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Der Graf von Bragelonne

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XXXII.
Der Engel des Todes

Athos war so weit in seiner wunderbaren Vision, als plötzlich der Zauber durch ein gewaltiges Geräusch, das von den äußeren Thüren des Hauses herkam, unterbrochen wurde.

Man hörte ein Pferd aus dem verhärteten Sande der großen Allee galoppiren und der Lärmen von sehr belebten Gesprächen stieg bis zu dem Zimmer auf, in dem der Graf träumte.

Ein schwerer Tritt wurde aus der Freitreppe hörbar; das Pferd, das kurz zuvor noch so rasch galoppirte, ging langsam in der Richtung des Stalles ab. Der Tritt näherte sich allmälig dem Zimmer von Athos.

Eine Thüre wurde geöffnet, Athos wandte sich ein wenig nach der Seite, woher das Geräusch kam, und rief mit schwacher Stimme:

»Nicht wahr, es ist ein Courier von Africa?«

»Nein, Herr Graf,« antwortete eine Stimme, welche Athos auf seinem Bette beben machte.

»Grimaud!« murmelte er.

Und der Schweiß fing an, an seinen mageren Wangen herabzugleiten.

Grimaud erschien auf der Schwelle. Es war nicht mehr Grimaud, den wir noch jung durch den Muth und die Ergebenheit gesehen haben, als er der Erste in die Barke sprang, welche bestimmt war, Raoul zu den Schiffen der königlichen Flotte zu führen.

Es war ein ernster und bleicher Greis, mit staubbedeckten Kleidern, mit spärlichen, durch die Jahre weiß gewordenen Haare. Er zitterte, indem er sich an die Einfassung der Thüre anlehnte, und wäre beinahe niedergefallen, als er von fern beim Scheine der Lampen das Gesicht seines Herrn sah.

Diese zwei Männer, welche so lange mit einander in Gemeinschaft des Einverständnisses gelebt hatten, und deren Augen, gewohnt, mit den Ausdrücken sparsam umzugehen, sich stillschweigend so viele Dinge zu sagen wußten, diese zwei alten Freunde, der eine so edel durch das Herz als der andere, wenn sie auch durch die Geburt und das Vermögen ungleich waren, blieben bestürzt, als, sie sich ansahen. Sie hatten mit einem Blick gegenseitig in der tiefsten Tiefe des Herzens gelesen.

Grimaud trug in seinem Gesicht das Gepräge eines schon durch die traurige Gewohnheit gealterten Schmerzes. Er schien zu seinem Gebrauche nur noch eine einzige Uebersetzung seiner Gedanken zu haben.

Wie er sich einst daran gewöhnt, nicht mehr zu sprechen, gewöhnte er sich daran, nicht mehr zu lächeln, Athos las mit einem Blick allen diesen Kummer seines treuen Dieners, und sagte mit demselben Tone, dessen er sich bedient hatte, um mit Raoul in seinem Traume zu sprechen:

»Grimaud, nicht wahr, Raoul ist todt?«

Hinter Grimaud horchten die andern Diener bebend, die Augen aus das Bett des Gebieters geheftet.

Sie hörten die furchtbare Frage, und ein erschreckliches Stillschweigen erfolgte darauf.

»Ja,« antwortete der Greis, der diese Einsilbe mit einem heiseren Seufzer aus seiner Brust riß.

Da erhoben sich jammernde Stimmen, seufzten und stöhnten maßlos und erfüllten mit Wehklagen und Gebeten das Zimmer, worin der mit dem Tode ringende Vater mit den Augen das Portrait seines Sohnes suchte.

Das war für Athos wie ein Uebergang, der ihn zu seinem Traum zurückführte.

Ohne einen Schrei auszustoßen, ohne eine Thräne zu vergießen, geduldig, sanft und ergeben, wie die Märtyrer, schlug er seine Augen zum Himmel auf, um hier, sich über dem Gebirge von Gigelli erhebend, den theuren Schatten wiederzusehen, der sich von ihm in dem Augenblick entfernte, wo Grimaud angekommen war.

Indem er zum Himmel emporschaute und seinen wunderbaren Traum wieder ausnahm, kehrte er ohne Zweifel aus denselben Wegen zurück, aus denen ihn kurz zuvor die zugleich so sanfte und so schreckliche Vision geführt hatte; denn nachdem er die Augen halb geschlossen, öffnete er sie wieder und lächelte: er hatte Raoul gesehen, der ihm ebenfalls zulächelte.

Die Hände aus seiner Brust gefaltet, das Gesicht dem Fenster zugewendet, gebadet von der frischen Nachtlust, welche an sein Lager die Arome der Blumen und der Bäume brachte, trat Athos, um nicht mehr daraus hervorzugehen, in die Beschauung des Paradieses ein, das die Lebenden nie sehen.

Ohne Zweifel wollte Gott diesem Auserwählten die Schätze der ewigen Glückseligkeit öffnen, zur Stunde, wo die andern Menschen zittern, streng vom Herrn empfangen zu werden, und sich an dieses Leben, das sie kennen, anklammern, in der Angst vor dem andern Leben, das sie nur bei den düsteren, ernsten Fackeln des Todes erschauen.

Athos wurde geführt durch die reine, klare Seele seines Sohnes, der die väterliche Seele an sich zog. Alles wurde für diesen Gerechten Melodie und Wohlgeruch auf dem rauhen Weg, den die Seelen einschlagen, um in das himmlische Vaterland zurückzukehren.

Nach einer Stunde dieser Entzückung erhob Athos sachte seine Hände, die so weiß wie Wachs, das Lächeln verließ seine Lippen nicht mehr, und er flüsterte so leise, daß man es kaum hörte, die an Gott oder an Raoul gerichteten drei Worte:

»Hier bin ich.«

Und seine Hände fielen langsam, als legte er sie selbst nieder, auf das Bett.

Der Tod war bequem und liebkosend für dieses edle Geschöpf gewesen. Er hatte ihm die schmerzlichen Zuckungen des Todeskampfes, die Convulsionen der letzten Abreise erspart; er hatte mit einem gnädigen Finger dieser großen, seiner ganzen Achtung würdigen Seele die Thore der Ewigkeit geöffnet.

Gott hatte es ohne Zweifel so besohlen, daß die fromme Erinnerung an diesen so sanften Tod im Herzen der Anwesenden und im Gedächtniß der andern Menschen bleibe, die Erinnerung an ein Hinscheiden, das den Uebergang aus diesem Leben in das andere diejenigen lieben läßt, deren Dasein auf dieser Erde das letzte Gericht nicht furchtbar machen kann.

Athos behielt im letzten Schlaf das freundliche, aufrichtige Lächeln, eine Zierde, die ihn in’s Grab begleiten sollte; die Ruhe seiner Züge ließ lange seine Diener bezweifeln, daß er das Leben verlassen.

Die Leute des Grafen wollten Grimaud wegführen, der von fern dieses erbleichende Gesicht verzehrte und sich nicht näherte, in der Furcht, ihm den Hauch des Todes zu bringen. Aber Grimaud, so ermüdet er auch war, weigerte sich, wegzugehen. Er setzte sich auf die Schwelle und hütete seinen Herrn mit der Aufmerksamkeit einer Schildwache, eifersüchtig, seinen ersten Blick beim Erwachen, seinen letzten Seufzer beim Tod zu empfangen.

Die Geräusche erloschen im ganzen Hause, und Jeder ehrte den Schlaf des Herrn. Aber horchend bemerkte Grimaud, daß der Graf nicht mehr athmete.

Er erhob sich, seine Hände auf den Boden gestützt, und schaute von seinem Platze aus, ob nicht ein Beben im Leibe seines Herrn erwachen würde.

Nichts! die Angst erfaßte ihn, er stand ganz auf, und in demselben Augenblick hörte er auf der Treppe gehen; ein Geräusch von Sporen, an die ein Degen stieß, ein kriegerischer, seinen Ohren vertrauter Ton, hielt ihn zurück, als er aus das Bett von Athos zugehen wollte.

Eine Stimme, welche noch stärker vibrirte, als das Kupfer und der Stahl, ertönte drei Schritte von ihm.

»Athos! Athos! mein Freund!« rief diese bis zu Thränen bewegte Stimme.

»Der Herr Chevalier d’Artagnan!« stammelte Grimaud.

»Wo ist er?» fragte der Musketier.

Grimaud faßte ihn mit seinen knochigen Fingern beim Arm und deutete aus das Bett, aus dessen Tüchern die Bleifarbe des Leichnams sich hervorhob.

Ein keuchender Athem, das Gegentheil eines schrillen Schreis, schwellte die Kehle von d’Artagnan an.

Er näherte sich aus den Fußspitzen, bebend, erschrocken über das Geräusch, das seine Tritte auf dem Boden machten, und das Herz zerrissen durch eine namenlose Bangigkeit. Er hielt sein Ohr an die Brust des Grafen, sein Gesicht an den Mund von Athos, Kein Hauch mehr. D’Artagnan wich zurück.

Für Grimaud, der ihm mit den Augen gefolgt, war jede seiner Bewegungen eine Offenbarung gewesen; schüchtern setzte er sich unten an das Bett und drückte seine Lippen auf das Tuch, das die erstarrten Füße seines Herrn aufhoben.

Da sah man schwere Thränen seinen Augen entstürzen.

Dieser Greis in Verzweiflung, der niedergebeugt so bitterlich weinte, ohne ein Wort vorbringen zu können, war das ergreifendste Schauspiel, das d’Artagnan in seinem an Gemüthsbewegungen so reichen Leben getroffen.

Der Musketier blieb in Betrachtung vor dem lächelnden Todten stehen, der seinen letzten Gedanken behalten zu haben schien, um seinem besten Freund, dem Mann, den er nach Raoul am meisten geliebt, einen freundlichen Empfang selbst jenseits des Lebens zu Theil werden zu lassen, und als wollte er diese erhabene Schmeichelei der Gastfreundschaft erwiedern, küßte der Musketier Athos aus die Stirne und schloß ihm mit seinen zitternden Fingern die Augen.

Dann setzte er sich oben an das Bett, ohne Furcht vor diesem Todten, der fünf und dreißig Jahre so sanft und so wohlwollend gegen ihn gewesen war; er nährte sich gierig mit den Erinnerungen, die das edle Gesicht des Grafen in Menge in seinem Geiste wiederbelebte, die einen blühend und reizend wie dieses Lächeln, die andern düster und eisig wie dieses Gesicht mit den von der Ewigkeit geschlossenen Augen.

Die bittere Woge, welche von Minute zu Minute stieg, überströmte plötzlich sein Herz und zerbrach seine Brust. Unfähig, die Bewegung in seinem Innern zu bewältigen, stand er auf, entriß sich ungestüm diesem Zimmer, wo er todt denjenigen gefunden, welchem er die Kunde vorn Tode von Porthos überbringen sollte, und brach in so herzzerreißendes Schluchzen aus, daß die Diener, welche nur aus einen solchen Ausbruch des Schmerzes zu warten schienen, daraus durch ihr Jammergeschrei und die Hunde des Herrn durch ihr klägliches Geheul antworteten.

Grimaud war der Einzige, der die Stimme nicht erhob. Selbst im Paroxismus des Schmerzes hätte er es nicht gewagt, den Tod zu entweihen oder zum ersten Male seinen Herrn im Schlafe zu stören. Athos hatte ihn überdies daran gewöhnt, nie zu sprechen.

 

D’Artagnan, der im untern Saale, sich aus die Fäuste beißend, um seine Seufzer zu unterdrücken, umhergeirrt war, stieg bei Tagesanbruch abermals die Treppe hinaus, lauerte auf den Augenblick, wo Grimaud den Kopf gegen ihm umdrehen würde und winkte ihn zu sich; der treue Diener gehorchte ohne mehr Geräusch zu machen, als ein Schatten.

D’Artagnan ging, von Grimaud gefolgt, wieder hinab.

Als sie im Vorhause waren, ergriff er die Hände des Greises und sprach zu ihm:

»Ich habe gesehen, wie der Vater gestorben ist, erzähle mir nun den Tod des Sohnes.«

Grimaud zog aus seinem Busen einen großen Brief, auf dessen Umschlag die Adresse von Athos stand. D’Artagnan erkannte die Handschrift von Herrn von Beaufort, erbrach das Siegel und las bei den ersten Strahlen des Tages, in der düsteren Allee alter Kastanienbäume auf- und abschreitend, auf deren Boden noch die Spuren von den Tritten des in der Nacht gestorbenen Grafen sichtbar waren.

XXXIII.
Bulletin

Der Herzog von Beaufort schrieb an Athos. Der für den Mann bestimmte Brief gelangte nur an den Todten. Gott veränderte die Adresse:

»Mein lieber Graf,« schrieb der Prinz mit seiner großen Handschrift eines ungeschickten Schülers, »ein schweres Unglück trifft uns mitten in einem großen Triumph. Der König verliert einen seiner bravsten Soldaten. Ich verliere einen Freund. Ihr verliert Herrn von Bragelonne.

»Er ist glorreich gestorben, so glorreich, daß ich nicht die Kraft habe, zu weinen, wie ich gern möchte.

»Empfangt meine traurigen Complimente, lieber Graf. Der Himmel vertheilt unter uns die Prüfungen je nach der Größe des Herzens. Diese ist ungeheuer, nicht über Eurem Muth.

»Euer Freund,

»Der Herzog von Beaufort.«

Der Brief enthielt einen von einem der Secretäre des Herzogs geschriebenen Bericht. Es war die rührendste und wahrste Erzählung von dieser traurigen Episode, welche zwei Existenzen auflöste.

An die Bewegungen der Schlacht gewöhnt, das Herz gepanzert gegen die Rührungen, konnte sich d’Artagnan des Bebens nicht erwehren, als er den Namen von Raoul, den Namen dieses theuren Kindes las, das, wie sein Vater, ein Schatten geworden.

»Am Morgen,« sagte der Secretär des Prinzen, »gab Monseigneur der Herzog Befehl zum Angriff. Normandie und Picardie hatten ihre Stellung in den grauen Felsen genommen, welche von dem Berge beherrscht werden, auf dessen Abhang sich die Basteien von Gigelli erbeben.

»Die Kanonen fingen an zu donnern; das Treffen entspann sich; die Regimenter marschirten voll Entschlossenheit; die Pikeniere hatten die Pike hoch; die Musketiere hatten das Gewehr im Arm. Der Prinz folgte aufmerksam dem Marsche und der Bewegung der Truppen, die er mit einer starken Reserve zu unterstützen bereit war.

In der Umgebung von Monseigneur waren seine ältesten Kapitäne und seine Adjutanten. Der Herr Vicomte von Bragelonne hatte den Befehl erhalten, Seine Hoheit nicht zu verlassen.

»Das Geschütz des Feindes, das Anfangs gleichgültig gegen die Massen gedonnert, hatte indessen sein Feuer geregelt und besser gelenkt, tödteten die Kugeln einige Leute um den Prinzen. Die Regimenter, welche in Colonnen gegen die Wälle vorrückten, wurden ein wenig mißhandelt. Es trat ein Zaudern aus Seiten unserer Truppen ein, die sich von unserer Artillerie schlecht unterstützt sahen. Die Batterien, welche man am Tage vorher errichtet halte, schoßen in der That nur schwach und unsicher, in Folge ihrer Stellung, Die Richtung von unten nach oben schadete der Richtigkeit der Schüsse und der Tragweite.

»Die schlechte Wirkung dieser Stellung des Belagerungsgeschützes begreifend, befahl Monseigneur den in der kleinen Rhede vor Anker liegenden Fregatten, ein regelmäßiges Feuer gegen den Platz zu eröffnen.

»Um diesen Befehl zu überbringen, bot sich zuerst Herr von Bragelonne an, Monseigneur weigerte sich aber, die Bitte des Vicomte zu bewilligen.

»Monseigneur hatte Recht, weil er diesen jungen Mann liebte und schonen wollte; er hatte Recht, und das Ereigniß übernahm es, seine Vorhersehung und seine Weigerung zu rechtfertigen, denn kaum war der Sergent, welchen der Herzog mit der von Herrn von Bragelonne erbetenen Botschaft beauftragt hatte, an den Rand des Meeres gekommen, als ihn zwei Stutzbüchsenschüsse aus den Reihen der Feinde niederschmetterten.

»Der Sergent fiel aus den nassen Sand, der sein Blut trank.

»Als Herr von Bragelonne dies sah, lächelte er gegen Monseigneur, und dieser sagte zu ihm:

»»Ihr seht, Vicomte, ich rette Euch das Leben. Theilt das später dem Herrn Grafen de la Fère mit, daß er, wenn er es von Euch erfährt, mir Dank wisse.««

»Der junge Herr lächelte traurig und erwiederte: »»Es ist wahr, Monseigneur, ohne Euer Wohlwollen wäre ich dort getödtet worden, wo der arme Sergent gefallen ist und nun in großer Ruhe liegt.«

»Herr von Bragelonne gab diese Antwort mit einer solchen Miene, daß Monseigneur rasch ausrief:

»»Wahrhaftiger Gott! junger Mann, man sollte glauben, das Wasser laufe Euch im Munde zusammen; aber bei der Seele Heinrich IV., ich habe Eurem Vater versprochen, Euch lebendig zurückzubringen, und werde, wenn es Gott gefällt, mein Wort halten!««

»Herr von Bragelonne erröthete und sagte mit leiser Stimme:

»»Monseigneur, ich bitte, verzeiht mir; ich habe immer den Wunsch gehabt, Gelegenheit und Vorfälle aufzusuchen, und es ist süß, sich vor seinem General auszuzeichnen, besonders wenn dieser General der Herzog von Beaufort ist.««

»Monseigneur besänftigte sich ein wenig und gab, indem er sich an seine Officiere wandte, die sich um ihn her drängten, verschiedene Befehle.

»Die Grenadiere der zwei Regimenter kamen nahe genug an die Gräben und Verschanzungen, um hier ihre Granaten zu schleudern, doch diese brachten eine geringe Wirkung hervor,

»Herr d’Estrées, der die Flotte commandirte, hatte indessen den Versuch des Sergenten, in die Nähe der Schiffe zu kommen, gesehen und begriff, daß er ohne Befehl schießen und das Feuer eröffnen mußte.

»Als sich die Araber nun durch die Kugeln der Flotte und durch die Trümmer ihrer schlechten Mauern getroffen und niedergeschmettert sahen, stießen sie furchtbare Schreie aus.

»Ihre Reiter sprengten, auf ihre Sättel gebückt, im Galopp den Berg herab und warfen sich mit aller Gewalt aus die Infanteriecolonnen, doch diese kreuzten ihre Piken und hielten den ungestümen Anlauf aus. Zurückgetrieben durch die feste Haltung des Bataillon, warfen sich die Araber mit der größten Wuth auf den Generalstab, der in diesem Augenblick nicht bewacht war.

»Die Gefahr war groß: Monseigneur zog den Degen, seine Secretäre und seine Leute ahmten ihn nach; die Officiere von seiner Suite ließen sich in einen Kampf mit diesen Wüthenden ein.

»Nun konnte Herr von Bragelonne die Lust, die er seit dem Anfang des Treffens kundgab, befriedigen. Er kämpfte in der Nähe des Prinzen mit der Tapferkeit eines Römers und tödtete drei Araber mit seinem kleinen Degen.

»Doch seine Tapferkeit rührte sichtbar nicht von einem allen Kämpfenden natürlichen Gefühle des Stolzes her. Sie war stürmisch, absichtlich, sogar erzwungen: er suchte sich mit dem Lärmen und der Metzelei zu berauschen.

»Er erhitzte sich dergestalt, daß ihm Monseigneur zurief, er sollte inne halten.

»Er mußte die Stimme Seiner Hoheit hören, da wir sie hörten, wir, die wir an seiner Seite waren. Er hielt aber nicht inne und sprengte immer weiter gegen die Verschanzungen.

»Da Herr von Bragelonne ein sehr botmäßiger Officier war, so setzte dieser Ungehorsam gegen die Befehle von Monseigneur alle Welt in Erstaunen, und Herr von Beaufort rief ihm dringlich zu:

»»Haltet, Bragelonne! Wohin geht Ihr? Haltet ein, ich befehle es Euch!««

»Die Geberde des Herrn Herzogs nachahmend, hatten wir Alle die Hand ausgehoben. Wir erwarteten, daß der Reiter sein Pferd umwenden würde, doch Herr von Bragelonne rannte unaufhaltsam gegen die Palissaden fort.

»»Haltet ein!«« wiederholte der Prinz mit sehr starker Stimme, »»haltet ein, Bragelonne, im Namen Eures Vaters!»«

»Bei diesen Worten wandte sich Herr von Bragelonne um; sein Gesicht drückte einen lebhaften Schmerz aus, aber er hielt nicht an; wir dachten nun, sein Pferd reiße ihn fort.

»Als dem Herzog auch der Gedanke gekommen war, der Vicomte sei nicht mehr Herr seines Rosses, und er ihn an den ersten Grenadieren hatte vorbeijagen sehen, rief Seine Hoheit:

»»Musketiere, tödtet sein Pferd! Hundert Pistolen dem, der sein Pferd niederstreckt!»«

»Aber aus das Pferd zu schießen, ohne den Reiter zu treffen, wer hätte das hoffen können? Keiner wagte es. Endlich trat Einer auf: es war ein vortrefflicher Schütze vom Regiment Picardie, genannt die Luzerne; er legte aus das Thier an, schoß und traf es in das Kreuz, denn man sah das Blut die weißen Haare des Pferdes röthen. Nur, statt zu fallen, jagte das verdammte Roß noch wüthender fort.

»Ganz Picardie, das den unglücklichen Mann dem Tod entgegenlaufen sah, rief aus vollem Halse: »»Werft Euch hinab, Vicomte, hinab, hinab, werft Euch hinab!««

»Herr von Bragelonne war ein beim ganzen Heere sehr beliebter Mann.

»Schon war der Vicomte auf einen Pistolenschuß zum Wall gekommen; eine Salve ging los und umhüllte ihn mit Rauch und Feuer. Wir verloren ihn aus dem Blick; als sich der Rauch zerstreut hatte, sah man ihn zu Fuß, aufrecht stehend; sein Pferd war getödtet worden.

»Der Vicomte wurde von den Arabern aufgefordert, sich zu ergeben; aber er machte ihnen mit dem Kopfe ein verneinendes Zeichen und schritt aus die Palissaden zu.

»Das war eine tödtliche Unklugheit. Doch die ganze Armee wußte ihm Dank, daß er nicht zurückwich, da ihn das Unglück so nahe hinzu geführt hatte. Er ging noch einige Schritte, und die zwei Regimenter klatschten in die Hände.

»In diesem Augenblick erschütterte die zweite Salve abermals die Mauern, und der Vicomte verschwand zum zweiten Male im Wirbel; aber diesmal mochte sich der Rauch immerhin zerstreuen, wir sahen ihn nicht mehr stehen: er lag, den Kopf niedriger als die Beine, auf dem Heidekraut, und die Araber waren im Begriff, aus ihren Verschanzungen herausgeben zu wollen, um ihm den Kopf abzuschneiden oder, seinen Leib zu nehmen, wie es der Gebrauch bei den Ungläubigen ist.

»Doch Seine Hoheit Monseigneur der Herzog von Beaufort halle dies Alles mit dem Blicke verfolgt, und dieses große Schauspiel halte ihm schwere, schmerzliche Seufzer entrissen. Er rief daher, als er die Araber wie weiße Gespenster unter den Mastirbäumen umherlaufen sah:

»»Grenadiere, Pikeniere, wollt Ihr sie diesen edlen Leib fortschleppen lassen?««

»Bei diesen Worten schwang er sein Schwert und sprengte selbst auf den Feind zu. Die Regimenter eilten seiner Spur nach und stießen dabei Schreie aus, welche so furchtbar, als die der Araber wild waren,

»Der Kampf begann gleichsam auf dem Körper des Vicomte und war so erbittert, daß hundert und sechzig Araber neben wenigstens fünfzig von unseren Leuten todt aus dem Platze blieben.

»Ein Lieutenant von Normandie focht, den Körper des Vicomte auf seinen Schultern, und brachte ihn in unsere Reihen zurück.

»Man verfolgte indessen den Vortheil; die Regimenter nahmen die Reserve mit sich, und die feindlichen Palissaden wurden niedergerissen.

»Um drei Uhr verstummte das Feuer der Araber; der Kampf mit blanken Waffen dauerte zwei Stunden; das war eine Schlächterei.

»Um fünf Uhr waren wir Sieger auf allen Punkten; der Feind hatte seine Stellungen verlassen, und der Herr Herzog hatte die weiße Fahne auf dem höchsten Punkte des Berges auspflanzen lassen.

»Nun konnte man an Herrn von Bragelonne denken, der acht schwere Wunden auf dem Leib und beinahe alles Blut verloren hatte.

»Er athmete indessen noch, was eine unaussprechliche Freude Monseigneur gewährte, welcher dem ersten Verbande des Vicomte und der Berathung der Wundärzte beiwohnen wollte.

»Zwei von ihnen erklärten, Herr von Bragelonne würde leben. Monseigneur fiel ihnen um den Hals und versprach Jedem tausend Louisd’or, wenn sie ihn retteten.

»Der Vicomte hörte diesen Ausbruch freudigen Entzückens, und, verzweifelte er nun, oder schmerzten ihn seine Wunden, seine Physiognomie drückte einen lebbaften Verdruß aus, was viel zu denken gab, besonders einem von den Secretären, als er gehört hatte, was folgen wird.

»Der dritte Wundarzt, der kam, war der Bruder Sylvain von Saint-Cosme, der Gelehrteste von den Unseren. Er untersuchte die Wunden ebenfalls und sagte nichts.

»Herr von Bragelonne öffnete seine starren Augen und schien jede Bewegung, jeden Gedanken des gelehrten Arztes zu erforschen.

 

»Von Monseigneur befragt, antwortete dieser, er sehe wohl drei tödtliche Wunden unter den acht, aber die Constitution des Verwundeten sei so kräftig, die Jugend so fruchtbar, die Barmherzigkeit des gütigen Gottes so groß, daß Herr von Bragelonne vielleicht davon kommen würde, unter der Bedingung indessen, daß er keine Bewegung machte.

»Bruder Sylvain wandte sich an seine Gehilfen und fügte bei:

»Rührt ihn besonders nicht mit dem Finger an, sonst werdet Ihr ihn tödten.««

»Und wir verließen das Zelt insgesamt mit ein wenig Hoffnung.

»Dieser Secretär, als er wegging, glaubte ein bleiches, trauriges Lächeln über die Lippen des Vicomte gleiten zu sehen, als der Herzog mit liebkosendem Ton zu ihm sagte:

»Oh! Vicomte, wir werden Dich retten!«

»Am Abend, da man glaubte, der Kranke müßte ausgeruht haben, trat einer der Gehilfen in das Zelt des Vicomte und kam sogleich unter heftigen Schreien wieder heraus.

»Wir liefen Alle in Verwirrung herbei, der Herr Herzog mit uns, und der Gehilfe zeigte uns den Leib des Herrn von Bragelonne, der unten vor dem Bette auf dem Boden, im Reste seines Blutes gebadet, ausgestreckt lag.

»Es scheint, er hatte Konvulsionen, fieberhafte Bewegungen gehabt, und war herausgefallen; der Sturz, den er gethan, hatte, nach der Vorhersagung des Bruder Sylvain, sein Ende beschleunigt.

»Man hob den Vicomte auf; er war kalt und todt. Er hielt eine blonde Haarlocke in der rechten Hand, und diese Hand war krampfhaft an sein Herz gepreßt.«

Hier folgten die einzelnen Umstande der Expedition und des über die Araber davon getragenen Sieges.

D’Artagnan hielt bei der Erzählung vom Tode des armen Raoul inne.

»Oh!« murmelte er, »unglückliches Kind! ein Selbstmord!«

Und er wandte die Augen nach dem Zimmer des Schlosses, wo der Graf den ewigen Schlaf schlief, und sprach leise:

»Sie haben sich Wort gehalten. Nun finde ich sie glücklich: sie müssen wiedervereinigt sein.«

Und mit langsamen Schritten ging er nach dem Blumengarten.

Die ganze Straße, die ganze Gegend füllten sich schon mit Nachbarn; in Thränen zerfließend, erzählten sie einander die doppelte Katastrophe und trafen dann Anstalten zum Leichenbegängniß.