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Der Pastor von Ashbourn

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IV.

Was eine Frau leiden kann. (Manuscript der Selbstmörderin). (Fortsetzung)

Ich legte meine Tochter auf ihr Bett, und kniete vor ihr nieder. Nach Verlauf eines Augenblickes stieß sie einen Seufzer aus, schlug die Augen wieder auf und kehrte mit frischem Muthe in das Leben zurück, wie ihr das bereits in Folge ähnlicher Ohnmachten begegnet war. Nur glaubte ich, daß sie jedesmal von ihrer Ohnmacht ein wenig mehr Schwäche in ihrem ganzen Körper und ein wenig mehr Blässe auf ihrem Gesicht behielt, doch schien sie, sobald sie wieder zu sich gekommen war, diese Arten von Wanderungen in die Welt der Todten gänzlich zu vergessen.



Als sie die Augen wieder aufschlug, schien sie so glücklich, sich wieder in unserem armseligen Zimmer zu befinden und mich neben sich zu sehen, daß die Freude, die sich auf ihrem Gesicht spiegelte, mich die Blässe desselben vergessen ließ. Sie nahm nun lächelnd aus ihrer Tasche einen kleinen Geldbeutel, in welchem sich drei Guineen und einige Schillinge befanden, als pünktliche Bezahlung für die Zeit, welche sie bei Herrn Wells zugebracht hatte: zwei Monate, drei Tage. drei Stunden, zwölf dreiviertel Minuten, denn der strenge Rechner hatte Alles bis auf die Secunde berechnet und eine Münze der kleinsten Art bezahlte die dreiviertel Minuten.



Wir besaßen nun ungefähr zusammen fünf und ein halbes Pfund, womit ich, wenigstens in der ersten Zeit, ohne Sorge mein Kind verpflegen und die Vorschrift des Doctors befolgen konnte, dessen Verordnung nicht sehr schwierig war und welcher versprochen hatte, die erste Gelegenheit zu ergreifen, um uns zu besuchen, und dann je nach dem Grade der Genesung oder den Fortschritten der Krankheit die Behandlung zu ändern.



Einstweilen sollte Elisabeth schleimige Getränke, entweder von Pflanzen- oder thierischen Stoffen genießen; sie sollte wenig essen, – vorzugsweise Gallerte von Fleisch, – und warmes Wasser beim Essen trinken. Der Arzt glaubte übrigens nickt, daß vor Ablauf eines Monats, von der Rückkehr Elisabeths an gerechnet, sich andere Zufälle, als die. welche wir bereits kannten, zeigen würden, und mit Ausnahme eines sonderbaren, unerwarteten und unerhörten Zufalles, trug sich in der That Alles so zu, wie es der Arzt vorausgesehen hatte. Der erwähnte Zufall war der Stich des Dornes der auf dem Grabe gewachsenen Rose, ein unmerklicher, aber immer offener Stich, der sich niemals wieder schloß. Zwar vermochte das Auge in den ruhigen Tagen Elisabeth’s, – mit Ausnahme eines kleinen weißen Kreises um demselben herum, ihn kaum zu bemerken, aber bei jedem Anfalle von Husten drang ein Tropfen Blut aus ihm hervor; anfangs rosig und hochroth, aber in dem Maaße, als die Krankheit des armen Kindes zunahm, bleicher, und so zu sagen weniger lebensvoll.



In diesem langsamen Zuschreiten Elisabeths nach dem Grabe lag also irgend etwas Uebernatürliches, welches im Voraus anzudeuten schien, daß jeder Widerstand nutzlos und fast eine Gottlosigkeit wäre. Man hätte sagen können, daß ich sie an einer Hand in dem Leben zurückhielt, während ihr Vater sie an der anderen in das Grab zog.



Ein Monat verfloß ohne wirkliche Schmerzen, aber unter einer allmähligen Entkräftigung. Während der ersten Tage konnte Elisabeth noch hinuntergehen, das Haus verlassen und einige Schritte außerhalb des Dorfes machen; dann wurde ihr Spaziergang immer beschränkter.



Die Landleute sahen uns vorübergehen und schüttelten den Kopf; da man in der ausdrucksvollen und blumenreichen Sprache des Fürstenthums Wallis jeder Sache einen bezeichnenden Namen zu geben pflegt, so sagten sie auf uns Beide zeigend:



– Da geht die graue Dame und die lebendige Todte!



Anfangs trat man aus den Thüren, um uns vorübergehen zu sehen; später zog man sich in das Haus zurück. wenn wir vorüberkamen. Ich weiß nicht, welche abergläubische Furcht sich an uns knüpfte. Vielleicht glaubte man. daß die Krankheit Elisabeths ansteckend sei, und dennoch ist die unglückselige Krankheit der Schwindsucht in England bekannt genug. Von dem blutenden Stich, den sie am Herzen hatte, wußte übrigens Niemand etwas, denn sowohl um das Geheimniß meiner Tochter zu bewahren. als aus Sparsamkeit, wusch ich ihre Wäsche selbst.



Die wenigen Augenblicke der Ruhe, welche sie hatte, waren die während ihres Schlafes. Nur Gott und ich, die Einzigen, welche sie schlafend gesehen haben, können wissen, wie schön sie dann war. Dieser Schlaf schien, wenn er ohne Fieber war, für das keusche Kind eine Anschauung des Himmels zu sein. Denn obgleich ihre schönen himmelblauen Augen geschlossen waren, nahm ihr Gesicht dennoch einen engelgleichen Ausdruck an, als ob es bereits von dem Lichte erleuchtet gewesen wäre, das von dem Antlitze des Herrn ausströmt.



Unglücklicher Weise befiel sie dieser himmlische Schlaf fast immer am Tage, denn die Nachtruhe war im Gegentheile aufgeregt und fieberhaft, und fast niemals endigte dieser Schlaf auf eine natürliche Weise. Es schien nämlich, daß diese unglückseligen Kinder des Pastors, welche tiefen Haß gegen mich gefaßt hatten, – warum? ich weiß es nicht! ohne Zweifel wegen des Rechts, das ich als die Wittwe des vorhergehenden Pastors hatte, wider den Willen ihrer Eltern in dem Pfarrhause zu wohnen, – es schien also, daß diese boshaften Kinder immer diesen Schlaf und die Wohlthat ahnten, welche er für die Kranke hatte, denn dann verdoppelten sie ihr lustiges Geschrei oder ihr jammerndes Geheul.



Sehr oft schlug ein von dem Hofe geworfener Ball gegen die Fensterscheiben, oder von der Treppe aus ein Stein gegen die Thür. Dann erwachte bei dem Sturze der Fensterscheiben auf den Fußboden, oder bei dem Gepolter des Steines, mein armes Kind plötzlich; ihr tödtlicher Husten befiel sie wieder, und sie kehrte durch eine schmerzliche Erschütterung in das Leben und in das Leiden zurück.



Wenn ich mich bei den Eltern beklagte, so sagten sie:



– Es ist nicht unsere Schuld, wenn unsere Kinder gesund sind, während ihre Tochter krank ist; wenn übrigens die Wohnung Ihnen nicht ansteht, so halten wir Sie nicht zurück. . . Ziehen Sie anderswohin.



Nach Verlauf eines Monats kam der Arzt uns zu besuchen. Seit acht Tagen ging Elisabeth nicht mehr aus, nicht einmal mehr hinunter, sondern blieb in meinem großen Sessel an dem Fenster sitzen, welches auf den Friedhof ging, und wandte ihr Gesicht unveränderlich nach dem unserer Familie vorbehaltenen Ruheplatze; ihr Auge heftete sich auf das Grab ihres Vaters und ein unbestimmtes Lächeln zeigte sich auf ihrem Gesicht; dabei nickte sie mit dem Kopfe und bewegte unmerklich die Lippen. Sie schien Dinge zu sehen, die unsern menschlichen Augen verborgen bleiben, und sich leise mit den Geistern einer anderen Welt zu unterhalten.



Diese seltsamen Gespräche endigten fast immer mit einem Anfalle von Husten, und dieser durch die Ergießung eines Tropfens immer bleicheren Blutes. Uebrigens hatte sich plötzlich ein sonderbarer Umstand zugetragen, welcher unmittelbar mit diesem unheilbaren Stiche in Verbindung zu stehen schien. Das Blutspeien hatte aufgehört.



Als der Arzt eintrat, saß Elisabeth an dem Fenster, mit starrem Auge, halb geöffnetem Munde, und wie gewöhnlich lächelndem Gesichte.



Ich hörte Schritte, welche die Treppe heraufkamen, und da es gerade ein Monat nach unserer Rückkehr von Milfort war, so dachte ich, daß es die des Arztes seien, und machte diesem Bundesgenossen, den der Herr mir gegen den Tod sandte, die Thür auf.



Er trat ein, ohne daß es Elisabeth zu bemerken schien, jedoch reichte sie ihm, als er auf sie zuschritt, ohne sich umzuwenden, die Hand, und als ob sie mit Hilfe irgend eines unsichtbaren Sinnes errathen hätte, wer es sei, flüsterten unter einem kurzen Kopfnicken ihre Lippen die kaum wahrnehmbaren Worte:



– Guten Tag, Doctor.



Der Doctor ergriff ihre Hand und fühlte ihr den Puls.



– Sonderbare Krankheit! äußerte er; es ist gerade, als ob diesem Kinde gleich einer gesprungenen Vase das Leben Tropfen für Tropfen entrinnt.



Nun erzählte ich ihm außer der Krankheit, die er errathen. erforscht und bestätigt hatte, die sonderbare Erscheinung des bei jedem Anfalle von Husten vergossenen Bluttropfens.



Ein ungläubiges Lächeln antwortete auf meine Erzählung, aber ich zeigte ihm auf den Hemden meines armen Kindes einen mit jedem Tage mehr erbleichenden Bluttropfen.



– Um auf eine so seltsame Erzählung zu antworten, sagte er, müßte ich diese vorgebliche Wunde sehen und untersuchen. . .



Aber das keusche Kind kreuzte beide Hände über ihre Brust.



– Unnöthig! sagte sie, als ob sie selbst die Erklärung dieses Geheimnisses geben könnte; Gott hat zugelassen, daß ich dieses Blut, welches früher mit schmerzlichen Krämpfen durch den Mund hervorbrach, schmerzlos durch den Stich dieses Rosendornes verlieren sollte. In dem Maaße, als dieses Blut erbleichen wird, werde ich schwächer werden,. . . und eines Tages wird aus diesem Stiche nur noch ein Tropfen Wasser hervorkommen. – Das wird mein Todestag sein.



Und sie sagte das lächelnd, als ob die Stunde des Todes die des Glückes sei.



Ich blickte sie an, faltete die Hände und sagte mir in meinem Innern:



– Wenn unsre Religion, wie die katholische. Heilige annähme, so wäre diese Jungfrau, die ich da vor Augen habe, zuverlässig eine Heilige!



– Und wenn ich dieses Blut zu stillen suchte? fragte der Arzt.



– Sie würden es vergebens versuchen, sagte sie.



– Wenn es mir indessen gelänge?



– So würde ich auf der Stelle sterben, statt in zwei Monaten zu sterben.



Der Arzt selbst erbebte.



War dieses kaum in das Leben eingetretene junge Mädchen, die so von dem Tode sprach, nicht etwas Unerhörtes? Ich weinte.



– Zwei Monate, flüsterte ich, zwei Monate… in zwei Monaten wird sie also gestorben sein?



– Es ist möglich, sagte der Doctor, als ob er zugleich der Kranken und mir, auf die Zuversicht der Tochter und auf die Befürchtung der Mutter antwortete; es ist möglich, sagte er, aber wir müssen dagegen ankämpfen!

 



Indem er sich hierauf an mich wandte, indessen nicht so leise, daß Elisabeth ihn nicht hörte, sagte er:



– Die Krankheit ist gerade zu dem Punkte gelangt, wo ich sie zu finden erwartete. Die Luft von Milfort war zu scharf; die von Waston, die ich für milder hielt, ist auch noch zu scharf. Sie müssen Ihrem Kinde eine künstliche, für das Einathmen tauglichere Luft verschaffen, als die natürliche Luft: von heute an treffen Sie mit einem Pächter von Waston oder der Umgegend eine Uebereinkunft, damit die Kranke einen Stall bewohnen kann; das ist meine letzte Hoffnung, und wenn es ein Mittel giebt, sie zu retten, so ist es das, welches ich Ihnen angebe.



– Ach! antwortete ich, überall wird sie sich besser als hier befinden, wenn sie nur von den unglückseligen Kindern entfernt ist, die sie quälen!—Ich werde thun. was Sie sagen.



Dann wandte ich mich nach Elisabeth um, und sagte zu ihr:



– Du hast es gehört?



– Ja, meine Mutter, und ich bin ganz bereit. Deinen Willen zu thun, obgleich Alles vergebens ist, was man zu meiner Heilung versuchen wird.



– Aber. unglückliches Kind, fragte ich sie, was giebt Dir denn diese traurige Gewißheit?



– Höre, meine gute Mutter, als ich mich vollkommen wohl befand, und mein Vater starb, schien es mir, als ob ich durch eine dicke, hohe, unüberschreitbare Mauer von ihm getrennt würde. . . Diese Mauer war die, welche das Leben von dem Tode scheidet. . . Es schien mir außerdem, daß es mir, obgleich die, welche im Grabe ruhen, eine Stimme haben, mit der sie zu Gott sprechen, unmöglich wäre, diese Stimme zu vernehmen, die für mein Ohr ein weit schwächeres Geräusch machte, als das, welches ein Saamenkorn beim Keimen verursacht. . . aber ich irrte mich, meine Mutter. In dem Maaße, als ich mich selbst dem Grabe nähere, wird die Mauer, die mich von dem Verschiedenen trennt, immer durchsichtiger und die Stimme desselben immer verständlicher: – durch die Mauer sehe ich meinen Vater lächeln und mir die Arme entgegenstrecken; ich höre seine Stimme wie einen Lufthauch, welcher flüstert: Komm, mein Kind! Gott hat Dich bezeichnet, um zu seinen Auserwählten zu gehören; die himmlische Glückseligkeit erwartet Dich. Selig sind die, welche jung sterben! Und deshalb lächle ich und spreche leise, wenn ich in diesem großen Sessel dem Fenster gegenüber sitze, das auf den Friedhof geht. Ich lächle, weil mein Vater mir erscheint; ich spreche leise, weil ich ihm antworte. . .



– Und was sagst Du zu ihm?



– Ich sage zu ihm: Ich komme, mein Vater, ich komme! mach mir nur den Tod sanft, mach mir den Hügel des Grabes leicht.



– Aber, unglückliches Kind, rief ich aus, Du denkst also nicht an mich?



– O! Doch!. . . und mehr als einmal habe ich zu ihm gesagt: Und meine Mutter? und meine Mutter?.. .



– Nun?



– Ja! bei jedem Male habe ich Thränen aus seinen Augen stießen sehen und er hat mir gesagt: Komm schnell, und wir werden unsrer Zwei sein, um für sie zu beten, und vielleicht werden wir unsrer Zwei den Herrn erweichen!



– Und in welcher Beziehung den Herrn erweichen? Welches größere Unglück kann mir denn begegnen, als Dich zu verlieren, meine geliebte Tochter?. . . O, wenn es wahr wird, daß Du mir wieder genommen wirst, so fürchte ich, wenn Du todt bist, nichts mehr, und ich trotze sogar der Allmacht Gottes!



– Still! meine Mutter, sagte die Kranke, indem sie ihren abgemagerten Finger aus die Lippen legte, still!. . . es scheint mir, daß ich eine unbekannte Stimme höre, eine Stimme, die aus einer andern Welt kommt und in mein Ohr den Vers des Dichters flüstert:



Die Jungfrau ist nur ein Engel mit einer Sendung auf Erlen.



– Was bedeutet dieser Vers? ich verstehe nichts davon.



– Möge er bedeuten was er will, sagte der Arzt, genug über diesen Gegenstand. Solche Gespräche veranlassen entweder das Fieber, oder sind das Resultat davon. Beschleunigen wir den Gang der Krankheit nicht, er wird rasch genug sein.



– Und Sie verzweifeln indessen nicht? fragte ich.



Er nahm mich bei Seite, und indem er mich an das andere Ende des Zimmers führte, sagte er:



– Wer nicht dafür bürgt, zu heilen, muß wenigstens versuchen, das Leben zu verlängern. Zur Wohnung einen Kuhstall, oder besser noch ein auf einen Kuhstall zu geöffnetes Zimmer, damit die Kranke eine durch die Anwesenheit von Thieren gewärmte Luft einathmet, als Getränk Aufgüsse von isländischem Moos. Schneckenbrühe, Milch; als Speise Gallerte von Fleisch; Sie haben doch wohl verstanden? – In einem Monat komm ich wieder.



Er hatte sehr leise gesprochen, und dennoch hatte die Kranke an dem anderen Ende des Zimmers nicht eines seiner Worte verloren.



– Es ist gut. sagte sie, auf einen Monat. Doctor. . . In einem Monate werde ich noch nicht gestorben sein.




V.

Was eine Frau leiden kann. (Manuscript der Selbstmörderin.) (Fortsetzung.)

O! mein Gott! wie selten das Mitleiden ist und wie wenig Christen die Vorschrift unseres Herrn ausüben: »Du sollst Deinen Nächsten lieben, wie Dich selbst!«



Als der Arzt sich entfernt hatte, war die erste Sorge, mit der ich mich beschäftigte, nachzusehen, was ich während des letzten verflossenen Monats ausgegeben hatte, und was mir von unserm armen Schatze übrig blieb. Ich hatte ein wenig mehr als zwei Pfund Sterling verausgabt, und es blieben mir noch drei Pfund, weniger einige Pence. Der Auszug eines armen Kindes mußte neue Ausgaben nöthig machen.



Ich mußte mich mit einem Pächter verständigen, damit er uns in einen Stall einziehen ließe, und besuchte deshalb vier oder fünf; als ich ihnen aber sagte, was ich von ihnen verlangte, schüttelten alle den Kopf und weigerten sich. Die meisten antworteten, daß es der Gebrauch der Teufelsbanner sei, die Teufel aus dem Körper der Menschen in den Körper der Thiere übergehen zu lassen, und wenn meine Tochter besessen sei, so müßte sie anderswo als bei ihnen ein Heilmittel suchen.



Endlich ließ sich ein armer Landmann, der nur zwei Kühe hatte, durch meine Bitten rühren; da aber nach seiner Meinung seine Kühe Gefahr liefen, von der Krankheit meiner Tochter angesteckt zu werden und an ihrer Stelle zu sterben, so verlangte er, daß ich ihm dreißig Schilling für einen Monat gäbe.



Das war fast die Hälfte von dem, was wir besaßen, da indessen die Anderen uns um keinen Preis aufnehmen wollten, so mußten wir ihm wohl das geben, was er verlangte.



Man fegte eine Ecke des Stalles rein, breitete Stroh darauf aus und auf dieses Stroh trug ich eine Matratze, Betttücher und Decken für meine Tochter, bei der ich wachen und auf meinem Stuhle schlafen wollte, denn in dem engen Stalle gab es keinen Raum für zwei Betten.



Ich hatte mir das Recht ausbedungen, die Nahrung und die Arzeneien in dem Hause unseres Wirthes zuzubereiten.



Elisabeth fand noch Kraft genug wieder, um die Treppe hinunter zu gehen, aber unten angekommen, sah man sich genöthigt, sie auf einer Matratze liegend weiter zu tragen, da es eine Viertelmeile weit von dem Pfarrhause nach der Wohnung des Landmannes, und sie nicht mehr stark genug war, um auf einem Esel oder auf einem Pferde dahin gebracht zu werden.



Zwei Männer, welche anderthalb Schilling dafür verlangt hatten, trugen sie auf einer Bahre.



Ach! diese Fortschaffung einer Sterbenden war etwas Trauriges, aber Elisabeth hatte Mittel gefunden, eine Art von Fest daraus zu machen. Sie hatte mich gebeten, ihr Kornblumen von dem Felde zu bringen, und auf dem Friedhofe Tausendschönchen zu pflücken, und um ihr Vergnügen zu machen, hatte ich einen Arm voll Kornblumen und Tausendschönchen geholt. Aus den Tausendschönchen machte sie sich einen weißen Kranz und aus den Kornblumen ein blaues Kissen.



Als die beiden boshaften Kinder des Pastors sie so auf Blumen liegend und mit Blumen bekränzt vorüber kommen sahen, nahmen sie von ihrem Vater zwei Kerzen, und folgten ihr, indem sie das

De Profundis

 sangen.



Elisabeth faltete die Hände und antwortete bei jedem Verse

Amen

.



O! ich war nahe daran, diese elenden Kinder zu verfluchen. welche so einen Leichenzug Modulen und den Schmerz einer Mutter verspotteten; aber die Engelssanftmuth meines Kindes entwaffnete mich; mein Zorn verschwand in Thränen, und statt sie zu verfluchen, antwortete ich wie sie:



– 

Requiem aeternam dona eis, Domine, et lux perpetua lucet eis

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  Mein Gott, gewähre den Todten die ewige Ruhe und laß vor ihren Augen das unendliche Licht leuchten.





Indessen bei dem Anblicke dieser mit einer Matratze bedeckten Tragbahre, dieser mit Blumen bedeckten Matratze, und eines mitten unter diesen Blumen liegenden und von ihrer in Thränen zerfließenden Mutter gefolgten jungen Mädchens wurden alle Leute des Dorfes gerührt, kamen auf die Straße heraus, und, statt die Sterbende zu fliehen, näherten sie sich ihr, und begleiteten sie. So wurde das zum Gebet, was anfangs von Seiten dieser beiden heidnischen Kinder eine Parodie gewesen war; Alles, was es an mitleidigen Herzen in dem Dorfe gab, folgte uns. und es war nicht mehr allein die spöttische Stimme der Zwillinge, welche zum Hohn das

Beati mortui qui in Domino moriuntur

3

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  Glücklich die Todten, welche in dem Herrn gestorben sind!



 plärrte, es war auch die religiöse Stimme von fast der ganzen Bevölkerung von Waston, welche die heilige Litanei wiederholte.



Das Gefolge verließ uns erst an der Thür des Landmannes.



Während des ganzen Weges erleuchtete ein warmer, zwischen den Wolken durchdringender Strahl der Sonne das Gesicht des keuschen Kindes.



Zehn Minuten nach unserer Ankunft waren wir in dem Stalle eingerichtet und Elisabeth athmete die warme Luft ein.



Während der ersten Tage schien es mir in der That, als ob die theure Kranke sich besser befände; nur raubte mir dieser unglückselige Bluttropfen, der mit jedem Tage blässer wurde, immer mehr die Hoffnung, die ich so thöricht gefaßt hatte. Aber, obgleich sie wenig trank, obgleich sie kaum aß, verzehrte mein armes Kind schnell unsere Hilfsmittel.



Bald blieb mir nur noch jene Guinee übrig, die sie mir von Milfort gesandt hatte, und die der Preis der Stickereien war, welche Elisabeth anfangs für sich gemacht und nachher verkauft hatte, um mir das Geld zu senden. Ich war entschlossen, sie nur in dem äußersten Nothfalle zu wechseln, und wollte versuchen, auf Credit die drei Sachen zu kaufen, welche mir fehlten.



Zunächst Brod für mich; – ich aß sehr wenig: mit einem halben Pfund täglich reichte ich, und wenn ich ein Brod für zwei und einen halben Pence nahm, hatte ich daran für zwei Tage genug. So ging ich denn zu dem Bäcker, und als er mich erblickte, legte er das Brod zurecht, das ich gewöhnlich kaufte.



Als ich bezahlen sollte, that ich. als ob ich das Geld vergessen hätte; es war das erste Mal, daß mir so etwas begegnete und ich kaufte seit länger als zehn Jahren bei diesem Manne. Als er mich indessen vergebens in meinen Taschen suchen sah, äußerte er:



– Hm! ich wußte wohl, daß das so endigen würde; mich wundert nur, daß Hie so lange gezögert haben, Ihr Geld zu vergessen.



Da ich das Brod für mich brauchte, und den Rest des letzten am Abend vorher gegessen hatte, so konnte ich warten.



– Es ist gut, sagte ich zu ihm, ich habe noch welches zu Haus, aber morgen werde ich dieses hier holen und Ihnen das Geld dafür bringen.



Er schämte sich.



– Nein, erwiederte er, behalten Sie es, behalten Sie es. . . Man soll nicht sagen, daß ein Kunde, dem es zum ersten Male begegnet, seinen Geldbeutel zu vergessen, mit leeren Händen von mir fortgeht. . . aber Sie begreifen . . . nicht wahr? einmal ist nicht immer.



Ich entfernte mich mit meinem Pfund Brod, aber meine Augen waren voller Thränen.



Außer dem Brode für mich brauchte ich Honig und isländisch Moos vom Gewürzkrämer, um Betsy ein schleimiges Getränk zu machen; dann Stücke Fleisch von geringer Qualität, um ihr Gallerte zu kochen.



Seit der Krankheit meines Kindes kaufte ich meine Bedürfnisse bei dem Gewürzkrämer, und hatte nicht eine Minute Credit verlangt; ebenso war es bei dem Fleischer.



Nach einigen Schwierigkeiten wie bei dem Bäcker, gab mir der Gewürzkrämer das isländische Moos und den Honig auf Credit; aber der Fleischer nahm mir das Fleisch wieder ab, das ich bereits in der Hand hatte.

 



Ich war empört.



– Ich bat Sie um Credit, um nicht zu wechseln, rief ich aus, indem ich mein letztes Goldstück aus der Tasche nahm.



O armseliger Einfluß dieses gemeinen Metalles! Kaum hatte der Fleischer die Guinee gesehen, als er sich eines Anderen besann.



– Ah! wenn dem so ist, sagte er, so ist es etwas Anderes . . . «Wenn Sie übermorgen kommen, Ihren Einkauf zu machen, so können Sie Alles mit einander bezahlen.



Aber ich wollte diesem Manne keine Verbindlichkeit schuldig sein, warf das Goldstück auf die Fleischbank und verlangte, daß er es wechselte.



Am zweiten Tage hütete ich mich wohl, dem Bäcker und dem Gewürzkrämer schuldig zu bleiben, denn auf diese Weise konnte ich, wenn meine Mittel erschöpft waren, zwei Tage Credit bei den barmherzigsten der drei Lieferanten haben. In Betreff des Bäckers war mir das sehr gleichgültig, denn ich konnte die Reste des Fleisches essen, von welchem ich die Gallerte für mein Kind kochte. Außerdem aß Elisabeth von Tage zu Tage und in dem Maße weniger, als das Blut bleicher wurde. Es war augenscheinlich, daß sie bald nur noch trinken würde.



Ich konnte auch die Reste ihrer Tränke und ihrer Milch genießen. Ich habe gehört, daß man lange leben kann, ohne das Geringste zu essen, wenn man nur Etwas trinkt. So verfloß ein Monat.



Ich hatte die von dem Landmanne für die Miethe seines Stalles verlangten dreißig Schillinge bei Seite gelegt. Der letzte kam heran und ich mußte für unsere Wohnung gleichfalls die Münze unserer Guinee angreifen; aber ich versuchte erst, von unserem Wirthe einigen Credit zu erlangen.



– Es sei, sagte er, Ihre Matratze ist wohl zehn Schilling werth; ich will Ihnen auf Ihre Matratze zehn Tage Credit geben.



– Aber am elften Tage? fragte ich.



– Am elften Tage gehört die Matratze mir, aber ich will sie Ihnen für vier Pence täglich vermiethen.



Das hieß, man würde an dem Tage, wo ich die vier Pence nicht bezahlte, die Matratze unter meinem armen Kinde wegziehen.



– Aber, mein Freund, sagte ich zu ihm, es scheint mir, daß Sie im Irrthum sind, und daß Sie sich über den Werth der Matratze wenigstens um die Hälfte irren. Die Matratze, die Betttücher und die Decke sind wohl zwanzig Schillinge werth.



– Ja, zuverlässig wären sie es werth. wenn Ihre Tochter von einer gewöhnlichen Krankheit befallen wäre; aber der Gewürzkrämer hat mir gesagt, daß Mademoiselle Elisabeth die Auszehrung hätte, und die Auszehrung steckt an. Wenn sie gestorben ist, werde ich daher genöthigt sein., die Matratze zwei bis drei Meilen weit von hier zu verkaufen, damit man nicht weiß, wem sie gedient hat; denn, wenn man es wüßte, so würde sie nicht allein keine zwanzig Schillinge werth sein, sondern ich würde sie nicht einmal für einen Penny verkaufen können.



– Wohlan! sagte ich zu ihm, ich werde fortfahren, Sie zu bezahlen; Sie sehen, daß ich Geld habe, (ich nahm eine Hand voll Münze aus der Tasche), aber gewähren Sie mir doch einen Nachlaß!



Der Landmann schüttelte den Kopf.



– Weit davon entfernt, Ihnen einen Nachlaß zu bewilligen, sagte er, müßte ich eigentlich den Preis steigern. Seitdem Ihre Tochter hier ist, scheint es, als ob ein Fluch auf meinen Kühen ruht; die armen Thiere sind traurig und werden mager. Die schwarze Kuh giebt jetzt ein Maoß, und die braune Kuh ein halbes Maaß Milch weniger, als vor einem Monat, ungerechnet, daß sie jetzt jede Nacht so traurig brüllen, so daß noch gestern die Frau des Bergmannes John zu mir sagte: »Man sieht wohl, daß Sie Jemand in Ihrem Hause haben, der mit dem Tode ringt, Meister Williams: das Gebrüll Ihrer Thiere verkündigt den Tod.«



Ich fürchtete, daß dieser Mann wirklich seinen Preis ändern wollte, und beeilte mich, ihm zu sagen, daß ich fortfahren würde, wie früher zu bezahlen. Zu gleicher Zeit gab ich ihm den Schilling für den ersten Tag



Er nahm ihn an, aber indem er den Kopf schüttelte und murmelte:



– Glücklicherweise hat die Tochter nicht mehr lange zu leben, sonst würde ich der Mutter zuverlässig sagen, ihr verfluchtes Geld anderswo hinzutragen!



Mein Gott! der Tod muß doch an und für sich selbst etwas Schreckliches sein und den Menschen ein großes Entsetzen einflößen, weil mein armes, so sanftes, so schönes, so ergebenes Kind aus Furcht so hart zurückgestoßen wird, statt mit Mitleid aufgenommen zu werden!



Kaum war ich ganz niedergeschlagen durch den Gedanken an Alles, womit die Unbarmherzigkeit unserer Mitmenschen unsere Zukunft bedrohte, in den Stall zurückgekehrt, als der Arzt eintrat. Ich habe bereits gesagt, daß ich ihn erwartete, da seit seinem letzten Besuche ein Monat verflossen war. Das Kind erkannte ihn, lächelte ihm zu, und richtete sich auf seinem Bette auf, was sie seit drei bis vier Tagen nicht mehr gethan hatte.



– Wie geht es? fragte er sie.



Aber ich sah an seinem Gesichte wohl, daß er sie nur anredete, um eine Frage an sie zu richten, und daß der erste Blick, den er auf sie geworfen, ihm gesagt hatte, woran er sich zu halten hätte.



– Nun! Doctor, antwortete sie, in den ersten Tagen habe ich weit leichter geathmet, und es hat mir geschienen, daß meine Kräfte ein wenig zurückkehrten; aber seitdem ist meine Brust von Neuem beklommen geworden, und seit drei Tagen stehe ich nicht mehr auf.



Der Doctor antwortete nichts; er ergriff die Hand der Kranken und fühlte ihr den Puls; dabei sah ich an der Bewegung seiner Lippen, welche den Schlägen folgte, daß die Pulsschläge rasch und zahlreich seien.



– Vier und neunzig! sagte er, ohne darauf zu achten, daß ich horchte und ihn hören konnte.



Ich wußte, daß der Puls im gewöhnlichen Zustande bei jungen Leuten in einer Minute siebzig bis fünf und siebzig Schläge thut; also zwanzig Pulsschläge mehr in der Minute: folglich hatte sie Fieber und sogar ein ziemlich heftiges Fieber.



– Schlafen Sie? fragte er sie.



– Ich schlummere, aber ich schlafe wenig, und die kurzen Augenblicke ungenügender Ruhe, die immer fieberhaft, immer voller Träume sind, werden durch plötzliches Auffahren unterbrochen; ich glaube auf einem schmalen Wege auszugleiten, von der Höhe eines Felsens hinabzufallen, in Abgründe zu rollen, und durch die Schnelligkeit meines Sturzes den Athem zu verlieren . . . Dann erwache ich plötzlich ganz in Schweiß gebadet; ich huste und . . . Der Doctor sah, daß sie zögerte auszusprechen.



– Und dieser vorgebliche Tropfen Blut? fragte er.



– Warten Sie, antwortete Elisabeth.



Sie drückte ihr Taschentuch auf ihre Brust und hustete, hieraus zog sie es wieder weg und reichte es dem Doctor.



– Sehen Sie. sagte sie.



Das Taschentuch war in der Größe eines kleinen Geldstückes roth gefärbt, aber von einem weit blässeren Roth als wie es der Doctor bei seinem letzten Besuche gesehen hatte.



– Und wie befinden Sie sich, wenn Sie wach sind? sagte er.



– O! weit besser. . . denn wachend fühle ich mich umgeben von Allein, was ich liebe; wenn meine Augen offen sind, so sehe ich meine Mutter, welche noch lebt; wenn aber meine Augen geschlossen sind, so sehe ich meinen todten Vater, der dort in der Erde schläft. . .



– Möglich! sagte der Doctor, als ob die an das Ende ihrer Forschung gelangte Wissenschaft nur noch den Ausdruck des Zweifels entschlüpfen lassen könnte. Indem er sich hierauf nach mir umwandte, sagte er:



– Es geht gut, und wenn sie irgend etwas wünscht, so müssen Sie es ihr geben.



Obgleich diese Worte sehr leise von dem Doctor ausgesprochen worden waren, hörte sie die Kranke dennoch.



– Ja, Doctor. sagte sie, ich wünsche etwas und sehr sehnlich.



– Was, mein Kind?



– Ich wünsche in das Zimmer des Pfarrhauses zurückzukehren, von dessen Fenster aus ich das Grab meines Vaters sehe. Es scheint mir, daß ich in diesem Zimmer sanfter und weit ruhiger sterben werde.



In diesem Augenblicke richteten sich ihre Augen auf mich; sie sah, daß ihre Worte mein Gesicht mit Thränen bedeckt hatten.



– O meine Mutter! meine Mutter! rief sie aus, indem sie mir ihre bleichen Hände und ihre abgemagerten Arme entgegenstreckte.



Ich setzte mich auf ihr Bett.



– Warum sprichst Du immer von dem Tode, mein Kind? fragte ich sie, hast Du nicht gehört, daß der Doctor gesagt hat, daß Alles gut ginge?



– Ich danke, guter Doctor! sagte sie. Aber hast Du nicht auch gehört, liebe Mutter, daß Du mir Alles geben müßt