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Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4

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In dem Augenblicke, wo Madame Robert ihre Erzählung vollendete, machte der Ton einer Glocke Jedermann beben.

Es war der erste Schlag der Sturmglocke, welche bei den Cordeliers erscholl.

»Gut!« sagte Danton, »ich erkenne unsere Marseiller! Ich vermuthete wohl, sie würden das Signal geben.«

Die Frauen schauten sich mit Bangigkeit an; Madame Danton besonders trug auf ihrem Gesichte alle Charaktere des Schreckens.

»Das Signal?« versetzte Madame Robert; »man wird also das Schloß in der Nacht angreifen?«

Niemand antwortete ihr. Camille Desmoulins aber, der beim ersten Klange der Glocke in das anstoßende Zimmer gegangen war, kam mit einer Flinte in der Hand wieder herein.

Lucile stieß einen Schrei aus; dann, da sie fühlte, daß sie in der äußersten Stunde nicht das Recht hatte, zu verzagen, lief sie in den Alcoven von Madame Danton, warf sich auf die Kniee, stützte ihren Kopf auf das Bett und fing an zu weinen.

Camille kam zu ihr.

»Sei ruhig,« sagte er, »ich werde Danton nicht verlassen.«

Die Männer gingen ab; Madame Danton schien dem Sterben nahe; Madame Robert hing sich ihrem Gatten an den Hals und wollte ihn durchaus begleiten.

Die drei Frauen blieben allein: Madame Danton sitzend und wie vernichtet; Lucile auf den Knieen und weinend, – indeß Madame Robert mit großen Schritten im Zimmer umherlief, und ohne wahrzunehmen, daß jedes ihrer Worte Madame Danton ins Herz traf, sagte:

»Alles das, Alles das ist die Schuld von Danton! Wird mein Mann getödtet, so werde ich mit ihm sterben; doch ehe ich sterbe, ersteche ich Danton!«

So verging ungefähr eine Stunde.

Man hörte die Thüre des Ruheplatzes sich wieder öffnen.

Madame Robert stürzte entgegen: Lucile erhob das Haupt; Madame Danton blieb unbeweglich.

Es war Danton, der zurückkam.

»Allein!« rief Madame Robert.

»Beruhigen Sie sich!« erwiederte Danton, »es wird vor morgen nichts vorfallen.«

»Aber Camille?« fragte Lucile.

»Aber Robert?« fragte Fräulein von Kéralio.

»Sie sind bei den Cordeliers, wo sie Aufrufe zu den Waffen abfassen. Ich komme, um Ihnen Nachrichten über sie zu geben und Ihnen zu sagen, es werde heute nichts vorgehen; zum Beweise mag dienen, daß ich mich schlafen lege.«

Danton warf sich In der That ganz angekleidet auf sein Bett, und nach fünf Minuten entschlief er, als hätte sich nicht in diesem Augenblicke zwischen dem Königthum und dem Volke eine Frage über Leben und Tod entschieden.

Um ein Uhr Morgens kehrte Camille auch zurück.

»Ich bringe Ihnen Nachrichten von Robert,« sagte er; »er ist auf die Commune gegangen, um unsere Proclamationen dahin zu tragen . . . Seien Sie unbesorgt, es wird erst morgen geschehen, und da noch! . . . « Camille schüttelte den Kopf wie ein Mensch, der zweifelt.

Dann legte er diesen Kopf auf die Schultern von Lucile und entschlief ebenfalls.

Er schlief ungefähr seit einer halben Stunde, als man an der Thüre klingelte.

Madame Robert öffnete.

Es war Robert.

Er kam von Seiten der Commune, um Danton zu holen.

Er weckte Danton auf.

»Sie mögen gehen . . . und mich schlafen lassen!« rief dieser; »morgen wird es Tag sein.«

Robert und seine Frau gingen weg; sie kehrten nach Hanse zurück.

Bald klingelte man aufs Neue.

Madame Danton öffnete nun.

Sie führte einen großen, blonden jungen Mann von etwa zwanzig Jahren ein, der als Kapitän der Nationalgarde gekleidet war; er hielt ein Gewehr in der Hand.

»Ist Herr Danton hier?« fragte er.

»Mein Freund!« sagte Madame Danton, ihren Mann aufweckend.

»Nun! was?« rief dieser. »Abermals?«

»Herr Danton,« erwiederte der große junge Mann, »man erwartet Sie dort.«

»Wo dort?«

»Auf der Commune.«

»Wer erwartet mich?«

»Die Commissäre der Sectionen, und besonders Herr Billot.«

»Der Wüthende!« versetzte Danton. »Es ist gut! sagen Sie Billot, ich werde kommen.«

Dann schaute er den jungen Mann an, dessen Gesicht ihm unbekannt war, und der, noch ein Knabe, die Insignien eines höheren Grades trug, und sagte:

»Verzeihen Sie, mein Officier, wer sind Sie?«

»Ich bin Ange Pitou, Kapitän der Nationalgarde von Haramont . . . «

»Ah! Ah!«

»Auch Sieger der Bastille.«

»Gut!«

»Ich habe gestern einen Brief von Herrn Billot erhalten, der mir sagte, man werde sich wahrscheinlich tüchtig hier klopfen, und man bedürfe aller guten Patrioten.«

»Und dann?«

»Und dann bin ich mit denjenigen von meinen Leuten abgegangen, die mir gern folgen wollten; da sie aber weniger gut marschieren, als ich, so sind sie in Dammartin geblieben. Morgen werden sie frühzeitig hier sein.«

»In Dammartin?« fragte Danton; »das ist ja acht Meilen von hier?«

»Ja, Herr Danton.«

»Und Haramont, wie viel Meilen ist das von Paris?«

»Neunzehn . . . Wir sind diesen Morgen um fünf Uhr abgegangen.«

»Ah! ah und Sie haben neunzehn Meilen in Ihrem Tage gemacht?«

»Ja, Herr Danton.«

»Und Sie sind angekommen?«

»Um zehn Uhr Abends. Ich fragte nach Herrn Billot, und man sagte mir, er sei ohne Zweifel im Faubourg Saint-Antoine bei Herrn Santerre. Ich ging zu Herrn Santerre; dort sagte man mir aber, man habe ihn nicht gesehen, und ich werde ihn wahrscheinlich bei den Jacobinern in der Rue Saint-Honoré finden; bei den Jacobinern hatte man ihn auch nicht gesehen, und man schickte mich zu den Cordeliers; bei den Cordeliers hieß man mich im Stadthause sehen . . . «

»Und im Stadthause haben Sie ihn gefunden?«

»Ja, Herr Danton; da gab er mir Ihre Adresse und sprach zu mir:

»Nicht wahr, Pitou, Du bist nicht müde?«

»Nein, Herr Billot.«

»Nun, so sage Herrn Danton, er sei ein Träger, und wir erwarten ihn.«

»Alle Teufel!« rief Danton, während er aus seinem Bette sprang, »das ist ein Junge, der mich beschämt! Vorwärts, mein Freund, vorwärts!«

Und er küßte seine Frau und entfernte sich mit Pitou.

Seine Frau stieß einen schwachen Seufzer aus und ließ ihren Kopf auf die Lehne ihres Stuhles zurückfallen.

Lucile glaubte, sie weine, und achtete ihren Schmerz.

Nach einem Augenblicke aber, als sie sah, daß sie sich nicht rührte, weckte sie Camille auf; dann ging sie auf Madame Danton zu: die arme Frau war ohnmächtig.

Die ersten Strahlen des Morgens glitten durch die Fenster; der Tag versprach schön zu werden, doch der Himmel war, als sollte das ein unglückliches Vorzeichen sein, blutfarbig.

CLI
Die Nacht vom 9. auf den 10. August

Wir haben gesagt, was im Hause der Tribunen sich ereignete; sagen wir nun auch, was fünfhundert Schritte von da in der Wohnung der Königin vorfiel.

Hier weinten und beteten auch Frauen; sie weinten vielleicht noch reichlicher: Chateaubriand hat es gesagt, die Augen der Fürsten sind gemacht, um eine größere Quantität Thränen zu enthalten.

Laffen wir indessen Jedem Gerechtigkeit widerfahren: Madame Elisabeth und Frau von Lamballe weinten und beteten; die Königin betete, weinte aber nicht.

Man hatte zur gewöhnlichen Stunde zu Nacht gespeist: Nichts störte den König in seinen Mahlen.

Als man die Tafel verließ, und während Madame Elisabeth und Frau von Lamballe sich in das unter dem Namen Conseilcabinet bekannte Zimmer begaben, wo nach der Verabredung die königliche Familie die Nacht zubringen sollte, um die Berichte zu hören, nahm die Königin den König auf die Seite und wollte ihn fortziehen.

»Wohin führen Sie mich, Madame?« fragte König.

»In mein Zimmer . . . Wollen Sie nicht das Bruststück anlegen, das Sie am 14. Juli trugen, Sire?«

»Madame,« erwiederte der König, das war gut, um mich vor der Kugel oder dem Dolche eines Mörders am Tage einer Ceremonie oder eines Complotts zu bewahren; doch an einen Tage des Kampfes, an einem Tage des, wo meine Freunde sich für mich meine bloßstellen, wäre es eine Feigheit, würde ich mich nicht wie meine Freunde bloßstellen.

Wonach der König die Königin verließ, um in sein Gemach zurückzukehren, und mit seinem Beichtvater einzuschließen.«

Die Königin begab sich ins Conseilcabinet zu Madame Elisabeth und Frau von Lamballe.

»Was macht der König?« fragte Frau von Lamballe.

»Er beichtet,« antwortete die Königin mit einem Ausdrucke, der sich nicht beschreiben läßt.

In dieser Secunde öffnete man die Thüre, und Herr von Charny erschien.

Er war vollkommen ruhig.

»Kann man den König sprechen?« sagte er zur Königin, indem er sich verbeugte.

»Für den Augenblick, mein Herr, bin ich der König,« erwiederte Marie Antoinette.

Charny wußte das besser als irgend Jemand; nichtsdestoweniger beharrte er.

Sie können zum König hinaufgehen,« sagte die Königin; »doch Sie stören ihn sehr, das schwöre ich Ihnen.«

»Ich begreife: der König ist mit Herrn Pétion, der so eben angekommen?«

»Der König ist mit seinem Beichtvater, mein Herr.«

»So werde ich also Ihnen, Madame, meinen Bericht als Generalmajor des Schlosses machen.«

»Ja, mein Herr, wenn Sie die Güte haben wollen.«

»Ich werde die Ehre haben, Eurer Majestät den Effectivstand unserer Streitkräfte auseinanderzusetzen. Die reitende Gendarmerie, commandirt von den Herren Ruthières und von Verdière, sechshundert Mann stark, ist auf dem großen Platze des Louvre in Schlachtordnung aufgestellt; die Gendarmerie zu Fuße von Paris, intra muros, ist in den Marstall consignirt; ein Posten von hundertundfünfzig Mann davon ist zerstreut worden, um im Hotel de Toulouse eine Wache zu bilden, welche im Nothfalle die außerordentliche Kriegskasse, die Discontokasse und die Schatzmeisterei beschützen wird; die Gendarmerie zu Fuße von Paris, extra muros, nur bestehend ans dreißig Mann, ist auf der kleinen Treppe des Königs im Prinzenhofe postirt; zweihundert Officiere und Soldaten von der ehemaligen Garde zu Pferde oder zu Fuße, hundert junge Royalisten, ebenso viel Edelleute, dreihundertundfünfzig bis vierhundert Streiter ungefähr sind im Oeil-de-Boeuf und in den anliegenden Sälen versammelt; zwei- bis dreihundert Nationalgarden sind in den Höfen und im Garten zerstreut; fünfzehnhundert Schweizer endlich, welche die wahre Stärke des Schlosses bilden, haben ihre verschiedenen Posten besetzt, und sind unter dem großen Vestibule und am Fuße der Treppen, deren Vertheidigung ihnen obliegt, aufgestellt.«

 

»Nun, mein Herr,« sagte die Königin, »alle diese Maßregeln beruhigen Sie nicht?«

»Nichts beruhigt mich, Madame, wenn es sich um das Heil Eurer Majestät handelt,« erwiederte Charny.

»Ihre Ansicht ist also immer noch für die Flucht?«

»Meine Ansicht, Madame, ist, daß Sie, – der König, Sie, die erhabenen Kinder Eurer Majestät, – sich in die Mitte von uns Allen stellen.«

Die Königin machte eine Bewegung.

»Eure Majestät hat einen Widerwillen gegen Lafayette: gut! Doch sie hat Vertrauen zum Herrn Herzog von Liancourt; er ist in Rouen, Madame, er hat das Haus eines englischen Edelmanns, Namens Herr Canning, gemiethet; der Commandant der Provinz hat seine Truppen dem König Treue schwören lassen; das Schweizerregiment Salis-Samade, auf das man zählen kann, ist auf der Straße echelonnirt. Alles ist noch ruhig: gehen wir über den Pont-Tournant ab, erreichen wir die Barrière de l’Etoile; dreihundert Mann Reiterei von der constitutionellen Garde erwarten uns dort; man wird leicht in Versailles fünfzehnhundert Edelleute versammeln. Mit viertausend Mann stehe ich dafür, daß ich Sie führe, wohin Sie wollen.«

»Ich danke, Herr von Charny.« sprach die Königin; »ich schätze die Ergebenheit, welche Sie bewogen hat, die Personen zu verlassen, die Ihnen theuer sind, um Ihre Dienste einer Fremden anzubieten . . . «

»Die Königin ist ungerecht gegen mich,« unterbrach Charny; »die Existenz meiner Souveraine wird immer in meinen Augen die kostbarste von allen Existenzen sein, wie mir die Pflicht immer die theuerste von allen Tugenden sein wird.«

»Die Pflicht, ja, mein Herr,« versetzte die Königin; »doch ich, da Jeder darauf bedacht ist, die seine zu thun, ich glaube die meine auch zu begreifen: die meine ist, das edle und große Königthum zu behaupten und darüber zu wachen, wenn man es schlägt, daß es stehend geschlagen werde und würdig falle, wie jene Gladiatoren des Alterthums, welche mit Anstand zu sterben sich bemühten.«

»Das ist das letzte Wort Eurer Majestät?«

»Es ist besonders mein letzter Wunsch.«

Charny verbeugte sich, und als er bei der Thüre Madame Campan begegnete, die sich zu den Prinzessinnen begab, sagte er zu ihr:

»Madame, fordern Sie Ihre Hoheiten auf, In ihre Taschen zu stecken, was sie Kostbarstes haben: wir können jeden Augenblick genöthigt sein, das Schloß zu verlassen.«

Sodann, während Madame Campan die Aufforderung der Frau Prinzessin von Lamballe und Madame Elisabeth mittheilte, näherte er sich noch einmal der Königin und sprach:

»Madame, es ist unmöglich, daß Sie nicht irgend eine Hoffnung außer der Unterstützung unserer materiellen Stärke haben; ist dem so, so vertrauen Sie sich mir: bedenken Sie, Madame, daß ich morgen, um diese Stunde, den Menschen oder Gott über das, was hier vorgefallen ist, werde Rechenschaft zu geben haben.«

»Nun wohl, mein Herr,« erwiederte die Königin, »man mußte zweimalhunderttausend Franken Pétion und fünfzigtausend Danton zuschicken; gegen diese zweimal hundertundfünfzigtausend Franken hat man bei Danton erlangt, er werde zu Hause bleiben, und bei Pétion, er werde ins Schloß kommen.«

»Aber, Madame, sind Sie Ihrer Vermittler sicher?«

»Pétion ist so eben gekommen, wie Sie mir gesagt haben?«

»Ja, Madame.«

»Das ist schon etwas, wie Sie sehen.«

»Das ist nicht genug . . . Man hat mir gesagt, man habe dreimal nach ihm geschickt, ehe er gekommen sei.«

»Gehört er uns,« sprach die Königin, »so muß er, mit dem König redend, seinen Zeigefinger auf sein linkes Augenlid legen.«

»Wenn er aber nicht uns gehört, Madame?«

»Gehört er nicht uns, so ist er unser Gefangener und ich werde die entschiedensten Befehle geben, daß man ihn nicht aus dem Schlosse weggehen läßt.«

In diesem Augenblicke hörte man den Ton einer Glocke.

»Was ist das?« fragte die Königin.

»Die Sturmglocke,« antwortete Charny.

Die Prinzessinnen standen erschrocken auf.

»Nun,« sagte die Königin, »was habt Ihr? Die Sturmglocke, das ist der Tambour der Aufrührer.«

»Madame,« sprach Charny, der durch dieses unselige Geräusch mehr als die Königin bewegt zu sein schien, »ich will mich erkundigen, ob diese Sturmglocke etwas Ernstes bedeutet.«

»Und man wird Sie wiedersehen?« fragte rasch die Königin.

»Ich bin gekommen, um mich zu den Befehlen Eurer Majestät zu stellen, und ich werde Sie nur mit dem letzten Schatten der Gefahr verlassen.«

Charny verbeugte sich und ging ab.

Die Königin blieb einen Augenblick nachdenkend.

»Wir wollen sehen, ob der König gebeichtet hat.« murmelte sie.

Und sie ging ebenfalls hinaus.

Während dieser Zeit entledigte sich Madame Elisabeth einiger Kleidungsstücke, um sich bequemer auf ein Canapé zu legen.

Sie nahm aus ihrem Halstuche eine Nadel von Karneol und zeigte sie Madame Campan; es war ein gravierter Stein.

Die Gravure stellte ein Büschel Lilien mit einer Umschrift vor.

»Lesen Sie,« sagte Madame Elisabeth, Madame Campan näherte sich einem Candelaber und las:

Vergessen der Beleidigungen, Vergeben der Kränkungen

»Ich befürchte sehr, diese Maxime hat wenig Einfluß auf unsere Feinde,« sprach die Prinzessin, »doch sie muß uns darum nicht minder theuer sein.«

Kaum hatte sie diese Worte vollendet, als ein Schuß im Hose erscholl.

Die Frauen stießen einen Schrei aus.

»Das ist der erste Schuß,« sagte Madame Elisabeth; »ach! es wird nicht der letzte sein.«

Man hatte der Königin die Ankunft von Pétion in den Tuilerien gemeldet; man vernehme, unter welchen Umständen der Maire von Paris hier erschienen war.

Er war um halb elf Uhr eingetroffen.

Diesmal hatte man ihn nicht antichambriren lassen; man hatte ihm im Gegentheil gesagt, der König erwarte ihn; nur mußte er, um bis zum König zu gelangen, zuerst die Reihen der Schweizer durchschreiten, sodann die der Nationalgarde, und endlich die der Edelleute, welche man die Ritter vom Dolche nannte.

Nichtsdestoweniger, da man wußte, daß der König Pétion hatte holen lassen, da er im Ganzen genommen im Stadthause, in seinem Palaste, bleiben und sich nicht in die Löwengrube, die man die Tuilerien nannte, stürzen konnte, kam er mit den Namen Verräther und Judas davon, die man ihm ins Gesicht spuckte, während er die Treppen hinaufstieg.

Ludwig XVI. erwartete Pétion in demselben Zimmer, wo er am 21. Juni so hart mit ihm umgegangen war.

Pétion erkannte die Thüre und lächelte.

Das Glück gewährte ihm eine furchtbare Genugthuung.

Bei der Thüre hielt Mandat, der Commandant der Nationalgarde, den Maire an.

»Ah! Sie sind es, Herr Maire!« sagte er.

»Ja, mein Herr, ich bin es, antwortete Pétion mit seinem gewöhnlichen Phlegma.

»Was wollen Sie hier?«

»Ich könnte es unterlassen, auf diese Frage zu antworten, weil ich es durchaus nicht als Ihr Recht erkenne, mich zu befragen; da ich aber Eile habe, so will ich nicht mit Untergeordneten streiten . . . «

»Mit Untergeordneten?«

»Sie unterbrechen mich, und ich sage Ihnen, daß ich Eile habe, Herr Mandat. Ich komme hierher, weil der König dreimal nach mir hat verlangen lassen . . . Von selbst wäre ich nicht gekommen.«

»Nun wohl, da ich die Ehre habe, Sie hier zu sehen, Herr Pétion, so frage ich Sie, warum die Administratoren der Polizei der Stadt im Ueberflusse Patronen unter die Marseiller verheilt haben, und warum ich, Mandat, nur drei für Jeden von meinen Leuten erhalten habe?«

»Ei« erwiederte Pétion, ohne etwas von seiner Ruhe zu verlieren, »man hat nicht mehr von den Tuilerien gefordert, – drei Patronen für jeden Mann von der Nationalgarde, vierzig für jeden Schweizer; – es ist ausgetheilt worden, wie es der König verlangt hat.«

»Warum dieser Unterschied in der Zahl?«

»Es ist am König, und nicht an mir, Ihnen dies zu beantworten; wahrscheinlich mißtraut er der Nationalgarde.«

»Ich aber, mein Herr, ich habe Pulver von Ihnen verlangt,« sagte Mandat.

»Das ist wahr; leider entspricht es nicht der Ordnung, daß Sie empfangen.«

»Oh! eine schöne Antwort!« rief Mandat; »es war wohl an Ihnen, mich in die Ordnung zu weisen, da der Befehl von Ihnen ausgehen muß.«

Der Streit entspann sich auf einem Terrain, wo es Pétion schwierig gewesen wäre, sich zu vertheidigen; glücklicher Weise öffnete sich die Thüre, und Röderer, der Syndicus der Commune, sagte dem Maire von Paris zu Hilfe kommend:

»Herr Pétion, der König erwartet Sie.«

Pétion trat ein.

Der König erwartete wirklich Pétion mit Ungeduld.

»Ah! Sie da, Herr Pétion!« sagte er. »Wie steht es mit der Stadt Paris?«

Pétion ertheilte ihm Bericht über den Zustand der Stadt.

»Haben Sie mir nichts mehr zusagen?« fragte der König.

»Nein, Sire,« antwortete Pétion.

Der König schaute Pétion starr an.

»Nichts mehr? . . . durchaus nichts mehr?«

Pétion war ganz befremdet, da er dieses Drängen des Königs nicht begriff.

Der König seinerseits wartete, daß Pétion die Hand an sein Auge lege; das war, wie man sich erinnert, das Zeichen, durch welches der Maire von Paris andeuten sollte, gegen die von ihm empfangenen zweimalhundert tausend Franken könne der König auf ihn rechnen.

Pétion kratzte sich am Ohre, legte aber den Finger ganz und gar nicht an sein Auge.

Der König war also getäuscht worden: ein Betrüger hatte die zweimalhundert tausend Franken eingesteckt.

Die Königin trat ein.

Sie kam gerade in dem Augenblicke, wo der König nicht mehr wußte, welche Frage er an Pëtion machen sollte, und wo Pétion eine neue Frage erwartete.

»Nun,« sagte die Königin leise, »ist er unser Freund?«

»Nein,« erwiederte der König, »er hat kein Zeichen gemacht.«

»Dann sei er unser Gefangener!«

»Kann ich mich entfernen, Sire?« fragte Pétion den König.

»Um Gottes willen, lassen Sie ihn nicht gehen!« sagte Marie Antoinette.

»Nein, mein Herr; in einem Augenblicke werden Sie frei sein; doch ich habe noch mir Ihnen zu sprechen,« fügte der König die Stimme erhebend bei:

»Treten Sie also in dieses Cabinet ein.«

Das hieß Allen, die im Cabinet waren, sagen: »Ich vertraue Euch Herrn Pétion; bewacht ihn und laßt ihn nicht weggehen.«

Diejenigen, welche im Cabinet waren, begriffen vollkommen; sie umringten Pétion, der sich gefangen fühlte.

Zum Glücke war Maudat nicht da: Maudat sträubte sich gegen einen Befehl, der ihm zugekommen, sich auf das Stadthaus zu begeben.

Die Feuer kreuzten sich; man verlangte Maudat aus dem Stadthause, wie man Pétion in den Tuilerien verlangt hatte.

Es widerstrebte Maudat sehr, der Aufforderung zu entsprechen, und er entschloß sich nicht sogleich hierzu.

Was Pétion betrifft, er befand sich mit dreißig in einem kleinen Cabinet, wo man zu vier beengt war.

»Meine Herren,« sagte er nach einem Augenblicke, »es ist unmöglich, länger hier zu bleiben: man erstickt.«

Das war die Meinung von Jedermann: auch wiedersetzte sich Niemand dem Abgange von Pétion; nur folgte ihm Jedermann.

Dann wagte man es auch vielleicht nicht, ihn offen zurückzuhalten.

Er wählte die erste die beste Treppe; diese Treppe führte ihn in ein Zimmer des Erdgeschoßes, das auf den Garten ging.

Er befürchtete einen Augenblick, die Thüre des Gartens werde geschlossen sein: sie war offen.

Pétion befand sich nun in einem größeren und luftigeren, aber eben so gut als das erste geschlossenen Gefängniß.

Nichtsdestoweniger war dies eine Verbesserung.

Es war ihm ein Mann gefolgt, der ihm, sobald man im Garten, den Arm gab; das war Röderer, der Syndicus des Departement.

Beide fingen an auf der Terrasse, welche sich längs dem Schlosse erstreckte, auf- und abzugehen; diese Terrasse war durch eine Reihe von Lämpchen beleuchtet. Nationalgarden kamen und löschten diejenigen aus, welche in der Nähe des Maire und des Syndicns waren.

Was war ihre Absicht? Pétion hielt sie nicht für gut.

»Mein Herr,« sagte er zu einem Schweizer Officier, der ihm folgte und Herr von Salis-Lizers hieß, »sollten hier schlimme Absichten gegen mich obwalten?«

»Seien Sie unbesorgt, Herr Pétion,« antwortete der Officier mit einem stark deutschen Accente; »der König hat mich beauftragt, über Sie zu wachen, und ich verbürge mich dafür, daß derjenige, welcher Sie tödtete, einen Augenblick nachher von meiner Hand sterben würde.«

 

Bei einem ähnlichen Umstande hatte Triboulet Franz I, geantwortet: »Wäre es Euch gleich, wenn dies einen Augenblick früher geschähe?«

Pétion antwortete nichts und erreichte die Terrasse der Feuillants, welche vollkommen vom Monde erleuchtet war. Sie war nicht wie heute mit einem Gitter eingefaßt, sondern durch eine acht Fuß hohe Mauer geschlossen, und durch drei Thore, zwei kleine und ein großes, abgesperrt.

Diese Thore waren nicht nur geschlossen, sondern sogar verrammelt; sie wurden überdies von den durch ihren Royalismus bekannten Grenadieren der Butte-des-Moulins und der Filles-Saint-Thomas bewacht.

Es ließ sich also von ihnen gar nichts hoffen. Pétion bückte sich von Zeit zu Zeit, hob einen Stein auf und warf ihn über die Mauer.

Während Pétion auf- und abging und seine Steine warf, kam man zweimal, um ihm zu sagen, der König wünsche ihn zu sprechen.

»Nun,« fragte Röderer, »Sie gehen nicht?«

»Nein,« erwiederte Pétion, »es ist zu heiß da oben! ich erinnere mich des Cabinets und fühle nicht die geringste Lust, dahin zurückzukehren; überdies habe ich Jemand auf der Terrasse der Feuillants Rendez-vous gegeben.«

Und er fuhr fort, sich zu bücken, Steine aufzuheben und sie über die Mauer zu werfen.

»Wem haben Sie Rendez-vous gegeben?« fragte Röderer.

In diesem Augenblicke öffnete sich die Thüre der Assemblée, die auf die Terrasse der Feuillants ging.

»Ich glaube, hier ist gerade derjenige, welchen ich erwarte,« sagte Pétion.

»Befehl, Herrn Pétion passiren zu lassen!« sprach eine Stimme. »Die Nationalversammlung fordert ihn vor ihre Schranke, um Rechenschaft über den Zustand von Paris zu geben!«

»Richtig!« sagte Pétion leise.

Dann rief er laut:

»Hier bin ich und bereit, auf die Interpellationen meiner Feinde zu antworten.«

Die Nationalgarden, die sich einbildeten, es handle sich um eine schlimme Sache für Pétion, ließen ihn passiren.

Es war um drei Uhr Morgens; der Tag brach an; nur war der Himmel seltsamer Weise blutroth.