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Der Graf von Bragelonne

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XXVIII.
Wie sich Porthos, Trüchen und Planchet mit Hilfe von d’Artagnan alle als Freunde verließen

Man speiste tüchtig im Hause von Planchet.

Porthos zerbrach eine Leiter und zwei Kirschbäume, plünderte die Himbeersträuche, konnte aber nicht zu den Erdbeeren gelangen, wegen seines Degengehenkes, wie er sagte.

Trüchen, die schon mit Porthos vertraut geworden war, meinte:

»Es ist nicht das Degengehenke, sondern der Bauch.«

Außer sich vor Freude küßte Porthos Trüchen, und diese pflückte ihre Hand voll Erdbeeren und ließ ihn aus ihrer Hand essen. D’Artagnan, der mittlerweile herbei kam, schalt Porthos wegen seiner Trägheit aus und beklagte Planchet ganz leise.

Porthos frühstückte gut; als er damit zu Ende war, sagte er, Trüchen anschauend:

»Ich würde mir hier gefallen.«

Trüchen lächelte.

Planchet that dasselbe, doch nicht ohne ein wenig Zwang.

Da sprach d’Artagnan zu Porthos:

»Mein Freund, die Genüsse von Capua dürfen Euch den wahren Zweck unserer Reise nach Fontainebleau nicht vergessen lassen.«

»Meine Vorstellung beim König?«

»Ganz richtig. Ich will einen Gang in der Stadt machen, um Vorkehrungen hierzu zu treffen. Ich bitte, geht nicht von hier weg.«

»Oh! nein!« rief Porthos.

Planchet schaute d’Artagnan ängstlich an und fragte ihn:

»Werdet Ihr lange abwesend sein?«

»Nein, mein Freund, und schon diesen Abend befreie ich Dich von zwei für Dich ein wenig lästigen Gästen.«

»Ah! Herr Chevalier! Ihr könnt das sagen . . . «

»Siehst Du, Dein Herz ist vortrefflich, aber Dein Haus ist klein. Wer nur zwei Morgen hat, kann einen König bei sich aufnehmen und glücklich machen. Doch Du bist nicht als vornehmer Herr geboren.«

»Herr Porthos auch nicht,« murmelte Planchet.

»Er ist es geworden, mein Lieber; er ist Grundherr von hunderttausend Livres Rente seit zwanzig Jahren und seit fünfzig Jahren ist er Gebieter von zwei Fäusten und von einem Rückgrat, die nie Nebenbuhler in dem schönen Lande Frankreich gehabt haben. Porthos ist ein sehr vornehmer Herr, im Vergleich mit Dir, und . . . und ich sage Dir nicht mehr. Ich weiß, daß Du verständig bist.«

»Nein! nein! ich bitte, erklärt Euch.«

»Schau Deinen geplünderten Obstgarten, Deine leere Speisekammer, Dein zerbrochenes Gastbett, Deinen trockengelegten Keller an, schau Frau Trüchen an.«

»Oh! mein Gott!« rief Planchet.

»Porthos, siehst Du, ist Herr von dreißig Dörfern, welche drei hundert aufgeweckte Vasallinnen enthalten, und Porthos ist ein sehr hübscher Mann!«

»Oh! mein Gott!« wiederholte Planchet.

»Frau Trüchen ist eine vortreffliche Person,« fuhr d’Artagnan fort, »bewahre sie für Dich, hörst Du!« Und er klopfte ihm auf die Schulter.

In diesem Augenblick erschaute der Gewürzkrämer Porthos und Trüchen in der Entfernung unter einer Laube.

Trüchen machte Porthos mit einer ganz flämischen Anmuth Ohrgehänge aus Zwillingskirschen und Porthos lachte verliebt wie Simson von Dalilah.

Planchet drückte d’Artagnan die Hand und lief nach der Laube. Lassen wir Porthos die Gerechtigkeit widerfahren, daß ihn das nicht störte. Ohne Zweifel glaubte er nicht schlimm zu handeln.

Trüchen ließ sich ebenfalls nicht stören, worüber Planchet mißvergnügt wurde; doch er hatte genug schöne Welt in seiner Bude gesehen, um bei einer Unannehmlichkeit gute Miene zu machen.

Planchet nahm Porthos beim Arm und machte ihm den Vorschlag, nach den Pferden zu schauen.

Porthos sagte, er sei müde.

Planchet schlug dem Baron du Vallon vor, von einem Nußliqueur zu kosten, den er selbst gemacht und der nicht seines Gleichen habe.

Der Baron nahm dieß an.

So wußte Planchet den ganzen Tag seinen Freund zu beschäftigen. Er opferte seinen Speiseschrank seiner Eigenliebe.

D’Artagnan kam nach zwei Stunden zurück.

»Alles ist angeordnet,« sagte er; »ich habe Seine Majestät einen Augenblick bei der Abfahrt zur Jagd gesehen: der König erwartet uns diesen Abend.«

»Der König erwartet mich!« rief Porthos, indem er sich hoch ausrichtete. Und man muß gestehen, denn des Menschen Herz ist eine bewegliche Welle, von diesem Augenblick schaute Porthos Frau Trüchen nicht mehr mit der rührenden Freundlichkeit an, die das Herz der Antwerpnerin erweicht hatte.

Planchet fachte nach Kräften diese ehrgeizige Stimmung an. Er erzählte abermals oder durchging vielmehr alle Herrlichkeiten der vorhergehenden Regierung: die Schlachten, die Belagerungen, die Feierlichkeiten. Er sprach vom Luxus der Engländer, von den Eroberungen, welche die drei braven Gefährten gemacht, von denen d’Artagnan am Anfang der Geringste, am Ende das Haupt geworden.

Er versetzte Porthos in Begeisterung, indem er ihm die entschwundene Jugend zeigte; er rühmte, so viel er konnte, die Keuschheit dieses vornehmen Herrn und seine religiöse Achtung für die Freundschaft; er war beredt, er war gewandt. Er entzückte Porthos, machte Trüchen zittern und d’Artagnan träumen.

Um sechs Uhr befahl der Musketier, die Pferde bereit zu halten, und hieß Porthos sich ankleiden.

Er dankte Planchet für seine Gastfreundschaft und ließ ein paar Worte über seine Anstellung bei Hofe fallen, die sich für ihn finden dürste, was Planchet sogleich im Geiste von Trüchen erhöhte, wo der so gute, so edelmüthige, so ergebene arme Gewürzkrämer seit der Erscheinung der zwei vornehmen Herren und der Vergleichung mit diesen etwas gesunken war.

Denn die Frauen sind so beschaffen: sie trachten nach dem, was sie nicht haben, sie verachten das, wonach sie trachteten, wenn sie es haben.

Nach dem er seinen Freund Planchet diesen Dienst geleistet hatte, sagte d’Artagnan ganz leise zu Porthos:

»Mein Freund, Ihr habt einen ziemlich hübschen Ring an Eurem Finger.«

»Drei hundert Pistolen,« erwiederte Porthos.

»Frau Trüchen wird ein viel besseres Andenken an Euch bewahren, wenn Ihr ihr diesen Ring überlaßt.«

Porthos zögerte.

»Ihr findet ihn nicht schön genug?« fuhr d’Artagnan fort. »Ich verstehe Euch, ein vornehmer Herr, wie Ihr, wohnt nicht bei einem ehemaligen Diener, ohne die Gastfreundschaft reichlich zu bezahlen; doch glaubt mir, Planchet hat ein so gutes Herz, daß er nicht bemerken wird. Eure Einkünfte belaufen sich auf hundert tausend Livres.«

»Ich habe große Lust,« erwiederte Porthos, der sich bei dieser Rede aufblähte, »ich habe große Lust, Frau Trüchen meine kleine Meierei Bracieux zu schenken: dann ist auch ein Ring am Finger, zwölf Morgen . . . «

»Es ist zu viel, mein lieber Porthos, zu viel für den Augenblick . . . Behaltet das für später.«

Er zog ihm den Diamant vom Finger, näherte sich Trüchen und sprach:

»Madame, der Herr Baron weiß nicht, wie er Euch bitten soll, ihm zu Liebe diesen kleinen Ring anzunehmen. Herr du Vallon ist einer von den großmüthigsten und discretesten Menschen, die ich kenne. Er wollte Euch eine Meierei anbieten, die er in Brocieux besitzt; doch ich habe ihm davon abgerathen.«

»Oh!« rief Trüchen, die den Diamant mit ihren Blicken verschlang.

»Herr Baron!« rief Planchet gerührt.

»Mein guter Freund!« stammelte Porthos entzückt, daß ihn d’Artagnan so gut verdolmetscht.

Alle diese sich kreuzenden Ausrufungen gaben eine pathetische Entwickelung dem Tag, der sich auf eine groteske Weise endigen konnte.

Doch d’Artagnan war da, und überall, wo d’Artagnan befehligte, hatten die Dinge nur nach seinem Geschmack und seinem Wunsche ein Ende genommen.

Man umarmte sich. Durch die Großmuth des Barons sich selbst zurückgegeben, fühlte sich Trüchen an ihrem Platz und bot nun eine schüchterne, erröthende Stirne dem vornehmen Herrn, mit dem sie sich am Abend vorher so vertraulich gemacht.

Planchet selbst war von Demuth erfüllt.

Einmal im Flusse der Großmuth, hätte Porthos gern seine Taschen in die Hände der Köchin und Celestins geleert.

Doch d’Artagnan hielt ihn zurück und sagte:

»Das ist meine Sache.«

Und er schenkte eine Pistole der Frau und zwei dem Mann.

Da kamen Segnungen, die das Herz von Harvaggon erquickt und ihn zum Verschwender gemacht hätten.

D’Artagnan ließ sich von Planchet bis zum Schloß geleiten und führte Porthos in seine Kapitänswohnung, zu der er gelangte, ohne von denjenigen, welchen er zu begegnen befürchtete, gesehen worden zu sein.

XXIX.
Die Vorstellung von Porthos

An demselben Abend gab der König einem Botschafter der vereinigten Provinzen Audienz im großen Salon.

Die Audienz dauerte eine Viertelstunde.

Hiernach empfing er diejenigen, welche nur vorgestellt wurden, und einige Damen, die zuerst kamen«

In einer Ecke des Salon, hinter der Säule, unterhielten sich Porthos und d’Artagnan und warteten, bis die Reihe an sie kam.

»Wißt Ihr die Neuigkeit?« sagte der Musketier zu seinem Freund.

»Nein.«

»Nun, so schaut sie an.«

Porthos erhob sich auf den Fußspitzen und sah Herrn Fouquet im Ceremonienkleid, der Aramis zum König führte.

»Aramis!« sagte Porthos.

»Durch Herrn Fouquet dem König vorgestellt.«

»Ah!« machte Porthos.

»Weil er Belle-Isle befestigt,« fuhr d’Artagnan fort.

»Und ich?«

»Ihr seid, wie ich Euch zu sagen die Ehre gehabt, der gute Porthos, die Güte des guten Gottes; man bittet Euch, Saint-Mandé ein wenig zu hüten.

»Ah!« wiederholte Porthos.

»Doch zum Glück bin ich da, und sogleich wird die Reihe an mich kommen,« sagte d’Artagnan.

In diesem Augenblick wandte sich Fouquet an den König und sprach:

»Sire, ich habe eine Gnade von Eurer Majestät zu erbitten. Herr d’Herblay ist nicht ehrgeizig, doch er weiß, daß er nützlich sein kann. Euer Majestät bedarf eines Agenten in Rom und zwar eines mächtigen; wir können einen Cardinalshut für Herrn d’Herblay haben.«

 

Der König machte eine Bewegung.

»Ich bitte Eure Majestät nicht oft,« sagte Fouquet.

»Das ist ein Fall,« antwortete der König, der seine Zögerungen immer so übersetzte.

Bei diesem Wort war nichts zu erwiedern.

Fouquet und Aramis schauten sich an.

Der König fuhr fort:

»Herr d’Herblay kann uns auch in Frankreich dienen: ein Erzbisthum zum Beispiel.«

»Sire,« sagte Fouquet, mit der ihm eigenthümlichen Anmuth, »Eure Majestät überströmt Herrn d’Herblay mit ihrer Gnade: das Erzbisthum kann in der Huld des Königs die Vervollständigung des Huts sein, das Eine schließt das Andere nicht aus.«

Der König bewunderte die Geistesgegenwart und lächelte.

»D’Artagnan hätte nicht besser geantwortet,« sagte er. Er hätte nicht sobald dieses Wort gesprochen, als d’Artagnan vortrat und fragte:«Eure Majestät ruft mich!«

Aramis und Fouquet machten einen Schritt, um sich zu entfernen.

»Erlaubt, Sire,« sagte lebhaft d’Artagnan, der Porthos demaskirte, »erlaubt, daß ich Euer Majestät den Herrn Baron du Vallon, einen der bravsten Edelleute Frankreichs, vorstelle.«

Aramis erbleichte beim Anblick von Porthos; Fouquet zog seine Hände unter seinen Manchetten Kampfhaft zusammen.

D’Artagnan lächelte Beiden zu, während sich Porthos, sichtbar bewegt, vor der königlichen Majestät verbeugte.

»Porthos hier!« flüsterte Fouquet Aramis ins Ohr.

»St! das ist ein Verrath,« erwiederte dieser.

»Sire!« sprach d’Artagnan, »ich sollte Herrn du Vallon schon vor sechs Jahren Eurer Majestät vorgestellt haben, doch gewisse Menschen gleichen den Sternen: sie gehen nicht ohne das Gefolge ihrer Freunde, das Siebengestirn trennt sich nicht, deßhalb habe ich, um Euch Herrn du Vallon vorzustellen, den Augenblick gewählt, wo Ihr an seiner Seite Herrn d’Herblay sehen würdet.«

Aramis hätte beinahe die Fassung verloren. Doch er schaute d’Artagnan mit einer stolzen Miene an, als nähme er die Herausforderung auf, die ihm dieser zuzuschleudern schien.

»Ah! diese Herren sind gute Freunde,« sagte der König.

»Vortreffliche Freunde, Sire, und der Eine sieht für den Andern. Fragt Herrn von Vannes, wie Belle-Isle befestigt worden ist.«

Fouquet entfernte sich einen Schritt,

»Belle-Isle ist von diesem Herrn befestigt worden,« erwiederte Aramis mit kaltem Tone.

Und er deutete auf Porthos, der sich zum zweiten Mal verbeugte.

Ludwig bewunderte und mißtraute.

»Ja,« sagte d’Artagnan, »doch fragt den Herrn Baron, wer ihm bei diesen Arbeiten geholfen hat.«

»Aramis,« antwortete Porthos offenherzig.

Und er bezeichnete den Bischof.

»Was Teufels soll dieß Alles bedeuten, und welche Entwickelung wird diese Komödie haben,« dachte der Bischof.

»Wie!« sagte der König, »der Herr Cardinal . . . ich will sagen der Bischof . . . heißt Aramis.«

»Kriegsname,« erwiederte d’Artagnan.

»Freundschaftsname,« sprach Aramis.

»Keine Bescheidenheit,« rief d’Artagnan: »unter diesem Priester, Sire, verbirgt der glänzendste Officier, den unerschrockensten Edelmann, den gelehrtesten Theologen Eures Königreichs.«

Ludwig erhob das Haupt.

»Und ein Ingenieur!« sprach der König, die damals wirklich herrliche Physiognomie von Aramis bewundernd.

»Ingenieur bei Gelegenheit,« sagte dieser.

»Mein Gefährte bei den Musketiern,« sprach d’Artagnan voll Wärme, »der Mann, der mehr als hundertmal den Minister Eures Vaters mit seinen Rathschlägen unterstützt hat . . . Herr d’Herblay, mit einem Wort, der mit Herrn du Vallon, mir und dem de la Fère, den Eure Majestät kennt, die Guadrille bildete, von der Mehrere unter dem seligen König und während der Minderjährigkeit sprachen.«

»Und der Belle-Isle befestigt hat,« wiederholte der König mit einem tiefen Ausdruck.

Aramis trat vor und sprach:

»Um dem Sohne zu dienen, wie ich dem Vater gedient habe.«

D’Artagnan schaute Aramis fest an, während er diese Worte sprach. Er gewahrte so viel wahre Ehrfurcht, so viel warme Ergebenheit, so viel unbestreitbare Ueberzeugung, daß er, d’Artagnan, der ewige Zweifler, er, der Unfehlbare, dadurch gefangen wurde.

»Man hat keinen solchen Ton, wenn man lügt,« sagte er,

Ludwig war durchdrungen und sprach zu Fouquet, der voll Angst auf das Resultat dieser Prüfung wartete:

»Wenn es sich so verhält, bewillige ich den Cardinalshut: Herr d’Herblay, Ich gebe Euch mein Wort für die erste Promotion. Dankt Herrn Fouquet.«

Diese Worte wurden von Colbert gehört, dem sie das Herz zerrissen.

Er verließ hastig den Saal.

»Ihr, Herr du Vallon, bittet . . . Ich liebe es, die Diener meines Vaters zu belohnen.«

»Sire,« erwiederte Porthos. Doch er vermochte nicht weiter zu sprechen.

»Sire,« rief d’Artagnan, »dieser würdige Cavalier ist durch die Majestät Eurer Person ganz verblüfft, er, der den Blick und das Feuer von tausend Feinden kühn ausgehalten hat; aber ich weiß, was er denkt, und ich, der ich mehr daran gewöhnt bin, die Sonne anzuschauen, will Euch seinen Gedanken sagen. Er braucht nichts, er wünscht nichts, als das Glück, Eure Majestät eine Viertelstunde lang ansehen zu dürfen.«

»Ihr speist heute Abend mit mir,« sagte der König, der Porthos mit einem anmuthigen Lächeln zuwinkte.

Porthos wurde carmoisinroth vor Freude und Stolz.

Der König entließ ihn und d’Artagnan schob ihn aus dem Saal, nachdem er ihn umarmt hatte.

»Setzt Euch an der Tafel neben mich,« sagte ihm Porthos ins Ohr.

»Ja, mein Freund.«

»Aramis ist mir böse, nicht wahr?«

»Aramis hat Euch nie so sehr geliebt. Bedenkt doch, daß ich ihm den Cardinalshut verschafft habe.«

»Es ist wahr. Doch sagt mir, liebt es der König, daß man viel an seiner Tafel ißt?«

»Das heißt Ihm schmeicheln, denn er besitzt einen königlichen Appetit.«

»Ihr entzückt mich!« rief Porthos.

XXX.
Erklärungen

Aramis hatte geschickt eine Wendung gemacht, um zu d’Artagnan und Porthos zu gelangen. Er kam zu dem letzteren hinter der Säule und sagte, indem, er ihm die Hand drückte:

»Ihr seid aus meinem Gefängnis entwichen.«

»Scheltet ihn nicht,« erwiederte d’Artagnan, »ich bin es, der ihm den Schlüssel zum freien Feld gegeben hat, mein lieber Aramis.«

»Ah! mein Freund,« versetzte Aramis, Porthos anschauend, »solltet Ihr mit weniger Geduld gewartet haben »«

d’Artagnan kam Porthos, der schon keuchte, zu Hilfe und sagte:

»Oh! Ihr Leute von der Kirche, Ihr seid große Politiker. Wir Leute vom Schwert, wir gehen gerade auf das Ziel los. Höret, wie sich die Sache verhält. Ich hatte den lieben Baisemeaux besucht.«

Aramis spitzte die Ohren.

»Ah!« rief Porthos, »Ihr erinnert mich daran, daß ich einen Brief für Euch, Aramis, von Baisemeaux.

Und er reichte dem Bischof den uns bekannten Brief.

Aramis bat um Erlaubniß, ihn lesen zu dürfen, und las ihn, ohne daß d’Artagnan einen Augenblick durch diesen Umstand in Verlegenheit gesetzt zu sein schien.

Aramis beobachtete übrigens selbst eine so gute Haltung, daß ihn d’Artagnan mehr als je bewunderte.

Nachdem der Brief gelesen war, steckte ihn Aramis mit vollkommen ruhiger Miene in seine Tasche.

»Ihr sagtet also, lieber Kapitän?« fragte er.

»Ich sagte,« fuhr der Musketier fort, »ich habe Baisemeaux im Dienst besucht.«

»Im Dienst?«

»Ja. Und wir sprachen natürlich von Euch und unseren guten Freunden. Ich muß gestehen, daß mich Baisemeaux kalt empfing. Ich nahm Abschied. Als ich zurückkam, redete mich ein Soldat an und sagte zu mir (er erkannte mich ohne Zweifel trotz meines Civilanzugs): »»Kapitän, wollt Ihr die Güte haben, mir den Namen zu lesen, der auf diesem Umschlag geschrieben ist.«

»Und ich las: An Herrn Du Vallon in Saint-Mandé bei Herrn Fouquet.«

»»Ah!«« sagte ich zu mir selbst, »»Porthos ist nicht nach Pierrefonds oder nach Belle-Isle zurückgekehrt, wie ich dachte; Porthos ist in Saint-Mandé bei Herrn Fouquet, Herr Fouquet ist nicht in Saint-Mandé; Porthos ist also allein, oder mit Aramis; wir wollen Porthos besuchen.««

»Und ich besuchte Porthos.«

»Sehr gut,« versetzte Aramis träumerisch.

»Ihr erzähltet mir das nicht,« sagte Porthos.

»Ich hatte nicht Zeit, mein Freund.«

»Und Ihr nahmet Porthos mit nach Fontainebleau?«

»Zu Planchet.«

»Planchet wohnt in Fontainebleau?« fragte Aramis.

»Ja, nahe beim Friedhof,« erwiederte Porthos unbesonnener Weise.

»Wie, beim Friedhof?« versetzte Aramis argwöhnisch.

»Ah, gut,« dachte der Musketier, »benützen wir den Wirrwarr.«

»Ja, beim Friedhof,« sagte Porthos, »Planchet ist gewiß ein vortrefflicher Bursche, der ausgezeichnetes Zuckerwerk macht, aber er hat Fenster, die auf den Friedhof gehen. Das ist betrübend. So haben wir diesen Morgen . . . «

»Diesen Morgen?« sagte Aramis immer unruhiger.

Aramis wandte den Sprechenden den Rücken zu und trommelte am Fenster die Melodie von einem Marsch.

»So haben wir diesen Morgen einen Christen beerdigen sehen.«

»Ah! ah!«

»Das macht traurig! Ich würde nicht in einem Hause leben, wo man fortwährend Todte steht. D’Artagnan scheint dies im Gegentheil zu lieben.«

»Ah! d’Artagnan hat gesehen.«

»Er hat nicht gesehen, sondern mit den Augen verschlungen.«

Aramis bebte und wandte sich um, um den Musketier anzuschauen, doch dieser war schon in ein Gespräch mit Saint-Aignan vertieft.

Aramis fuhr fort, Porthos zu befragen; als er sodann der Riesencitrone allen Saft ausgepreßt hatte, warf er die Schale weg.

Er kehrte zu d’Artagnan zurück, klopfte ihm, nachdem Saint-Aignan weggegangen war, auf die Schulter und sagte:

»Freund.«

»Lieber Freund,« erwiederte d’Artagnan. »Wir Andern speisen nicht mit dem König zu Nacht.«

»Doch, ich speise mit ihm.«

»Könnt Ihr zehn Minuten mit mir plaudern?«

»Zwanzig! So viel Zeit vergeht, bis sich der König zu Tische setzt.«

»Wo wollen wir sprechen?«

»Hier auf diesen Bänken; wenn der König weggegangen ist, kann man sich setzen, und der Saal ist leer.«

»Setzen wir uns.«

Sie setzten sich. Aramis nahm d’Artagnan bei der Hand und sprach:

»Gesteht ein, Freund, daß Ihr Porthos aufgefordert habt, mir ein wenig zu mißtrauen.«

»Ich gestehe es, doch nicht, wie Ihr meint. Ich sah, daß sich Porthos zum Sterben langweilte, und ich wollte, indem ich ihn dem König vorstellte, für ihn und für Euch thun, was Ihr nie thun würdet.«

»Was?«

»Ich wollte Euer Lob aussprechen.«

»Ihr habt es edelmüthig gethan, und ich danke Euch.«

»Und ich habe Euch dem Hut genähert, der zurückwich.«

»Ah! ich gestehe es,« sagte Aramis mit einem seltsamen Lächeln, »Ihr seid in der That ein einziger Mann, um das Glück Eurer Freunde zu machen.«

»Ihr seht also, daß ich nur gehandelt habe, um das von Porthos zu machen.«

»Ja! ich übernahm das, doch Euer Arm ist länger, als der von uns.«

Nun war die Reibe zu lächeln an d’Artagnan.

»Sprecht,« sagte Aramis, »wir sind uns Wahrheit schuldig: liebt Ihr mich immer noch, mein theurer d’Artagnan?«

»Immer wie einst,« antwortete d’Artagnan, ohne sich zu sehr durch diese Antwort zu compromittiren.

»Dann meinen Dank, und volle Offenherzigkeit: Ihr kamet für den König nach Belle-Isle.«

»Bei Gott!«

»Ihr wolltet uns also das Vergnügen rauben, Belle-Isle dem König ganz befestigt anzubieten.«

»Nein, mein Freund, um Euch das Vergnügen zu rauben, hätte ich vor Allem von Eurer Absicht unterrichtet sein müssen.«

»Ihr kamet nach Belle-Isle, ohne etwas zu wissen?«

»Von Euch? oh! jawohl. Wie Teufels soll ich mir einbilden, Aramis sei dergestalt Ingenieur geworden, daß er wie Polybius oder Archimedes zu befestigen verstehe.«

»Das ist wahr . . . Doch Ihr vermuthetet mich dort?«

»Oh! ja.«

»Und Porthos auch?«

»Theuerster, ich vermuthete nicht, Aramis sei Ingenieur. Ich konnte nicht errathen, Porthos sei es geworden. Ein Lateiner sagt: Man bildet sich zum Redner, man wird als Dichter geboren. Niemals aber ist gesagt worden: Man wird als Porthos geboren, und bildet sich, zum Ingenieur.«

»Ihr habt immer einen reizenden Witz versetzte Aramis mit kaltem Tone. »Doch ich fahre fort.«

»Fahret fort.«

»Als Ihr unser Geheimniß hattet, beeiltet Ihr Euch, es dem König mitzutheilen.«

»Ich eilte um so mehr, mein Freund, als ich Euch noch stärker eilen sah. Wenn ein zweihundertundachtundfünfzig Pfund schwerer Mann, wie Porthos, mit Postpferden rennt, wenn ein gichtischer, verzeiht, Ihr habt mir das gesagt, wenn ein gichtischer Prälat viele Meilen mit Sturmesgeschwindigkeit zurücklegt, so nehme ich an, daß diese zwei Freunde, welche mich nicht in Kenntniß setzen wollten, nur Dinge von der höchsten Wichtigkeit in ihren Folgen zu verbergen haben, und meiner Treu, ich jage, ich jage so geschwinde, als es mir meine Magerkeit und der Mangel an Gicht erlauben.«

 

»Theurer Freund, habt Ihr nicht bedacht, daß Ihr mir und Porthos einen traurigen Dienst leisten konntet.«

»Ich dachte das wohl, aber Ihr und Porthos ließet mich in Belle-Isle eine traurige Rolle spielen.«

»Verzeiht mir.«

»Entschuldigt mich.«

»Somit wißt Ihr nun Alles,« fuhr Aramis fort.

»Meiner Treue, nein.«

»Ihr wußtet, daß ich Herrn Fouquet in Kenntniß setzen lassen mußte, damit er Euch beim König zuvorkäme.«

»Das ist dunkel.«

»Nein. Herr Fouquet hat Feinde, das müßt Ihr anerkennen.«

»Oh! ja.«

»Einen besonders.«

»Einen gefährlichen.«

»Einen Todfeind. Nun denn, um den Einfluß dieses Feindes zu bekämpfen, mußte Herr Fouquet vor dem König einen Beweis von großer Ergebenheit und von großen Opfern ablegen. Er hat den König dadurch überrascht, daß er ihm Belle-Isle angeboten. Kamet Ihr zuerst in Paris an, so war die Ueberraschung zerstört . . . Wir hatten das Ansehen, als wichen wir der Furcht.«

»Ich begreife.«

»Das ist das ganze Geheimniß,« sprach Aramis zufrieden, den Musketier überzeugt zu haben.

»Nur,« erwiederte dieser, »nur wäre es einfacher gewesen, mich in Belle-Isle beiseit zu nehmen und zu sagen: »»Lieber Freund, wir befestigen Belle-Isle-en-Mer, um es dem König anzubieten . . . Erweiset uns die Gefälligkeit, uns zu sagen, für wen Ihr handelt. Seid Ihr der Freund von Herrn Colbert oder der von Fouquet?«« Ich hätte vielleicht nichts geantwortet; würdet Ihr aber beigefügt haben: »»Seid Ihr mein Freund?«« so hätte ich gesagt, »»Ja.««

Aramis senkte den Kopf. D’Artagnan fuhr fort.

»Auf diese Art paralysirtet Ihr mich und ich hätte dem König gesagt: »»Sire, Herr Fouquet befestigt Belle-Isle und zwar sehr gut; doch der Herr Gouverneur von Belle-Isle hat mich mit einem Worte für Eure Majestät beauftragt.«« Oder auch: »»Das ist ein Verkauf von Herrn Fouquet zu seinem Nutzen.«« Ich spielte nicht eine alberne Rolle: Ihr hattet Eure Ueberraschung, und Ihr brauchtet nicht zu schielen indem Ihr uns anschautet.«

»Während Ihr heute ganz als Freund von Herrn Colbert gehandelt habt; Ihr seid also sein Freund?«

»Meiner Treue, nein!« rief der Kapitän. »Herrn Colbert ist ein Knauser, und ich hasse Ihn, wie ich Mazarin haßte, doch ohne ihn zu fürchten.«

»Nun wohl! ich,« sprach Aramis, »ich liebe Herrn Fouquet und gehöre ihm an. Ihr kennt meine Lage. Ich habe kein Vermögen . . . Herr Fouquet hat mir Pfründen, ein Bisthum verschafft; Herr Fouquet hat mich wie ein gefälliger Mann verpflichtet, und ich erinnere mich genugsam der Welt, um ein gutes Benehmen zu schätzen. Herr Fouquet hat also mein Herz gewonnen und ich habe mich in seinen Dienst gestellt.«

»Vortrefflich. Ihr habt da einen guten Herrn.«

Aramis kniff sich die Lippen.

»Ich glaube, den besten von allen, die man haben könnte.«

Hier entstand eine Pause.

D’Artagnan hütete sich wohl, sie zu unterbrechen.

»Ihr wißt ohne Zweifel von Porthos, wie er mit dem Allem vermengt worden ist.«

»Nein,« erwiederte d’Artagnan, »ich bin allerdings neugierig, doch ich belästige meinen Freund nie mit Fragen, wenn er mir sein wahres Geheimniß verbergen will.«

»Ich will es Euch sagen.«

»Bemüht Euch nicht, wenn mich die Mittheilung zu etwas verpflichtet.«

»Oh! seid unbesorgt; Porthos ist der Mann, den ich am meisten geliebt, weil er einfach und gut; Porthos ist ein redlicher Kopf. Seitdem ich Bischof bin, suche ich die einfachen Naturen auf, die mich die Wahrheit lieben, die Intrigue hassen machen.«

D’Artagnan streichelte sich den Schnurrbart.

»Ich habe Porthos gesehen und aufgesucht; er war mäßig, seine Anwesenheit erinnerte mich an die schönen Tage von einst, ohne mich aufzufordern, in der Gegenwart böse zu thun. Ich rief Porthos nach Vannes. Als Herr Fouquet, der mich liebte, erfuhr, Porthos liebe mich, versprach er ihm den Orden bei der ersten Beförderung . . . Das ist das ganze Geheimniß.«

»Ich werde es nicht mißbrauchen.«

»Ich weiß es wohl, theurer Freund; Niemand besitzt mehr wahre Ehre, als Ihr.«

»Ich schmeichle mir dessen, Aramis.«

»Nun . . . «

Und der Prälat schaute seinem Freund bis in die Tiefe der Seele.

»Nun aber sprechen wir von uns, für uns; wollt Ihr einer der Freunde von Herrn Fouquet werden . . . unterbrecht mich nicht, ehe Ihr wißt, was dies besagen will.«

»Ich höre.«

»Wollt Ihr Marschall von Frankreich, Pair, Herzog werden und ein Herzogthum von einer Million besitzen?«

»Aber, mein Freund,« erwiederte d’Artagnan, »was muß ich thun, um dies Alles zu erlangen?««

Der Mann von Herrn Fouquet sein.«

»Ich bin der Mann des Königs, mein Freund.«

»Ich denke, nicht ausschließlich.«

»Ah! d’Artagnan ist nur Einer.«

»Als ein großes Herz, wie Ihr seid, habt Ihr, denke ich, Ehrgeiz.«

»Ja wohl.«

»Nun?«

»Ich wünsche Marschall von Frankreich zu sein; doch der König wird mich zum Marschall, Pair, Herzog machen; der König wird mir dies Alles geben.«

Aramis heftete seinen klaren Blick aus d’Artagnan.

»Ist der König nicht der Herr?« sagte d’Artagnan.

»Niemand bestreitet das; doch Ludwig XIII. war auch der Herr.«

»Oh! mein lieber Freund, zwischen Richelieu und Ludwig XIII. gab es keinen d’Artagnan,« sprach ruhig der Musketier.

»Um den König gibt es viele Steine des Anstoßes,« entgegnete Aramis.

»Nicht für die Könige.«

»Gewiß, doch . . . «

»Höret, Aramis, ich sehe, daß alle Welt an sich, und Niemand an diesen kleinen Prinzen denkt; ich werde mich unterstützen, indem ich ihn unterstütze.«

»Und der Undank?«

»Die Schwachen fürchten sich davor.«

»Ihr seid Eurer sehr sicher?«

»Ich glaube, ja.«

»Aber der König kann Eurer nicht mehr bedürfen?«

»Im Gegentheil, ich glaube, daß er meiner mehr als je bedürfen wird . . . und dann, mein Freund, wenn man einen neuen Condé festnehmen müßte, wer würde ihn festnehmen . . . dieser, dieser allein,« sagte d’Artagnan.

Und er schlug an seinen Degen. »Ihr habt Recht,« erwiederte Aramis erbleichend. Und er stand auf und drückte seinem Freunde die Hand.

»Das ist der letzte Ruf zum Abendbrod,« sprach der Kapitän der Musketiere; »Ihr erlaubt.«

Aramis schlang seinen Arm um den des Musketiers und rief:

»Ein Freund wie Ihr, ist der schönste Juwel der königlichen Krone.«

Dann trennten sie sich.

»Ich sagte es wohl, es gebe etwas,« dachte d’Artagnan.

»Man muß sich beeilen, Feuer ans Pulver zu legen, d’Artagnan hat die Lunte gerochen,« dachte Aramis.