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Der Graf von Bragelonne

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XIII.
Am andern Tag

Es war sieben Uhr Morgens: die ersten Strahlen des Tages beleuchteten die Teiche, in denen sich die Sonne wie eine rothe Kugel wiederspiegelte, als Athos erwachend und das Fenster seines Schlafzimmers öffnend, das nach dem Flusse ging, ungefähr in einer Entfernung von fünfzehn Schritten den Sergenten und die Leute erblickte, die ihn am Abend vorher begleitet hatten und, nachdem sie die Tonnen bei ihm niedergelegt, auf der Chaussee rechts nach dem Lager zurückgekehrt waren.

Warum waren diese Menschen, nachdem sie ins Lager zurückgekehrt, wieder gekommen? Dies war die Frage, die sich plötzlich dem Geist von Athos darbot.

Den Kopf hoch, schien der Sergent auf den Augenblick zu lauern, wo der fremde Edelmann erscheinen würde, um ihn anzurufen. Erstaunt, diejenigen hier wiederzufinden, die er am Abend vorher sich hatte entfernen sehen, konnte er sich nicht enthalten, ihnen seine Verwunderung hierüber zu bezeigen.

»Darüber dürft Ihr Euch nicht wundern, mein Herr,« sagte der Sergent, »gestern hat mir der General über Eurer Sicherheit zu wachen befohlen, und ich habe diesem Befehl Folge geleistet.«

»Ist der General im Lager?« fragte Athos.

»Ohne allen Zweifel, mein Herr, da Ihr ihn verließet, als er sich dahin begab.«

»Wohl! so erwartet mich, ich will zu ihm gehen, um ihm zu melden, mit welcher Treue Ihr Euren Auftrag erfüllt habt, und zugleich um meinen Degen zu holen, den ich gestern auf seinem Tisch liegen ließ.«

»Das trifft sich vortrefflich,« sagte der Sergent, »denn wir wollten Euch darum bitten.«

Athos glaubte eine gewisse zweideutig treuherzige Miene im Gesichte des Sergenten wahrzunehmen, doch das Abenteuer des unterirdischen Gewölbes konnte die Neugierde dieses Menschen erregt haben, und es war daher nicht besonders auffallend, daß er auf seinem Gesicht die Gefühle ein wenig durchblicken ließ, die seinen Geist bewegten.

Athos schloß sorgfältig die Thüre und übergab den Schlüssel Grimaud, der seine Wohnung unter dem Schirmdache genommen hatte, unter dem man in den Speisekeller gelangte, wo die Tonnen aufbewahrt waren. Der Sergent begleitete den Grasen de la Fère bis ins Lager. Hier wartete eine neue Wache und löste die vier Mann ab, welche Athos geführt hatten.

Diese neue Wache wurde befehligt vom Adjutanten Digby, welcher unter Weges auf Athos so wenig ermuthigende Blicke heftete, daß der Franzose sich fragte, woher diese Wachsamkeit und diese Strenge gegen ihn kämen, während man ihn am Tage vorher so völlig frei gelassen.

Er ging nichtsdestoweniger weiter nach dem Hauptquartier und verschloß in seinem Innern die Bemerkungen, die ihn die Menschen und die Dinge zu machen nöthigten. Er fand unter dem Zelte des Generals, wo er am Tage zuvor eingeführt worden war, drei höhere Officiere: dies waren der Lieutenant von Monk und zwei Obersten. Athos erblickte seinen Degen; er lag noch auf dem Tisch des Generals, an dem Platz, wo er ihn gelassen hatte.

Keiner von den Offerieren hatte Athos gesehen, keiner kannte ihn folglich. Der Lieutenant von Monk fragte, als er Athos erblickte, ob dies nicht der französische Edelmann sei, mit dem der General das Zelt verlassen habe.

»Ja, Eure Ehren, er ist es,« antwortete der Soldat.

»Mir scheint, ich leugne das nicht,« sprach Athos mit stolzem Tone; »und nun, meine Herren, erlaubt mir meinerseits, Euch um eine Erklärung zu bitten, wozu alle diese Fragen und besonders warum der Ton, in dem Ihr sie thut.«

»Mein Herr,« erwiederte der Lieutenant, »wenn wir diese Fragen an Euch richten, so haben wir das Recht, sie zu thun, und wenn wir sie in diesem Ton stellen, so geschieht dies, glaubt mir, weil dieser Ton der Lage der Dinge entspricht.«

»Meine Herren,« entgegnete Athos, »Ihr wißt nicht, wer ich bin, doch ich muß Euch bemerken, daß ich hier nur den General Monk als meines Gleichen anerkenne. Wo ist er? Man führe mich vor ihn und wenn er eine Frage an mich zu richten hat, so werbe ich antworten, und zwar, wie ich hoffe, auf eine ihn befriedigende Weise. Ich wiederhole, meine Herren, wo ist der General?«

»Ei, bei Gott! Ihr wißt besser als wir, wo er ist!« rief der Lieutenant.

»Ich?«

»Gewiß, Ihr.«

»Mein Herr, ich verstehe Euch nicht.«

»Ihr werdet mich verstehen, und sprecht vor Allem leiser, mein Herr. Was hat Euch der General gestern gesagt?«

Athos lächelte verächtlich.

»Es handelt sich hier nicht darum, zulächeln, sondern zu antworten,«» rief aufbrausend einer von den Obersten.

»Und ich, meine Herren, ich erkläre Euch, daß ich nicht antworten werde, wenn ich nicht dem General gegenüberstehe.«

»Ihr wißt wohl, daß Ihr etwas Unmögliches verlangt,« sagte der Oberste, der schon gesprochen hatte.

»Zum zweiten Male gibt man mir dieselbe seltsame Antwort auf den Wunsch, den ich ausdrücke,« sprach Athos. »Ist der General abwesend?«

Die Frage von Athos wurde so treuherzig ausgesprochen und der Graf hatte dabei eine so unschuldig erstaunte Miene, daß die drei Officiere Blicke wechselten. Der Lieutenant nahm durch eine Art von stillschweigender Uebereinkunft mit den zwei andern Officieren das Wort und sagte:

»Mein Herr, der General hat Euch gestern an der Grenze des Klosters verlassen?«

»Ja, mein Herr.«

»Und wohin seid Ihr gegangen?«

»Es ist nicht an mir. Euch zu antworten, sondern an denjenigen, welche mich begleitet haben. Das sind Eure Soldaten, befragt sie.«

»Aber wenn es uns beliebt. Euch zu befragen?«

»Dann wird es mir belieben, Euch zu erwiedern, mein Herr, daß ich von Niemand hier abhängig bin, daß ich hier nur den General kenne und nur ihm antworten werde.«

»Es sei, doch da wir die Herren sind, so werden wir uns zum Kriegsgericht erheben, und wenn Ihr Richter vor Euch habt, müßt Ihr wohl antworten.«

Das Antlitz von Athos drückte nur Erstaunen und Verachtung statt des Schreckens aus, den die Officiere darauf zu lesen erwarteten.

»Schottische oder englische Richter mir, der ich Unterthan des Königs von Frankreich, mir, der ich unter den Schutz der britischen Ehre gestellt bin! Ihr seid Narren, meine Herren,« rief Athos die Achseln zuckend.

»Mein Herr, Ihr behauptet also, Ihr wisset nicht, wo der General ist?« sagten sie.

»Hierauf habe ich schon geantwortet.«

»Ja; aber Ihr habt etwas Unglaubliches geantwortet.«

»Es ist dennoch wahr, meine Herren. Die Leute meines Standes lügen gewöhnlich nicht. Ich bin Edelmann, wie ich Euch schon bemerkte, und wenn ich den Degen an meiner Seite habe, den ich gestern aus einem Uebermaß von Zartgefühl auf dem Tische ließ, wo er noch liegt, so wird mir, glaubt mir, Keiner Dinge sagen, die ich nicht hören will. Heute bin ich entwaffnet; wenn Ihr meine Richter zu sein Euch anmaßt, so richtet mich; wenn Ihr nur meine Henker seid, so tödtet mich!«

»Aber, mein Herr? . . . « fragte mit höflicherem Tone der Lieutenant, berührt von der Größe und Kaltblütigkeit von Athos.

»Mein Herr, ich kam hierher, um mit Eurem General im Vertrauen über wichtige Angelegenheiten zu sprechen. Es war kein gewöhnlicher Empfang, der Empfang, den er mir zu Theil werden ließ. Die Berichte Eurer Soldaten können Euch hiervon überzeugen. Wenn er mich so empfing, so wußte der General, welche Ansprüche ich auf Ächtung zu machen habe. Ich denke, Ihr nehmt nun nicht an, ich werde Euch meine Geheimnisse oder gar die seinigen offenbaren.«

»Aber was enthielten denn die Tonnen?«

»Habt Ihr diese Frage nicht an Eure Soldaten gerichtet? Was haben sie Euch geantwortet?«

»Sie enthalten Pulver und Blei.«

»Von wem erhielten sie diese Kunde? sie mußten Euch das sagen.«

»Vom General; doch wir lassen uns nicht bethören.«

»Nehmt Euch in Acht, mein Herr, ich bin es nicht mehr, den Ihr Lügen straft, sondern Euer Chef.«

Die Officiere schauten sich abermals an; Athos fuhr fort:

»Vor Euren Soldaten hat mir der General gesagt, ich möge acht Tag warten, in acht Tagen würde er mir die Antwort geben, die er mir zu ertheilen habe. Bin ich entflohen? Nein, ich warte.«

»Er hat Euch acht Tage warten heißen!« rief der Lieutenant.

»Mein Herr, ich habe ein Sloop in der Mündung des Flusses vor Anker, ich konnte es gestern ohne die geringste Schwierigkeit erreichen und mich einschiffen. Bin ich aber geblieben, so geschah dies einzig und allein, um den Wünschen des Generals zu entsprechen, da mich Seine Herrlichkeit ersuchte, nicht ohne eine letzte Audienz abzureisen, deren Zeitpunkt sie selbst auf acht Tage feststellte. Ich wiederhole Euch also, daß ich warte,«

Der Lieutenant wandte sich gegen die zwei andern Officiere um und sagte mit leiser Stimme:

»Wenn dieser die Wahrheit spricht, so wäre noch Hoffnung vorhanden. Der General hätte so geheime Unterhandlungen pflegen müssen, daß er es sogar für unklug gehalten haben würde, uns davon in Kenntniß zu setzen. Seine Abwesenheit würde sodann acht Tag dauern.«

Dann sich an Athos wendend, sprach er:, »Mein Herr, Eure Erklärung ist von der höchsten Wichtigkeit, wollt Ihr sie unter dem Siegel des Schwurs wiederholen?«

»Mein Herr,« antwortete Athos, »ich habe immer in einer Welt gelebt, in der man mein einfaches Wort als den heiligsten der Schwüre betrachtete.«

»Diesmal jedoch, mein Herr, sind die Verhältnisse ernster als alle diejenigen, in denen Ihr Euch je befunden haben möget. Es handelt sich um das Heil einer ganzen Armee. Bedenkt es wohl. Der General ist verschwunden und wir forschen nach ihm. Ist das Verschwinden natürlich? Ist ein Verbrechen begangen worden? Müssen wir unsere Nachforschungen bis auf’s Aeußerste treiben? Sollen wir In Geduld warten? In diesem Augenblick, mein Herr, hängt Alles von dem Wort ab, das Ihr aussprechen werdet.«

»So befragt zögere ich nicht,« erwiederte Athos; »ja, ich hatte eine vertrauliche Unterredung mit dem General und bat ihn um eine Antwort über gewisse Interessen; ja, der General, der sich ohne Zweifel nicht vor der Schlacht, die man erwartet, aussprechen konnte, bat mich, noch acht Tage in dem Hause zu warten, das ich bewohne, und versprach mir zugleich, ich würde ihn in acht Tagen wiedersehen. Ja, dies Alles ist wahr, und ich schwöre es bei Gott, der der unumschränkte Herr meines Lebens und des Eurigen ist.«

 

Athos sprach diese Worte mit so viel Größe und mit solcher Feierlichkeit, daß die drei Officiere beinahe überzeugt waren. Einer von den Obersten wollte indessen noch einen Versuch machen und sagte:

»Mein Herr, obgleich wir nun von dem, was Ihr behauptet, überzeugt sind, liegt doch in dem Allem ein seltsames Geheimniß. Der General ist ein zu kluger Mann, um so sein Heer am Vorabend einer Schlacht zu verlassen, ohne wenigstens einen von uns davon in Kenntniß zu setzen. Ich, was mich betrifft, kann nichts Anderes glauben, als daß ein seltsames Ereigniß die Ursache dieses Verschwindens ist. Gestern sind fremde Fischer hierhergekommen, um ihre Fische zu verkaufen; man quartierte sie dort unten bei den Schottländern ein, nämlich am Wege, dem der General folgte, um mit dem Herrn in die Abtei zu gehen und von dort zurückzukehren. Einer dieser Fischer hat den General mit einer Laterne begleitet . . . und diesen Morgen waren Barke und Fischer von der Fluth fortgetragen verschwunden.«

»Ich,« versetzte der Lieutenant, »ich sehe darin nichts, was nicht natürlich wäre, denn diese Leute waren keine Gefangenen.«

»Nein; aber ich wiederhole, einer von ihnen hat dem General und dem Herrn in dem Gewölbe der Abtei geleuchtet, und Digby versichert uns, der General habe schlimmen Verdacht über diese Leute gehabt. Wer sagt uns aber, daß diese Fischer nicht mit dem Herrn einverstanden waren, und nachdem der Streich ausgeführt, sei dieser Herr, der sicherlich muthig ist, nicht geblieben, um uns durch seine Gegenwart zu beruhigen und es zu verhindern, daß unsere Nachforschungen die geeignete Richtung nehmen?«

Diese Rede machte Eindruck auf die zwei andern Officiere.

»Mein Herr,« sprach Athos, »erlaubt mir, Euch zu bemerken, daß es Eurem scheinbar sehr richtigen Urtheil doch in dem, was mich betrifft, an Haltbarkeit fehlt. Ihr sagt, ich sei geblieben, um den Verdacht abzuwenden; der Verdacht regt sich im Gegentheil in mir, wie in Euch, und ich sage Euch: Es ist nicht möglich, meine Herren, daß sich der General am Vorabend einer Schlacht wegbegeben hat, ohne irgend Jemand davon in Kenntniß zu setzen. Ja, bei dem Allem waltet ein seltsames Ereigniß ob; ja, statt müßig zu bleiben und zu warten, müßt Ihr jede Wachsamkeit, jede mögliche Thätigkeit entwickeln. Ich bin Euer Gefangener, meine Herren, auf mein Wort oder auf eine andere Weise. Meine Ehre ist dabei betheiligt, daß man erfährt, was aus dem General Monk geworden ist, so daß ich, wenn Ihr zu mir sagtet: Geht, antworten würde: Nein, ich bleibe, – und daß ich, wenn Ihr mich um meine Meinung fragtet, beifügen müßte: Ja, der General ist das Opfer irgend einer Verschwörung, denn wenn er das Lager hätte verlassen müssen, so würde er es gesagt haben. Sucht also, forscht, durchwühlt die Erde, durchwühlt das Meer; der General ist nicht weggegangen, oder wenigstens nicht mit seinem eigenen Willen weggegangen.«

Der Lieutenant machte den anderen Officieren ein Zeichen.

»Nein, mein Herr,« sagte er, »nein, Ihr geht Eurerseits zu weit. Der General hat nichts von den Ereignissen zu erleiden, und er ist es ohne Zweifel im Gegentheil, der sie lenkt. Was Monk zu dieser Stunde thut, hat er schon oft gethan. Wir haben also Unrecht, uns zu beunruhigen; seine Abwesenheit wird ohne Zweifel von kurzer Dauer sein. Wir werden uns auch wohl hüten, in einer Kleinmüthigkeit, die uns der General zum Verbrechen machen würde, seine Abwesenheit, welche die Armee demoralisiren könnte, ruchbar werden zu lassen. Der General gibt uns einen ungeheuren Beweis seines Vertrauens; zeigen wir uns desselben würdig. Meine Herren, das tiefste Stillschweigen bedecke dies Alles mit einem undurchdringlichen Schleier; wir behalten den Herrn nicht wegen eines Argwohns gegen ihn hinsichtlich des Verbrechens, sondern um auf eine wirksamere Weise das Geheimniß der Abwesenheit des Generals, das wir unter uns verschließen, zu sichern; bis auf neuen Befehl wird der Herr auch im Generalquartier wohnen.«

»Meine Herren,« entgegnete Athos, »Ihr vergeßt, daß mir der General in dieser Nacht ein Gut anvertraut hat, das ich hüten muß. Gebt mir jede Bewachung, die Euch beliebt, fesselt mich, wenn Ihr wollt, doch laßt mir das Haus, das ich bewohne, als Gefängnis. Ich schwöre Euch bei meinem adeligen Ehrenwort, der General würde es Euch bei seiner Rückkehr zum Vorwurf machen, daß Ihr ihm hierin mißfallen habet.«

Die Officiere beriethen sich einen Augenblick; nach dieser Berathung sagte der Lieutenant:

»Es sei, mein Herr, kehrt in Eure Wohnung zurück.«

Dann gaben sie Athos eine Wache von fünfzig Mann, die ihn in seinem Haus einschloß, ohne ihn eine Secunde aus dem Gesicht zu verlieren.

Das Geheimniß blieb bewahrt, aber die Stunden, aber die Tage vergingen, ohne daß der General zurückkam und ohne daß man ferner Kunde von ihm erhielt.

XIV.
Die Schmuggelwaare

Zwei Tage nach den von uns erzählten Ereignissen und während man jeden Augenblick in seinem Lager den General Monk erwartete, der nicht dahin zurückkehrte, ging eine kleine holländische Felucke mit einer Equipage von zehn Mann an der Küste von Scheveningen, ungefähr einen Kanonenschuß vom Lande, vor Anker. Es war stockfinstere Nacht, die See stieg in der Dunkelheit und die Stunde eignete sich vortrefflich, um Passagiere und Waaren auszuschiffen.

Die Rhede von Scheveningen bildet einen weiten Halbmond; sie ist durchaus nicht tief und ziemlich unsicher; man sah hier auch nur flämische Houques oder von jenen holländischen Barken liegen, welche die Fischer auf Rollen auf den Sand ziehen, wie es die Alten nach der Mittheilung von Virgil machten. Steigt die Woge und treibt gegen das Land, so ist es nicht klug, das Fahrzeug zu nahe an die Küste gelangen zu lassen, denn wenn der Wind frisch ist, versanden sich die Vordertheile und der Sand an dieser Küste ist schwammicht, er nimmt leicht, aber gibt nicht ebenso wieder. Aus diesem Grunde löste sich ohne Zweifel die Schaluppe vom Schiff, sobald dieses Anker geworfen hatte, und fuhr mit acht Leuten von der Mannschaft, unter denen man einen Gegenstand von länglicher Form unterschied, der ein Ballen oder eine Art von Korb sein mochte.

Das Ufer war verlassen, die paar Fischer, welche die Dünen bewohnen, hatten sich schlafen gelegt. Die einzige Schildwache, welche die Küste hütete (eine sehr schlecht bewachte Küste in Betracht, daß das Landen eines großen Schiffes unmöglich war), hatte, ohne das Beispiel der Fischer, die sich niedergelegt, völlig befolgen zu können, dieselben doch insofern nachgeahmt, daß sie eben so tief in ihrem Schilderhause schlief, als jene in ihren Betten. Das einzige Geräusch, das man hörte, war also das Pfeifen des Nachtwindes, der durch das Heidekraut der Düne strich. Doch es waren ohne Zweifel mißtrauische Leute, die Leute, die sich näherten, denn diese wirkliche Stille und diese scheinbare Einsamkeit beruhigten sie noch nicht. Kaum sichtbar wie ein dunkler Punkt auf dem Ocean glitt auch ihre Schaluppe, geräuschlos, das Rudern vermeidend, um nicht gehört zu werden, über das Wasser hin und fuhr so nahe als möglich ans Land.

Kaum spürte man Grund, als ein einziger Mann aus dem Fahrzeug sprang, nachdem er einen kurzen Befehl mit jenem Tone gegeben, der die Gewohnheit des Gebietens bezeichnet. In Folge dieses Befehls glänzten alsbald mehrere Musketen bei dem schwachen Schimmer des Meeres, diesem Spiegel des Himmels, und der bereits erwähnte längliche Ballen, welcher ohne Zweifel die Schmuggelwaare enthielt, wurde mit unendlicher Vorsicht ans Land geschafft. Sogleich lief der Mann, der die Schaluppe zuerst verlassen hatte, schräge nach dem Dorfe Scheveningen, wobei er seine Richtung nach der vordersten Spitze des Waldes nahm. Hier suchte er das Haus, das wir schon einmal durch die Bäume erblickt, und das wir als die mittlerweilige Wohnung – eine sehr bescheidene Wohnung – desjenigen bezeichnet haben, welchen man aus Artigkeit den König von England nannte.

Alles schlief hier, wie überall; nur ein großer Hund von der Race derjenigen, welche die Fischer von Scheveningen an kleine Karren spannen, um ihre Fische nach dem Haag zu bringen, stieß ein furchtbares Gebelle aus, sobald die Tritte des Fremden unter den Fenstern hörbar wurden. Doch statt den Ankömmling zu erschrecken, schien ihm diese Bewachung im Gegentheil eine große Freude zu bereiten, denn seine Stimme wäre vielleicht unzulänglich gewesen, um die Leute des Hauses aufzuwecken, während bei einer Hilfsmacht von solcher Stärke diese Stimme beinahe unnöthig wurde. Der Fremde wartete also, bis das schallende und wiederholte Gebelle aller Wahrscheinlichkeit nach seine Wirkung hervorgebracht hatte, und wagte es dann, zu rufen. Bei dem Ton seiner Stimme brüllte der Hund mit solcher Heftigkeit, daß sich bald im Innern eine andere Stimme hörbar machte, die den Hund zu beschwichtigen suchte. Als sodann der Hund wirklich beschwichtigt war, fragte diese zugleich schwache, gebrochene und höfliche Stimme:

»Was wünscht Ihr?«

»Ich will zu Seiner Majestät König Karl II.,« antwortete der Fremde.

»Was wollt Ihr von ihm?«

»Ich will ihn sprechen.«

»Wer seid Ihr?«

»Ah! Mordioux! Ihr fragt mich zu viel; ich liebe es nicht, ein Gespräch durch die Thüren zu führen.«

»Sagt nur Euren Namen.«

»Ich liebe es eben so wenig, meinen Namen in freier Luft anzugeben; seid indessen unbesorgt, ich werde Euren Hund nicht fressen, und bitte Gott, er möge auch so rücksichtsvoll gegen mich verfahren.«

»Ihr bringt vielleicht Nachrichten, nicht wahr, mein Herr?« sagte die Stimme geduldig und ausforschend wie die eines Greises.

»Ich stehe Euch dafür, daß ich Nachrichten bringe, die man nicht erwartet! Oeffnet also, wenn es Euch beliebt.«

»Mein Herr,« fuhr der Greis fort, »glaubt Ihr bei Eurer Seele und Eurem Gewissen, diese Nachrichten seien es werth, daß man den König aufweckt?«

»Um der Liebe Gottes willen, mein guter Herr, zieht Eure Riegel, ich schwöre Euch, die Mühe, die Ihr Euch gemacht habt, wird Euch nicht verdrießen. Auf mein Ehrenwort, ich bin mein Gewicht in Gold werth.«

»Mein Herr, ich kann Euch dennoch nicht öffnen, ohne daß Ihr mir Euren Namen sagt.«

»Es muß also sein?«

»Das ist der Befehl meines Gebieters, Herr.«

»Nun! so hört meinen Namen . . . Doch ich mache Euch zum Voraus darauf aufmerksam, daß Ihr durch diesen Namen durchaus nichts erfahrt.«

»Gleichviel, sagt ihn immerhin.«

»Wohl, ich bin der Chevalier d’Artagnan.«

Die Stimme gab einen Schrei von sich.

»Ah! mein Gott!« sprach der Greis jenseits der Thüre, Herr d’Artagnan! welches Glück! Ich sagte mir doch, ich kenne diese Stimme.«

»Halt!« rief d’Artagnan, »man kennt meine Stimme hier! das ist schmeichelhaft!«

»Oh! ja, man kennt sie, erwiederte der Greis, den Riegel ziehend, »und das diene Euch zum Beweis!«

Und bei diesen Worten führte er d’Artagnan ein, der beim Schimmer der Laterne, welche er in der Hand trug, seinen hartnäckigen Gegenredner erkannte.

»Ah! Mordioux!« rief er, »es ist Parry, ich hätte es vermuthen sollen.«

»Parry, ja, mein lieber Herr d’Artagnan, ich bin es. Welche Freude, Euch wiederzusehen!«

»Ihr habt wohl gesagt: welche Freude!« sprach d’Artagnan dem Greis die Hände drückend. »Doch nicht wahr, Ihr werdet den König benachrichtigen?«

»Der König schläft, mein lieber Herr.«

»Mordioux! weckt ihn auf, und er wird Euch nicht schmähen, daß Ihr ihn gestört habt, das sage ich Euch.«

»Ihr kommt im Auftrag des Grafen, nicht wahr?«

»Welches Grafen?«

»Des Grafen de la Fère.«

»Von Athos? Meiner Treue! nein, ich komme in meinem eigenen Auftrag. Rasch, Parry, den König, ich muß den König sehen!«

Parry glaubte nicht länger widerstehen zu dürfen; er kannte d’Artagnan seit langer Zeit; er wußte, daß, obgleich er Gascogner war, seine Worte nie mehr versprachen, als sie halten konnten. Er durchschritt einen Hof und ein Gärtchen, beschwichtigte den Hund, der im Ernst Musketierfleisch kosten wollte, und klopfte an den Laden eines Zimmers, das im Erdgeschoß eines kleinen Pavillon lag.

Sogleich antwortete ein kleiner Hund, der dieses Zimmer bewohnte, dem großen Hund, der den Hof inne hatte.

»Armer König!« sagte d’Artagnan zu sich selbst, »das sind seine Leibwachen: allerdings ist er deshalb nicht schlechter bewacht.«

»Was will man von mir?« fragte der König aus dem Hintergrunde des Zimmers.

 

»Sire, der Herr Chevalier d’Artagnan ist da und will Euch Nachrichten bringen.«

Alsbald hörte man Geräusch in diesem Zimmer; eine Thüre öffnete sich und eine scharfe Helle überströmte den Corridor und den Garten.

Der König arbeitete beim Scheine einer Lampe. Papiere lagen zerstreut auf seinem Schreibtisch umher, und er hatte den Entwurf eines Briefes begonnen, der durch die vielen Durchstriche verrieth, welche Mühe es ihm gemacht, denselben zu schreiben.

»Tretet ein, Herr Chevalier,« sprach er sich umwendend.

Dann, als er den Fischer erblickte, fragte Karl: . »Was sagtet Ihr denn, Parry? wo ist denn Herr d’Artagnan?«

»Er steht vor Euch, Sire,« antwortete d’Artagnan.

»In dieser Tracht?«

»Ja. Schaut mich an, Sire; erkennt Ihr mich nicht als denjenigen, welchen Ihr in Blois in den Vorzimmern von König Ludwig XIV. gesehen habt?«

»Doch, mein Herr, und ich erinnere mich auch, daß ich mich sehr über Euch zu freuen hatte.«

D’Artagnan verbeugte sich.

»Es war meine Pflicht, mich zu benehmen, wie ich es gethan habe, sobald ich wußte, daß es Eure Majestät war, mit der ich zu sprechen die Ehre hatte.«

»Ihr Bringt mir Nachrichten, sagt Ihr?«

»Ja, Sire.«

»Ohne Zweifel im Auftrag des Königs von Frankreich?«

»Meiner Treue, nein, Sire,« erwiederte d’Artagnan. »Eure Majestät mußte dort sehen, daß sich der König von Frankreich nur um seine eigene Majestät bekümmert.«

Karl schlug die Augen zum Himmel auf.

»Nein,« fuhr d’Artagnan fort, »nein, Sire. Ich bringe Euch Nachrichten, welche aus ganz persönlichen Thatsachen bestehen. Doch ich wage zu hoffen, daß Eure Majestät Thatsachen und Nachrichten mit einiger Huld vernehmen wird.«

»Sprecht, mein Herr.«

»Wenn ich mich nicht irre, Sire, hat Eure Majestät in Blois viel von der schlimmen Lage der Dinge in England gesprochen.«

Erröthend entgegnete Karl:

»Dem König von Frankreich allein erzählte ich . . . «

»Oh! Eure Majestät täuscht sich,« erwiederte kalt der Musketier, »ich weiß mit den Königen im Unglück zu sprechen; sie sprechen sogar nur, wenn sie im Unglück sind, mit mir: sind sie einmal glücklich, so schauen, sie mich nicht mehr an. Ich hege also nicht nur die tiefste Ehrfurcht, sondern auch die unbeschränkteste Ergebenheit für Euch, und das bedeutet etwas bei mir, glaubt mir, Sire. Als ich nun Eure Majestät über ihr Schicksal reden hörte, da fand ich, Ihr seid hochherzig, edel und wisset das Unglück gut zu ertragen.«

»In der That,« sagte Karl erstaunt, »ich weiß nicht, was ich vorziehen soll, Eure Freiheiten oder Eure Ehrerbietung.«,

»Ihr werdet sogleich wählen, Sire,« sprach d’Artagnan. »Eure Majestät beklagte sich also bei ihrem Bruder Ludwig XIV. über die Schwierigkeiten, mit denen sie zu kämpfen habe, um nach England zurückzukehren und ohne Menschen und Geld ihren Thron wieder zu besteigen.«

Hier entschlüpfte Karl eine Bewegung der Ungeduld.

»Und das Haupthinderniß, auf das sie auf ihrem Wege stoße,« fuhr d’Artagnan fort, »sei ein gewisser General, der die Armee des Parlaments befehlige und dort die Rolle eines zweiten Cromwell spiele. Hat Eure Majestät das nicht gesagt?«

»Ja, doch ich wiederhole Euch, mein Herr, diese Worte waren nur für die Ohren des Königs bestimmt.«

»Und Ihr werdet sehen, Sire, es war sehr gut, daß sie in die Ohren seines Lieutenants der Musketiere gefallen sind; dieser für Eure Majestät so lästige General war, glaube ich, Monk; habe ich den Namen richtig gehört, Sire?«

»Ja, mein Herr; doch ich wiederhole, wozu alle diese Fragen?«

»Oh! ich weiß es wohl, Sire, die Etiquette gestattet es nicht, daß man die Könige fragt; doch ich hoffe, Eure Majestät wird mir sogleich meinen Verstoß gegen die Etiquette vergeben. Eure Majestät fügte bei, wenn sie ihn indessen sehen, sich mit ihm besprechen, von Angesicht zu Angesicht ihm gegenüber stehen könnte, so würde sie entweder mit Gewalt oder durch Ueberredung dieses Hinderniß, das einzige ernste, das einzige wahre, das einzige unüberwindliche auf ihrem Wege, besiegen.«

»Dies Alles ist wahr, mein Herr; mein Schicksal, meine Zukunft, meine Dunkelheit oder mein Glanz hängen von diesem Mann ab; doch was wollt Ihr hieraus schließen?«

»Nur Eines: ist der General Monk in dem Grade lästig, wie Ihr sagt, so wäre es ersprießlich. Eure Majestät von ihm zu befreien oder ihr einen Verbündeten aus ihm zu machen.«

»Mein Herr, ein König, der weder ein Heer, noch Geld bat, da Ihr nun doch einmal meine Unterredung mit meinem Bruder angehört habt, vermag nichts gegen einen Mann, wie Monk.«

»Ja, Sire, ich weiß wohl, das war Eure Meinung, doch zum Glück für Euch war es nicht die meinige.«

»Was wollt Ihr damit sagen?«

»Daß ich ohne eine Armee und ohne eine Million gethan habe, was Eure Majestät nur mit einer Armee und einer Million thun zu können glaubte.«

»Wie! was sagt Ihr? was habt Ihr gethan?«

»Was ich gethan habe? Nun, Sire, ich habe den für Euch so lästigen Mann dort festgenommen.«

»In England?«

»Allerdings, Sire.«

»Ihr habt Monk in England festgenommen?«

»Hätte ich zufällig schlimm daran gethan?«

»In der That, mein Herr, Ihr seid ein Narr.«

»Ganz und gar nicht, Sire.«

»Ihr habt Monk gefangen genommen?«

»Ja, Sire.«

»Wo dies?«

»Mitten in seinem Lager.«

Der König bebte vor Ungeduld und zuckte die Achseln.

»Und da ich ihn auf der Landstraße bei Newcastle gefangen genommen habe, so bringe ich ihn Eurer Majestät,« sprach d’Artagnan ganz einfach.

»Ihr bringt ihn mir!« rief der König, beinahe entrüstet über das, was er für eine Mystification hielt.

»Ja, Sire,« antwortete d’Artagnan mit demselben Ton, »ich bringe ihn Euch; er ist dort in einer großen Kiste, an der Löcher angebracht sind, damit er athmen kann.«

»Mein Gott!«

»Oh! seid unbesorgt, Sire, man hat jede mögliche Rücksicht für ihn gehabt. Er kommt also völlig unversehrt und wohlbehalten hier an. Beliebt es Eurer Majestät, ihn zu sehen, mit ihm zu reden oder ihn in’s Wasser werfen zu lassen?«

»Oh! mein Gott!« wiederholte Karl, »oh! mein, Gott! mein Herr, sprecht Ihr die Wahrheit? Beleidigt Ihr mich nicht durch einen unwürdigen Scherz?

»Ihr solltet diesen unerhört verwegenen und genialen Streich ausgeführt haben? Unmöglich!«

»Erlaubt mir Eure Majestät, das Fenster zu öffnen?« fragte d’Artagnan, indem er es öffnete.

Der König hatte nicht einmal Zeit, ja zu sagen. D’Artagnan ließ einen langen, schrillen Pfiff vernehmen, den er dreimal in der Stille der Nacht wiederholte.

»Man wird ihn nun Eurer Majestät bringen,« sagte er.