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Die beiden Dianen

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XI.
Theologie

Gabriel kam im höchsten Grade ermüdet, an der Seite von Gaspard von Coligny vom Sturme zurück, als zwei Männer, welche auf drei Schritte an ihm vorübergingen, in ihrem Gespräch den Namen der Schwester Bénie nannten. Er verließ den Admiral, lief auf diese zwei Männer zu, und fragte sie voll Begierde, ob sie etwas von derjenigen wüßten, welche sie genannt.

»Oh! mein Gott, nein, Kapitän, eben so wenig als Ihr,« antwortete einer von den Männern, welcher kein Andere: als Jean Peuquoy war. »Ich äußerte gerade gegen meinen Gefährten meine Unruhe, denn man hat die edle, muthige Schwester den ganzen Tag gar nicht gesehen, und ich sagte, nach einem so heißen Tage, wie der heutige, gebe es doch so viele Verwundete, welche ihre Pflege und ihr engelisches Lächeln nöthig hätten. Doch wir werden bald erfahren, ob sie etwa ernstlich krank ist; denn morgen Abend ist die Reihe an ihr, bei den Ambulanzen den Nachtdienst zu thun: bis jetzt hat sie noch nie dabei gefehlt; es sind der Nonnen zu wenige, und sie lösen sich zu rasch hinter einander ab, als daß man eine, wenn es nicht die äußerste Nothwendigkeit heischt, freisprechen könnte. Wir werden sie also morgen Abend sicherlich wieder sehen, und ich will Gott für unsere Kranken danken, da sie die Leute zu trösten und wiederzubeleben versteht, wie eine wahre Liebe-Frau.«

»Ich danke, Freund, ich danke,« sprach Gabriel, indem er voll Wärme Jean Peuquoy, der über diese Ehre ganz erstaunt war, die Hand drückte.

Gaspard von Coligny hatte Jean Peuquoy gehört und die Freude von Gabriel bemerkt. Als dieser wieder zu ihm kam, sagte er jedoch Anfangs nichts zu ihm; sobald sie aber nach Hause zurückgekehrt und Beide allein in dem Zimmer waren, wo der Admiral seine Papiere hatte und seine Befehle ertheilt sprach Gaspard mit seinem seinen, sanften Lächeln:

»Ich sehe, Ihr nehmt an dieser Nonne, der Schwester Bénie, einen lebhaften Antheil?«

»Denselben Antheil wie Jean Peuquoy,« antwortete Gabriel erröthend, »denselben Antheil, den Ihr ohne Zweifel selbst an ihr nehmt, Herr Admiral, denn Ihr mußtet wie ich bemerken, in welchem Grade sie wirklich unseren Verwundeten fehlt, und welchen wohlthätigen Einfluß auf diese und auf alle Streiter ihr Wort und ihre Gegenwart üben.«

»Warum wollt Ihr mich täuschen, Freund?« erwiderte der Admiral mit einer gewissen Traurigkeit. »Ihr habt also sehr wenig Zutrauen zu mir, daß Ihr mich so zu belügen sucht.«

»Wie! Herr Admiral . . .?« rief Gabriel immer verlegener, »was konnte Euch vermuthen lassen? . . .«

»Daß die Schwester Bénie keine Andere als Frau Diana von Castro ist?« versetzte Gaspard von Coligny, »und daß Ihr Frau Diana von Castro liebt?«

»Ihr wißt es?« sprach Gabriel im höchsten Maße erstaunt.

»Wie sollte ich es nicht wissen?« sagte der Admiral. »Ist der Herr Connétable nicht mein Oheim? Bleibt für ihn etwas am Hofe verborgen? Hat Frau von Poitiers nicht das Ohr des Königs? Hat Herr von Montmorency nicht das Herz von Diana von Poitiers? Da bei dieser ganzen Angelegenheit wichtige Interessen unserer Familie vorwalten, wie es scheint, so hat man mich natürlich schon am Anfang benachrichtigt, ich möge auf meiner Hut sein und die Pläne meiner edlen Verwandtschaft unterstützen. Ich war nicht einen Tag in Saint-Quentin eingerückt, um den Platz, zu vertheidigen oder zu sterben, als ich von meinem Oheim einen eigenen Boten erhielt. Dieser Bote kam nicht, wie ich Anfangs glaubte, um mich von den Bewegungen des Feindes und den militärischen Plänen des Connétable zu unterrichten. In der That, nein! Er hatte sich durch tausend Gefahren gearbeitet, um mir zu melden, im Kloster der Benedictinerinnen in Saint-Quentin verberge sich unter einem angenommenen Namen Frau Diana von Castro, die Tochter des Königs, und ich habe alle ihre Schritte auf’s Sorgfältigste zu überwachen. Durch Gold von dem gefangenen Herrn von Montmorency bestochen, ließ mich sodann gestern ein flämischer Emissär an die südliche Schlupfpforte rufen. Ich dachte, er würde mir sagen, ich möge Muth fassen, ich müsse den durch die Niederlage von Saint-Laurent getrübten Ruhm der Montmorency wiederherstellen, der König werde unfehlbar andern Ersatz dem von Euch herbeigeführten zufügen, und ich habe jedenfalls eher auf der Bresche zu sterben, als Saint-Quentin zu übergeben. Nein, nein, der erkaufte Emissär kam nicht, um mir so hochherzige Worte zu überbringen, Worte, welche beleben und ermuthigen . . . ich hatte mich schwer getäuscht . . . Dieser Mensch sollte mir ganz einfach melden, der Vicomte d’Ermès, der am Tage zuvor in diesen Mauern angekommen, unter dem Vorwand, hier zu kämpfen und zu sterben, liebe Frau von Castro, die Verlobte meines Vetters, Franz von Montmorency, und die Wiedervereinigung der Liebenden könnte den großen, von meinem Oheim zur Reife gebrachten Plänen Eintrag thun. Doch ich wäre, zum Glück! Gouverneur von Saint-Quentin, und meine Pflicht heischte, meine ganze Thätigkeit darauf zu verwenden, daß ich durch alle mögliche Mittel Frau Diana und Gabriel d’Ermès trenne, indem ich mich besonders allen Zusammenkünften widersetze, und so zur Erhöhung und Macht meiner Familie beitrage!«

Dies Alles wurde mit offenbarer Bitterkeit und Traurigkeit gesagt. Doch Gabriel fühlte nur den Schlag, den man seinen Liebeshoffnungen beibrachte.

»Ihr seid es also,« sprach er mit einem dumpfen Zorn zum Admiral, »Ihr seid es, der mich der Superiorin der Benedictinerinnen verraten hat, und, getreu den Instructionen Eures Oheims, gedenkt Ihr mir ohne Zweifel eine nach der andern die Möglichkeiten zu entreißen, die mir bleiben dürften, Diana wiederzufinden und wiederzusehen?«

»Schweigt, junger Mann« rief der Admiral mit einem unbeschreiblichen Ausdruck des Stolzes. »Doch ich verzeihe Euch,« fuhr er sanfter fort, »die Leidenschaft verblendet Euch, und Ihr habt noch nicht Zeit gehabt, Gaspard von Coligny kennen zu lernen.«

In dem Ausdruck dieser Worte lag so viel Adel und Güte, daß jeder Argwohn bei Gabriel verschwand, und daß er sich schämte, ihm nur einen Augenblick Raum gelassen zu haben.

»Verzeiht,« sprach er, Gaspard die Hand reichend. »Wie konnte ich glauben, Ihr würdet Euch in solche Intriguen mischen? Ich bitte Euch tausendmal um Verzeihung, Herr Admiral.«

»So ist es gut, Gabriel,« erwiderte Coligny, »ich finde bei Euch wieder Eure jungen und reinen Instinkte. Nein, ich menge mich gewiß nicht in solche Intriguen, ich verachte sie, und verachte diejenigen, welche sie angesponnen haben. Ich sehe darin nicht den Ruhm, sondern die Schande meiner Familie, und weit entfernt, Nutzen daraus ziehen zu wollen, erröthe ich darüber. Wenn diese Menschen, welche ihr Glück durch alle mögliche Mittel, mögen sie schmählich oder nicht schmählich sein, auszubauen suchen, welche, um ihren Ehrgeiz oder ihre Habgier zu befriedigen, keine Rücksicht auf den Schmerz und den Ruin von ihres Gleichen nehmen, welche sogar, um früher zu ihrem schändlichen Ziele zu gelangen, über die Leiche des Vaterlands schreiten würden, wenn diese Menschen meine Verwandten sind, so ist es die Strafe, durch die Gott meinen Stolz trifft und mich zur Demuth zurückruft; es ist eine Ermuthigung, mich streng gegen mich selbst zu zeigen, und unbescholten gegen die Andern, um die Fehler meiner Nächsten zu sühnen.«

»Ja,« sagte Gabriel, »ich weiß, daß die Ehre und die Tugend der evangelischen Zeiten in Euch wohnen, Herr Admiral, und ich bitte Euch noch einmal um Entschuldigung, daß ich einen Augenblick zu Euch gesprochen habe, wie zu einem von den Herren unseres Hofes ohne Treue und ohne Glauben, die ich nur zu sehr hassen und verachten gelernt habe.«

»Ach!« entgegnete Coligny. »Man muß sie vielmehr beklagen, diese Armen, deren Ehrgeiz nach einem Nichts strebt, diese armen verblendeten Papisten. Doch ich vergesse, daß ich nicht vor einem von meinen Religionsbrüdern stehe. Gleichviel, Ihr seid würdig, einer der Unseren zu sein, Gabriel, und früher oder später werdet Ihr uns angehören. Ja, Gott, für den alle Mittel heilig sind, wird Euch, ich sehe es vorher, zu der Wahrheit gerade durch die Leidenschaft zurückleiten, und dieser ungleiche Kampf, wo Eure Liebe an einem verdorbenen Hofe scheitern wird, endigt damit, daß er Euch eines Tags, in unsere Reihen führt. Ich wäre glücklich, wenn ich dazu beitragen könnte, Freund, den ersten Samen der göttlichen Ernte in Euer Inneres zu werfen.«

»Ich wußte schon, Admiral, daß Ihr der Partei der Reformierten angehört, und ich habe diese Partei, die man verfolgt, schätzen gelernt. Nichtsdestoweniger bin ich schwachen Geistes, weil ich schwachen Herzens bin, und ich werde stets der Religion angehören, der Diana zugethan ist.«

»Nun wohl« sprach Gaspard von Coligny, wie seine Religionsgenossen vom Fieber der Proselytenmacherei erfaßt, »nun wohl! wenn Diana von Castro auf der Seite der Religion der Tugend und der Wahrheit steht, so ist sie von unserer Religion, und Ihr werdet es auch sein, Gabriel. Ihr werdet es auch sein, ich wiederhole es, weil dieser ausschweifende Hof, mit dem Ihr, Unkluger! in den Kampf tretet, Euch besiegen wird und Ihr Euch werdet rächen wollen. Glaubt Ihr, Herr von Montmorency, der sein Auge auf die Tochter des Königs für seinen Sohn geworfen hat, werde einwilligen, Euch diese reiche Beute zu überlassen?«

»Ah! ich würde sie ihm vielleicht nicht einmal streitig machen,« erwiderte Gabriel. »Der König halte nur heilige Verbindlichkeiten, die er gegen mich eingegangen hat . . .«

»Heilige Verbindlichkeiten! Gibt es solche für denjenigen, welcher, nachdem er dem Parlament befohlen, die Frage der Gewissensfreiheit ohne Zwang zu berathen, Anne Du Bourg und Dufaur verbrennen ließ, weil sie im Glauben an das königliche Wort die Sache der Reform vertheidigten?«

»Oh! sagt mir das nicht, Herr Admiral!« rief Gabriel, »sagt mir nicht, König Heinrich II. werde das feierliche Versprechen nicht halten, das er mir geleistet hat; denn nicht nur mein Glaube würde sich dann empören, sondern, ich befürchte, auch mein Schwert, ich würde nicht Hugenotte, ich würde Mörder.«

 

»Nein, wenn Ihr Hugenott würdet,« entgegnete Coligny. »Wir können Märtyrer werden, wir werden nie Mörder sein. Doch Eure Rache, wenn auch nicht blutig, wäre darum nicht minder schrecklich, Freund. Ihr würdet uns mit Eurem jungen Muth, mit Eurer glühenden Begeisterung bei einem Neuerungswerke unterstützen, das dem König unseliger vorkommen dürfte, als vielleicht ein Dolchstoß. Bedenkt, Gabriel, daß wir ihm seine unbilligen Rechte und seine ungeheuerlichen Privilegien zu entreißen suchen würden; bedenkt, daß wir nicht nur in der Kirche, sondern auch in der Regierung eine den Guten heilsame, aber den Verkehrten furchtbare Reform zu bewerkstelligen bemüht wären. Ihr konntet sehen, ob ich Frankreich liebe und ob ich ihm diene. Nun wohl! ich bin bei den Reformen Parteigänger, weil ich in der Reform die Größe und die Zukunft des Vaterlandes sehe. Gabriel! Gabriel! wenn Ihr nur einmal die mächtigen Bücher unseres Luthers gelesen hättet, so würdet Ihr finden, wie dieser Geist der Prüfung und der Freiheit, den sie athmen, eine andere Seele in Euch brächte und Euch ein neues Leben öffnete.«

»Mein Leben ist meine Liebe für Diana,« antwortete Gabriel, »meine Seele ist eine heilige Aufgabe, welche Gott mir auferlegt hat, und die ich zu erfüllen hoffe.«

»Liebe und Aufgabe eines Mannes müssen sich mit der Aufgabe und der Liebe eines Christen in Einklang sehen! Ihr seid jung und verblendet, Freund; doch ich sehe nur zu genau vorher, und mein Herz blutet, daß ich es Euch sagen muß, das Unglück wird Euch die Augen öffnen. Euer Edelmuth und Eure Reinheit werden Euch früher oder später Schmerzen zuziehen an diesem ausgelassenen und bösartigen Hofe, wie die großen Bäume bei einem Gewitter den Blitz anziehen. Dann werdet Ihr über das nachdenken, was ich Euch heute sage. Ihr werdet unsere Bücher kennen lernen, dieses zum Beispiel,« sprach der Admiral, indem er auf einen auf dem Tische liegenden Band deutete. »Ihr werdet diese kühnen und strengen, aber wichtigen und schönen Worte verstehen, welche uns ein junger Mann wie Ihr hören ließ, ein Rath beim Parlament, den man Etienne de la Boëtie nennt. Ihr werdet mit diesem kräftigen Buch über die freiwillige Sklaverei sagen: »Welches Unglück, oder welche Schmach, eine unzählige Menge, nicht gehorchen, sondern knechten, nicht regiert, sondern tyrannisiert werden zu sehen von einem Einzigen, und zwar nicht von einem Hercules oder einem Simson, sondern von einem einzelnen Menschlein, und häufig vom Feigsten und Weibischsten der Nation . . .«

»Das sind in der That gefährliche verwegene Reden, über welche der Verstand in Staunen geräth,« sprach Gabriel. »Ihr habt übrigens Recht, Herr Admiral, es kann sein, daß mich eines Tags der Zorn in Eure Reihen wirft, daß mich die Unterdrückung zur Partei der Unterdrückten hinüberzieht, doch bis dahin ist mein Leben zu voll, als daß diese Ideen, die Ihr bei mir ahnet; einen Halt gewinnen könnten, und es liegen mir zu viele Dinge zu verrichten ob, als daß ich Zeit finden sollte, über Bücher nachzudenken.«

Nichtsdestoweniger entwickelte Gaspard von Coligny mit großer Wärme die Lehren und Ideen, welche damals wie ein neuer Wein in seinem Geiste gohren, und das Gespräch dehnte sich noch lange zwischen dem leidenschaftlichen jungen Mann und dem überzeugten Mann aus, von denen der eine entschlossen war und ungestüm wie die Handlung, der andere ernst und tief wie der Gedanke.

Der Admiral täuschte sich übrigens nicht in seinen düsteren Vorhersehungen, und das Unglück sollte es wirklich übernehmen, den Keim zu befruchten, den diese Unterredung in der glühenden Seele von Gabriel einsäte.

XII.
Die Schwester Bénie

Es war ein heiterer, glänzender Augustabend. An dem ruhigen, blauen, ganz mit Sternen besäten Himmel hatte sich der Mond noch nicht erhoben; doch die Nacht war nur um so geheimnißvoller, und darum auch träumerischer und reizender.

Diese süße Ruhe stand in seltsamem Widerspruch mit der Bewegung und dem Geräusch, wovon der Tag erfüllt gewesen. Die Spanier hatten zwei auf einander folgende Stürme unternommen. Sie waren zweimal zurückgeschlagen worden, doch nicht ohne mehr Vewundete und Todte gemacht zu haben, als die geringe Anzahl der Vertheidiger des Platzes ertragen konnte. Der Feind hatte im Gegentheil mächtige Reserven und frische Truppen, um die ermüdeten Truppen zu ersetzen. Gabriel, der stets auf Alles aufmerksam war, dachte auch, das zweimalige Stürmen an einem Tag habe nur zum Zweck, die Kräfte und die Wachsamkeit der Belagerten zu erschöpfen, um einen dritten Sturm oder einen nächtlichen Ueberfall zu begünstigen. Es hatte indessen zehn Uhr auf der Collegiale geschlagen und nichts bestätigte seinen Verdacht. Kein Licht glänzte unter den spanischen Zeiten. Im Lager wie in der Stadt hörte man nur den eintönigen Ruf der Schildwachen, und wie die Stadt schien das Lager von den Strapatzen des Tages auszuruhen.

Dem zu Folge glaubte Gabriel nach einer letzten Runde um die Wälle einen Augenblick von dieser Wachsamkeit in jeder Minute, mit der er die Stadt wie ein Sohn seine kranke Mutter umgeben hatte, ablassen zu können. Saint-Quentin hatte seit der Ankunft des jungen Mannes schon vier Tage Widerstand geleistet. Nur noch vier Tage, und er würde das dem König geleistete Versprechen gehalten haben, und der König hätte dann das seinige zu halten gehabt.

Gabriel befahl seinem Stallmeister, ihm zu folgen, doch ohne ihm zu sagen, wohin er ging. Seit dem widrigen Vorfall bei der Superiorin fing er wieder an, nicht seiner Treue, wohl aber dem Verstande von Martin-Guerre zu mißtrauen. Er hütete sich also, ihm die kostbaren Nachrichten mitzutheilen die er durch Jean Peuquoy erhalten hatte, und der falsche Martin-Guerre, der seinen Herrn nur zu einer nächtlichen Runde zu begleiten glaubte, war sehr erstaunt, als er sich dem Boulevard de la Reine zuwandte, wo man die große Ambulanz eingerichtet hatte.

»Wollt Ihr denn einen Verwundeten besuchen, gnädiger Herr?« sagte er.

»St!« machte Gabriel, indem er einen Finger auf seine Lippen legte.

Die Hauptambulanz, vor der Gabriel und Arnauld in diesem Augenblick anlangten, war bei den Wällen unfern vom Faubourg d’Ile angebracht, was der gefährlichste Ort und folglich derjenige war, wo man die Hilfe am meisten nöthig hatte. Es war ein großes Gebäude, welches vor der Belagerung als Futtermagazin diente, das man aber in dieser Noth den Wundärzten hatte zur Verfügung stellen müssen. Die Milde einer Sommernacht erlaubte, die mittlere Thüre der Ambulanz offen zu lassen, um die Luft zu erfrischen und zu erneuern. Unten von den Stufen einer äußeren Gallerie konnte also Gabriel schon beim Scheine der unablässig brennenden Lampen seinen Blick in diesen Leidenssaals tauchen.

Das Schauspiel war herzzerreißend. Man sah wohl da und dort einige blutige Betten, die man in der Hast aufgeschlagen; doch dieser Luxus wurde nur den Bevorzugten eingeräumt. Die Mehrzahl der unglücklichen Verwundeten lag auf Matratzen, auf Decken, und sogar auf Stroh. Seufzer und Wehklagen riefen von allen Seiten die Wundärzte und ihre Gehilfen, welche trotz ihres Eifers nicht auf jede Stimme hören konnten. Sie nahmen den nothwendigsten Verband, die dringendste Amputation vor, und die Anderen mußten warten. Die Unglücklichen krümmten sich im Zittern des Fiebers oder in den Zuckungen des Todeskampfes auf ihrem elenden Lager, und wenn einer derselben in einer Ecke ausgestreckt ohne Bewegung und ohne einen Schrei blieb, so sagte das über seinen Kopf gezogene Leintuch deutlich, daß er sich nie mehr rühren oder beklagen sollte.

Vor diesem finsterem schmerzlichen Schauspiel hätten die muthigsten und verkehrtesten Herzen ihren Muth und ihre Verhärtung verloren. Arnauld du Thill konnte sich eines Schauers nicht erwehren und Gabriel erbleichte.

Doch auf dieses plötzliche Erblassen des jungen Mannes folgte ein zartes Lächeln. Mitten in dieser Hölle, welche so voll von Schmerzen, als die von Dante, war ihm der ruhige, strahlende Engel erschienen. Diana, oder vielmehr die Schwester Bénie, ging schwermüthig, aber mit lichtem Antlitz unter allen diesen armen Verwundeten umher.

Nie war sie dem geblendeten Gabriel schöner vorgekommen. Das Gold, die Diamanten und der Sammet standen ihr bei den Festen des Hofes nicht so gut, als in dieser düsteren Ambulanz das grobe wollene Kleid und der weiße Brustschleier der Nonne. Nach ihrem reinen Profil, nach ihrem keuschen Gang, nach ihrem trostvollen Blick hätte man sie für die an diesen Ort des Leidens herabgestiegene Barmherzigkeit halten sollen. Der Christengeist konnte sich unter keiner bewunderungswürdigeren Form versinnlichen, und es ließ sich nichts Rührenderes sehen, als diese auserkohrene Schönheit, wie sie sich auf die hohlen, durch die Angst entstellten Gesichter herabbeugte, als diese Königstochter, wie sie ihre bewegte, kleine Hand den sterbenden Soldaten ohne Namen reichte.

Gabriel dachte unwillkürlich an Frau Diana von Poitiers, welche ohne Zweifel in diesem Augenblick mit lustigen Verschwendungen und unzüchtigen Liebeshändeln beschäftigt war, und von dem seltsamen Contraste zwischen den beiden Dianen berührt, sagte er sich, Gott habe sicherlich die Tugenden der Tochter geschaffen, um die Laster der Mutter zu sühnen.

Während sich Gabriel, dessen Fehler übrigens Träumerei nicht war, seiner Beschauung und seinen Vergleichungen hingab, ohne zu bemerken, daß die Zeit verging, trat allmälig im Innern der Ambulanz die Ruhe wieder ein. Der Tag war wirklich schon vorgerückt, die Wundärzte beendigten ihre Runde; die Bewegung und der Lärmen hörten auf. Man empfahl den Verwundeten Stillschweigen, und der Schlummer und die lindernden Tränke unterstützten diese Empfehlung. Wohl hörte man da und dort noch einiges Stöhnen, doch keine Schreie mehr wie zuvor. Ehe eine halbe Stunde verging, wurde Alles ruhig, so weit das Leiden ruhig sein kann.

Diana hatte ihre letzten Worte des Trostes an die Kranken gerichtet und sie mit den Aerzten und besser als diese zum Frieden und zur Geduld ermahnt. Alle gehorchten, so gut sie nur immer konnten, ihrer sanft gebieterischen Stimme. Als sie sah, daß für Jeden die Verordnungen erfüllt waren, und daß für den Augenblick Keiner mehr ihrer bedurfte, athmete sie lang, als wollte sie ihre gepreßte Brust erleichtern, und näherte sich der äußeren Gallerie, ohne Zweifel, um an der Thüre die frische Abendluft einzuziehen und, die Gestirne Gottes betrachtend, von dem Jammers und Elend der Menschen auszuruhen.

Sie stützte sich in der That auf ein steinernes Geländer und ihr zum Himmel aufgeschlagener Blick gewahrte nicht Gabriel, der unten auf den Stufen wie entzückt vor ihrer himmlischen Erscheinung zehn Schritte von ihr stand.

Eine ziemlich ungestüme Bewegung von Martin-Guerre, der diese Begeisterung nicht zu theilen schien, führte unsern Verliebten wieder auf die Erde zurück.

»Martin, »sagte er mit leiser Stimme zu seinem Stallmeister, »Du siehst, welche einzige Gelegenheit mir geboten ist. Ich will ich muß sie benützen, und, ach! vielleicht zum letzten Male mit Frau Diana sprechen. Wache Du indessen, daß man uns nicht stört, und stelle Dich etwas abseits auf die Lauer, doch so, daß Du im Bereiche meiner Stimme bleibst. Gehe, mein treuer Diener, gehe.«

»Aber« gnädiger Herr,« entgegnete Martin, »befürchtet Ihr nicht, die Frau Superiorin?«

»Sie ist ohne Zweifel in einem andern Saal,« erwiderte Gabriel. »Und dann darf man nicht zaudern vor der Nothwendigkeit, die uns sofort für immer trennen kaum.«

Martin schien sich zu fügen und entfernte sich schwörend, doch ganz leise.

Gabriel näherte sich Diana etwas mehr und rief, seine Stimme dämpfend, um nicht die Aufmerksamkeit von irgend Jemand zu erregen:

»Diana! Diana!«

Diana bebte; doch ihre Augen, welche noch nicht Zeit gehabt hatten, sich an die Finsternis zu gewöhnen, sahen Gabriel Anfangs nicht.

»Ruft man mich?« fragte sie, »und wer ruft mich.«

»Ich!« antwortete Gabriel, als ob die Einsylbe von Medea zu seiner Erkennung genügen müßte.

Sie genügte in der That, denn ohne mehr zu verlangen, erwiderte Diana mit einer Stimme, welche die Erschütterung und das Erstaunen beben machten:

»Ihr, Herr d’Ermès! seid Ihr es wirklich? und was wollt Ihr von mir an diesem Ort und zu dieser Stunde? Wenn Ihr mir, wie man mir gemeldet, Nachricht vom König, meinem Vater, bringt, so habt Ihr sehr gezögert und Ihr wählt den Ort und den Augenblick schlecht. Wenn nicht, so wißt Ihr, daß ich nichts zu hören habe und nichts hören will. Nun! Herr d’Ermès, Ihr antwortet nicht? habt Ihr mich nicht verstanden? Ihr schweigt? was bedeutet dieses Stillschweigen, Gabriel?«

»Gabriel! nun ist es gut!« rief der junge Mann. »Ich antwortete Euch nickt, weil Eure kalten Worte mich in Eis verwandelten, und weil ich nicht die, Kraft in mir fand, Euch Madame zu nennen, wie Ihr mich Herr nanntet. Es ist schon genug, daß ich Ihr sagen soll.«

 

»Nennt mich nicht Madame, und nennt mich nicht mehr Diana. Frau von Castro ist nicht mehr hier. Die Schwester Bénie steht vor Euch. Nennt mich meine Schwester, und ich werde Euch mein Bruder nennen.«

»Was wollt Ihr damit sagen?« rief Gabriel erschrocken zurückweichend. »Ich soll Euch meine Schwester nennen! Großer Gott! warum wollt Ihr, daß ich Euch meine Schwester nenne?«

»Das ist der Name, den mir jetzt Jedermann gibt. Ist es denn ein so erschrecklicher Name?«

»Oh! ja, gewiß, oder vielmehr nein; verzeiht mir, ich bin verrückt. Es ist ein süßer, reizender Titel; ich werde mich daran gewöhnen, Diana, ich werde mich daran gewöhnen . . . meine Schwester.«

»Ihr seht,« versetzte Diana traurig lächelnd. »Es ist übrigens. der wahre christliche Name, der mir fortan gebührt; denn obgleich, ich mein Gelübde noch nicht abgelegt habe, bin ich doch schon Nonne dem Herzen nach, und werde es bald auch der That nach sein, wenn ich die Erlaubniß des Königs erhalten habe. Ueberbringt Ihr mir diese Erlaubniß, mein, Bruder?«

Oh!« machte Gabriel im Tone schmerzlichen Vorwurfs.

»Mein Gott! ich versichere Euch, es liegt keine Bitterkeit in diesen Worten,« sagte Diana. »Ich habe seit einiger Zeit so viel unter den Menschen gelitten, daß ich natürlich meine Zuflucht bei Gott suche. Nicht der Trotz läßt mich so handeln und sprechen, sondern der Schmerz.«

In dem Ausdruck von Diana war wirklich nur Schmerz und Traurigkeit. Und dennoch vermischte sich in ihrem Herzen mit dieser Traurigkeit eine unwillkührliche Freude, der sie sich nicht hatte beim Anblick von Gabriel erwehren können, von Gabriel, den sie für ihre Liebe und für diese Welt verloren geglaubt, und den sie heute thatkräftig, stark und vielleicht zärtlich wiederfand.

Ohne es zu wollen, ohne es zu wissen, war sie ein paar Stufen der Treppe hinabgestiegen und hatte sich, angezogen von einem unüberwindlichen Magnet, Gabriel genähert.

»Hört,« sprach dieser, »das grausame Mißverständnis, das unsere zwei Herzen zerrissen hat, muß am Ende aufhören. Ich kann nicht langer den Gedanken ertragen, daß Ihr mich mißkennt, daß Ihr an meine Gleichgültigkeit oder, wer weiß? an meinen Haß glaubt. Dieser furchtbare Gedanke beunruhigt mich, selbst bei der heiligen und schwierigen Aufgabe, die ich zu erfüllen habe. Doch kommt ein wenig beiseit . . . Meine Schwester, nicht wahr, Ihr habt noch Vertrauen zu mir? ich bitte Euch, entfernen wir uns von diesem Platz; wenn man uns nicht sehen kann, so kann an uns doch hören, und ich habe Ursache, zu befürchten, daß man unsere Unterredung stören will, während sie doch für meine Vernunft und für meine Ruhe so nothwendig ist.«

Diana dachte nicht nach. Solche Worte aus einem solchen Munde gesprochen wirkten allmächtig auf sie. Sie stieg nur zwei Stufen hinauf, um in den Ambulanzsaal zu sehen, ob man ihrer nicht bedurfte, und als sie Alles in entsprechender Ruhe fand, stieg sie sogleich wieder hinab und legte ihre vertrauensvolle Hand auf die redliche Hand ihres Edelmanns.

»Ich danke,« sprach Gabriel, »die Augenblicke sind kostbar; denn wißt Ihr, was ich befürchte? die Superiorin, welche meine Liebe nun kennt, dürfte kommen und sich dieser Erklärung widersetzen, die jedoch so ernst und rein sein soll, als meine Zuneigung zu Euch, Schwester.«

»Ja,« sagte Diana, »nachdem sie selbst mir Eure Ankunft und Euer Verlangen, mich zu sprechen, mitgetheilt, verhinderte mich meine gute Mutter Monica, ohne Zweifel durch irgend Jemand von der Vergangenheit unterrichtet, die ich ihr zum Theil verborgen hatte, verhinderte mich, sage ich, seit drei Tagen aus dem Kloster zu gehen, und hätte mich gern auch diesen Abend zurückgehalten, wäre ich nicht, da die Reihe der Wache in der Ambulanz für mich gekommen, auf Erfüllung meiner schmerzlichen Pflicht bestanden. – Oh! Gabriel, ist es nicht sehr schlimm von mir, daß ich diese sanfte, ehrwürdige Freundin täusche?«

»Soll ich Euch wiederholen,« erwiderte Gabriel schwermüthig, »soll ich Euch wiederholen, daß Ihr bei mir wie bei einem Bruder seid, daß ich leider alle Bebungen meines, Herzens schweigen lassen und mit Euch nur wie ein Freund sprechen will und muß . . . allerdings immer als ein ergebener Freund, der mit Freuden für Euch sterben würde, der aber, seid unbesorgt, eher auf seine Traurigkeit als auf seine Liebe hören wird.«

»Sprecht also, mein Bruder.«

Mein Bruder! dieser furchtbare und zugleich reizende Name erinnerte Gabriel immer an die seltsame, feierliche Alternative, in welche ihn das Geschick gestellt hatte, und vertrieb wie ein magisches Wort die glühenden Gedanken, welche im Herzen des jungen Mannes die stille Nacht und die hinreißende Schönheit der viel Geliebten hätten erwecken können.

»Meine Schwester,« sprach er mit ziemlich fester Stimme, »ich mußte Euch nothwendig sehen und mit Euch reden, um zwei Bitten an Euch zu richten: die eine betrifft die Vergangenheit, die andere bezieht sich auf die Zukunft. Ihr seid gut und edelmüthig, Diana, und Ihr werdet beide einem Freunde gewähren, der Euch vielleicht nicht mehr auf seinem Wege in dieser Welt treffen soll, und den eine unselige, gefahrvolle Sendung jeden Augenblick dem Tode preisgibt.«

»Oh! sagt das nicht!« rief Frau von Castro, einer Ohnmacht nahe und. ganz verwirrt, ihre Liebe nach ihrem Schrecken ermessend.

»Ich sage Euch das nicht, damit Ihr Euch beunruhigt, sondern damit Ihr mir eine Verzeihung und eine Gnade nicht verweigert. Die Verzeihung erbitte ich mir für die Angst und für den Kummer, den Euch mein Wahnsinn an dem Tage bereiten mußte, an welchem ich Euch zum letzten Male in Paris gesehen. Ich habe den Schrecken und die Trostlosigkeit in Euer armes Herz gebracht; ah! meine Schwester, ich war es nicht, der mit Euch sprach, das Fieber sprach aus mir. Ich wußte wahrhaftig nicht, was ich sagte, und eine mir an demselben Tage zugekommene gräßliche Offenbarung, die ich kaum in mir zurückhalten konnte, erfüllte mich mit Wahnwitz und Verzweiflung. Ihr erinnert Euch vielleicht, meine Schwester, daß mich, als ich Euch verließ, die lange und schmerzliche Krankheit befiel, die mich beinahe das Leben oder wenigstens die Vernunft gekostet hätte?«

»Ich erinnere mich dessen, Gabriel!« rief Diana.

»Ich bitte Euch, nennt mich nicht Gabriel! nennt mich immer Bruder, wie vorhin! nennt mich mein Bruder! Diesen Namen, der mir Anfangs bange machte, zu hören, ist mir nun Bedürfniß.«

»Wie Ihr wollt . . .« erwiderte Diana erstaunt.

Doch in diesem Augenblick wurde das regelmäßige Geräusch einer marschierenden Truppe hörbar, und die Schwester Bénie drängte sich furchtsam an Gabriel.

»Mein Gott! wer kommt dort? man wird uns sehen!« sagte sie.

»Es ist eine Patrouille von unseren Leuten,« erwiderte Gabriel ärgerlich.

»Sie werden an uns vorbeikommen, mich erkennen oder anrufen. Oh! laßt mich hineingehen, ehe sie sich uns nähern; laßt mich entfliehen, ich bitte Euch.«

»Nein, es ist zu spät,« entgegnete Gabriel, sie zurückhaltend. »Jetzt fliehen, hieße sich zeigen. Kommt vielmehr dorthin, kommt, meine Schwester!«

Und gefolgt von der zitternden Geliebten, stieg er hastig eine durch ein steinernes Geländer verborgene Treppe hinauf, welche auf den Wall selbst führte. Hier stellte er Diana und sich zwischen ein nicht bewachtes Schilderhaus und die Zinnen.

Die Wache ging auf zwanzig Schritte vorüber, ohne sie zu sehen.