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Der Pastor von Ashbourn

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VI.
Mein erstes Auftreten als Redner

Meine gute Wrthin hatte mich erwartet, obgleich sie nichts von meiner verlängerten Abwesenheit begriff. Sie wollte mich zurückbehalten, um den Thee mit ihr zu trinken; aber ich bat sie um die Erlaubniß, mich in mein Zimmer zurückzuziehen, indem ich die Ermüdung der Reise und das Bedürfniß der Ruhe vorschützte.

Oh! ich war nicht ermüdet, ich hatte keine Lust, zu schlafen, ich versichere es Ihnen, mein lieber Petrus!

Nein, ich wollte allein sein, um meine Predigt zu verbessern.

Ich verwandte die ganze Nacht darauf; während der ganzen Nacht war ich damit beschäftigt, die zu heftigen Stellen zu mildern, die zu lebhaften Farben zu verwischen; dann, als diese Farben verwischt, diese Stellen gemildert waren, sie mit lauter Stimme zu wiederholen und sie meinem Gedächtnisse einzuprägen.

Ach! nach dieser Arbeit schien meine Predigt noch nicht für dieses freundliche und reizende Dorf Ashbourn, sondern für irgend eine verfluchte Stadt gemacht zu sein, wie Babylon oder Gomorrha, wie Karthago oder Sodom, wie London oder Paris.

Ah! welche Wirkung hätte diese unglückselige Predigt in der Sanct Paulskirche oder in Notre Dame hervorgebracht!

Am Ende dieser Nacht, einer der mühseligsten, die ich jemals zugebracht habe, schlief ich vor Müdigkeit erschöpft, vor Schlaf umfallend, in dem Augenblicke ein, wo die ersten Strahlen der Sonne auf dem Rande meines Fensters durch das Laub der Reben und der blühenden Levkojen und Nelken spielten.

Dieser zweistündige Schlaf war ein sehr garstiger Schlaf und brachte mir mehr Ermüdung, als Ruhe. – Endlich schlug die Stunde und fand mich noch über meine Predigt gebückt, die ich mit Noten, Strichen und Parenthesen bedeckte; ich steckte sie in meine Tasche und schlug den Weg nach der Kirche ein. Ich hatte noch ungefähr eine halbe Stunde vor mir; ich trat in die Sakristei, verlangte eine Feder und Tinte, und verwandte diese halbe Stunde dazu, von Neuem alle Härten dieser unglückseligen Predigt durchzufeilen.

Ich hatte nur noch einen Wunsch, nämlich aus ihr etwas Unbedeutendes und Farbloses zu machen; unglücklicher Weise war sie, welche Mühe ich mir auch geben mochte, zu reich an Ideen und zu mächtig in der Form, um zu einer so gänzlichen Nullität zu gelangen.

Endlich kam der schreckliche Augenblick herbei: ich bestieg wankenden Schrittes die Kanzel. Es versteht sich von selbst, daß die Versammlung zahlreich war; das Gerücht, daß ein fremder Pastor, daß ein junger Mann von dem größten Verdienste, kurz daß der Sohn des Pastors Bemrode, an dem ersten Sonntage des Monates Juni in der Kirche von Ashbourn predigen sollte, hatte sich schnell verbreitet, und die Kirche war voll, so voll, daß man durch die offenen Thüren auf dem Vorplatze, wie an den Thüren eines Theaters, eine lange Reihe von Leuten sah, die nicht hatten eintreten können.

Alle Landleute der Umgegend waren, mit ihren Festtagskleidern angethan, mit offenem Munde vor Erwartung und die Augen mit einer verzehrenden Neugierde auf mich geheftet, auf den Beinen.

Besonders nun, mein lieber Petrus, als ich alle diese einfachen Gesichter, alle diese rechtschaffenen Mienen erblickte, sah ich ein, daß sich in dieser ganzen Versammlung vielleicht nicht ein Mann oder eine Frau befände, welche eines einzigen der Vergehen schuldig wären, gegen die ich donnern wollte, und deren entsetzliches Verzeichniß sich wie ein Heer von Gespenstern, die Einen drohend, die Anderen spöttisch, vor mir aufrichteten. Im Voraus glaubte ich das Erstaunen, die Bestürzung, den Schmerz aller dieser wackeren Leute zu sehen, sobald sie bemerkten, daß ich sie so schlecht beurtheilt hatte; im Voraus glaubte ich ihre erzürnten Stimmen mich der Ungerechtigkeit, der Verdrehung, der Bosheit beschuldigen zu hören: im Voraus glaubte ich den, der sich so ungerechter Weise zum Richter aufgeworfen hatte, gerechter Weise gerichtet, und ohne Erbarmen und ohne Mitleid gerichtet zu sehen, weil er selbst ohne Mitleid und Erbarmen gewesen war.

Unter anderen zwei Männer, zwei Greise mit weißen Haaren, patriarchalischen Gesichtern, mit sanften und heiteren Zügen, standen vor mir, indem sie mich mit einem Lächeln anblickten, wie sie ihren Sohn angeblickt hätten.

Nun denn! ich stellte mir diese beiden Gesichter bereits vor, wie sie sich zusammenzogen und verfinsterten, und wie dieses wohlwollende Lächeln dem Ausdrucke des Zornes und des Unwillens wich.

Wenn ich es gewagt hätte, so würde ich meine Zuhörer im Voraus um Verzeihung wegen der Predigt gebeten haben , die ich vor ihnen zu halten im Begriffe stand.

Ah! wenn mein Wirth, der Kupferschmied, da gewesen wäre, so schwöre ich Ihnen, mein lieber Petrus, daß ich mich in seine Arme geworfen hätte, indem ich zu ihm sagte:

– Mein einziger, mein alleiniger Freund, haben Sie Mitleid mit mir, und sagen Sie allen diesen wackeren Leuten, welche gekommen sind, um mich zu hören, daß ich ein böser und hochmüthiger Mensch sei, unwürdig, zu ihnen im Namen des Herrn zu sprechen, der ganz Milde und Barmherzigkeit ist.

Aber der würdige Mann war nicht da, und ich blickte vergebens um mich, ich fand kein einziges bekanntes Gesicht, ausgenommen das der guten Madame Snart, die mich zugleich mit den Lippen und mit den Augen, dem Lächeln und dem Blicke ermuthigte.

Glücklicher Weise sang man während dieser Zeit das Lied; ich benutzte diese Frist, um mein Heft nochmals flüchtig durchzusehen und mit Bleistift die letzten Aenderungen daran zu machen, und – wenn die Verwirrung meines Geistes mir nicht erlaubte, diese Aenderungen zu machen – kleine Kreuze zu zeichnen, welche sagen wollten: »Wegzulassen!«

Das Lied endigte, die Stimmen verhallten. Meine Reihe war gekommen. – Die Zuhörer flüsterten, spieen aus, schneuzten sich, dann entstand eine tiefe Stille.

Ich fing an.

Den wahren Vorschriften der Rednerkunst gemäß hatte ich das Gemälde der Verbrechen für den zweiten Theil meiner Rede vorbehalten, und das der Strafen für die Nutzanwendung. Der Anfang meiner Predigt ging ziemlich gut; es war eine Schilderung der göttlichen Barmherzigkeit, welche, um müde zu werden, einer solchen Masse von Verbrechen bedarf, daß die Verzweiflung allein sie zur Gerechtigkeit führen kann. Man hörte daher diese Auseinandersetzung nicht allein mit einem vollkommenen Wohlwollen, sondern auch noch mit sichtbaren Zeichen der Zufriedenheit an. Nichtsdestoweniger, weit davon entfernt, mich zu beruhigen, erschreckten mich diese Zeichen des Wohlwollens, diese Beweise der Zufriedenheit für die Zukunft: – das waren jene Dünste, welche sich am Morgen von der Oberfläche des Bodens erheben, welche die Sonne aufsaugt, indem sie dieselben mit ihren Strahlen vergoldet und ihnen mit ihrem Lichte Regenbogen-Farben verleiht, und die sie uns eine Stunde nachher in Gewitter, in Regen, in Hagel, in Donner und Blitzen wiedergiebt.

Sie werden daher auch begreifen, mein lieber Petrus, mit welchem Schrecken ich fühlte, daß ich mich mit jedem Worte dem zweiten Theile näherte; – dieser zweite Theil, von dem ich nicht die erste Zeile auswendig konnte, so viele allmälige Veränderungen hatte er erlitten, dieser zweite Theil erschien mir, selbst indem ich annahm, daß ich meine Zuflucht zu dem Hefte nähme, dermaßen mit Strichen überladen, dermaßen mit Noten bedeckt, daß ich die Unmöglichkeit voraussah, mich darin zurecht zu finden. In der That, von dem Anfange an bemerkte ich, daß die nach einander an dem ersten Texte vorgenommenen Verbesserungen meinem Gedächtnisse trotz der vergeblichen Bemühungen entgingen, welche ich mir gab, um sie zu behalten; man hätte sagen können, es seien scheu gewordene Vögel, welche in dem Maße, als ich mich ihnen näherte, ihre Flügel öffneten und in unabsehbare Fernen davonflogen. Der erste Text allein, der ganz voller jener Schilderungen abscheulicher Laster war, welche ich den Menschen vorwarf, weil ich sie zu kennen glaubte, stellte sich meinen Gedanken vor und klopfte, so zu sagen, an die Thüren meines Gedächtnisses. Ich wollte die Verbesserungen behalten und den Text verwerfen; mein Geist erinnerte sich der einen und versuchte die anderen zu verjagen; ich fühlte, daß ich mich verwickelte, und, welchen Nachtheil mein Ruf auch dadurch erdulden sollte, ich nahm meine Zuflucht zu dem Texte . . . Ich ergriff das Heft mit einer Art von Wuth, und da ich fühlte, daß es mir unmöglich wäre, länger aus dem Gedächtnisse zu sprechen, und daß, wenn ich darauf beharrte, ich stecken bleiben würde, so versuchte ich zu endigen, indem ich las; aber die ursprüngliche Predigt war in der Wirklichkeit unter dem Ausstreichen, unter dem Dazwischenschreiben und unter den Noten verschwunden . . . Diese rettenden Blätter erschienen mir wie ein unermeßlicher, ganz mit Dornen, Gräbern und Leichenkreuzen bedeckter Friedhof. Ich überschritt alles das mit großen Schritten, indem ich strauchelte und sprach, ohne zu wissen, was ich sagte. Ich wagte nicht mehr meine Zuhörer anzublicken, aber, ohne sie anzublicken, sah ich mit den Augen meines Geistes ihr Erstaunen, ihren Unwillen, ich möchte fast sagen ihren Schrecken. Endlich gelangte ich zu dem heftigsten Stücke, zu der Nutzanwendung, das heißt zu der Schilderung der schrecklichen Qualen, welche die Sünder erwarteten, zu den die Meineidigen verzehrenden Feuerseen, zu den die Selbstsüchtigen verschlingenden Eismeeren, zu den die Heuchler verbrennenden Mänteln von siedendem Pech, zu den Schlangen, die das Fleisch der Unzüchtigen zernagten, kurz zu allen jenen entsetzlichen Bildern, welche Dante mit seiner riesenhaften Einbildungskraft in dem Verlangen einer riesenhaften Rache schöpfte; nur, da ich in dem Maße, als sich diese Bilder stärker und unbarmherziger aufhäuften, einsah, daß ich, um die Wirkung dieser unglaublichen Strafpredigt zu neutralisiren, durch die Sanftheit meines Tones die Härte meiner Drohungen mäßigen müßte, wurde meine Stimme zärtlicher, schmeichelnder, väterlicher, so daß ich am Ende meine Zuhörer in die schrecklichsten Martern der Hölle mit derselben Stimme einweihte, als ob ich ihnen die unaussprechlichen Wonnen des Paradieses verheißen hätte.

 

Bei dieser Stelle meiner Predigt unterdrückte sich das Murren nicht mehr einige Frauen verließen die Kirche, indem sie die Hände und die Augen gen Himmel erhoben und ganz laut sagten:

– Herr, mein Gott, habe Erbarmen mit ihm; denn er ist verrückt!

Die Anderen sagten:

– Er hat die fallende Sucht! er hat seine ruhigen Augenblicke, aber man darf dem nicht trauen!

Endlich brachen einige Andere in Gelächter aus, und diese da waren die am wenigsten Böswilligen. Dieses Gelächter verwirrte mich vollends; ich fühlte, daß das Blut in meinen Schläfen kochte, daß eine Wolke sich vor meine Augen legte, und daß ich ohnmächtig werden würde, wenn ich darauf beharrte, bis an’s Ende zu gehen . . .

Ich kürzte meine Marter ab, die, ich bin überzeugt davon, schlimmer war als eine von denen, die ich so eben beschrieben hatte, indem ich Plötzlich sagte:

– Amen!

Ich las die Gebete noch weit schlechter, wenn es möglich war, als ich die Predigt hergesagt hatte, und indem ich ganz athemlos, ganz verwirrt, ganz wankend von der Kanzel hinunterging, schritt ich demüthig, mit gesenktem Kopfe und den Schweiß der Scham auf der Stirn, durch den Rest der Zuhörer, welche darauf beharrt hatten, meine Predigt bis an’s Ende zu hören. An der Thür der Kirche angekommen, nahm ich meinen Lauf durch das Dorf, indem ich in gerader Linie nach der Straße von Nottingham zusteuerte, ohne nur den Muth zu haben, im Vorbeigehen bei der würdigen Madame Snart einzukehren, um ihr, wie ihrem Gatten, für die Gastfreundschaft zu danken, die sie mir an ihrem Tische und unter ihrem Dache gewährt hatten.

Ich kehrte außer Athem, mit Staub bedeckt, von Schweiß triefend, – und wüthend und verzweifelt unter der Scham, und ich möchte fast sagen unter den Gewissensbissen vernichtet, in meine Wohnung nach Nottingham zurück.

VII.
Die Großmuth des Herrn Rectors

Mein Wirth, der Kupferschmied, war ein sehr würdiger Mann! Ein Anderer hätte ausgerufen: » Nun denn! . . . ah! ah!. . . hatte ich es Ihnen nicht vorausgesagt. . .«, aber er vermied es im Gegentheil, sich auf meinem Wege zu zeigen, so daß ich während zwei bis drei Tagen allein bleiben und dem zufolge meine Demüthigung verdauen konnte.

Nach Verlauf dieser Zeit kam er zu mir herauf, und ohne nur auf meine unglückliche Reise nach Ashbourn und das anzuspielen, was sich zugetragen hatte, sagte er zu mir:

– Mein lieber Herr Bemrode, Sie hatten mir früher den Wunsch ausgesprochen, sich einige Schüler für das zu verschaffen, was Sie die gelehrten Sprachen nennen, und was ich die unnöthigen Sprachen nenne; ich habe das für Sie gefunden. Hier sind die Adressen.

Und er reichte mir in der That vier bis fünf Karten, auf denen die Namen der angesehensten Bewohner der Stadt geschrieben standen. Der wackere Mann hatte in meiner Abwesenheit seine Kunden besucht und mir nicht allein vier oder fünf Schüler zusammen gelesen, sondern auch noch, da er meine bedauernswerthe Schüchternheit kannte, meine Interessen verfochten, die Lehrstunden und den Preis derselben bestimmt, so daß ich nur noch an die bezeichneten Thüren zu klopfen und mein Amt anzutreten hatte.

Das war es wirklich, was ich nöthig hatte; sobald es sich nur um griechisch und lateinisch, um Homer oder um Virgil, um Aristoteles oder um Cicero handelte, war ich ganz zu Haus und befand mich in meinem wahren Elemente.

Es ging daraus hervor, daß ich einiges Geld verdiente und daß ich nach Verlauf von drei Monaten zu meinem Handelsmanne gehen und ihm die versprochene Guinee bezahlen konnte; aber als ich diese Guinee bezahlt, blieben mir ungefähr nur noch zwölf Schilling, und wie es leicht vorauszusehen war, war es, als wir Abschied von einander genommen hatten, nicht mehr ich, sondern mein Gläubiger selbst, der gesagt hatte: »In drei Monaten!«

Mein Sturz in Ashbourn war so tief gewesen, daß ich nicht einmal versucht hatte, mich wieder dadurch von ihm zu erheben, daß ich eine Genugthuung in irgend einem benachbarten Dorfe nahm und meine Niederlage durch irgend einen glänzenden Sieg wieder gut machte; nein, ich war wieder auf die Idee des großen Werkes zurückgekommen, das zugleich meinen Ruf und mein Glück machen sollte, und da ich nach einander, aber, wie Sie gesehen haben, lieber Petrus, ohne ein passendes Thema finden zu können, – das Heldengedicht, das Trauerspiel und das Drama versucht hatte, so ’beschloß ich, bei einer unermeßlichen Abhandlung der vergleichenden Philosophie stehen zu bleiben, welche alle moralischen Begriffe der alten Philosophen mit allen den spiritualistischen Begriffen der modernen Philosophen verbinden und ans diese Weise Sokrates an den heiligen Augustin, Plato an Spinoza, Aristoteles an Leibnitz anschließen sollte.

Ich stand im Begriff, mich ernstlich an diese Arbeit zu machen, der ich mich mit um so mehr Eifer hinzugeben gedachte, als ich alle Hoffnung verloren hatte, eine Pfarrstelle zu erlangen; ich hatte sogar bereits mit großen Buchstaben auf das erste Blatt eines Buches weißes Papier den Titel des Werkes geschrieben, als ich zu meinem großen Erstaunen einen Brief des Rectors erhielt, der mich einlud, zu ihm zu kommen.

Ich gestehe, daß bei dem Lesen dieses Briefes mir ein Schauder durch die Adern rollte. Was konnte dieser Mann von mir wollen, der mich bei dem ersten Besuche, den ich ihm gemacht, so barsch empfangen hatte? Hatte er denn irgend etwas Tadelnswerthes an meinem Leben, meinen Gewohnheiten oder meinen Beschäftigungen gefunden, und ließ er mich holen, um mich zu tadeln?

Es lag wohl die unglückselige Predigt von Ashbourn vor; aber das war ein Unglück und kein Vergehen.

Der Eindruck dieses verhängnißvollen Briefes war so tief, daß, um mich dieser Zusammenkunft zu entziehen, die mir nichts Gutes versprach, wenig daran fehlte, daß ich auf der Stelle Nottingham verließ und mich auf die Gefahr hin, dort vor Hunger zu sterben, in irgend eine unzugängliche Zurückgezogenheit flüchtete; aber glücklicher Weise trat mein Wirth, der Kupferschmied, welcher die Livree des Rectors erkannt hatte, in mein Zimmer und tröstete mich wieder. Besorgt wie ich über das Schreiben, hatte er den Bedienten gefragt, welche Miene sein Herr machte, als er ihm das Billet übergab, das er so eben gebracht, und dieser hatte geantwortet: »Seine gewöhnliche Miene, und sogar weit eher freundlich als aufgebracht.«

Ich hatte mich unter den anderen Umständen so wohl dabei befunden, den Rath meines Wirthes zu befolgen, daß ich dieses Mal nicht zögerte. Da er der Meinung war, daß ich der Einladung des Rectors Folge leiste und diesen Besuch auf der Stelle mache, so zog ich meinen Feiertagsrock an, bürstete meinen Hut mit meinem Aermel und schlug den Weg nach dem Hause dieser vornehmen Person ein, von der mein Schicksal abhing, ein Haus, das, wie ich gesagt habe, an dem andern Ende der Stadt gelegen war.

Eben so wie das erste Mal wurde ich ohne zu warten eingeführt; aber meine Stellung war weit besser als damals, angenommen, daß die Voraussichten meines Wirthes ihn nicht getäuscht hatten. Ich kam nicht aus eigenem Antriebe, Seine Excellenz zu stören; es war im Gegentheil Seine Excellenz, die mich störte, da ich ohne seinen Brief an demselben Tage mein großes Werk über die vergleichende Philosophie angefangen hätte; es war nicht mehr an mir, ihn anzureden; ich hatte im Gegentheil nur zu warten, daß man mich anredete. Wenn man mir irgend einen Verweis gab, so würde ich, da mein Herz rein und mein Lebenswandel ohne Tadel war, stark durch mein Bewußtsein, auf eine kühne und sogar stolze Weise antworten. Aus allen diesen Betrachtungen ging hervor, daß bei meinem Eintritte bei dem Rector mein Geist eben so fest und ruhig war, als er das erste Mal schwankend und verlegen gewesen war.

Der Rector saß an seinem Schreibtische, in denselben Schlafrock von Molton gekleidet, Mit demselben Käppchen von schwarzem Sammet bedeckt; er hatte eine nicht weniger majestätische Haltung, als bei unserer vorhergehenden Zusammenkunft; aber ich glaubte zu bemerken, daß sein Blick weniger streng und sein Lächeln wohlwollender wäre.

Er gab mir einen Wink mit der Hand, zu gleicher Zeit, als er mich mit der Stimme aufforderte, näher zu kommen.

Ich verneigte mich und gehorchte.

– Guten Tag, Herr Williams Bemrode, sagte er zu mir. Ich verneigte mich von Neuem.

– Ich freue mich sehr über Ihren bereitwilligen Eifer, mich zu besuchen . . . Verbinden Sie mit allen den Eigenschaften, die Sie bereits haben, die Gabe der Voraussicht, und haben Sie, errathen, daß ich Ihnen eine angenehme Nachricht mitzutheilen hätte?

– Nein, Herr Rector, antwortete ich; aber eine Einladung von Ihnen war ein Befehl, und ich freue mich unendlich, daß Sie so gütig gewesen sind, meinen Eifer, diesem Befehle Folge zu leisten, bemerken zu wollen.

– Vortrefflich! sagte der Rector mit einer leichten Bewegung des Kopfes, so habe ich es gern, daß man antwortet.

Indem er hierauf die Stimme erhob, um seinen Worten mehr Wichtigkeit zu geben, sagte er:

– Herr Williams Bemrode, seit dem Besuche, den Sie mir vor ungefähr drei Monaten oder drei und einem halben Monat gemacht haben, habe ich beständig ein wachsames Auge auf Sie gehabt. Ihre Geduld, Ihr gutes Betragen, die Pünktlichkeit, mit welcher Sie trotz Ihrer Dürftigkeit, ich möchte fast sagen Ihrem Elend, eine Schuld bezahlen, welche, wie ich weiß, Sie nicht persönlich angeht, alles das verdient belohnt zu werden. Demzufolge habe ich Sie für die Pfarrstelle von Ashbourn vorgeschlagen, die seit gestern durch den Tod ihres Pastors erledigt ist.

– O mein Gott! Herr Rector, rief ich, von einem ersten Gefühle hingerissen, aus. Der arme Herr Snart ist gestorben? . . . Welches Unglück!

– Wie! Sie gewinnen eine Stellung bei diesem Tode, Sie erben eine Pfarre, die neunzig Pfund Sterling werth ist, und als Sie zugleich diese Katastrophe und ihre Vorstellung erfahren, stoßen Sie einen Ausruf des Schmerzes und nicht einen Freudenschrei aus? . . . Aber, mein lieber Herr Williams, das ist ganz evangelisch!

– Ich bitte Sie um Verzeihung, Herr Rector, antwortete ich, daß mein erstes Wort nicht ein Wort der Dankbarkeit gewesen ist, aber ich kannte den armen Herrn Snart; ich kannte seine Gattin, eine gute und würdige Frau, Herr Rector, und obgleich ich wußte, daß er sehr krank war, so hoffte ich doch, daß er längere Tage zu leben hatte. . . Gott hat ihn zu sich gerufen: der Wille Gottes geschehe!

Und ich flüsterte leise einige Worte des Gebets für die Ruhe der Seele des würdigen Pastors.

Der Rector blickte mich mit einem gewissen Erstaunen an.

– Jetzt, Herr Bemrode, sagte er zu mir, wissen Sie, daß ich für die erledigten Pfarrstellen ernenne, aber auf die Vorstellung der Gemeinden. Sie haben einen Mitbewerber; kämpfen Sie mit ihm; halten Sie Ihre Probepredigt. Er wird gleichfalls die seinige halten, und obgleich dieser Mitbewerber mein Neffe ist, so gebe ich Ihnen dennoch mein Wort, mein lieber Herr Bemrode, daß, wenn die Gemeinde Sie verlangt, Sie ernannt werden sollen.

– Herr Rector, sagte ich zu ihm, das, ich gestehe es Ihnen, erfüllt mich mit Bewunderung; ich bin daher auch trotz dem wohlwollenden Anerbieten, das Sie mir machen, bereit, mich vor Ihrem Herrn Neffen zurückzuziehen, und werde Ihnen darum nicht weniger dankbar sein, als wenn Sie mich ernannt hätten.

– Nicht doch, Herr Bemrode, nicht doch, rief der Rector aus; man sagt, daß Sie sehr gelehrt in den alten Sprachen, ganz bewandert in der Philosophie und in der Theologie, beredtsam wie Demosthenes und Cicero mit einander sind . . . Concurriren Sie, mein lieber Herr Williams Bemrode, concurriren Sie mit meinem Neffen; ich sage Ihnen nicht allein: » Das ist mein Wunsch«; ich füge hinzu: » Das ist mein Wille.«

Ich verneigte mich.

– Herr Rector, antwortete ich, vor einer solchen Erklärung Ihres Willens würde ich glauben, Ihr unparteiisches Wohlwollen zu beleidigen, wenn ich den Kampf ausschlüge, den Sie mir vorschlagen. – Es ist wahr, fuhr ich mit Zuversicht fort, daß ich ziemlich gute Studien gemacht habe; es ist wahr, daß ich einige Kenntnisse in der Theologie und in der Philosophie habe, und ich stand sogar im Begriff, eine Abhandlung über diese letzte Wissenschaft anzufangen, als ich die Ehre gehabt habe, von Ihnen beschieden zu werden, mein Herr; es ist ferner wahr, daß ich mich nicht für gänzlich der Gabe der Sprache entblößt glaube, obgleich es mir bis jetzt bei meinen Versuchen öffentlich zu sprechen, mißlungen ist; aber von Ihnen, Herr Rector, ermuthigt, unterstützt und protegirt, wird es mir hoffentlich gelingen . . . und, wenn ich nicht über einen Mitbewerber triumphire, der kein gewöhnlicher Mensch sein kann, da er Ihr Neffe ist, so habe ich wenigstens die Gewißheit, daß ich mit Ehren unterliegen werde.

 

Wie Sie haben sehen können, mein lieber Petrus, hatte ich seit dem Anfange dieser Unterhaltung ziemlich geläufig auf die verschiedenen Aufforderungen des Rectors geantwortet; ich hatte sogar zu sehen geglaubt, daß, indem er mich ohne Zweifel nach meinem ersten Besuche beurtheilte, ihn diese Leichtigkeit des Vortrages ein wenig verlegen gemacht hatte; ein spöttisches Lächeln, das sich auf seinen Lippen gezeigt, als er mich mit Demosthenes und Cicero verglichen, war mir nicht entgangen; aber die Absicht, mir nützlich zu sein, war bei diesem würdigen Manne so offenbar, es wäre ihm so leicht gewesen, mich in dem Falle nicht holen zu lassen, wo seine Absicht nicht die gewesen, welche er sagte; – ich suchte so vergebens das Interesse, das er haben könnte, mich zu täuschen, daß ich weder bei dieser Verlegenheit, noch bei diesem spöttischen Lächeln stehen blieb, und mit den Ausdrücken der lebhaftesten und besonders der aufrichtigsten Dankbarkeit Abschied von ihm nahm.

Ich kehrte mit großen Schritten, zu meinem Wirthe, dem Kupferschmied, zurück, der mich voller Ungeduld erwartete. – Nun? fragte er mich, sobald er mich erblickte.

– Ei nun, sagte ich zu ihm, mein lieber Wirth, die Zukunft hängt nur noch von mir ab! Der arme Herr Snart ist gestorben, und der Rector hat mich rufen lassen, um mich zu benachrichtigen, daß ich berufen wäre, um für die erledigte Pfarrstelle zu concurriren, was um so schöner von seiner Seite ist, da es in diesem Augenblicke nur einen einzigen Mitbewerber um diese Pfarrstelle giebt, und dieser Mitbewerber sein Neffe ist.

– Sein Neffe? den Teufel! äußerte der Kupferschmied, indem er sich hinter dem Ohre kratzte. Und auf welche Weise concurriren Sie?

– Durch eine Predigt. Er und ich, wir werden jeder die unsrige halten. . . Das ist das, was man die Probepredigt nennt. Die Gemeinde wird unter uns richten, und der, den sie vorzieht, wird ernannt werden.

– Den Teufel! den Teufel! wiederholte der Kupferschmied, indem er sich immer stärker hinter dem Ohre kratzte; eine Predigt! . . . Und das erschreckt Sie nicht, ein zweites Mal vor den Bewohnern von Ashbourn zu predigen?

– Ich weiß nicht, woher das kömmt, mein lieber Wirth: wie. ich glaube, wäre ich gestern in der That lieber gestorben, als die Kanzel wieder zu besteigen, auf welcher ich eine so schwere Niederlage erlitten habe. . . Aber seit meiner Unterredung mit dem Rector sagt mir irgend Etwas, daß es mir gelingen wird, und ich bin voller Vertrauen zu dieser geheimen Stimme, indem ich hoffe, daß sie mir von dem Herrn, und nicht von meinem Stolze und meiner Eitelkeit kommt.

– Es sei, sagte mein Wirth; aber ich rathe Ihnen Eines, mein lieber Herr Bemrode, nämlich Ihre Schüler nicht zu sehr zu vernachlässigen; vielleicht werden Sie sehr glücklich sein, sie eines Tages wiederzufinden. . .

– Im Gegentheile, antwortete ich lächelnd mit einer Zuversicht, die meinen Wirth zu erschrecken schien, im Gegentheile, ich habe meine ganze Zeit nöthig, um meine Probepredigt vorzubereiten; noch heute Abend richte ich an diese wackeren jungen Leute ein Rundschreiben, in welchem ich ihnen melde, daß ich zu meinem großen Bedauern, da ich mich auf dem Punkte befände, für die Pfarrstelle von Ashbourn ernannt zu werden, mich gezwungen sähe, ihre Erziehung zu unterbrechen; morgen mache ich mich an die Arbeit, und nächsten Sonntag halte ich meine Probepredigt.

– Ist dieser Entschluß gefaßt, lieber Herr Bemrode?

– Unwiderruflich, mein lieber Wirth.

– Dann wünsche ich, antwortete der wackere Mann, daß Sie ihn nicht bereuen mögen. . .

Und er entfernte sich, indem er den Kopf schüttelte, sich weit stärker als jemals hinter dem Ohre kratzte und murmelte:

– Den Teufel! den Teufel! den Teufel! diese Großmuth des Herrn Rectors scheint mir nicht natürlich . . .

Was mich anbetrifft, so ging ich wieder in mein Zimmer hinauf; ich schrieb meine fünf Abschiedsbriefe an meine fünf Schüler, und machte mich noch an demselben Abend an meine Probepredigt.