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Der Graf von Bragelonne

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XXIII.
Die Freunde von Herrn Fouquet

Der König war nach Paris zurückgekehrt und mit ihm d’Artagnan; dieser hatte in vier und zwanzig Stunden aus Belle-Isle alle Erkundigungen eingezogen, ohne das Geheimniß zu ergründen, das so gut der Felsen von Locmaria, das Heldengrab von Porthos, bewahrte.

Der Kapitän der Musketiere wußte nur das, was diese muthigen Männer, diese zwei Freunde, deren Vertheidigung er so edel übernommen, denen er das Leben zu retten versucht, unterstützt von drei getreuen Bretanniern gegen eine ganze Armee vollführt hatten. Er hatte, aus die benachbarte Einöde hinausgeschleudert, die menschlichen Ueberreste sehen können, welche mit Blut die im Heidekraut zerstreuten Kiesel befleckt.

Er wußte auch, daß man fern im Meere eine Barke erblickt, und daß einem Raubvogel ähnlich ein königliches Schiff dieses arme Vögelchen, das mit der größten Eile flog, verfolgt, eingeholt und verschlungen hatte.

Hier aber hörten die Gewißheiten für d’Artagnan aus. Das Feld der Muthmaßungen öffnete sich bei dieser Grenze. Was sollte man nun denken? Das Schiff war nicht zurückgekehrt. Allerdings herrschte seit drei Tagen ein heftiger Wind, doch die Corvette war zugleich eine gute Seglerin und solid in ihrem Bau; sie hatte nicht bange vor den Windstößen, und diejenige, welche Aramis trug, hätte, nach der Schätzung von d’Artagnan, nach Brest zurückgekehrt oder in die Mündung der Loire eingelaufen sein müssen.

Dies waren die schwankenden, aber für ihn persönlich etwas beruhigenden Nachrichten, welche d’Artagnan Ludwig XIV. brachte, als der König, gefolgt von seinem ganzen Hose, nach Paris zurückkehrte.

Zufrieden mit dem Erfolg seines Verfahrens, hatte Ludwig, sanfter und leutseliger, seitdem er sich mächtiger fühlte, nicht aufgehört, am Kutschenschlage von Fräulein de la Vallière zu reiten.

Jedermann hatte sich beeifert, die zwei Königinnen zu zerstreuen, um sie diese Vernachlässigung des Sohnes und des Gemahls vergessen zu lassen. Alles lebte in der Zukunft; die Vergangenheit war für Niemand mehr etwas. Nur traf diese Vergangenheit wie eine schmerzliche, blutende Wunde die Herzen einiger zärtlichen, ergebenen Seelen. Der König war nicht sobald wieder bei sich eingezogen, als er einen rührenden Beweis hiervon erhielt.

Ludwig war so eben ausgestanden und hatte sein erstes Mahl eingenommen, als sein Kapitän der Musketiere vor ihm erschien. D’Artagnan war ein wenig bleich und schien angegriffen.

Der König gewahrte mit dem ersten Blick die Veränderung dieses gewöhnlich so gleichmäßigen Gesichtes.

»Was habt Ihr, d’Artagnan?« fragte er.

»Sire, es ist mir ein großes Unglück widerfahren.«

»Mein Gott, was denn?«

»Sire, ich habe einen meiner Freunde, Herrn du Vallon, bei dem Kampfe auf Belle-Isle verloren.«

So sprechend heftete d’Artagnan sein Falkenauge aus Ludwig XIV., um in ihm das erste Gefühl zu errathen, das durchbrechen würde.

»Ich wußte es,« erwiederte der König.

»Ihr wußtet es und habt mir nichts davon gesagt!« rief der Musketier.

»Wozu? Euer Schmerz, mein Freund, ist so ehrwürdig! Ich mußte ihn schonen. Ja, ich wußte, daß Herr du Vallon sich unter den Felsen von Locmaria begraben hatte; ich wußte, daß mir Herr d’Herblay ein Schiff mit seiner Mannschaft genommen hat, um sich nach Bayonne führen zu lassen. Aber ich wollte, daß Ihr diese Ereignisse aus unmittelbarem Wege erführet, damit Ihr überzeugt würdet, meine Freunde seien achtenswerth und heilig für mich, der Mensch in mir werde sich immer den Menschen opfern, da der König so oft genöthigt ist, die Menschen seiner Majestät, seiner Macht zu opfern.«

»Aber, Sire, woher wißt Ihr . . . ?«

»Woher wißt Ihr selbst, d’Artagnan?«

»Durch diesen Brief, Sire, den mir von Bayonne Aramis schreibt, welcher frei und außer Gefahr ist.«

»Seht,« sagte der König, indem er auf seiner Cassette, welche auf einem Meuble in der Nähe des Stuhles stand, auf den sich d’Artagnan stützte, einen Brief zog, welcher genau nach dem von d’Artagnan copirt war. »Hier ist derselbe Brief, den mir Colbert acht Stunden, bevor Ihr den Eurigen erhalten, zugeschickt hat. Ich bin, wie ich hoffe, gut bedient.«

»Ja, Sire,« sprach der Musketier, »Ihr seid der einzige Mensch, dessen Glück im Stande war, das Glück und die Stärke meiner zwei Freunde zu überwältigen. Ihr habt Eure Macht gebraucht, Sire, aber nicht wahr, Ihr werdet sie nicht mißbrauchen?«

»D’Artagnan,« erwiederte der König mit einem Lächeln voll Wohlwollen, »ich könnte Herrn d’Herblay auf dem Gebiete des Königs von Spanien ausheben und ihn lebendig hierher bringen lassen, um Gerechtigkeit an ihm zu üben. D’Artagnan, glaubt mir, ich werde dieser ersten, sehr natürlichen Bewegung nicht nachgeben. Er ist frei, er fahre fort, frei zu sein.«

»Oh! Sire, Ihr werdet nicht immer so mild, so edel, so großmüthig bleiben, als Ihr in Beziehung aus mich und Herrn d’Herblay gewesen seid; Ihr findet in Eurer Nähe Räthe, die Euch von dieser Schwäche heilen werden.«

»Nein, d’Artagnan, Ihr täuscht Euch, wenn Ihr meinen Rath beschuldigt, er wolle mich zur Strenge antreiben. Der Rath, Herrn d’Herblay zu schonen, kommt von Colbert selbst.«

»Ah! Sire,« rief d’Artagnan erstaunt.

»Was Euch betrifft,« fuhr der König mit einer ungewöhnlichen Güte fort, »ich habe Euch mehrere angenehme Nachrichten mitzutheilen; Ihr sollt sie erfahren, sobald ich meine Rechnungen beendigt. Ich sagte Euch, ich wolle und werde Euer Glück machen. Dieses Wort soll zu einer Wirklichkeit werden.«

»Ich danke tausendmal, Sire; ich kann warten. Ich bitte Eure Majestät, während ich gehe und mich in Geduld fasse, sich mit den armen Leuten zu beschäftigen, die seit langer Zeit Euer Vorzimmer belagern und in Demuth eine Supplik zu den Füßen des Königs niederlegen wollen.«

»Wer dies?«

»Feinde Eurer Majestät.«

Der König erhob das Haupt.

»Freunde von Herrn Fouquet,« fügte d’Artagnan bei.

»Ihre Namen?«

»Herr Gourville, Herr Pelisson und ein Dichter, Herr Jean La Fontaine.«

Der König hielt einen Augenblick inne, um nachzudenken.

»Was wollen sie?«

»Ich weiß es nicht.«

»Wie sind sie?«

»In Trauer.«

»Was sagen sie?«

»Nichts.«

»Was thun sie?«

»Sie weinen.«

»Sie mögen eintreten,« sprach der König, die Stirne faltend.

D’Artagnan drehte sich rasch um, hob den Thürvorhang auf, der den Eingang des königlichen Zimmers schloß, und rief in den anstoßenden Saal:

»Führet sie ein.«

Bald erschienen an der Thüre des Cabinets, in dem sich der König und sein Kapitän befanden, die drei von d’Artagnan genannten Männer.

An ihrem Wege herrschte ein tiefes Stillschweigen. Bei Annäherung der Freunde des unglücklichen Oberintendanten der Finanzen wichen die Höflinge zurück, als befürchteten sie, durch die Ansteckung der Ungnade und des Unglücks verdorben zu werden.

D’Artagnan ging ihnen mit raschem Schritte entgegen und nahm diese Unglücklichen bei der Hand, welche an der Thüre des königlichen Cabinets zögerten und zitterten; er führte sie vor den Lehnstuhl des Königs, der sich in eine Fenstervertiefung geflüchtet hatte und, aus den Augenblick der Vorstellung wartend, sich anschickte, den Flehenden einen streng diplomatischen Empfang zu bereiten.

Der erste von den Freunden von Fouquet, welcher vortrat, war Pelisson. Er weinte nicht mehr, doch seine Thränen waren nur vertrocknet, daß der König seine Stimme und sein Flehen besser hören konnte.

Gourville biß sich aus die Lippen, um seine Thränen aus Achtung vor dem König zurückzuhalten. La Fontaine begrub sein Gesicht in seine Hände, und ohne die krampfhafte Bewegung seiner Schultern, welche durch das Schluchzen emporgehoben wurden, hätte man glauben sollen, er lebe nicht.

Der König behauptete seine ganze Würde. Sein Gesicht war unempfindlich. Es behielt sogar das Runzeln der Stirne, das erschienen war, als ihm d’Artagnan seine Feinde angekündigt hatte. Er machte eine Geberde, welche bedeutete: Sprecht, und blieb mit einem tiefen Blick diese drei verzweifelten Menschen beobachtend stehen.

Pelisson verbeugte sich bis zur Erde, und La Fontaine kniete nieder, wie man es in den Kirchen thut.

Dieses hartnäckige Stillschweigen, nur unterbrochen durch schmerzliche Seufzer, fing an, nicht das Mitleid, sondern die Ungeduld des Königs zu erregen.

»Herr Pelisson,« sagte er mit kurzem, trockenem Ton, »Herr Gourville und Sie, mein Herr . . . «

Und er nannte La Fontaine nicht.

»Ich würde es mit fühlbarem Mißvergnügen sehen, wenn Ihr kämet, um eine Bitte für einen der größten Verbrecher einzulegen, den meine Justiz bestrafen muß. Ein König läßt sich nur durch die Thränen und die Reue rühren: durch die Thränen der Unschuld, durch die Reue der Strafbaren. Ich werde weder an die Reue von Herrn Fouquet, noch an die Thränen seiner Freunde glauben, weil der Eine bis in das Herz verdorben ist, und weil die Anderen mich in meinem Hause zu beleidigen befürchten müssen. Deshalb, Herr Pelisson, Herr Gourville und Ihr, mein Herr . . . , deshalb bitte ich Euch, nichts zu sagen, was nicht laut von der Achtung zeugt, die Ihr für meinen Willen habt.«

»Sire,« erwiederte Pelisson, zitternd bei diesen schrecklichen Worten, »wir sind nicht gekommen, um Eurer Majestät irgend Etwas zu sagen, was nicht der Ausdruck der tiefsten Ehrfurcht und der aufrichtigsten Liebe ist, die dem König alle seine Unterthanen schuldig sind. Die Justiz Eurer Majestät ist furchtbar; Jeder muß sich unter den Sprüchen beugen, die sie fällt. Wir verneigen uns ehrerbietigst vor ihr. Fern von uns sei der Gedanke, denjenigen zu vertheidigen, der das Unglück gehabt hat, Eure Majestät zu beleidigen. Derjenige, welcher sich Eure Ungnade zugezogen, kann ein Freund für uns sein, aber er ist ein Feind des Staates. Wir überlassen ihn weinend der Strenge des Königs . . . «

 

»Uebrigens,« unterbrach ihn der König, beruhigt durch diesen flehenden Ton und diese überzeugenden Worte, »übrigens wird ihn mein Parlament richten. Ich schlage nicht, ohne erwogen zu haben. Meine Gerechtigkeit hat nicht das Schwert, ohne die Wagschale gehabt zu haben.«

»Wir hegen auch alles Vertrauen zu dieser Unparteilichkeit des Königs, und wir können hoffen, unsere schwachen Stimmen mit der Beipflichtung Eurer Majestät ertönen zu lassen, wenn die Stunde, einen angeklagten Freund zu vertheidigen, für uns geschlagen hat.«

»Was verlangt Ihr also, meine Herren?« sagte der König mit seiner eindrucksvollen Miene.

»Sire,« erwiederte Pelisson, »der Angeklagte verläßt eine Frau und eine Familie. Das geringe Vermögen, das er hatte, genügt kaum, um seine Schulden zu bezahlen, und Madame Fouquet wird seit der Gefangenschaft ihres Mannes von aller Welt gemieden. Die Hand Eurer Majestät schlägt zugleich mit der Hand Gottes. Schickt der Herr die Wunde des Aussatzes oder der Pest einer Familie, so flieht Jeder und entfernt sich von der Wohnung des Pestkranken oder des Aussätzigen. Zuweilen, aber selten, wagt es ein edelmüthiger Arzt, sich der verfluchten Schwelle zu nähern, überschreitet sie beherzt und setzt sein Leben aus, um den Tod zu bekämpfen. Er ist die letzte Hilfsquelle des Sterbenden, er ist das Werkzeug der himmlischen Barmherzigkeit. Sire, mit gefalteten Händen, aus beiden Knieen flehen wir Euch an, wie man die Gottheit anfleht; Madame Fouquet hat keine Freunde, keine Stützen mehr; sie weint in ihrem armen, verödeten Hause, das von denen verlassen ist, die im Augenblicke der Gunst die Thüre belagerten; sie hat keinen Credit, sie hat keine Hoffnung mehr. Der Unglückliche, auf dem Euer Zorn lastet, empfängt wenigstens, so strafbar er ist, von Euch das Brod, das jeden Tag seine Thränen befeuchten. Ebenso betrübt, mehr entblößt als ihr Gatte, hat Madame Fouquet, diejenige, welcher die Ehre zu Theil geworden ist, Eure Majestät an ihrem Tische zu empfangen, hat Madame Fouquet, die Frau des ehemaligen Oberintendanten der Finanzen, kein Brod mehr.«

Hier wurde die Todesstille, die den Hauch der zwei Freunde von Pelisson fesselte, durch den Ausbruch des Schluchzens unterbrochen, und d’Artagnan, dem die Brust beim Anhören dieser demüthigen Bitte zersprang, drehte sich gegen die Ecke des Cabinets, um in Freiheit aus seinen Schnurrbart zu beißen und seine Seufzer zu unterdrücken.

Der König hatte sein trockenes Auge, sein strenges Gesicht beibehalten; doch die Nöthe war zu seinen Wangen emporgestiegen, und die Dreistigkeit seiner Blicke nahm sichtbar ab.

»Was wünscht Ihr?« fragte er mit bewegter Stimme.

»Sire,« erwiederte Pelisson, den die Rührung allmälig übermannte, »wir wollten Eure Majestät in Demuth bitten, sie möge uns, ohne daß wir uns ihre Ungnade zuziehen, erlauben, Madame Fouquet unter allen ehemaligen Freunden ihres Mannes gesammelte zwei tausend Pistolen zu leihen, damit es der Witwe nicht an den für das Leben nothwendigsten Dingen mangle.«

Bei dem Wort Witwe, von Pelisson ausgesprochen, während Fouquet noch lebte, erbleichte der König im höchsten Grade; sein Stolz sank; das Mitleid kam aus seinem Herzen aus seine Lippen. Er ließ einen gerührten Blick aus alle diese Leute fallen, welche zu seinen Füßen schluchzten.

»Gott verhüte,« sprach er, »daß ich den Unschuldigen mit dem Schuldigen vermenge. Diejenigen kennen mich schlecht, welche an meiner Barmherzigkeit gegen die Schwachen zweifeln. Ich werde immer nur die Frechen schlagen. Thut Alles, meine Herren, was Euch Euer Herz zur Erleichterung des Schmerzes von Madame Fouquet zu thun räth. Geht, meine Herren, geht.«

Die drei Männer erhoben sich stillschweigend und mit trockenem Auge. Die Thränen waren bei der brennenden Berührung ihres Augenlides und ihrer Wange vertrocknet. Sie hatten nicht die Kraft, einen Dank an den König zu richten; dieser schnitt übrigens ihre feierlichen Verbeugungen dadurch kurz ab, daß er sich hinter seinem Lehnstuhl verschanzte.

D’Artagnan blieb allein beim König.

»Gut!« sagte er, indem er sich dem jungen Fürsten näherte, »gut, mein Gebieter! hättet Ihr nicht den Wahlspruch, der Eure Sonne schmückt, so würde ich Euch einen rathen, welchen in das Lateinische zu übersetzen ich Herrn Conrart überließe: Sanft gegen den Kleinen, hart gegen den Starken.«

Der König lächelte und ging in das anstoßende Zimmer, nachdem er zu d’Artagnan gesagt:

»Ich gebe Euch den Urlaub, den Ihr nöthig haben müßt, um die Angelegenheiten des seligen Herrn du Vallon, Eures Freundes, in Ordnung zu bringen.«

XXIV.
Das Testament von Porthos

In Pierrefonds war Alles in Trauer. Die Höfe waren verödet, die Ställe geschlossen, die Blumenbeete vernachlässigt.

In dem Bassin hörten die Wasserstrahle, die kaum zuvor noch so geräuschvoll und glänzend, von selbst zu springen aus.

Auf den Wegen um das Schloß her kamen einige ernste Personen aus Mauleseln oder auf Pachthofkleppern herbei. Das waren die Nachbarn vom Lande, die Beamten und die Pfarrer der angrenzenden Güter.

Alle diese Leute zogen schweigsam in das Schloß ein, übergaben ihre Thiere einem verdrießlichen Stallknecht und wandten sich, geführt von einem schwarz gekleideten Jäger, nach einem großen Saal, wo sie aus der Schwelle Mousqueton empfing.

Mousqueton war seit zwei Tagen dergestalt abgemagert, daß seine Kleider sich auf ihm bewegten, wie jene zu weiten Scheiden, in denen die Degenklingen tanzen.

Weiß und roth gefleckt, wie das der Madonna von Van Dyck, war sein Gesicht von zwei silbernen Bächen durchfurcht, die ihr Bett in seinen Wangen gruben, welche einst so voll, als sie seit seiner Trauer schlaff waren.

Bei jedem neuen Besuch fand Mousqueton neue Thränen, und man bekam Mitleid, wenn man sah, wie er seine Kehle mit seiner schweren Hand zusammenpreßte, um das Schluchzen nicht ausbrechen zu lassen.

Alle diese Besuche hatten die für diesen Tag angekündigte Lesung des Testaments zum Zweck, dem alle Lüsternheiten und alle Freundschaften des Todten, der keinen Verwandten hinterließ, beiwohnen wollten.

Die Besuche nahmen Platz, wie sie ankamen, und der Saal wurde geschlossen, als die Mittagsstunde, aus welche die Lesung anberaumt war, geschlagen hatte.

Der Anwalt von Porthos, dies war natürlich der Nachfolger von Meister Coquenard, fing damit an, daß er langsam das umfangreiche Pergament entwickelte, auf das die mächtige Hand von Porthos seinen letzten Willen geschrieben hatte.

Als das Siegel erbrochen, als die Brille aufgesteckt war, als das vorläufige Husten ertönt hatte, spitzte Jeder das Ohr: Mousqueton hatte sich in eine Ecke gekauert, um besser zu weinen, um weniger zu hören.

Plötzlich öffneten sich die zwei Flügel der Thüre, die man geschlossen hatte, wie durch ein Wunder, und eine männliche Gestalt erschien im lebhaftesten Lichte der Sonne aus der Schwelle.

Es war d’Artagnan; allein bis an die Thüre gekommen, hatte er, da er Niemand gefunden, um ihm den Steigbügel zu halten, sein Pferd an dem Klopfer angebunden und kündigte sich selbst an.

Die Helle des Tages überströmte den Saal, das Gemurmel der Anwesenden und, mehr als dies Alles, der Instinct des treuen Hundes entrissen Mousqueton seinen Träumereien. Er schaute empor, erkannte den alten Freund seines Herrn und umfing, heulend vor Schmerz und die Platten mit seinen Thränen benetzend, die Kniee des Musketiers.

D’Artagnan hob den armen Intendanten aus, umarmte ihn wie einen Freund, und nachdem er die Versammlung, die sich seinen Namen flüsternd verbeugte, mit edlem Anstand gegrüßt hatte, setzte er sich an das Ende des großen Saales von geschnitztem Eichenholz, wobei er Mousqueton, der vor Schluchzen beinahe erstickte und sich aus den Fußtritt setzte, beständig bei der Hand hielt.

Bewegt wie die Anderen, begann nun der Anwalt die Lesung.

Nach einem äußerst christlichen Glaubensbekenntniß, bat Porthos seine Feinde um Verzeihung wegen des Unrechts, das er ihnen möglicher Weise zugefügt.

Bei diesem Paragraph entzündete sich ein Strahl unaussprechlichen Stolzes in den Augen von d’Artagnan. Er erinnerte sich des alten Soldaten. Er berechnete die Zahl aller Feinde von Porthos, die er mit seiner mächtigen Hand niedergeschmettert, und sagte sich, Porthos habe weise daran gethan, daß er diese Feinde und das Unrecht, das er ihnen zugefügt, nicht einzeln aufgeführt, die Arbeit wäre sonst für den Leser zu beschwerlich gewesen.

Dann kam folgende Auszählung:

»Ich besitze zu dieser Stunde durch die Gnade Gottes:

»1. Das Gut Pierrefonds, Felder, Gehölze, Wiesen, Wasser, Forste, umgeben von guten Mauern.

»2. Das Gut Bracieux, Schloß, Waldungen, Ackerland, drei Pachthöfe bildend;

»3. Das Gütchen du Vallon, so genannt, weil es im Vallon liegt.«

Braver Porthos!

»4. Fünf Meiereien in der Touraine, fünf hundert Morgen umfassend;

»5. Drei Mühlen am Char, mit einem Ertrag von sechshundert Livres jede;

»6. Drei Teiche im Berry, mit einem Ertrag von zweihundert Livres jeder;

»Was die bewegliche Habe betrifft, so genannt, weil man sie bewegen kann, wie es so gut mein gelehrter Freund, der Bischof von Vannes, erklärt . . . «

D’Artagnan schauerte bei der traurigen Erinnerung an diesen Namen.

Der Anwalt fuhr unstörbar fort:

»Sie besteht:

»1. In Meubles, die ich aus Mangel an Raum hier nicht einzeln aufführen kann: sie finden sich in allen meinen Schlössern und Häusern, und der Intendant hat ein Verzeichnis davon abgefaßt.«

Jeder wandte die Augen gegen Mousqueton, der sich in seinen Schmerz versenkte.

»2. In zwanzig Reit- und Wagenpferden, die ich besonders in meinem Schlosse Pierrefonds habe; sie heißen: Bayard, Roland, Charlemagne, Pipin, Dunois, La Hire, Ogier, Simson, Milon, Nimrod, Urgande, Armide, Falstrade, Dalila, Rebecca, Yolande, Finette, Grisette, Lisette und Musette;

»3. In sechzig Hunden sechs Equipagen bildend, welche abgetheilt sind, wie folgt: Die erste für den Hirsch, die zweite für den Wolf, die dritte für das Wildschwein, die vierte für den Hasen, und die zwei anderen für das Stehen oder für den Schutz.

»4. In Waffen und Gewehren für den Krieg und die Jagd, in der Waffengallerie enthalten;

»5. Meine Anjou-Weine, für Athos gewählt, der sie einst liebte, meine Weine von Burgund, Champagne, Bordeaux und Spanien in acht Speisegewölben und zwölf Kellern, in meinen verschiedenen Häusern liegend;

»6. Meine Gemälde und Statuen, welche, wie man behauptet, einen großen Werth haben und zahlreich genug sind, um das Auge zu ermüden;

»7. Meine Bibliothek, bestehend aus sechs tausend ganz neuen Bänden, die man nie geöffnet;

»8. Mein Silbergeschirr, das vielleicht ein wenig abgenutzt ist, aber tausend bis zwölf hundert Pfund wägen muß, denn ich konnte nur mit großer Mühe die Kiste, die dasselbe enthielt, aufheben, und machte, indem ich sie trug, nur sechsmal die Runde in meinem Zimmer;

»9. Alle diese Gegenstände sind nebst Tafelzeug und Service in den Häusern, die ich am meisten liebte, vertheilt.«

Hier hielt der Leser inne, um Athem zu schöpfen. Jeder seufzte, hustete und verdoppelte seine Aufmerksamkeit. Der Anwalt fuhr fort:

»Ich habe ohne Kinder gelebt und werde wahrscheinlich keine bekommen, was ein brennender Schmerz für mich ist. Doch ich täusche mich, denn ich habe einen Sohn in Gemeinschaft mit meinem andern Freunde; das ist Herr Raoul Auguste Jules von Bragelonne, der wahre Sohn des Herrn Grafen de la Fère.

»Dieser junge Herr hat mir würdig geschienen, den drei tapferen Edelleuten nachzufolgen, deren Freund und ergebenster Diener ich bin.«

Hier vernahm man ein scharfes Geräusch. Es rührte vom Degen von d’Artagnan her, der aus dem Gehenk schlüpfend aus den schallenden Boden gefallen war. Alle Anwesenden wandten die Blicke nach dieser Seite, und man sah, daß eine große Thräne von den dicken Augenwimpern von d’Artagnan auf seine Adlernase gerollt war, deren leuchtende Anhöhe wie ein in der Sonne entflammter Halbmond glänzte.

»Deshalb habe ich,« fuhr der Anwalt fort, »meine ganze bewegliche und unbewegliche, in obiger Auszählung begriffene Habe dem Herrn Vicomte Raoul Auguste Jules von Bragelonne, dem Sohne des Herrn Grafen de la Fère, vermacht, um ihn in dem Kummer zu trösten, den er zu haben scheint, und um ihn in den Stand zu setzen, glorreich seinen Namen zu führen.«

Ein langes Gemurmel durchlief die Versammlung.

Unterstützt durch das flammende Auge von d’Artagnan, welches die Versammlung durchlaufend das Stillschweigen wiederherstellte, fuhr der Anwalt fort:

»Unter der Bedingung für den Herrn Vicomte von Bragelonne, daß er dem Herrn Chevalier d’Artagnan, dem Kapitän der Musketiere, gibt, was genannter Herr Chevalier d’Artagnan von meiner Habe verlangen wird.

 

»Unter der Bedingung für den Herrn Vicomte von Bragelonne, daß er eine gute Pension dem Herrn Chevalier d’Herblay, meinem Freunde, zufließen läßt, sollte dieser in der Verbannung zu leben genöthigt sein.

»Unter der Bedingung für den Herrn Vicomte von Bragelonne, daß er diejenigen von meinen Dienern unterhält, welche zehn Jahre bei mir im Dienste gewesen sind, und den Anderen jedem fünf hundert Livres gibt.

»Ich vermache meinem Intendanten Mousqueton alle meine Stadt-, Kriegs- und Jagdanzüge, sieben und vierzig an der Zahl, in der sichern Voraussetzung, er werde sie aus Liebe für mich und zum Andenken an mich tragen, bis sie abgenutzt sind.

»Ferner vermache ich dem Herrn Vicomte von Bragelonne meinen alten Diener und treuen Freund, den erwähnten Mousqueton, mit dem Austrage für den genannten Vicomte von Bragelonne, so zu handeln, daß Mousqueton sterbend erkläre, er habe nie aufgehört, glücklich zu sein.«

Als Mousqueton diese Worte hörte, verbeugte er sich bleich und zitternd; seine breiten Schultern bebten krampfhaft; sein Gesicht, welches das Gepräge eines furchtbaren Schmerzes an sich trug, kam aus seinen eisigen Händen hervor, und die Anwesenden sahen ihn straucheln, zögern, als ob er in der Absicht, das Zimmer zu verlassen, eine Richtung suchte.

»Mousqueton, mein Freund,« sprach d’Artagnan, »trefft Eure Anstalten, ich nehme Euch mit zu Athos, zu dem ich mich von Pierrefonds aus begebe.«

Mousqueton erwiederte nichts. Er athmete kaum, als müßte ihm fortan Alles in diesem Saale fremd sein. Er öffnete die Thüre und verschwand langsam.

Der Anwalt vollendete die Lesung, woraus getäuscht, aber voll Achtung, die Mehrzahl von den Leuten wegging, welche um den letzten Willen von Porthos anzuhören gekommen waren.

Als d’Artagnan, nachdem er die ceremoniöse Verbeugung des Anwalts empfangen hatte, allein war, bewunderte er die tiefe Weisheit des Testirers, welcher so richtig sein Gut dem Würdigsten, den Dürftigsten mit Zartheiten zugetheilt hatte, welche Niemand unter den feinsten Höflingen, unter den edelsten Herzen so vollkommen hätte finden können.

Porthos beauftragte in der That Raoul von Bragelonne, d’Artagnan Alles zu geben, was dieser verlangen würde. Er wußte es wohl, der würdige Porthos, d’Artagnan würde nichts verlangen, und im Falle er etwas verlangt hätte, machte ihm Niemand, außer ihm selbst, seinen Theil.

Porthos hinterließ eine Pension Aramis, der, wenn er Lust gehabt hätte, zu viel zu verlangen, durch das Beispiel von d’Artagnan zurückgehalten worden wäre; und das Wort Verbannung, vom Testirer ohne eine scheinbare Absicht hingeworfen, war es nicht die mildeste, die ausgesuchteste Kritik des Benehmens von Aramis, der den Tod von Porthos verursacht hatte?

Endlich war Athos im Testament des Todten nicht erwähnt. Konnte dieser in der That vermuthen, der Sohn würde nicht den besten Theil dem Vater anbieten? Der plumpe Verstand von Porthos hatte alle diese Ursachen beurtheilt, alle diese Nuancen erfaßt, besser als das Gesetz, besser als der Gebrauch, besser als der Geschmack.

»Porthos war ein Herz,« sagte d’Artagnan mit einem Seufzer zu sich selbst.

Und es kam ihm vor, als hörte er ein Stöhnen am Plafond. Er dachte sogleich an den armen Mousqueton, den man von seinen Schmerzen zerstreuen mußte.

Zu diesem Ende verließ d’Artagnan hastig den Saal, um den würdigen Intendanten aufzusuchen, da dieser nicht zurückkam.

Er ging die Treppe hinaus, welche in den ersten Stock führte, und erblickte im Zimmer von Porthos einen Hausen Kleider von allen Farben und allen Stoffen. Man sah die Hand von Mousqueton sich über diesen Reliquien ausstrecken, die er mit allen seinen Lippen, mit seinem ganzen Gesichte küßte, mit seinem ganzen Leibe bedeckte.

D’Artagnan näherte sich dem armen Burschen, um ihn zu trösten.

»Mein Gott!« sagte er, »er rührt sich nicht; «ist ohnmächtig!«

D’Artagnan täuschte sich; Mousqueton war todt.

Todt, wie der getreue Hund, der, nachdem er seinen Herrn verloren, zurückkehrt, um auf seinem Rock zu sterben.