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Die Mohicaner von Paris

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»Um einen Verbrecher zu entlarven, muß man Beweise haben; sodann, mein Lieber, gibt es kein Gesetz, welches diese Art von Verbrecher, das heißt die wahren Verbrecher, bestraft.«

»Aber ich, ich . . . «

»Du wirst es machen wie ich Petrus: Du wirst zuschauen.«

»Nein, nein, nein!«

»Du wirst den Teufel die schwarze seidene Mähne des Grafen Rappt, mit der goldenen Mähne der schönen Regina vermengen lassen und warten, bis der Teufel entwickelt, was er ausgewickelt hat.«

Petrus gieß einen Seufzer aus, der für ein Stöhnen gelten konnte.

»Siehst Du, mein Freund,« fuhr der General fort, »es gibt ein Sprichwort, welches sagt, man müsse die Finger nicht zwischen Thür und Angel stecken; das ist ein Sprichwort voll Weisheit . . . Alles, was ich Dir hier mittheile, sind übrigens, wie Du leicht begreifst. Sagen.«

»Oh! dieser Mensch lebt in der Welt als vornehmer Herr! er hat einen Ruf . . . «

»Einen abscheulichen!«

»Was ihn nicht verhindert, an der Spitze einer Partei zu sein . . . «

»Der Jesuiten-Partei.«

»Demnächst Minister zu werden . . . «

»Ich gebe ihm meine Stimme.«

»Regina zu heirathen.«

»Ah! das ist sein großes Verbrechen.«

»Mein Oheim, dieses Verbrechen wird nicht in Erfüllung gehen!«

»Mein Freund, in acht Tagen wird Fräulein von Lamothe-Houdan Gräfin Rappt sein.«

»Ich sage Ihnen, diese Heirath wird nicht stattfinden!« wiederholte Petrus rasch ausstehend.

»Und ich,« sprach der General mit erhabener Würde, »ich sage Ihnen, daß Sie sich setzen und mich anhören werden.«

Petrus fiel seufzend in sein Fauteuil zurück.

Der General stand auf und stützte sich aus die Lehne des Stuhles, wo sein Neffe saß.

»Ich sage Ihnen, Petrus, zu jeder Zeit, wie ich hoffe, entrüstet über die Handlung, welche heute in Erfüllung geht, sind Sie es indessen nur so sehr, weil Sie Regina lieben, und weil die Sache Sie berührt. Sagen Sie mir nun, welches Recht haben Sie, Regina zu lieben? wer ermächtigt Sie zu dieser Liebe? sie? ihre Mutter? ihr Vater? Niemand! Sie sind ein in die Familie eingeführter Fremder. Mit welchem Rechte will ein Fremder aus dem Geschicke dieser Familie lasten, in die er eingeführt worden ist? mit welchem Rechte will er einer Frau, welche vielleicht aus Unkenntnis unserer Sitten gefehlt hat, sagen: ›Sie sind eine ehebrecherische Gattin!‹ einem glücklichen, über die Vergangenheit unwissenden, der Zukunft sicheren Manne: ›Sie sind ein betrogener Ehemann!‹ einer Tochter, die ihre Mutter achtet, ihren Vater liebt, denn nichts sagt, Herr von Lamothe-Houdan sei nicht der Vater von Regina: ›Du wirst von heute an Deine Mutter verachten und Deinen Vater als einen Fremden ansehen!‹ Ah! mein Neffe, Sie, der Sie sich rühmen, ein redlicher Mann zu sein, wenn Sie das thäten. so wären Sie ein schändlicher Halunke, ein Schurke vom Schlage von Herrn Rappt; und Sie werden es nicht thun, das sage ich Ihnen.«

»Aber, mein Oheim, was wird geschehen?«

»Das geht Sie nichts an,« erwiderte der General; »das geht einen Richter an, der viel gerechter und viel strenger ist als Sie, einen Richter, welcher weiß, wie die Dinge sich zugetragen haben, er, der Alles gesehen. Alles gehört hat, und, seien Sie unbesorgt, früher oder später ein Urtheil fällen wird. Das geht Gott an!«

»Sie haben Zecht, mein Oheim,« sprach der junge Mann, indem er aufstand und dem General die Hand reichte.

»Und bei diese letzten Zusammenkunst . . . ?«

»Werde ich nicht ein Wort von dem sagen, was Sie mir erzählt haben.«

»Bei Deinem Edelmannsworte?«

»Bei meinem Ehrenworte.«

»Nun, so marine mich; denn obschon Du der Sohn eines Seeräubers bist, glaube ich doch an Dein Wort, wie ich glauben würde . . . wie ich an das Deines Seeräubers von einem Vater glauben würde.«

Der junge Mann warf sich in die Arme seines Oheims, nahm seinen Hut und ging heftig weg.

Er erstickte!

XCI
Ein Besuch in der Rue Triperet

Der auf diesen Abend, welcher so grausam für Petrus, folgende Tag war gerade der Faschingdienstag, wo unser Buch beginnt, und wo man am Morgen den jungen Mann so verdrießlich und menschenfeindlich gesehen hat.

Unglücklicher Weise hatte er an diesem Tage keine Sitzung, und da er nicht wußte, wie er die Zeit tödten sollte, die aus ihm lastete, so schlug er seinen Freunden die Maskerade vor, mit der unsere Erzählung beginnt.

Durch körperliche Müdigkeit war Petrus, wie man weiß, dahin gelangt, daß er die moralische Müdigkeit, wenn nicht vergessen, doch wenigstens überwunden hatte: er hatte einen Augenblick aus dem Tische der Freischenke geschlafen, war aber bald wieder durch die Ankunft von Chante-Lilas und der Wäscherinnen von Vanvres aufgeweckt worden.

Wir haben gesehen, wie mit der munteren Schaar die Orgie gleichsam wieder begann, wie man sich sodann um fünf Uhr Morgens trennt, wie Ludovic bis nach dem Bas-Meudon Chante-Lilas und die Comtesse du Battoir begleitete, während Petrus in seine Wohnung in der Rue de l’Quest zurückkehrte; man erinnert sich, daß, als Ludovic in seinen Freund drang, daß er bei dem lustigen Truppe bleibe, der Maler mit einem sehr misanthropischen Tone antwortete: »Ich kann nicht; ich habe Sitzung.«


Diese Sitzung, deren Nothwendigkeit der junge Maler so kurz bezeichnet hatte, war die, in welcher sich für ihn das Geschick seines Lebens entscheiden sollte. Sie war auf ein Uhr Nachmittags bestimmt.

Von Morgens um neun Uhr war Petrus in der Rue Plumet.

Als er nach Hause kam, legte er sich zu Bette und versuchte es zu schlafen; doch die Einsamkeit und die Stille gaben ihn sich selbst, das heißt dem furchtbaren Sturme seines Herzens zurück. Da durchkreuzten tausend verschiedene Pläne seinen Geist, ohne eine Minute darin festzuhalten: erleuchtet durch die innere Lampe, die man die Verstandeskraft nennt, erkannte Petrus, so wie sie sich ihm boten, dieselben als unausführbar. Es kam neun Uhr, ehe sich Petrus für einen entschieden hatte; nun machte ihm seine Aufregung ein längeres Warten unmöglich.

Er ging aus.

Warum?

Warum wartet der Spieler, der sein Vermögen verloren hat und es wieder zu gewinnen hofft, zwei Stunden aus die Oeffnung des Schlundes, wo, nach seinem Vermögen, vielleicht seine Ehre verschlungen werden soll?

Petrus, ein armer Spieler, der nur sein Herz aus das Spiel zu setzen hatte, hatte dieses Herz gesetzt und es verloren.

Er ging wie ein Wahnsinniger, – bald mit raschem Schritte, bald ohne Grund anhaltend, – von der Rue du Mont-Parnasse nach der Rue Plumet, kam am Hotel des Marschalls vorüber, kehrte durch die Rue des Brodeurs, die Rue Saint-Romain, die Rue Bagneur. zurück, und erreichte wieder, durch die Rue Notre-Dame-des-Champs, die Rue du Mont-Parnasse, von der er ausgegangen war.

Er trat in ein Kaffeehaus ein, nicht um zu frühstücken, sondern um seine Ungeduld zu hintergehen, trank eine Tasse schwarzen Kaffee, und versuchte es, die Zeitungen zu lesen. Die Zeitungen! was lag ihm an den Neuigkeiten von Europa? von welchem Interesse waren für ihn die Kammerverhandlungen? Er begriff nicht einmal, wie man so viel Papier beschmieren konnte, um so wenig zu sagen.

Die Tasse Kaffee und die fünf bis sechs Journale, die er durchflog, führten Petrus bis elf Uhr.

Als es elf Uhr im Invalidenhause schlug, begab er sich wieder aus den Weg; er hatte noch zwei Stunden zu warten.

Er faßte nun einen großen Entschluß: den, sich einen ziemlich langen Gang aufzuerlegen, damit dieser Gang wenigstens eine Stunde daure.

Wohin sollte aber Petrus gehen?

Er hatte nirgends etwas zu thun, außer im Hotel des Marschalls, und, hatte noch mehr als anderthalb Stunden zu verlieren, ehe er dort erscheinen konnte.

Plötzlich fiel ihm die Geschichte der Fee Carita ein.

Dieses Kind, das krank gewesen war, diese kleine Rose-de-Noël, welche Regina gepflegt hatte, er mußte nothwendig eine Skizze von ihr für das Bild machen, das er nach der Erzählung von Abeille auszuführen gedachte; eine erste Skizze hatte er noch in der Sitzung selbst, ein Gesicht nach der bilderreichen Erzählung des Mädchens erfindend, gemacht.

Das war ein Reiseziel. – Es war in der That beinahe eine Reise vom Invalidenhause bis nach der Rue Triperet.

Petrus ging wieder das Boulevard hinaus bis zur Rue d’Ulm, nahm dann seinen Weg durch die Rue des Marionettes, die Rue de l’Arbalète und die Rue Gracieuse, und befand sich am Ende in der Rue Triperet.

Der junge Mann wußte die Nummer des Hauses nicht, das er suchte; doch die Gasse hatte nur ein Dutzend Häuser: er ging von Thüre zu Thüre und fragte, wo die Brocante wohne.

An einem dieser Häuser, – es war das von Nummer 11, – konnte er nicht fragen, weil Niemand da war, an den er seine Fragen hätte richten sollen; doch aus der Form des Ganges, aus der Dunkelheit des Corridors, aus der Steile der Treppe schloß er, er sei am Ziele seiner Wanderung angelangt. Als er die schlüpfrige Treppe erstiegen hatte, befand er sich vor einer plumpen, aber solid von innen geschlossenen Thüre. Er klopfte mit einem gewissen Zögern an: – trotz der genauen Beschreibung, die man ihm von den Oertlichkeiten gemacht hatte, dünkte es ihm fast unglaublich, daß menschliche Geschöpfe in einem solchen Loche wohnen sollten; – doch kaum war das Geräusch, das sein Finger an der Thüre hervorbrachte, gehört worden, als sich das Gebell von einem Dutzend Hunde ebenfalls hörbar machte.

Diesmal fing Petrus an zu glauben, er habe sich nicht geirrt.

In einer Pause, welche die Hunde machten, fragte ein sanftes, wohlklingendes Stimmchen:

»Wer ist da?«

Petrus chatte diese Frage nicht erwartet; er antwortete auch instinctartig und nur mit der Einsylbe:

»Ich!«

»Wer, Sie?« fragte die sanfte Stimme.

 

Nannte er sich, so lehrte Petrus diejenige, welche ihn befragte, nichts Neues; es kam ihm also der Gedanke, sich des Namens von Fräulein von Lamothe-Houdan als eines Passes zu bedienen.

»Jemand, der von Seiten der Fee Carita, kommt,«

Rose-de-Noël, – denn sie war es, – gab einen Freudenschrei von sich und öffnete schleunigst die Thüre.

Als die Thüre geöffnet war, stand sie vor Petrus, den sie nicht kannte.

Petrus dagegen erkannte sie aus der Stelle.

»Sie sind Rose-de-Noël?« sagte er.

Sein Auge hatte in der That mit dem ersten Blicke, mit dem Blicke eines Malers, das Ganze der armseligen Kammer umfaßt: auf dem ersten Plane, vor ihm, das Mädchen mit dem rohen, um den Leib mittelst eines Knotengürtels festgehaltenen und gefalteten Kleide, mit den bloßen Füßen und dem von einem rothen Schleier drapierten Kopfe; auf dem Balken, im zweiten Plane, die krächzende Krähe, halb unruhig, halb freudig; endlich in den Tiefen der Kammer, den Rand ihres Korbes überragend, die Köpfe der Hunde bellend, kläffend, heulend.

Es war wohl das von der kleinen Abeille skizzierte Bild.

»Sie sind Rose-de-Noël?« hatte Petrus gefragt.,

»Ja, mein Herr,« erwiderte Rose-de-Noël; Sie kommen von Seiten der Prinzessin?«

»Das heißt, mein Kind,« antwortete Petrus, das pittoreske Geschöpf anschauend, das er vor den Augen hatte, »das heißt, ich komme, damit wir Beide ihr eine Ueberraschung bereiten.«

»Eine Ueberraschung? Oh! sehr gern! eine Ueberraschung wird ihr Vergnügen bereiten?«

»Ich glaube es.«

»Was für eine Ueberraschung?«

»Ich bin Maler, mein Kind, und ich möchte gern für sie ein Portrait von Ihnen machen.«

»Ein Portrait von mir? Das ist drollig! Drei oder vier Maler verlangen mein Portrait zu machen, und ich bin doch nicht hübsch.«

»Oh! im Gegentheile, mein Kind, Sie sind reizend!«

Die Kleine schüttelte den Kopf.

»Ich weiß wohl, wie ich bin,« sagte sie, »ich habe einen Spiegel.«

Und sie zeigte Petrus ein Bruchstück von einem Spiegel, das die Brocante, ihr Lumpensammlerin-Gewerbe treibend, aus der Straße gesunden hatte.

»Nun?« fragte Petrus.

»Was?« sagte Rose-de-Noël.

»Wollen Sie, daß ich Ihr Portrait mache?«

»Ei!« erwiderte das Mädchen, »das geht mich nichts an: das geht die Brocante an.«

»Was hat sie den andern Malern geantwortet?«

»Sie hat es immer abgeschlagen.«

»Wissen Sie, warum?«

»Nein.«

»Und glauben Sie, sie werde es mir auch abschlagen?«

»Ei! ich weiß es nicht . . . Vielleicht mit einem Wörtchen der Prinzessin . . . «

»Ich kann aber kein Wörtchen von der Prinzessin verlangen, da ich, um ihr eine Ueberraschung zu bereiten, Sie zeichnen will.«

»Das ist richtig.«

»Wenn man jedoch der Brocante Geld anbieten würde?«

»Man hat ihr angeboten.«

»Und sie hat es ausgeschlagen?«

»Ja.«

»Ich werde ihr zwanzig Franken für eine Sitzung von zwei Stunden geben, die sie mit Ihnen im Atelier zubringt.«

»Sie wird es ausschlagen.«

»Was ist dann zu thun?«

»Ich weiß es nicht.«

»Wo ist sie?«

»Ausgegangen, um eine Wohnung zu suchen.«

»Sie werden also diesen Speicher verlassen?«

»Ja, Herr Salvator will es.«

»Wer ist das, Herr Salvator?« fragte Petrus ganz erstaunt, den Namen seines nächtlichen Gefährten im Munde von Rose-de-Noël zu finden.

»Sie kennen Herrn Salvator nicht?«

»Sprechen Sie vom Commissionär der Rue aux Fers?«

..Allerdings.«

»Sie kennen ihn also?«

»Es ist mein guter Freund, der über meine Gesundheit wacht und immer sich ängstigt, wenn mir etwas fehlt.«

»Und wenn Herr Salvator erlaubt, daß ich Ihr Portrait mache, wird es dann die Broeante erlauben?«

»Die Brocante will Alles, was Herr Salvator will.«

»Dann muß ich mich also an Herrn Salvator wenden?«

»Das ist das Sicherste.«

»Doch wird es Ihnen nicht zuwider sein, daß ich Ihr Portrait mache?«

»Mir? im Gegentheile.«

»Es wird Ihnen also angenehm sein?«

»Aeußerst angenehm! nur werden Sie mich sehr hübsch machen, nicht wahr?«

»Ich werde Sie machen, wie Sie sind.«

Das kleine Mädchen schüttelte den Kopf.

»Nein,« sagte es; »dann will ich nicht.«

Petrus schaute aus seine Uhr; es war Mittag.

»Wir werden Alles das mit Herrn Salvator ordnen,« sagte er.

»Ja,« sprach Rose-de-Noël; »oh! gibt Herr Salvator die Erlaubnis, so wird die Brocante es nicht wagen, sich zu weigern,«

»Wohl! ich sage Ihnen, sie wird überdies gut bezahlt werden.«

Rose-de-Noël machte eine Bewegung mit den Lippen, welche bedeutete: »Das ist es nicht, was sie bestimmen wird.«

»Und Sie,« fragte Petrus, »was wünschen Sie, daß ich Ihnen gebe?«

»Mir?«

»Ja, zur Belohnung dafür, daß Sie mich Ihr Portrait machen lassen.«

»Oh! große Stücke rothe oder blaue Seide mit schönen goldenen Tressen.«

So kindlich wie ein kleines Zigeunermädchen, liebte Rose-de-Noël die bunten Farben und das goldene Flitterwerk.

»Sie sollen Alles dies haben,« erwiderte Petrus.

Und er machte eine Bewegung nach der Thüre.

»Warten Sie,« rief die Kleine.

»Was?«

»Sie werden ihr nicht sagen, daß Sie mich kennen.«

»Wem?«

»Der Brocante.«

»Nein.«

»Sie werden ihr nicht sagen, Sie haben mich gesehen?«

»Warum dies?«

»Sie würde mich schelten, daß ich Ihnen die Thüre in ihrer Abwesenheit geöffnet habe.«

»Selbst wenn Sie ihr sagten, ich sei im Auftrage der Fee Carita gekommen?«

»Sie dürfen ihr nichts sagen.«

»Sie haben Recht.«

»Wenn Sie wüßte, die Prinzessin habe ein Verlangen nach meinem Portrait . . . «

»Nun?«

»Sie würde Geld von ihr fordern, und ich will nicht, daß man mein Portrait an die Fee verkauft: man soll es ihr schenken.«

»Gut, mein Kind,« sagte Petrus; »also reinen Mund gehalten!«

Lächelnd mit ihrem reizenden, aber traurigen Lächeln, machte Rose-de-Noël ein Zeichen des Kreuzes mit dem Daumen aus ihren vom Fieber purpurroth gefärbten Lippen; was bedeuten sollte, sie ihrerseits werde vollkommen stumm sein.

Petrus schaute sie zum letzten Male an, gleichsam um dieses poetische Gesicht seinem Gedächtnisse einzuprägen, für den Fall, daß er durch irgend ein Mißgeschick die kleine Bettlerin nicht wiedersehen würde.

Alsdann sprach er ebenfalls mit einem Lächeln:

»Es ist gut, ich werde Herrn Salvator um die Erlaubniß oder um den Befehl für die Brocante bitten, Sie in mein Atelier zu führen; doch wenn er es mir abschlägt . . . «

»Wenn er es Ihnen abschlägt?« fragte Rose-de-Noël.

»Nun wohl, die Prinzessin wird nichtsdestoweniger Ihr Portrait bekommen, das sage ich Ihnen!«

Und er entfernte sich freundschaftlich dem Mädchen zuwinkend, das hinter ihm die Riegel vorschob.

XCII
Wo bewiesen ist, daß bei den Künstlern alle Dinge zum Vortheile der Kunst ausschlagen

Als Petrus vor der Thüre des Marschalls ankam, bezeichnete seine Uhr drei Viertel aus eins. Er konnte also streng genommen erscheinen: dieser Voraus von einer Viertelstunde würde als Eifer angesehen werden, und nicht als Indiskretion; doch kaum hatte er ein paar Schritte im Hofe gemacht, als der Portier ihn aufhielt und ihm sagte, Fräulein von Lamothe-Houdan sei schon am Morgen ausgegangen und man wisse nicht, um welche Stunde sie zurückkomme.

Er fragte den wackern Mann, ob er irgend eine Instruction in Betreff seiner erhalten habe: der Portier hatte keine erhalten . . .

Es ließ sich nichts machen: die Fragen weiter treiben wäre ein Verstoß gegen die Lebensart gewesen, zu dem Petrus unfähig war; er entfernte sich also.

Da er sich im Quartier von Jean Robert, am Ende der Rue l’Université, befand, so beschloß er, seinem Freunde einen Besuch zu machen, und lenkte in die ungeheure Straße ein.

Jean Robert war gegen sieben Uhr Morgens nach Hause gekommen, hatte selbst sein Pferd gesattelt, war im Galopp mit der Bemerkung, man dürfe sich seinetwegen nicht beunruhigen, wenn seine Abwesenheit sich verlängere, wieder abgegangen und nicht mehr erschienen.

Man mußte die Zeit tödten: Petrus dachte an Ludovic und schlug den Weg nach den oberen Quartieren des Luxembourg ein.

Ludovic war noch nicht nach Hause gekommen.

Petrus kehrte in seine Wohnung zurück und fing an aus der Erinnerung ein Portrait der kleinen Rose-de-Noël, im Costume der Mignon von Göthe, zu skizzieren. Er wählte den Augenblick, wo die kleine Zigeunerin, um Wilhelm Meister zu zerstreuen, den Eiertanz ausführt.

Gegen fünf Uhr Abends brachte ein Diener in der Livree des Marschalls ein Billet von der Prinzessin Regina.

Petrus hatte alle Mühe der Welt, um sich zu bewältigen und das Billet mit einer gleichgültigen Miene zu nehmen; er öffnete es ganz zitternd, obschon er bezweifelte, das Billet sei von Regina selbst; doch an der Unterschrift erkannte er, sie sei es wirklich, die es geschrieben.

Er las wie folgt:

»Entschuldigen Sie, mein Herr, daß ich heute Morgen nicht zu Hause war, als sie die Güte hatten, hierher zu kommen. Ein sehr trauriger Unfall, der einer meiner besten Pensionsfreundinnen widerfahren ist, hat mich den ganzen Morgen außerhalb Paris zurückgehalten: ich hätte Ihnen heute Morgen schreiben müssen, um Ihnen diese Mühe zu ersparen; doch Sie werden mich hoffentlich entschuldigen, wenn Sie bedenken, in welcher Unruhe ich mich befand.

»Da ich meinen Fehler nicht gut machen kann, so mildere ich ihn.

»Werden Sie, morgen um die Mittagsstunde frei sein, mein Herr? Es drängt meine Familie, Ihr treffliches Portrait vollendet zu besitzen.

»Regina.«

»Sagen Sie der Prinzessin, ich werde morgen zur bezeichneten Stunde bei ihr sein,« antwortete Petrus.

Der Diener entfernte sich; Petrus blieb allein.

Drei Tage früher hätte ihn ein solches Billet mit Glück erfüllt; schon der Anblick der Handschrift von Regina würde ihn in ein Entzücken versetzt haben, und er hätte hundertmal die Unterschrift geküßt; doch seit der Offenbarung des Generals Herbei in Betreff der Heirath von Regina mit dem Grafen Rappt war eine solche Umwälzung in der Seele des jungen Mannes vorgegangen, daß ihm der Anblick dieses Billets eher schmerzlich als angenehm war.

Es schien ihm dadurch, daß sie ihm nichts von der Lage, in der sie sich befand, gesagt, habe ihn Regina verrathen; dadurch, daß sie sich lieben ließ, habe sie ihm eine Falle gestellt.

Und dennoch las er den Brief wieder und wieder; er konnte seine Augen nicht von dieser reizenden, kleinen, seinen, regelmäßigen, aristokratischen Handschrift losmachen.

Petrus wurde mitten in dieser Beschäftigung durch das Geräusch seiner Thüre, die man aufs Neue öffnete, unterbrochen; er wandte sich maschinenmäßig um und erblickte Jean Robert.

Der Dichter kam nach dem stürmischen Tage, den er durchlebt, vom Bas-Meudon an; er war gerade zu Petrus gegangen, wie Petrus gerade zu ihm gegangen war.

Hätte Petrus Jean Robert in der Rue de l’Université gefunden, so würde er wahrscheinlich mit ihm in diesem ersten Augenblicke des Aergers, wo das Herz überströmt, von der verfehlten Sitzung und vom Original des Portraits, in dessen Ausführung er gerade begriffen war, gesprochen haben; doch drei bis vier Stunden Arbeit, gekrönt durch den Brief von Regina, hatten dem jungen Manne, wenn nicht die Ruhe, doch wenigstens eine gewisse Selbstbeherrschung wiedergegeben.

Jean Robert war es aber, der zu Petrus kam, und Jean Robert sprach.

Bei Petrus war nur das Herz voll; bei Jean Robert waren der Geist und das Herz gleich sehr eingenommen, jedoch aus die egoistische Art der Dichter, das heißt aus dem Gesichtspunkte dessen, was er, als Roman oder als Drama, aus den Ereignissen des Tages ziehen könnte.

Trotz des emphatischen Einganges seines Freundes, schenkte Petrus, der sich ganz der Erinnerung an seinen eigenen Tag überließ, nur eine geringe Aufmerksamkeit der Erzählung der Liebesverhältnisse von Justin und Mina. als plötzlich der Erzähler, dessen Blicke aus die Skizze des Eiertanzes fielen, ausrief:

»Rose-de-Noël!«

»Rose-de-Noël?« fragte Petrus; »Du kennst dieses Mädchen?«

»Oh! ja.«

»Woher?«

»Die alte Zigeunerin, ihre Mutter, ist es, die den Brief gefunden, welchen Mina zum Wagenschlage hinausgeworfen hat. Ich bin mit Salvator bei ihr gewesen.«

»Sie hat mir in der That gesagt, sie kenne unsern Freund von der vergangenen Nacht.«

»Das ist ihr Beschützer; er wacht über sie, beschäftigt sich mit ihrer Gesundheit, schickt ihr Aerzte, läßt sie die Wohnung wechseln. Es scheint, diese abscheuliche Brocante ist eine alte Geizige, die das Kind vor Kälte im Winter, vor Hitze im Sommer sterben läßt. Findest Du das kleine Mädchen nicht reizend, Petrus?«

 

»Du siehst es wohl, da ich sein Portrait mache.«

»Als Mignon; das ist ein guter Gedanke; ich dachte auch sogleich: ›Oh! hätte ich eine solche Schauspielerin, so würde ich ein Drama aus dem Romane von Göthe machen.‹

»Warte,« sagte Petrus, »ich will Dir etwas Anderes zeigen.«

Er zog aus seinem Carton die große Zeichnung, die er ein paar Tage vorher im Blumensalon von Regina gemacht hatte; sodann, als Jean Robert sich näherte, um zu schauen, rief er:

»Eine Minute Geduld! ich habe noch ein paar Striche zu machen,«

Man erinnert sich, daß er bei dieser Zeichnung Rose-de-Noël vorstellend, wie sie schnatternd, mit ihren Hunden, in einem Graben des Boulevard Mont-Parnasse gesunden wurde, aus der Einbildungskraft den Kopf der kleinen Zigeunerin gemacht hatte. – In fünf Minuten war der geträumte Kopf verwischt und der wirkliche Kopf an seine Stelle gesetzt.

»Schau’ nun!« sagte Petrus.

»Ah!« rief Jean Robert, »weißt Du, daß das sehr schön ist?«

Dann plötzlich:

»Halt! Das Portrait von Fräulein von Lamothe-Houdan!«

Petrus bebte.

»Wie?« fragte er. »Was willst Du damit sagen?«

»Ist das nicht das Portrait der Tochter des Marschalls? . . . Hier, hier, als Amazone?«

»Ja . . . Du kennst sie also?«

»Ich hatte sie ein- oder zweimal beim Herzog von Fitz James gesehen, und ich habe sie heute wieder gesehen; darum ist mir die Ähnlichkeit dieses Portraits mit ihr in die Augen gefallen.«

»Du hast sie wieder gesehen? Und wo dies?«

»Oh! bei einer erschrecklichen Veranlassung! knieend mit zwei von ihren Pensionsfreundinnen, Schülerinnen von Saint-Denis wie sie, vor dem Bette eines armen Kindes, das sich durch Ersticken hatte den Tod geben wollen.«

»Was ihr aber nicht gelungen ist?«

»Ja,« erwiderte traurig Jean Robert, »sie hat dieses Unglück gehabt.«

»Dieses Unglück?«

»Allerdings, da sie sich mit ihrem Geliebten erstickt hat, und ihr Geliebter gestorben ist. – Alles dies wollte ich Dir erzählen, mein Freund, als ich, während ich zugleich Deine Befangenheit bemerkte, die Dich meiner Erzählung ein nur mittelmäßig aufmerksames Ohr leihen ließ, das Portrait von Rose-de-Noël erkannte.«

»Verzeih, Robert,« sagte Petrus dem jungen Dichter zulächelnd und ihm die Hand reichend, »ich war in der That befangen, doch meine Befangenheit ist vorüber; erzähle, mein Freund, erzähle.«

So ist die menschliche Seele in ihren Beziehungen zu den äußeren Gegenständen beschaffen, – fast immer egoistisch! Petrus, gleichgültig bei der Erzählung des Liebesverhältnisses von Justin und Mina, so lange er nichts von der Dazwischenkunft von Rose-de-Noël bei dieser Liebe wußte; Petrus, zerstreut bei der Erzählung der Mißgeschicke von Colombau und Carmelite, so lange er dabei Fräulein von Lamothe-Houdan nicht hatte erscheinen sehen, – Petrus war neugierig, diese doppelte Erzählung zu hören, mit der sich Regina vermengt fand: einerseits mittelbar durch Rose-de-Noël, andererseits unmittelbar durch sie selbst.

Petrus hatte nicht einen Augenblick bezweifelt, Regina sei durch einen Unfall, der einer ihrer Freundinnen widerfahren, aus dem Hause gezogen worden; er war aber entzückt, daß Jean Robert die Wirklichkeit des Unfalls bestätigte. Ueberdies hatte Jean Robert als Dichter von der Schönheit von Fräulein von Lamothe-Houdan gesprochen, und trotz des Gefühles der Eifersucht, das in seinem Herzen brannte, wenn er dachte, diese Schönheit gehöre zum Voraus einem Andern, war Petrus glücklich und stolz aus diese Schönheit.

Sodann erfuhr er Eines: daß Madame Lydie von Marande, bei der er sich hatte einführen lassen, und wegen der ihm sein Oheim Vorwürfe gemacht, daß er sie nicht wieder besucht hatte, nicht nur eine Bekannte von Regina, sondern sogar eine vertraute Freundin der jungen Prinzessin, eine ihrer Gefährtinnen von Saint-Denis war.

Ebenso war es mit dem Mädchen, von dem Jean Robert nichts Anderes wußte, als den Namen, welches mit Salvator lebte und Fragola genannt wurde.

Von da nahm die Erzählung von Jean Robert in den Augen und in den Ohren von Petrus ein wunderbares Interesse an.

Wir sagen in den Augen, weil zugleich, während die Ohren hörten, die Augen sahen.

Jean Robert seinerseits, da er fühlte, daß man ihn anhörte, und daß er, um uns des Künstlerausdrucks zu bedienen, seinen Effect machte, Jean Robert seinerseits erzählte als Dichter.

Doch so wie sie vorrückte, gewann die Erzählung einen solchen Einfluß auf Petrus, daß er sich nicht mehr mit den unbestimmten und weitschweifigen Details der Erzählung begnügte: er schob Jean Robert einen Stift in die Hand und bat ihn, ihm einen Begriff von dem traurigen Schauspiele zu geben, welches das Zimmer von Carmelite geboten.

Jean Robert war entfernt kein Maler, doch er war ein geschickter Inscenirer; er war es gewöhnlich, wenn er ein Stück einrichtete, der in die Bibliothek ging, die Costumes zeichnete, den Plan und Alles bis aus die Anlagen der Decorationen machte. Er hatte überdies das den Romanschreibern eigenthümliche Gedächtnis, das ihnen erlaubt, getreu die Oertlichkeit, die sie nur ein einziges Mal gesehen haben, zu schildern.

Jean Robert nahm, ein Papier und zeichnete zuerst den geometrischen Plan des Zimmers von Carmelite; sodann, aus einem andern Papiere, skizzierte er den Anblick dieses Zimmers mit den drei Mädchen, gruppiert um das vierte, das aus dem Bette ausgestreckt liegt, und ihm Hintergrunde, in seiner herrlichen Dominicanertracht, Sarranti, den schönen Priester, ruhig, ernst, unbeweglich wie die Bildsäule der Beschauung.

Petrus folgte ihm aufmerksam mit den Augen.

Ehe er noch geendigt hatte, zog er das Papier aus seinen Händen.

»Ich danke Dir,« sagte er, »ich habe Alles, was ich brauche: mein Bild ist gemacht! Gib mir nur einige Details über die Tracht der Zöglinge von Saint-Denis.«

Jean Robert nahm die Aquarellenschachtel und bezeichnete die Farben aus einem der knieenden Mädchen.

»Das ist es.« sagte Petrus.

Und er nahm nun ein Bristol-Papier und fing an die schmerzliche Scene zu skizzieren, von der ihm der Dichter ein ungestaltetes Croquis gemacht, aber eine Erzählung voll Farbe und Wahrheit gegeben hatte.

Die jungen Leute verließen sich ziemlich spät in der Nacht.

Am andern Tage, gerade um Mittag, erschien Petrus im Hotel des Marschalls von Lamothe-Houdan.

Was wollte er hier machen? was wollte er sagen?

Er wußte es selbst nicht; er hatte sich während dieser zwei Tage des Wartens gleichsam das Herz zu ungeheuren Traurigkeiten, zu tiefen Schmerzen vorbereitet.