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Der Pastor von Ashbourn

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IX.
Was eine Frau leiden kann. Manuscript der Selbstmörderin. (Schluß.)

Von diesem Augenblicke an vermöchte ich nicht anzugeben, was sich zutrug, nur eine dunkle, traumähnliche Erinnerung bleibt mir davon übrig. Ich erinnere mich einer kalten Steinplatte, auf welcher ich mich während des Todten-Gottesdienstes ausstreckte; langer und grausiger Gesänge, die mir indessen sehr kurz schienen; der traurigen Pilgerschaft, die ich allein von der Kirche nach dem Friedhofe antrat; – denn der Gedanke der Ansteckung hatte Jedermann entfernt, – des Geräusches der auf den Sarg rollenden Erde; dann des Abends, der mich wieder zur Besinnung brachte. Es war Nacht; ich fand mich neben dem Grabe meiner Tochter liegen. Maschinenmäßig stand ich auf. nahm eine Hand voll Erde, die ich an meine Brust drückte, und kehrte mit gesenktem Kopfe, langsamen Schrittes zurück, indem ich von Zeit zu Zeit murmelte: »Lebe wohl! lebe wohl. . . lebe wohl!. . .« Auf dem Platze des Pfarrhauses spielten lachend und tanzend Kinder rings um ein großes Feuer und unter ihnen erkannte ich, weit lustiger und weit lärmender als die anderen, die beiden Söhne des Pastors, welche zurückgekehrt waren, denn ihr Vater fürchtete nicht mehr für sie: meine Tochter war begraben. Bei meinem Herannahen entflohen alle Kinder mit dem Ausrufe: Die graue Dame! die graue Dame! Ich flößte allen diesen kleinen Unglücklichen Schrecken ein, warum? Ich weiß es nicht. Es lag mir auch wenig daran! denn jetzt, wo meine Tochter todt war, haßte ich die Kinder, und besonders diese beiden abscheulichen, so lärmenden und spöttischen Zwillinge. Ich kehrte in mein Zimmer zurück, verschloß die Thür, und ging ohne Licht gerade nach dem Bette Elisabeth’s. Einen gewissen Trost fand ich darin, mich auf diesem Bette auszustrecken, welches von nun an das meinige sein sollte. Wenn meine Stunde käme, würde es um so leicht werden auf dem Bette zu sterben, auf welchem meine Tochter gestorben war. Aber ich suchte es vergebens mit meinen vorgestreckten Händen; dieses für mich ein Altar gewordene Bett war nicht mehr da! Ich vermochte nicht an dessen Verschwinden zu glauben und zündete die Lampe an. Der Platz war leer. Es fehlte nicht allein das Bett, sondern mit ihm waren auch alle Gegenstände verschwunden, von denen man wußte, daß sie meiner Tochter gedient hatten. Nun erinnerte ich mich dessen, was mir die alte Leichenfrau gesagt, nämlich, daß man wegen der Ansteckung Alles vernichten wollte, was ihr angehört. Alles, was sie berührt hatte. Das Feuer, welches ich gesehen, um das herum die Kinder lachten und tanzten, war der Herd, auf welchem sich Alles verzehrte, was meinem armen Kinde angehört hatte. Es blieb mir nichts mehr von ihr übrig, als dieses kleine Geldstück, welches sie mir in den Straßen von Milfort an dem Tage gegeben, an welchem sie glaubte, ich verlange ein Almosen von ihr. Ich drückte es leidenschaftlich an meine Lippen, indem ich von Neuem schwor, mich nicht einmal im Tode von ihm zu trennen. Hierauf, erschöpft, vernichtet, fieberhaft, nicht mehr im Stande zu weinen und ganz verzweiflungsvoll, warf ich mich auf mein Bett.

Ich sage es noch einmal, es würde mir schwer werden, die Umstände meines Lebens während der drei oder vier Tage zu erzählen, welche dem Tode und dem Begräbnisse meines Kindes folgten. Es blieben mir, wie gesagt, vier oder fünf Pence übrig und ich ging täglich einmal hinunter, um ein wenig Brod zu kaufen, aber auf dem ganzen Wege hörte ich mit Schrecken wiederholen: »Die graue Dame! die graue Dame!« Die Kinder flohen, die Frauen machten ihre Thüren halb auf und verschlossen sie sogleich wieder, und ich ging kalt und gefühllos vorüber, indem ich auf meinem Wege einen Schrecken erweckte, dessen Ursache ich nicht kannte. Ich hätte sie wahrscheinlich niemals erfahren, wenn ich mich nicht eines Morgens ohne Pennce befunden hätte. Ich war gefühllos gegen Alles geworden, ausgenommen gegen das Gespött der Kinder des Pastors; man hätte sagen können, daß in diesem tiefen Schmerze, der mich verzehrte, ein gewisser Grund der Freude für sie lag, denn ich mochte ausgehen oder nach Haus kommen, ich fand sie beständig auf meinem Wege. Ihr Anblick brach mir das Herz und erhitzte meine Einbildungskraft. Ich fühlte instinctmaßig, daß, wenn mir ein neues Unglück begegnen sollte, es mir von dieser Seite kommen würde. Aber welches Unglück von der Welt konnte mich treffen, das den Namen Unglück nach dem verdiente, dessen Opfer ich gewesen war? An dem Tage, an welchem ich mich ohne Geld befand, ging ich daher hinunter, um den Bäcker um ein Stück Brod zu bitten. Als er mich erblickte, reichte er mir meine gewöhnliche Portion.

– Weniger als das, sagte ich zu ihm.

– Warum weniger?

– Weil ich kein Geld mehr habe, und das Brod, um das ich Sie gebeten, ein Almosen ist.

Der Bäcker brach das Brod entzwei und gab mir das kleinste der beiden Stücke.

– Es ist also nicht wahr, was man in dem Dorfe sagt? begann er wieder.

– Was sagt man?

– Man sagt, daß Sie in einer Nacht mit dem Hirten von Narberth und einem Bettler in dem Gebirge gewesen seien, und dort dem Teufel Ihre Seele verkauft hätten, so daß Sie seit dieser Nacht keinem menschlichen Bedürfnisse mehr unterworfen wären.

– Wenn ich meine Seele dem Teufel verkauft hätte, so wäre es geschehen, um meine Tochter zu retten, und meine Tochter wäre also noch nicht todt; wenn ich keine menschlichen Bedürfnisse mehr hätte, so würde ich nicht kommen, Sie um ein Stück Brod zu bitten. Dabei zuckte ich die Achseln und kehrte in das Pfarrhaus zurück.

Jetzt war mir der Schrecken der Landleute erklärt. Man glaubte, daß ich Umgang mit dem Feinde des Menschengeschlechts hätte. Ich wußte, daß es die Kinder des Pastors waren, welche alle diese Gerüchte verbreiteten, und mein Haß gegen sie steigerte sich dadurch noch mehr.

Nach Hause zurückgekehrt, setzte ich mich wie gewöhnlich auf den Friedhof zwischen das Grab meines Gatten und das meiner Tochter. Ich hatte mit großer Mühe einen dicken Stein dorthin gebracht, und auf diesem Steine sitzend, den Körper gebeugt, meine Hände auf meinem Schooße gefaltet, blieb ich mit starrem Auge, den Geist in einen einzigen Gedanken zusammendrängend, in eine einzige Erinnerung verloren, ganze Stunden regungslos. Wenn dann der Abend herbeigekommen war, stand ich auf und kehrte in mein Zimmer zurück – ein anderes Grab, das vor den anderen den Nachtheil hatte, leer zu sein.

Einmal, – es war gestern, – in den Abendstunden vom 27. auf den 28., in dem Augenblicke, wo ich den Friedhof verlassen wollte, fand ich die Thür verschlossen, welche mit dem Pfarrhause in Verbindung stand. Das war eine neue Bosheit der beiden Kinder des Pastors. Es unterlag keinem Zweifel; denn, als ich die Augen erhob, sah ich ihre beiden Köpfe in der Fensteröffnung des Speichers, der auf den Friedhof ging. Alle Beide hatten sich dort versteckt, um an meiner Verlegenheit sich zu ergötzen. Ich versuchte nicht, die Verbindungsthür zu öffnen, was vergebens gewesen wäre; sondern ging nach der allgemeinen Thür, aber sie war gleichfalls verschlossen. Ich kehrte also zurück, um mich auf den Stein zu setzen. Brachte ich dort nicht einen Theil meines Daseins zu? Was lag mir daran, dort am Tage wie des Nachts zu bleiben! Zwar war es in der Nacht weit kalter, aber fühlte ich die Kälte etwa?

Um fünf Uhr Morgens kam der Todtengräber durch die große Thür, um den Platz eines Grabes zu bezeichnen, und fand mich erstarrt, regungslos und stumm wie eine Statue auf der Stelle, auf welche ich mich am Abend vorher gesetzt hatte. Er näherte sich mir, schüttelte mich am Arme und weckte mich. Ich entfernte mich dann durch den Ausgang, der mir geöffnet war, und, ohne ein Wort zu sagen, kehrte ich wie ein Gespenst in mein Zimmer zurück, indem ich um den Platz herumging.

Kaum waren die Kinder wach, als sie nach der Verbindungsthür eilten, welche vom Pfarrhause auf den Friedhof führt, und die wie am Abend vorher von innen verschlossen war. Sie machten sie leise auf und blickten durch die Spalte. Ich war nicht mehr auf dem Friedhofe und der Todtengräber hatte sich gleichfalls entfernt. Wie war die graue Dame herausgekommen? Vielleicht war sie nicht hinausgegangen, sondern in einem Winkel versteckt; vielleicht hatte sie hinter irgend einer Trauerweide ein Obdach gegen die Kälte der Nacht gesucht. Sie wagten nicht, den Kirchhof zu betreten und ihn zu durchsuchen, denn, wie gesagt, verursachte ich ihnen eben so viel Schrecken als Neugierde, sondern gingen auf den Speicher hinauf, wo ich sie am Abend vorher gesehen hatte und dessen Thür sich neben meinem Zimmer befindet, und von dem Fenster des Speichers aus überzeugten sie sich, daß der Friedhof wirklich verlassen sei.

Ich hatte dieses ganze Treiben gesehen oder errathen, denn ich hatte ihre schleichenden Schritte auf der Treppe gehört. Als sie den Speicher verließen, gingen sie von Neuem an meiner Thür vorüber, aber dieses Mal blieben sie vor ihr stehen. War ich in mein Zimmer zurückgekehrt oder nicht? Das war die Frage, um deren Aufklärung es sich handelte, aber das war etwas Leichtes, sie durften nur durch das Schlüsselloch sehen. Ach! in meinem unermeßlichen Schmerze hätte ich auf diese kindischen Bosheiten nicht achten sollen; aber im Gegentheile, diese Verfolgungen waren mir unerträglich geworden und in dem Augenblicke, wo sie sich bückten, um durch das Schlüsselloch zu sehen, machte ich gewaltsam die Thür auf, und erschien drohend und mit aufgehobenem Arme auf der Schwelle, indem ich ausrief: Elende! . . .

Sie stießen einen Schrei aus und entflohen über die Treppe; aber diese war steil und eng; der Aeltere stieß den Jüngeren und stürzte ihn hinab. . . Ich hörte einen Ausruf des Schreckens, einen heftigen Fall, und dann einen Schrei des Schmerzes, und verschloß erschreckt und zitternd wieder meine Thür. Ich fühlte, daß sich ein großes Unglück zugetragen habe, und daß ich die unwillkürliche Ursache davon war. Auf den letzten Schrei folgte Hin- und Hergehen, Thränen und Schluchzen; dann kam ein schwerfälliger Tritt die Treppe herauf. Meine Thür ging auf und der Pastor erschien, indem er seinen jungen Sohn, mit Blut überströmt, in seinen Armen hielt. Sein Schädel war gespalten.

 

– Unglückliche! sagte er zu mir, das hast Du gethan! Ich konnte sagen, wie sich die Sache zugetragen hatte; ich konnte die unaufhörliche Verfolgung dieser beiden boshaften Zwillinge erzählen; aber was einem Vater sagen, der seinen Sohn beweint? Ich bedeckte meinen Kopf mit meinem Mantel und schwieg. In diesem Augenblicke stieß das Kind einen Seufzer aus.

– O! rief der Vater aus, er ist noch nicht todt. . . Zu Hilfe! zu Hilfe!. . .

Und er ging eilig hinunter, indem er nur noch an das Eine dachte, daß sein Kind nicht todt und es vielleicht noch Zeit sei, dasselbe zu retten. Man ließ einen Arzt von Milfort holen. Er kam; es war derselbe, der meine Elisabeth behandelt hatte, und gegen drei Uhr Nachmittags kam er herauf und trat zu mir ein.

– Nun? fragte ich ihn.

– Leider! sagte er, ist das Kind todt.

Ich stieß einen Seufzer aus.

– Sie wissen, fuhr er fort, was es heißt, sein Kind zu verlieren?

– O! sie hatten wenigstens zwei Söhne!

– Man liebt immer den am meisten, den man verliert.

Ich seufzte von Neuem.

– Sie werden begreifen, sagte er, daß Sie nach einem solchen Unglücke unmöglich in diesem Hause bleiben können.

– Die Wittwe des verstorbenen Pastors hat das Recht, bis zu ihrem Tode in demselben Pfarrhause wie der nachfolgende Pastor zu bleiben.

– Hat man den Fall vorausgesehen, in welchem diese Wittwe die Ursache des Todes eines seiner Kinder sein würde?

Ich seufzte nochmals.

– Der Vater und die Mutter wollten selbst herauf kommen, um Sie von hier fortzujagen, Sie hinaus schleppen, vielleicht das ganze Dorf gegen Sie aufwiegeln; dem habe ich mich widersetzt, und habe gesagt, daß ich zu Ihnen gehen würde, und deßhalb bin ich gekommen.

– Ich habe indessen das Recht für mich, flüsterte ich.

– Ja, aber Sie haben die That gegen sich. Diese Landleute, welche Sie umgeben, sind unwissend und 10h; unwissende und rohe Menschen werden leicht boshaft und da man Sie für eine Hexe, eine Verworfene hält, so würde man vielleicht glauben, Gott angenehm zu sein, wenn man Sie in Stücke zerrisse. . .

– Ich soll dieses Zimmer verlassen, in welchem meine Tochter gestorben ist? ohne ein Andenken von meinem armen Kinde des Nachts um das Dorf herum irren? . . . Und wie werde ich auf diesen Friedhof gelangen, auf welchem mein Herz begraben ist?

– Es wird klug sein, sich zu entfernen, und in einem anderen Orte Englands zu leben.

Ich schüttelte den Kopf.

– Wenn Ihnen die Mittel fehlen, sagte der Arzt, gut. ich will Sie nach meinen Kräften unterstützen . . . aber fort müssen Sie.

– Wann?

– Je früher, desto besser.

Ich überlegte einen Augenblick lang. Ein schrecklicher Entschluß war in mir aufgestiegen und die Verzweiflung hatte ihn mit ihrer gewöhnlichen Willfährigkeit angenommen.

– Es ist gut, sagte ich zu ihm, zeigen Sie ihnen an, daß ich heute Nacht aufbrechen werde…

– Haben Sie irgend etwas nöthig? fragte der Arzt.

– Ich danke! ich habe nichts nöthig.

– Auf Wiedersehn!

– Adieu!

Er entfernte sich. Ich blieb allein.

Während dieser Zwischenzeit, einer Art von Brücke, die zwischen das Leben und den Tod meines Daseins geschlagen, nehme ich die unterbrochene Erzählung wieder auf und schreibe diese letzten Zeilen.

Man wird meinen Tod auf verschiedene Art beurtheilen, man wird mein Leben verleumden, wird mich vielleicht verfluchen.

Es ist daher wichtig, zu wissen, was ich gelitten habe. Ein gutes und mitleidiges Herz, das für mich betet, wird vielleicht hinreichen, um den Zorn in den Händen des Herrn aufzuhalten. – Ich habe den Entschluß gefaßt, mir das Leben zu nehmen. Ach! es ist nicht das erste Mal, daß ich daran dachte. Aber ich hatte ihn früher verworfen. Hatte ich nicht dieses Zimmer, in welchem meine Tochter gestorben ist, um an sie zu denken? Hatte ich nicht diesen Stein neben ihrem Grabe, um auf ihm zu weinen?

So lange man mir dieses Zimmer und diesen Stein gelassen, hätte ich gelebt, – es sei denn, daß ich vor Hunger gestorben wäre, denn vor Hunger zu sterben, wäre kein Selbstmord gewesen; aber sobald man mir den Eingang des Friedhofs verbietet, was bleibt mir dann übrig, als zu sterben? Wenn ich hier in diesem Hause sterbe, so werden sie mich aus Mitleiden in einen Winkel des Friedhofes werfen, aber ich werde wenigstens dort sein; wenn ich aber in der Ferne sterbe, so wird man mich da begraben, wo ich mich gerade aufhalte.

Wenn mein Grabstein zu schwer wäre, als daß ich ihn aufheben und mein Kind besuchen könnte! Mein Gott! was würde dann während der Ewigkeit aus mir werden?. . . Aber vielleicht ist der schwerste Stein, den die göttliche Gerechtigkeit auf ein Grab legt, der Selbstmord. Gleichviel! ich habe keinen anderen als diesen verhängnißvollen Weg: ich werde ihn einschlagen!. . .

* * *

Ich bin auf die Gefahr hin, dem Vater oder der Mutter zu begegnen, hinuntergegangen,, denn ich hatte zwei letzte Besuche zu machen: den einen Gott, den anderen meinem Kinde; aber ich habe die Kirche und den Friedhof verschlossen gefunden. Sie wieder sind es, die mich dieses letzten Trostes berauben! Glücklicherweise sehe ich von meinem Fenster aus das Grab Elisabeths, und vor diesem Fenster werde ich niederknieen und beten.

* * *

Während ich auf den Knieen an dem Fenster betete, stieg ein Gewitter am Himmel auf. Dieses Gewitter erinnerte mich an das, welches an dem Tage stattgefunden hat, an welchem meine Tochter gestorben ist. Es brach mit Blitzen, Donner und Regen aus, dann hat es sich verzogen und die Natur wurde wieder eben so ruhig als wenn kein Gewitter in der Luft gewesen wäre.

Auch ich habe ein Gewitter im Herzen, aber in einigen Augenblicken wird dieses Gewitter ausgetobt haben, und es wird Alles wieder ruhig um mich herum werden, selbst in meinem Innern.

* * *

Etwas beunruhigte mich: nämlich, daß ich, um irgend ein Todeswerkzeug, Kohlen, Dolch oder Gift zu kaufen, dieses Geldstück wechseln müßte, das mir mein Kind gegeben hat, denn, wie man weiß, besitze ich keinen Penny mehr, und seit gestern habe ich von dem Stück Brod gelebt, das mir der Bäcker geschenkt hat.

Ich konnte mich aus dem zweiten Stocke hinabstürzen und versuchen, mir so das Leben zu nehmen, aber ich erinnere mich, daß ich einen armen Schieferdecker, der von dem Dache der Kirche gefallen war, mit zerschmetterten Gliedern habe nach Haus zurücktragen sehen. Dieser Mann ist verkrüppelt geblieben, aber er ist nicht gestorben, ich muß also auf eine andere Art sterben. Ich glaube mich zu erinnern. . .

* * *

Ich irrte mich nicht.

Ich erinnerte mich in der Wäschekammer, die an mein Zimmer grenzt, Wäsche aufgehängt gesehen zu haben. Ich komme dorther und habe verschiedene Stricke nehmen können! es bleibt mir also nur noch übrig unter ihnen zu wählen. Ah! da donnert das Gewitter. . .

* * *

Ich habe gewählt und will auf folgende Art sterben. Um Mitternacht werde ich hinuntergehen. Am Ende des Gartens befindet sich an einem dunkelen Orte eine dicke Akazie, du einen Felsen verdeckt, aus welchem Wasser tröpfelt. Unter dieser Akazie befindet sich eine steinerne Bank, mit deren Hilfe ich meinen Strick an den stärksten Ast des Baumes befestigen kann, und dort werden sie mich morgen wiederfinden. Ein sonderbares Zusammentreffen, es ist dann gerade ein Jahr, daß ich meinen armen Gatten verloren habe!

* * *

Die Mitternachtsstunde wird schlagen. – O, mein Kind! ich werde also für immer zu Dir gehen . . . oder, wer weiß? mich für ewig von Dir trennen! Herr! Herr! Du, der Du weißt, was ich gelitten habe, ich vertraue mich Deiner Barmherzigkeit an! Habe Erbarmen mit mir!. . .

Waston, in der Nacht vom 28. zum 29. September 1584.

Unter diesen Worten und von derselben Handschrift als die Note zu Anfang, konnte der ehrwürdige Herr Williams Bemrode Folgendes lesen:

Die Sage erzählt: Bei dem letzten Schlage der Mitternachtsstunde hörten der Pastor und seine Frau, welche weinend an dem Sterbebette ihres Sohnes wachten, zwischen zwei Donnerschlägen einen Fluch, dem ein lauter Schrei folgte. Es lag in dem, was sie gehört hatten, etwas so Trauriges, so Geheimnißvolles und so Grausiges, daß alle beide sich schweigend und schaudernd einander anblickten, ohne zu wagen, sich nach der Ursache des nächtlichen Schreies zu erkundigen. Sie.horchten; aber während der ganzen übrigen Nacht hörten sie nichts mehr als das Toben des allmählig vorüberziehenden Gewitters.

Am folgenden Morgen erblickte bei dem ersten Grauen des Tages ein Nachbar, der in seinem Garten arbeitete, die an der Akazie aufgehängte graue Dame, stieg über die Hecke, versicherte sich davon, und meldete dem Pastor dieses neue Ereigniß. Das Gerücht von diesem Tode verbreitete sich im Dorfe, und Jeder sammelte nun seine Erinnerungen. Ein Bergman, der den Fußpfad an dem Garten des Pfarrhauses gerade bei dem letzten Schlage der Mitternachtsstunde entlang ging, bestätigte, was der Pastor von dem Fluche und dem Schrei gesagt, den er zu hören geglaubt hatte, denn er hatte es gleichfalls gehört, aber er hatte die Worte deutlich unterschieden. Eine Stimme hatte gesagt:

– Zur Stunde des Todes, und durch die Verfolgungen des Pastors, seiner Frau und ihrer Kinder in diesen Tod getrieben, verfluche ich alle Zwillinge, die in dem Pfarrhause geboren werden, und möge der Eine der beiden den Anderen tödten. wie heute der ältere den jüngeren getödtet hat!. . .

Dann war diesem Fluche ein lauter Schrei gefolgt.

Entsetzt, außer sich, war er nach Haus zurückgekehrt, indem er seiner Frau erzählte, daß er den Geist des Gewitters einen Fluch über das Pfarrhaus hätte aussprechen hören. Alles hatte sich durch die an der Akazie aufgehängt gefundene graue Dame erklärt.

Während man mit großem Prunke den Sohn des Pastors beerdigte, warf man die Leiche der Selbstmörderin in einer Ecke des Friedhofes in ungeweihter Erde in ein Loch. Seit dieser Zeit sagt man. daß sie immer, wenn die Frau eines Pastors von Waston von Zwillingen entbunden worden, entweder vor oder nach der Entbindung, je nach dem Datum derselben, erschienen ist, denn die Nacht der Erscheinungen .ist unveränderlich die von dem 28. auf den 29. September, das heißt die Nacht von dem Sanct Gertrudis- bis auf den Sanct Michaelis-Tag. Einige Zeit vor dem Brudermorde erscheint sie nochmals. Folgendes versichert man über die Art und Weise, in welcher sie erscheint: Bei dem ersten Schlage der Mitternachtsstunde verläßt sie ihr Zimmer, geht die Treppe hinab, erreicht den Garten, schlägt die mittlere Allee ein, setzt sich unter die Akazie und bleibt dort einige Minuten, worauf sie in Dunst zu verschwinden scheint. Man sagt nicht, daß sie jemals gesprochen, aber zuweilen hat sie befehlende Geberden gemacht.

Deßhalb habe ich, Albert Martronius. Doctor der Theologie, nachdem ich dieses Manuscript gelesen, – wie es eine in den Archiven niedergelegte Note bestätigt, – das kleine steinerne Kreuz ausbessern lassen, das ohne Zweifel eine fromme und unbekannte Hand in einer Ecke des Friedhofes errichtet hat, indem ich den Herrn bat. der Seele der Unglücklichen, die darunter liegt, Ruhe zu verleihen.

Waston, am 28. September, dem gewöhnlichen Tage der Erscheinungen der grauen Dame, im Jahre des Herrn 1650.