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Die Mohicaner von Paris

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»Die Fee Carita fing damit an, daß sie die zwei kleinen Hunde aus den Boden setzte; dann wandte sie sich an die Hexe und sagte:

›Frau, wir bringen Euch dieses Kind zurück, das vor Fieber aus dem Boulevard zitterte; es ist krank: Ihr müßt es zu Bette legen und warm zudecken.‹

»Die Broeante wollte antworten, doch die Hunde bellten so gewaltig, daß sie genötigt war, diese Thiere, ihnen mit dem Besen drohend, zum Schweigen zu bringen.

›Sie ist es, die spazieren gehen wollte,‹ erwiderte die Brocante der Prinzessin, diese schief anschauend, – ohne Zweifel, weil sie in ihr eine gute Fee erkannte, – ›sie begeht immer solche Streiche, und dadurch macht sie sich krank.‹

›Es ist ein Kind,‹ entgegnete die Fee: ›man mußte nicht daraus hören. Doch legt Ihr die Kleine nicht zu Bette? Ich suche ihr Bett und sehe es nicht.‹

›Gut! Ihr Bett?‹ sagte die Hexe.

›Allerdings. Habt Ihr keine andere Stube?‹ fragte die Fee.

›Glauben Sie denn, dieser Boden sei ein Palast?‹ antwortete brummend die Hexe.

›Ei! gute Frau,‹ sprach der General, ›ich bitte, antwortet in einem andern Tone, oder ich lasse einen Commissär kommen, der Euch fragen wird, wo Ihr dieses Kind gestohlen habt!‹

›Oh! nein! oh! nein!‹ rief die Kleine, ›ich will bei der Brocante bleiben!‹

›Ich habe sie nicht gestohlen,‹ sagte die Alte.

›Ah!‹ versetzte der General, »willst Du es versuchen, uns glauben zu machen, diese Kleine gehöre Dir?‹

›Ich sage das nicht,‹ erwiderte die Broeante.

›,Gehört sie nicht Dir, so siehst Du wohl, daß Du sie gestohlen hast.‹

›Ich habe sie nicht gestohlen, Herr; ich habe sie gefunden und bei mir ausgenommen wie mein eigenes Kind, ohne einen Unterschied zwischen ihr und Babolin zu machen.‹

›Nun,‹ sagte die Fee, ›warum habt Ihr dann die Hunde nicht durch, Babolin spazieren führen lassen, und warum ist sie nicht hier geblieben?‹

›Weil Babolin nichts von dem, was man ihm befiehlt, thun will, während Rose-de-Noël gehorcht, ehe man zu befehlen geendigt hat.‹

›Es mag sein,‹ sprach der General; ›doch wenn man die Kinder aufnimmt, so geschieht es nicht, um sie am Fieber sterben zu lassen. Wo legt Ihr die Kleine zu Bette?‹

›Dort,‹ antwortete die Hexe, auf eine Vertiefung des Daches deutend, in der Rose-de-Noël ihr Domicil genommen hatte.

»Die Fee hob den Vorhang auf, der diesen Winkel des Speichers bedeckte, und sie sah ein ziemlich reinliches Plätzchen; nur hatte das Bett eine einzige Matratze; die Fee berührte die Matratze und fand das Lager ein wenig hart.

›In der That,‹ sprach sie, ›ich schäme mich, daß ich so weich liege, wenn ich bedenke, daß diese arme Kleine nur eine Matratze hat!‹

›Sie wird ein Federbett. Decken und hübsche seine Leilacken haben,‹ sagte der General; ›ich werde Euch Alles dies schicken, gute Frau, und auch einen Arzt. Mittlerweile haltet das Kind möglichst warm und laßt eine Krankenwärterin kommen; hier ist Geld, um sie zu bezahlen und um Arzneien zu kaufen; sagt mir morgen der Arzt, die Kleine sei nicht gut verpflegt, so lasse ich sie Euch durch den Commissär nehmen.‹

»Die Hexe stürzte sich aus das Kind und schloß es an ihre Brust.

›Oh! nein,‹ sagte sie, ›seien Sie unbesorgt! wird Rose-de-Noël nicht wie eine Prinzessin gepflegt, so fehlt es nur an Geld!‹

›Gott befohlen, Rosette!‹ sprach die Prinzessin, indem sie auf Rose-de-Noël zuging und sie küßte; ›ich werde Dich wieder besuchen, mein Kind!‹

›Gewiß, Frau Fee?‹ fragte die Kleine.

›Gewiß,‹ antwortete die Prinzessin.

»Die Wangen des Kindes wurden rosenroth vor Vergnügen, weshalb Carita zu ihrem Vater sagte:

›Seht doch, wie hübsch sie ist!‹

»Sie war wirklich sehr hübsch, Herr Maler, und von ihr würde man ein schönes Portrait machen!«

»Sie haben sie also gesehen?« fragte Petrus lachend.

»Gewiß,« antwortete Abeille.

Doch sich verbessernd:

»Das heißt, ich habe ihr Costume in meinem Mährchenbuche gesehen: sie hatte das Costume von Rothkäppchen.«

»Sie werden es mir zeigen, nicht wahr, mein Fräulein?«

»Ich werde dies nicht unterlassen,« sprach ernst die kleine Abeille.

Dann fuhr sie fort:

»Die Fee und ihr Papa stiegen wieder zu Pferde, und eine halbe Stunde nachher schickten sie der armen Rose-de-Noël Alles, was sie ihr versprochen hatten. Alsdann ließen sie anspannen und fuhren rasch zum Arzte, der im Innersten der Stadt wohnte. Der Arzt ging in ihrer Anwesenheit ab, und die Fee und ihr Vater kehrten in ihren Palast zurück, die Fee entzückt, einen so guten Papa zu haben, der Vater entzückt, eine so gute Tochter zu haben.

»Der Arzt hatte versprochen, am Abend Nachricht über die kleine Rose-de-Noël zu geben; er hielt Wort und kam in der That noch an demselben Abend. Die Kunde, die er zu geben hatte, war traurig: die arme Kleine war von einer schweren Krankheit bedroht, worüber die Prinzessin in Verzweiflung gerieth. Sie ging auch am andern Morgen mit ihrem Vater im Wagen ab, so daß sie vor neun Uhr Beide bei der Brocante waren. Der Arzt war schon seit einer Stunde da: er sah sehr besorgt aus, und er hatte wohl Ursache, wie Sie zugestehen werden, wenn Sie erfahren, daß Rose-de-Noël an einer Gehirnentzündung litt. Die arme Kleine delirirte und erkannte Niemand mehr, – weder die Brocante, die sie aufgenommen hatte, noch Babolin. ihren kleinen Kameraden, der am Fuße ihres Bettes vor Kummer weinte, noch die Krähe, welche, ohne sich zu rühren, aus dem Kopfkissen saß und aussah, als begriffe sie, ihre kleine Herrin sei krank, noch die Hunde, welche nicht wie am vorhergehenden Tage gebellt hatten, als der General und die Prinzessin eingetreten waren. Das war ein äußerst trauriges Schauspiel, und die Fee wandte von der kleinen Kranken ihre Augen ab, um sie zu trocknen.

»Es war indessen nicht die Krankheit von Rose-de-Noël, was den Arzt erschreckte; er stand dafür, er werde sie retten, wenn sie die Tisanen, die man ihr bot, zu nehmen einwillige; doch mit ihrem schwächlichen, glühenden Händchen stieß sie Alles, zurück, was man ihr eingeben wollte. Man mochte ihr immerhin sagen:

›Trinke, Kleine; das wird Dich heilen!‹

»Es war vergebens: sie verstand nicht, was man ihr sagte.

»Sodann, von Zeit zu Zeit, richtete sie sich in ihrem Bette auf, als wollte sie fliehen, und rief:

›Oh! meine gute Madame Gerard! ah! meine gute Madame Gerard, tödten Sie mich nicht! . . . Zu Hilfe, Brasil! zu Hilfe, Brasil!‹

»Und sie sank mit einem schweren Seufzer wie todt wieder zurück.

»Der Arzt sagte, es sei ihr Fieber, was sie Gespenster sehen lasse; doch das Gesicht von Rosette drückte eine solche Angst aus, daß man geschworen hätte, sie sehe wirklich diese Gespenster.

»Der Trank, den ihr der Arzt reichte, sollte das Fieber besänftigen und, das Fieber besänftigend, diesen abscheulichen Alp verschwinden machen; es bemühte sich auch Jedermann, sie zum Nehmen dieses Trankes zu bewegen: der Arzt, die Krankenwärterin, die Brocante, Babolin, und sogar ein Commissionär, der gerade anwesend, und den sie ungemein liebte, wenn sie bei Vernunft war. Die Brocante wollte sie mit Gewalt trinken machen; doch das Mädchen mit seinen mageren Ärmchen war stärker, als die Hexe.

›Nimmt sie diesen Trank nicht löffelweise, so ist sie vor morgen Abend todt!‹ sprach traurig der Arzt.

›Was ist zu thun?‹ fragte die Prinzessin.

›Ich weiß es wahrhaftig nicht,‹ antwortete der Arzt.

›Doctor, Doctor,‹ sprach die Prinzessin weinend, ›ich bitte Sie inständig, wenden sie Ihre ganze Wissenschaft an, um das arme Kind zu retten! Mir scheint, wenn ich so gelehrt wäre wie Sie, ich fände ein Mittel, es zu retten!‹

›Ach! Prinzessin,‹ erwiderte der Doctor, den Kopf schüttelnd, ›die Wissenschaft ist in einem solchen Falle ohnmächtig! Ihr gutes Herz inspiriere Sie also; ich, was mich betrifft, ich kann mich nur vor dem unüberwindlichen Widerstande dieses Kindes demüthigen.‹

»In diesem Augenblicke trat der Commissionär mit Thränen in den Augen hinzu und versprach der kleinen Kranken Puppen, Spielzeug, Schäfereien, schöne Kleider, Perlen, um Halsbänder daraus zu verfertigen; doch Alles war vergebens. Man hätte glauben sollen, Rose-de-Noël sei taub: sie rührte sich nicht; so daß der arme junge Mann, nachdem er es durch alle mögliche Mittel versucht hatte, sie seine Stimme erkennen zu machen, sich mit gepreßtem Herzen in einen Winkel der Stube zurückzog: ein Vater hätte nicht so trostlos vor der Leiche seines Kindes geschienen.

»Der kleine Babolin war auch sehr betrübt, und er erzählte Rose-de-Noël alle Geschichten zum Lachen, die er ihr sonst zu erzählen pflegte; doch sie antwortete ihm nicht, ebenso unempfindlich für seine Worte, seine Küsse, seine Bitten, als die Sinnpflanze dort, wenn ihr Schlaf gekommen ist, und sie ihre Arme gekreuzt hat.

»Die Zeit verging indessen, und das kleine Mädchen nahm den Trank nicht.

»Was war zu thun? Jedermann hatte es versucht, und Jedermann war gescheitert.

»Da war die Reihe an der Prinzessin, sich ans Bett zu setzen, den Kopf der kleinen Kranken zu nehmen und sie zärtlich zu küssen; und wenn ich sage, die Prinzessin, so täusche ich mich abermals: ich muß sagen die Fee, denn es geschah wirklich durch eine Macht über alle Mächte der Erde, daß die Kleine, welche die Augen seit dem Morgen geschlossen hatte, sie plötzlich öffnete und mit freudigem Tone ausrief:

›Oh! Sie erkenne ich, Sie sind die Fee Carita!‹

»Die Augen aller Anwesenden befeuchteten sich von Thränen, doch von Thränen des Glückes, wohl verstanden: das Mädchen hatte die einzigen vernünftigen Worte gesprochen, die es seit dem vorhergehenden Tage gesagt.

»Jeder wollte hinzustürzen und Rose-de-Noël küssen; doch der Arzt streckte die Arme aus, ohne ein Wort zu sprechen, aus Furcht, die menschliche Stimme könnte plötzlich diesen Funken auslöschen, den die göttliche Stimme in ihr entzündet hattet

 

›Ja, meine liebe Kleine,‹ sprach mit sanftem Tone und sehr langsam die Prinzessin, ›ja, ich bin es!‹

›Carita! Carita!‹ wiederholte die Kleine mit einem solchen Ausdrucke, daß dieser schöne Name, der in Aller Munde nur ein Name reizender als die andern war, in dem ihrigen etwas wie ein heiliger Gesang, wie ein süßes Lied wurde.

›Liebst Du mich, Rosette?‹ fragte die Prinzessin.

›Oh! ja, Frau Fee,‹ antwortete das Kind.

›Dann wirst Du wohl anhören, was ich Dir sagen will.‹

›Ich höre!‹

›Nun wohl, so trinke dies,‹ sprach die Prinzessin, indem sie dem Mädchen einen Löffel voll von dem Tranke reichte, den ihr der Arzt von hinten gegeben hatte.

»Die kleine Kranke öffnete, ohne zu antworten, den Mund, und Carita ließ sie einen Löffel voll von dem heilsamen Tranke schlucken.

›Trinkt sie so vierundzwanzig Stunden lang, so ist sie gerettet.‹ sagte der Arzt.

›Leider, mein Fräulein,‹ fügte er bei, ›leider befürchte ich, sie wird fortfahren, Alles zurückzustoßen, was ihr eine andere Hand bietet, als die Ihrige.‹

›Ei!‹ erwiderte die gute Fee, ›ich gedenke wohl, mit Erlaubnis meines Vaters, bei Rose-de-Noël zu wachen, bis sie außer Gefahr ist.‹

›Meine Tochter,‹ sagte der General, ›es gibt Arten von Erlaubnis, um die man seinen Vater nicht bittet, denn ihn darum bitten heißt annehmen, er könnte sie verweigern.‹

›Meinen Dank, lieber Vater,‹ sprach die Fee, den General küssend.

›Mein Fräulein.‹ sagte der Arzt. ›Sie sind der Engel der Güte!‹

›Ich bin die Tochter meines Vaters, mein Herr,‹ antwortete einfach die Fee.

»Jedermann, die Brocante, die Krankenwärterin und die Fee Carita ausgenommen, entfernte sich, und der General nahm Babolin mit, der der Prinzessin Alles zurückbrachte, was nötig war, um die Nacht bei Rose-de-Noël zuzubringen.

»Carita blieb vier Tage und vier Nächte in dieser abscheulichen Stube, und gestattete sich keine Ruhe, als von Stunde zu Stunde, wenn die Kleine ihren Löffel voll Arznei genommen hatte. Mehr noch: von dem Augenblicke an, wo sie anwesend, erlaubte sie der Krankenwärterin, deren Gesicht Rosette widerwärtig war, nicht mehr, sich dem Bette zu nähern; sie war es folglich, welche der Kleinen die Kataplasmen, die Senfpflaster, die Compressen von Eiswasser auflegte; sie war es, die ihr die Wäsche wechselte, die sie reinigte, die sie kämmte, die, sie durch ihre Küsse wach hielt, die sie durch ihre Lieder einschläferte.

Nach Verlauf von vier Tagen nahm das Fieber endlich ab, und der Arzt erklärte, Rosette sei gerettet; er forderte die Prinzessin auf, nach Hause zurückzukehren, wenn sie nicht selbst krank werden wolle; als Rose-de-Noël dies hörte, rief sie:

›O Prinzessin Carita, kehre geschwinde zu Deinem Vater zurück, denn würdest Du krank, weil Du mich gerettet hast, so stürbe ich vor Kummer, Dich krank zu wissen.‹

»Und die Prinzessin, nachdem sie die Kleine tausendmal geküßt hatte, entfernte sich, ließ aber auf ihrem Bette eine große Pappeschachtel ganz voll von Weißzeug und von glänzenden Stoffen, wie sie Rose-de-Noël liebte, zurück . . . Von diesem Augenblicke an ging es bei der Kleinen immer besser; und sollte Einer an der Wahrheit dieser Erzählung zweifeln, so hätte er nur nach der Rue Triperet, Nr. 11, zu gehen und die Brocante und Rose-de-Noël nach der Geschichte der Fee Carita zu fragen.«

Das Mährchen war beendigt.

Abeille suchte mit ihren Augen die Augen von Petrus; doch der junge Mann hatte zwischen sich und der kleinen Erzählerin ein großes Blatt graues Papier ausgerichtet.

Das Mädchen wandte sich gegen seine Schwester um; Regina hatte aber, um ihre Verlegenheit zu verbergen, vor ihr Gesicht ein großes Bananenblatt niedergezogen.

Erstaunt über die Wirkung, welche sie hervorgebracht, fragte Abeille, die sich nicht Rechenschaft über das verschämte Geheimnis, gab das jeden von ihren Zuhörern einen Schleier für sein Gesicht suchen machte:

»Nun, was gibt es denn? spielen wir blinde Kuh? . . . Mein Mährchen ist beendigt; ist es ihre Zeichnung auch, Herr Maler?«

»Ja, mein Fräulein,« antwortete Petrus, indem er Abeille das graue Blatt Papier reichte.

Die Kleine fiel über die Zeichnung her, und nachdem sie einen raschen Blick daraus geworfen, stieß sie, ihr Portrait erkennend, einen Schrei aus; dann lief sie zu Regina und sagte:

»Oh! sieh die schöne Zeichnung, Schwester!«

Es war in der Thal eine schöne, eine wunderbare Zeichnung während der Erzählung des Mädchens improvisiert und so schnell als das Wort gekommen.

Im Hintergrunde sah man das Boulevard bei der Barrière de Fontainebleau, was man am Horizont erkannte. Aus dem ersten Plane, mitten unter ihren Hunden, die sie leckten, die Krähe aus ihrer bloßen Schulter, saß mager, bleich, mit unordentlichen Haaren und schnatternd Rose-de-Noël oder vielmehr ein Mädchen, das einige Aehnlichkeit mit ihr hatte; – denn das Elend und die Krankheit haben das Traurige, daß sie aus alle Gesichter dasselbe Mahl drücken. – Vor dem Mädchen war Regina als Amazone gekleidet, wie das erste Mal, wo Petrus sie hatte vorüberkommen sehen. Aus dem zweiten Plane, zu Pferde, der Marschall von Lamothe-Houdan, am Zaume den schönen Rappen haltend, den Regina so meisterhaft führte; auf demselben Plane endlich wie ihre Schwester, hinter einer Ulme und sich aus der Fußspitze erhebend, suchte Abeille, zugleich neugierig und furchtsam, zu sehen, ohne gesehen zu werden, was zwischen Regina und Rose-de-Noël vorging.«

Diese mit fester Hand gemachte Zeichnung war eine wunderbare Uebersetzung des Feenmährchens von Abeille; Regina schaute sie lange an, und während sie dieselbe anschaute, bezeichnete der Ausdruck ihres Gesichtes das tiefste Erstaunen.

In der That, wer war denn dieser junge Mann, der zugleich den schwermüthigen, krankhaften Ausdruck vom Gesichte von Rose-de-Noël und diese Amazonentracht, mit der sie, Regina, an jenem Tage bekleidet war, errieth?

Sie machte tausend Conjecturen, jedoch ohne zur Wahrheit zu gelangen.

Dann sprach sie im Tone vollster Bewunderung zu dem Mädchen:

»Abeille, Du batst mich eines Tages im Louvre, Dir eine Zeichnung von einem Meister zu zeigen: nun, schau’ diese an, mein Kind, denn wahrhaftig, das ist eine.«

Der Künstler erröthete vor Stolz und Wonne.

Diese erste Sitzung war reizend, und Petrus, nachdem er eine neue aus den zweiten Tag nachher verabredet hatte, verließ das Hotel berauscht von der Schönheit und der Herzensgüte der Prinzessin Carita.

LXXXIII
Familienrevue

Die zweite Sitzung war in allen Punkten der ersten ähnlich; sie wurde abermals erheitert durch das Plaudern des Kindes, und wie das erste Mal verließ Petrus entzückt da« Hotel Lamothe-Houdan.

Es vergingen vierzehn Tage so; von zwei zu zwei Tagen gab Regina dem jungen Manne Sitzung: da verbrachten der Künstler, Regina und das Kind Stunden, welche Petrus sich hätte mögen in’s Unendliche verlängern sehen.

An den Tagen, wo eine Lektion die kleine Abeille zurückhielt, führte Regina, treu der Ermahnung von Petrus, ihr Gesicht durch die Plauderei zu beleben, das Gespräch aus den ersten den besten Gegenstand; und der erste der beste Gegenstand nahm, Anfangs gleichgültig, bald ein wachsendes Interesse an; denn Regina entrollte bei jeder Gelegenheit vor den Augen von Petrus Schätze von Wissen, Herzensgüte und Geist,

Die Conversation entspann sich gewöhnlich über die Malerei und die Bildhauerkunst: man ließ die Maler aller Zeiten und aller Länder die Revue passieren; Petrus war im Antiken gelehrt, wie Winkelmann und Cicognara; Regina, welche Reisen in Flandern, Italien und Spanien gemacht hatte, kannte Alles, was Großes in diesen drei Schulen zu Tage gefördert worden war. – Von der Malerei ging man sodann zur Musik über; auch hierin kannte sie Alles, von Porpora bis Auber, von Haydn bis Rossini. Von der Musik kam man zur Astronomie; von der Astronomie zur Botanik: es ist mehr Verwandtschaft, als man glaubt, zwischen den Sternen und den Blumen; die Sterne sind die Blumen des Himmels, die Blumen sind die Sterne der Erde.

Als aber diese Gegenstände erschöpft waren, sprach man von Sympathie, von Anziehungskraft, von Gemeinschaft der Seelen.

Die jungen Leute machten so aus dem leuchtenden Wege des Geistes tausend Reisen in entfernte Länder; sie ergingen sich aus allen öden Küsten; sie horchten von den Felsenriffen herab aus die Stimmen des Sturmes; sie vernahmen die Geheimnisvollen Geräusche der Nacht in den Hütten der Urwälder; sie hüllten sich endlich ganz in das linnene Gewand der jungen Illusionen.

Ehe er eine Ahnung von der Heftigkeit seiner Liebe hatte, war Petrus verliebt wie ein Wahnsinniger! Es erfaßten ihn oft tolle Versuchungen, Leinwand und Pinsel aus die Seite zu legen, sich Regina zu Füßen zu werfen und ihr zu sagen, er bete sie an. Trotz der bewunderungswürdigen Selbstbeherrschung, welche Regina besaß, schien es Petrus manchmal, das Auge des Mädchens verweile aus ihm mit einem Ausdrucke, den er zu Gunsten seiner Liebe deutete; aber neben diesem gab sich eine so erhabene Würde in den geringsten Geberden von Regina kund, daß die Worte starben, ehe sie aus den zitternden Lippen des jungen Mannes geboren waren; so daß er, nachdem er mit Regina in den Gefilden des Himmels umhergeschweift war, wie ein hochmüthiger Titan, vom Blitze zerschmettert, wieder aus die Erde niederfiel.

Was aber, außer der Ehrfurcht, die ihm Regina einflößte, seine Schüchternheit vermehrte, war ihre Umgebung.

Ihr Vater vor Allem, der Marschall von Lamothe-Houdan, ein alter Soldat des Kaiserreichs, obgleich Edelmann von altem Geschlechte, was er war, aber seit 1815 zu seinen royalistischen Grundsätzen zurückgekommen, und zum Marschall gemacht beim spanischen Feldzuge im Jahre 1515, hatte unter Allem dem die Traditionen vielleicht mehr noch des siebzehnten, als des achtzehnten Jahrhunderts bewahrt; er war zugleich voll von Güte, Stolz und steifem Ernste, besonders in Betreff der Künstler. Von Zeit zu Zeit kam er in den Pavillon, der als Atelier diente, überwachte das Portrait seiner Tochter, und gab Petrus genau dieselben Rathschläge, die er einem einen Flügel seines Hotels ausbessernden Maurer gegeben hätte.

Sodann die alte übermüthige Person, welche Regina an dem Tage begleitete, wo sie den Maler aufsuchte, damit er ihr Portrait mache. Diese Dame, eine Tante von Regina, Namens Marquise de la Tournelle, war durch ihren verstorbenen Gemahl mit dem ganzen bigotten Adel ihrer Zeit verwandt; vom Erzbischof bis zum letzten Kirchenvorsteher der Pfarre kannte sie alle Kirchenmänner, wie sie vom Präsidenten der Pairskammer bis zu den Huissiers, von Herrn von Talleyrand alle Männer der Politik kannte.

Sodann der Graf Rappt, ihr Günstling, Mitglied der Kammer der Abgeordneten, Ches von einer der mächtigsten Fractionen der Rechten, früher Adjutant des Marschalls. Das war ein Mann von neun und dreißig bis vierzig Jahren, kalt, tapfer, ehrgeizig, unter einer Eismaske alle die zu Grunde richtenden Leidenschaften des Spiels verbergend, welche an der Börse ihren Ursprung nehmen und beim grünen Teppich auslaufen. Während dieser vierzehn Tage war er dreimal gekommen, und obschon er sich herabgelassen, dem Portrait eine ganz besondere Aufmerksamkeit zu gewähren, hatte er doch Petrus äußerst mißfallen.

Die einzige Person, deren Gegenwart dem jungen Maler angenehm war, war Madame Lydie von Marande, eine Pensionsfreundin von Regina, welche ungefähr zwei Jahre vorher einen der reichsten und populärsten Banquiers der Zeit, ein Mitglied der Kammer der Abgeordneten, wo er beharrlich Opposition gegen die royalistische Partei machte, geheirathet hatte.

Es befand sich noch eine Person im Hause, von der Petrus oft Regina und Abeille hatte reden hören; das war die Marschallin von Lamothe-Houdan, die Mutter der zwei Mädchen; sie war von russischer Herkunft und Tochter eines Fürsten; – hiervon kam der Titel Prinzessin, den man zuweilen aus Höflichkeit Regina gab.

Wir werden diese verschiedenen Personen wiederfinden, sowie wir derselben für die Entwickelung unserer Handlung bedürfen. Verlassen wir sie also einen Moment, um einen Blick aus einen Verwandten von Petrus zu werfen, der seinerseits berufen ist, einige Wichtigkeit im Lause unserer Erzählung zu erlangen.

In einem Hotel der Rue de Varennes, – eine traurige, aristokratische Straße, wie es nur eine geben konnte, – wohnte der Graf Herbel von Courtenay, ein Oheim von Petrus, der ältere Bruder seines Vaters.

Geboren in St. Malo, hatte der Graf Herbel im Jahre 1784 Ludwig XVI. seine thätige Ergebenheit und die Mitwirkung seiner Landsleute, – Officiere vom Genie oder von der Marine wie er, – angeboten.

Als zwei Jahre nachher die gesetzgebende Versammlung die Aushebung der königlichen Functionen beschloß und von den Truppen einen Eid forderte, in welchem der königliche Name nicht ausgesprochen wurde, führten mehrere Officiere, diesen Eid als der Redlichkeit entgegen betrachtend, ganze Regimenter weg, wanderten mit Sack und Pack aus, und begaben sich nach Coblenz, wo der Prinz von Condé, Ches der bewaffneten Emigration, sein Hauptquartier ausgeschlagen hatte.

 

Der Graf von Herbel war diesem Wege nicht gefolgt, wie Chateaubriand hatte er das Atlantische Meer durchschifft, und er befand sich in New-Orleans, als er die Ereignisse vom 10. August und die Einkerkerung des Königs erfuhr. Da schien es ihm, die Stimme des sterbenden Königthums rufe ihm zu, der Platz eines Edelmanns sei zu solcher Stunde nicht in Amerika, sondern an den Ufern des Rheins; er reiste daher mit dem ersten Schiffe ab, das nach England unter Segel ging, landete in Holland, und kam von Holland nach Coblenz.

Hier fand er den Kern des royalistischen Heeres, gebildet aus den Gardes du Corps, die, nach dem 5. und 6. October entlassen, nicht in Frankreich geblieben waren; ein Heer, welches man dadurch vervollständigte, daß man ihm Emigranten einverleibte, die von allen Punkten Frankreichs herbeigekommen waren. Man stellte, – und das war keiner der geringsten Vorwürfe, die man den Emigranten machte, – man stellte auf dem Fuße, auf dem es unter Ludwig XV. gewesen war, das ehemalige Civil- und Militärhaus des Königs wieder her; man sah die Compagnien der Musketiere, der Chevaulègers, der Garde-Gendarmen, und endlich der Gardes-francaises unter dem Namen Hommes d’armes àpied wiedererscheinen.

Der Vicomte von Mirabeau, – derjenige, welchen man Mirabeau-Tonneau nannte, – brachte eine Legion auf die Beine, zu der das irische Regiment Berwick gehörte, Soldaten, deren Väter schon sich eher exiliert, als Jacob Stuart, ihren legitimen König, verlassen hatten.

Als der Graf de la Chàtre von der Erzherzogin Christine die Erlaubniß erhalten hatte, in der Stadt Ath eine Cantonnirung von Edelleuten zu errichten, reihten sich tausend Officiere von allen Waffengattungen um ihn.

Endlich warb man Corps unter dem Namen jeder Provinz an, und das Aufgebot des Adels wurde gebildet.

Bemerken wir beiläufig, daß dieser Adel, der aus seinem individuellen und folglich egoistischen Gesichtspunkte entschuldbar sein konnte, daß er gegen sein Vaterland diente, einen Luxus zur Schau stellte, welcher nicht wenig dazu beitrug, die Gleichgültigkeit und den Mißcredit entstehen zu machen, worein er bei den Fürsten an den Ufern des Rheins und bei den fremden Souverains gefallen war; denn es geziemen sich weder der Luxus, noch die Weichlichkeit für Geächtete, und der Ort, der ihnen als Asyl dient, muß mehr einem Lager gleichen, wo Soldaten wachen, als einem Boudoir, wo Höflinge schlafen, spielen oder scherzen.

Der Graf von Herbel, geboren am Ufer des Oceans, auf dem rauhen Gestade von St. Malo, war seit seiner Kindheit an die düsteren Schauspiele des Meeres gewöhnt, und dieses weibische Leben, das man in Coblenz führte, flößte ihm einen tiefen Ekel ein. Er wartete daher mit Ungeduld aus die Gelegenheit, sich zu schlagen, und nachdem er sieben bis acht Monate, nach den Launen der Cabinete von Oesterreich und Preußen, dieses seltsame Leben der Emigration, von Schlachtfeld zu Schlachtfeld, hingeschleppt hatte, in Gesellschaft der Herzoge de la Vauguyon. de Crussol und de la Trémouille,– welche wie er vom Generalstabe des Prinzen von Condé waren. – wurde er am 19. Juli 1793, am Tage der Erstürmung mit dem Bajonnete der Redoute von Bellheim durch den Herrn Generalmajor Vicomte von Salgues, gefangen genommen.

Schwer verwundet, sollte der Graf Herbel vollends vom Säbel eines republicanischen Soldaten zusammengehauen werden, als dieser ihm zurief, er möge Pardon verlangen.

»Wir gewähren immer, aber wir verlangen nie,« antwortete der Graf.

»Du bist würdig, ein Republicaner zu sein!« rief der Reiter.

»Ja; doch leider bin ich es nicht.«

»Du kennst das Loos, das die Emigranten erwartet, welche mit den Waffen in der Hand ergriffen werden?«

»Aus der Stelle erschossen.«

»Ganz richtig.«

Der Graf Herbel zuckte die Achseln.

»Nun,« sprach er, »wozu sagst Du mir denn, ich soll Pardon verlangen, Dummkopf?«

Der republikanische Soldat schaute ihn mit einem gewissen Erstaunen an, obgleich die Soldaten der Republik nicht leicht in Erstaunen geriethen.

In diesem Augenblicke brachte man drei andere Edelleute, Gefangene wie der Graf von Herbel; sie lagen gebunden und geknebelt in einem Wagen. Diejenigen, welche sie brachten, berathschlagten einen Moment mit dem Soldaten, der den Grafen Herbel gefangen genommen hatte; dann ließ man den Grafen zu seinen Gefährten aufsteigen, und man schlug den Weg nach einem kleinen Walde ein, der in der Nähe der Stadt lag: das geschah offenbar, um sie zu erschießen.

Als man in den Wald kam und man die Gefangenen hatte vom Wagen herabsteigen lassen, trat derjenige, welcher den Grafen Herbel gefangen genommen hatte, auf diesen zu und sagte zu ihm:

»Du bist Bretagner!«

»Und Du auch,« erwiderte der Graf.

»Wenn Du das bemerkt hast, warum hast Du es nicht früher gesagt?«

»Hast Du nicht gehört, daß wir nie um Pardon bitten? Dir sagen, ich sei Dein Landsmann, hieß Dich um Pardon bitten.«

Der Reiter wandte sich gegen seine Kameraden um und sagte:

»Das ist ein Landsmann.«

»Nun?« fragten die Andern.

»Nun,« erwiderte der Reiter, »man soll nicht sagen, ich habe einen Landsmann erschossen.«

»So erschieße ihn nicht, Deinen Landsmann.«

»Ich danke, Kameraden.«

Alsdann näherte er sich dem Grafen und nahm ihm die Stricke ab, mit denen seine Hände gebunden waren.

»Bei Gott!« sagte der Graf, »Du thust mir einen großen Gefallen, denn ich starb vor Verlangen, eine Prise Tabak zu nehmen.«

Und er zog aus seiner Weste eine goldene Tabatière, öffnete sie und bot sie höflich dem Republicaner dar, der verneinend den Kopf schüttelte; dann schlürfte er eine große Prise Spaniel.

Die Republicaner schauten lachend diesen Mann an, welcher in dem Augenblicke, wo er glaubte, er werde erschossen, mit so viel Wonne eine Prise Tabak schlürfte.

»Nun, Landsmann,« sagte der Reiter, »nun, da Du Deine Prise genommen hast, mache Dich aus dem Staube!«

»Wie, ich soll mich aus dem Staube machen?«

»Ja; im Namen der Republik begnadige ich Dich als einen Braven?«

»Und begnadigt man auch meine Gefährten?« fragte der Graf.

»Oh! was das betrifft, nein,« erwiderte der Reiter, »sie werden für Dich bezahlen.«

»Dann bleibe ich,« sprach der bretonische Officier, indem er seine Tabatière wieder in seine Tasche steckte.

»Du bleibst?«

»Ja.«

»Um erschossen zu werden?«

»Allerdings!«

»Ah! Du bist wohl wahnsinnig!«

»Nein; doch ich bin Bretagner, und ich begehe keine Feigheit.«

»Auf, vorwärts, fliehe! in zehn Minuten ist es zu spät.«

»Ich bin mit ihnen ausgewandert,« antwortete der Graf, während er seine Hände in seine Taschen steckte; »ich habe mit ihnen gestritten, ich bin mit ihnen gefangen genommen worden: ich werde mit ihnen fliehen oder mit ihnen sterben. Ist das klar?«

»Nun wohl. Du bist ein braver Landsmann!« sagte der republikanische Reiter, »und um Deinetwillen und mir zu Liebe werden Euch meine Kameraden Alle frei lassen.«

»Ja; doch sie sollen rufen: ›Es lebe die Republik!‹ sprach Einer von den Reitern.

»Höret Ihr, Kameraden?« fragte der Graf Herbel; »diese Braven da sagen, wenn Ihr: ›Es lebe die Republik!‹ rufen wollet, so werden sie uns Alle begnadigen.«

»Es lebe der König!« riefen die drei Edelleute, den Kopf schüttelnd, um ihre Hüte herabfallen zu machen, weil sie ihren Ruf mit entblößtem Haupte von sich geben wollten.

»Es lebe Frankreich!« rief eiligst der bretonische Reiter mit seiner stärksten Stimme, in der Hoffnung, ihre Stimme zu bedecken.

»Oh! das, so oft Ihr wollt,« sagten die vier Edelleute.

Und alle Vier riefen einstimmig:

»Es lebe Frankreich!«

»Nun denn!« sagte der Landsmann des Grafen, indem er sie Einen nach dem Andern losband, flieht vom Ersten bis zum Letzten, und Alles sei abgethan.«