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Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4

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CXXVIII
Frankreich und das Ausland

Die Versammlung war, wie gesagt, besonders gegen die Adeligen und die Priester abgesandt.

Es war ein wahrer Kreuzzug, nur trugen die Fahnen statt: Gott will es, den Wahlspruch: Das Volk will es, an sich.

Am 9. Oktober, dem Tage der Entlassung von Lafayette, lasen Gallois und Gensonné ihren Bericht über die religiösen Unruhen in der Vendée.

Er war vernünftig, gemäßigt, und brachte gerade darum einen tiefen Eindruck hervor.

Wer hatte ihn eingegeben, wenn nicht geschrieben?

Ein sehr gewandter Politiker, den wir später auf der Bühne und in diesem Buche wiedererscheinen sehen.

Die Assemblée war duldsam.

Eines ihrer Mitglieder, Fauchet, verlangte nur, daß der Staat aufhöre, die Priester zu bezahlen, welche erklären würden, sie wollen der Stimme des Staates nicht gehorchen, man möge indessen denjenigen Widerspänstigen, welche alt und gebrechlich seien, Pensionen geben.

Ducos ging weiter: er rief die Toleranz an; er verlangte, daß man den Priestern jede Freiheit lasse, den Eid zu schwören oder nicht zu schwören.

Noch weiter ging der constitutionelle Bischof Torne. Er erklärte geradezu, die Weigerung der Priester stehe mit großen Tugenden im Zusammenhange.

Wir werden sogleich sehen, wie die Devoten von Avignon diese Toleranz erwiederten.

Nach der, übrigens nicht beendigten, Discussion in Betreff der constitutionellen Priester ging man zu den Emigrierten über.

Das hieß vom inneren Kriege zum äußeren Kriege und somit die zwei Wunden Frankreichs berühren.

Fauchet hatte die Frage der Geistlichkeit behandelt, Brissot behandelte die der Emigration.

Er nahm sie von der erhabenen und humanen Seite; er nahm sie da, wo sie Mirabeau ein Jahr vorher aus seinen sterbenden Händen hatte fallen lassen.

Er verlangte, daß man einen Unterschied zwischen der Emigration der Furcht und der des Hasses mache; er verlangte, daß man nachsichtig gegen die eine, streng gegen die andere sei.

Seiner Ansicht nach konnte man die Bürger nicht in das Königreich einschließen; man mußte ihnen im Gegentheil alle Thore desselben offen lassen.

Er wollte nicht einmal die Confiscation gegen die Emigration des Hasses.

Er verlangte nur, daß man aufhöre, diejenigen zu bezahlen, welche sich gegen Frankreich bewaffnet haben.

In der That, wunderbar! Frankreich fuhr fort im Auslande die Gehalte den Lambesc, den Condé, den Karl von Lothringen zu bezahlen.

Wir werden sogleich sehen, wie die Emigrierten diese Milde erwiederten.

Als Fauchet eine Rede vollendete, erhielt man Nachrichten von Avignon.

Als Brissot die seinige endigte, erhielt man Nachrichten von Europa.

Dann erschien eine große Helle im Westen wie ein ungeheurer Brand: das waren Nachrichten von Amerika.

Fangen wir mit Avignon an.

Geben wir mit wenigen Worten die Geschichte von diesem zweiten Rom.

Benedict XI. war 1304 eines anstößig plötzlichen Todes gestorben.

Man sagte auch, er sei durch Feigen vergiftet worden.

Philipp der Schöne, der Bonifaz VIII. durch die Hand von Colonna beohrfeigt hatte, hielt die Augen auf Perugia geheftet, wo das Conclave gehalten wurde.

Seit langer Zeit hatte er den Gedanken, das Papsttum von Rom wegzuziehen und nach Frankreich zu bringen, um es, – hätte er es einmal in seinem Gefängniß, – zu einem Vortheil arbeiten zu lassen, und, wie unser großer Meister Michelet sagt, »um ihm die lucrativen Bullen zu dictiren, seine Unfehlbarkeit auszubeuten und den heiligen Geist zum Schreiber und Einnehmer für das Haus Frankreich zu bestellen.«

Eines Tags kam zu ihm ein staubbedeckter, sterbensmüder Bote, der kaum sprechen konnte.

Er brachte ihm folgende Kunde:

Die französische Partei und die antifranzösische Partei hielten sich so gut im Conclave die Wage, daß kein Papst aus den Wahlen hervorging, und daß davon die Rede war, in einer andern Stadt ein neues Conclave zu versammeln.

Dieser Beschluß kam den Perugianern nicht recht, denn es lag ihnen viel an der Ehre, daß ein Papst in ihrer Stadt gewählt werde.

Sie gebrauchten auch ein sinnreiches Mittel.

Sie zogen einen Cordon um das Conclave, um es zu verhindern, daß man den Cardinälen zu essen und zu trinken bringe.

Die Cardinäle erhoben ein gewaltiges Geschrei.

»Wählt einen Papst, und Ihr sollt zu essen und zu trinken bekommen,« riefen die Perugianer.

Die Cardinäle hielten vier und zwanzig Stunden aus.

Nach vier und zwanzig Stunden entschieden sie sich.

Es wurde beschlossen, die antifranzösische Partei sollte drei Cardinäle wählen, und die französische Partei sollte aus diesen drei Candidaten einen Papst wählen.

Die antifranzösische Partei wählte drei erklärte Feinde von Philipp dem Schönen.

Unter der Zahl dieser drei Feinde war aber Bertrand de Got,46 Erzbischof von Bordeaux, von dem man wußte, daß er noch mehr der Freund von seinem Interesse, als der Feind von Philipp dem Schönen war.

Ein Bote ging ab, der diese Nachricht überbringen sollte.

Dies war der Bote, der den Weg in vier Tagen und vier Nächten zurückgelegt halte und sterbensmüde ankam.

Es war keine Zeit zu verlieren.

Philipp schickte einen Expressen an Bertrant, de Got, der durchaus nichts von der hohen Sendung, die ihm zu Theil geworden, wußte, und lud ihn zu einer Zusammenkunft im Walde von Andelys ein.

Die Zusammenkunft fand in einer finstern Nacht, welche einer Beschwörungsnacht glich, mitten auf einer Krenzstraße, nach der drei Wege mündeten, statt; unter einer ähnlichen Lage beschworen diejenigen, welche übermenschliche Begünstigungen erlangen wollten, den Teufel und küßten, indem sie seine Vasallen zu sein gelobten, den Pferdefuß Satans.

Nun fing man, – ohne Zweifel, um den Erzbischof zu beruhigen, – damit an, daß man die Messe hörte; hierbei schworen sich auf dem Altar, im Augenblicke der Aufhebung der Hostie, der König und der Prälat Verschwiegenheit; dann erloschen die Kerzen, der Priester, der die Messe gelesen, entfernte sich, gefolgt von seinen Chorknaben und das Kreuz und die heiligen Gesäße mit sich nehmend, als hätte er eine Profanation befürchte, wenn sie die stummen Zeugen der Scene wären, welche vor sich gehen sollte.

Der Erzbischof und der König blieben allein.

Wer unterrichtete von dem, was wir sagen wollen, Villani, bei welchem wir es lesen?

Satan vielleicht, der sicherlich als Dritter bei der Zusammenkunft war.

»Erzbischof« sprach der König zu Bertrand de Got, »ich habe die Gewalt, Dich zum Papste zu machen, wenn ich will: darum bin ich zu Dir gekommen.«

»Den Beweis?« fragte Bertrand de Got.

»Den Beweis? hier ist er,« erwiederte der König.

Und er zeigte ihm einen Brief seiner Cardinäle, welche, statt ihm zu sagen, die Wahl sei gemacht, ihn fragten, wen sie wählen sollten.

»Was muß ich thun, um Papst zu werden?« sagte der Gasconier, der ganz außer sich vor Freude sich Philipp dem Schönen zu Füßen warf.

»Dich verbindlich machen, mir die sechs Gefälligkeiten zu gewähren, um die ich Dich bitten werde,« antwortete der König.

»Sprecht, mein König,« sagte Bertrand de Got, »ich bin Euer Unterthan, und es ist meine Pflicht, Euch zu gehorchen.«

Der König hob ihn auf, küßte ihn auf den Mund und sprach:

»Die sechs Gefälligkeiten, um die ich Dich bitte, sind die folgenden . . . «

Bertrand de Got hörte mit allen seinen Ohren, denn er befürchtete, der König werde nicht Dinge, die sein Seelenheil gefährden, sondern unmögliche Dinge von ihm verlangen.

»Die erste ist,« sagte Philipp, »daß Du mich mit der Kirche versöhnt und mir Vergebung der Missethat verschafft, die ich dadurch begangen, daß ich in Anagui den Papst Bonifaz VIII. habe verhaften lassen.«

»Bewilligt!« erwiederte rasch Bertrand de Got.

»Die zweite ist, daß Du mir und den Meinigen wieder die Communion gibst.«

Philipp der Schöne war excommunicirt.

»Bewilligt!« sagte Bertrand de Got, erstaunt, daß man so wenig von ihm verlangte, um ihn so groß zu machen.

Es waren allerdings noch vier Bitten übrig.

»Die dritte ist, daß Du mir den Zehenten der Geistlichkeit in meinem Königreiche auf fünf Jahre bewilligst, um die Kosten des Krieges in Flandern bestreiten zu helfen.«

»Bewilligt.«

»Die vierte ist, daß Du die Bulle von Papst Bonifaz: Ausculta, fili, annullirst und vernichtest.

»Bewilligt! bewilligt!«

»Die fünfte ist, daß Du die Cardinalswürde Marco Jacopo und Messire Pietro von Colonna wiederverleihst, und mit ihnen gewisse Freunde von mir zu Cardinälen machst.«

»Bewilligt! bewilligt! bewilligt!«

Als sodann Philipp schwieg, fragte der Erzbischof mit Bangigkeit:

»Und die sechste, mein König?«

»Die sechste?« erwiederte Philipp der Schöne, »ich behalte mir vor, hierüber seiner Zeit und gehörigen Ortes zu reden, denn das ist etwas Großes und Geheimes.«

»Großes und Geheimes?« wiederholte Bertrand de Got.

»So groß und so geheim,« versetzte der König, »daß Du mir zum Voraus die Bewilligung auf das Crucifix schwörst.«

Und er zog ein Crucifix aus seiner Brust und bot es dem Erzbischof dar.

Dieser zögerte nicht einen Augenblick; das war der letzte Graben, über den er zu springen hatte: hatte er den Sprung gemacht, so war er Papst.

Er streckte die Hand gegen das Bild des Heilands aus und sprach mit fester Stimme:

»Ich schwöre!«

»Es ist gut«, sagte der König. »In welcher Stadt meines Reiches willst Du nun gekrönt werden?«

 

»In Lyon.«

»Komm mit mir! Du bist Papst unter dem Namen Clemens V.«

Clemens V. folgte Philipp dem Schönen, doch er war sehr in Unruhe wegen des sechsten Punktes, den sein Fürst von ihm zu verlangen sich vorbehielt.

Am Tage, wo er dies that, sah Clemens V., daß es etwas Geringes war; er machte auch keine Schwierigkeit: es war die Vernichtung des Templer-Ordens.

Alles dies ist wahrscheinlich nicht ganz nach den Herzen Gottes; darum zeigte Gott eine Unzufriedenheit auf eine augenscheinliche Weise.

In dem Momente wo der Zug, die Kirche verlassend, in der Clemens V. Gekrönt worden war, an einer mit Zuschauern beladenen Mauer vorüberkam, stürzte die Mauer ein, verletzte den König, tödtete den Herzog von Bretagne und warf den Papst nieder.

Die Tiara fiel und das Symbol des Papsttums rollte entwürdigt in die Gosse.

Acht Tage nachher bekommen bei einem Festmahle, das der neue Papst gibt, die Leute Seiner Herrlichkeit und die der Cardinäle Streit.

Der Bruder des Papstes will sie trennen; er wird getödtet.

Das waren schlimme Vorzeichen.

Mit den schlimmen Vorzeichen verband sich sodann das böse Beispiel: der Papst brandschatzte die Kirche, doch eine Frau brandschatzte den Papst. Diese Frau war die schöne Brunissande, welche nach der Behauptung der Chronikschreiber jener Zeit der Christenheit mehr kostete, als das heilige Land.

Der Papst erfüllte seine Versprechen eines nach dem andern. Dieser Papst, den Philipp gemacht, war sein Papst, eine Art von Henne mit goldenen Eiern, die er Morgens und Abends legen ließ, und der er ihren Bauch zu öffnen drohte, wenn sie nicht legte.

Jeden Tag nahm er, wie der Kaufmann von Venedig, seinem Gläubiger ein Pfund Fleisch von dem Gliede, das ihm beliebte.

Endlich, nachdem Bonifaz VIII. als Ketzer und falscher Papst erklärt worden, nachdem der König des Kirchenbaumes entbunden worden, nachdem die Zehenten der Geistlichkeit auf fünf Jahre bewilligt und zwölf dem König ergebene Männer zu Cardinälen ernannt waren, nachdem die Bulle von Bonifaz VIII, welche Philipp dem Schönen den Beutel der Geistlichkeit verschloß, widerrufen, der Templer-Orden aufgelöst und die Tempelherren in Verhaft genommen waren, – geschah es, daß am 1. Mai 1308 Kaiser Albrecht von Oesterreich starb.

Da hatte Philipp der Schöne den Gedanken, seinen Bruder Karl von Valois zum Kaiser wählen zu lassen.

Clemens V. sollte abermals manövrieren, um dieses Resultat herbeizuführen.

Die Knechtschaft des Verkauften währte fort; gesattelt und gezäumt, sollte die arme Seele von Bertrand de Got vom König von Frankreich bis in die Hölle geritten werden.

Sie hatte endlich die Velleität, ihren furchtbaren Reiter abzuwerfen.

Clemens V. schrieb ostensibel zu Gunsten von Karl von Valois, insgeheim gegen ihn.

Von diesem Augenblicke an mußte er darauf bedacht sein, sich aus dem Königreiche zu entfernen; das Leben des Papstes war um so weniger in Sicherheit auf dem Gebiete des Königs, als die Ernennung der zwölf Cardinäle die zukünftigen Papstwahlen in die Hände des Königs von Frankreich legte.

Clemens V. erinnerte sich der Feigen von Benedict XI.

Er war in Poitiers.

Es gelang ihm, bei Nacht zu entkommen und Avignon zu erreichen.

Ziemlich schwer ist es, zu erklären, was Avignon war.

Es war Frankreich, und es war nicht Frankreich.

Es war eine Grenze, eine Freistadt, ein Ueberrest von Reich, eine Republik wie San Marino.

Nur wurde es von zwei Königen regiert.

Vom König von Neapel als Grafen von Provence;

Vom König von Frankreich als Grafen von Toulouse.

Jeder von ihnen hatte die Herrschaft von einer Hälfte von Avignon.

Keiner konnte einen Flüchtling auf dem Boden des Andern verhaften lassen.

Clemens V. flüchtete sich natürlich auf den Theil von Avignon, der dem König von Neapel gehörte.

Doch wenn er der Gewalt von König Philipp dem Schönen entging, so entging er nicht dem Fluche des Großmeisters vom Templer-Orden.

Vom Wallgange seinen Scheiterhaufen besteigend, hatte Jacques von Molay seine zwei Henker beschworen, auf die Ladung ihres Opfers am Ende des Jahres vor Gott zu erscheinen.

Clemens V. gehorchte zuerst der grauenvollen Ladung. In einer Nacht träumte er, er sehe seinen Palast in Flammen; »von dieser Nacht an,« sagt sein Biograph, »war er nicht mehr heiter, und währte er nicht mehr lange.«

Sieben Monate nachher kam die Reihe an Philipp.

Wie starb er?

Es gibt zwei Versionen über seinen Tod.

Die eine oder die andere scheint eine von der Hand Gottes gefallene Rache zu sein.

Die von Sauvage übersetzte Chronik läßt ihn auf der Jagd sterben.

»Er sah den Hirsch auf sich zukommen, zog seinen Degen, gab seinem Pferde die Sporen, und während er den Hirsch zu treffen glaubte, trug ihn sein Pferd gegen einen Baum mit solcher Schnelligkeit, daß der gute König hart im Herzen getroffen zu Boden fiel und nach Corbeil gebracht wurde.«

Hier verschlimmerte sich nach der Angabe der Chronik die Krankheit dergestalt, daß der König daran starb.

Man sieht, die Krankheit konnte nicht schlimmer werden.

Guillaume von Nangis erzählt dagegen den Tod des Siegers von Mons-en-Puelle also:

»Philipp, König von Frankreich, wurde durch eine lange Krankheit zurückgehalten, deren, den Aerzten unbekannte, Ursache für diese und für viele Andere der Gegenstand großer Verwunderung war, um so mehr, als weder sein Puls, noch sein Urin andeuteten, er sei krank oder in Todesgefahr. Endlich ließ er sich durch die Seinigen nach Fontainebleau, seinem Geburtsorte, bringen. Hier, nachdem er in Gegenwart und im Angesichte einer großen Anzahl Leute das Sakrament mit bewunderungswürdiger Frömmigkeit und Inbrunst empfangen hatte, übergab er seine Seele glücklich dem Schöpfer, im Bekenntnis des wahren und katholischen Glaubens, im dreißigsten Jahre seiner Regierung, am Freitag, am Vorabend vom Feiertag des heiligen Andreas.«

Jeder bis auf Dante findet einen Tod für den Mann seines Hasses.

Er läßt ihm von einem Wildschweine den Bauch aufschlitzen.

»Er starb an einem Rüsselschlage, der Betrüger den man an der Seine die Münze hat fälschen sehen!

Die Päpste, welche Avignon nach Clemens V. bewohnten, nämlich Johann XXII., Benedict XII., Clemens VI., warteten nur auf eine Gelegenheit, um Avignon zu kaufen.

Sie bot sich für den Letzten.

Eine noch minderjährige junge Frau, Johanna von Neapel, wir sagen nicht verkaufte es, sondern gab es für die Absolution eines Mordes, den ihre Liebhaber begangen hatten.

Volljährig geworden, reclamierte sie gegen die Abtretung; doch Clemens VI. hielt fest.

So daß, als Gregor XI. im Jahre 1377 den Sitz des Papsttums wieder nach Rom verlegte, Avignon, von einem Legaten verwaltet, dem heiligen Stuhle unterworfen blieb.

Es war noch so 1791, als die Ereignisse kamen, welche diese lange Abschweifung veranlaßt haben.

Wie an dem Tage, wo Avignon noch zwischen dem König von Neapel, Grafen von Provence, und dem König von Frankreich, Grafen von Toulouse, getheilt war, gab es zwei Avignon in Avignon: das Avignon der Priester, das Avignon der Handelsleute.

Das Avignon der Priester hatte hundert Kirchen, zweihundert Klöster, seinen Palast des Papstes.

Das Avignon der Handelsleute hatte seinen Fluß, seine Arbeiter in Seidenzeugen, einen Transit von Lyon nach Marseille, von Nimes nach Turin.

Es gab gewisser Maßen in dieser unglücklichen Stadt die Franzosen des Königs und die Franzosen des Papstes.

Die Franzosen von Frankreich waren wirklich Franzosen; die Franzosen von Italien waren fast Italiener.

Die Franzosen von Frankreich gaben sich viel Mühe, arbeiteten viel, um zu leben, um ihre Frauen, um ihre Kinder zu ernähren, und es gelang ihnen kaum.

Die Franzosen von Italien, das heißt die Priester, hatten Alles, Reichthum und Macht; das waren Aebte, Bischöfe, Erzbischöfe, Cardinäle, müßig, elegant, keck. Cicisbei bei den vornehmen Damen, Herren bei den Frauen aus dem Volke, welche, wenn sie vorüberkamen, niederknieten, um ihre weißen Hände zu küssen.

Wollen Sie einen Typus hiervon?

Nehmen Sie den schönen Abt Maury; das war ein ächter Franco Italiener vom Comtat, Sohn eines Schusters, Aristokrat wie Lauzun, stolz wie ein Clermont-Tonnerre, frech wie ein Lackei.

Ueberall, ehe sie Männer sind und folglich Leidenschaften haben, lieben sich die Kinder.

In Avignon wird man sich hassend geboren.

Am 14. September 1791, – zur Zeit der constituirenden Versammlung, – hatte ein Decret des Königs Avignon und das Comtat-Venaissin mit Frankreich vereinigt.

Seit einem Jahre war Avignon bald in den Händen der französischen Partei, bald in den Händen der antifranzösischen Partei.

Der Sturm hatte 1790 begonnen.

In einer Nacht belustigten sich die Papisten damit, daß sie einen mit den drei Farben geschmückten Strohmann aufhingen.

Am Morgen sprang Avignon bei diesem Anblick.

Man riß aus ihren Häusern vier Papisten, welche nicht dafür konnten: zwei Adelige, einen Bürger, einen Arbeiter; man hing sie an der Stelle des Strohmannes auf.

Die französische Partei hatte zu Häuptern zwei junge Leute, Duprat und Mainvielle, und einen Mann von einem gewissen Alter Namens Lescuyer.

Dieser letzte war ein Franzose in der vollen Bedeutung des Wortes: er war Picard, von einem glühenden und zugleich überlegten Charakter, und hatte in Avignon seinen Aufenthalt als Notar und Secretär der Municipalität.

Diese drei Männer hatten einige Soldaten, zwei bis dreitausend vielleicht, auf die Beine gebracht und mit ihnen gegen Carpentras eine Expedition versucht, welche mißglückt war.

Der Regen, ein kalter, eisiger Regen, einer von den Regen, welche vom Berge Ventoux herabkommen, zerstreute das Heer von Mainvielle, Duprat und Lescuyer, wie der Sturm die Flotte von Philipp II. zerstreut hatte.

Wer hatte diesen wunderbaren Regen fallen gemacht? wer hatte die Macht gehabt, das revolutionäre Heer zu zerstreuen?

Die Jungfrau!

Duprat, Mainvielle und Lescuyer hatten aber einen Catalonier genannt der Chevalier Patus, den sie zum General ernannt, im Verdachte, er habe so wirksam die Jungfrau bei dem Wunder unterstützt, daß sie ihm die ganze Ehre davon zuerkannten.

In Avignon ist ein Verrath bald bestraft: man tödtet den Verräther.

Patus wurde getödtet.

Woraus bestand nun das die französische Partei vertretende Heer?

Aus Bauern, Lastträgern, Ausreißern.

Man suchte einen Mann aus dem Volke, um diese Leute aus dem Volke zu befehligen.

Man glaubte den Mann, den man brauchte, in einem gewissen Mathieu Jouve, der sich Jourdan nennen ließ, gefunden zu haben.

Geboren in Saint-Juste, beim Puy-en-Velay, war er Anfangs Maulthiertreiber, dann Soldat, dann Schenkwirth in Paris gewesen.

In Avignon verkaufte er Krapp.

Das war ein Mensch, der mit Morden und Verbrechen aller Art prahlte.

Er zeigte einen Säbel und sagte, mit diesem Säbel habe er dem Gouverneur der Bastille und zwei Gardes du corps am 6. October den Kopf abgeschlagen.

Halb mit Spott, halb mit Furcht hatte das Volk dem Beinamen Jourdan, den er sich gegeben, den Coupe-Tête47 beigefügt.

Duprat, Mainvielle, Lescuyer und ihr General Jourdan-Coupe-Tête waren lange genug Herren der Stadt gewesen, daß man anfing sie weniger zu fürchten.

Eine dumpfe, weit umfassende Verschwörung organisirte sich gegen sie geschickt, und im Finstern schleichend, wie es die Verschwörungen der Priester sind.

Es handelte sich darum, die religiösen Leidenschaften wiederzuerwecken.

Die Frau eines französischen Patrioten hatte ein Kind ohne Arme geboren.

Es verbreitete sich das Gerücht, bei Nacht einen silbernen Engel aus einer Kirche entwendend, habe diesem der Patriot den Arm gebrochen.

Das gebrechliche Kind war nichts Anderes als eine Strafe Gottes.

Der Vater war genöthigt, sich zu verbergen; man hätte ihn in Stücke gehauen, ohne sich nur zu erkundigen, in welcher Kirche der Engel gestohlen worden.

Die Jungfrau beschützte und begünstigte besonders die Royalisten, waren sie nun Chouans in Bretagne oder Papisten in Avignon.

1789 hatte die Jungfrau in einer Kirche der Rue dn Bac geweint.

1790 war sie im vendeeischen Bocage hinter einer alten Eiche erschienen.

 

1791 hatte sie das Heer von Duprat und Mainvielle, ihnen Hagel ins Gesicht blasend, zerstreut.

In der Kirche der Franciscaner endlich war sie, ohne Zweifel aus Scham über die Gleichgültigkeit des Volkes, erröthet.

Dieses besonders von den Frauen, – die Männer schenkten ihm keinen großen Glauben, – bestätigte Wunder hatte die Geister schon zu einer gewissen Höhe gesteigert, als sich ein noch viel mehr aufregendes Gerücht in Avignon verbreitete.

Eine große Kiste mit Silberzeug war aus der Stadt gebracht worden.

Am andern Tage war es nicht mehr eine Kiste, es waren sechs Kisten.

Am zweiten Tage waren es achtzehn volle Kisten.

Und was für Silberzeug war es, das diese achtzehn Kisten enthielten?

Die Effecten des Leihhauses, welche die französische Partei, die Stadt räumend, der Sage nach mitnahm.

Bei dieser Kunde durchzog ein Sturmwind die Stadt; dieser Wind ist das bekannte Zu-zu, das bei den Aufständen pfeift und die Mitte hält zwischen dem Brüllen des Tigers und dem Zischen der Schlange.

Das Elend war so groß in Avignon, daß fast Jeder etwas verpfändet hatte.

So wenig der Arme verpfändet hatte, er hielt sich für ruiniert.

Der Reiche wird bei einer Million ruiniert, der Arme bei einem Lumpen.

Alles ist relativ.

Das war am 16. October, an einem Sonntage Morgens.

Alle Bauern der Umgegend waren in die Stadt gekommen, um die Messe zu hören.

Man ging zu jener Zeit nur bewaffnet; es waren folglich Alle bewaffnet.

Der Augenblick war also gut gewählt, und der Streich wurde gut gespielt.

Es gab da weder mehr eine französische Partei, noch eine antifranzösische: es waren Diebe, welche einen schändlichen Raub begangen, die Armen bestohlen hatten.

Die Menge strömte nach der Kirche der Franciscaner; Bauern, Stadtbürger, Handwerksleute, Lastträger, Weiße, Rothe, Dreifarbige, schrieen, auf der Stelle, ohne Verzug müsse ihnen die Municipalität durch das Organ ihres Secretärs Lescuyer Rechenschaft geben.

Warum hatte sich der Zorn des Volkes gegen Lescuyer gerichtet? Man weiß es nicht.

Soll ein Leben einem Menschen gewaltsam entrissen werden, so gibt es solche Verhängnisse.

Plötzlich, mitten unter dem Gottesdienste, brachte man Lescuyer.

Er hatte sich nach der Municipalität geflüchtet, als er erkannt, ergriffen, – nein, nicht ergriffen, – mit Faustschlägen, mit Fußtritten, mit Stockstreichen in die Kirche getrieben worden war.

Sobald er in der Kirche, stieg der Unglückliche, bleich, aber dennoch kalt und ruhig, auf die Kanzel und versuchte es, sich zu rechtfertigen.

Das war leicht, er brauchte nur zu sagen: »Oeffnet und zeigt das Leihhaus dem Volke, und es wird sehen, daß alle Gegenstände, welche weggenommen zu haben man uns beschuldigt, noch dort sind.«

Er sing an: »Meine Brüder, ich habe die Revolution für nöthig erachtet; ich habe mit meiner ganzen Macht dazu beigetragen . . . «

Doch man ließ ihn nicht weiter gehen, man befürchtete zu sehr, er könnte sich rechtfertigen.

Rauh wie der Nordwestwind, unterbrach ihn das entsetzliche Zu-zu.

Ein Lastträger stieg hinter ihm auf die Kanzel und warf ihn dieser Meute zu.

Von diesem Augenblicke an ertönte das Halali,

Man zog ihn nach dem Altar.

Hier mußte der Revolutionär erwürgt werden, auf daß das Opfer der Jungfrau, in deren Namen man bei Allem dem handelte, angenehm wäre.

Noch lebend, machte er sich im Chor von den Händen der Mörder los und flüchtete sich in einen Chorstuhl.

Eine liebreiche Hand reichte ihm Schreibzeug.

Er sollte schreiben, was er zu sagen nicht Zeit gehabt.

Eine unerwartete Hilfe gab ihm einen Augenblick Frist.

Ein bretagnischer Edelmann, der zufällig, nach Marseile reifend, vorüberkam, war in die Kirche eingetreten und von Mitleid für das arme Opfer erfaßt worden. Mit dem Muthe und der Hartnäckigkeit eines Bretagners wollte er den Unglücklichen retten; zwei oder dreimal entfernte er die Messer oder die Stöcke, von denen er eben getroffen werden sollte, und er rief: »Meine Herren, im Namen des Gesetzes! meine Herren, im Namen der Ehre! meine Herren, im Namen der Menschlichkeit!«

Die Messer und die Stöcke wandten sich sodann gegen ihn; doch unter den Messern und den Stöcken bedeckte er fortwährend den armen Lescuyer mit seinem Leibe und rief »Meine Herren, im Namen der Menschlichkeit!«

Endlich wurde das Volk müde, so lange eines Jägerrechts beraubt zu sein; es ergriff den Edelmann und schleppte ihn fort, um ihn aufzuhängen.

Drei Männer befreiten aber den Fremden und riefen:

»Machen wir zuerst mit Lescuyer ein Ende, wir werden diesen hernach wiederfinden.«

Das Volk begriff die Richtigkeit dieses Raisonnement und ließ den Bretagner los.

Man nöthigte ihn, zu entfliehen.

Er hieß Herr von Rosély.

Lescuyer hatte nicht Zeit gehabt, zu schreiben; hätte er auch Zeit gehabt, sein Zettel wäre nicht gelesen worden: es herrschte ein zu großer Tumult.

Doch mitten unter diesem Tumulte gewahrte Lescuyer hinter dem Altar eine kleine Ausgangsthüre; erreichte er diese Thüre, so war er vielleicht gerettet!

Er raffte sich auf und stürzte in dem Augenblick fort, wo man ihn vom Schrecken niedergeworfen glaubte.

Lescuyer war nahe daran, die Thüre zu erreichen; die Mörder waren unversehens berückt worden; doch am Fuße des Altars versetzte ihm ein Taffetarbeiter einen so furchtbaren Stockstreich auf den Kopf, daß der Stock zerbrach.

Lescuyer fiel betäubt nieder, wie ein Ochs unter dem Schlagbeile fällt.

Er rollte gerade dahin, wo man ihn haben wollte: an den Fuß des Altars.

Sodann, während die Weiber, um diese Lippen zu bestrafen, welche die revolutionäre Blasphemie: »Es lebe die Freiheit!« ausgesprochen, ihm die Lippen zerschnitten, tanzten ihm die Männer auf dem Bauche und zermalmten ihn wie den heiligen Stephan mit Steinwürfen.

Mit seinen blutigen Lippen rief Lescuyer: »Gnade, meine Brüder! im Namen der Menschlichkeit, meine Schwestern! bewilligt mir den Tod!«

Das heißt zu viel verlangen: man verurtheilte ihn, seinen Todeskampf zu durchleben.

Er dauerte bis zum Abend.

Der Unglückliche kostete den ganzen Tod!

Das waren die Nachrichten, welche der gesetzgebenden Versammlung als Antwort auf die philanthropische Rede von Fauchet zukamen.

Allerdings kam zwei Tage nachher eine andere Kunde.

Duprat und Jourdan waren von dem, was vorging, unterrichtet worden.

Wo sollten sie ihre zerstreuten Leute finden? Duprat hatte eine Idee: in Form eines Rapells die bekannte silberne Glocke läuten, welche nur bei zwei Anlässen ertönte: bei der Weihung der Päpste, bei ihrem Tode.

Sie gab einen ungewöhnlichen, geheimnißvollen selten gehörten Ton von sich.

Dieser Ton brachte zwei entgegengesetzte Wirkungen hervor.

Er machte das Herz der Papisten zu Eis erstarren, er verlieh den Revolutionären wieder den Muth.

Beim Tone dieser Glocke, die einen unbekannten Sturm läutete, eilten die Leute vom Lande aus der Stadt und entflohen Jeder in der Richtung seines Wohnortes.

Bei diesem Rufe der silbernen Glocke versammelte Jourdan ungefähr dreihundert von seinen Soldaten.

Er nahm wieder die Thore der Stadt und ließ hier hundert und fünfzig Mann, um sie zu bewachen.

Mit den hundert und fünfzig Anderen marschirte er gegen die Franciscaner Kirche.

Er hatte zwei Kanonen; diese pflanzte er gegen die Menge auf, schoß und tödtete auf’s Gerathewohl.

Dann drang er in die Kirche ein.

Die Kirche war verlassen; Lescuyer röchelte zu den Füßen der Jungfrau, welche so viel Wunder gethan, aber nicht die Gnade gehabt hatte, ihre Hand auszustrecken, um diesen Unglücklichen zu retten.

Man hätte glauben sollen, er könne nicht sterben dieser blutige Fetzen, der nur noch eine Wunde, war, auf das Leben erpicht.

Man trug ihn so durch die Straßen; überall, wo der Zug durchkam, schlossen die Leute ihre Fenster und riefen:

»Ich war nicht bei den Franciscanern!«

Jourdan und seine hundert und fünfzig Mann konnten fortan mit Avignon und seinen dreißigtausend Einwohnern machen, was sie wollten, so groß war der Schrecken.

Sie machten damit im Kleinen, was Marat und Panis mit Paris am 2. September machten.

Man wird später sehen, warum wir sagen Marat und Panis, und nicht Danton.

Man ermordete siebzig bis achtzig Unglückliche, die man durch die päpstlichen Oublietten im Thurme der Glacière stürzte.

Das war die Nachricht, welche kam und durch erchreckliche Repressalien den Tod von Lescuyer vergessen machte.

Was die Emigririen betrifft, weiche Brissot verteidigte, und denen er Frankreich seine Thore wollte öffnen sehen, sie thaten Folgendes im Auslande:

Sie versöhnten Oesterreich mit Preußen und machten zwei Freunde aus diesen zwei geborenen Feinden.

Sie bewirkten, daß Rußland unserem Botschafter verbot, sich in den Straßen von Petersburg zu zeigen, und einen Gesandten zu den Flüchtlingen in Coblenz schickte.

Sie machten, daß Bern eine Schweizer-Stadt bestrafte, die das revolutionäre Ça ira gesungen hatte.

Sie machten, daß Gens, die Vaterstadt von Rousseau, der so viel für diese Revolution gethan, welche die Franzosen vollführten, gegen uns die Mündung seiner Kanonen richtete.

Sie machten, daß der Bischof von Lüttich sich weigerte, einen französischen Gesandten zu empfangen.

Allerdings thaten die Könige von selbst ganz Anderes.

46Bertrand d’Agoust. d. Uebers.
47Kopfabschneider.