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Die Fünf und Vierzig

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Fünftes Kapitel
Die Hinrichtung

Die Räthe blieben schweigsam im Hintergrunde der königlichen Loge stehen und warteten, bis der König das Wart an sie richtete.

Der König ließ einen Augenblick auf sich warten, wandte sich dann gegen sie um und sprach:

»Nun, meine Herren, was gibt es Neues? Guten Morgen, Herr Präsident Brisson.«

»Sire,« antwortete der Präsident mit seiner leichten Würde, die man bei Hofe seine Hugenotten-Höflichkeit nannte, – »wir kommen, um Eure Majestät, wie es Herr von Thou gewünscht hat, anzuflehen, das Leben des Schuldigen zu schonen. Ohne Zweifel hat er einige Offenbarungen zu machen, und wenn man ihm das Leben verspräche, würde man sie von ihm erhalten.«

»Aber hat man sie nicht von ihm erhalten, Herr Präsident?«

»Ja, Sire, – theilweise, – genügt das Eurer Majestät?«

»Ich weiß, was ich weiß, Messire.«

.»Eure Majestät weiß also, woran sie sich in Beziehung auf die Theilnahme Spaniens bei dieser Angelegenheit zu halten hat.«

»Spaniens, ja, Herr Präsident, und sogar mehrerer anderer Mächte.«

»Es wäre wichtig, diese Theilnahme zu konstatieren, Sire.«

»Der König hat auch die Absicht, die Hinrichtung zu verschieben,« sagte Catharina, »wenn der Schuldige ein mit seinen Angaben vor dem Richter, der ihn auf die Folter spannen ließ, gleichlautendes Bekenntniß unterzeichnet.«

Brisson fragte den König mit den Augen und der Geberde.

»Das ist meine Absicht und ich verberge sie nicht länger,« sagte der König, »Ihr könnt Euch davon überzeugen. Herr Brisson, wenn Ihr Euren Lieutenant vom Gericht mit dem Missethäter sprechen laßt.«

»Euere Majestät hat mir nichts mehr zu befehlen?«

»Nichts, Doch keine Veränderung in den Geständnissen, oder ich nehme mein Wort zurück! – Sie sind öffentlich, sie müssen vollständig sein.«

»Ja, Sire. Mit dem Namen der betheiligten Personen?«

»Mit dem Namen, mit allen Namen.«

»Selbst wenn diese Personen durch das Geständniß des Verbrechers mit Hochverrath und Empörung gegen das Oberhaupt befleckt würden?«

»Selbst wenn diese Namen die meiner nächsten Verwandten wären,« sagte der König.

»Es soll geschehen, wie Eure Majestät befiehlt.«

»Ich will mich erklären, Herr Brisson, damit kein Mißverständniß obwalte. Man bringe dem Verurtheilten Feder und Papier. Er schreibe sein Bekenntniß und zeige dadurch öffentlich, daß er sich unserer Gnade und Barmherzigkeit anheimstellt. Hernach werden wir sehen.«

»Aber ich kann versprechen?«

»Versprecht immerhin.«

»Seht, meine Herren,« sagte der Präsident, seine Räthe verabschiedend.

Und nachdem er sich ehrfurchtsvoll vor dem König verbeugt hatte, ging er hinter ihnen hinaus.

»Er wird sprechen,« sagte Louise von Lothringen, ganz zitternd, »er wird sprechen und Eure Majestät wird ihn begnadigen. Seht, wie der Schaum auf seine Lippen tritt.«

»Nein, nein, er sucht nur,« erwiederte Catharina.

»Was sucht er denn?«

»Parbleu,« sprach Heinrich III., »das ist nicht schwer zu errathen: er sucht den Herrn Herzog von Parma, den Herrn Herzog von Guise; er sucht Monsieur meinen Bruder, den allerkatholischsten König. Ja, suche! suche! warte, glaubst Du die Grève sei ein so bequemer Ort für Hinterhalte, wie die Straße von Flandern? glaubst Du, ich habe hier nicht hundert Bellièvre, um Dich zu verhindern, vom Schaffot hinabzusteigen, wohin Dich ein Einziger geführt hat?«

Salcède hatte die Bogenschützen abgehen sehen, um die Pferde zu holen. Er hatte den Präsidenten und die Räthe in der Loge des Königs bemerkt, – dann hatte er sie wieder verschwinden sehen: er begriff, daß der König Befehl zur Hinrichtung gegeben hatte.

Da erschien auf seinem leichenbleichen Munde der blutige Schatten, den die junge Königin wahrgenommen: in der tödtlichen Ungedud, die ihn verzehrte, biß sich der Unglückliche bis auf das Blut in die Lippen.

»Niemand! Niemand!« murmelte er. »Nicht Einer von denjenigen, welche mir Hilfe versprochen hatten! Feige! Feige! Feige!«

Der Lieutenant Tranchon näherte sich dem Schaffot und sagte zu dem Henker:

»Haltet Euch fertig.«

Der Nachrichter machte ein Zeichen gegen das andere Ende des Platzes und man sah die Pferde, die Menge durchschneidend, eine stürmische Furche zurücklassen, die sich, der des Meeres ähnlich, wieder hinter ihnen schloß.

Diese Furche wurde von den Zuschauern gebildet, welche der rasche Durchzug der Pferde niederwarf oder zurückdrängte; aber die umgestürzte Mauer schloß sich alsbald wieder, und zuweilen wurden die Ersten die Letzten und so gegenseitig, – denn die Starken warfen sich in den leeren Raum.

Man konnte nun an der Ecke der Rue de la Vannerie, als die Pferde hier vorüberkamen, einen uns bekannten hübschen jungen Mann von dem Weichsteine, auf dem er stand, herabspringen sehen, angetrieben den einem Jüngling von kaum fünfzehn bis sechzehn Jahren, der sehr heißgierig auf dieses furchtbare Schauspiel zu sein schien. Dies war der geheimnißvolle Page und der Vicomte Ernauton von Carmainges.

»Geschwinde! Geschwinde!« flüsterte der Page seinem Gefährten in‘s Ohr, werft Euch in das Loch, es ist kein Augenblick zu verlieren.«

»Aber man wird uns erdrücken,« entgegnete Ernauton, »Ihr seid ein Narr, mein kleiner Freund.«

»Ich will sehen, von Nahem sehen,« sagte der Page mit so gebieterischem Tone, daß man leicht zu erkennen vermochte, dieser Befehl komme aus einem an das Befehlen gewöhnten Mund.

Ernauton gehorchte.

»Schließt Euch fest an die Pferde an,« sagte der Page, »verlaßt sie nicht um eine Sohle breit, oder wir kommen nicht an Ort und Stelle.«

»Aber ehe wir ankommen, werdet Ihr in Stücke zerschmettert sein.«

»Kümmert Euch nicht um mich. Vorwärts! Vorwärts!«

»Die Pferde werden ausschlagen.«

»Packt das letzte am Schweif; nie schlägt ein Pferd, wenn man es so hält.«

Ernauton unterlag unwillkührlich dem seltsamen Einfluß dieses Kindes; er gehorchte und hing sich an den Schweif des Pferdes an, während sich der Page an seinem Gürtel festhielt.

Mitten durch diese wie ein Meer wogende, wie ein Gebüsch dornige Menge gelangten sie, hier einen Flügel von ihrem Mantel, dort ein Bruchstück von ihrem Wamms, anderswo ihre Hemdkrause zurücklassend, zu gleicher Zeit mit dem Gespann bis auf drei Schritte zu dem Schaffot, auf welchem sich Salcède in den Zuckungen der Verzweiflung krümmte.

»Sind wir an Ort und Stelle?« murmelte athemlos der junge Mann, als er Ernauton anhalten sah.

»Ja, zum Glück, denn meine Kräfte sind erschöpft,« antwortete der Vicomte.

»Ich sehe nicht.«

»Tretet vor mich.«

»Nein, nein, noch nicht… Was macht man?«

»Schlingen an das Ende der Stricke.«

»Und was macht er?«

»Wer er?«

»Der Verurtheilte.«

»Er verdreht die Augen wie ein Geier aus der Lauer.«

Die Pferde waren nahe genug am Schaffot, daß die Knechte des Henkers an die Füße und Fäuste von Salcède die an ihren Kummeten befestigten Zugriemen binden konnten.

Salcède brüllte, als er an seinen Knöcheln die rauhe Berührung der Stricke fühlte, die eine Schlinge um sein Fleisch zusammenzog.

Er richtete einen äußersten, einen unbeschreiblichen Blick an diesen ungeheuren Platz, dessen hundert tausend Zuschauer er im Kreise seines Gesichtsstrahl umfaßte.

»Mein Herr?« sagte höflich der Lieutenant Tranchon, »beliebt Euch, mit dem Volke zu sprechen, ehe wir vorfahren?«

Und er näherte sich dem Ohre des Verbrechers, um leise beizufügen:

»Ein gutes Geständniß… und Euer Leben ist gerettet.«

Salcède schaute ihm bis in die Tiefe der Seele.

Dieser Blick war so beredet, daß er die Wahrheit aus dem Herzen von Tranchon zu reißen schien und sie bis in seine Augen heraussteigen machte, wo sie hervorbrach.

Salcède täuschte sich nicht und begriff, daß der Lieutenant aufrichtig war und halten würde, was er verprach.

»Ihr seht,« fuhr Tranchon fort, »man verläßt Euch, Ihr habt keine andere Hoffnung mehr auf dieser Welt, als die, welche ich Euch biete.«

»Nun wohl!« sagte Salcède mit einem heiseren Seufzer, »gebietet Stillschweigen, ich bin bereit, zu sprechen.«

»Der König verlangt ein geschriebenes und unterzeichnetes Geständniß.«

»Dann macht mir die Hände frei und gebt mir eine Feder, ich werde schreiben.«

»Euer Geständniß?«

»Mein Geständniß, es sei.«

Entzückt vor Freude hatte Tranchon nur ein Zeichen zu machen, denn es war für den Fall vorhergesehen. Ein Bogenschütze hielt das Erforderliche bereit; er gab ihm Schreibzeug, Federn, Papier, und Tranchon legte Alles auf das Holz des Schaffots.

Zu gleicher Zeit lockerte man um ungefähr drei Fuß den Strick, der das rechte Faustgelenke von Salcède hielt und hob ihn auf die Estrade, damit er schreiben konnte.

Als Salcède saß, fing er an, mit aller Kraft zu athmen und sich seiner Hand zu bedienen. um seine Lippen abzuwischen und seine Haare zurückzustreichen, welche feucht von Schweiß über seine Augbrauen herabfielen.

»Vorwärts, vorwärts,« sagte Tranchon, »setzt Euch bequem und schreibt Alles.«

»Oh! habt nicht bange,« erwiederte Salcède seine Hand nach der Feder ausstreckend. »Seid ruhig, ich werde diejenigen nicht vergessen, welche mich vergessen.«

Bei diesen Worten schaute er zum letzten Male umher. Ohne Zweifel war der Augenblick, sich zu zeigen, für den Pagen gekommen, denn er ergriff Ernauton bei der Hand und sagte zu ihm:

»Mein Herr, habt die Güte, nehmt mich in Eure Arme und hebt mich über diese Köpfe empor, die mich zu sehen verhindern.«

»Ah! in der That, Ihr seid unersättlich, junger Mensch.«

»Noch diesen Dienst, mein Herr.«

»Ihr mißbraucht mich.«

»Ich muß den Verurtheilten sehen, versteht Ihr? ich muß ihn sehen.«

Dann, als Ernauton wahrscheinlich nicht rasch genug auf diese Einschärfung antwortete, fügte er bei:

 

»Habt Mitleid, Herr, habt Gnade ich flehe Euch an.«

Das Kind war nicht mehr ein phantastischer Tyrann, sondern ein unwiderstehlich Flehender.

Ernauton hob den jungen Menschen in seine Arme, doch nicht ohne ein gewisses Erstaunen über die Zartheit des Körpers, den er in seinen Händen hielt.

Der Kopf des Pagen überragte nun die anderen Köpfe.

Eben hatte Salcède seine Rundschau vollendend, die Feder ergriffen.

Plötzlich erblickte er zu seinem großen Erstaunen das Antlitz des jungen Menschen.

In diesem Augenblick drückte der Page zwei Finger auf seine Lippen. Eine unsägliche Freude verbreitete sich auf dem Gesichte des Verbrechers. Es war wie die Trunkenheit des bösen Reichen, da Lazarus einen Tropfen Wasser auf seine vertrocknete Zunge fallen läßt.

Er hatte das so ungeduldig erwartete Signal erkannt, das ihm Hilfe verkündigte.

Nach einer Betrachtung von mehreren Sekunden bemächtigte sich Salcède des Papiers, das ihm Tranchon unruhig über sein Zögern reichte, und fing an mit einem fieberhaften Eifer zu schreiben.

»Er schreibt, er schreibt,« murmelte die Menge.

»Er schreibt,« wiederholte die Königin Mutter mit offenbarer Freude.

»Er schreibt,« sagte der König, »bei Gottes Tod! ich werde ihn begnadigen.«

Plötzlich unterbrach sich Salcède, um noch einmal den jungen Menschen anzuschauen.

Der junge Mensch wiederholte dasselbe Zeichen, und Salcède schrieb weiter.

Dann nach einem kürzeren Zwischenraum unterbrach er sich wieder, um abermals zu schauen.

Diesmal machte der Page Zeichen mit den Fingern und dem Kopfe.

»Seid Ihr zu Ende?« fragte Tranchon, der sein Papier nicht aus dem Gesichte verlor.

»Ja,« antwortete Salcède maschinenmäßig.

»So unterzeichnet.«

Salcède unterzeichnete, ohne seine Augen, welche an den jungen Menschen genietet blieben, auf das Papier zu richten.

Tranchon streckte seine Hand nach dem Geständnis aus.

»Dem König, dem König allein,« sprach Salcède.

Und er reichte dem Lieutenant das Papier, doch mit einem Zögern und wie ein besiegter Soldat, der seine letzte Waffe übergibt.

»Wenn Ihr Alles wohl gestanden habt, so seid Ihr gerettet, Herr von Salcède,« sagte der Lieutenant.

Ein aus Spott und Unruhe gemischtes Lächeln trat auf den Lippen des Verurtheilten hervor, der den geheimnißvollen Pagen ungeduldig zu befragen schien.

Ermüdet wollte Ernauton seine Last niedersetzen und öffnete die Arme. Der Page glitt auf den Boden.

Mit ihm verschwand die Vision, die den Verurtheilten aufrecht erhalten hatte.

Als ihn Salcède nicht mehr sah, suchte er ihn mit den Augen; dann rief er ganz verwirrt:

»Nun! Nun!«

Niemand antwortete.

»Rasch, rasch, beeilt Euch,« sagte er, »der König hat das Papier in der Hand, er wird es sogleich lesen.«

Niemand rührte sich.

Der König entfaltete lebhaft das Geständniß.

»Oh! tausend Teufel!« rief Salcède, »sollte man mich hintergangen haben? Ich erkannte sie doch wohl! Sie war es, sie war es!«

Kaum hatte der König die ersten Zeilen durchlaufen, als er von Entrüstung ergriffen zu sein schien.

Dann erbleichte er und schrie:

»Oh! der Elende!… oh! der boshafte Mensch!«

»Was gibt es, mein Sohn?« fragte Catharina.

»Er nimmt Alles zurück, meine Mutter; er behauptet, nie etwas gestanden zu haben.«

»Und dann?«

»Dann erklärte er die Herren von Guise für unschuldig und allen Complotten fremd.«

»In der That,« stammelte Catharina, »wenn es wahr ist.«

»Er lügt,« rief der König, »er lügt wie ein Heide.«

»Was wißt Ihr davon, mein Sohn? die Herren von Guise sind vielleicht verleumdet worden. Die Richter haben vielleicht in ihrem zu großen Eifer die Angaben falsch ausgelegt.«

»Ei. Madame,« rief Heinrich, der sich nicht mehr länger bemeistern konnte, »ich habe Alles gehört.«

»Ihr, mein Sohn?«

»Ja, ich.«

»Und wann dies, wenn‘s beliebt?«

»Als der Schuldige die Folter auszuhalten hatte… ich war hinter einem Vorhang; ich habe nicht eines von seinen Worten verloren, und jedes von diesen Worten drang in meinen Kopf wie ein Nagel unter dem Hammer.«

»Nun, so laßt ihn unter der Folter sprechen, da er die Folter braucht; befehlt, daß die Pferde anziehen.«

Vom Zorne hingerissen erhob Heinrich die Hand.

Der Lieutenant Tranchon wiederholte dieses Zeichen.

Schon waren die Stricke wieder an die vier Glieder des Missethäters gebunden worden; vier Männer sprangen auf die vier Pferde; vier Peitschenhiebe erschollen, und die vier Rosse stürzten in entgegengesetzten Richtungen fort.

Eins furchtbares Krachen und ein entsetzlicher Schrei erhob sich zu gleicher Zeit vom Boden des Schaffots. Man sah, wie die Glieder des unglücklichen Salcède blau wurden, sich verlängerten und mit Blut unterliefen; sein Gesicht war nicht mehr das eines menschlichen Geschöpfes: es war die Maske eines Dämons.

»Ah! Verrath! Verrath!« schrie er. »Nun! ich werde sprechen, ich will sprechen, ich will Alles sagen. Ah! verfluchte Herzog…«

Seine Stimme übertönte das Gewieher der Pferde und den Lärmen der Menge; aber plötzlich erlosch sie.

»Haltet ein! haltet ein!« rief Catharina.«

Es war zu spät. Kurz zuvor noch durch den Schmerz und die Wuth starr, fiel der Kopf von Salcède plötzlich auf den Boden des Blutgerüstes.

»Laßt ihn sprechen,« rief die Königin Mutter. »Haltet ein, haltet doch ein!«

Das Auge von Salcède war übermäßig erweitert, starr, und blieb hartnäckig auf die Gruppe geheftet, wo der Page erschienen war. Tranchon folgte geschickt der Richtung.

Aber Salcède konnte nicht mehr sprechen, er war todt.

Tranchon gab leise seinen Bogenschützen einige Befehle und diese durchsuchten die Menge in der durch die verrathenden Blicke von Salcède bezeichneten Richtung.

»Ich bin entdeckt,« sagte der junge Page Ernauton ins Ohr, »habt Mitleid, helft mir, unterstützt mich, Herr, sie kommen! sie kommen!«

»Aber wer seid Ihr denn?«

»Eine Frau… rettet mich, beschützt mich!«

Ernauton erbleichte, aber der Edelmuth trug den Sieg über das Erstaunen und die Furcht davon.

Er stellte seine Schutzbefohlene vor sich, brach ihr Bahn durch gewaltige Streiche mit dem Knopfe seines Degens und trieb sie bis zur Ecke der Rue du Mouton, gegen eine offene Thüre.

Der junge Page stürzte darauf zu und verschwand in dieser Thüre, die ihn zu erwarten schien und sich hinter ihm schloß.

Er hatte nicht einmal Zeit gehabt, ihn nach seinem Namen zu fragen, nach wo er ihn wiederfinden würde.

Aber während er verschwand, machte ihm der Page, als hätte er seinen Gedanken errathen, ein Zeichen voll von Versprechungen.

Nunmehr frei, wandte sich Ernauton gegen den Mittelpunkt des Platzes um und umfaßte mit einem Blicke das Schaffot und die königliche Loge.

Salcède lag starr und bleifarbig auf dem Blutgerüste ausgestreckt.

Catharina stand leichenbleich und zitternd in der Loge.

»Mein Sohn,« sagte sie endlich, sich den Schweiß von der Stirne wischend, »Ihr würdet wohl daran thun, mit Eurem Scharfrichter zu wechseln. Dieser ist ein Liguist.«

»Woran seht Ihr es?«

»Schaut! Schaut!«

»Nun, ich schaue.«

»Salcède hat nur einen Zug erlitten, und er ist todt.«

»Weil er zu empfindlich für den Schmerz ist.«

»Nein, nein! entgegnete Catharina, mit einem Lächeln der Verachtung, das ihr die geringe Scharfsichtigkeit ihres Sohnes entriß, »nein, sondern weil er unter dem Schaffot mit einem feinen Strick in dem Augenblick erdroßelt worden ist, wo er diejenigen, welche ihn sterben ließen, anklagen wollte. Laßt den Leichnam durch einen gelehrten Doctor untersuchen, und ich bin sicher, Ihr findet um seinen Hals den Kreis, den der Strick daran zurückgelassen hat.«

»Ihr habt Recht,« sprach Heinrich, dessen Augen einen Moment funkelten, »mein Vetter von Guise ist besser bedient als ich.«

»Stille! Stille! mein Sohn, keinen Lärmen, man würde unserer spotten; denn die Partie ist diesmal wiederum verloren.«

»Joyeuse hat wohl daran gethan, sich anderwo zu belustigen,« sagte der König, »man kann auf nichts in dieser Welt zählen, nicht einmal auf die Hinrichtungen. Gehen wir, meine Damen, gehen wir.«

Sechsten Kapitel
Die beiden Joyeuse

Die Herren von Joyeuse hatten sich, wie wir gesehen, während dieser ganzen Scene durch die Hintergebäude des Stadthauses entfernt; sie ließen bei den Equipagen des Königs ihre Lackeien, welche mit ihren Pferden auf sie warteten, und gingen neben einander durch die Straßen dieses volkreichen Quartiers, welche an diesem Tage ganz verlassen waren, so sehr zog das Schauspiel auf der Grève die Bevölkerung an sich.

Sobald sie außen waren, wanderten sie Arm in Arm fort, aber ohne mit einander zu reden.

Kurz zuvor noch so freudig, war Henri ernst, in Gedanken versunken, beinahe düster.

Anne schien unruhig und gleichsam über das Stillschweigen seines Bruders verlegen.

Er war es auch, der zuerst dieses Stillschweigen brach.

»Nun, Henri,« fragte er, »wohin führst Du mich.

»Ich führe Dich nicht, ich gehe Dir voran, mein Bruder,« erwiederte Henri, als ob er plötzlich erwachte.

»Wünschest Du irgend wohin zu gehen, mein Bruder?«

»Und Du?«

Henri lächelte traurig.

»Oh! Ich,« sagte er, »mir ist es gleichviel, wohin ich gehe.«

»Du gehst doch diesen Abend irgendwohin,« entgegnete Anne, »denn jeden Abend gehst Du zu derselben Stunde aus, um erst ziemlich spät in den Nacht nach Hause zu kommen, und zuweilen kommst Du gar nicht nach Hause.«

»Willst Du mich ausfragen, mein Bruder?« sagte Henri mit einer reizenden Weichheit, gemischt mit einer gewissen Ehrfurcht vor seinem älteren Bruder.

»Ich Dich ausfragen? Gott behüte mich! Die Geheimnisse gehören denjenigen, welche sie bewahren.«

»Wenn Du es wünschest, habe ich keine Geheimnisse für Dich. Du weißt es wohl.«

»Du wirst keine Geheimnisse für mich haben, Henri?«

»Nie, mein Bruder; bist Du nicht zugleich mein Herr und mein Freund?«

»Verdammt! ich dachte, Du kümmerst Dich nicht um mich, der ich nur ein armer Laie bin; ich dachte, Du hättest unseren weisen Bruder, diesen Pfeiler der Gottesgelehrtheit, diese Leuchte der Religion, diesen gelehrten Architekten der Gewissensfälle des Hofes, der eines Tages Cardinal sein wird, ich dachte, Du vertrautest ihm, und fändest in ihm zugleich Beichte, Absolution und wer weiß… Rath; denn in unserer Familie,« fügte Anne lachend bei, »ist man zu Allem gut, Du weißt es, davon zeugt unser vielgeliebter Vater.«

Henri du Bouchage ergriff die Hand seines Bruders und drückte sie liebevoll.

»Du bist für mich mehr als Gewissensrath, mehr als Beichtiger, mehr als Vater, mein lieber Anne,« sagte er, »ich wiederhole, Du bist mein Freund.«

»So sprich, mein Freund, warum habe ich Dich, der Du so heiter warst, allmälig traurig werden sehen, und warum gehst Du, statt bei Tage auszugehen, jetzt nur noch bei Nacht aus?«

»Mein Bruder, ich bin nicht traurig,« erwiederte Henri lächelnd.

»Was bist Du denn?«

»Ich bin verliebt.«

»Gut, und dieses Versunkensein?«

»Kommt davon her, daß ich unablässig an meine Liebe denke.«

»Und Du seufzest, während Du mir das sagst?«

»Ja.«

»Du seufzest, Du, Henri, Graf du Bouchage, Du, der Bruder von Joyeuse, Du, den die schlimmen Zungen den dritten König von Frankreich nennen? Du weißt, Herr von Guise ist der zweite, wenn nicht gar der erste! Du, der Du reich, der Du schön bist, der Du Pair von Frankreich sein wirst, wie ich, und Herzog, wie ich, bei der ersten Gelegenheit, die ich finde, Du bist verliebt, nachdenkend und seufzest; Du, der Du: Hilariter3 zum Wahlspruch hast.«

»Mein lieber Anne, alle diese Gaben der Vergangenheit oder alle diese Verheißungen der Zukunft haben nicht für mich in der Reihe der Dinge gezählt, welche mein Glück machen sollten. Ich besitze keinen Ehrgeiz.«

»Das heißt, Du besitzest keinen mehr.«

»Oder ich strebe wenigstens nicht nach den Dingen, von denen Du sprichst.«

»In diesem Augenblick vielleicht; doch später wirst Du darauf zurückkommen.«

»Nie, mein Bruder, ich wünsche nichts, ich will nichts.«

»Und Du hast Unrecht, mein Bruder. Wenn man den Namen Joyeuse, einen der schönsten Namen Frankreichs, führt, wenn man einen Bruder hat, der der Günstling des Königs ist, so wünscht man Alles, so will man Alles, … und hat man Alles.«

 

Henri schüttelte schwermüthig sein blondes Haupt.

»Sprich, da wir nun allein und von aller Welt entfernt sind,« sagte Anne. »Der Teufel soll mich holen, wir sind über das Wasser gekommen, und befinden uns auf dem Pont de la Tournelle, ohne daß wir es bemerkt haben… Ich glaube nicht, daß in dieser Einöde, bei diesem scharfem kalten Nordost, in der Nähe dieses grünen Wassers irgend Jemand uns behorchen wird… Hast Du mir etwas Ernstes zu sagen, Henri?«

»Nichts, nichts, wenn nicht, daß ich verliebt bin, und das weißt Du schon, mein Bruder, da ich es Dir soeben gestanden habe.«

»Aber den Teufel! das ist nichts Ernstes,« erwiederte Anne, mit dem Fuße stampfend. »Beim Papst, ich bin auch verliebt!«

»Nicht wie ich, mein Bruder.«

»Ich denke auch zuweilen an meine Geliebte.«

»Ja, aber nicht immer.«

»Ich habe auch Widerwärtigkeiten, Kummer sogar.«

»Ja, Du hast aber auch Freuden, denn man liebt Dich.«

»Oh! ich stoße auch auf große Hindernisse; man verlangt von mir großes Geheimhalten.«

»Man verlangt? Du hast gesagte man verlangt, mein Bruder. Wenn Deine Geliebte verlangt, so gehört sie Dir.«

»Allerdings gehört sie mir… nämlich mir und Herrn von Mayenne; denn ein Vertrauter ist des andern werth, Henri, ich habe gerade die Geliebte von diesem Unzüchter von Mayenne, ein in mich vernarrtes Mädchen, das Mayenne auf der Stelle verlassen würde, wenn es nicht befürchtete, es könnte von ihm umgebracht werden. Du weißt, es ist seine Gewohnheit, die Frauen umzubringen. Dann hasse ich diese Guisen, und es belustigt mich auf Kosten von einem derselben zu belustigen. Nun wohl! ich sage es Dir, ich wiederhole es, ich habe zuweilen Widerwärtigkeiten, Zänkereien; doch ich werde deshalb nicht düster wie ein Karthäuser; ich mache keine trübe Augen. Ich fahre fort zu lachen, wenn nicht immer, doch wenigstens von Zeit zu Zeit. Nun, so sprich, wen liebst Du, Henri? Deine Geliebte ist doch wenigstens schön.«

»Ach! mein Bruder, es ist nicht meine Geliebte.«

»Ist sie schön?«

»Zu schön.«

»Ihr Name?«

»Ich Weiß ihn nicht.«

»Gehe doch!«

»Bei meinem Ehrenwort.«

»Mein Freund, ich fange an zu glauben, daß die Sache noch gefährlicher ist, als ich dachte… Das ist, beim Papst! keine Traurigkeit, sondern Tollheit!«

»Sie hat nur ein einziges Mal mit mir, oder vielmehr nur ein einziges Mal in meiner Gegenwart gesprochen, und seit dieser Zeit habe ich nicht einmal mehr den Ton ihrer Stimme gehört.«

»Und Du hast Dich nicht erkundigt?«

»Bei wem?«

»Wie! bei wem? bei den Nachbarn.«

»Sie bewohnt ein Haus für sich allein und Niemand kennt sie.«

»Das ist wohl ein Schatten?«

»Es ist eine Frau, groß und schön wie eine Nymphe, ernst und erhaben wie der Engel Gabriel.«

»Wie hast Du sie kennen lernen? wo hast Du sie getroffen?«

»Eines Tages verfolgte ich ein Mädchen, bei der Sackgasse der Gypecienne, ich trat in einen kleinen Garten, der an die Kirche stößt, dort ist eine Bank unter Bäumen. Bist Du je in diesen Garten gekommen, mein Bruder?«

»Nie! gleichviel, fahre fort, es ist dort eine Bank unter Bäumen… hernach?«

»Der Schatten fing an dichter zu werden, ich verlor das Mädchen aus dem Gesicht, und während ich es suchte, gelangte ich zu der Bank.«

»Immerzu, ich höre.«

»Ich erblickte im Halbdunkel ein Frauenkleid und streckte die Hände aus.

»Verzeiht, mein Herr,« sagte plötzlich die Stimme eines Mannes, den ich nicht bemerkt hatte, »»verzeiht.««

»Und die Hand dieses Mannes schob mich sachte, aber mit Festigkeit zurück.«

»Er wagte es, Dich zu berühren, Joyeuse?«

»Höre, dieser Mann hatte das Gesicht in einer Art von Kutte verborgen, ich hielt ihn für einen Mönch, dann machte er Eindruck auf mich durch den liebevollen und höflichen Ton seiner Warnung, denn während er zu mir sprach, bezeichnete er mit dem Finger auf zehn Schritte die Frau, deren weiße Kleidung mich nach dieser Seite gezogen hatte… Sie kniete vor der steinernen Bank, als ob es ein Altar wäre.

»Ich blieb stehen, mein Bruder, dieses Abenteuer begegnete mir am Anfang des September; die Luft war lau; die Rosen und die Veilchen, welche die Gläubigen auf den Gräbern des Geheges pflanzen, sandten mir ihre zarten Wohlgerüche zu; der Mond zerriß eine weißliche Wolke hinter dem Glockenthurme der Kirche und die Fenster fingen an, sich an ihrem First zu versilbern, während sie sich unten von dem Wiederscheine der angezündeten Kerzen vergoldeten. Mein Freund, war es die Majestät des Ortes, war es die persönliche Würde, diese knieende Frau glänzte für mich in der Finsterniß, wie eine Bildsäule von Marmor und als ob sie wirklich von Marmor gewesen wäre. Sie flößte mir eine gewisse Ehrfurcht ein, die mir kalt im Herzen machte.

»Ich schaute sie gierig an.

»Sie beugte sich auf die Bank, umfaßte sie mit ihren Armen, druckte ihre Lippen darauf, und bald sah ich ihre Schultern unter der Gewalt ihrer Seufzer und ihres Schluchzens wogen; nie hast Du solche Ausbrüche gehört, mein Bruder; nie hat ein scharfes Eisen so schmerzlich ein Herz zerrissen.

»Während sie weinte, küßte sie den Stein mit einer Trunkenheit, die mich von Sinnen brachte; ihre Thränen rührten mich, ihre Küsse machten mich verrückt.«

»Beim Papst! sie war verrückt,« sagte Joyeuse, »küßt man einen Stein so? schluchzt man so um nichts?«

»Oh! es war ein großer Schmerz, der sie schluchzen machte, oh! es war eine tiefe Liebe, der sie diesen Stein zu küssen bewog; aber wen liebte sie? wen beweinte sie? Für wen betete sie? Ich weiß es nicht.«

»Doch dieser Mann, hast Du ihn nicht befragt?«

»Gewiß.«

»Und was hat er geantwortet?«

»Sie habe ihren Gatten verloren.«

»Beweint man auf diese Art einen Gatten? Das ist bei Gott! eine schöne Antwort; und Du hast Dich damit begnügt?«

»Ich mußte wohl, da er mir keine andere geben wollte.«

»Aber dieser Mann selbst, wer ist er?«

»Eine Art von Diener, der bei ihr wohnt.«

»Sein Name?«

»Er weigerte sich, ihn mir zu sagen.«

»Jung? Alt?«

»Er mag acht und zwanzig bis dreißig Jahre alt sein.«

»Und was geschah hernach?… Sie hat wohl nicht die ganze Nacht fort geweint und gebetet?«

»Nein. Als sie zu weinen aufgehört, nämlich als sie ihre Thränen erschöpft und ihre Lippen auf dem Stein abgenutzt hatte, stand sie auf, mein Bruder; es lag in dieser Frau eine so geheimnißvolle Traurigkeit, daß ich, statt auf sie zuzugehen, wie ich es bei jeder andern Frau gethan hätte, zurückwich; sie schritt sodann auf mich, oder vielmehr auf die Stelle zu, wo ich stand, denn sie sah mich nicht einmal; da traf ein Mondstrahl ihr Antlitz und dieses erschien mir erleuchtet, schimmernd: sie hatte ihren düsteren Ernst wieder angenommen: kein Zusammenziehen des Gesichts, kein Beben, keine Thränen mehr, nur noch noch die feuchte Furche, die sie gezogen. Ihre Augen allein glänzten noch. Ihr Mund öffnete sich sanft, um das Leben einzuathmen, das einen Augenblick sie zu verlassen bereit zu sein geschienen hatte; sie machte ein paar Schritte mit einer gewissen weichen Mattigkeit und denjenigen ähnlich, welche im Traume wandeln; der Mann lief auf sie zu und führte sie; denn sie schien vergessen zu haben, daß sie auf der Erde ging. Oh! mein Bruder, welch eine Schönheit, welche übermenschliche Macht! Ich habe nie etwas gesehen, was ihr aus Erden gliche, und nur zuweilen in meinen Träumen, wenn sich der Himmel öffnete, waren dieser Wirklichkeit ähnliche Visionen herabgestiegen.«

»Hernach, hernach?« fragte Anne, der unwillkührlich, ein Interesse an dieser Erzählung nahm, über die er Anfangs zu spotten beabsichtigt hatte.

»Oh! nun bin ich bald zu Ende, mein Bruder; ihr Diener sagte ein paar Worte leise zu ihr, und sie ließ ihren Schleier nieder; ohne Zweifel sagte er ihr, ich wäre da: aber sie schaute nicht einmal auf meine Seite, sie senkte nur ihren Schleier, und ich sah sie nicht mehr; es kam mir vor, als hätte sich der Himmel verdüstert und als wäre es kein lebendiges Geschöpf mehr, sondern ein diesen Gräbern entstiegener Schatten, der durch das hohe Gras schweigend vor mir hinschlupfte.

»Sie verließ das Gehege: ich folgte ihr.

»Von Zeit zu Zeit wandte sich der Mann um und er konnte mich sehen, denn ganz verwirrt und betäubt, wie ich war, verbarg ich mich nicht; was willst Du? ich hatte noch die alten gemeinen Gewohnheiten im Kopfe, den alten rohen Sauerteig im Herzen.«

»Was willst Du damit sagen, Henri?« fragte Anne. »Ich verstehe Dich nicht.«

Der junge Mann antwortete lächelnd:

»Ich will damit sagen, daß meine Jugend geräuschvoll war, daß ich oft zu lieben glaubte, und daß alle Frauen für mich bis zu jenem Augenblick Frauen waren, denen ich meine Liebe anbieten konnte.«

»Oh! Oh! was ist das?« rief Joyeuse, der, unwillkührlich etwas beunruhigt durch das Geständniß seines Bruders, seine Heiterkeit wieder zu erlangen suchte. »Nimm Dich in Acht, Henri, Du schweifst aus, es ist also keine Frau von Fleisch und Knochen?«

3Hilariter, joyeusement, freudig.