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Die Flucht nach Varennes

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Die beiden Reisewagen kamen nun in die obere Stadt. Die Postillone fuhren um die Kirche, weil der große Reisewagen zu hoch war, um unter der niedrigen Wölbung hindurchzufahren.

Der kleine Wagen fuhr voraus. Als er die Ecke des Platzes erreichte, stürzten zwei Männer aus einer Seitenstraße und fielen den Pferden in die Zügel.

Diese beiden Männer waren die Brüder Leblanc.

In diesem ersten Wagen saßen nur die Hofdamen Brenier und Neuville.

Der Gemeindeprocurator Sauce, welcher sich schnell angekleidet hatte, trat an den Wagen und verlangte die Pässe.

»Wir haben sie nicht,« antwortete eine der beiden Hofdamen, »sondern die Personen in dem andern Wagen.«

Sauce eilte an den großen Reisewagen. – Es hatten sich schon ziemlich viele Leute um ihn versammelt. Außer Drouet, Guillaume und Regnier, welche die Brücke verrammelten und bereit waren, auf den ersten Ruf herbeizueilen, waren vier bewaffnete Nationalgardisten und zwei mit Jagdgewehren bewaffnete Reisende da.

Der Gemeindeprocurator trat an den zweiten Wagen, und als ob er nicht gewußt hätte, daß der König mit der königlichen Familie darin saß, fragte er:

»Wer sind sie? Wohin reisen Sie?«

»Ich bin die Baronin von Korff,« antwortete Frau von Tourzel, »und reise nach Frankfurt.«

Die Frau Baronin,« erwiederte Sauce, »wird bemerken, daß sie von dem geraden Wege abgewichen ist. Doch das thut nichts zur Sache; Sie haben ohne Zweifel einen Paß?«

Die angebliche Baronin von Korff nahm ihren Paß aus der Tasche und überreichte ihn dem Gemeindeprocurator.

Der Leser weiß wie der Paß lautete. Der Gemeindeprocurator hätte sich gewiß täuschen lassen, wenn man ihn nicht gewarnt hätte. Aber während dieses kurzen Verhörs, welches kaum eine Minute dauerte, hielt er den Reisenden seine Laterne vor’s Gesicht und erkannte den König.

Der König wollte überdies eine Art Widerstand leisten.

»Wer sind Sie?« fragte er den Gemeindebeamten; »in welcher Eigenschaft erscheinen Sie hier? Sind Sie Nationalgardist?«

»Ich bin Gemeindeprocurator,« antwortete Sauce, welchem in demselben Augenblicke der Paß überreicht wurde.

Er warf einen Blick auf das Papier; dann antwortete er der angeblichen Baronin von Korff:

»Madame, es ist jetzt zu spät, um einen Paß zu visiren. Ueberdies ist es meine Pflicht, Sie nicht weiter reisen zu lassen.«

»Warum denn?« fragte die Königin unwillig und gebieterisch.

»Weil wegen gewisser Gerüchte, die jetzt im Umlauf sind, große Vorsicht nöthig ist.«

»Was für Gerüchte?«

.»Man spricht von der Flucht des Königs und der königlichen Familie.«

Die Reisenden schwiegen, die Königin lehnte sich zurück.

In diesem Augenblick entstand ein lebhafter Wortwechsel.

Der Paß war in den Gasthof »zum goldenen Arm« getragen worden, und man untersuchte ihn. Ein Municipalbeamter sagte, der Paß sey in der Ordnung: er sey vom Könige und von dem Minister des Auswärtigen unterzeichnet.

»Ja,« sagte Drouet, welcher dazu kam, nachdem er die Brücke verrammelt hatte; »aber er ist nicht von dem Präsidenten der Nationalversammlung unterzeichnet.«

So sollte die große, seit siebenhundert Jahren erörterte Frage: »Gibt es in Frankreich eine über dem Könige stehende Gewalt?« in der Gasthofküche eines Landstädtchen entschieden werden.

»Madame,« sagte er zur Königin und nicht zu Frau von Tourzel, »und wenn Sie wirklich die Baronin von Korff und folglich eine Ausländerin sind, wie kommt es denn, daß Sie sich von einem Detachement Dragoner nach St. Ménehould, von einem andern Detachement nach Clermont, und von einem Husarenpiket nach Varennes escortiren lassen? Steigen Sie gefälligst aus und folgen Sie mir ins Rathhaus.«

Die erlauchten Reisenden waren einen Augenblick unschlüssig. Nach der Aussage des Kammerdieners Weber faßte Drouet den König beim Arm, um ihn zum Aussteigen zu nöthigen.

In demselben Augenblicke begann man Sturm zu läuten. – Der Gemeindeprocurator war in großer Verlegenheit; er war keineswegs der falsche, arglistige, gehässige Jacobiner, wie ihn Lacretelle darstellt; er war ein Spießbürger, von beschränkten Begriffen und ohne Entschlossenheit. Um den Mann richtig zu beurtheilen, muß man sich die Mühe nehmen, die unter seinen Augen und wahrscheinlich unter seinem Einfluß verfaßten Protokolle vom 23. und 27. Juni zu lesen. Er wußte nicht was er thun sollte: ließ er den König aufs Rathhaus führen, so machte er sich eines Vergebens gegen das Königthum schuldig; ließ er den Wagen des Königs durch, so hatte er den Patrioten Rede zu stehen.

Er wählte einen Mittelweg. Mitten unter dem Lärm und Getümmel trat er ehrerbietig und mit entblößtem Haupte an den Wagen.

»Der Gemeinderath,« sagte er, »versammelt sich zu einer Berathung, um zu bestimmen, ob Sie weiter reisen können. Aber es hat sich das Gerücht verbreitet, daß wir die Ehre hätten, den König und seine erlauchte Familie in unsern Mauern zu besitzen. Ich weiß nicht, wer Sie sind; aber ich bitte ergebenst, sich in mein Haus zu begeben und daselbst das Resultat der Berathungen zu erwarten. Bei mir sind Sie in Sicherheit … Sie hören die Sturmglocke: es werden nicht nur die Einwohner der Stadt, sondern auch die Landleute herbeieilen, und vielleicht würde Se. Majestät – wenn ich wirklich die Ehre habe, den König vor mir zu sehen – große Unannehmlichkeiten zu ertragen haben, die wir tief bedauern würden, aber nicht abwenden könnten.«

An Widerstand war nicht zu denken. Die nur mit den kurzen Hirschfängern bewaffneten Leibgardisten waren in der Gewalt von etwa dreißig Personen, die mit Schießgewehren bewaffnet waren. Die Sturmglocken heulten immer fort.

Der König nahm den Antrag des Gemeindeprocurators an; er stieg aus und begab sich mit seiner Gemahlin, seiner Schwester, Madame Tourzel und den beiden Kindern in den etwa zwanzig Schritte entfernten Laden Sauce’s. Dieser benahm sich sehr höflich und zuvorkommend; aber er vermied den Titel »Majestät,« und der König behauptete nicht länger, daß er der Kammerdiener Durand sey. Die Königin vermochte sich in die von ihrem Gemahl geduldig ertragene Demüthigung nicht zu fügen.

»Ist er euer König,« sagte sie, »und bin ich eure Königin, so behandelt uns doch mit dem gebührenden Respect!«

Der König fühlte sich selbst beschämt, und versuchte mit einer gewissen Würde zu sagen:

»Ja, ich bin der König; dies ist die Königin, und hier sind meine Kinder.«

Aber Ludwig XVI., dessen Persönlichkeit an sich schon sehr wenig imponirte, vermochte in seiner Verkleidung die verlorene Würde nicht wieder zu erlangen. Aber er bekam einen glücklichen Gedanken, der ihn fast gerettet hätte.

»Ja der Hauptstadt,« fuhr er fort, »war ich von Dolchen und Bajonetten umgeben; ich will nun in der Provinz bei meinen treuen Unterthanen die Freiheit und die Ruhe suchen, deren Ihr Euch Alle erfreuet. Ich konnte mit meiner Familie nicht länger in Paris bleiben, wir Alle hätten dort den Tod gefunden.«

Er breitete die Arme aus und drückte den Gemeindeprocurator an seine Brust.

Die Anwesenden konnten sich der Thränen nicht erwehren; selbst der amtliche Bericht drückt dieses allgemeine Gefühl durch pomphafte, aber keinen Zweifel zulassende Worte aus.

»Diese rührende Scene,« heißt es darin, »erregte Gefühle, welche die Unterthanen des Königs zum ersten Male kennen lernten und welche sie nur durch Thränen auszudrücken wußten.«

Es ist höchst wahrscheinlich, daß sich die Sache so und nicht wie Lacretelle erzählt, zutrug. Wir wollen die betreffende Stelle aus seiner Geschichte anführen und die Glaubwürdigkeit derselben in Betracht nehmen. Wir wollen nicht die Sprache, den Styl beurtheilen, mit solchen Kindereien wollen wir den ehrenwerthen Akademiker nicht behelligen; nein, den Gedanken, die Tendenz, die Absicht wollen wir ans Licht ziehen.

»Drouet hat seine Genossen eingeholt; sie machen noch keinen Lärm, sie rufen nur einige Stadtleute, welche ihnen durch die scheußlichen Bande des Jacobinismus befreundet sind; sie eilen zur Brücke und versperren dieselbe mit Hilfe mehrerer Fuhrwerke. Man hatte inzwischen die Postillone beredet, weiter zu fahren; aber an der Brücke angekommen, [Wir haben schon gesehen, daß der Reisewagen des Königs nicht bei der Brücke, sondern an der Ecke des Marktplatzes und der zur Brücke führenden Straße angehalten wurde.] welch ein Anblick bietet sich ihnen dar! Der Weg ist völlig versperrt. Die Leibgardisten springen vom Bock, um die Brücke frei zu machen. Drouet und seine Genossen treten dem Wagen des Königs entgegen und rufen: »Halt! Höret Ihr die Sturmglocke? sie verkündet Euch, daß wir den Verräthern auf der Spur sind. [Wenn Drouet noch kein Lärmzeichen gegeben hatte, wie Larcetelle einige Zeilen früher sagt, wie kam es denn, daß Sturm geläutet wurde?] Das Gewehr des Königsmörders Drouet war auf den Wagen des Königs angelegt. Die Leibgardisten zitterten vor Zorn; sie gaben nicht die Hoffnung auf, diese abscheulichen Menschen niederzuwerfen und zu vernichten. Wäre der König an Gefahren dieser Art gewöhnt gewesen, so hätte er sich nicht entschließen können, seine Gemahlin, seine beiden Kinder, seine Schwester, die ganze Hoffnung Frankreichs in eine solche Lage zu bringen. Er hält die Leibgardisten zurück und verbietet ihnen sich in einen Kampf einzulassen. Valory, de Moustier und Malden senkten, vor Wuth zitternd, ihre Waffen. [Wir wissen wie sie bewaffnet waren.] Drouet dringt auf Vorweisung des Passes. Die Königin zeigt einen Paß vor, welchen sie unter dem Namen einer russischen Dame von Herrn von Montmorin erhalten hatte. Drouet macht neue Schwierigkeiten. Uebrigens, setzt er hinzu, hat der Gemeindeprocurator darüber zu entscheiden. Dieser Beamte war eben gekommen, er ersucht die Reisenden, sich in sein Haus zu begeben, damit er die Pässe prüfen könne. Er spielt den Gutmüthigen, trägt ein höfliches Benehmen zur Schau, bietet der Königin den Arm, um sie zu führen. Man steigt aus, der König trägt das eine seiner Kinder auf dem Arm und führt das andere an der Hand. Sein Herz hatte noch Hoffnung, denn es war kaum zu glauben, daß nicht eine von den an der Straße aufgestellten Truppenabtheilungen herbeieilen würde, um ihm beizustehen. Kaum ist man in das Haus getreten, so wird dasselbe von einem durch Drouet aufgewiegelten Menschenhaufen umgeben und es werden Drohungen gegen die Reisenden laut. Während dieser Zeit gibt sich der treulose Municipalbeamte das Ansehen, als ob er die Ordnung erhalten und die Einwohner beruhigen wollte. Sein falsches Auge drückt Ehrerbietung und Treue gegen den König aus; er setzt ihm Wein vor und trinkt mit ihm; er hört, ohne zu schaudern, die Worte, welche Ludwig in der Meinung, er werde noch nicht erkannt, mit dem ihm eigenen Wohlwollen spricht; er sieht, ohne in seinem grausamen Entschlusse zu wanken, zwei Fürstinnen von seltener Schönheit und zwei Kinder, die mit der Anmuth ihres zarten Alters schon das Interesse vereinigen, welches man für das Unglück fühlt. Welches Schicksal sieht ihnen bevor? Der Barbar läßt sich durch diesen Gedanken nicht abschrecken; vielleicht glaubt er eine Pflicht gegen sein Vaterland zu erfüllen. So gefährlich sind für gemeine Gemüther die neuen Pflichten, welche die ganze Ordnung der ersten und heiligsten Pflichten über den Haufen werfen! Ich habe nicht den Muth, alle lügenhaften Antworten zu wiederholen, welche er dem Könige gab und in seinem Protokoll mit abscheulicher Befriedigung erwähnt.«

 

Der Graf von Bouillé welcher gleichwohl in der Sache mehr betheiligt war als Lacretelle, war weit gerechter als dieser. Er war freilich ein Soldat.

Der Graf von Bouillé erzählt Folgendes:

»Die Bürger widersetzten sich der Weiterreise Ludwigs XVI., ohne es jedoch an Ehrerbietung fehlen zu lassen; die meisten benehmen sich sehr rücksichtsvoll, einige geben sogar eine wirkliche oder scheinbare Theilnahme zu erkennen und versichern, daß sie gezwungen seyen, die Befehle der Nationalversammlung zu erwarten.«

Wir kehren zu unserer Erzählung zurück, und zwar zu dem Moment, wo der König den Gemeindebeamten Sauce in seine Arme schließt und alle Anwesenden in Thränen ausbrechen. Man hört draußen die Hufschläge vieler Pferde. Es sind die vierzig Husaren, welche unter Anführung Goguelat’s und Boudet’s von Pont-Somme-Vesle ankommen.

Der König ahnt, daß man ihm zu Hilfe kommt. Sauce sieht die Gefahr seiner Lage. Er führt seine erlauchten Gäste in das obere Stockwerk und öffnet ihnen ein Zimmer, dessen Fenster in den Hof gehen.

In diesem Augenblick entsteht ein großer Tumult. Einige Stimmen rufen: »Der König! der König!« Andere Stimmen antworten: »Wenn Ihr den König wollt, so werdet Ihr ihn nicht lebend bekommen.« Der Tumult legt sich eine kleine Weile, wie es zu geschehen pflegt, wenn man parlamentirt.

Sauce begibt sich hinunter und kommt sogleich zurück in Begleitung eines Mannes, der sich einen Adjutanten des Grafen von Bouillé nennt und den König zu sprechen verlangt.

Dieser Mann ist Goguelat.

Der König ist freudig überrascht.

Goguelat ist der erste Bekannte, den er seit seiner Abreise sieht; er ist offenbar der Vorläufer der erwarteten Hilfe.

Hinter dem Adjutanten erkennt er den Herzog von Choiseul.

Man hört wieder Fußtritte auf der Treppe. Der Graf von Damas erscheint.

Die drei Offiziere sahen sich erstaunt um. Sie befinden sich in einem kleinen Zimmer. In der Mitte des Zimmers steht ein Tisch, und auf demselben bemerken sie ein Stück Brot und einige Gläser. Der König und die Königin stehen am Fenster, Madame Elisabeth und Madame Royale nahe an der Thür; der Dauphin liegt auf einem Bett und schläft. Vor dem Bett sitzt Frau von Tourzel und hält die Hände auf das Gesicht; neben ihr stehen die beiden Hofdamen Neuville und Brenier.

An der Thür stehen zwei Schildwachen, oder vielmehr zwei mit Heugabeln bewaffnete Männer.

»Nun, meine Herren,« rief der König den Eintretenden zu, »wann reisen wir weiter?«

»Wann es Euer Majestät gefällig ist,« antwortete Choiseul. »Ertheilen Sie Ihre Befehle, Sire; ich habe vierzig Husaren bei mir. Aber verlieren Sie keine Zeit, wir müssen handeln, ehe meine Husaren verführt werden.«

»Gut,« sagte der König, »gehen Sie hinunter und machen Sie Platz. Aber brauchen Sie keine Gewalt.«

Die jungen Offiziere gehen hinunter.

Als Goguelat die Schwelle betrat. forderte die Nationalgarde die Husaren zum Absitzen auf.

»Husaren!« ruft Goguelat, »bleibt zu Pferde!«

»Warum denn?« fragt ein Offizier der Nationalgarde Namens Leroy.

»Um den König zu beschützen,« antwortete Goguelat.

»Wir wollen ihn schon beschützen,« antwortet der Offizier.

Goguelat geht mit Choiseul wieder hinauf. Beide wenden sich an die Königin.

»Madame, an eine Weiterreise in den Wagen ist nicht mehr zu denken; aber es gibt noch ein Mittel weiter zukommen.«

»Was meinen Sie? reden Sie.«

»Wollen Sie zu Pferde steigen und mit dem Könige abreisen? Der König wird den Dauphin halten. Die Brücke ist zwar abgesperrt, aber am Ende der Rue St. Jean ist der Fluß seicht, mit unsern vierzig Husaren können wir fortkommen. Aber wir müssen uns schnell entschließen, unsere Husaren fangen an mit dem Volk zu trinken; in einer Viertelstunde werden sie Brüderschaft mit ihnen machen.«

Die Königin bebt zurück. Dieses eherne Herz wird im entscheidenden Augenblicke weich; die zarte Weiblichkeit gewinnt wieder die Oberhand.

»Wenden Sie sich an den König,« sagte sie; »der König hat sich zu diesem Schritte entschlossen; er hat zu befehlen, meine Pflicht ist ihm zu folgen.«

Dann setzte sie kleinlaut hinzu: »Der Graf von Bouillé kann ja auch nicht lange ausbleiben.«

Die drei Offiziere waren bereit Alles zu wagen. Choiseul und Goguelat machten dringende Vorstellungen Damas war unten mit seinen drei Dragonern. Wenn der König einwilligte, so war noch Rettung möglich.

»Meine Herren,« sagte der König, »können Sie mir verbürgen, daß in diesem Getümmel nicht etwa eine Kugel die Königin oder meine Schwester oder meine Kinder treffe?«

Die Vertheidiger des Königs schwiegen seufzend.

»Ueberdies,« setzte der König hinzu, »müssen wir die Lage der Dinge unbefangen beurtheilen. Die Gemeindebehörde widersetzt sich ja keineswegs unserer Weiterreise; das Schlimmste ist, daß wir hier bis Tagesanbruch warten müssen. Bis dahin wird der Graf von Bouillé von unserer Lage in Kenntniß gesetzt seyn, er ist in Stenay, die acht Lieues kann ein Eilbote in zwei Stunden zurücklegen, in vier Stunden kann Bouillé hier seyn, und dann werden wir ohne Gefahr und ohne Gewalt zu brauchen die Reise fortsetzen.«

Kaum hatte er diese Worte beendet, so erschien der Gemeinderath. Der Beschluß war kurz und bündig: »Das Volk will die Weiterreise des Königs durchaus nicht zugeben. Man hat beschlossen, einen Eilboten an die Nationalversammlung zu senden, um die Absichten derselben zu erfahren.«

Ein Bürger von Varennes, der Wundarzt Mangin, war bereits auf dem Wege nach Paris.

Goguelat sieht, daß kein Augenblick zu verlieren ist. Er eilt die Treppe hinunter, stürzt aus dem Hause und besteigt sein Pferd.

»Husaren!« ruft er, »seyd Ihr für den König oder für die Nation?«

Die Husaren waren Deutsche und verstanden die französische Anrede nicht recht. Einige antworteten: »für die Nation!« andere: »für den König!«

Drouet, der ein Gewehr in der Hand trägt, tritt auf Goguelat zu.

»Sie wollen den König haben,« sagt er, »aber ich schwöre Ihnen, daß Sie ihn nicht lebend bekommen werden.«

»Wenn Sie einen Schritt thun,« sagt Roland, eine Pistole aus den Holftern ziehend, »so schieße ich Sie nieder!«

Goguelat reitet auf ihn zu. Roland schießt; das Feuer seiner Pistole blendet das Pferd des jungen Offiziers; es bäumt sich und stürzt auf seinen Reiter.

Dieser Unfall hat einige Geschichtschreiber zu der Vermuthung geführt, Goguelat sey durch die Kugel zu Boden gestreckt worden.

Roland selbst war so fest davon überzeugt und so heftig darüber erschrocken, daß er wahnsinnig wurde und an den Folgen dieses auf einen Andern abgefeuerten Pistolenschusses starb.

Die Husaren, welche ihren Anführer fallen sahen, wollten vorrücken, aber Drouet befahl den Kanonieren, sich bereit zu halten.

Die Husaren sahen in der Dunkelheit die brennenden Lunten neben zwei kleinen Kanonen, welche unten in der Rue St. Jean aufgepflanzt waren; sie glaubten zwischen zwei Feuern zu seyn, und riefen: »Es lebe die Nation!«

Die seit zehn Jahren nicht gebrauchten Kanonen waren ganz verrostet, aber sie thaten doch ihre Wirkung. Die Nationalgardisten fallen über Choiseul und Damas her und entwaffnen sie.

Goguelat, den man schwerer verwundet glaubte, als er war, wurde in Ruhe gelassen. Er benutzte diese Freiheit, um sich wieder zum Könige zu begeben.

Er trat blutend in das Zimmer. Er hatte sich den Kopf aus dem Steinpflaster zerschlagen, aber er fühlte seine Wunde nicht.

IX

Das Zimmer hatte inzwischen ein anderes Aussehen bekommen; es bot einen herzzerreißenden Anblick. Marie Antoinette, welche in der That die Kraft und das Leben der Familie war, schien ganz vernichtet. Sie hatte das Schreien und Schießen gehört, sie sah Goguelat von Blut triefend erscheinen, das weibliche Gefühl bekam die Oberhand.

Der König bestürmte den Herrn vom Hause mit Bitten, als ob dieser Mann, wenn er auch gewollt hätte, im Stande gewesen wäre, an seiner Lage etwas zu ändern.

Die Königin, welche auf einer Bank saß, sprach mit der Hausfrau.

»O Madame,« sagte sie zu der Bürgersfrau, »haben Sie denn keine Kinder, keinen Gatten, keine Familie!«

Aber die Frau antwortete mit ihrer rohen, spießbürgerlichen Selbstsucht:

»Ich möchte Ihnen gern dienen: aber so wie Sie an den König denken, denke ich vor Allem an meinen Mann.«

Die Königin wandte sich entrüstet ab. Thränen des Zornes rannen über ihre Wangen, sie hatte sich noch nie so tief herabgelassen.

Der Tag brach an. Die Straße war mit Menschen gefüllt, alle Einwohner waren an den Fenstern und riefen: »Nach Paris! nach Paris!«

Man suchte den König zu bereden, sich am Fenster zu zeigen, um die Menge zu beruhigen. Ludwig XVI. war in tiefen Gedanken. Das Schreien und Toben ward immer lauter, fünfhundert Personen hatten ihn kaum gesehen, die Uebrigen wollten durchaus den König sehen.

Die Volksmenge ward sehr enttäuscht, als sie einen blassen, beleibten, schläfrig aussehenden Mann in sehr einfacher, fast ärmlicher Kleidung erscheinen sahen.

Anfangs glaubten die Leute, man wolle sie täuschen, und erst als sie versichert waren, daß es wirklich der König sey, hörte man ein Gemurmel des Bedauerns, welches sich bei Vielen in Thränen auflöste. Endlich ertönte der Ruf: »Vive le roi!«

Wenn Ludwig XVI. diesen Augenblick benutzt und die Volksmenge zu Hilfe gerufen hätte, so würde sie ihn vielleicht über die verrammelte Brücke geführt und dem Schutze der Husaren übergeben haben. In dem ersten Protokolle, welches zu Varennes aufgenommen wurde, ist dieser Eindruck sehr bemerkbar.

Aber er wußte diese mitleidige Stimmung nicht zu benutzen.

Die Theilnahme, welche die königliche Familie einflößte, zeigte sich durch ein Beispiel. Sauce hatte eine alte, achtzigjährige Mutter, welche unter Ludwig XIV. geboren und eine eifrige Royalistin war.

Sie trat in das Zimmer; als sie den König und die Königin so betrübt und die beiden Kinder auf dem Bette schlafen sah, sank sie auf die Knie, und nachdem sie eine kleine Weile inbrünstig gebetet hatte, wandte sie sich zur Königin und sagte: »Madame, wollten Sie mir erlauben, diesen beiden unschuldigen Kindlein die Hände zu küssen?«

Die Königin nickte.

Die gute Alte küßte ihnen die Hände, segnete sie und entfernte sich laut schluchzend.

Die Königin war die Einzige, welche nicht einschlief. Der König konnte, wie groß auch seine Gemüthsbewegung war, weder Schlaf, noch Speise und Trank entbehren.

Gegen halb sieben Uhr wurde Deslons gemeldet. Dieser war mit hundert Mann von Dun angekommen. Er hatte die Hauptstraße der untern Stadt verrammelt gefunden und nach einigen Schwierigkeiten die Erlaubniß erhalten, sich zum Könige zu begeben.

Er erzählte, daß er die Sturmglocke gehört habe, und sogleich herbeigeeilt sey; der Graf von Bouillé; welcher durch seinen Sohn benachrichtigt sey, werde ohne Zweifel bald eintreffen.

Der König hörte nicht, was er sagte, er schien seine Worte gar nicht zu beachten. Der Offizier wiederholte seinen Bericht dreimal und das dritte Mal mit ziemlich ungeduldigem Tone.

»Sire,« sagte er, »hören Sie nicht?«

»Was wollen Sie von mir?« fragte der König, wie aus einem Traume erwachend.

 

»Ich erwarte Ihre Befehle, Sire.«

»Ich habe keine Befehle mehr zu geben,« erwiederte der König, »ich bin ein Gefangener. Der Graf von Bouillé möge thun, was er kann.«

Deslons, welcher keine andere Antwort erlangen konnte, entfernte sich. «

Der König war wirklich ein Gefangener. Die in allen benachbarten Dörfern heulende Sturmglocke hatte vier- bis fünftausend Menschen herbeigezogen, welche die Straßen von Varennes füllten.

Gegen sieben Uhr Morgens kamen zwei Reiter auf ermatteten, von Schweiß triefenden Pferden von Clermont her, und machten sich Bahn durch die Volksmenge. Das von Neuem beginnende Schreien und Toben zeigte dem Könige einen neuen Vorfall an.

Die Thür that sich auf und ein Offizier der Nationalgarde erschien. Es war derselbe, welcher zu Châlons einen Augenblick geruht und einen Boten nach St. Ménehould geschickt hatte. Er war todmüde, in großer Aufregung, ohne Halstuch, ohne Puder.

»Ach, Sire,« sagte er fast athemlos. »Unsere Frauen, unsere Kinder! Sire, Paris ist in Aufruhr, Sie dürfen nicht weiter reisen … Das Interesse des Staates … «

Er konnte nicht weiter reden, er sank fast bewußtlos auf einen Stuhl.

Die Königin trat auf ihn zu, faßte seine Hand und zeigte ihm ihre beiden Kinder, welche schlafend auf dem Bette lagen.

»Ich bin ja auch Mutter,« sagte sie.

»Was gibt’s denn?« fragte der König, »und was haben Sie mir zu melden?«

»Ich habe ein Decret der Nationalversammlung.«

»Wo ist es?«

»Mein Camerad bringt es.«

Der Offizier gab einen Wink. Einer der Leibgardisten öffnete die Thür und man sah Romeuf im Nebenzimmer weinend am Fenster stehen.

Er näherte sich mit gesenkten Blicken.

Romeuf hatte, wie früher erzählt, den General Lafayette bei dem Besuche begleitet, welchen er dem Könige eine Viertelstunde vor dessen Abreise machte.

»Was! Sie sind es?« sagte Marie Antoinette. »O! das hätte ich nie geglaubt!«

Romeuf hat das Decret der Nationalversammlung in der Hand. Der König entriß es ihm, warf einen flüchtigen Blick auf die Schrift und sagte:

»Es gibt keinen König von Frankreich mehr!«

Die Königin nahm das Decret, las es flüchtig durch und gab es dem Könige zurück.

Ludwig XVI. las es noch einmal und legte es auf das Bett, wo der Dauphin und Madame Royale schliefen.

»O! Nein! Nein!« sagte die Königin höchst aufgebracht, »nein, ich will nicht, daß dieses schändliche Papier meine Kinder berühre und besudle!«

»Madame,« sagte Romeuf. »Sie machten mir so eben zum Vorwurf, daß ich diese Sendung übernommen. Ist es nicht besser, daß ich hier bin, als wenn ein Anderer Zeuge Ihrer heftigen Reden wäre?«

Der Unwille der Anwesenden über diese That der Königin gab sich sehr deutlich kund.

»Ich beeilte mich,« sagt Choiseul in seiner Erzählung, »das Decret aufzunehmen, und legte es auf den Tisch.«

»Wenigstens,« sagte die Königin zu Romeuf, »empfehle ich Ihnen diese drei Offiziere, wenn wir fort seyn werden.«

Die Königin sah wohl, daß die Weiterreise nicht aufgeschoben werden konnte. Es war sieben Uhr Morgens, der Graf von Bouillé kam nicht, die Bauern aus der Umgegend von Varennes strömten immerfort in die Stadt; die meisten Landleute waren mit Flinten, Heugabeln und Sensen bewaffnet und jeder Neuankommende schrie lauter als die Andern: »Nach Paris! nach Paris!«

Der Wagen war bespannt.

Der König erwartete mit Sehnsucht die Ankunft Bouillé’s. Endlich mußte er sich entschließen.

Er stand auf, die Königin ebenfalls. Eine der Hofdamen fiel in Ohnmacht, oder vielleicht stellte sie sich so, um Zeit zu gewinnen.

»Man mag mich zerreißen,« sagte die Königin, »aber ich reise nicht ab, ohne Die, welche das Unglück zu meinen Freunden gemacht hat. «

»Gut, bleiben Sie, wenn Sie wollen, sagte ein Mann aus dem Volke ; »aber ich trage den Dauphin fort.«

Er nahm den kleinen Prinzen auf den Arm und ging auf die Thür zu.

Die Königin entriß ihm den Dauphin und ging vor Zorn bebend die Treppe hinunter. Die ganze Familie war erschöpft.

Auf der Straße bemerkte Madame Elisabeth mit Schrecken, daß das schöne blonde Haar der Königin zur Hälfte weiß geworden war. Die andere Hälfte sollte in der Conciergerie in einer nicht minder schrecklichen Nacht ergrauen.

Man stieg in den Reisewagen. Die drei Leibgardisten setzten sich wieder auf den Bock.

Goguelat hatte ein Mittel gefunden, durch ein hinter Sauce’s Hause befindliches Seitengäßchen zu entkommen.

Choiseul und Damas wurden mit Romeuf in das Stadtgefängniß geführt. Dieser ließ sich mit den beiden jungen Offizieren einsperren, um sie besser zu beschützen.

Endlich fuhr der Wagen ab, escortirt von der Nationalgarde, von den Husaren Choiseul’s und von mehr als viertausend Einwohnern von Varennes und der Umgegend.

Der Reisewagen des Königs kam nicht weiter als vor das Haus des Krämers Sauce; dies ist die historische Grenze der verhängnißvollen Reise.

Was machte denn der Graf von Bouillé während dieser Zeit? Dies ersehen wir aus seinem Bericht, welcher sich durch die Erzählung Valory’s, Goguelat’s und Choiseul’s ergänzt. Er befand sich in Dun, wo er die Nacht in der quälendsten Unruhe zugebracht hatte. Weiter kam er nicht. Als er um drei Uhr keine Nachricht erhalten hatte, begab er sich wieder nach Stenay. Dort war er im Mittelpunkt seiner Streitkräfte und konnte mit mehr Nachdruck handeln, da er über mehr Truppen zu verfügen hatte.

Zwischen vier und fünf Uhr traf Rodivel und bald darauf sein Sohn ein. Er erfuhr nun Alles. Aber der Graf von Bouillé konnte sich auf seine Leute nicht fest verlassen, und überdies war er von den Einwohnern patriotischer Städte bedroht: Metz, Verdun und Stenay hatten eine drohende Haltung angenommen. Aus dieser Ursache insbesondere hatte er Dun verlassen. Das Regiment Royal-Allemand war das einzige, auf welches man zählen konnte. Man mußte Alles aufbieten, um die Mannschaft zu begeistern. Jeder Soldat erhielt eine Flasche Wein und einen Louisdor, und dennoch vergingen zwei Stunden, ehe das Regiment marschfertig war.

Endlich, um sieben Uhr marschirte es ab. Die acht Lieues nach Varennes wurden in zwei Stunden zurückgelegt.

Unterwegs begegnete ihnen ein Husar. Man bestürmte ihn mit Fragen.

»Der König ist verhaftet worden,« war die Antwort.

»Das wissen wir schon; weiter!«

»Der König verläßt so eben Varennes.«

»Wohin geht er?«

»Nach Paris.«

Bouillé nimmt sich nicht die Zeit zu antworten; er gibt seinem Pferde die Sporen, das Regiment folgt ihm.

Die Reiterschaar stürmte wie ein Ungewitter von der Höhe gegen Varennes hinab.

Der König war seit einer Stunde fort. Es war keine Zeit zu verlieren. Die Hauptstraße der unteren Stadt war verrammelt, wie die Brücke; man mußte den Weg um die Stadt nehmen und durch den Fluß reiten.

So geschah es. Man ritt durch den Fluß und sprengte im Galopp die Anhöhe hinan. Die Landstraße war nur noch dreihundert Schritte entfernt. Der Mühlencanal, welcher sechs Fuß tief ist, bietet ein unerwartetes Hinderniß Ueberdies ist jenseits desselben eine steile unersteigliche Böschung; man mußte anhalten.

Der junge Louis von Bouillé sagt in der Erzählung dieser Katastrophe: »Wir drangen mit dieser kleinen Schaar in das gegen uns bewaffnete Frankreich ein.«

Man war anfangs gesonnen umzukehren, die Stadt in entgegengesetzter Richtung zu umgehen, wieder durch den Fluß zu reiten, und mittelst Seitengassen die Landstraße zu erreichen, um der Escorte in den Rücken zu fallen. Aber die Dragoner waren erschöpft, die Pferde todmüde; man hätte kämpfen müssen, um durch die Stadt zu kommen, kämpfen, um bis zum Könige zu gelangen. Man meldete, die Besatzung von Verdun sey mit Artillerie auf dem Marsch.

Der Muth sank, das Selbstvertrauen schwand, man sah, daß Alles verloren war. Der junge Bouillé steckte vor Wuth weinend seinen Degen in die Scheide und commandirte zum Rückzuge.

Die Einwohner der obern Stadt sahen ihn mit seinen Leuten noch eine Stunde halten; er konnte sich noch nicht zum Rückzuge entschließen.

Endlich marschirten die Dragoner ab und verschwanden hinter den Weinbergen. Man sah sie nicht wieder.