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Die Flucht nach Varennes

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VI

Diese Straße, auf welcher die Flüchtlinge in so angstvoller Spannung der Grenze zueilten, machte ich Jahre später zum Gegenstande eines aufmerksamen Studiums, um jede von ihnen etwa hinterlassene Spur aufzufinden.

In Châlons miethete ich für zehn Franken täglich einen kleinen Wagen auf unbestimmte Zeit; wenn ich den Kutscher und das Pferd fütterte, konnte ich das Fuhrwerk so lange behalten als ich wollte.

Die erste von der Geschichte erwähnte Spur findet sich zu Pont-Somme-Vesle, ich glaubte daher, daß sich bis dahin nichts Bemerkenswerthes finden werde.

Plötzlich wurde in den weiten, langweiligen Ebenen der Champagne meine Aufmerksamkeit durch ein wunderbar schönes Kirchlein gefesselt. Ich bin nicht der Erste, den dieses reizende Bauwerk überrascht hat. Vor siebzehn Jahren machte ein Freund von mir, ein Dichter, dieselbe Reise; er stieg, wie ich, aus dem Wagen und schrieb über Notre-Dame de l’Epine Folgendes:

»Zwei Lieues von Châlons, an der nach St. Ménehould führenden Straße, an einem Orte, wo man nur von unabsehbaren Stoppelfeldern und von den bestaubten Bäumen der Landstraße umgeben ist, wird man plötzlich durch die alte Abtei Notre-Dame de l’Epine überrascht. Der schöne schlanke Thurm, offenbar aus dem fünfzehnten Jahrhundert stammend, ist von zierlicher, durchbrochener Arbeit; erblickt, wie eine vornehme Dame, mit Verachtung auf den nahen Telegraphen. Es ist eine seltsame Ueberraschung, auf den öden Feldern, wo kaum einige Klatschrosen blühen, diese Prachtblume gothischer Baukunst zu erblicken. Ich verweilte zwei Stunden in dieser Kirche, und machte, trotz Wind und Staub, unzählige Male die Runde, um zu sehen und zu bewundern … In der Nähe stehen höchstens drei oder vier elende Hütten und man würde sich diese Cathedrale ohne Stadt nicht zu erklären wissen, wenn man nicht in einer Seitencapelle einen sehr tiefen wunderthätigen Brunnen fände. Der herrliche Bau hat sich hoch über diese Quelle erhoben, der Brunnen hat diese Kirche hervorgebracht, wie die Zwiebel eine Tulpe hervorbringt.[Victor Hugo.]«

Ich erkundigte mich nach dem Brunnen, ich wollte wissen, ob dem Brunnen oder Notre-Dame de l’Epine die Ehre dieses Meisterwerkes der Baukunst gebühre. Ein kleines Buch, welches mit Ermächtigung des Bischofs von Châlons über diesen Gegenstand gedruckt wurde, läßt darüber keinen Zweifel, es ist Notre-Dame de l’quot;Epine.

Unweit dieser Kirche kommt man über eine Brücke. Der Bach, über welchen sie führt, ist die Vesle, welche in der Nähe entspringt.

Ich hielt zu Pont-Somme-Vesle an. Das Posthaus ist noch vorhanden, es ist dasselbe, in welches der Herzog von Choiseul den armen Léonard führte. Unweit dieses Posthauses sagte die Königin, als sie die Husaren nicht auf ihrem Posten sah: »Wir sind verloren!«

Wir haben gesagt, wie die Husaren gezwungen worden waren, sich zurückzuziehen, und aus welcher Ursache sie einen Seitenweg eingeschlagen hatten.

Die Ursache der Aufregung, welche in St. Ménehould herrschte, war folgende: Am 20. Juni um 11. Uhr Morgens war das Detachement Husaren, welches der Lieutenant Bondet befehligte, plötzlich in der Stadt erschienen und hatte sich vor dem Rathhause aufgestellt. Das Erscheinen der Soldaten verursachte eine gewisse Ueberraschung; damals fiel die Einquartierung den Städten zur Last, und der Bürgermeister wurde sonst immer ein paar Tage früher von einem Durchmarsch benachrichtigt. Der Bürgermeister von St. Ménehould hatte aber keine Nachricht erhalten; er ließ daher Herrn von Goguelat fragen, ob er in der Stadt verweilen werde, und wie es zugehe, daß man von dem Durchmarsch der Husaren keine Nachricht erhalten.

Goguelat antwortete, er habe Befehl sich nach Pont-Somme-Vesle zu begeben, und daselbst die Ankunft einer Casse, welche er escortiren sollte, zu erwarten. Um die Verpflegung seiner Leute habe man sich nicht zu kümmern, sie würden in den Wirthshäusern alles bezahlen, was sie verzehrten.

Goguelat meldete überdies, daß am folgenden Tage ein Dragonerregiment ankommen und dieselbe Casse in Châlons erwarten werde, so wie er Befehl habe, dieselbe zu Pont-Somme-Vesle zu erwarten. Dieses Detachement, welches sich höchstens vierundzwanzig Stunden aufhalten werde, könne man in der Hauptwache unweit des Rathhauses unterbringen.

Goguelat hatte den Vortheil dieser Localität auf den ersten Blick erkannt; er hatte gesehen, daß die Hauptwache kaum hundert Schritte von dem damaligen Posthause entfernt war.

Diese Antworten, welche in einer andern Zeit mehr als hinreichend gewesen wären, jeden Argwohn zu beschwichtigen, verdoppelten nur die Aufregung. Die Stadt war die ganze Nacht in Bewegung, und als die Husaren am andern Morgen um sieben Uhr abmarschirten, nahmen die Einwohner eine so drohende Haltung an, daß Goguelat einen Umweg machte, um St. Ménehould nicht zum zweiten Male zu berühren.

Kaum hatten die Husaren die Stadt im Rücken, so kamen die Dragoner auf der Straße von Clermont.

Auf die Fragen des Stadtrathes antwortete der Commandant d’Andouin in ähnlicher Weise wie Goguelat. Die Hauptwache wurde den Truppen zur Verfügung gestellt.

Gegen Mittag begab sich der Commandant der Dragoner mit seinem Lieutenant zu Fuß auf die Landstraße, welche man in der Richtung von Châlons beinahe zwei Meilen übersehen kann.

Es war auf der Landstraße nichts zu sehen und die beiden Offiziere gingen in die Stadt zurück.

Zwei Stunden nachher machten sie denselben Weg, aber ohne etwas zu sehen.

Dieses öftere Kommen und Gehen erregte die Aufmerksamkeit der schon unruhigen Bewohner. Man bemerkte, daß die beiden Offiziere sehr verdrießlich und sorgenvoll aussahen. Auf die Fragen, welche man deshalb an sie richtete, antworteten sie, daß die erwartete Casse zu lange ausbleibe, und daß diese Verzögerung die Ursache ihrer Verstimmung sey.

Gegen sieben Uhr Abends kam ein Courier und bestellte Postpferde für zwei Reisewagen.

Der Postmeister war Jean Baptist Drouet.[Thiers sagt unrichtig und ich habe es ihm nacherzählt Jean Baptist Drouet sey der Sohn des Postmeisters gewesen; er war nicht der Sohn, sondern der Postmeister selbst. Der Vater war längst todt.]

Der Courier war Herr von Valory. D’Andouin trat auf ihn zu und fragte leise:

»Nicht wahr, der Wagen des Königs wird Ihnen bald folgen?«

»Ja,« antwortete der Courier, »und es wundert mich sehr, Sie und Ihre Leute in Lagermützen zu sehen.

»Wir wissen die Zeit der Ankunft nicht genau.« erwiederte der Offizier; überdies macht unsere Anwesenheit Aufsehen; die Einwohner nehmen eine sehr drohende Haltung an und suchen meine Leute zu verführen.«

»Still!« sagte Valory, »man belauscht uns. Gehen Sie wieder zu Ihren Leuten und suchen Sie Ruhe und Ordnung zu erhalten.«

Valory und d’Andouin trennten sich.

Bald darauf erschienen die beiden Reisewagen und hielten vor dem Posthause an. Die Neugierigen strömten herbei. Ein Zuschauer fragte Herrn von Malden, welcher vom Bocke stieg:

»Wer sind die Reisendem welche so viel Dienerschaft bei sich haben?«

»Die Baronin von Korff,« antwortete Malden.

»Schon wieder Auswanderer, welche das Geld aus dem Lande schleppen,« murrte der Zuschauer.

»Nein,« entgegnete Malden, »die Dame ist eine Russin und folglich eine Fremde.«

Unterdessen trat d’Andouin, die Mütze in der Hand haltend, an den Wagen.

»Herr Commandant,« fragte der König, »wie kommt es, daß ich zu Pont-Somme-Vesle Niemanden gefunden habe?«

»Ich selbst wundere mich,« antwortete d’Andouin, »daß Sie ohne Escorte,ankommen.«

Ein Dragoner-Commandant, der mit einem Kammerdiener oder Intendanten in so ehrfurchtsvoller Weise spricht, muß natürlich Erstaunen und Verdacht erregen. Der König gab sich überdies gar keine Mühe sich zu verbergen.

Der Notar Mathieu, ein vierundachtzigjähriger Greis, erzählte mir, er habe mit seinen Eltern und dem Postexpeditor (welcher nicht mit dem Postmeister zu verwechseln ist) auf der Straße gestanden und der Postexpeditor habe den König erkannt, jedoch ohne es merken zu lassen.

Auch Drouet glaubte ihn zu erkennen. Er war vormal Dragoner im Leibregiment der Königin, und Abgeordneter beim Verbrüderungsfest gewesen, er hatte daher Gelegenheit gehabt den König zu sehen.

Als er eben an den Wagen trat, suchte einer der Couriere den Postmeister, um die Pferde zu bezahlen. Drouet empfing das Geld in Assignaten.

Unter den Assignaten befand sich eines, welches mit dem Porträt des Königs gestempelt war. Drouet nahm das Assignat, verglich das Porträt mit dem Original und war überzeugt, daß der angebliche Intendant der Baronin von Korff kein anderer als der König sey. «

In demselben Augenblicke näherte sich ein Municipalbeamter Namens Farey.

VII

Es waren zu St. Ménehould viele noch unbekannte Nachrichten zu sammeln, ich beschloß daher mich längere Zeit aufzuhalten.

Mein Kutscher fragte mich, wo ich einzukehren wünschte. Ich antwortete ohne Zögern: »Im Hotel de Metz, von welchem ich in einem Reisehandbuch eine sehr anziehende Schilderung gelesen hatte.

»St. Ménehould ist ein recht hübsches Städtchen, welches malerisch am Abhange eines grünen Hügels liegt. Die größte Merkwürdigkeit. welche ich daselbst gesehen habe, ist die Küche im Hotel de Metz.

»Es ist dies eine wirkliche Küche: ein sehr großer Raum. Die eine Wand ist ganz mit blankem, kupfernen Geschirr, die andere mit Porzellan bedeckt. In der Mitte ist der Herd mit dem lodernden Feuer und dem gewaltigen Rauchfange. An den geschwärzten Balken hängen allerlei appetitliche Dinge: Würste, Schinken. Speckseiten. Auf dem Herde knarrt der Bratenwender, von einem Dutzend Töpfen und Casserollen in den verschiedensten Formen und Größen umgeben.

»Wenn ich Homer oder Rabelais ware, so würde ich sagen: Diese Küche ist eine Welt, und der Herd ist die Sonne. Es ist wirklich eine kleine Welt, in welcher sich alles bewegt, eine Republik von Menschen und Thieren, von Kellnern, Mägden, Küchenjungen, von brodelnden Töpfen, zischenden Bratpfannen – und die Seele des Ganzen ist die rührige Hausfrau. Mens agitat molem.

 

»In einer Ecke steht eine große Wanduhr mit Gewichten, welche allen diesen thätigen Leuten die Stunde anzeigt.

»Als ich Abends ankam, wurde meine Aufmerksamkeit vor allem durch einen Käfig, in welchem ein kleiner Vogel schlummerte, gefesselt. Dieser kleine Vogel schien mir das schönste Sinnbild des Vertrauens; trotz dem beständigen Lärm und Getümmel, welches in dieser Küche herrscht, schläft der Vogel ganz ruhig. Die Männer mögen fluchen, die Weiber zanken, die Kinder schreien, die Hunde hellen, die Katzen miauen, die Uhr schlagen, das Vögelein kümmert sich nicht darum.«

Wer hätte dieser anziehenden Schilderung Viktor Hugo’s widerstehen können? – »Ich erkläre,« fährt Hugo fort, »daß man von den Gasthöfen gemeiniglich viel zu schlecht spricht, ich selbst habe zuweilen gar zu hart geurtheilt. Ein Gasthof ist im Ganzen ein Gegenstand, der gar nicht zu verachten; man freut sich, wenn man da ist. Ueberdies habe ich bemerkt, daß in den meisten Gasthöfen eine liebenswürdige, freundliche Wirthin ist. Den Wirth überlasse ich den mit dem Spleen behafteten Reisenden; der Wirth ist ein langweiliger Mensch, die Wirthin hingegen ist artig und zuvorkommend. Die arme Frau ist zuweilen alt, zuweilen kränklich, zuweilen sehr umfangreich, aber trotzdem geht sie ab und zu, ordnet alles an, hat ein Augenmerk auf die geringsten Kleinigkeiten, treibt die Mägde an, schneuzt die Kinder, jagt die Hunde fort, bewillkommt die Reisenden, wirft dem Einen einen freundlichen Blick zu, zankt mit dem Andern. wirft einen Blick in den Bratofen, trägt einen Nachtsack, empfängt einen Fremden, wünscht einem Andern glückliche Reise – kurz sie ist die Seele des großen Leibes, welchen man den Gasthof nennt. Der Wirth versteht nur mit den Fuhrleuten zu trinken.«

Sobald ich ausgestiegen war, trat ich in die Küche. Alles war an seinem Platz, das Kupfergeschirr, das Porzellan, die Wanduhr, die Schinken und Würste, die Töpfe und Casserolle, – alles, ausgenommen der kleine Vogel, der an Altersschwäche gestorben war.

Die Wirthin lächelte, als sie bemerkte, daß ich ihre Küche so sorgfältig musterte.

»Ich sehe wohl,« sagte sie, »daß Sie gelesen haben was Herr Viktor Hugo über uns geschrieben hat. Er hat uns mit wenigen Zeilen viel Gutes gethan. Gott segne ihn!«

Möge dieser Segenswunsch seinen Weg über das Meer finden und den Verbannten wie sein Gruß aus dem Vaterlande erquicken!

Sobald ich meinen Namen nannte, war ich unter alten Bekannten. Ich nannte den Zweck meiner Reise. Man führte mich zum Herrn Mathieu. Ich fand einen rüstigen Greis von vierundachtzig Jahren, der mich sehr herzlich und zuvorkommend empfing, seinen Hut und Stock nahm und sich erbot mein Cicerone zu seyn.

Er kam meinen Wünschen zuvor. Seiner Gefälligkeit verdanke ich die meisten Schriftstücke, welche ich gesammelt und seinem Gedächtniß eine Menge von Erinnerungen, von denen ich schon einige benutzt habe, die übrigen aber seiner Zeit verwenden werde. – Besonders schätzbar waren mir seine Mittheilungen über Dampiere.

Herr Mathieu war achtzehn oder neunzehn Jahre alt als die Ereignisse, welche wir erzählen, stattfanden; er erinnerte sich also der geringsten Einzelheiten. Er war da, als die beiden Reisewagen ankamen und abfuhren. Er war da, als der Dragoner-Unteroffizier einen Pistolenschuß abfeuerte. Er sah Drouet und Guillaume den König verfolgen. Er leistete den Verwundeten Hilfe, als die Bürger, welche auf die Dragoner zu schießen glaubten, auf ihre Mitbürger schossen.

Endlich klärte er einen Punkt auf, welcher bis dahin bei allen Geschichtschreibern für mich dunkel geblieben war. Es heißt nemlich: gegen elf Uhr Abends kam Guillaume nach Varennes, wo ihn Drouet um halb zwölf einholte.«

Wie kam es, daß Drouet, welcher ein weit besseres Pferd ritt, als Guillaume, eine halbe Stunde später als dieser in Varennes eintraf? Dies werden wir sehen, wenn wir den beiden Reisewagen folgen.«

Sie waren im Galopp auf der Straße nach Clermont davongefahren. Der Graf von Damas befand sich, wie schon erwähnt, in Clermont.

Gegen acht Uhr kam ein Courier von Choiseul zu ihm. Dieser Courier war der arme Léonard und sein Cabriolet. Er meldete dem Grafen von Damas, daß er Pont-Somme-Vesle um halb fünf Uhr verlassen und noch keinen Courier gesehen habe.

Leonard erzählte ihm übrigens, in welcher Gefahr sich Goguelat und die vierzig Husaren befanden.

Der Graf von Damas war in nicht geringer Gefahr: die Aufregung war überall gleich, das Erscheinen seiner Soldaten hatte Unzufriedenheit erregt, die Stunde des Zapfenstreichs rückte heran, und er sah wohl ein, daß es schwer seyn würde, die Leute die ganze Nacht unter den Waffen, die Pferde gesattelt zu lassen, denn die Haltung der Einwohner wurde immer drohender.

Inzwischen hörte man in der Ferne das Rasseln der Reisewagen und die Peitschen der Postillone.

Der Graf von Bouillé hatte den Befehl gegeben, eine halbe Stunde nach der Durchfahrt der Reisewagen aufzusitzen und über Varennes nach Montmédy zu marschieren

Der Graf von Damas eilte an den Wagen, theilte dem Könige die Befehle des Grafen von Bouillé mit und fragte ihn, was er zu thun habe.

»Lassen Sie die Wagen durch, ohne Notiz davon zunehmen,« antwortete der König, »und folgen Sie mit Ihren Dragonern.«

Unterdessen entstand unglaublicher Weise ein Wortwechsel zwischen dem Postmeister und der Person, welche die Postillone zu bezahlen hatte. Von St. Ménehould nach Varennes ist eine doppelte Poststation, man will nur für eine einfache Station bezahlen; zehn Minuten vergehen unter diesem Wortwechsel, welcher das Mißfallen der Umstehenden erregt.

Endlich fahren die Wagen ab. Als sie kaum eine halbe Stunde entfernt sind, kommt Drouet in vollem Galopp. Oberhalb Islettes hat er sich von Guillaume getrennt. Guillaume hat einen näheren Weg durch den Wald genommen, er gewinnt dadurch mehr als eine halbe Stunde. Drouet soll auf der Landstraße bleiben und wo möglich früher als der König in Clermont ankommen, und wenn ihm dies nicht gelingt, kann er wenigstens vor dem Könige in Varennes eintreffen. Guillaume wird auf jeden Fall früher nach Varennes kommen als der König.

Drouet kommt nicht früh genug an, um die Weiterreise des Königs zu verhindern, aber er kommt früh genug, um den Grafen von Damas und dessen Dragoner aufzuhalten. Die Dragoner sind zu Pferde; Damas befiehlt ihnen vier Mann hoch und mit gezogenem Säbel abzumarschiren Die Soldaten bleiben unbeweglich und stecken ihre Säbel in die Scheide.

In diesem Augenblicke erscheinen die Municipalbeamten und fordern den Grafen von Damas auf, seine Leute in die Caserne zu schicken, da der Zapfenstreich längst vorüber sey.

Inzwischen hat Drouet ein frisches Pferd bestiegen und reitet im Galopp davon. Der Graf von Damas, der noch nicht alle Hoffnung, seine Leute fortzubringen, aufgegeben hat, ahnt wohl, in welcher Absicht Drouet fort reitet. Er ruft einen Dragoner, auf dessen Treue er zählen kann, und befiehlt ihm, Drouet zu verfolgen und anzuhalten, ja ihn nöthigenfalls niederzuschießen, wenn er sich zur Wehr setze.

Der Dragoner hieß Lagache; er ritt sogleich fort, um Drouet zu verfolgen.

Kein Geschichtschreiber außer Gustav Lewaire nennt den Soldaten, alle behaupten, er sey von St. Ménehould fortgeritten, was gar nicht wahrscheinlich ist. Drouet verließ St. Ménehould mit Guillaume und zwei andern Freunden. Drouet und Guillaume ritten Sattelpferde, die übrigen nur gewöhnliche Ackerpferde. Es ist nicht wahrscheinlich, daß ein einziger, wenn auch wohl bewaffneter Dragoner vier Leute verfolgte. Mathieu erinnert sich nicht, einen andern Dragoner fortreiten gesehen zu haben, als den Unteroffizier, welcher beim Fortreiten einen Pistolenschuß abfeuerte und den der Mann mit dem Dreschflegel vergebens aufzuhalten suchte. Ueberdies leistet d’Andouin keinen Widerstand; Damas hingegen wehrt sich verzweifelt; seine Dragoner weigern sich den Säbel zu ziehen und ihm zu folgen, während der Gemeinderath ihn auffordert, sich mit seinen Leuten in die Caserne zurückzuziehen Er redet sie an, bittet, beschwört sie, sucht sie durch Drohungen zu bewegen, und endlich, als er keine Hoffnung hat, gibt er seinem Pferde die Spornen und sprengt mitten durch die drohende Menge, indem er seinen Soldaten noch einmal zuruft, ihm zu folgen.

Nur drei Dragoner folgten dieser Aufforderung und ritten mit dem Grafen von Damas im Galopp fort.

Drouet hat einen Vorsprung von drei Viertelstunden, aber er wird von einem muthigen, gut berittenen Manne verfolgt.

Eine Stunde von Clermont theilt sich der Weg; eine Straße führt nach Verdun, die andere nach Varennes. Es ist nicht wahrscheinlich, daß der König den Weg über Varennes nehme, weil daselbst keine Post ist. Ueberdies wird Guillaume nach Varennes kommen. Er nimmt also den Weg nach Verdun.

Kaum ist er zweihundert Schritte auf dieser Straße fortgeritten, so begegnet ihm ein von Clermont zurückkommender Postillon.

»Hast Du zwei Reisewagen gesehen, von denen einer mit sechs Pferden bespannt ist?« fragte ihn Drouet.

»Nein,« antwortet der Postillon. «

Der König hat also den Weg über Varennes genommen. Drouet setzt über den Graben und reitet querfeldein, um die Straße nach Varennes zu erreichen.

Diesem Irrthume hatte er höchst wahrscheinlich seine Rettung zu verdanken. Der Dragoner Lagache, welcher weiß, daß der König den Weg über Varennes nimmt, sieht Drouet auf der Straße nach Verdun fortreiten und hält es nicht für angemessen, ihn weiter zu verfolgen.

Unterdessen fuhr der König weiter, ohne zu ahnen, was hinter ihm vorging; er glaubte zu Varennes frische Pferde und die Husaren Choiseul’s zu finden.

VIII

Der König sollte zu Varennes frische Pferde finden. Da sich in dem Städtchen keine Post befand, so hatte Choiseul seine Pferde hingeschickt. Außerdem sollten die übrigen sechzig Hudaren zu Pferde warten und sich bereit halten den König zu escortiren.

Die Pferde waren am 20., die Husaren am 21. angekommen. Auch hier wurde das Gerücht verbreitet, die Husaren sollten eine große Geldsendung escortiren.

Damit den Lesern nichts entgehe und in der folgenden Erzählung unverständlich bleibe, bitten wir sie der Beschreibung des Städtchens einige Aufmerksamkeit zu widmen.

Varennes besteht aus der obern und der untern Stadt. Die obere Stadt nennt man gemeiniglich die »Burg«. Wenn man in das Thor kommt, führt die Hauptstraße auf den nicht sehr großen Marktplatz, welcher vormals ein Friedhof gewesen war. Im Juni 1791 stand auf diesem Platze noch eine Kirche. Die Reisenden wären genöthigt gewesen den Weg um die Kirche zu machen, wenn nicht unter der Kirche ein gewölbter Weg gewesen wäre, welcher einem nicht zu hohen Wagen die Durchfahrt gestatte.

Am Ende dieser Straße befand sich rechts der Gasthof zum »goldenen Arm« und links das Haus des Gemeindeprocurators Sauce, welches jetzt mit 287 bezeichnet ist. Der Gasthof ist jetzt ein steinernes Haus Nr. 343. Weiterhin wird die Straße abschüssig und theilt sich in drei Gassen.

Die Aisne fließt durch die Stadt. Eine schmale Brücke verband die obere Stadt mit der unteren. Sobald man die Brücke überschritten hat, und an dem Gasthofe zum »Grand Monarque« vorübergekommen ist, betritt man den Hauptplatz, auf welchem die Pfarrkirche steht. Eine große breite Straße führt zur Stadt hinaus. Dreihundert Schritte außerhalb der Stadt theilt sich die Straße; die eine führt nach Stenay.

Das verhängnißvolle Ereigniß wird sich in der oberen Stadt zutragen. Der König kommt nur bis zum Hause des Gemeindeprocurators Sauce. Die Verhaftung findet nicht vor dem Gasthofe zum »Grand Monarque-, sondern vor dem Gasthofe zum »goldenen Arm« statt [Thiers, Lamartine und andere Geschichtschreiber erzählen das Ereigniß ganz unrichtig.].

Der Reisewagen des Königs war zu hoch, um unter der Kirche in der oberen Stadt hindurch zu fahren, die beiden Leibgardisten, welche auf dem Bocke saßen, würden sich an dem Gewölbe den Kopf zerschmettert haben. Wie für alle Thatsachen, welche ich erzählen werde, habe ich auch hierfür einen Augenzeugen, Herrn Bellahy.

Die Husaren waren, wie schon erwähnt, am 21. angekommen. Bei der Ankunft der frischen Pferde hatte die Gemeindeverwaltung Verdacht geschöpft, und dieser Verdacht wurde bei der Ankunft der Husaren noch größer. Man wies ihnen das vormalige Franciscanerkloster jenseits der Brücke zum Quartier an. Der Commandant Rodivel, ein junger Offizier von achtzehn Jahren, wurde bei einem Bürger desselben Stadttheiles einquartirt. Die frischen Pferde wurden nicht diesseits sondern jenseits der Stadt auf einem Meierhofe bereit gehalten.

 

Am 21. Morgens schickte der Graf von Bouillé seinen Sohn und einen andern Offizier nach Varennes mit dem Befehle, die frischen Pferde an einer bezeichneten Stelle diesseits der Stadt aufzustellen. Sie kamen nach Varennes und fanden die Stadt in großer Aufregung, sie wagten daher vor der Ankunft des Couriers keine Bewegung zu machen. Der Courier sollte zwei Stunden vor dem Wagen des Königs eintreffen, sie würden daher Zeit genug haben.

Wir haben erzählt, wie es kam, daß der Courier nicht vorauseilte, sondern neben dem Wagen ritt. In der Nähe von Varennes galoppirte der Courier voraus.

In den ersten Häusern der Stadt waren keine Pferde. Ueberall herrschte tiefe Finsterniß, denn es war halb zwölf Uhr Abends.

Valory war in der Stadt nicht bekannt. Er selbst hat Alles, was sich zutrug, ausführlich erzählt.

Er ruft, aber Niemand antwortet. Er klopft an mehre Hausthüren. Einige geben ihm gar keine Antwort, Andere wissen nicht was er meint.

Was war zu thun? Er mußte warten, um die Befehle des Königs einzuholen. Er hört schon das Rasseln der beiden Reisewagen.

Als die beiden Wagen erschienen, hat die Ermüdung über die Unruhe den Sieg davon getragen: alle Reisenden sind eingeschlafen.

Auf den Befehl Valory’s halten die Wagen. Der König und die Königin schauen hinaus.

»Ist der Vorspann da?« fragte der König.

»Nein, Sire,« antwortete Valory, »und seit mehr als zwei Minuten rufe und suche ich vergebens.«

»Wir wollen aussteigen,« sagte der König, »und Erkundigungen einziehen.«

Der König wollte den Wagen verlassen; die Königin hielt ihn zurück, stieg aus und nahm den Arm Valory’s.

Eine Hausthür that sich auf, und ein Licht warf seine Strahlen auf die Straße. Die Königin und Valory gehen auf das Licht zu, aber als sie sich nähern, wird die Thür wieder geschlossen. Valory eilt voraus und reißt die Thür auf.

Er erblickt einen etwa fünfzigjährigen Mann im Schlafrocke und Pantoffeln.

»Was wollen Sie, mein Herr?« fragte der Mann den Fremden, »und warum reißen Sie meine Hausthür auf?«

»Wir sind in Varennes unbekannt,« antwortete der Leibgardist; »wir reisen nach Stenay. Wollen Sie so gütig seyn, uns den Weg zu zeigen?«

»Und wenn ich Ihnen diesen Dienst erweise,« erwiderte der Unbekannte, »wer bürgt mir für die Folgen?«

»Sie werden doch einer Dame, welche sich in einer gefährlichen Lage befindet, diesen Dienst nicht versagen?«

»Diese Dame,« antwortete der Unbekannte, welcher sich durch seine Sprache und sein Benehmen als einen Mann von Stande zu erkennen gab, »diese Dame ist die Königin.«

Valory wollte läugnen, aber die Königin zog ihn zurück.

»Wir wollen die Zeit nicht mit unnützen Reden verlieren,« sagte sie; »wir wollen nur den König benachrichtigen, daß ich erkannt bin.«

Valory eilt an den Wagen und erzählt dem Könige in kurzen Worten was vorgegangen ist.

»Ersuchen Sie den Mann zu mir zu kommen,« sagte der König.

Der Mann gehorchte und kam an den Wagen, aber nicht ohne große Unruhe zu verrathen.

»Wie heißen Sie?« fragte der König.

»De Préfontaine, Sire,« antwortete der Mann zögernd.

»Wer sind Sie?«

»Ich bin Major und Ritter des Ludwigordens.«

»Ja Ihrer doppelten Eigenschaft als Major und Ritter des Ludwigordens haben Sie mir zweimal den Eid der Treue geleistet,« sagte der König, »es ist daher Ihre Pflicht, mir in meiner Verlegenheit zu helfen.«

Der Major stammelte einige Worte, die Königin stampfte ungeduldig mit dem Fuße.

»Sie werden gehört haben,« fuhr der König fort, »daß eine Geldsendung, welche durch Varennes kommen soll, von Husaren und frischen Pferden erwartet wird.«

»Ja, Sire.«

»Wo sind die Husaren, wo sind die Pferde?«

»In der untern Stadt: die Husaren in der Caserne und die Pferde im Gasthofe zum Grand Monarque.

»Ich danke Ihnen,« sagte der König; »jetzt können Sie wieder hineingehen, Niemand hat Sie gesehen und gehört, es wird Ihnen daher nichts geschehen.«

Der Major benutzte die Erlaubniß und ging ins Haus

Niemand wußte um diese Unterredung, welche gar nicht bekannt geworden wäre, wenn sie Valory nicht ausführlich erzählt hätte.

»Meine Herren,« sagte der König zu Malden und de Moustier, indem er zugleich der Königin die Hand reichte, um ihr wieder in den Wagen zu helfen, »nehmen Sie Ihre Plätze wieder ein, Herr von Valory, setzen Sie sich zu Pferde. Wir fahren zum Grand Monarque.«

Aber in diesem Augenblicke erschien eine phantastische Gestalt vor den Reisenden. Ein mit Staub bedeckter Reiter, dessen Pferd vor Schaum triefte, ritt schräg über die Landstraße, hielt still und rief mit starker und gebietender Stimme:

»Postillone, haltet an im Namen der Nation, Ihr führet den König.«

Die Postillone, welche ihre Pferde bereits wieder in Trab gesetzt hatten, hielten betroffen an.

Die Königin sah, daß der Augenblick entscheidend war.

»Reden Sie doch,« sagte sie zum Könige.

»Wer sind Sie denn, daß Sie sich erkühnen, hier Befehle auszutheilen?«

»Ein unbedeutender Mann, Sire; aber ich rede hier im Namen der Nation und als Vertreter des Gesetzes … Postillone, keinen Schritt weiter! Ihr kennet mich wohl und seyd gewohnt mir zu gehorchen, ich bin Jean Babtiste Drouet Postmeister in St. Ménehould.«

Der Reiter gab seinem Pferd den Sporn und sprengte davon.

Alles dies war in einigen Secunden vorgegangen; die Gardisten hatten nicht Zeit gehabt ihre Hirschfänger zu ziehen, vielleicht hatten sie gar nicht daran gedacht.

»Postillone,« wiederholte die Königin, »zum Grand Monarque!«

Aber die Postillone rührten sich nicht.

»Habt Ihr’s gehört?« rief ihnen Valory zu.

»Ja wohl,» antworteten die Postillone; »aber Sie haben ebenfalls gehört, daß uns Herr Drouet verboten hat, weiter zu fahren.«

»Aber der König befiehlt … «

»Wir thun was Herr Drouet sagt,« war die Antwort; »überdies haben Sie ja gehört, daß er im Namen der Nation gesprochen hat.«

»Kommen Sie,« sagte Malden, »wir wollen die drei Spitzbuben beseitigen und den Wagen selbst führen.«

Die drei jungen Cavaliere zogen ihre Hirschfänger.

»Halt, meine Herren!« sagte die Königin abwehrend, »Postillone, jeder von Euch erhält fünfzig Louisd’or Trinkgeld und eine Pension von fünfhundert Franken, wenn Ihr gehorchet.«

Dieses Versprechen und vielleicht die Furcht vor den Hirschfängern wirkte, die Postillone fuhren im Galopp davon.

Man hat etwa zehn Minuten verloren, welche Drouet benutzte. Er war, wie oben erwähnt, in die Stadt galoppirt. Vor dem Gasthofe »zum goldenen Arm« begegnete ihm ein anderer Reiter, welcher aus einer Seitenstraße kam.

Die beiden Reiter wechselten nur wenige Worte.

»Bist Du es, Drouet?«

»Bist Du es, Guillaume?«

Auf die beiderseitige bejahende Antwort stiegen beide ab, und führten ihre Pferde in den Hof und eilten in die Küche des Wirthshauses.

»Geschwind,« rief Drouet, rufet die Leute. Der König und die königliche Familie sind auf der Flucht; sie werden sogleich in zwei Wagen erscheinen, sie müssen angehalten werden … Komm, Guillaume!«

Bei allen derartigen Unternehmungen ist immer ein Mann da, welcher den Befehl übernimmt; man gehorcht ihm willig, ohne zu wissen warum. Drouet befahl und Guillaume gehorchte.

Beide verließen eilends den Gasthof. Drouet war sogleich darauf bedacht, die Brücke zu besetzen, welche die obere Stadt mit der untern verbindet. In der untern Stadt waren die Husaren und außerhalb derselben die frischen Pferde.

Zufällig begegnete ihnen ein mit Hausgeräth beladener Wagen. Sie hielten ihn an, führten ihn auf die Brücke und warfen ihn auf derselben mit Hilfe des Citoyen Regnier um.

Der Weg war nun versperrt.

In demselben Augenblicke hörten sie den Ruf: Feuer! Man eilte zu dem Krämer Sauce, welcher Gemeindeprocurator war, holte ihn aus dem Bette und erzählte ihm was vorging.

Sauce weckte seine Kinder und schickte sie im Hemde mit bloßen Füßen auf die Straße, um Feuer zu rufen.

Dieses Geschrei hörten Drouet, Guillaume und Regnier, welche mit dem Verrammeln der Brücke beschäftigt waren.