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Der Pastor von Ashbourn

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II.
Die graue Dame

An der äußersten nördlichen Spitze dieses seltsamen Landes, in der Bucht von Saint-Brides und höchstens drei Meilen von Wilson und fünf Meilen von Pembroke, erhebt sich auf dem Grunde eines finsteren Thales das kleine Dorf Waston.

In dem Mittelpunkte des Dorfes ist das, wie ein Schwalbennest an die Kirche ablehnte Pfarrhaus erbaut, indem es zu seiner Linken die Straße, die einzige des Dorfes, zu seiner Rechten den Kirchhof hat; ein wahrer Kirchhof Hamlet’s mit großen immergrünen Bäumen, zerbrochenen Leichensteinen und unter dem Grase verborgenen Kreuzen.

Während der-Nebeltage, wenn die trübe Jahreszeit herbeikommt, welche der Schrecken der Eroberer war, wenn die Wolken den Gipfel der Berge Chelians einhüllen, und für das Thal einen künstlichen Himmel bilden, den man mit der Hand berühren zu können glaubt, nimmt Alles ein wildes und trostloses Ansehen an, welchem des Nachts das ferne Brausen der Meereswogen, das auf den Flügeln des Westwindes gleich Klagen des Meergeistes daherzieht, einen noch weit traurigern Charakter verleiht.

Die Kirche ist aus dem zwölften Jahrhunderte, ganz romantisch von einem viereckigen Thurme überragt, der vor Zeiten zur Festung gedient hat; Krähen umschwärmen ihn fast beständig mit ihrem kreisförmigen Fluge und ermüden die Nachbarschaft mit ihrem klagenden Geschrei.

Von Zeit zu Zeit läßt sich irgend eine mehr zahm auf dem Schornstein des Pfarrhauses herab, und fordert vergebens ihre Gefährtinnen auf, sie dorthin zu begleiten.

Das Pfarrhaus ist groß, mehr als doppelt so groß als das. welches wir verlassen haben. Das Dach desselben ist mit Moos bedeckt, und das ganze Gebäude von Steinkohlendampfe geschwärzt. Da es ursprünglich aus Holz und Erde erbaut war und hie und da, in dem Maße, als es verfiel, mit Backsteinen ausgebessert wurde, deren Farbe mehr oder weniger frisch ist, je nachdem die Ausbesserung mehr oder weniger alt, so hat sein Aussehen nicht allein auf den ersten Blick nichts Angenehmes, sondern bietet auch noch ein unbehagliches Ganzes, an das man sich ungern gewöhnt. Ohne Zweifel wegen des geringen Reizes, den es dem Auge bietet und im Betracht der von der Gemeinde dem Kirchenvermögen überlassenen Erlaubniß, über alles an dasselbe grenzende Land zu verfügen, hat man zwanzig Male die Absicht gehabt, ein anderes Pfarrhaus zu bauen; aber, wie als ob es eine Ruchlosigkeit gewesen wäre, dasselbe niederzureißen oder verfallen zu lassen, sind die Baupläne immer aufgegeben worden, und der im Dienste stehende Pastor hat sich mit Hilfe des Maurers damit begnügt, mit neuen Backsteinen und neuen Stützen die Schäden wieder auszubessern, welche der Zahn der Zeit im Vorüberziehen diesem schwachen Gebäude zugefügt, das immer bereit scheint einzustürzen, und das indessen seit vier Jahrhunderten die Generationen auf einander folgen und erlöschen sieht.

Auf beiden Seiten der Hausthür erheben sich zwei große Linden, welche, indem sie selbst während des Winters einen undurchdringlichen Schatten auf die Schwelle werfen, den geheinmißvollen Eingang irgend einer neuen Höhle des Trophonius mit ewiger Nacht zu bedecken scheinen.

Aber was besonders dem Hause einen finsteren Charakter und eine phantastische Farbe verleiht, das ist – gleichsam ein Gegenstück zu diesen beiden an der Hausthür stehenden Linden – eine alte Akazie mit ungeheurem Stamme und Laubwerk an dem äußersten Ende eines langen, schmalen, nur mit Gemüsen und Blumen bepflanzten Gartens, deren Zweige gleich ebenso vielen aus einem gemeinsamen Neste hervorgehenden Schlangen sich winden, aufsteigen und mit dunkelgrünen Blättern beladen wieder herabfallen. Dieser Baum, dessen Alter Niemand kennt, scheint der Zeitgenosse des Felsens zu sein, an den er sich lehnt; eines knorrigen, stellen Felsens, mit wunderlichen Gestalten, mit Spalten, aus denen beständig Tropfen eines eisigen Wassers hervorquellen, die niemals, wenigstens seitdem diese Akazie besteht, ein Sonnenstrahl getrocknet hat.

An dem Felsen, unter dem Schatten des magischen Baumes verloren, läßt sich kaum eine ganz mit Moos bedeckte, ganz von einem Netze von Epheu umschlungene und halb in den Boden gesunkene Bank von Granit erkennen. Dieses Moos und dieser Epheu, welche sie in aller Freiheit umschlingen, deuten an, daß sich selten ein menschliches Wesen auf diese Bank setzt; eine Einsamkeit, die übrigens hinlänglich nicht allein durch die Meinung erklärt ist. welche die Bewohner der Gegend haben, daß die Akazie geheimnißvollen Mächten geweiht sei, sondern auch noch durch die Kühle, die Traurigkeit und die Feuchtigkeit des Ortes, den diese Akazie mit ihrem Schatten beschützt oder vielmehr bedroht.

Dieser Winkel des Pfarrhauses ist der Hauptschauplatz der Sage, welche die Pastoren trotz dem ihnen bewilligten hohen Gehalte von der Pfarre von Waston verscheucht.

Ich hatte diese Sage während der acht bis zehn Tage unserer Reist bei dem bunten Wechsel der Orte und Ereignisse, die eine Reise immer mit sich führt, beinahe vergessen; aber bei meiner Ankunft in Waston, als ich dieß finstere Pfarrhaus betrat, als ich diesen geheimnißvollen Garten besuchte, gestehe ich, daß sie mich allmählig wieder beschäftigt und durch die Eindrücke des Auges lebendig in meine Einbildungskraft zurückgekehrt ist.

Mein lieber Petrus, ich bin ein Mensch; ich glaube nicht schwächeren Herzens und Geistes zu sein, als ein Anderer; aber hören Sie Folgendes: der Garten der Wittwe mit seinem kleinen Weiher, seinen drei Weiden von ungleicher Größe, die ihre Zweige in dem unbeweglichen Wasser baden, seiner Nachtigall, die auf dem höchsten Zweige der höchsten der drei Zweige schlägt – es war die Schwermuth!

Das Pfarrhaus von Waston mit seinem traurigen und finsteren Aussehen, seinen roth und schwarz ausgeflickten Mauern, seinem langen und schmalen Garten mit kränklichen Blumen und dünngesäeten Gemüsen, von dieser ungeheuren Akazie mit dunkelgrünem Laube begrenzt; diesem beständig weinenden Felsen; dieser selbst mitten am Tage in der Dunkelheit verlorenen Moosbank, und der grausigen Sage, welche über allem schwebt, – das ist der Schrecken!

Jetzt komme ich endlich auf diese Sage, die, wie Sie sehen, mein lieber Petrus, unabweislich ist!

Sie wird von Geschlecht zu Geschlecht einem Fluche zugeschrieben, welcher die Pastoren dieser Pfarre verfolgt.

Ueber die Ursache dieses Fluches und über die Person, die ihn ausgesprochen hat, sind die Erzählungen dermaßen widersprechend, daß ich, der ich so sehr dabei interessirt bin, die Wahrheit zu wissen, da dieser Fluch eintretenden Falles auch mich treffen soll, meiner Fragen und Nachforschungen ungeachtet noch im Zweifel bin, wie Jedermann.

Aber so verschieden die Erzählungen auch sein mögen, sie laufen alle an dieser unheimlichen Akazie zusammen, von der ich Ihnen gesprochen und deren Aussehen und Lage ich Ihnen zu zeigen versucht habe.

Hier mit wenig Worten das, was man sagt:

Wenn nämlich den Bewohnern des Hauses ein Unglück zustoßen soll, so öffnet sich am 28. September um Mitternacht, in dem Augenblicke, wo der Sanct Gertrudistag mit dem Sanct Michaelstage wechselt, die Thür eines seit dreihundert Jahren verschlossenen Zimmers des Pfarrhauses; eine graugekleidete Frau. welche Kleider nach der Mode der Königin Elisabeth trägt, erscheint, geht geräuschlos die Treppe hinab, durchschreitet das Haus und den Garten, und erreicht, weit eher gleitend als gehend, bei dem Scheine des Mondes den Schatten der durch die Nacht noch weit schrecklicher und weit finsterer gemachten Akazie, setzt sich einen Augenblick auf die Granitbank, löst sich dann allmählig auf, verdunstet sich und verschwindet in dem Nebel.

Diese Erscheinungen finden, wie man sagt, unter zwei Umständen Statt.

Einmal, wenn die Frau des die Pfarre bewohnenden Pastors empfangen hat und Zwillinge gebären soll: dann, wenn das verhängnißvolle Jahr beginnt, in welchem nach dem über die Väter und über die Kinder ausgesprochenen Fluche einer dieser beiden Zwillinge den anderen tödten soll.

Nun aber kennen Sie, mein lieber Petrus, die alte anglo-normannische Sage von der Wanderung unserer Seelen. Diese Sage behauptet, daß, bevor sie zu ihrer Bestimmung gelangt, möge diese Bestimmung nun der Himmel, die Hölle oder das Fegefeuer sein, die Seele während der ersten Nacht ihrer Wanderung bei der heiligen Gertrudis, und während der zweiten bei dem heiligen Michael zubringt.

Das hat, ich weiß es wohl, keine Verbindung mit der grauen Dame des Pfarrhauses, – so nennt man die Erscheinung, – indessen, da sich Alles auf dieser Welt berührt, so habe ich gemeint, daß vielleicht zwischen dieser unstäten Seele und diesen beiden Schutzgeistern irgend etwas bestände, was die eine Sage der andern näherte. Es leben in dem Dorfe noch zwei Personen, welche die Erscheinung gesehen haben. Eine Frau und ein Mann. Beide haben sie zu verschiedenen Zeiten gesehen.

Jedes Mal ist das von ihr prophezeite Unglück eingetroffen.

Das erste Mal verkündete sie die Empfängnis; von Zwillingen; und das zweite Mal den von dem anderen veranlaßten Tod des einen von ihnen. Ich habe diesen Mann und diese Frau aufgesucht. Die Frau konnte mir keine besonderen Auskünfte geben.

Der Garten des Pfarrhauses ist zur Linken von einem anderen Garten, zur Rechten von einem Fußpfade begrenzt, welcher nach einem in den Berg gegrabenen Stollen führt. Während der Nacht, in welcher die Erscheinung sich zeigte, befand die Frau sich in ihrem Garten. Sie hatte sich erinnert, Wäsche auf dem Grase ausgebreitet und vergessen zu haben, sie nach Hause zu tragen. Besorgt darüber, war sie gegen Mitternacht aufgestanden und hatte ihre Wäsche geholt.

Sie war damit fertig, als sie über die kleine Hecke, welche den Garten des Pfarrhauses umzäunt, – der Himmel war diese Nacht ziemlich finster, – eine menschliche Gestalt aus dem Hause kommen und langsam mit gesenktem Kopfe aus die Akazie zuschreiten sah.

 

Nun hatte sie gemeint, daß es die Frau des Pastors wäre, welche wie sie ihre Wäsche in Sicherheit brächte.

– Gute Nacht, Nachbarin! hatte sie gerufen.

Aber die graue Dame hatte bei diesem Rufe sich damit begnügt, den Kopf zu erheben ohne zu antworten; und ihren Weg nach der Akazie fortgesetzt, in deren Schatten sie verschwunden war.

Die Furcht hatte sich in diesem Augenblicke der Nachbarin bemächtigt, die nach Haus zurückgekehrt war, indem sie ihre Wäsche liegen ließ, und ganz zitternd vor Schrecken ihren Gatten geweckt hatte.

Dieser, ein kräftiger Stellmacher, war aufgestanden, hatte eine Radfelge genommen, wie es Herkules mit seiner Keule gemacht hätte, und trotz der Bitten seiner Frau, welche fürchtete, daß ihm ein Unglück darüber zustoßen möchte, sich mit der grauen Dame eingelassen zu haben, war er hinuntergegangen und entschlossen auf die Akazie zu schritten.

Aber nichts war zu sehen; die Bank war verlassen, und der Stellmacher hatte sein Bett wieder erreicht, indem er seine Frau für närrisch erklärte, was diese nicht abgehalten hatte, ihren Freundinnen zu sagen, – und was sie außerdem mir selbst wiederholt hat, – daß sie mit ihren beiden Augen, wie Orgon sagt, die graue Dame gesehen hätte.

Und dieser Versicherung schenkte man um so mehr Glauben in dem Dorfe, als acht Tage nachher die Frau des Pastors, welche schwanger war, Zwillinge gebar.

Das ist die Erzählung der Frau. Sie gesteht übrigens, so große Furcht gehabt zu haben, daß sie lediglich auf der Wirklichkeit der Erscheinung besteht; was aber die nähern Umstände betrifft, so war sie zu sehr erschreckt, um sich daran zu erinnern.

Gehen wir jetzt zur Erzählung des Mannes über.

Er ist ein ehemaliger Bergmann und war zu jener Zeit in seinen besten Jahren, das heißt, daß er sein vierzigstes Jahr erreicht hatte. Die Hälfte seines Lebens und mehr, war ihm unter der Erde in der Dunkelheit Verflossen. Eine Folge davon war, daß seine, wie die der Eule und der Katze am Tage blinzelnden Augen die nächtliche Finsterniß mit großer Leichtigkeit durchdrangen.

Er hatte den Sonntag mit seinen Kindern zugebracht, und kehrte gegen Mitternacht zurück, um seine Arbeit als Steinkohlengräber in der Tiefe des Berges um drei Uhr wieder zu beginnen. Er trug auf seiner Schulter eine Haue, eine schreckliche Waffe in der Hand dieser Männer dadurch, daß sie auf der einen Seite wie ein Rasiermesser schneidet, und auf der anderen spitz wie ein Dolch ist.

Er hatte nichts als ein Glas Wachholderbranntwein getrunken, als er seine Frau und seine Kinder verließ.

An diesem Tage waren es gerade dreizehn Jahre nach der ersten, von der Nachbarin bestätigten Erscheinung, daß die Frau des Pastors von Zwillingen entbunden war.

Diese beiden Zwillinge waren zwei sehr wohlerzogene Knaben, die sich so sehr liebten, daß ihre Eltern über jedes Schreckniß von der Art beruhigt waren, mit welchem der Fluch sie bedrohte.

Alle Beide waren an dem Abend gekommen, um mit den Kindern des Bergmannes zu spielen, der ihnen versprochen hatte, sie eines Tages eine Reise in das in dem Mittelpunkte der Erde gelegene Reich der Gnomen machen zu lassen.

Um neun Uhr dieses Abends waren die beiden Zwillinge, wie Kastor und Pollux des Alterthumes. brüderlich auf einander gestützt, zu ihren Eltern zurückgekehrt, und zwanzig Minuten nachher hatte man alle Lichter des Pfarrhauses erlöschen sehen, was andeutete, daß der Pastor, seine Frau und die beiden Kinder zu Bett gegangen wären und ruhig schliefen.

Gegen Mitternacht ging also der seine Grube wieder aussuchende Bergmann bei einem schönen Mondscheine den Fußpfad des Gartens entlang, als – die Mitternachtsstunde hatte so eben geschlagen, – es ihm schien, als sähe er die graue Dame auf der Schwelle des Pfarrhauses erscheinen.

Es ist unnöthig, zu sagen, daß es am 28. September, während der Nacht des Sanct Gertrudis- und des Sanct Michaelstages war.

Er hatte die Geschichte der Nachbarin erzählen hören; dreizehn Jahre, ich wiederhole es, waren seit der Erscheinung vorüber gegangen, und dennoch fiel ihm die Erzählung mit allen ihren Umständen wieder ein. Er blieb stehen und wartete schweigend. Er hatte ungefähr den dritten Theil des Gartens durchschritten, die graue Dame war daher hinter ihm erschienen, und wenn er auf derselben Stelle blieb und sie weiter ging, so mußte sie etwa zwanzig Schritte weit an ihm vorüber kommen. und sich hundert bis hundert und zwanzig Schritte von ihm unter die Akazie setzen.

So trug sich die Sache in der That zu.

Die graue Dame näherte sich mit finsterem und tiefsinnigem Schritte, indem sie weit eher zu gleiten als zu gehen schien.

Er verlor sie keine Secunde aus dem Auge, und da wie man weiß, sein Gesicht des Nachts weit scharfer als am Tage war, so versichert er. Folgendes gesehen zu haben:

Die graue Dame war sehr bleich; ihre starren Augen waren während der zehn Minuten, die er sie betrachten konnte, nicht einen einzigen Augenblick lang durch ihre Augenlider geschlossen; es war, als ob sie mit offenen Augen schliefe.

Sie war mit einem grauen Kleide von gewöhnlichem Stoffe angethan, gleich dem, welchen unsere Wittwen ein oder zwei Jahre nach dem Tode ihrer Gatten tragen. Der Schnitt ihres Gewandes war nach der Beschreibung, welche mir der Bergmann davon machte, wie ich gesagt habe, der, den die Mode unter der Regierung der Königin Elisabeth angenommen hatte.

Der Greis, – er ist jetzt sechzig Jahre alt. – bekennt, daß er bei diesem Anblicke seine Haare sich sträuben, und einen Tropfen Schweiß an jeder Wurzel derselben perlen fühlte.

Da er indessen ein muthiger Mann war. der der Barmherzigkeit des Herrn vertraute, und überzeugt, daß die Todten keine Gewalt über die Lebendigen haben, so fragte er die graue Dame in dem Augenblicke, wo sie an ihm vorüber kam:

– Wer bist Du? was willst Du? wo gehst Du hin?

Die graue Dame schien bei jeder dieser Fragen zu erbeben, wie als ob sie seit der Zeit, daß sie im Grabe war, den Klang der menschlichen Stimme vergessen hätte.

Dann, als der Bergmann seine Fragen in einem weit festeren Tone wiederholte, erhob sie langsam den Arm, machte ihm ein Zeichen, da zu bleiben, wo er war, und setzte ihren Weg fort.

Aber der dem sie diesen stummen Befehl gegeben hatte, war nicht der Mann, ihr so ohne Kampf zu gehorchen; er ließ sie sich ungefähr fünfzig Schritte weit entfernen, und indem er mit der einen Hand das Zeichen des Kreuzes machte, während er mit der andern den Stiel seiner Haue dermaßen packte, als wollte er ihn zwischen seinen Fingern zerdrücken, stieg er über die Hecke und begab sich auf ihre Verfolgung.

Zehn Schritte von der Akazie blieb sie stehen.

Sie machte mit der Hand eine Geberde, welche den übrigen Theil des Gartens von der Stelle zu trennen schien, auf welcher sie stand.

Hierauf fuhr Sie fort, nach der Akazie zuzuschreiten.

Als sie unter ihren Schatten glitt, erreichte der Bergmann seinerseits den Ort, den sie eben verlassen.

Dort war es ihm unmöglich, weiter zu gehen.

Der Boden, – ohne Zweifel war es ein Schwindel – schien ihm durch einen tiefen Riß gespalten; dieser Riß drang bis in die dunkeln Tiefen der Erde, und unten kochte mit einem Getöse, gleich dem des erzürnten Ozeans, jenes geheimnißvolle Feuer, aus welchem, wie man sagt, die Vulkane ihre Flammen, ihre Lava und ihren Rauch schöpfen.

Die Spalte war zu breit, als daß er sie überschreiten konnte, und außerdem gesteht er, daß wenn sie auch schmäler gewesen wäre, er es nicht gewagt haben würde, es zu thun.

Er blieb daher an dem Rande des Abgrundes.

Während dieser Zeit vertiefte sich die graue Dame unter den dichtesten Schatten der Akazie, und setzte sich auf die mit Moos bewachsene Bank.

Der Bergmann blickte sie seinerseits unverwandt an, da er sie nicht erreichen konnte, und verlor nicht einen Umstand von dem, was sich zutrug.

Indem er sie fortwährend betrachtete, begann er inbrünstig zu beten.

Eine Zeit lang blieb die graue Dame so wie er sie gesehen, das heißt, ein Schatten, der allen Anschein eines Körpers hatte; ihre Züge, ihre Gestalt, ihre Umrisse, waren vollkommen sichtbar.

Als er sein Gebet beendet, schien es dem wackeren Manne, daß die Züge sich verwirrten, daß die Umrisse ungewiß wurden, daß die Gestalt nach und nach verschwand.

Endlich, als er sich von seiner Andacht erhob, vollendete sich die Auflösung des Schattens; die graue Dame verwandelte sich in eine Wolke, die sich verflüchtigte, um weder einen Schein noch eine Spur zurückzulassen.

Und in dem Maße, als die Erscheinung verschwand, beruhigte sich das unterirdische Getöse, erlosch das Feuer und schloß sich die Spalte wieder.

In dem Augenblicke, als die Wolke selbst nur noch ein Dunst war, und als der Dunst verschwand, war das Hinderniß, das den Bergmann von der Akazie, dem Felsen und der Bank trennte, gänzlich verschwunden.

Nun setzte der unruhige Forscher seinen Weg fort; aber die Bank war leerer grausige Schrei eines Uhu ertönte in den Zweigen der Akazie.

Aber indem der Bergmann nicht seinen Augen traute, suchte er einen Sinn durch den andern zu vervollständigen; er ließ seine Hand das Zeugniß seines Blickes, das Gefühl das des Gesichtes bestätigen.

Er berührte Alles: den knorrigen Stamm der Akazie, den feuchten und schwitzenden Felsen, die moosige und mit Epheu bedeckte Bank.

Es befand sich Niemand dort.

Er raffte einen Stein auf und warf ihn nach dem Uhu.

Der Uhu stieß einen letzten Schrei aus. erhob sich mit unheimlichem Fluge, und ließ sich aus einen der Taxus des Friedhofes nieder, dessen dunkeln Gipfel man sich über das Haus erheben sah.

Nun versuchte der Bergmann, um in gewisser Art sich selbst zu versichern, daß er wirklich wache, und daß Alles, was sich vor seinen Augen zugetragen hatte, nicht die Wirkung eines Traumes wäre, folgende Volksballade zu fingen ,

Le seigneur Nann et son épouse

Bien jeunes furent fiancés;

Mais, bien jeunes, la mortjalouse

Désunit leurs jours enlacés! . . .

(Der Herr Nann und seine Gattin wurden sehr jung verlobt; aber noch sehr jung, trennte der eifersüchtige Tod ihre mit einander vereinigten Tage! . . .)

Es war vergebens; er bekennt, daß seine Stimme nicht einen Ton zu finden vermochte, obgleich sein Gedächtniß sich vollkommen der Worte erinnerte?

Schweigend entfernte er sich daher, wie der Uhu, der seinen Flug nach dem Friedhofe genommen hatte. Nur entfernte er sich in der entgegengesetzten Richtung. – Zehn Minuten nachher trat er in das dunkle Gewölbe des Berges; eine Viertelstunde nachher hatte er seine Kameraden eingeholt.

– O! o! sagten diese, indem sie ihn anblickten und ihre Fackeln ihm in’s Gesicht hielten, was ist Dir seit gestern begegnet? Die Hälfte Deiner Haare ist weiß geworden! …

– Und in der That, mein Herr, sagte der Greis, indem er seine Erzählung beendigte, was ich an weißen Haaren habe, habe ich von dieser Nacht!