur unter dem Namen die Grotte von Robinson Crusoe bezeichnet.

Mit acht Jahren sollte der Prinz das Studium der alten Sprachen anfangen; das war die schwerste Prüfung, die sein Lehrer Collin zu bestehen hatte, denn der Knabe offenbarte den tiefsten Widerwillen gegen das Griechische und das Lateinische; seine ganze Intelligenz wandte sich dem aus das Militärische bezüglichen Wissenschaften zu.

Im Jahre 1824 war indessen dieser Widerwille besiegt. Collin starb, und der Baron von Obenhaus, sein Nachfolger, gab in die Hände des jungen Mannes den Tacitus und den Horaz. Da er aber seinen Vater mit Cäsar hatte vergleichen hören, so verließ der junge Herzog völlig die Lecture des Geschichtschreibers und des Dichters, um sich der des Feldherrn zuzuwenden, und die Commentare von Cäsar wurden seine Lieblingslecture.

Alles dies war alte Geschichte, und die Schwierigkeit war, einen solchen Zögling die neue Geschichte, das heißt das Studium dessen, was der Revolution vorhergegangen, von ihr hervorgebracht worden ist und ihr gefolgt war, in Angriff nehmen zu lassen.

Mit dieser Sorge wurde Herr von Metternich betraut.

Was der gewandte Diplomat seinem Zögling von dieser wunderbaren Geschichte erzählte, was er ins Licht stellte, was er im Schatten ließ, ist ein Geheimnis für uns; man wagte es nicht, dem Kinde Alles zu verschweigen, man konnte ihm aber auch nicht Alles sagen: es sah und berührte Alles, was zu nahe bei ihm war, um seinen Blicken entzogen zu werden; im Ganzen erschaute es aber nur unbestimmte Horizonte, und sein Blick tauchte nur in gewisse Tiefen, wie das Auge des Tauchers in einen Abgrund, – beim Scheine eines Blitzes.

Wie dem sein mag, die Geisteszähigkeit des Herzogs von Reichstadt, die ihn immer gegen dasselbe Ziel zurückführte; die religiöse Anbetung, die er für das Andenken seines Vaters hegte. Alles dies, – so geschickt auch der politische Lehrer war, – überhäufte mit Schwierigkeiten die Ausgabe, die sich Herr von Metternich vorgesetzt hatte.

Es war auch schon bei den ersten Berichten, die man bei Hofe über die entstehende Leidenschaft des jungen Herzogs für die schöne Rosenha Engel gemacht hatte, der Befehl gegeben worden, die Augen völlig über diese kleine Jünglingsfantasie zu schließen? welche einige Zerstreuung diesem Geiste geben konnte, der nur Wünsche und Begierden nach Dingen hatte, die er zu seinem Glücke nicht hätte kennen sollen. Nur hatte das, wovon mau geglaubt, es sei nichts als eine Fantasie, und es sollte nie etwas Anderes sein, Proportionen angenommen, welche jede Sache annahm, bei der die glühende Einbildungskraft des Sohnes von Napoleon verweilte: die Fantasie war eine Leidenschaft geworden; – und so kam es, daß um ein Uhr Morgens, in einer kalten Februarnacht, der junge Herzog auf die Tänzerin wartete, nicht in der warmen Atmosphäre seines Schlafzimmers, hinter den dichten Brocatvorhängen, an der lauen Scheibe des Fensters, sondern außen, mit den Ellenbogen aus den Balcon gestützt, mit bloßem Kopfe, und so tief, so schmerzlich hustend, daß zuweilen unter der Erschütterung dieses Hustens der schwache, schlanke Körper des jungen Mannes erzitterte, wie eine Pappel, die der kräftige Arm eines Holzhauers schüttelt.

41Eines Abends schwebte der Adler am Himmelsgewölbe als ihm ein gewaltiger Windstoß beide Flügel brach! Sein Fall machte in der Luft eine blitzende Furche. Alle fielen dann voll Freude über sein Nest her, und Jeder riß je nach seinen Zähnen einen Teil von seiner Beute an sich; England nahm den alten Adler und Oestereich den Jungen.