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Der Graf von Bragelonne

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»Ich versichere Euch, daß ich durchaus nichts weiß, Herr d’Artagnan, und daß alle Eure Worte Glaubensartikel für mich sind.«

»Ich war überzeugt, Ihr wäret ein Bursche von Geist,« sprach der Musketier; »es sind nun fünfundzwanzig Jahre, daß ich Euch so beurtheilt habe. Diese fünfzig Goldthaler, die ich Euch mehr gebe, sollen Euch beweisen, welche Stücke ich auf Euch halte.

»Ich danke, Herr d’Artagnan.«

»Hiermit könnt Ihr in der That ein ehrlicher Mann werden,« fuhr d’Artagnan mit dem ernstesten Tone fort. »Es wäre eine Schmach, wenn ein Geist wie der Eurige und ein Name, den Ihr nicht mehr zu führen wagt, für immer unter dem Rest eines schlimmen Lebens verschwinden müßten. Werdet ein anständiger Mann, Menneville, und lebt ein Jahr mit diesen hundert Goldthalern; das ist ein schöner Pfennig: doppelt der Sold eines Oberofficiers. In einem Jahr sucht mich auf und, Mordioux! ich werde etwas aus Euch machen.«

Menneville schwur, wie es seine Kameraden gethan hatten, er würde stumm sein wie das Grab. Und dennoch muß Einer gesprochen haben, und da es sicherlich nicht unsere neun Gesellen waren und ebenso wenig Menneville, so muß es wohl d’Artagnan gewesen sein, der als Gascogner die Zunge sehr nahe bei den Lippen hatte. Denn war er es nicht, wer sollte es denn sein? Und wie würde sich das Geheimniß mit der tannenen Kiste, woran Löcher angebracht, erklären, dieses Geheimniß, welches so vollständig zu unserer Kenntniß gelangt ist, daß wir, wie man sehen konnte, die Sache in allen ihren verborgensten Einzelheiten erzählt haben, welche Einzelheiten mit einem ebenso neuen, als unerwarteten Licht diesen ganzen Theil der Geschichte Englands, der bis jetzt von unsern Collegen, den Historikern, im Dunkeln gelassen worden ist, beleuchtet.

XXIV.
Worin man sieht, daß der französische Spezereihändler schon im siebzehnten Jahrhundert zu Ehren gekommen war

Sobald d’Artagnan seine Rechnungen geordnet und seine Vorschriften gegeben hatte, dachte er nur noch daran, so rasch als möglich nach Paris zurückzukehren. Athos drängte es, sein Haus wieder zu erreichen, um dort ein wenig auszuruhen. So unversehrt auch der Charakter und der Mensch geblieben sein mögen, so gewahrt doch der Reisende nach den Strapazen des Marsches mit Vergnügen am Ende des Tags, selbst wenn der Tag schön gewesen ist, daß die Nacht herannaht, die ihm den erquickenden Schlaf bringen wird. Ein wenig in ihre persönlichen Gedanken vertieft, sprachen die zwei Freunde, von Boulogne nach Paris nebeneinander reitend, von keinen Dingen, welche interessant genug waren, daß wir sie unsern Lesern mittheilen sollten: seinen Betrachtungen hingegeben und die Zukunft auf seine Weise aufbauend, war Jeder von ihnen hauptsächlich darauf bedacht, die Entfernung durch die Geschwindigkeit abzukürzen. Am Abend des vierten Tages nach ihrer Abreise von Boulogne kamen Athos und d’Artagnan vor den Barrieren von Paris an.

»Wohin geht Ihr, mein Freund?« fragte Athos. »Ich begebe mich unmittelbar nach meinem Hotel.«

»Und ich unmittelbar zu meinem Associe.«

»Zu Planchet?«

»Mein Gott, ja: zum goldenen Stößel.«

»Doch es versteht sich, daß wir uns wiedersehen?«

»Wenn Ihr in Paris bleibt, ja, denn ich bleibe.«

»Nein, nachdem ich Raoul umarmt, den ich zu mir in das Hotel beschieden, reise ich unmittelbar nach la Fère ab.«

»Gott befohlen also, theurer und vortrefflicher Freund.«

»Auf Wiedersehen vielmehr, denn ich weiß im Ganzen nicht, warum Ihr nicht bei mir in Blois wohnen solltet. Ihr seid nun frei. Ihr seid reich und ich werde Euch, wenn Ihr wollt, ein schönes Gut in der Gegend von Chiverny oder in der von Bracieur kaufen. Einerseits habt Ihr dann die schönsten Waldungen der Welt, welche an die von Chambord stoßen, andererseits herrliche Moorgründe. Ihr, der Ihr die Jagd liebt und mag es Euch lieb oder leid sein, Dichter seid, theurer Freund, Ihr werdet Fasanen, Kriechenten und Rallen finden, abgesehen von den Sonnenuntergängen und, Spazierfahrten im Nachen, daß Apollo und Nimrod darüber in Entzücken gerathen könnten. Bis Ihr einen Kauf gemacht habt, wohnt Ihr in la Fère, und wir gehen auf die Beize in den Weinbergen, wie es Ludwig der Dreizehnte gethan hat. Das ist ein vernünftiges Vergnügen für alte Leute wie wir sind.«

D’Artagnan nahm die Hände von Athos und erwiederte:

Theurer Graf, ich sage Euch weder ja noch nein. Laßt mich in Paris die Zeit zubringen, welche für mich durchaus nothwendig ist, um meine Geschäfte zu ordnen und mich allmälig an die sehr schwer lastende Idee zu gewöhnen, welche in meinem Gehirn schlägt und es blendet. Seht, ich bin reich, und bis ich mich an den Reichthum gewöhnt habe, werde ich, so wie ich mich kenne, ein unerträglicher Mensch sein. Ich bin aber noch nicht so dumm, daß es mir an Geist einem Freunde gegenüber, wie Ihr seid, fehlen würde. Das Kleid ist schön, das Kleid ist reich vergoldet, doch es ist neu und drückt mich an den Schultern.«

Athos lächelte.

»Es mag sein,« sagte er. »Doch was dieses Kleid betrifft, lieber d’Artagnan, wollt Ihr einen Rath von mir hören?«

»Oh! sehr gern.«

»Ihr werdet Euch nicht ärgern?«

»Geht doch!«

»Wenn Einem der Reichthum spät und plötzlich zukommt, so muß dieser Eine, um sich nicht zu verändern, geizig werden, nämlich nicht mehr Geld ausgeben, als er vorher hatte, oder ein Verschwender werden und so viel Schulden machen, daß er wieder arm wird.«

»Ah! was Ihr mir da sagt, gleicht ungemein einem Trugschluß, mein lieber Philosoph.«

»Ich glaube nicht. Wollt Ihr geizig werden?«

»Bei Gott, nein! Ich war es schon, als ich nichts hatte, und will mich ändern.«

»Also seid ein Verschwender.«

»Mordioux! noch weniger, die Schulden machen mir bange. Die Gläubiger kommen mir immer vor wie jene Teufel, welche die Verdammten auf dem Rost umdrehen, und da die Geduld nicht die bei mir vorherrschende Tugend ist, so bin ich stets versucht, die Teufel zu prügeln.«

»Ihr seid der vernünftigste Mensch, den ich kenne, und Ihr habt von Niemand einen Rath anzunehmen. Diejenigen, welche glauben würden, sie hätten Euch etwas zu lehren, wären Narren. Doch sind wir nicht in der Rue Saint-Honoré?«

»Ja, lieber Athos.«

»Seht, dort links, das lange weiße Häuschen ist das Hotel, wo ich meine Wohnung habe. Ihr werdet bemerken, daß es nur zwei Stockwerke hat. Das erste bewohne ich; das andere ist an einen Officier vermiethet, den sein Dienst acht bis neun Monate im Jahr entfernt hält, so daß ich, abgesehen von den Kosten, in diesem Hause bin, als ob ich bei mir wäre.«

»Oh! wie Ihr das gut einzurichten wißt, Athos! Welche Ordnung und welche Umsicht! das möchte ich in mir vereinigen. Doch was wollt Ihr, das ist angeboren und erwirbt sich nicht.«

»Schmeichler! . . . Nun aber Gott befohlen, lieber Freund. Vergeßt nicht, mich bei Planchet in’s Gedächtniß zurückzurufen! nicht wahr, es ist immer noch ein

Bursche von Geist?«

»Und von Herz, Athos. Gott befohlen!«

Sie trennten sich. Während dieses ganzen Gesprächs hatte d’Artagnan nicht eine Sekunde ein gewisses Packpferd, in dessen Körben, unter Heu, die Reisetaschen nebst dem Felleisen enthalten waren, aus dem Gesicht verloren. Es schlug neun Uhr auf Saint-Merri; die Ladendiener von Planchet schloßen eben die Bude. D’Artagnan ließ den Postknecht, der das Packpferd führte, an der Ecke der Rue des Lombards unter einem Wetterdach halten, rief einem Ladendiener von Planchet und übergab diesem nicht nur die zwei Pferde, sondern auch den Postknecht zur Bewachung; dann trat er bei dem Spezereihändler ein, der gerade sein Nachtessen beendigt hatte und mit einer gewissen Aengstlichkeit in seinem Kalender rechnete, in welchem er jeden Abend den abgelaufenen Tag durchstrich.

In dem Augenblick, wo Planchet, seiner Gewohnheit gemäß, mit der umgekehrten Feder den beendigten Tag seufzend durchstrich, stieß d’Artagnan mit dem Fuß auf die Thürschwelle, und dieser Stoß machte seinen eisernen Sporn klirren.

»Ah! mein Gott!« rief Planchet. Der würdige Spezereihändler konnte nicht mehr sagen; er hatte seinen Associe erschaut, d’Artagnan trat mit gekrümmtem Rücken und mit verdrießlichem Auge ein. Der Gascogner hatte seine Idee in Beziehung auf Planchet.

»Guter Gott! er ist traurig!« dachte der Spezereihändler, den Reisenden betrachtend.

Der Musketier setzte sich.

»Lieber Herr d’Artagnan!« sprach Planchet mit einem furchtbaren Herzklopfen, »endlich seid Ihr da! und wie steht es mit Eurer Gesundheit?«

»Ziemlich gut, Planchet, ziemlich gut,« antwortete d’Artagnan, einen Seufzer ausstoßend.

»Ihr seid hoffentlich nicht verwundet worden?«

»Bah!«

»Ah! ich sehe,« fuhr Planchet immer ängstlicher fort, »die Expedition ist eine anstrengende gewesen.«

»Ja,« machte d’Artagnan.

Ein Schauer durchlief den ganzen Leib von Planchet, »Ich würde gern trinken,« sagte der Musketier mit kläglicher Stimme, den Kopf erhebend.

Planchet lief selbst nach dein Schrank und schenkte d’Artagnan Wein in ein großes Glas ein. D’Artagnan schaute du Flasche an.

»Was für Wein ist das?« fragte er.

»Ach! es ist von dem, welchen Ihr besonders liebt, Herr,« erwiederte Planchet, »es ist der gute alte Anjou-Wein, der uns Alle beinahe eines Tags so theuer zu stehen gekommen wäre.«

Ah!« sagte d’Artagnan mit einem schwermüthigen Lächeln, »ah! mein armer Planchet, ich soll also noch guten Wein trinken!«

»Hört, mein lieber Herr,« sprach Planchet mit einer übermenschlichen Anstrengung, während das Zusammenziehen aller seiner Muskeln, seine Blässe und sein Zittern die tiefste Angst offenbarten; »hört, ich bin Soldat gewesen, und habe folglich Muth; laßt mich also nicht schmachten, lieber Herr d’Artagnan; nicht wahr, unser Geld ist verloren?«

D’Artagnan nahm sich, ehe er antwortete, eine Zeit, welche dem Spezereihändler wie ein Jahrhundert vorkam, Er hatte sich jedoch nur auf seinem Stuhl umgekehrt.

 

»Und wenn dies wäre,« erwiederte er langsam und indem er den Kopf von oben nach unten wiegte, »was würdest Du dazu sagen, mein armer Freund?«

Planchet wurde von bleich, wie er gewesen, völlig gelb. Es war, als hätte er seine Zunge verschlungen, so sehr schwoll seine Kehle an, so rötheten sich seine Augen.

»Zwanzigtausend Livres!« murmelte er, »zwanzigtausend Livres.«

Den Hals schlaff, die Beine ausgestreckt, die Hände träg, glich d’Artagnan einer Bildsäule der Entmuthigung. Planchet entriß den tiefsten Höhlen seiner Brust einen schmerzlichen Seufzer.

»Ah!« sagte er, »ich sehe, wie die Sache steht. Wir wollen Männer sein. Nicht wahr, es ist Doch Euer Leben ist gerettet, gnädiger Herr, und ist die Hauptsache.«

»Das Leben ist allerdings etwas, doch mittlerweile bin ich zu Grunde gerichtet.«

»Ah! Herr, wenn es auch so steht, so darf man darum doch noch nicht verzweifeln; Ihr verbindet Euch als Spezereihändler mit mir, ich mache Euch zu meinem Associe, wir theilen den Nutzen, und wenn es keinen Nutzen mehr gibt, nun, so theilen wir die Mandeln, die getrockneten Weinbeeren und die Pflaumen, und knaupeln mit einander das letzte Viertel holländischer Käse.«

D’Artagnan konnte nicht länger widerstehen.

»Mordioux!« rief er ganz bewegt, »Du bist ein braver Bursche, Planchet, bei meiner Ehre! Sprich, Hast Du nicht Komödie gespielt? Sprich, hast Du nicht dort unter dem Wetterdach das Pferd mit den Reisetaschen gesehen?«,

»Welches Pferd, welche Reisetaschen?« fragte Planchet, dem sich das Herz bei dem Gedanken, d’Artagnan würde ein Narr, zusammenschnürte.

»Ei! die englischen Reisetaschen!« rief d’Artagnan, ganz strahlend, ganz verklärt.

»Ah! mein Gott!« stammelte Planchet, vor dem blendenden Feuer seiner Blicke zurückweichend.

»Dummkopf! Du hältst mich für verrückt. Mordioux! mein Kopf ist im Gegentheil nie gesünder, mein Herz nie freudiger gewesen. Zu den Reisetaschen, Planchet, zu den Reisetaschen!«

»Mein Gott! zu welchen Reisetaschen?«

D’Artagnan schob Planchet nach dem Fenster und fragte:

»Siehst Du dort unter dem Wetterdach ein Pferd?«

»Ja.«

»Siehst Du, wie sein Rücken beschwert ist?«

»Ja, ja.«

»Siehst Du, wie einer von Deinen Ladendienern mit dem Postknecht plaudert?«

»Ja, ja, ja!«

»Nun! Du weißt den Namen dieses Burschen, da er in Deinem Dienst ist. Rufe ihn.«

»Abdon! Abdon!« schrie Planchet aus dem Fenster.

»Führe das Pferd hierher!« rief d’Artagnan.

»Führe das Pferd hierher!« brüllte Planchet.

»Nun zehn Livres dem Postknecht,« sagte d’Artagnan mit einem Ton, als ob er ein Manoeuvre befehligte; »zwei Diener, um die zwei ersten Taschen herauszutragen, zwei für die zwei letzten, und Feuer, Mordioux! Thätigkeit!«

Planchet stürzte nach den Stufen, als ob ihn der Teufel in die Beine gebissen hätte.

Einen Augenblick nachher stiegen die Ladendiener, sich unter ihrer Bürde biegend, die Treppe herauf. D’Artagnan schickte sie in ihre Dachstube zurück, verschloß sorgfältig die Thüre, wandte sich an Planchet, der seinerseits beinahe verrückt wurde, und sagte:

»Nun ist es an uns Beiden.«

Und er breitete eine große Decke auf dem Boden aus und leerte die erste Reisetasche darauf. Planchet that dasselbe mit der zweiten; dann schnitt d’Artagnan die dritte mit dem Messer auf. Als Planchet das lockende Geräusch von Silber und Gold hörte, als er aus dem Sack die glänzenden Thaler springen sah, welche hüpften und zuckten wie die Fische außerhalb des Wurfnetzes, als er sich bis an die Wade in die immer mehr steigende Fluth von gelben und weißen Stücken getaucht sah, ergriff ihn der Schwindel, er drehte sich um sich selbst wie ein vom Blitz getroffener Mensch, und sank schwerfällig auf den ungeheuren Haufen nieder, den sein Gewicht mit einem unbeschreiblichen Getöse zusammenbrechen machte.

Gleichsam erstickt durch die Freude, hatte Planchet das Bewußtsein verloren. D’Artagnan goß ihm ein Glas weißen Wein in’s Gesicht, was ihn sogleich wieder zum Leben zurückrief.

»Ah! mein Gott! ah! mein Gott! ah! mein Gott!« rief Planchet, seinen Schnurrbart und seinen Kinnbart abwischend.

In jener Zeit, wie in unseren Tagen, trugen die Spezereihändler einen ritterlichen Schnurrbart und den Kinnbart eines Landsknechts; nur sind die Silberbäder, welche in jener Zeit schon sehr selten waren, heut zu Tage völlig unbekannt geworden.

»Mordioux!« sagte d’Artagnan, »hier sind hunderttausend Livres für Euch, meinen Associs. Streiche Deinen Gewinn ein, wenn es Dir beliebt, ich will den meinigen einstreichen.«

»Oh! welch eine schöne Summe, Herr d’Artagnan, welch eine schöne Summe!«

»Vor einer halben Stunde bedauerte ich es ein wenig, daß diese schöne Summe Dir zukomme, aber nun bedaure ich es nicht mehr, und Du bist ein braver Krämer, Planchet. Doch machen wir nun gute Rechnung, da gute Rechnungen, wie man sagt, gute Freunde machen.«

»Oh! erzählt mir vor Allem die ganze Geschichte; das muß noch schöner sein, als das Geld.«

»Meiner Treue,« sprach d’Artagnan, seinen Schnurrbart streichelnd, »ich sage nicht nein, und denkt je ein Geschichtschreiber an mich, um es aufzuzeichnen, so kann er wohl behaupten, er habe an keiner schlechten Quelle geschöpft. Höre also, Planchet, ich will Dir erzählen.«

»Und ich will Stöße machen, fangt an, mein lieber Herr.«

»Nun also,« sprach d’Artagnan, Athem holend. »Nun also,«, sagte Planchet, die erste Hand voll Thaler zusammenraffend.

XXV.
Das Spiel von Herrn von Mazarin

In einem großen Zimmer des Palais-Royal, das mit dunkelfarbigem Sammet ausgeschlagen und mit einer großen Anzahl herrlicher Gemälde in goldenen Rahmen geschmückt war, sah man am Abend der Ankunft unserer zwei Franzosen den ganzen Hof vor dem Alkoven des Herrn Cardinal von Mazarin versammelt, der dem König und der Königin eine Spielpartie gab.

Ein kleiner Windschirm trennte die drei Tische, welche im Zimmer standen. An einem dieser Tische saßen der König und die zwei Königinnen. Ludwig XlV., der seinen Platz der jungen Königin, seiner Gemahlin, gegenüber hatte, lächelte dieser mit einem Ausdruck wahren Glückes zu. Anna von Oesterreich hielt die Karten gegen den Cardinal, und ihre Schwiegertochter half ihr beim Spiel, wenn sie nicht ihrem Gemahl zulächelte. Der Cardinal, der mit einem sehr abgemagerten, sehr angegriffenen Gesicht im Bette lag, ließ sich sein Spiel von der Gräfin Soissons halten und schaute unabläßig mit einem Blick voll Interesse und Habgier darein.

Der Cardinal hatte sich von Bernouin schminken lassen; doch das Roth, das an den Backenknochen allein glänzte, hob nur um so mehr die Blässe des übrigen Gesichts und das schimmernde Gelb der Stirne hervor. Nur die Augen hatten ein lebhafteres Feuer und auf diese Augen des Kranken hefteten sich von Zeit zu Zeit die unruhigen Blicke des Königs, der Königinnen und der Höflinge.

Es ist wahr, die zwei Augen von Signor Mazarini waren die mehr oder minder glänzenden Sterne, in welchen Frankreich im siebenzehnten Jahrhundert jeden Abend und jeden Morgen sein Geschick las.

Monseigneur gewann nicht und verlor nicht, er zeigte sich weder heiter noch traurig. Dies war eine Verdumpfung, in der ihn Anna von Oesterreich, voll Mitleid für seinen Zustand, nicht gern gelassen haben würde: doch um die Aufmerksamkeit des Kranken durch irgend einen Schlag zu erregen, hätte sie gewinnen oder verlieren müssen. Gewinnen war gefährlich, weil Mazarin seine Gleichgültigkeit in eine häßliche Grimasse verwandelt haben würde; verlieren war auch gefährlich, weil sie hätte betrügen müssen, und die Infantin, welche über dem Spiele ihrer Schwiegermutter wachte, ohne Zweifel über ihre Begünstigung des Cardinals geschrieen haben würde.

Diese Ruhe benützend, plauderten die Höflinge. Hatte Herr von Mazarin nicht gerade eine schlechte Laune, so war er ein gutmüthiger Fürst, und er, der Niemand zu singen hinderte, wenn man nur bezahlte, war nicht genug Tyrann, um Jemand am Sprechen zu hindern, wenn man nur zu verlieren sich entschloß.

Man plauderte also. Am ersten Tisch beschaute der junge Bruder des Königs, Philipp Herzog von Anjou sein hübsches Gesicht in dem Spiegel eines Kistchens. Sein Günstling, der Chevalier von Lorraine, horchte, auf den Lehnstuhl des Prinzen gestützt, mit geheimem Neid auf den Grafen von Guiche, einen anderen Günstling von Philipp, der in gewählten Worten die verschiedenen Wechselfälle im Schicksal des abenteuerlichen Königs Karl II. erzählte. Er sprach wie von fabelhaften Ereignissen von der Geschichte seiner Wanderungen in Schottland und von seinen Schrecknissen, als die feindlichen Parteien seine Fährte verfolgten, von den Nächten, die er auf Bäumen, von den Tagen, die er im Hunger und im Kampfe zubrachte. Allmälig, interessirte das Geschick des unglücklichen Königs die Zuhörer so sehr, daß das Spiel, selbst am königlichen Tisch, erlahmte, und daß der junge König nachdenkend, mit irrem Blick, ohne daß er der Sache Aufmerksamkeit zu schenken schien, der von dem Grasen von Guiche sehr malerisch vorgetragenen Odyssee in allen ihren Einzelheiten folgte.

Die Gräfin von Soissons unterbrach den Erzähler und sagte:

»Gesteht, Graf, Ihr schmückt aus.«

»Madame, ich erzähle wie ein Papagei alle die Geschichten, die mir von verschiedenen Engländern erzählt worden sind. Ich muß sogar zu meiner Schande sagen, daß ich wortgetreu bin wie eine Abschrift.«

»Karl II. wäre gestorben, wenn er dies Alles hätte aushalten müssen.«

Ludwig XIV. erhob seinen gescheiten, stolzen Kopf und sprach mit einer Stimme, welche noch vom schüchternen Kinde zeugte:

»Madame, der Herr Cardinal wird Euch sagen, daß zur Zeit meiner Minderjährigkeit die Sache Frankreichs auf dem Spiel stand, und daß ich, wenn ich größer und das Schwert zu ergreifen genöthigt gewesen wäre, dies zuweilen hätte thun müssen, um ein Abendbrot, zu gewinnen.«

»Gott sei Dank,« entgegnete der Cardinal, der zum ersten Mal sprach, »Eure Majestät übertreibt, denn, ihr Abendbrod war jedes mal pünktlich mit dem ihrer Bedienten gekocht.«

Der König erröthete.

»Oh!« rief Philipp unbesonnener Weise von seinem Platze aus, ohne daß er sich zu spiegeln aufhörte, »ich erinnere mich, daß einmal in Melun dieses Abendbrod für Niemand bereitet war, und daß der König zwei Drittel von einem Stück Brod aß, von dem er mir das andere Drittel überließ.«

Die ganze Gesellschaft, als sie Mazarin lachen sah, brach in ein Gelächter aus. Man schmeichelt den Königen durch die Erinnerung an ein vergangenes Mißgeschick, wie durch die Hoffnung auf ein zukünftiges Glück.

»Immerhin ist so viel gewiß, daß die Krone Frankreichs gut auf dem Haupte der Könige gehalten hat, während sie von dem des Königs von England gefallen ist.« fügte Anna von Oesterreich schleunigst bei; »und wenn zufällig diese Krone ein wenig wankte, denn es gibt zuweilen Thronbeben, wie es Erdbeben gibt, so stellte jedesmal, so oft die Empörung drohte, ein guter Sieg die Ruhe wieder her.«

»Mit einigen Kleinodien mehr bei der Krone,« sagte Mazarin.

Der Graf von Guiche schwieg; der König gab seinem Gesicht eine gewisse Haltung, und Mazarin wechselte mit Anna von Oesterreich einen Blick, als wollte er ihr für ihre Erfindung danken.

»Gleichviel,« sagte Philipp, seine Haare glättend, »mein Vetter Karl ist nicht schön, aber er ist sehr tapfer, er hat sich geschlagen wie ein Reitersknecht, und wenn er fortfährt, sich so zu schlagen, so wird er ohne Zweifel am Ende eine Schlacht wie . . . Rocroy gewinnen.«

»Er hat keine Soldaten,« unterbrach ihn Herr von Lorraine.

»Der Stadhouder von Holland, sein Verbündeter, wird ihm geben. Ich hätte ihm auch gegeben, wenn ich König von Frankreich gewesen wäre.«

Ludwig XIV. erröthete über die Maßen.

Mazarin stellte sich, als schaute er aufmerksamer als je sein Spiel an.

»Zu dieser Stunde,« sprach der Graf von Guiche, »ist das Geschick des unglücklichen Prinzen schon in Erfüllung gegangen. Hat ihn Monk getäuscht, so ist er verloren. Das Gefängnis, der Tod vielleicht werden beendigen, was die Verbannung, die Schlachten und die Entbehrungen angefangen hatten.«

Mazarin faltete die Stirne.

»Ist es ganz sicher, daß Seine Majestät König Karl II. das Haag verlassen hat?« fragte Ludwig XIV.

»Ganz sicher, Eure Majestät,« antwortete der Graf von Guiche. »Mein Vater hat einen Brief erhalten, in welchem ihm die einzelnen Umstände mitgetheilt werden: man weiß sogar, daß, der König in Dover gelandet ist, Fischer haben ihn in den Hafen einlaufen sehen; das Uebrige ist noch Geheimniß.«

»Ich möchte das Uebrige wohl wissen,« sprach ungestüm Philipp. »Ihr wißt es, mein Bruder.«

 

Ludwig XIV. erröthete abermals. Das war das dritte Mal seit einer Stunde.

»Fragt den Herrn Cardinal,« erwiederte er mit einem Ton, der Mazarin, Anna von Oesterreich und alle Welt die Augen aufschlagen machte.

»Dies will besagen, mein Sohn,« rief Anna von Oesterreich lachend, »der König liebe es nicht, daß man von Staatsangelegenheiten außerhalb des Rathes spreche.«

Philipp nahm gutwillig den Verweis hin und machte lächelnd eine tiefe Verbeugung zuerst vor dem König und dann vor seiner Mutter.

Doch Mazarin gewahrte aus dem Augenwinkel, daß sich eine Gruppe in einer Ecke des Gemaches bildete, und daß der Herzog von Orleans mit dem Grafen von Guiche und dem Chevalier von Lorraine, die sich nicht mehr laut aussprechen durften, leise wohl mehr sagen könnten, als nothwendig war. Er fing daher an, ihnen Blicke von Mißtrauen und Aengstlichkeit zuzuschleudern, und forderte zugleich Anna von Oesterreich auf, die Besprechung auf irgend eine Weise zu stören, als plötzlich Bernouin unter dem Vorhang im Bettgang des Cardinals erschien und seinem Herrn ins Ohr sagte:

»Monseigneur, ein Abgesandter Seiner Majestät des Königs von England.«

Mazarin konnte eine leichte Bewegung nicht verbergen, die der König gleichsam im Flug auffaßte. Weniger um eine Indiscretion zu vermeiden, als um nicht unnütz zu erscheinen, stand Ludwig XIV. sogleich auf, näherte sich Seiner Eminenz und wünschte ihr eine gute Nacht.

Die ganze Versammlung erhob sich mit einem gewaltigen Geräusch von rollenden Stühlen und zurückgeschobenen Tischen.

»Laßt allmälig die ganze Gesellschaft weggehen,« sagte Mazarin leise zu Ludwig XIV., »und wollt mir sodann einige Minuten bewilligen. Ich mache eine Angelegenheit ab, über die ich noch diesen Abend mit Eurer Majestät zu sprechen wünschte.«

»Und die Königinnen?« fragte Ludwig XIV.

»Und der Herr Herzog von Anjou,« sagte Seine Eminenz.

Zu gleicher Zeit drehte er sich nach dem Bettgang, dessen Vorhänge rasch herabfielen. Der Cardinal hatte jedoch seine Verschwörer nicht aus dem Blick verloren.

»Herr Graf von Guiche,« sagte er mit schetternder Stimme, während er hinter dem Vorhang den Schlafrock anzog, den ihm Bernouin reichte.

»Hier, Monseigneur,« antwortete der junge Mann sich nähernd.

»Nehmt meine Karten, Ihr habt Glück . . . Gewinnt mir ein wenig das Geld von diesen Herren.«

»Ja, Monseigneur.«

Der junge Mann setzte sich an den Tisch, von dem sich der König entfernte, um mit den Königinnen zu sprechen.

Es begann eine ziemlich ernste Partie zwischen dem Grafen und mehreren reichen Höflingen.

Philipp plauderte indessen über Putzsachen mit dem Chevalier von Lorraine, und man hörte hinter den Vorhängen des Alkoven das Rauschen des seidenen Schlafrocks von Mazarin nicht mehr.

Seine Eminenz war Bernouin in das an das Schlafzimmer stoßende Cabinet gefolgt.