Kostenlos

Die Holländerin

Text
0
Kritiken
iOSAndroidWindows Phone
Wohin soll der Link zur App geschickt werden?
Schließen Sie dieses Fenster erst, wenn Sie den Code auf Ihrem Mobilgerät eingegeben haben
Erneut versuchenLink gesendet

Auf Wunsch des Urheberrechtsinhabers steht dieses Buch nicht als Datei zum Download zur Verfügung.

Sie können es jedoch in unseren mobilen Anwendungen (auch ohne Verbindung zum Internet) und online auf der LitRes-Website lesen.

Als gelesen kennzeichnen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

6

In der Liebe des jungen Handlungsdieners zu der Frau des Leinwandhändlers lag so viel jugendliche Unbefangenheit, ja selbst so viel offenes Vertrauen, daß diese Liaison, die unserm Tristan anfangs lächerlich erschien, ihm endlich eine gewisse Achtung einflößte, und anstatt sich darüber lustig zu machen, schloß er sich seinem Freunde um so inniger an. Außerdem schien auch der Frieden des Hauses auf dieser Liebe zu beruhen, denn herrschte eine völlige Harmonie. Herr Van-Dick, der vielleicht ärgerliche Auftritte fürchtete, fand alles gut, was die Köchin that, und diese that, was sie wollte; Euphrasia, welche ihre Gründe hatte, ihren Mann mit Schonung zu behandeln, billigte alles, was Herr Van-Dick that; Wilhelm, der nur Augen und Sinn für seine Geliebte hatte, fand alles vortrefflich, was diese that, und Tristan, der aller bedurfte, lobte die Küche der Köchin, bewunderte die Speculationen des Gatten, lächelte über die witzigen Einfälle der Gattin und verehrte die Gutherzigkeit des Liebhabers.

Er war indeß nicht selten gezwungen, Zerstreuung außer dem Hause zu suchen, denn in dem Hause hatte er weder eine Bekanntschaft, noch eine Liebe, und wenn Herr Van-Dick in der Küche und Wilhelm im Saale war, blieb ihm nichts weiter übrig, als mit Monsieur Eduard eine Gruppe für sich zu bilden, und Monsieur Eduard war eine ungezogene Range.

Tristan hatte weder das Alter, noch den Charakter und die Erziehung, um lange Zeit dieses einförmige Leben zu ertragen, es mußte ihm ein Ersatz, in Gestalt einer Frau, von außen her kommen, aber in einer wahrhaften Frau, die ihn an Louise, an Henriette und Lea zugleich erinnerte. Dieser Gedanke stieg in ihm auf, während er an dem Portrait der Madame Van-Dick arbeitete, und als die Augen, welche jenen unfühlbaren Punkt suchten, auf den sein Sinnen gerichtet war, zufällig auf Wilhelm und Euphrasia fielen, die, wenn sie sich mit den Händen nicht erreichen konnten, sich durch Blicke näherten, da beneidete er die glückliche Natur dieses Handlungsdieners, der sich glücklich pries, ein so lächerliches Geschöpf als Madame Van-Dick zur Geliebten zu haben.

Es läßt sich leicht denken, daß die Stellung, welche Euphrasia für ihr Miniaturgemälde suchte, keine unbedeutende Sache war. So verlangte sie, der Maler solle ihr die von allen Jungfrauen Raphael’s angeben, denn in einer solchen wollte sie sich stets den Blicken Wilhelms zeigen. Unser Freund hatte große Mühe, ihr dies auszureden und begreiflich zu machen, daß die Jungfrauen Raphael’s das heilige Kind neben sich hätten und daß sie doch unmöglich Monsieur Eduard auf ihr Knie nehmen könne, um der heiligen Jungfrau zu gleichen.

Die gute Madame Van-Dick bequemte sich endlich, eine Stellung aus dem neunzehnten Jahrhundert in einem zeitgemäßen Kleide zu nehmen und ergab sich darein, sich mit Blumen in dem gelockten Haare, mit entblößtem Busen, nackten Armen, feuchtem Blicke und melancholischem Lächeln malen zu lassen.

Als alles vorbereitet, setzte sich Tristan an die Arbeit. Eine lange Pause trat ein. Tristan richtete nur dann seine Blicke auf Euphrasia, wenn es nöthig war; sobald diese aber auf der Zeichnung ruheten, drängte sich ihm der Gedanke an die Vergangenheit auf. Ein tiefer Seufzer entquoll seiner Brust, als er sie mit der Gegenwart, das heißt mit Euphrasia, verglich.

– Was fehlt Ihnen, Herr Tristan? fragte diese, Sie scheinen mir traurig zu sein?

Bei dem Aussprechen dieser Worte kniff die Holländerin ihre Lippen dicht zusammen, um den Maler auch nicht einen Augenblick glauben zu machen, sie habe einen großen Mund, und daher kam es, daß die Frage in einem zischenden Tone zu Tage gefördert wurde.

Tristan, der sah, daß sich Euphrasia Mühe gab, so zu sprechen, und nicht dafür bürgen konnte, bei der nächsten Frage sein Lachen zu unterdrücken, antwortete:

– O, es ist nicht nöthig, Madame, daß Sie sich geniren, wenn Sie sprechen wollen. Wenn Sie Ihre Stellung beibehalten, kann ich auch im Gespräche arbeiten, es wird alles gut werden. Euphrasia erröthete ein wenig bei der Bemerkung des Malers, dann aber antwortete sie mit einer unendlichen Grazie:

– Alles das giebt mir indeß den Grund Ihres Seufzers nicht an. Was fehlt Ihnen? Schenken Sie mir Ihr Vertrauen, und haben Sie Kummer, so theilen Sie ihn mir mit. Es giebt gewisse moralische Wunden, die wir Frauen besser zu verbinden verstehen, als die größten Philosophen.

Obgleich diese Phrase eine ganz gewöhnliche war, so mußte Tristan dennoch darüber staunen und mehr noch über den Ausdruck, in welchem sie gesprochen wurde.

»Sollte Madame Van-Dick bei allen ihren Lächerlichkeiten dennoch Herz besitzen?« dachte der Maler, und um sie für diese Entdeckung zu belohnen, antwortete er Euphrasia, wie er einer andern Frau geantwortet haben, würde:

– Ich bin in der That traurig, Madame, weil mich der Anblick des Glücks, dessen sich alle hier zu erfreuen haben, und vorzüglich Sie, an meine verlassene Stellung in der Welt erinnert. Und wenn ich bedenke, daß ich Sie, so schön und liebenswürdig, jetzt male, so sagt mir eine Stimme, der Maler und sein Original bereiten jemandem ein Glück, das mir niemand geben wird. Ja, Madame, ich bin traurig wenn ich in Ihr jugendlich schönes Antlitz blicke, weil ich mich eines entschwundenen Schattens erinnere, der fast so schön war, als Sie!

Die Worte »fast so schön als Sie« brachte auf die eitle Madame Van-Dick einen solchen Eindruck hervor, daß sie vor Freude hochroth wurde.

– Ach nein, antwortete sie sich zierend, ich bin nicht schöner, Sie treiben Scherz mit mir. Ich bin fest überzeugt, daß die am wenigsten schöne von den Frauen, die Sie geliebt – ich setze voraus, daß Sie mehrere geliebt haben – immer noch schöner war, als ich bin; aber die Reize des Gesichts wiegen die Eigenschaften des Herzens nicht auf und aufrichtige Freundschaft ist wohl im Stande, Liebeskummer zu mildern.

– Haben Sie Ihre Mutter noch? fragte theilnehmend Euphrasia nach einer kleinen Pause.

– Nein, Madame.

– Keinen Bruder, keine Schwester?

– Nein.

– Ueberhaupt keine Familie?

– Nein, antwortete Tristan traurig, der durch diese Fragen an seine Einsamkeit erinnert wurde.

– Armer junger Mann! Ich werde mich bemühen, Sie hier finden zu lassen, was Ihnen fehlt. Herr Van-Dick wird Ihnen Bruder, ich Ihnen Schwester sein. Wollen Sie es?

– Ach, wie dankbar würde ich es annehmen, wenn ich nicht fürchten müßte, Ihnen Mühe zu verursachen und einem Dritten die glücklichen Augenblicke zu rauben, die Sie mir vielleicht in Zukunft widmen würden.

– Welchen Dritten meinen Sie, mein bester Tristan? fragte Euphrasia erstaunt.

– Ich meine den, dem dieses Portrait bestimmt ist.

– Und für wen glauben Sie?

– Darf ich alles sagen, was ich denke?

– Reden Sie!

– Für Herrn Wilhelm.

– Gut! Darf ich Sie um eine Gefälligkeit bitten, Herr Tristan?

– Bitten Sie.

– Sagen Sie Herrn Wilhelm nichts von diesem Portrait.

– Wollen Sie ihm eine Ueberraschung bereiten?

– Nein, fuhr Euphrasia erröthend fort; dieses Portrait ist nicht für ihn.

– Und wem haben Sie es bestimmt? Sie sehen, Madame, sprach Tristan weiter, daß ich ein aufdringlicher Freund bin. Noch ist es Zeit, Ihr Versprechen, mir Schwester sein zu wollen, zurückzunehmen, wenn Sie finden, daß ich zu viel fordere.

Euphrasia sah Tristan scharf an, um zu erforschen, ob sie ihm die Wahrheit sagen dürfe. Da es ihr schien, als ob der Maler sie freundlich und verlangend ansah, antwortete sie:

– Dieses Portrait ist für – — Nein, ist es vollendet, werde ich Sie selbst bitten, es der Person zu überreichen, der es bestimmt ist.

– Nach Ihrem Gefallen, sprach Tristan lächelnd. Dieser Auftrag wird mir das Geheimniß ersetzen. Doch, fügte er hinzu, wir haben so eifrig geplaudert, daß wir das Nahen des Abends nicht bemerkten. Wenn es Ihnen recht ist, beginnen wir morgen wieder.

Euphrasia stand auf, trat hinter Tristan und betrachtete, das Haupt über seine Schulter geneigt, das Portrait.

– Schmeichler, sprach sie sich zierend, ich bin nicht so schön, als Sie mich malen.

– Madame, antwortete Tristan, dort ist ein Spiegel, vergleichen Sie!

– Sie zürnen mir doch nicht? fuhr sie lächelnd fort und reichte dem Maler die Hand.

– Mein Gott, weshalb?

– Weil ich Ihnen den künftigen Besitzer dieses Portraits nicht nennen will.

– Ich dachte schon nicht mehr daran.

– Herr Tristan, ich sehe, daß wir stets gute Freunde bleiben werden.

Ein Handschlag besiegelte diese Worte.

Nachdem sie den jungen Mann noch einmal liebreizend angelächelt, verließ sie hüpfend das Zimmer. Die Absicht, durch diese Bewegung an ein Alter von sechsundzwanzig Jahren glauben zu machen, war nicht zu verkennen.

– Sonderbar! sprach Tristan, indem er Bleifeder und Pinsel verschloß, diese Frau ist weder jung noch schön, lächerlich aber im höchsten Grade; und doch scheint sie von Herzen gut zu sein. – In der Frau muß irgend etwas noch verborgen liegen!

7

Ein schöner Abend war zur Erde niedergesunken. Tristan zündete sich nach dem Diner eine Cigarre an und ging in den Garten hinab. Eine laue Luft ließ sanft die Blätter der Bäume rauschen.

Madame Van-Dick war im Saale zurückgeblieben, da sie Besuch von einer Freundin erhalten hatte. Der Negociant leistete ihr Gesellschaft.

Herr Wilhelm folgte Tristan. Im Garten ergriff er seinen Arm.

Der Handlungsbeflissene sah finster vor sich hin, es war ersichtlich, daß ihn irgend etwas unglücklich machte. Daß Tristan den Grund dieser Traurigkeit erfahren sollte, ließ sich aus der Art und Weise schließen, in der er sich des Armes bemächtigt, denn sie trug das Gepräge einer großen Vertraulichkeit.

Der Hauslehrer merkte bald, daß ein düsterer Gedanke Wilhelms Herz beengte und die Röthe seiner Wangen etwas matter machte

 

Beide schritten langsam durch die Wege des Gartens. Wilhelm, beseelt von dem Wunsche, gefragt zu werden, öffnete jeden Augenblick den Mund, um ein Gespräch zu beginnen, aber stets verscheuchte ein Seufzer das Wort von den Lippen. Tristan rauchte ruhig seine Cigarre und blies mit der Wollust eines Rauchers dicke Wolken in die schöne Abendluft. Da er wußte, daß Wilhelm sich mittheilen würde, wollte er nicht voreilig fragen, schickte sich aber an, zu hören und zu trösten, wenn es nöthig sein sollte.

Wilhelms Seufzer wurden indeß so häufig und nahmen dergestalt einen Charakter verfassungsmäßigen Spleens an, daß es ihm eine Tyrannei erschien, wenn er sie nicht bemerken wollte.

– Was fehlt Ihnen, mein bester Wilhelm? fragte Tristan endlich, Sie scheinen heute Abend von einer entsetzlichen Traurigkeit geplagt zu sein.

– Ach ja! seufzte Wilhelm und senkte den Kopf über die Brust herab.

– Was ist Ihnen begegnet? fragte der Lehrer theilnehmend weiter.

Ein dicker Seufzer war die Antwort.

– Sind es Sachen, die sich nicht sagen lassen? Oder haben Sie kein Vertrauen zu mir?

– Ach, Herr Tristan, wie können Sie glauben —

– Nun, so theilen Sie mir mit, was Ihnen Kummer macht!

– Werden Sie sich auch nicht lustig über mich machen?

– Wie, Herr Wilhelm, bin ich nicht stets Ihr Freund gewesen? Wie kommen Sie auf diesen sonderbaren Gedanken?

Der Commis ward bis hinter die Ohren roth, ergriff Tristan’s Hand und bat des Gesagten wegen wehmüthig um Verzeihung.

– So hören Sie denn, Herr Tristan, fügte er hinzu,– denn er hatte vor dem eleganten Anzuge des Tenors einen solchen Respekt, daß er sich nicht daran gewöhnen konnte, »mein lieber Herr Tristan« zu sagen, wie dieser ihn »mein lieber Herr Wilhelm« nannte, – so hören Sie denn, Sie sind ein Mann von zu viel Geist, als daß Ihnen gewisse Dinge unbemerkt geblieben wären.

– Ich habe nichts bemerkt, mein lieber Herr Wilhelm, außer, daß Herr Van-Dick ein achtungswerther Mann ist, den ich liebe, Madame Van-Dick eine liebenswürdige Dame, die ich achte, und Sie ein braver junger Mann, den ich schätze.

– Nichts anderes?

– Nein!

Wilhelm schwieg.

– Nun, fuhr Tristan fort, haben Sie mir etwas zu sagen?

– Ja.

– Und wagen es nicht?

– Nein.

– Warum?

– Weil Sie vorhin gesagt haben, ich sei ein braver junger Mann und weil ich fürchte, Sie ändern diese vortheilhafte Meinung von mir, wenn ich es Ihnen gesagt habe.

– Sie würden mich beunruhigen, antwortete Tristan lächelnd, wenn ich von dem, was ich gesagt, nicht zu fest überzeugt wäre.

– Ist es meine Schuld? sprach Wilhelm zu sich selbst; ich konnte sterben, aber nicht widerstehen.

– Aber, bester Freund, was fehlt Ihnen heute Abend?

– Herr Tristan —

– Zunächst sagen Sie: »mein lieber Herr Tristan«, oder ich muß glauben, daß Sie mich nicht für Ihren Freund halten.

Wilhelm drückte die Hand seines Freundes.

– Nun? Wilhelm stand still.

– Nun, sprach er laut, es waltet hier ein Geheimniß ob!

– Und welches?

– Nicht wahr, ich rede zu einem Stummen?

– Der bei dem letzten Worte todt sein wird.

– Nun, mein lieber Herr Tristan, sprach der Commis und blickte sich um, ob ihn auch niemand hören und sehen konnte, ich bin der Liebhaber der Madame Van-Dick.

– Glücklicher Freund! antwortete ruhig Tristan.

– Setzt Sie das nicht in Erstaunen?

– Im Gegentheil, es macht mir Vergnügen!

– Es ist aber Infamie, ein scheußlicher Verrath!

– In wiefern?

– Weil sie die Gattin eines Mannes ist, dem ich Alles verdanke.

– Bester Herr Wilhelm, Sie klagen sich da einer Sache an, die wirklich nicht der Mühe werth ist.

– Wie, so habe ich also nichts Böses gethan?

– Durchaus nicht! Jedes Ding in der Welt hat seine Entschuldigung und Ihre Liebschaft hat deren mehr, als alles andere.

– Ach, Sie machen mich glücklich, Herr Tristan, mein lieber Herr Tristan!

– Ist es Ihre Schuld, wenn Madame Van-Dick schön ist?

– Das ist wahr.

– Ist es Ihre Schuld, wenn diese Dame. Sie liebt?

– Auch wahr.

– Ist es endlich Ihre Schuld, wenn Sie sie wieder lieben?

– Alles, alles wahr! O fahren Sie fort!

– Und nun giebt es noch viel andere Entschuldigungsgründe.

– Welche?

– Herr Van-Dick scheint seine Frau nicht sonderlich zu lieben, und seine Frau, die nicht geliebt wird, leidet, bis sie jemand liebt. Kann man Ihnen nun zürnen, daß Sie ihre Seele verstanden haben, und daß Gott Ihnen erlaubt hat, einem verkannten Herzen Trost und Balsam zu spenden?

– Das ist recht.

– Und nun kommt hinzu, daß Herr Van-Dick seine Frau nicht nur nicht liebt, sondern daß er auch noch eine andere liebt.

– Sie wissen es?

– Ich habe sie gesehen.

– Die Köchin?

– Ja. Sie sehen also, daß es Ihnen erlaubt ist, Madame Van-Dick zu lieben, und daß diese Liebe nur eine Verirrung des Zufalls oder der Vorsehung ist. Verirrungen werden nicht angerechnet.

– Das alles habe ich mir bereits selbst schon gesagt, um mich in meinen eigenen Augen zu rechtfertigen, und fühle mich sehr glücklich, Sie so reden zu hören; aber —

– Nun, giebt es noch etwas?

– Ja.

– Reden Sie!

– Ich habe mich an diese Liebe so gewöhnt, daß ich mich heute im höchsten Grade unglücklich fühle, die abbrechen zu müssen.

– Warum?

– Weil ich reise.

– Für immer? fragte Tristan erschreckt, der fürchtete, seinen neuen Freund zu verlieren.

– Auf einen Monat.

– Aber weshalb reisen Sie?

– Um wichtige Handelsgeschäfte zu besorgen.

– Können Sie Herrn Van-Dick nicht statt. Ihre reisen lassen?

– Nein.

– Kann ich die Geschäfte nicht abmachen?

– Nein; und wenn auch.

– Reden Sie frei.

– Danke; aber es ist unmöglich, ich selbst muß reisen.

– Diese Abwesenheit beunruhigt Sie also?

– Ja.

– Was ist ein Monat? Sie werden verliebter zurückkehren.

– Aber wer sagt mir, daß mich Euphrasia noch lieben wird?

– Glauben Sie, daß eine Frau in einem Monat ihre erste Liebe vergißt?

– Ach, das ist es ja eben, fügte Wilhelm seufzen hinzu, ich bin nicht Euphrasia’s erste Liebe, und deshalb ängstige ich mich am meisten.

– Was Sie mir da jagen! antwortete Tristan überrascht.

– Leider die Wahrheit!

– Es ist übrigens oft der Fall gewesen, daß eine Frau zwei Liebhaber gehabt hat, von denen sie den ersten nicht geliebt, den zweiten aber anbetet.

– Wohl wahr; wenn sich aber in Abwesenheit des zweiten ein dritter einstellt?

– Und wen glauben Sie, der sich einstellt?

– Er hat nicht einmal nöthig, sich einzustellen, er ist bereits im Hause.

– Was soll das heißen?

– Hören Sie, mein bester Herr Tristan, Sie sind mir ein wenig gut, nicht wahr?

– Ich läugne es nicht.

– Und ich liebe Sie wie einen Bruder. Wollen Sie mir alles verzeihen, was ich Ihnen noch sagen werde?

– Ich erlaube Ihnen sogar, mich zu prügeln.

– Nun, so will ich Ihnen auch alles gestehen. Sehen Sie, ich bin ein dicker, stämmiger Bursche, während Sie ein schöner und eleganter junger Mann sind. Euphrasia hat bereits zwei Männer geliebt, kann sie nun nicht auch einen dritten lieben, vorzüglich wenn dieser dritte in jeder Beziehung über den beiden andern steht? Euphrasia ist veränderlich, und ich fürchte, daß sie Sie liebt und daß in meiner Abwesenheit —

Herr Wilhelm preßte beide Hände an seine Stirn, als ob er die Menge der Gedanken, die in ihm aufstiegen, zurückdrängen wollte.

– Sind Sie toll, daß Sie an Ihrer Geliebten und an einem Freunde zweifeln? Doch, wie kommt es, daß Sie solche Sachen voraussetzen? Madame Van-Dick kennt mich kaum und sieht in mir nur den Lehrer ihres Sohnes.

– Es ist vielleicht lächerlich, so zu lieben; aber ich bin einmal in Euphrasia vernarrt und würde sterben, wenn sie mich hinterginge.

– Beruhigen Sie sich. Weiß sie, daß Sie reisen?

– Ja.

– Seit wann?

– Seit vier Tagen.

– Hat sie Ihnen nichts gesagt, nichts versprochen?

– Nein, sie hat geweint, das ist alles.

– Nun sehen Sie einmal, was Sie für ein großer Thor sind! Sie verdienten eigentlich, daß ich Ihnen auch nicht ein Wort von Ihrem Glücke sagte.

– O reden Sie, reden Sie!

– Versprechen Sie mir, keinen Argwohn mehr zu hegen?

– Ich verspreche es.

– An Euphrasia’s Tugend zu glauben?

– Ja.

– Und an meine Freundschaft?

– Ich schwöre es Ihnen!

– Nun —

– O reden Sie schnell!

– Vor drei Tagen bat sie mich, ihr Portrait zu fertigen, aber ohne irgend jemandem etwas davon zu sagen. Für wen könnte dieses Portrait wohl sein, wenn es nicht für Sie wäre, ungläubiger Thomas?

– Hat sie Ihnen gesagt, daß es für mich ist?

– Nein, aber sie hat mir geboten, vorzüglich Ihnen nichts davon zu sagen. Sie sehen daraus, daß sie Ihnen eine Ueberraschung bereiten will.

– Ach, mein bester, bester Herr Tristan, Sie sind mein Retter! Mein Leben, mein Blut, so wie ich hier bin, alles gehört Ihnen!

Mit Thränen in den Augen warf sich der Handlungsbeflissene in die Arme des Hauslehrers.

– Jetzt können Sie ruhig abreisen.

– Wird das Portrait vor meiner Abreise vollendet sein?

– Wann reisen Sie?

– In vier Tagen.

– Es ist morgen schon fertig.

– Es wird doch in ein Medaillon gefaßt, nicht wahr?

– Ich werde alles besorgen.

– Ach, wie liebe ich Sie!

– Ungläubiger!

– Sie werden doch mit ihr über mich reden, nicht wahr? -

– Ganz gewiß.

– Sie wachen über sie?

– Wird nicht nöthig sein.

– Werden Sie mir schreiben?

– Alle Tage.

– Ach, mein bester Tristan, Sie hat Gott hierher gesandt!

Wilhelm, der sich vor Freude nicht mehr kannte, warf sich noch einmal in die Arme eines Freundes.

8

Tristan hegte für Wilhelm bereits eine aufrichtige Freundschaft, aber nach dieser Unterredung verwandelte sich diese Freundschaft in Enthusiasmus, in Verehrung, Achtung. Es war schwer, aufrichtiger zu lieben, als der Commis liebte, und jeder, der diese Liebe kannte, hätte mit unterm Hauslehrer den Entschluß fassen müssen, diese Aufrichtigkeit nicht zu hintergehen, und diese Liebe nicht zu entmuthigen. Soviel wir Tristan’s Charakter kennen, konnte es ihm übrigens nicht schwer werden, einen solchen Entschluß zu fassen, und ihn redlich auszuführen konnte ihm aus dem Grunde nicht als ein großes Verdienst angerechnet werden, da er Madame Van-Dick nach Louise, Henriette und Lea kennen gelernt hatte. Trotzdem er Wilhelm’s gutem Herzen alle Achtung zollte, mußte er doch bei dem Anblicke dieser albernen und dabei wahren Liebe lächeln, vorzüglich wenn er bedachte, daß die Euphrasia, und nicht ein reines, schönes junges Mädchen bewirkte.

Wilhelm’s Argwohn kam ihm ebenso lächerlich vor, als seine Liebe, denn wenn er bedachte, daß er Louise, diesen Inbegriff von Anmuth und Grazie, vergessen, oder doch wenigstens ohne sie leben konnte, so war an eine Liebe zu Euphrasia wohl nicht zu denken, und wenn sie auch noch so süß lächelte und noch mehr der zärtlichen Blicke auf ihn richtete, als sie bisher gethan.

– Schöne Madame, sprach Tristan bei sich selbst, geben Sie Ihre Hoffnung auf, ich bin auf meiner Huth und werde. Sie stets auf den rechten Weg zurückführen, sobald Sie ihn, in soweit es Wilhelm anbetrifft, verlassen.

Unter diesen Gedanken war Tristan in sein Zimmer gegangen, um das Maaß zu dem Portrait zu nehmen, das er denselben Abend noch in ein Medaillon wollte fassen lassen. Als er die Treppe wieder herabstieg, begegnete ihm Madame Van-Dick, die in ihr Zimmer gehen wollte.

– Gehen Sie aus, Herr Tristan?

– Ja, Madame.

– Sehen wir uns heute Abend nicht mehr?

– O ja. Ich gehe nur auf eine Minute aus, um das Medaillon zu besorgen, setzte er leise hinzu.

– Vortrefflich und höchst liebenswürdig, daß Sie an mich denken. Sie reichte Tristan die Hand, der sie küßte.

– Wie wünschen Sie, daß ich es auswähle? fuhr er fort.

– Wie Sie wollen.

– Ich möchte gern Ihre Ansicht wissen.

– Meine Ansicht wird die Ihrige sein.

– Wenn ich wüßte, für wen Sie es bestimmt, sprach Tristan mit Intention, würde ich nach dem Geschmacke dieser Person wählen.

– Wählen Sie, als ob es für Sie wäre, antwortete Madame Van-Dick und entfloh nach diesen Worten. Tristan blieb noch einige Augenblicke nachdenkend und mit gesenktem Haupte stehen. Wer ihn so gesehen hätte, würde ihn für einen Menschen gehalten haben, dem eine sehr schlechte Nachricht hinterbracht worden sei.

Er ging, wählte das Medaillon aus und kehrte zurück.

 

Madame Van-Dick spielte auf dem Piano in dem Saale, ihr Herr Sohn lag in einem Stuhle und schlief und Wilhelm glaubte die heilige Cäcilie zu sehen.

Euphrasia warf Tristan einen Blick zu, als wollte sie sagen: »Ruhig!« und Tristan deutete Wilhelm durch einen Blick an: »Ich habe mich soeben mit Dir beschäftigt.«

Auf diese Weise waren. Alle glücklich, nur Tristan nicht, wie sich von selbst versteht.

Nach einer halbstündigen jämmerlichen Unterhaltung schützte er Müdigkeit vor und ließ die beiden Liebenden allein.

Wo Herr Van-Dick war, thut nichts zur Sache; im Saale aber war er nicht.

Madame Van-Dick weckte Monsieur Eduard mit den Worten:

– Du bist unerträglich, daß Du im Saale immer schläfst. Geh und laß Dich zu Bette bringen, mache aber die Thüre fest zu, wenn Du hinausgeht.

Als der schlaftrunkene Knabe den Saal verlassen hatte, sprach Wilhelm zu Euphrasia:

– Sie sind ein Engel!

– Wilhelm, ich liebe Sie unendlich! sprach Euphrasia.