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Der Graf von Bragelonne

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II.
Nach dem Abendbrot

Der König nahm Saint-Aignan beim Arm und ging in das anstoßende Zimmer.

»Warum habt Ihr gezögert, Graf?« fragte der König.

»Ich holte die Antwort,« erwiederte der Graf.

»Sie brauchte also lange, um das, was ich ihr schrieb, zu beantworten.«

»Sire, Eure Majestät hatte die Gnade, Verse zu machen, Fräulein de la Vallière wollte den König mit derselben Münze, das heißt mit Gold bezahlen.

»Verse, Saint-Aignan! rief der König, »gib, gib.«

Ludwig erbrach das Siegel eines Briefchens, das Verse enthält welche, die Geschichte hat sie uns aufbewahrt, der Absicht nach besser sind, als hinsichtlich der Abfassung.

So wie sie waren, bezauberten sie indessen den König, und er gab Freude durch unzweideutige Entzückungen kund; doch das allgemeine Stillschweigen machte den König, der in Betreff des Wohlanstandes so kitzelig, darauf aufmerksam, seine Freude könnte Stoff zu Auslegungen geben.

Er wandte sich um, steckte das Billet ein, machte dann einen Schritt, der ihn auf die Thürschwelle zu seinen Gästen zurückführte und sprach:

»Herr du Vallon, ich habe Euch mit lebhaftem Vergnügen gesehen und werde Euch mit neuem Vergnügen wiedersehen.«

Porthos verbeugte sich wie es der Koloß von Rhodus gethan hätte, und ging rückwärts hinaus.

»Herr d’Artagnan,« fuhr der König fort, »Ihr werdet in der Gallerie auf meine Befehle warten, ich bin Euch verbunden, daß Ihr mich mit Herrn du Vallon bekannt gemacht habt.

»Meine Herren, ich kehre morgen wegen der Abreise der Botschafter von Spanien und Holland nach Paris zurück.

»Morgen also.«

Der Saal leerte sich alsbald. Der König nahm Saint-Aignan beim Arm und ließ ihn die Verse von la Vallière lesen.

»Wie findest Du sie?« fragte er.

»Sire, reizend.«

»Sie entzücken mich in der That, und wenn sie bekannt würden…«

»Ah! die Dichter müßten eifersüchtig werden, doch sie werden sie nicht kennen lernen.«

»Habt Ihr ihr die meinigen gegeben?«

»Oh! sie hat sie verschlungen!«

»Ich befürchte, sie waren schwach.«

»Fräulein de la Vallière hat das nicht gesagt.«

»Ihr glaubt, sie habe sie nach ihrem Geschmacke gefunden?«

»Ich bin fest davon überzeugt.«

»Dann müßte ich antworten.«

»Ah! Sire . . . sogleich nach dem Abendbrod . . . Eure Majestät wird das angreifen!«

»Ich glaube, Ihr habt Recht; das Studium nach dem Mahl ist schädlich.«

»Die Arbeit des Dichtens besonders; und dann wird wohl in diesem Augenblick eine Beängstigung bei Fräulein de la Vallière stattfinden.«

»Welche Beängstigung?«

»Ah! Sire, wie bei allen diesen Damen.«

»Weshalb?«

»Wegen des Unfalls, der dem armen Guiche widerfahren.«

»Ah! mein Gott! es ist Guiche ein Unglück widerfahren?«

»Ja, Sire; es ist ihm eine ganze Hand weggerissen, er hat ein Loch in der Brust, er stirbt.«

»Guter Gott! und wer hat Euch das gesagt?«

»Manicamp hat ihn so eben zu einem Arzt in Fontainebleau zurückgebracht, und das Gerücht hat hier sich verbreitet . . . «

»Zurückgebracht! armer Guiche! Und wie ist ihm dies begegnet?«

»Ah! Sire, das ist es eben, wie ist ihm das begegnet?«

»Ihr sagt mir das mit einer ganz seltsamen Miene, Saint-Aignan, nennt mir die einzelnen Umstände. Was sagt er?«

»Er sagt nichts, Sire, doch die Andern.«

»Welche Andere?«

»Diejenigen, welche ihn gebracht haben, Sire.«

»Wer sind diese?«

»Ich weiß es nicht Sire, doch Herr von Manicamp weiß es, Herr von Manicamp ist einer seiner Freunde.«

»Wie Jedermann.«

»Ah! nein, Ihr täuscht Euch, Sire, es ist nicht gerade Jedermann ein Freund von Herrn von Guiche.«

»Woher wißt Ihr das?«

»Soll ich mich erklären, Sire?«

»Allerdings.«

»Wohl! ich glaube, ich habe von einem Streit zwischen zwei Cavalieren sprechen hören.«

»Wann?«

»Heute Abend, vor den Nachtmahl Eurer Majestät.«

»Das beweist nichts. Ich habe so strenge Verordnungen in Beziehung auf das Duell erlassen, daß ich denke, es wird Keiner dagegen handeln.«

»Gott bewahre mich auch, daß ich Jemand entschuldige,« rief Saint-Aignan. »Eure Majestät hat mir zu sprechen befohlen, und ich spreche.«

»So erzählt mir, wie der Graf verwundet worden ist?«

»Sire, man sagt, auf dem Anstand.«

»Diesen Abend?«

»Diesen Abend.«

»Eine Hand weggerissen, ein Loch in der Brust! Wer war mit Herrn von Guiche auf dem Anstand?«

»Ich weiß es nicht, Sire, doch Herr von Manicamp muß Alles wissen.«

»Ihr verbergt mir etwas, Saint-Aignan.«

»Nichts, Sire, nichts.«

»So erklärt mir den Vorfall; Ist eine Muskete zersprungen?«

»Vielleicht wohl. Doch ich bedenke, nein, Sire, denn man hat bei Guiche seine noch geladene Pistole gefunden.«

»Seine Pistole! mir scheint, man geht nicht mit der Pistole auf den Anstand.«

»Sire, man fügt bei, sein Pferd sei getödtet worden, und der Leichnam des Pferdes liege noch in der Lichtung.«

»Sein Pferd! Guiche geht zu Pferde auf den Anstand! Saint-Aignan, ich begreife nichts von dem, was Ihr mir da sagt. Wo ist die Sache vorgefallen?«

»Im Bois-Rochin, auf dem Rondel.«

»Gut. Rufet Herrn d’Artagnan.«

Saint-Aignan gehorchte. Der Musketier trat ein.

»Herr d’Artagnan,« sprach der König, »Ihr geht durch die kleine Thüre der Privattreppe hinaus.«

»Ja, Sire.«

»Ihr steigt zu Pferde.«

»Ja, Sire.«

»Ihr reitet nach dem Rondel des Bois-Rochin.

»Kennt Ihr den Ort?«

»Sire, ich habe mich zweimal dort geschlagen.«

»Wie!« rief der König ganz bestürzt über diese Antwort.

»Sire, unter den Edicten des Herrn Cardinal von Richelieu,« erwiederte d’Artagnan mit seinem gewöhnlichen Phlegma.

»Das ist etwas Anderes, mein Herr! Ihr werdet Euch also dahin begeben und die Oertlichkeit genau untersuchen. Es ist ein Mann dort verwundet worden, und Ihr werdet ein todtes Pferd finden. Ihr sagt mir sodann, was Ihr von diesem Ereigniß denkt.«

»Sehr wohl, Sire.«

»Es versteht sich von selbst, daß ich Eure eigene Meinung und nicht die von Anderen haben will.«

»Ihr werdet sie in einer Stunde haben, Sire.«

»Ich verbiete Euch, mit irgend Jemand, wer es auch sein mag, zu reden.«

»Den ausgenommen, welcher mir eine Laterne geben wird,« sagte d’Artagnan.

»Ja, gewiß,« versetzte der König lachend über diese Freiheit, die er nur bei seinem Kapitän der Musketiere duldete.

D’Artagnan entfernte sich auf der kleinen Treppe.

»Man rufe mir meinen Arzt,« sagte Ludwig.

Nach zehn Minuten kam der Arzt ganz athemlos an.

»Mein Herr,« sprach der König, »Ihr begebt Euch mit Herrn von Saint-Aignan dahin, wohin er Euch führen wird, und erstattet mir Bericht über den Zustand des Kranken, den Ihr in dem Hause, wohin ich Euch zu gehen bitte, sehen werdet.«

Der Arzt gehorchte ohne eine Bemerkung, wie man zu jener Zeit Ludwig XIV. zu gehorchen anfing, und ging, Saint-Aignan voranschreitend, weg.

»Ihr, Saint-Aignan, schickt mir Manicamp, ehe der Arzt mit ihm sprechen konnte.«

Saint-Aignan ging ebenfalls hinaus.

III.
Wie d’Artagnan die Sendung vollzog, mit der ihn der König beauftragt hatte

Während der König diese letzten Anordnungen traf, um zur Wahrheit zu gelangen, lief d’Artagnan, ohne eine Secunde zu verlieren, nach dem Stall, nahm die Laterne vom Haken, sattelte selbst sein Pferd und wandte sich nach dem von Seiner Majestät bezeichneten Orte.

Er hatte seinem Versprechen gemäß weder Jemand gesehen, noch getroffen; er war sogar in der Gewissenhaftigkeit so weit gegangen, daß er, was er zu thun hatte, wie gesagt, ohne die Vermittelung der Stallknechte that.

D’Artagnan gehörte zu den Menschen, welche eine Ehre darin suchen, in schwierigen Augenblicken ihren eigenen Werth zu verdoppeln.

In einem Galopp von fünf Minuten war er im Gehölze; er band sein Pferd an den ersten, den besten Baum an und drang zu Fuß bis zur Lichtung vor.

Da begann er, seine Laterne in der Hand, die ganze Oberfläche des Rondels zu durchlaufen; er ging hin, er ging her, er maß, untersuchte, und nach einer Forschung von einer halben Stunde nahm er in der Stille wieder sein Pferd und kehrte nachdenkend und im Schritt nach Fontainebleau zurück.

Ludwig erwartete ihn in seinem Cabinet; er war allein und zeichnete mit einem Bleistift auf ein Papier Zeilen, welche d’Artagnan mit dem ersten Blick als ungleich und sehr durchstrichen erkannte.

Er schloß daraus, es müßten Verse sein.

Der König schaute empor und erblickte d’Artagnan.

»Nun, mein Herr,« sagte er, «bringt Ihr mir Nachrichten?«

»Ja, Sire.«

»Was habt Ihr gesehen?«

»Folgendes ist das Wahrscheinliche, Sire.«

»Es war eine Gewißheit, was ich von Euch verlangte.«

»Ich werde ihr so viel als möglich nahe kommen; das Wetter war bequem für Nachforschungen in der Art, wie ich sie gemacht habe; es regnete diesen Abend und die Wege waren durchnäßt.«

»Zur Sache, Herr d’Artagnan.«

»Sire, Eure Majestät sagte mir, es liege ein todtes Pferd auf der Lichtung des Bois-Rochin; ich fing also damit an, daß ich die Wege untersuchte.

»Ich sage Wege, insofern man zu dem Mittelpunkt der Lichtung auf vier Wegen gelangt.

»Derjenige, welchem ich gefolgt war, zeigte allein frische Spuren. Zwei Pferde wären neben einander darauf gegangen: ihre acht Füße waren sehr deutlich in der Thonerde bezeichnet.

»Der eine von den Reitern hatte mehr Eile als der andere. Die Tritte des einen Rosses sind stets eine halbe Pferdslänge vor denen des andern.«

»Ihr seid also sicher, daß sie zu zwei gekommen sind?« fragte der König.

»Ja, Sire. Die Pferde sind zwei große Thiere von gleichem Schritt, Pferde, an das Manoeuvre gewöhnt, denn sie haben sich in einer vollkommenen schrägen Linie um die Barriere des Rondels gewendet.«

 

»Weiter, mein Herr.«

»Hier sind die Reiter einen Augenblick geblieben, ohne Zweifel, um die Bedingungen des Zweikampfes festzustellen; die Pferde wurden ungeduldig. Der eine von den Reitern sprach, der andere hörte und beschränkte sich auf das Antworten. Sein Pferd scharrte mit dem Fuße auf der Erde, was beweist, daß er, ganz in das Hören vertieft, ihm die Zügel überließ.«

»Dann fand ein Kampf statt?«

»Ohne Widerspruch.«

»Fahret fort; Ihr seid ein geschickter Beobachter.«

»Der eine von den Reitern blieb am Platz, der, welcher horchte. Der andere durchritt die Lichtung und stellte sich Anfangs seinem Feinde gegenüber auf. Dann durchritt derjenige, welcher am Platz geblieben war, im Galopp das Rondel bis auf zwei Drittel seiner Länge, im Glauben, er reite auf seinen Gegner zu, doch dieser war dem Umkreis des Waldes gefolgt.«

»Nicht wahr, Ihr wißt die Namen nicht?«

»Durchaus nicht. Nur ritt derjenige, welcher dem Umkreise des Waldes folgte, einen Rappen.«

»Woher wißt Ihr das?«

»Einige Haare vom Schweif sind an den Brombeersträucher, hängen geblieben, mit denen der Rand des Grabens besetzt ist,«

»Fahret fort.«

»Was das andere Pferd betrifft, so hatte ich keine Mühe, sein Signalement zu entwerfen, da es todt auf der Wahlstatt geblieben ist.«

»Und woran ist dieses Pferd gestorben?«

»An einer Kugel, die ihm den Schlaf durchbohrt bat.«

»War es eine Pistolenkugel oder eine Flintenkugel?«

»Eine Pistolenkugel, Sire. Die Wunde des Pferdes hat mir übrigens die Taktik desjenigen, welcher es getödtet, bezeichnet. Er war dem Umkreise des Waldes gefolgt, um seinen Gegner in der Flanke zu haben. Ich verfolgte seine Tritte auf dem Rasen.«

»Die Tritte des Rappen?«

»Ja, Sire.«

»Weiter, Herr d’Artagnan.«

»Nun, da Eure Majestät die Stellung der beiden Gegner sieht, muß ich den feststehenden Reiter verlassen, um zu dem galoppirenden Reiter überzugehen.

»Thut das.«

»Das Pferd des Reiters, der chargirte, wurde plötzlich getödtet.«

»Woher wißt Ihr das?«

»Der Reiter hatte nicht Zeit, abzusteigen, und stürzte mit dem Pferde. Ich sah die Spur seines Beines, das er mit großer Anstrengung unter dem Pferde vorzog. Von dem Gewichte des Thieres bedrückt, durchwühlte der Sporn die Erde.«

»Gut. Und was that er, als er aufgestanden war?«

»Er ging gerade auf seinen Gegner los.«

»Der immer noch am Saume des Waldes stille hielt?«

»Ja, Sire. Dann, als er in ein schönes Bereich gekommen war, blieb er fest stehen, – seine Absätze sind der eine neben dem andern eingedrückt, – er schoß und fehlte seinen Gegner.«

»Woher wißt Ihr, daß er gefehlt hat?«

»Ich fand den Hut von einer Kugel durchlöchert.«

»Ah! ein Beweis,« rief der König.

»Ein ungenügender, Sire,« antwortete d’Artagnan kalt; »es ist ein Hut ohne Buchstaben, ohne Wappen; eine rothe Feder, wie an allen Hüten; selbst die Treffe hat nichts Besonderes.«

»Hat der Mann mit dem durchlöcherten Hut seinen zweiten Schuß abgefeuert?«

»Oh! Sire, seine zwei Schüsse waren schon abgefeuert.«

»Wie habt Ihr dies erfahren?«

»Ich habe die Pfröpfe der Pistole gefunden.«

»Und was ist aus der Kugel geworden, welche nicht getödtet?«

»Sie hat die Hutfeder von dem durchschnitten, auf welchen sie gerichtet war, und eine kleine Birke auf der andern Seite der Lichtung zerschmettert.

»Dann war der Mann mit dem Rappen entwaffnet, während sein Gegner einen Schuß abzufeuern hatte«

»Sire, während der des Pferdes verlustige Reiter wieder aufstand, lud der Andere sein Gewehr abermals. Nur war er sehr unruhig beim Wiederladen, denn seine Hand zitterte.«

»Woher wißt Ihr das?«

»Die Hälfte der Ladung ist zu Boden gefallen, und er warf den Ladstock weg und nahm sich nicht einmal Zeit, ihn wieder an die Pistole zu stecken.«

»Herr d’Artagnan, was Ihr mir da sagt, ist wunderbar.«

»Es ist eine Beobachtung, Sire, und der geringste Recognoscirreiter würde dasselbe thun.«

»Man sieht die Scene, wenn man Euch nur hört.«

»Ich habe sie in der That mit wenigen Veränderungen in meinem Geiste wiederaufgebaut.«

»Kommen wir nun zum demontirten Reiter. Ihr sagtet, er sei auf seinen Gegner zugegangen, während dieser seine Pistole wieder geladen habe.«

»Ja, doch in dem Augenblicke, wo er selbst zielte, schoß der Andere.«

»Oh!« machte der König; »und der Schuß?«

»Der Schuß war furchtbar, Sire; der demontirte Reiter fiel auf das Gesicht, nachdem er drei unsichere Schritte gemacht hatte.«

»Wo war er getroffen?«

»An zwei Stellen; einmal an der rechten Hand, sodann an der Brust.«

»Wie könnt Ihr denn das errathen?« fragte der König voll Bewunderung.

»Oh! das ist sehr einfach, der Kolben der Pistole war ganz mit Blut überzogen, und man sah daran die Spur der Kugel mit Stücken eines zerbrochenen Ringes. Dem Verwundeten sind also wahrscheinlich der Ringfinger und der kleine Finger weggerissen worden.«

»So viel, was die Hand betrifft, das gebe ich zu. Doch die Brust?«’

»Sire, es fanden sich da zwei Blutlachen zwei und einen halben Fuß von einander entfernt. Bei einer von diesen Lachen war das Gras mit der zuckenden Hand ausgerauft worden; bei der andern war das Gras nur durch die Schwere des Körpers niedergedrückt.«

»Armer Guiche!« rief der König.

»Ah! es war Herr von Guiche,« sagte ruhig der Musketier; »ich vermuthete es, wagte es aber nicht, Eurer Majestät etwas davon zu sagen.«

»Und wie vermuthetet Ihr es?«

»Ich erkannte das Wappen von Guiche auf den Holftern des todten Pferdes.«

»Und Ihr glaubt, daß er schwer verwundet ist?«

»Sehr schwer, denn er fiel sogleich und blieb lange auf demselben Platz. Er konnte jedoch gehen und hat sich, während er ging, auf zwei Freunde gestützt.«

»Ihr seid ihm also begegnet?«

»Nein, aber ich habe die Tritte von drei Männern erkannt. Der Mann auf der Rechten und der auf der Linken gingen leicht, doch der in der Mitte hatte einen schwerfälligen Tritt; überdies begleiteten die Blutspuren diesen Tritt.«

»Nun, mein Herr, da Ihr den Kampf so wohl gesehen habt, da Euch kein einziger Umstand entgangen ist, sagt mir ein paar Worte über den Gegner von Herrn von Guiche.«

»Sire, ich kenne ihn nicht.«

»Ihr, der Ihr doch so gut seht?«

»Ja, Sire,« sprach d’Artagnan, »ich sehe Alles, doch ich sage nicht Alles, was ich sehe, und da der arme Teufel entkommen ist, so erlaube mir Eure Majestät, ihr zu bemerken, daß ich ihn nicht anzeigen werde.«

»Derjenige, welcher sich duellirt, ist aber ein Strafbarer, mein Herr.«

»Nicht für mich, Sire,« erwiederte d’Artagnan mit kaltem Tone.

»Mein Herr, wißt Ihr wohl, was Ihr sprecht?« rief der König.

»Vollkommen, Sire; doch in meinen Augen, Sire, ist ein Mann, der sich gut schlägt, ein braver Mann. Das ist meine Ansicht; Ihr könnt eine andere haben; ganz natürlich, Ihr seid der Gebieter.«

»Herr d’Artagnan, ich habe befohlen . . . «

D’Artagnan unterbrach den König mit einer ehrerbietigen Geberde und erwiederte:

»Ihr habt mir befohlen, Nachforschungen über einen Zweikampf anzustellen, Sire; ich habe es gethan und Euch Bericht erstattet. Befehlt Ihr mir, den Gegner von Herrn von Guiche zu verhaften, so werde ich gehorchen; befehlt mir aber nicht, ihn anzuzeigen, denn diesmal würde ich nicht gehorchen.«

»Nun! so verhaftet ihn.«

»Nennt mir denselben, Sire.«

Ludwig stampfte mit dem Fuß.

Dann, nachdem er einen Augenblick nachgedacht, sprach er:

»Ihr habt zehnmal, zwanzigmal, hundertmal Recht.«

»Das ist meine Ansicht, Sire, und ich bin glücklich, daß es zugleich auch die Eurer Majestät ist.«

»Noch ein Wort . . . Wer hat Guiche Hilfe geleistet?«

»Ich weiß es nicht.«

»Ihr sprachet aber von zwei Männern. Es war also ein Zeuge dabei?«

»Es war kein Zeuge dabei . . . Mehr noch . . . sobald Herr von Guiche gefallen war, entfloh sein Gegner, ohne ihm nur entfernt beizustehen.«

»Der Elende!«

»Oh! Sire, das ist die Folge Eurer Edicte. Man hat sich gut geschlagen, man ist einem ersten Tod entkommen, man will auch einem zweiten entgehen. Teufel! . . . man erinnert sich des Herrn von Bauteville.«

»Und dann wird man feige.«

»Nein, man wird klug.«

»Er ist also entflohen?«

»Ja, und zwar so geschwinde, als ihn sein Pferd tragen konnte.«

»In welcher Richtung?«

»In der des Schlosses.«

»Hernach?«

»Hernach kamen, wie ich Eurer Majestät zu sagen die Ehre hatte, zwei Männer zu Fuß und nahmen Herrn von Guiche mit.«

»Welchen Beweis habt Ihr, daß diese zwei Männer nach dem Zweikampf gekommen sind?«

»Ah! einen klaren Beweis: in dem Augenblick des Zweikampfs hatte der Regen aufgehört, der Boden hatte aber nicht Zeit gehabt, ihn einzuschlucken, und war feucht geblieben. Die Tritte drückten sich ein, doch nach dem Zweikampf, während der Zeit, wo Herr von Guiche ohnmächtig war, befestigte sich die Erde wieder und die Tritte hinterließen weniger tiefe Spuren.«

Der König schlug zum Zeichen der Bewunderung seine Hände aneinander und rief:

»Herr d’Artagnan, Ihr seid in der That der gewandteste Mann meines Königreichs.«

»Das dachte Herr von Richelieu und sagte Herr von Mazarin.«

»Nun haben wir nur noch zu sehen, ob Euer Scharfsinn sich nicht getäuscht hat.«

»Oh, Sire, der Mensch irrt sich, errare humanum est,« sagte philosophisch der Musketier.«

»Ihr gehört also nicht zur Menschheit, Herr d’Artagnan, denn ich glaube, Ihr irrt Euch nie.«

»Euer Majestät sagte, wir würden sehen.«

»Ja.«

»Wie dies, wenn es Euch beliebt?«

»Ich habe nach Herrn von Manicamp geschickt, und Herr von Manicamp wird kommen.«

»Und Manicamp weiß das Geheimniß?«

»Guiche hat keine Geheimnisse für Herrn von Manicamp.«

D’Artagnan schüttelte den Kopf und erwiederte: »Ich wiederhole, es wohnte Niemand dem Zweikampf bei, und wenn Herr von Manicamp nicht einer von den zwei Männern ist, die ihn zurückgebracht haben . . . «

»Stille,« sagte der König, »er kommt eben; bleibt da und höret zu.«

»Sehr wohl, Sire,« sprach der Musketier.

In derselben Minute erschienen Manicamp und Saint-Aignan auf der Thürschwelle.

IV.
Der Anstand

Der König machte dem Musketier, der Andere Saint-Aignan ein Zeichen.

Das Zeichen war gebieterisch und bedeutete: »Bei Eurem Leben, schweigt.«

D’Artagnan zog sich wie ein Soldat in eine Ecke des Cabinets zurück.

Saint-Aignan als ein Günstling stützte sich auf die Lehne des Fauteuil von Ludwig XIV.

Das rechte Bein vor, ein Lächeln auf den Lippen, die Hände weiß und anmuthig, machte Manicamp seine Verbeugung vor dem König.

Der König nickte zur Erwiederung mit dem Kopf und sprach:

»Guten Abend, Herr von Manicamp.«

»Euer Majestät hat mir die Ehre erwiesen, mich zu sich rufen zu lassen,« versetzte Manicamp.

»Ja, um von Euch alle Umstände des Unfalls zu erfahren, der Herrn von Guiche betroffen hat.«

»Oh! Sire, das ist schmerzlich.«

»Ihr waret dabei.«

»Nicht gerade, Sire.«

»Aber Ihr kamet auf den Schauplatz des Unfalls einige Augenblicke, nachdem sich dieser ereignet hatte.«

»So ist es, ja, Sire, ungefähr eine halbe Stunde nachher.«

»Und wo hat die Sache stattgefunden?«

»Ich glaube, Sire, man nennt den Ort das Rondel des Bois-Rochin.«

»Ja, es ist ein Sammelplatz für die Jagd.«

»So ist es, Sire.«

»Nun denn! so erzählt mir, was Ihr von den Umständen dieses Unglücks wißt, Herr von Manicamp, erzählt es mir.«

»Euer Majestät ist vielleicht schon unterrichtet, und ich müßte befürchten, sie durch Wiederholungen zu ermüden.«

»Nein, befürchtet das nicht.«

Manicamp schaute ringsumher, er sah nur d’Artagnan, der am Täfelwerk lehnte, d’Artagnan ruhig, wohlwollend, gutherzig, Und Saint-Aignan, mit dem er gekommen war, und der sich beständig mit einem gleich freundlichen Gesicht auf das Fauteuil des Königs stützte.

Er entschloß sich also, zu sprechen.

»Es ist Eurer Majestät nicht unbekannt, daß die Unfälle auf der Jagd etwas Gewöhnliches sind,« sagte er.

»Auf der Jagd?«

»Ja, Sire, ich will sagen auf dem Anstand.«

»Ah! ah!« rief der König, »auf dem Anstand hat sich der Unfall ereignet?«

»Ja, Sire.« versetzte Manicamp; »wußte das Euer Majestät nicht?«

»So ungefähr,« erwiederte rasch der König, denn es widerstrebte ihm stets, zu lügen; »Ihr sagt also, auf dem Anstand habe sich der Unfall ereignet?«

 

»Ah! ja, leider, Sire.«

Der König machte eine Pause und fragte dann:

»Auf dem Anstand, auf welches Thier?«

»Auf Wildschwein, Sire.«

»Was fiel denn Guiche ein, daß er nur so allein auf den Anstand auf Wildschwein ging! das ist eine Uebung für einen Landmann und höchstens gut für denjenigen, welcher nicht wie der Marschall von Grammont Hunde und Piqueurs hat, um edelmännisch zu jagen.«

Manicamp beugte die Schultern und erwiederte spruchreich:

»Die Jugend ist verwegen.«

»Fahret fort,« sagte der König.

»So viel ist gewiß,« fuhr Manicamp fort, der sich nicht in Gefahr bringen wollte, und ein Wort nach dem andern setzte, wie es mit seinen Füßen ein Arbeiter in den Salzsümpfen am Meere thut, »so viel ist gewiß, Sire, daß der arme Guiche ganz allein auf den Anstand ging.«

»Ganz allein, in der That! ein herrlicher Jäger! Herr von Guiche weiß also nicht, daß das Wildschwein auf der Stelle zurückkehrt?«

»Das ist gerade geschehen, Sire.«

»Er hatte also Kenntniß von dem Thiere?«

»Ja, Sire. Bauern hatten es in ihren Kartoffeln gesehen.«

»Und was für ein Thier war es?«

»Ein zweijähriger Keiler.«

»Man hätte mich benachrichtigen müssen, Guiche habe Selbstmordsgedanken; denn ich habe ihn jagen sehen, er ist ein vortrefflicher Jäger. Wenn er auf ein Thier schießt, das in die Enge getrieben ist und den Hunden Stand hält, geht er mit aller Vorsicht zu Werke und schießt mit dem Karabiner, und diesmal bietet er dem Keiler mit einfachen Pistolen Trotz.«

Manicamp bebte.

»Luxuspistolen, was Teufels! vortrefflich, um sich damit mit einem Menschen und nicht mit einem Wildschwein zu schlagen!«

»Sire, es gibt Dinge, die sich nicht gut erklären lassen.«

»Ihr habt Recht, und das Ereigniß, das uns beschäftigt, ist eines von diesen Dingen. Fahret fort.«

Während dieser Unterredung sah Saint-Aignan, der Manicamp vielleicht durch ein Zeichen ermahnt hätte, er möge sich nicht in Reden verfangen, fortwährend den beharrlichen Blick des Königs auf sich gezielt.

Es war also zwischen ihm und Manicamp jede Communication unmöglich.

Auf dem Weg angetrieben, den er eingeschlagen, fuhr daher Manicamp fort, sich immer tiefer in das Garn zu versenken.

»Sire,« sagte er, »die Sache hat sich wahrscheinlich auf folgende Weise ereignet: Guiche wartete auf den Keiler.«

»Zu Pferd oder zu Fuß?« fragte der König.

»Zu Pferd. Er schoß auf das Thier, fehlte es.«

»Der Ungeschickte!«

»Das Thier brach auf ihn los.«

»Und das Pferd wurde getödtet.«

»Ah! Eure Majestät weiß das.«

»Man hat mir gesagt, es sei ein todtes Pferd auf dem Kreuzweg des Bois-Rochin gefunden worden, und ich nahm an, es sei das Pferd von Guiche gewesen.«

»Es war dieses in der That.«

»So viel, was das Pferd betrifft; doch wie ging es mit Guiche?«

»Sobald Guiche auf dem Boden lag, fiel ihn der Keiler an, und er wurde an der Hand und an der Brust verwundet.«

»Das ist ein furchtbares Unglück, doch ich muß sagen, Guiche ist selbst daran Schuld. Wie kann man auf ein solches Thier mit Pistolen auf den Anstand gehen? er hatte also die Fabel von Adonis vergessen!«

Manicamp kratzte sich hinter dem Ohr.

»Es ist wahr,« sagte er, »eine große Unvorsichtigkeit.«

»Wie erklärt Ihr Euch das, Herr von Manicamp?«

»Sire, was geschrieben steht, steht geschrieben.«

»Ah! Ihr seid Fatalist!«

Manicamp fühlte sich sehr unbehaglich.

»Ich bin über Euch aufgebracht, Herr von Manicamp,« fuhr der König fort.

»Ueber mich, Sire?«

»Ja. Wie! Ihr seid der Freund von Guiche, Ihr wißt, daß er zu solchen Tollheiten geneigt ist, und Ihr haltet ihn nicht davon ab!«

Manicamp wußte nicht, was er denken und thun sollte; der Ton des Königs war nicht gerade der eines gläubigen Menschen.

Andererseits hatte dieser Ton weder die Strenge des Drama, noch die Dringlichkeit des Verhörs.

Es lag mehr Spott, als Drohung darin.

»Und Ihr sagt also,« fuhr der König fort, »es sei allerdings das Pferd von Guiche, was man todt aufgefunden?«

»Oh! mein Gott, ja.«

»Wundert Euch das nicht?«

»Nein, Sire. Bei der letzten Jagd wurde Herrn von Saint-Maure, Eure Majestät erinnert sich dessen, ein Pferd unter dem Leib auf dieselbe Art getödtet.«

»Ja, doch es war ihm der Bauch aufgeschlitzt.«

»Allerdings, Sire.«

»Wäre dem Pferde von Guiche der Bauch aufgeschlitzt worden, wie dem von Herrn von Saint-Maure, so würde ich mich, bei Gott! nicht darüber wundern.«

Manicamp riß die Augen weit auf,

»Was mich aber in Erstaunen setzt,« sagte der König, »ist der Umstand, daß dem Pferde von Guiche nicht der Bauch aufgeschlitzt, sondern der Kopf zerschmettert worden ist.«

Manicamp wurde sehr unruhig.

»Täusche ich mich.« fragte der König, »wurde das Pferd von Guiche nicht an den Schlaf getroffen? Gesteht, Herr von Manicamp, daß dies eine seltsame Erscheinung ist.«

»Sire, Ihr wißt, das Pferd ist ein sehr verständiges Thier, es wird sich zu vertheidigen gesucht haben.«

»Ein Pferd vertheidigt sich aber mit den Hinterfüßen, und nicht mit dem Kopf.«

»Dann wird das erschrockene Pferd niedergestürzt sein, und der Keiler, Ihr begreift, Sire, der Keiler . . . «

»Ja, ich begreife, was das Pferd betrifft; doch wie ist es mit dem Reiter?«

»Nun, das ist ganz einfach: der Keiler ist vom Pferd zum Reiter zurückgekehrt und hat, wie ich Eurer Majestät zu bemerken mich beehrte, Guiche die Hand in dem Augenblick zerschmettert, wo er seinen zweiten Schuß auf ihn abfeuern wollte; sodann durchlöcherte er ihm mit einem Rüsselschlag die Brust.«

»Das ist in der That äußerst wahrscheinlich, Herr von Manicamp; Ihr habt Unrecht, Eurer Beredsamkeit zu mißtrauen, denn Ihr erzählt vortrefflich.«

»Der König ist sehr gut,« sagte Manicamp, indem er sich äußerst verlegen verbeugte.

»Nur werde ich von heute an meinen Edelleuten verbieten, auf den Anstand zu gehen. Teufel! es wäre eben so gut, wenn man ihnen das Duell erlauben würde.«

Manicamp bebte und machte eine Bewegung, um sich zurückzuziehen.

»Der König ist befriedigt?« sagte er.

»Entzückt: doch entfernt Euch noch nicht, Herr von Manicamp, ich habe noch mit Euch zu thun.«

»Ah! ah!« dachte d’Artagnan, »abermals Einer, der nicht von unserer Stärke ist.«

Und er gab einen Seufzer von sich, welcher bedeuten mochte:

»Oh! die Männer von unserer Stärke, wo sind sie nun?«

In diesem Augenblick hob ein Huissier den Thürvorhang auf und meldete den Arzt des Königs,

»Ah!« rief Ludwig, »hier kommt gerade Herr Valot, der Herrn von Guiche besucht hat. Wir werden Nachricht von dem Verwundeten erhalten.«

Manicamp fühlte sich unbehaglicher als je.

»Auf diese Art werden wir wenigstens klar in der Sache sehen,« fügte der König bei.

Und er schaute d’Artagnan an, der keine Miene verzog.