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Die Mohicaner von Paris

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Mitten in dieser Stadt Indiens in Miniatur, in der ersten Reibe dieser Loge, rechts von demjenigen, welcher ein indischer Fürst zu sein schien, so königlich und asiatisch war Alles um ihn her, saß ein Mann, von dem wir noch nicht gesprochen haben, ein Mann, der durch seine europäische Tracht, durch seinen schwarzen geschlossenen Rock, an dessen Knopfloch das Band eines Officiers der Ehrenlegion befestigt war, einen seltsamen Contrast mit dem Fremden bildete.

Würde man indessen das Costume des Raja sorgfältig betrachtet haben, so hätte der Contrast nicht so groß geschienen; denn man hätte an einer Falte seines weißen Gewandes eine Rosette der ähnlich bemerkt, welche die Brust des Europäers decorirte.

Niemand wußte genau, wer diese aus dem Lande der Träume ankommenden zwei Männer waren, welche überall, im Theater oder aus der Promenade, in derselben Loge oder in demselben Wagen, ans dem Fuße der Gleichheit erschienen.

Man vernehme, welche Gerüchte über sie im Umlaufe waren.

Der Raja der Tausend und eine Nacht, dieser Fremde, dessen Gefolge dem von König Salomo glich, als er die Königin von Saba empfing, dieser Nabob, aus den die Lorgnetten aller Zuschauer, und besonders aller Zuschauerinnen sich gerichtet hatten, war, wie gesagt, ein Mann von fünfundvierzig Jahren mit schwarzblauen Augen, mit einem redlichen, offenen, treuherzigen, das mittheilsame Wesen der Indier der Gebirge bezeichnenden Gesichte, mit leichter, ungezwungener Tournure, mit den eleganten Manieren der Indier der Ebene.

Man sagte von ihm, beim Kaiser Napoleon im Jahre 1812 in Ungnade gefallen, wegen der Opposition, welche er ganz laut gegen den russischen Feldzug zu machen sich erlaubt, habe er, da er am Anfange seiner Laufbahn nicht unthätig bleiben wollte, und da es ihm widerstrebte, wie Moreau oder Jomini, in den Reihen der Feinde Frankreichs zu dienen, seine Dienste Rundschit Sing angeboten, der selbst, von einem einfachen Officier Raja oder Maharaja, mit anderen Worten, unumschränkter König von Lahore, vom Pendschab, von Kaschemir und vom ganzen unbekannten Theile des Himalaya, den der Indus und der Setledtsche begrenzen, geworden war.

Dem General Allard, der die Reiterei des Raja commandirte, durch den General Ventura, welcher die Infanterie commandirte, vorgestellt, wurde der neue Emigrant, von dem man sagte, er sei ein Malteser, und dessen Namen man nicht wußte, bald von Rundschit Sing zum Commando der Artillerie mit einem Jahresgehalte von hunderttausend Franken berufen.

Hiervon kam aber nicht das ungeheure Vermögen, das er besaß: eine ganz orientalische Legende schrieb ihm eine andere Quelle zu. Man erzählte, als der König von Lahore eines Tages im Pendschab die vom Maltesischen General commandirten Truppen gemustert, habe ihm dieser einen Thron ausschlagen lassen, von welchem herab der König den wunderbaren Evolutionen habe folgen können, zu denen in weniger als drei Monaten vom Commandanten der Artillerie die unter seine Befehle gestellten Truppen und ihr Material dressiert worden seien.

Nach beendigter Revue habe Rundschit Sing, ganz verblüfft durch das, was er gesehen, den Gehalt seines Generals der Artillerie verdoppeln wollen; doch lächelnd habe dieser gefragt, ob es statt der reichen Gehaltserhöhung, welche vielleicht die Eifersucht seiner Collegen erwecken würde, dem Raja nicht gleich wäre, ihm eine andere Gabe zu bewilligen.

Rundschit Sing habe zum Zeichen der Einwilligung mit dem Kopfe genickt.

Da habe der Malteser den König gebeten, ihm als Eigenthum den von dem Teppich, auf welchem sein Thron stand, Vereckten Boden, das heißt einen Zwischenraum von ungefähr fünfundzwanzig Quadratfuß, zu schenken.

Der Raja habe ihm, wohl verstanden, diese Bitte bewilligt.

Der Teppich bedeckte aber eine Diamantenmine! so daß der General von Rundschit Sing so reich geworden sein soll, daß er für seine Rechnung die Armee des Raja, die sich aus dreißig bis fünfunddreißig tausend Mann belief, hätte bezahlen können.

Er war, – fügte die indo-germanische Legende bei, – seit sieben bis acht Jahren im Dienste des Königs von Lahore, als ein Corse, ein ehemaliger Officier des Kaisers Napoleon, ebenfalls bei Rundschit Sing erschien. Der Raja empfing voll Eifer Alles, was von Europa kam, und er wartete nicht, bis der Ankömmling eine Anstellung von ihm verlangte; er ließ ihm eine Stelle entweder beim Heere oder bei der Administration anbieten; doch der Corse brachte eine ziemlich bedeutende Summe mit, welche ihm, wie man sagte, in St. Helena vom Kaiser selbst gegeben worden war, und er schlug alle Anträge des Raja aus.

Dieser Ankömmling, dieser Corse, war wie man auch sagte, der Mann mit dem schwarzen Rocke, mit dem rothen Bande, mit dem bleichen Gesichte, mit dem schwarzen dichten Schnurrbarte, mit den tiefen, durchdringenden Augen, der zur Rechten des prächtigen Indianers saß und sich durch seine wie eine gewitterschwere Wolke sorgenvolle Miene, sowie durch die männliche, stolze, den Menschen, deren ganzes Leben ein Kampf für dieselbe Idee gewesen ist, eigenthümliche Haltung bemerkbar machte.

Was wollten diese Männer in Europa? Feinde gegen England suchen, wie man versicherte, da Rundschit Sing nur die Unterstützung einer europäischen Macht verlangte, um ganz Indien zu empören.

Sie hatten in Wien angehalten, um hier, wie sie sagten, den Sohn des Raja zu erwarten, einen hoffnungsvollen jungen Prinzen, der in der Wiedergenesung begriffen in Alexandria geblieben war.

Bei ihrer Ankunft in der Hauptstadt Oesterreichs hatten sie Herrn von Metternich ihre Empfehlungsbriefe, unterzeichnet vom Maharaja von Lahore, übergeben, und der Kaiser Franz hatte sie mit derselben Herzlichkeit und mit demselben Gepränge empfangen, wie dies beim Empfange von Abul Hassan Khan, dem Botschafter Persiens, im Jahre 1819 der Fall gewesen war.

Versehen mit den Geschenken, welche zu den Füßen des Kaisers niederzulegen der Raja ihn beauftragt hatte, und worunter sein Portrait in einem reichen Rahmen von chinesischem Jadestein, Seide- und Kaschemirstoffe. Perlen- und Rubinenhalsbänder waren, hielt der indische General bei Hofe eine prachtvolle Auffahrt, und das Thor des Palastes, den ihm der Kaiser als Wohnung anwies, war vom Morgen bis zum Abend von den Höflingen belagert, welche ihre Frauen, ihre Töchter oder ihre Schwestern absandten, mit der Ermahnung, zärtlich genug dem Nabob die Hände zu drücken, um die Diamanten, Smaragde und Saphire, von denen sie rieselten, herausfallen zu machen.

Und nun wird man hoffentlich begreifen, warum, abgesehen von der pittoresken Seite, die Loge des Gesandten vom Maharaja von Lahore der Zielpunkt aller Blicke war.

XCV
Indische Luftspiegelung

Doch, ganz das Gegentheil dieser Menge, welche, als sie ihr Ziel gesunden, nur für sie allein Aufmerksamkeit zu haben schien, ließen die zwei Freunde ihre Blicke an allen Logen zugleich umherschweifen, ohne sich im Geringsten um die edlen Prinzessinnen zu bekümmern, die den ersten Rang einnahmen, noch um die schönen Zuschauerinnen, welche die andern Plätze besetzt hatten; sie hatten vielmehr das Aussehen, als wollten sie mit dem Strahle ihrer Augen die Tiefe der Salons durchdringen, um hier irgend einen Zuschauer zu suchen, der noch abwesend oder so gut verborgen, daß ihre Anstrengungen, ihn zu entdecken, vergeblich waren.

»Bei meiner Treue,« sagte der Indier zu seinem Gefährten im Dialekte von Delhi, den Beide mit derselben Leichtigkeit wie die Eingeborenen zu sprechen schienen, »dadurch, daß ich so angestrengt zu sehen suche, sehe ich nicht mehr: meine Augen trüben sich! Und Sie, Gaëtano, sehen Sie etwas?«

»Nein,« antwortete der Mann mit dem schwarzen Rocke; »doch ein sehr wohl Unterrichteter hat mir versichert, er werde, sichtbar oder unsichtbar, dieser Vorstellung beiwohnen.«

»Er ist vielleicht krank!«

»Bei seinem eisernen Willen wäre eine Krankheit, sogar eine ernste, kein Hinderniß für ihn . . . Er wird heute Abend hierher kommen, und müßte er in der Sänfte kommen und sich in seine Loge tragen lassen. Ich meinerseits bin fest überzeugt, daß er schon da ist, und daß er der Vorstellung incognito, verborgen in einer Parterre-Loge oder einer Loge vom höchsten Range beiwohnen wird. Wie soll er, ohne daran Theil zu nehmen, diese Vorstellung entschlüpfen lassen, die letzte, wie man versichert, welche eine Frau gibt, die ihm gewährt, was sie Jedermann verweigert?«

»Sie haben Recht, Gaëtano; er ist da oder er wird da sein. Und Sie haben, sagen Sie, neue Ausschlüsse über die Rosenha erhalten?«

»Ja, General.«

»Mit den ersten übereinstimmend?«

»Noch beruhigender.«

»Sie liebt ihn?«

»Sie betet ihn an!«

»Ohne Eigennutz?«

»Mein lieber General, ich glaubte, Sie kennen die Deutschen: sie geben, aber sie verkaufen sich nicht,«

»Ich dachte, es sei eine Spanierin und keine Deutsche.«

»Ihre Mutter war in der That eine Spanierin; doch was beweist dies? daß sie stolz ist wie eine Castilianerin, uneigennützig wie eine Deutsche.«

»Man hat Ihnen Details über die Jugend dieses Mädchens . . . ich irre mich . . . dieser Frau gegeben?«

»Das ist eine ganze Geschichte, doch eine Geschichte, die dem, was uns beschäftigt, fremd ist. Ihre Mutter, oder die Frau, welche für ihre Mutter galt, – es scheint, Rosenha selbst weiß nichts Sicheres in dieser Hinsicht, – lebte, so lange die Kleine Kind war, Gott weiß wie, – daß sie in ihrem Hause spielen ließ oder vielleicht noch etwas Schlimmeres that! Als aber Rosenha Mädchen geworden war, fing man an ihre wunderbare Schönheit zu bemerken, und man gedachte Nutzen daraus zu ziehen. Da geschah es, daß, um dem Schicksale das ihrer harrte, zu entweichen, die Kleine von ihrer Mutter entfloh. Sie zählte elf Jahre; sie schloß sich einer Truppe von Gitanos an, die sie alle ihre spanischen Tänze lehrten. Mit dreizehn Jahren debutirte sie aus dem Theater von Granada; sie ging sodann aus die von Sevilla und Madrid über, und kam endlich nach Wien, empfohlen an den Unternehmer der kaiserlichen Theater durch den österreichischen Gesandten beim spanischen Hofe. Es ist nicht ihr Leben, was ich Ihnen erzähle, bemerken Sie das wohl, General; es ist der Hauptinhalt der Ereignisse, die dasselbe bilden.«

 

»Und in Allem dem sehen Sie?«

»Eine vollkommen würdige, vollkommen edle, vollkommen ergebene Seele.«

»Von der Sie glauben, man könne ihr vertrauen?«

»Der ich wenigstens vertrauen würde.«

»Vertrauen Sie, mein lieber Gaëtano, so mögen Sie sich denken, daß ich auch vertrauen werde . . . oder vielmehr, ich habe schon vertraut, da mein Brief ganz geschrieben hier in meinem Beutel ist . . . Ich frage Sie aber, wird sie genug Geist haben, um das Ungeheure eines Projektes, wie das unsere, zu begreifen?«

»Die Frauen begreifen mit dem Herzen, General. Diese liebt: sie muß den Ruf, den Ruhm, die Größe ihres Freundes wollen.«

»Doch wie erklären Sie, daß man, unter der Ueberwachung, deren Gegenstand er ist, – eine um so strengere Ueberwachung, je mehr sie verborgen, – wie erklären Sie, daß man dieses Mädchen frei zu ihm gelangen läßt?«

»Er ist sechzehn Jahre alt, General, und die Ueberwachung der Polizei, so streng sie sein mag, ist in gewissen Fällen genötigt, die Augen bei einem sechzehnjährigen jungen Manne zu schlichen, dessen lebhafte, frühzeitige Leidenschaften die eines fünfundzwanzigjährigen Mannes sein sollen. Überdies sieht sie ihn nur in Schönbrunn, wo sie durch einen Gärtner vom Schlosse, der für ihren Oheim gilt, eingeführt wird.«

»Ja, und von dem die zwei Kinder glauben, er sei ihnen ergeben, indes, er aller Wahrscheinlichkeit nach der Polizei ergeben ist.«

»Ich befürchte es . . . Doch man wird ihnen nur die vollkommenste Verschwiegenheit zu empfehlen haben . . . «

»Das ist der Gegenstand der Nachschrift meines Briefes.«

»Und da ich ein sicheres Mittel besitze, zu ihm zu gelangen, ohne Jemand ins Vertrauen zu ziehen . . . «

»Ist es für Sie Gewißheit, daß Sie sich, selbst in einer finsteren Nacht, in den ungeheuren Gärten von Schönbrunn ausfinden können?«

»Ich habe in Schönbrunn mit dem Kaiser 1809 gewohnt; sodann besitze ich den Plan, den er mir in St. Helena übergeben hat . . . «

»Und man muß auch etwas dem Zufall, der Vorsehung, Gott überlassen,« sprach als ein entschiedener Mann der General. »Doch warum ist er denn nicht hier?«

»Vor Allem, General, sagt Ihnen nichts, daß er nicht da ist; er glaubt, das arme Kind, seine Leidenschaft sei unbekannt, und er hat Furcht, sie zu verrathen, wenn er sich in die Loge der Erzherzoge setzen würde und die Gemüthsbewegungen, welche ein junges Herz nicht zu bewältigen vermag, sehen ließe. Sodann ist er, wie ich Ihnen schon bemerkt habe, vielleicht im Saale, jedoch verborgen. Endlich, da er die Musik, wie man versichert, nicht gerade anbetet, da er überdies ohne Zweifel der schönen Rosenha den Beweis geben will, er komme nur ihr zu Liebe, ist es möglich, – mehr als möglich: sogar wahrscheinlich! daß er die Oper spielen läßt und erst zum Ballet kommt.«

»Ah! Gaëtano, das könnte wohl, wie man dort sagt, die wahre Wahrheit sein! . . . wenn er nicht . . . wenn er nicht etwa krank ist, zu trank, um das Zimmer zu verlassen.«

»Sie kommen abermals aus diese unselige Idee zurück!«

»Ich komme aus entsetzliche Ideen zurück, mein lieber Gaëtano. Er ist von einer schwachen Leibesbeschaffenheit, und er verbraucht Leben, der Unglückliche, wie es ein robuster Mann machen würde.«

»Man übertreibt vielleicht die Schwäche seiner Gesundheit, wie man seine Excesse übertreibt. Lassen Sie mich ihn nur von nahe sehen, und ich werde wissen, woran ich mich zu halten habe. Er ist, wie ich Ihnen gesagt habe, sechzehn Jahre alt, oder er wird es in einem Monat sein: in diesem Alter steigt der Saft, und die Staude muß wohl ihre ersten Blätter treiben.«

»Gaëtano, erinnern Sie sich dessen, was uns vorgestern sein Arzt sagte? Sie dienten mir als Dolmetscher, nicht wahr? Sie haben es nicht vergessen. Nun wohl, waren Sie nicht wie ich erschrocken über das, was er uns von seiner mächtigen Energie und von der Schwäche seiner Constitution erzählte? Das ist das große zerbrechliche Rohr, das beim geringsten Winde bebt und das Haupt neigt! . . . Oh! warum kann ich ihn nicht mit uns nach Indien nehmen und in der Sonne abhärten, wie jene Bambus des Ganges, welche allen Orkanen trotzen!«

In dem Augenblicke, wo der General diese Worte vollendete, hob der Orchesterches seinen Stab empor und gab das Zeichen zur Ouverture des Don Juan von Mozart, dieses Meisterwerkes der deutschen Musik, welches die zwei Freunde hörten, ohne eine Miene zu verändern, besangen, wie sie dies waren, durch die Abwesenheit der Person, deren Erscheinung sie so ungeduldig erwarteten.

Wir werden aber den Leser nichts lehren, wenn wir ihm sagen, daß die Person, die sie erwarteten, das erlauchte unglückliche Kind war, welchem in der Wiege der Titel König von Rom zu Theil geworden, und dem durch ein Patent vom 22. Juli 1818 Kaiser Franz II, den Titel Herzog von Reichstadt, diesen, so tief historisch gewordenen, Namen von einem der Güter entlehnend, welche die österreichische Apanage des Erben Napoleons bilden sollten, gegeben hatte.

Es war also der Herzog von Reichstadt, den der indische General und sein Freund so ungeduldig erwarteten, und das Mädchen, aus dem alle ihre Hoffnungen beruhten, war die berühmte Rosenha Engel, wegen der ganz Wien, wie wir am Anfange des vorhergehenden Kapitels gesehen haben, in Aufruhr gerathen war.

Nachdem der Don Juan beendigt war, – mit spärlichem Beifall der Menge, welche, trotz der Ehrfurcht, die sie für die Meisterwerke hegt, in der Regel die Vergangenheit der Gegenwart opfert, – kamen aus allen diesen, während der Oper stillen, Logen tausend verworrene Geräusche von Plaudereien hervor, ziemlich ähnlich dem Gesumme der Bienen oder dem Geschwätze der Vögel, wenn sie freudig und lärmend die ersten Stunden des Morgens begrüßen.

Der Zwischenact dauerte ungefähr zwanzig Minuten, und die zwei Freunde wandten diese zwanzig Minuten dazu an, daß sie aufs Neue alle Logen eine nach der andern inspizierten; doch der Prinz war offenbar in keiner von diesen Logen, die sie ihrer Inspection unterwarfen.

Der Orchesterchef gab das Signal zur Ouverture des Ballets, und nach einigen Vorspielphrasen ging der Vorhang abermals aus.

Das Theater stellte eine von den Vorstädten einer indischen Stadt vor, – mit ihren Kiosken und ihren Pagoden, ihren Statuen von Brahma, Schiwa, Ganesa und Lachme. Göttin der Güte; im Hintergrunde die goldenen Ufer des Ganges funkelnd unter dem Dunkelblau des Himmels.

Eine Schaar junger Mädchen vom Kopfe bis zu den Füßen angethan mit langen weißen Kleidern rückte gegen das Vordertheil der Bühne vor, und sang dabei einen anbetungswürdigen Pantum, dessen Refrain war:

Um mani pâdmei um!

Heu! gemma lotus heu!

eine Hymne an den Diamant Nenusar gerichtet, die, sagen die Einwohner von Thibet, in gerader Linie diejenigen, welche sie singen, ins Paradies von Buddha fuhrt.

Als sie diese indische Decoration sahen, als sie dieses indische Lied hörten, das die Hirten im Chor singen, wenn sie von der Weide die Ziegen- und Schaafherden zurückführen, erkannten sie das Ballet, das gegeben werden sollte. Es war eine Nachahmung, halb Oper, halb Pantomime, des alten indischen Stückes vom Dichter Calidasa, von dem wir um dieselbe Zeit eine Uebersetzung in Frankreich gehabt haben, eine Übersetzung bekannt unter dem Namen Reconnaissance de Sacontala, Ein junger Wiener Dichter, nachdem er den strahlenden Cortége des indischen Generals hatte vorüberziehen sehen, hatte die zarte Aufmerksamkeit gehabt, ihm, der Dichter allein, einen königlichen Empfang dadurch zu bereiten, daß er ihn, befürchtend, er sehne sich danach, an die Lieder, die Trachten, die Tänze und den blauen Himmel seiner Heimath erinnerte.

Die zwei Freunde waren gerührt und zugleich verblüfft durch die Feierlichkeit, als deren Helden sie gewisser Maßen erschienen. In der That, in dem Augenblicke, wo der Chor, die letzte Strophe des Pantum singend, sich gegen sie umwandte, als wäre diese letzte Phrase an sie gerichtet, wandten sich auch alle Blicke nach ihrer Loge, und trotz der Anwesenheit der kaiserlichen Familie und aller dieser deutschen Prinzen erschollen Bravos, welche vergessend, die besonders in Wien so geachtete offizielle Macht zu begrüßen, diese poetische Macht des Reichthums und des Geheimnisses begrüßten, die überall und zu allen Zeiten so hinreißend wirkte.

Plötzlich ging der Kreis des Chors auseinander, und, wie ein Bouquet in einer Alabastervase, sah man die schillernden Stoffe von Atlaß, von Brocat, von Seide und Gold von etwa dreißig Almeen erscheinen, und im Mittelpunkte, als die vornehmste Blume des Straußes, die anderen Blumen um die Höhe des Kopfes überragend und sich gleichsam vor den Augen der Zuschauer öffnend, die Königin der Almeen, die Göttin der Schönheit und der Grazie, die als Frau verkörperte Blume, welche man die Signora Rosenha Engel nannte.

Das war ein einstimmiger Schrei, ein ungeheures Hurrah, ein allgemeines Beifallklatschen, und aus den Logen, aus dem Orchester, vom Parterre entflogen, wie die Raketen eines wohlriechenden Feuerwerks, tausend Sträuße, welche, rings um die Almeen niederfallend, bald den Boden bestreuten und aus der Bühne einen Ruhealtar des Frohnleichnamsfestes, eine Art von glänzendem, balsamisch duftendem Altar machten, dessen Priesterinnen die Almeen zu sein schienen, dessen Gottheit aber in der Thal Rosenha Engel war.

Wer je in Italien gereist ist, kennt das anhaltende Beifallklatschen, die wüthenden Bravos, das leidenschaftliche Geschrei der Menge für seine Lieblingskünstler; nun wohl, wir stehen nicht an, zu behaupten, daß nie in Mailand, Venedig, Florenz, Rom und sogar in Neapel geräuschvollere, einstimmigere, besser verdiente Acclamationen erschollen.

Schauspiel und Zuschauer, Erzherzoge, Prinzen, Prinzessinnen, Höflinge, Alles verschwand von diesem Augenblicke: eine Colonie von zweitausend Personen lebte ohne Unterschied des Ranges und des Titels vermengt in den Zauberlandschaften Indiens. Die zwei Stunden, die man in Betrachtung der Loge des Generals zugebracht, hatten die Menge trefflich vorbereitet, mit ihm zu reisen, und während der ganzen Dauer des Ballets wurde diese im kaiserlichen Theater enthaltene aristokratische, intelligente Fraction der Bevölkerung Wiens völlig, indisch und war bereit, sich in Anbetung vor der Göttin Rosenha, welche diese Metamorphose bewerkstelligt hatte, niederzuwerfen.

Der Vorhang fiel unter dem allgemeinen Beifallklatschen und ging wieder aus unter dem wüthenden Geschrei der Menge, welche die Signora Rosenha Engel hervorrief.

Die Signora Rosenha Engel erschien wieder.

Da war es nicht mehr ein gewöhnlicher Regen, es war ein Gußregen, eine Lawine, eine Sündfluth von Blumen, Sträuße von allen Formen, von allen Größen, wir möchten sogar sagen, von allen Ländern, – denn einige waren das Product der reichsten Gewächshäuser Wiens, – fielen in einer duftenden Cascade rings um die Beneficiantin.

Doch, seltsamer Weise! unter allen diesen Wundern der Universalflora war die einzige Gabe, welche die schöne Rosenha Engel zu bemerken schien, der einzige Strauß, den sie mit ihrer weißen Hand aushob, ein kleines Veilchenbouquet, in dessen Mitte eine schneeweiße Rosenknospe aufblühte.

Dieses Bouquet war sicherlich die Gabe einer schüchternen, beinahe furchtsamen Seele; wie das Veilchen, verbarg sich diese Seele im Schatten und sandte seinen Wohlgeruch aus, ohne seine Blumenkrone zu zeigen.

Das Veilchen stellte die Schüchternheit und die Bescheidenheit vor, die weiße Rose die Reinheit und die Schamhaftigkeit . . . Es fand offenbar eine Verbindung zwischen dem, der den Strauß sandte, mit der, welche ihn empfing, statt.

Das war wenigstens aller Wahrscheinlichkeit nach die Meinung der schönen Rosenha; denn diesen Strauß, wie gesagt, im Vorzuge vor allen andern ausnehmend, hob sie ihn bis zur Höhe ihrer Lippen empor, schaute nach der im letzten Range beinahe verlorenen Loge, aus der er gefallen war, und heftete dann aus die Blumen einen Blick voll Liebe: – da sie dieselben nicht mit den Lippen verschlingen konnte, so schien sie sie mit den Augen zu küssen.

Die zwei Fremden waren aufmerksam den geringsten Einzelheiten dieser Scene gefolgt; ihre Augen hatten sich, wie die der Tänzerin, zu der Geheimnisvollen Loge empor gerichtet, und der General hatte seinen Freund in dem Momente beim Arme gefaßt, wo der Strauß von Rosenha Engel beinahe geküßt worden war.

»Er ist da!« rief französisch und vergessend, daß er verstanden werden konnte, der indische General.

 

»Ja, dort, in jener Loge,« antwortete der Mann im schwarzen Rocke im Dialecte von Lahore; »aber, um Gottes willen, General, lassen Sie uns indisch sprechen.«

»Sie haben Recht, Gaëtano,« sagte der General in derselben Sprache.

Und seine Hand in die Tasche seines großen Gewandes steckend, fügte er bei:

»Ich glaube, der Augenblick ist gekommen, daß wir auch unsern Nazzer der schönen Rosenha zuwerfen.«

Man nennt Nazzer in Indien die Gabe, welche ein Geringerer einem Höheren darbringt.

Der Nazzer des Generals bestand aus einem Bisamsacke gemacht aus der Haut dieses Thieres, eine asiatische Curiosität, eine thibetanische Rarität, die sich durch ihren Wohlgeruch verrieth und zum Indier alle Augen zurückführte, welche sich einen Moment der Loge, von der der Veilchenstrauß ausgegangen, zugewandt hatten.

Der General machte in der That das diamantene Armband, das um sein Faustgelenk geschlungen war, los, knüpfte den Bisamsack daran, und warf das Ganze der Signora Engel zu, welche unwillkürlich einen Schrei der Ueberraschung ausstieß, als sie wie einen Bach in der Sonne eine Diamantenschnur vom reinsten Wasser glänzen sah!