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Die beiden Dianen

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XXVI.

Worin die Holdseligkeit von Maria Stuart so flüchtig im Roman, wie in der Geschichte von Frankreich vorüberzieht

Als Gabriel mit dem Admiral Coligny vor die Pforten des Louvre kam, wurde er mit dem ersten Wort, das er hörte, niedergeschmettert.



Der König empfing an diesem Tage nicht.



Obgleich Admiral und Neffe von Montmorency, war Coligny doch zu sehr vom Verdacht der Ketzerei befleckt, um viel Ansehen bei Hofe zu haben. Was den Kapitän der Garde, Gabriel d’Ermès, betrifft, so hatten die Huissiers des königlichen Hauses Zeit gehabt, sein Gesicht und seinen Namen zu vergessen. Die zwei Freunde hatten Mühe, nur durch die äußeren Pforten zu kommen.



Im Innern war es noch viel schlimmer. Sie verloren mehr als eine Stunde mit Sprechen, Bestechen und sogar mit Drohen. Sobald es ihnen gelungen war, eine Hellebarde in die Höhe zu bringen, versperrte ihnen eine andere den Weg. Alle diese mehr oder minder unbesiegbaren Drachen, welche die Könige bewachen, schienen sich vor ihnen zu vervielfältigen.



Als sie aber durch Hartnäckigkeit in die Gallerie gelangten. welche unmittelbar vor dem Cabinet des Königs kam, war es ihnen unmöglich. weiter vorzudringen. Der Befehl war zu streng. Mit dem Connétable und Frau von Poitiers eingeschlossen, hatte der König aufs Schärfste befohlen, ihn unter keinem Vorwande zu stören.



Gabriel mußte bis zum Abend warten, um Audienz zu bekommen.



Warten, abermals warten, wenn man endlich das durch so viele Kämpfe und Schmerzen verfolgte Ziel zu berühren glaubt! Diese vier Stunden. die er noch zu durchleben hatte, kamen Gabriel furchtbarer und tödtlicher vor, als alle Gefahren, die er bis jetzt muthig besiegt.



Ohne auf die freundlichen Worte zu hören, durch die ihn der Admiral zu trösten und zur Geduld zu bewegen suchte, betrachtete er traurig durch das Fenster den Regen, der vom verdüsterten Himmel zu fallen anfing, und presste, von Zorn und Angst ergriffen, fieberhaft den Griff seines Degens zusammen.



Wie sie niederwerfen und überschreiten, diese albernen Wachen, die ihn bis in das Cabinet des Königs und vielleicht bis zur Freiheit seines Vaters zu gelangen, verhinderten? . . .



Plötzlich hob sich oder Thürvorhang des königlichen Vorzimmers und eine weiße, strahlende Gestalt schien dem düsteren jungen Mann die graue, regnerische Atmosphäre zu erleuchten.



Die kleine Dauphine Königin, Maria Stuart schritt durch die Gallerie.



»Oh! Madame,« rief er, ohne sich nur von seiner Bewegung Rechenschaft zu geben.



Maria Stuart wandte sich um, erkannte den Admiral und Gabriel und ging sogleich, lächelnd wie immer, auf sie zu.



»Seid Ihr endlich zurückgekehrt, Herr Vicomte d’Ermès!« sagte sie. »Ich bin glücklich, Euch wiederzusehen; ich habe viel von Euch in der letzten Zeit sprechen hören. Aber was macht Ihr im Louvre zu dieser frühen Stunde und was wollt Ihr?«



»Mit dem König sprechen! mit dem König sprechen, Madame!« erwiderte Gabriel mit gepreßtem Tone.



»Herr d’Ermès hat in der That nothwendig sogleich mit Seiner Majestät zu sprechen,« sagte nun der Admiral. »Die Sache ist wichtig für ihn und für den König selbst, und alle diese Wachen verwehren ihm den Durchgang und bescheiden ihn auf den Abend.«



»Als ob ich bis diesen Abend warten könnte!« rief Gabriel.



»Ich glaube, Seine Majestät ertheilt in diesem Augenblick vollends wichtige Befehle,« sagte Maria Stuart. »Der Herr Connétable von Montmorency ist noch beim König und ich befürchte . . .«



Ein flehender Blick von Gabriel verhinderte Maria, ihren Satz zu vollenden.



»Nun, wir wollen sehen, mag es gehen wie es will, ich wage es!« sprach sie.



Sie machte ein Zeichen mit ihrer niedlichen Hand. Die Wachen traten auf die Seite. Der Admiral und Gabriel konnten vorüber.



»Ah! meinen Dank, Madame,« rief der glühende junge Mann. »Ich danke Euch, die Ihr, ganz einem Engel ähnlich, mir stets erscheinen um mich zu trösten oder mir in meinen Schmerzen Hilfe zu leisten.«



»Der Weg ist nun frei,« versetzte Maria lächelnd. »Geräth Seine Majestät zu sehr in Zorn, so verratet, ich bitte Euch, die Vermittlung des Engels nur bei der äußersten Nothwendigkeit.«



Sie grüßte Gabriel und seinen Gefährten auf das Anmuthigste und verschwand.



Gabriel war schon bei der Thüre des königlichen Cabinets. In dem letzten Vorzimmer war noch ein Huissier, der abermals Miene machte, sich ihrem Eintritt zu widersetzen. Doch in demselben Augenblick öffnete sich die Thüre und Heinrich II. erschien in Person aus der Schwelle, beschäftigt, dem Connétable noch einige Instructionen zu geben.



Die Entschlossenheit war keine Tugend des Königs. Bei dem plötzlichen Anblick des Vicomte d’Ermès wich er zurück und vermochte nicht einmal ärgerlich zu werden.



Die Tugend von Gabriel war Festigkeit. Er verbeugte sich zuerst tief vor dem König und sprach sodann;



»Sire, empfangt gnädigst den Ausdruck meiner ehrfurchtsvollen Huldigung.«



Dann sich gegen den Admiral umwendend, der hinter ihm ging, sagte er, um Coligny die Verlegenheit der ersten Worte zu ersparen:



»Komm, Herr Admiral und wollt, Eurem gütigen Versprechen gemäß, Seine Majestät an den Antheil erinnern, den ich an der Vertheidigung von Saint-Quentin nehmen durfte.«



»Was soll das bedeuten, mein Herr,« rief Heinrich, der allmälig seine Kaltblütigkeit wieder erlangte. »Wie führt Ihr Euch so bei uns ein, ohne dazu bevollmächtigt, ohne angemeldet zu sein? Wie könnt Ihr es wagen, den Herrn Admiral in unserer Gegenwart aufzufordern?«



In solchen entscheidenden Augenblicken verwegen wie vor dem Feind, sprach Gabriel, der wohl begriff, daß dies nicht der Augenblick war, sich einschüchtern zu lassen, mit ehrfurchtsvollem aber entschlossenem Tone:



»Sire, ich dachte, Eure Majestät wäre stets bereit, wenn es sich darum handelt, Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, und wäre es auch dem letzten ihrer Unterthanen.«



Er hatte die rückgängige Bewegung des Königs benutzt, um kühn in das Cabinet einzutreten, wo Diana von Poitiers, erbleichend und halb sich aus ihrem Lehnstuhle von geschnitztem Eichenholz erhebend, den Verwegenen sprechen und handeln sah, ohne in ihrem Erstaunen und in ihrer Wuth ein einziges Wort finden zu können.



Coligny war hinter seinem stürmischen Freund eingetreten, und Montmorency hatte sich, eben so erstaunt als Alle, entschlossen, ihn nachzuahmen.



Es herrschte einen Augenblick tiefes Stillschweigen. Seiner Favoritin zugewendet, befragte Heinrich II. diese mit dem Blick.



Doch ehe er einen Entschluß gefaßt oder von ihr dictirt erhalten hatte, sagte Gabriel, der wohl wusste, daß er in diesem Augenblick eine das Aeußerste entscheidende Partie spielte, abermals zu Coligny mit einen zugleich flehenden und würdigen Ausdruck:



»Ich beschwöre Euch, sprecht, Herr Admiral.«



Montmorency machte seinem Neffen rasch ein verneinendes Zeichen, aber der brave Gaspard nahm keine Rücksicht darauf.



»Ich werde in der That reden,« sagte er, »denn es ist meine Pflicht und mein Versprechen. Sire,« fuhr er sich an den König wendend fort, »ich wiederhole, kurz gefaßt, in Gegenwart des Herrn Vicomte d’Ermès, was ich Euch im Einzelnen vor seiner Rückkehr sagen zu müssen glaubte. Ihm, ihm allein haben! wir es zu verdanken, daß sich die Vertheidigung von Saint-Quentin über den von Eurer Majestät selbst festgestellten Zeitpunkt verlängerte.«



Der Connétable zuckte hier auf eine bezeichnende Weise die Achseln. Doch der Admiral schaute ihn fest an und fuhr nichtsdestoweniger ruhig fort:



»Ja, Sire, dreimal und mehr hat Herr d’Ermès die Stadt gerettet, und ohne seinen Muth und seine Energie wäre Frankreich zu dieser Stunde ohne Zweifel nicht auf dem Wege des Heils, auf dem es sich, wie man nunmehr hoffen darf, behaupten wird.«



»Ah! Ah! Ihr seid zu bescheiden oder zu gefällig, Neffe!« rief Herr von Montmorency, außer Stands, den Ausdruck seiner Ungeduld länger zu bemeistern.



»Nein, mein Herr,« sprach Coligny, »ich bin nur gerecht und wahrhaft. Ich habe meines Theils und mit allen meinen Kräften zur Vertheidigung der mir anvertrauten Stadt beigetragen. Aber der Vicomte d’Ermès hat den Muth der Einwohner wiederbelebt, welchen ich schon auf immer erloschen glaubte: der Vicomte d’Ermès hat eine Hilfstruppe in die Stadt zu bringen vermocht, von der ich nicht wußte, daß sie uns so nahe war; der Vicomte d’Ermès hat wirklich eine Ueberrumpelung des Feindes vereitelt, die ich nicht vorhergesehen. Ich spreche nicht davon, wie er sich in den Gefechten benommen: wir thaten Alle unsere Möglichstes. Aber ich erkläre es laut, was er allein gethan, der ungeheure Antheil, den er sich am Ruhm bei dieser Gelegenheit erworben hat, mußte den Meinigen um eben so viel vermindern oder völlig illusorisch machen.«



Und sich an Gabriel wendend, fügte der brave Admiral bei:



»Sollte ich so sprechen, Freund? habe ich nach Eurem Gefallen meine Verbindlichkeit erfüllt und seid Ihr zufrieden mit mir?«



»»Oh! ich danke Euch und segne Euch, Herr Admiral,« sprach Gabriel, indem er Coligny bewegt die Hände drückte. »Ich erwartete nicht weniger von Euch. Doch ich bitte, rechnet auf mich als auf Euren ewig Verpflichteten. Ja, von dieser Stunde ist Euer Gläubiger Euer Schuldner geworden, und er wird sich seiner Schuld erinnern, das schwöre ich Euch.«



Die Stirne gefaltet und die Augen zu Boden geschlagen, stampfte der König während dieser Zeit mit dem Fuße und schien im höchsten Maße aufgebracht.



Der Connétable hatte sich allmälig Diana von Poitiers genähert und wechselte leise einige Worte mit ihr.



Sie schienen einen Entschluß gefaßt zu haben, denn Diana lächelte nun, und dieses weibliche und teuflische Lächeln machte Gabriel beben, der gerade zufällig seine Augen auf die schöne Herzogin richtete.



Gabriel fand jedoch die Kraft, beizufügen:



»Ich halte Euch nicht mehr zurück, Herr Admiral, Ihr habt für mich mehr als Eure Pflicht gethan, und wenn mir nun Seine Majestät als erste Belohnung eine Minute der Privatunterredung zu gewähren Gnade haben will . . .«

 



»Später, mein Herr, später, ich schlage es nicht ab,« sagte rasch Heinrich II., »doch für den Augenblick ist die Sache unmöglich.«



»Unmöglich!« rief Gabriel mit schmerzlichen Ausdruck.



»Und warum unmöglich, Sire?« versetzte friedlich Diana von Poitiers zum großen Erstaunen sowohl vor Gabriel, als vom König selbst.



»Wie, Madame,« stammelte Heinrich, »Ihr denkt?« . . .



»Ich denke, das Dringendste für einen König ist, jedem von seinen Unterthanen zu geben, was ihm gebührt. Eure Schuld gegen den Herrn Vicomte d’Ermès, ist aber sehr gesetzlich und sehr heilig, wie mir scheint.«



»Allerdings, allerdings,« erwiderte Heinrich, der in den Augen seiner Geliebten zu lesen suchte, »und ich will . . .«



»Herrn d’Ermès auf der Stelle hören,« sagte Diana, »das ist gut, das ist gerecht, Sire.«



»Aber Seine Majestät weiß, daß ich mit ihr allein zu reden habe?« erwiderte Gabriel immer mehr erstaunt.



»Herr von Montmorency wollte sich eben entfernen, als Ihr eintratet, mein Herr,« sprach Frau von Poitiers. »Was den Herrn Admiral betrifft, so habt Ihr selbst die Mühe übernommen, ihm zu sagen, Ihr haltet ihn nicht zurück. Mir aber, da ich Zeugin der vom König gegen Euch übernommenen Verbindlichkeit gewesen bin und den König im Falle der Noth genau an seine Ausdrücke zu erinnern vermöchte, mir werdet Ihr vielleicht erlauben, hier zu bleiben?«



»Gewiß, Madame, ich bitte Euch sogar darum,« sagte Gabriel.



»Mein Neffe und ich nehmen Abschied von Seiner Majestät und von Euch, Madame,« sprach Montmorency.



Er machte Diana, während er sich vor ihr verbeugte, ein Zeichen der Ermuthigung, dessen sie indessen nicht zu bedürfen schien.



Coligny drückte Gabriel die Hand und ging sodann hinter seinem Oheim hinaus.



Der König und die Favoritin blieben allein mit Gabriel, der ganz erschrocken war über die unvorhergesehene und geheimnißvolle Protection, die ihm die Mutter von Diana von Castro gewährte.



XXVII.

Die andere Diana

Trotz seiner entschiedenen Selbstbeherrschung konnte es Gabriel nicht verhindern, daß Blässe sein Gesicht bedeckte und die Aufregung seine Stimme erschüttert, als er nach einer Pause zum König sprach:



»Sire, zitternd, aber dennoch mit tiefem Vertrauen zu Eurem königlichen Versprechen, wage ich es, gestern erst der Gefangenschaft entkommen, Eure Majestät an die feierliche Verbindlichkeit zu erinnern, die sie gegen mich einzugehen die Gnade gehabt hat. Der Graf von Montgommery lebt noch, Sire, sonst hättet Ihr längst meine Worte gehemmt . . .«



Er hielt mit bewegter Brust inne. Der König blieb unbeweglich und stumm. Gabriel fuhr fort:



»Nun, Sire, da der Graf von Montgommery noch lebt und ich nach dem Zeugniß des Herrn Admirale über die bestimmte Frist den Widerstand von Saint-Quentin verlängert habe, so ist von mir mein Versprechen überschritten worden, haltet das Eurige; Sire, gebt mir meinen Vater zurück!«



»Mein Herr,« sprach Heinrich II. zögernd.



Er schaute Diana von Poitiers an, welche in ihrer Ruhe und Sicherheit nicht gestört zu werden schien.



Der Stand der Dinge war indessen schwierig. Heinrich hatte sich daran gewöhnt, Gabriel als todt oder als gefangen zu betrachten, und er hatte für die Antwort auf seine furchtbare Frage nicht vorhergesehen.



Gabriel fühlte, wie ihm vor diesem zögern die Angst das Herz zusammenschnürte.



»Sire,« sprach er in einer Art von Verzweiflung, »Eure Majestät kann unmöglich vergessen haben! Eure Majestät erinnert sich sicherlich jener feierlichen Unterredung, sie erinnert sich welche Verbindlichkeit ich im Namen des Gefangenen, aber auch welche Verbindlichkeit sie gegen mich übernommen hat.«



Der König wurde unwillkürlich von dem Schmerz und der Angst des edlen jungen Mannes ergriffen; seine großmüthigen Instinkte erwachten in ihm.



»Ich erinnere mich an Alles,« sagte er zu Gabriel.



»Ah! Sire, ich danke!« rief Gabriel, dessen Blick vor Freude glänzte.



Aber Frau von Poitiers sprach mit vollkommener Ruhe:



»Ohne Zweifel erinnert sich Seine Majestät an Alles, Herr d’Ermès, aber Ihr scheint mir vergessen zu haben.«



Hätte der Blitz mitten an einem schönen Junitag zu seinen Füssen eingeschlagen, Gabriel konnte nicht mehr erschrocken sein.



»Wie!« stammelte er, »was habe ich denn vergessen, Madame?«



»Die Hälfte Eurer Aufgabe« erwiderte Diana. »Ihr habt in der That zu Seiner Majestät gesagt, und wenn dies nicht genau Eure Worte sind, so ist es wenigstens der Sinn davon. Ihr habt gesagt: »Sire, um die Freiheit des Grafen Von Montgommery zu erkaufen, werde ich den Feind in seinem Triumphmarsch gegen den Mittelpunkt Frankreichs aufhalten.«



»Habe ich das nicht gethan, Madame?« fragte Gabriel ganz verwirrt.



»Ja. Doch Ihr fügtet bei:

»Und ich würde mich sogar, vom Angegriffenen der Angreifer werdend, wenn es sein müßte, eines der Plätze bemächtigen, deren Herr der Feind ist.«

 Das sagtet Ihr, mein Herr. Ihr habt aber, wie mir scheint, nur die Hälfte von dem gethan, was Ihr sagtet. Was könnt Ihr hierauf antworten? Ihr habt Saint-Quentin eine gewisse Anzahl von Tagen behauptet, das ist sehr gut, ich leugne es nicht. Dies ist die vertheidigte Stadt, doch wo ist denn die genommene?«



»Oh! mein Gott! mein Gott,« war Alles, was Gabriel völlig vernichtet ausrufen konnte.



»Ihr seht, daß mein Gedächtnis noch besser ist, als das Eurige,« fuhr Diana mit derselben Kaltblütigkeit fort. »Dennoch hoffe ich, daß Ihr Euch nun Eurerseits ebenfalls erinnern werdet?«



»Ja, es ist wahr, ich erinnere mich nun,« rief Gabriel voll Bitterkeit. »Aber indem ich dies sagte, wollte ich nur sagen, ich würde im Falle der Noth das Unmögliche thun; denn ist es in diesem Augenblick möglich, den Spaniern oder den Engländern eine Stadt zu nehmen? Ich frage Euch, Sire? Als mich Eure Majestät abgehen ließ, nahm sie stillschweigend die erste von meinen Anerbietungen an, ohne daß ich glauben konnte, nach dieser heldenmüthigen Anstrengung, nach dieser langen Gefangenschaft, hätte ich auch noch die zweite zu erfüllen. Sire, an Euch, an Euch wende ich mich, ist eine Stadt für die Freiheit eines Menschen nicht genug? werdet Ihr Euch nicht mit einem solchem Lösegeld begnügen? muß man mir auf ein in meiner Exaltation in die Luft entschlüpftes Wort, mir, einen armen menschlichen Hercules, eine andere Aufgabe auferlegen, welche hundertmal härter ist, als die erste und sogar, das begreift sich, Sire, unausführbar?«



Der König machte eine Bewegung, um zu sprechen, doch die Großseneschallin beeilte sich, ihm zuvorzukommen, und entgegnete:



»Es ist also leichter und ausführbarer, es ist weniger Gefahr und Tollheit dabei, trotz Eurer Versprechungen, einen furchtbaren Gefangenen, einen Majestätsverbrecher in Freiheit zu setzen? Um das Unmögliche zu erhalten, habt Ihr das Unmögliche angeboten, Herr d’Ermès, aber es ist nicht gerecht, daß Ihr die Erfüllung des Wortes Seiner Majestät verlangt, während Ihr das Eurige nicht bis zum Ende gehalten habt. Die Pflichten eines Souverain sind nicht minder ernst, als die eines Sohnes; dem Staate geleistete ungeheure und übermenschliche Dienste vermöchten allein den äußersten Fall zu entschuldigen, in welchem Seine Majestät den Staatsgesetzen Stillschweigen gebieten würde. Ihr habt Euren Vater zu retten, es mag sein; doch der König hat Frankreich zu bewahren.«



Und mit einem ausdrucksvollen Blicke ihre Worte erläuternd, erinnerte Diana Heinrich zweimal daran, welchen Gefahren man sich preisgeben würde, wenn man den alten Grafen von Montgommery und sein Geheimniß aus dem Grabe hervorgehen ließe.



Gabriel wollte noch einen letzten Versuch wagen und rief, indem er die Hände gegen den König ausstreckte:



»Sire, an Euch, an Eure Billigkeit, an Eure Gnade sogar appelliere ich. Sire, ich mache mich verbindlich, später mit Hilfe der Zeit und der Umstände dem Vaterlande diese Stadt zurückzugeben, oder bei dem Unternehmen zu sterben. Doch mittlerweile, ich flehe Euch an, macht, daß ich meinen Vater sehe.«



Durch den festen Blick und die ganze Haltung von Diana berathen, antwortete Heinrich, bemüht, seiner Stimme Sicherheit zu verleihen:



»Haltet Euer Versprechen bis zum Ende, und ich schwöre bei Gott, daß ich dann, aber auch dann nur, das meinige erfüllen werde. Mein Wort ist eben so viel werth als das Eurige.«



»Es ist das Euer letztes Wort, Sire?«



»Es ist mein letztes.«



Gabriel beugte einen Augenblick den Kopf, zu Boden geschmettert, besiegt und ganz zitternd unter dieser furchtbaren Niederlage.



In einer Minute tobte eine ganze Welt von Gedanken in seinem Innern.



Er würde sich an diesem undankbaren König und an dieser arglistigen Frau rächen! er würde sich in die Reihen der Reformierten werfen! er würde das Geschick der Montgommery erfüllen! er würde Heinrich tödtlich treffen, wie ihn der alte Graf getroffen! er würde machen, daß man Diana von Poitiers schmachvoll und und aller Ehre beraubt wegschicke! Das wäre fortan das einzige Ziel seines Willens und seines Lebens, und dieses Ziel, wie entfernt und unwahrscheinlich es auch für einen einfachen Edelmann erscheinen dürfte, würde er am Ende zu erreichen wissen.



Aber nein! sein Vater würde während in dieser Zeit zwanzigmal gestorben sein! Ihn rächen wäre gut, ihn retten besser. In seiner Lage wäre es vielleicht nicht schwerer, eine Stadt zu nehmen, als einen König zu bestrafen. Nur wäre jenes Ziel heilig und glorreich, und das andere verbrecherisch und gottlos!



Mit dem einen würde er Diana von Castro auf immer verlieren, wer weiß, ob er sie mit dem andern nicht gewinnen könnte?



Alle Ereignisse, welche seit der Einnahme von Saint-Quentin in Erfüllung gegangen waren, zogen wie ein Blitz vor den Augen von Gabriel vorüber.



In zehnmal weniger Zeit als wir brauchen, um dieses zu schreiben, hatte sich die muthige und stets federkräftige Seele des jungen Mannes wieder erhoben. Er hatte einen Entschluß gefaßt, einen Plan entworfen, einen Ausgang erschaut.



Der König und seine Favoritin sahen mit Erstaunen und beinahe mit Schrecken, wie er seine bleiche, aber ruhige Stirne wieder erhob.



»Es sei,« sprach er nun.



»Ihr fügt Euch?« versetzte der König.



»Ich entschließe mich,« erwiderte Gabriel.



»Wie? erklärt Euch.«



»Hört mich, Sire. Das Unternehmen, durch das ich Euch eine Stadt für diejenige zurückzugeben versuchen würde, welche Euch die Spanier besetzt haben, käme Euch verzweifelt, unmöglich, wahnsinnig vor, nicht wahr? Seid aufrichtig, Sire, und auch Ihr, Madame, so beurtheilt Ihr es im Grunde?«



»Es ist wahr,« antwortete Heinrich.



»Ich befürchte es,« fügte Diana bei.



»Aller Wahrscheinlichkeit nach,« fuhr Gabriel fort, »würde mich der Versuch das Leben kosten, ohne andere Resultate herbeizuführen, als daß man mich für einen lächerlichen Narren halten müßte.«



»Ich habe es Euch nicht vorgeschlagen,« sprach der König.



»Und es wird ohne Zweifel vernünftig sein, darauf zu verzichten,« sagte Diana.



»Dennoch erklärte ich Euch, ich wäre dazu entschlossen,« sprach Gabriel.



Heinrich und Diana konnten sich einer Gebärde der Bewunderung nicht erwehren.



»Oh! nehmt Euch in Acht!« rief Heinrich.



»Vor was? daß ich mein Leben nicht verliere?« versetzte Gabriel laut lachend, »längst habe ich es zum Opfer gebracht. Doch nur diesmal keine Mißverständnisse und Ausflüchte. Die Bedingungen des Handels, den wir mit einander vor Gott abschließen, sind klar und unzweideutig. Ich, Gabriel Vicomte d’Ermès, Vicomte von Montgommery, werde es dahin bringen, daß durch mich eine Stadt, welche gegenwärtig in der Gewalt der Engländer oder der Spanier ist, in die Eurige fällt. Diese Stadt soll kein unhaltbarer Ort oder ein Flecken sein, sondern ein fester Platz, so wichtig als Ihr es wünschen könnt. Ich denke, hierin liegt keine Zweideutigkeit?«



»Wahrhaftig nein,« antwortete der König unruhig.



»Aber Ihr,« fuhr Gabriel fort, »Ihr, Heinrich II., König von Frankreich, macht Euch auch anheischig, auf mein erstes Begehren den Kerker, meines Vaters zu öffnen und mir den Grafen von Montgommery zurückzugeben. Macht Ihr Euch hierzu verbindlich?«



Der König sah das ungläubige Lächeln von Diana und antwortete:



»Ich mache mich verbindlich.«



»Ich danke Eurer Majestät! Doch das ist noch nicht Alles: Ihr könnt eine Gewährschaft mehr dem armen Wahnsinnigen bewilligen, der sich mit offenen Augen in den Abgrund stürzt. Man muß nachsichtig gegen diejenigen sein, welche sterben. Ich verlange keine Handschrift, die Euch compromittiren könnte, Ihr würdet sie mir ohne Zweifel verweigern. Doch hier ist eine Bibel, legt Eure Hand darauf und schwört folgenden Eid: »Im Austausch für eine Stadt ersten Ranges, welche ich Gabriel von Montgommery allein zu verdanken haben werde, mache ich mich auf die heiligen Bücher verbindlich, dem Vicomte d’Ermès die Freiheit seines Vaters zu geben, und erkläre zum Voraus, wenn ich diesen Eid verletze, den genannten Vicomte jeder Treue gegen mich und die Meinigen entbunden. Ich sage, daß Alles, was er thun wird