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Der Geflügelschütze

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Zweiter Band

Erstes Kapitel.
Worin bewiesen wird, daß ein Schiffsjunge auch zu Etwas gut sein kann

Wie wir gesagt, bildete ein einziges Zimmer Alain Montplet’s Wohnung.

Die Unordnung, welche gewöhnlich in einem Junggesellenzimmer herrscht, erhöhte noch die Aermlichkeit der Wohnung. Ein Bett, ohne Vorhänge, in einem Winkel, ein schlechter Koffer, ein Tisch und einige Strohstühle bildeten das ganze Mobiliar.

Die Wände waren in so schlechtem Zustande, daß sich neue Spalten neben denjenigen bildeten, welche Alain verstopft hatte.

Lumpen, Schlingen von Pferdehaaren und Jagdgeräthe jeder Art waren über alle Möbeln ausgesäet, und die Haushaltungsgeräthe lagen unter den erloschenen Feuerbränden auf dem Herde zerstreut.

»Pest! Monsieur Alain,« sagte Jean Marie, indem er einen Blick auf dieses Ganze warf, »Ihre Haushälterin ist nicht sehr sorgsam; wenn meine Mutter Dies sähe, sie, die mich immer schilt, wenn ich Theer an meinen Kleidern zurückbringe.«

»Meine Haushälterin bin ich selber, mein Junge, und da ich die Nächte am Strande und die Tage mit Schlafen zubringe, so habe ich nicht viel Zeit, jede Sache streng an ihrem Platze zu halten.«

»Da werde ich darauf achten, Monsieur Alain,« sagte der kleine Jean. »Ich will Ihnen dies Alles putzen und polieren, so daß die Cajüte des Commandeurs des Stationair Nichts dagegen sein soll.«

Und in der That wurde der Tag mit der Einrichtung Jean Marie’s hingebracht, welcher mit Hilfe von vier Tauen und einem Stück Segeltuch ein sehr bequemes Bett in einem Winkel machte.

Alain versuchte, sich ein Wenig auszuruhen; aber er war fieberhaft aufgeregt und konnte nicht dahin gelangen, ein Auge zu schließen.

Seine Gedanken kehrten unwillkürlich zu dem zurück, was Henin von dem Einverständnisse zwischen Langot und seinem Rechtsanwalte erfahren hatte; und ebenso sehr in Folge eines Wunsches, sich an dem Wucherer zu rächen, als um eine Existenz zu verbessern, welche ihm schwer zu werden begann, fragte er sich beständig, wie er dahin gelangen könne, zu entdecken, was ihn so lebhaft interessierte.

Er war sehr unwissend in Rechtsgeschäften.

Indessen schien es ihm doch, daß es ein gerichtliches Mittel geben müsse, um zu dem Zwecke zu gelangen, den er sich vorsetzte.

Er beschloß, ungeachtet des Rathes, den ihm Jacques Henin ertheilt hatte, am folgenden Tage nach Saint-Lo zu gehen und sich bei einem Rechtsanwalte Raths zu erholen.

Unglücklicherweise war er ohne Geld. Er wollte keins von dem Wildhändler borgen, und um die Reise zu machen, mußte die folgende Nacht nothwendig einträglicher sein, als die vorhergehende.

Einige Augenblicke vor dem Ende des Tages machte sich Alain auf den Weg zu der Küste. Jean Marie begleitete ihn bis zum Ufer, indem er mit Pavillon spielte.

Der Hund und der Knabe hatten seit dem Morgen eine Bekanntschaft gemacht, die sehr vertraut zu werden versprach.

Es war unnütz, daß der Knabe weiterging.

Er hatte sich am Tage nicht niederlegen wollen, den er, wie er versprochen, mit Aufräumen zugebracht hatte. Er war von dem Ereignisse des Abends vorher ganz erschöpft.

Alain schickte ihn in seine Hütte zurück und verlor sich in dem Nebel, um sich an seinen Posten zu begeben.

Jean Marie erreichte die Hütte und streckte sich behaglich auf seiner Hängematte aus, wo er nach fünf Minuten fest schlief.

Gegen Mitternacht wurde er von einem kläglichen Gebell erweckt.

Ein Hund heulte vor der Thür.

Jean Marie sprang aus seiner Hängematte und lief, um zu öffnen.

Es war Pavillon, aber ohne seinen Herrn.

Als der Hund einen kleinen Kameraden Jean Marie erblickte, verdoppelte er ein Gebell, indem er es mit klagendem Geheul unterbrach und aus- und einging, als wollte er zu dem Knaben sagen: »Du mußt mir folgen.«

Jean Marie sah ein, daß der Jäger von irgend einer Gefahr bedroht sei, und ich hastig ankleidend, zauderte er nicht, in der Richtung weiterzugehen, welche das Thier ihm andeutete.

So gingen sie bis an das Ufer der Vire, indem der Hund den Knaben führte.

Dort begann das Thier zu schwimmen, indem es den Kopf umwendete, als wollte es sehen, ob der Knabe dasselbe thue.

Aber der Fluß, von dem Wasser des Meeres angeschwellt, war stark, und Jean Marie konnte nicht hinüber.

Der Hund kehrte dann zurück, und sein wüthendes Bellen begann von Neuem.

Durch dieses Manöver überzeugt, daß Alain sich in jener Richtung befinde, und die Unmöglichkeit fühlend, allein zu ihm zu gelangen, achtete er nicht auf die Protestationen Pavillons und nahm seinen Weg nach der Richtung von Maisy, wo er Maitre Henin weckte, indem er starke Fußstöße gegen die Thür führte.

Bei dem ersten Worte des Knaben verstand der Steuermann Alles.

Er ließ sich von einigen Nachbarn begleiten, und Alle zusammen, von Jean Marie geführt, kehrten an das Ufer der Vire zurück, wo sie den Hund nicht mehr fanden.

Sie setzten in dem Kahne des Jägers hinüber, welcher bei der Ebbe angekommen war und desselben nicht bedurft hatte.

Dann, mit Fackeln und brennenden Strohkränzen versehen, begannen sie das Felsenufer zu durchsuchen, welches sich links vom Flusse am Meere dahinzieht.

Ihre Nachsuchungen waren lange fruchtlos.

Indessen hörte Jean Marie, indem er auf Händen und Füßen von dem Felsenufer hinuntergestiegen war, das Heulen des Hundes unter sich.

Man eilte auf seinen Ruf herbei, und sich über den Abgrund neigend, erblickte Jacques Henin den armen Jäger, der unbeweglich auf einem Felsen lag, welcher einige Fuß breit war und über das Meer hinausragte.

Man war genöthigt, in das Dorf zu gehen und Tauwerk zu holen, um bis zu ihm zu gelangen und ihn von dort heraufzubringen.

Aber ohne sich um die Gefahr zu kümmern, der er sich aussetzte, fuhr Jean Marie fort, hinunter zu steigen und kam zu der schmalen Plattform.

Er fand Alain ohne alles Bewußtsein und so unbeweglich, als wenn er todt wäre.

Indessen legte der Schiffsjunge die Hand auf sein Herz und fühlte das Schlagen desselben.

Darauf richtete er ihn zu einer sitzenden Stellung auf, lehnte ihn an die Klippe an, schöpfte mit seiner Hand ein Wenig Regenwasser, welches sich in einer Höhlung des Felsens befand, und versuchte ihn ins Leben zurückzubringen.

Als man von Maisy zurückkehrte, widerstand Jacques Henin, der von seinen Seemannsgewohnheiten ein tiefes Mißtrauen beibehalten hatte hinsichtlich Dessen, wozu ein Schiffsjunge fähig sei, den Bitten, welche Jean Marie von unten an ihn richtete, und wollte durchaus nicht zugeben, daß der kleine Mann das Tauwerk um den Körper des Jägers binde.

Er ließ sich selber auf die Plattform hinunter, setzte Alain auf ein kleines Brett, welches wie eine Schaukel an zwei Taue befestigt war, und band ihn mit einer Schnur fest.

Dann stellte er sich aufrecht auf dieses Brett und gab das Signal, ihn auf die Höhe der Klippe zu hissen.

Das Hinaufziehen war gefährlich für Beide.

Wenn Alain allein gewesen wäre, würde sein Körper, der frei in der Luft schwebte, an den Vorsprüngen des Felsens zerschmettert worden sein.

Aber Henin, der mit einem Stabe bewaffnet war, wußte es so gut zu lenken, daß Beide ohne eine Quetschung oben ankamen.

Man legte Alain auf eine Tragbahre und brachte ihn in eine Hütte, wo sich ein Arzt von Maisy befand, den ein Matrose, der vorsichtiger als die Anderen gewesen, herbeigerufen hatte.

In Folge eines reichlichen Aderlasses kam der junge Mann wieder zum Bewußtsein.

Da erzählte er, wie er sich zu sehr über den Rand der Klippe geneigt, der Boden unter seinen Füßen gewichen sei und ihn mit in den Abgrund hinuntergerissen habe.

Der Arzt untersuchte aufmerksam den Verwundeten, erklärte, daß er keinen Knochenbruch finde, und daß dieser Fall aller Wahrscheinlichkeit nach keine nachtheilige Folgen haben werde.

Aber die Erschütterung war so heftig gewesen, daß das Gehirnfieber sich bald verstärkte.

Da verlor Alain zum zweiten Male das Bewußtsein; ein heftiges Fieber bemächtigte sich seiner, und mit diesem Fieber kam das Delirium.

Der Arzt wurde sehr unruhig, und befahl die größte Sorgfalt und erklärte, wenn dieses Fieber sich nicht beruhige, so könne das Leben des Kranken gefährdet sein.

Der kleine Jean Marie, welcher ängstlich zugehört hatte, als der Arzt sein Urtheil ausgesprochen, brach in Thränen aus, sobald er ihn hinausgehen sah.

Henin begann, ihn von der Seite anzusehen, und als er bemerkte, daß der Knabe ungeachtet eines Blickes zu weinen fortfuhr, sagte er:

»Ah! Hörst Du nicht bald auf zu greinen? Wenn der arme Junge, der dort liegt, vorgestern angefangen hätte zu weinen, anstatt Dich aus der Suppe zu ziehen, so denke ich, daß Du heute eine noch ärgere Grimasse machen würdest, als die, welche Du uns jetzt zeigt.«

»Wahrhaftig, Herr, es ist nicht meine Schuld,« schluchzte der Knabe; »ich kann nicht umhin zu weinen.«

»Und ich, Jean Marie, wenn ich meine Hand in der Luft habe, kann nicht umhin, zuzuschlagen; also putze Deine Schnauze und – zur Ordnung!«

Jean Marie näherte sich ganz bestürzt und verwirrt von dieser Heftigkeit, da ihm der kurze Aufenthalt an Bord keine Zeit gelassen hatte, sich daran zu gewöhnen.

Maitre Henin hatte einen Stuhl genommen und ihn an das Fußende des Bettes gestellt.

»Da ist Dein Posten,« sagte er zu dem Schiffsjungen; »staue Dich darauf nieder und stelle Dir vor, daß Du auf der Wache bist zwischen den Tauen der Bramstange; man wird Dir die Arzenei bringen, die der Major verschrieben hat. Wenn es während des Tages schlimmer mit ihm wird, so setze Dein Taschentuch in Schau; die Kinder sollen aufpassen und Louison wird kommen.«

»Seien Sie ruhig, Maitre,« antwortete Jean Marie.

Maitre Henin nahm einen Feuerbrand vom Herde, zündete seine Pfeife wieder an, betrachtete den Kranken noch einige Augenblicke mit einer Miene, welche ebenso viel üble Laune als Mitleid ausdrückte, und ging hinaus, nachdem er dem Schiffsjungen seine Anweisungen wiederholt hatte.

 

Während der folgenden vier Tage schien der Zustand des Kranken sich zu verschlimmern.

Das Delirium verließ ihn nicht; er sprach von einem Vater, von Langot, von Lisa, und wenn er von dieser Letzteren sprach, geschah es mit so viel Leidenschaft, daß der arme Jean Marie weinend sagte:

»Ich muß Maitre Henin sagen, daß er sie kommen läßt, diese Madame Lisa.

Wenn er sie sieht, wird er sich vielleicht ein Wenig beruhigen.«

Indessen sorgte er mit einer Standhaftigkeit und Beharrlichkeit für den Kranken, wie man sie kaum von einem Knaben seines Alters erwarten könnte.

Er schien die Größe des Dienstes, den ihm Alain geleistet, zu begreifen und ihm die Erkenntlichkeit nicht zuzumessen. Auch mußte Henin, ungeachtet seines Widerwillens gegen die Schiffsjungen, zugestehen, daß Dieser ein Wenig besser war, als die Anderen.

Da er ihn aber zu verderben fürchtete, wenn er ihm seine Genugthuung bezeugt hätte, so beschränkte er sich darauf, ihn mit einem Hagelwetter von Schlägen zu bedrohen, wenn er sich nicht niederlegen würde, während er an seiner Stelle wache.

Bis dahin hatte sich der Knabe geweigert, sich einen Augenblick Ruhe zu gönnen.

Endlich siegten Alain’s Jugend und Stärke, sowie die Sorgfalt, die ihm zu Theil wurde, über die Krankheit.

Nach und nach hörten die Fieberphantasien auf und die beunruhigenden Symptome verschwanden mit ihnen.

Es vergingen lange Tage, ohne daß die Wittwe ihren Knaben sah, und die Zeit schien ihr sehr schwer zu ertragen.

Sie war überdies Alain’s wegen unruhig, für den sie eine religiöse Dankbarkeit empfand, und sie beschloß dem ausdrücklichen Verbote ihres Onkels zum Trotz sich in eine Hütte zu begeben.

Zweites Kapitel.
Der Einfall, den Maitre Jacques hatte

Demnach stand die Wittwe in einer Nacht geräuschlos auf, kleidete sich an, stieg mit bloßen Füßen die Treppe von ihrem Zimmer hinunter, und es gelang ihr, die Hausthür zu öffnen, ohne daß sie in ihren Angeln knarrte.

Als sie draußen war, nahm sie rasch ihren Weg zu dem Häuschen des Jägers.

Es war um Mitternacht, als sie an die Thür klopfte.

Der Hund knurrte dumpf, als er einen Fußtritt hörte, der sich dem Hause näherte.

Jean Marie öffnete leise den Riegel, und anstatt des bärtigen Gesichts des Maitre Henin, welches er zu erblicken dachte, war es eine Mutter, die ihn in ihre Arme schloß.

Beide waren sehr glücklich, einander wiederzusehen. Jeanne Marie ließ sich auf die Steine des Feuerherdes nieder und nahm ihren Sohn auf den Schooß.

Darauf begannen Beide mit leiser Stimme zu plaudern, indem sie ihre Worte mit Küssen untermischten.

»Du hast doch wenigstens gut für ihn gesorgt?« sagte die Mutter.

»Das will ich glauben,« antwortete Jean Marie.

»Es schien mir, als wärest Du es, die ich leiden sehe, arme Mutter! Und wenn ich krank war, lernte ich von Dir, wie man es mit Denen machen muß, die man liebt.«

Alain’s Schlummer war so leicht, daß er das Geflüster ihrer Stimmen hörte.

Er wendete sich mühsam nach dem Kamine um, und als er eine weibliche Gestalt erblickte, murmelte er noch halb phantasirend:

»Sind Sie es, Louison ?«

»Nein,« antwortete ihm Jean Marie, »es ist nicht Madame Henin, es ist meine Mutter, Monsieur Montplet, meine Mutter, die Sie zu besuchen kommt und die sehr glücklich ist, Sie bei besserer Gesundheit zu finden.«

Darauf näherten sich alle Beide dem Bette.

Der kleine Mann hatte die eiserne Lampe weggenommen, die über dem Feuerherde an einem Nagel hing, und hielt sie so, daß das ganze Licht auf das Gesicht der Wittwe fiel, als wollte er, daß der Jäger die geliebten Züge seiner Mutter in allen ihren Einzelheiten betrachten möge.

Alain setzte sich aufrecht und sah sie fest an.

Jeanne Marie war klein, schlank und schmächtig, Ihre Schönheit fiel nicht beim ersten Blicke auf, wie die der Mademoiselle Jousselin; aber wenn man sie mit einiger Aufmerksamkeit betrachtete, war es unmöglich, die vollkommene Regelmäßigkeit ihrer Züge und die Grazie ihrer delicaten Formen zu übersehen.

Diese unerwartete Erscheinung machte einen tiefen Eindruck auf Alain’s Geist.

Als der junge Mann diesen klaren Blick auf sich ruhen sah, der von der zugleich keuschen und leidenschaftlichen Zärtlichkeit der redlichen Seele strahlte, fühlte er, wie ein Herz sich erwärmte, und es schien ihm, als wäre ein guter Engel an sein Bett gekommen.

Er streckte die Hand aus und reichte sie lächelnd der Wittwe.

Indem sie dachte, daß es diese von der Krankheit abgemagerte und von dem Fieber erhitzte Hand sei, welche ihr ihr Kind wiedergegeben, ergriff Jeanne Marie dieselbe lebhaft und drückte einen Kuß darauf.

Ein reiner und erkenntlicher Kuß war es und die ganze Seele der armen Wittwe war darin concentriert.

Diese kleine Scene hatte dem Jäger zugleich Anstrengung und Erleichterung verursacht.

Er schlief ruhiger wieder ein und der Sohn und die Mutter nahmen ihren Platz vor dem Kranken wieder ein.

Maitre Henin kam gegen zwei Uhr Morgens, als er aus seinem Schnellsegler stieg, um sich nach dem Befinden des Kranken zu erkundigen.

Er schien sehr überrascht, Jeanne Marie in der Hütte des Jägers zu finden.

Dann, ohne anscheinenden Beweggrund, verwandelte sich dieses Erstaunen in eine Genugthuung, die er so laut zu erkennen gab, daß Jeanne Marie fürchtete, er möchte die Ruhe des Kranken stören.

Sie fragte ihn nach der Veranlassung dieser plötzlichen Freude.

»Es ist ein Einfall, der mir gekommen ist,« antwortete der Seemann mit seinem ehrlichen Lachen. »Wenn wir draußen sind, will ich es Euch sagen. So kommen Sie; denn Dies ist die Stunde, wo Sie wieder an Bord müssen, und ich will Sie zurückbegleiten.«

In der That war es drei Uhr Morgens.

Es war ein Weg von kaum einer Stunde von der Hütte bis Maisy; Langot konnte die Abwesenheit seiner Nichte bemerken.

Es war also vernünftig, daß diese das Dorf wieder erreichte. Sie nahm ihren Mantel, und nachdem sie ihr Kind umarmt hatte, sah sie Alain, der ruhig schlief, mit dankbarem Ausdrucke an und folgte Maitre Jacques Henin, ohne ein Wort zu reden.

Als sie in der Mitte des Sumpfes waren, blieb Jacques Henin auf einer kleinen Erhöhung stehen.

»Setzen Sie sich hier nieder, Jeanne Marie; ich will Ihnen meinen Einfall erzählen. Die Stunde ist ein Wenig unpassend, aber bei einem alten Alligator von meiner Art kommt Nichts darauf an.«

Jeanne Marie setzte sich zitternd nieder, und doch wußte sie nicht, welches Jacques Henin’s Einfall war.

»Nun, was haben Sie denn, junge Frau, daß Sie so zittern?« fragte Jacques.

»O Nichts, Maitre Henin,« antwortete die Wittwe.

»Ich weiß wohl, daß Sie ein braver Mann sind.«

»Ja, das heißt ein alter Mann! Es würde mich ehemals geärgert haben, einer hübschen Wittwe von fünf und zwanzig Jahren nicht mehr Furcht zu verursachen! Aber darum handelt es sich nicht.«

»Um was handelt es sich denn, Herr ? Sie erschrecken mich!«

»O! Es ist keine Ursache. Sehen Sie, Jeanne, jagen Sie, was denken Sie von diesem jungen Manne in jener ausgebesserten Hütte?«

»Von Monsieur Alain?«

»Ja.«

»Oh! Mein Gott! Was ich von ihm denke? Ich will es Ihnen sagen; es ist sehr einfach. Ich denke, daß ohne ihn mein armer Jean Marie nicht mehr auf der Welt sein würde, und daß ich ihm noch anders, als durch Worte zu beweisen wünsche, daß er nicht eine Undankbare verpflichtet hat.«

»Nun, Sie können es, Jeanne.«

»Ich kann es? Und wie Das? Sagen Sie es schnell!«

»Ein Anderer würde viel Umschweife machen, ehe er Ihnen die Sache mittheilte. Aber ich will Ihnen gleich die volle Lage geben. Sie müssen ihn heirathen, Jeanne Marie.«

Jeanne Marie sprang von ihrem Sitze auf.

»Ihn heirathen!« jagte sie, »wohin denken Sie, Maitre Henin!«

»Gut, die Harpune ist ausgeworfen. Nun will ich das Tau nachlassen. Sie müssen ihn heirathen, sage ich Ihnen. Nur die Ehe kann diesen Burschen retten; sonst —«

Maitre Henin schwieg kopfschüttelnd.

»Sonst?« fragte Jeanne Marie.

»Nun, sonst könnte er leicht wieder auf unrechte Wege kommen.«

»Und wenn ich ihn heirathete, würde Das es verhindern?«

»Sehen Sie, Jeanne Marie,« versetzte Maitre Henin, »Sie werden wohl einsehen, wenn man von Kindheit auf in Baumwolle eingewickelt gewesen und auferzogen worden ist wie ein Eichhornaffe, den man aus Brasilien bringt, daß man sich nicht daran gewöhnen kann, unter Kröten und Fröschen zu leben, wie ein Reyher, der auf einem Fuße steht – nein, nein, er wird vor Kummer krank werden, Jeanne, er wird auf den Grund sinken, Das sage ich Ihnen; oder er wird verwildern und wie ein Seeräuber sterben, der seinen Theil erhalten hat, und Das ist noch schlimmer! Er muß eine Haushaltung, eine Frau und Bälge haben, um für ihn zu sorgen und ihn zu zerstreuen.

»Er müßte eine reiche, junge, schöne und glückliche Frau haben, Maitre Henin, und nicht mich, die ich nicht mehr jung bin, die ich niemals schön gewesen bin und die ich weder Mitgift noch Erbschaft habe; und so würde ich ein Elend nur erschweren.«

»Ei! Sie sind fünf und zwanzig und sagen, daß Sie alt sind. Sturm und Wetter! Ich bin doppelt so alt, und ich behaupte, daß ich nicht alt bin. Sie sagen, Sie sind nicht schön? Ei Jeanne, man sieht wohl, daß der Onkel zu geizig ist, um Spiegel zu haben! Was den Reichthum betrifft, da eine reiche Frau ihn nicht hat haben wollen, so muß er es wohl mit einer armen versuchen.«

»Aber wozu sollte ich ihm nützen?«

»Wozu Sie ihm nützen sollten? – O! Meiner Treu eine hübsche Frage. – Nun, um ihm eine Suppe zu kochen; um ihm seine Wohnung in Ordnung zu halten, die mehr das Ansehen einer Hundehütte, als des Zimmers eines ehrlichen Mannes hat; ihm seine Kleider auszubessern, ihn in Wuth zu bringen, um ihn zu unterhalten, und endlich, ihm Lust zur Arbeit zu machen.«

»Aber Monsieur Alain liebt mich nicht, Sie wissen wohl, daß er Monsieur Jousselin’s Tochter liebte.«

»Gut! Was beweist denn Das? Denken Sie denn, daß mein Herz ohne Havarien war, ehe ich Louison heirathete? Ich hatte zehn, zwanzig, dreißig mit aufgesteckter Flagge in allen Häfen, wo ich gelandet, zurückgelassen, und noch besser aufgetakelt, als die Lisa – in Fernambuco unter Anderen eine Mulattin. Welches Weib! Gelb wie Pergament! und Augen – wahre Klüse von Sammet!«

»Alain liebt nicht auf Ihre Weise, Maitre Henin,« antwortete Jeanne Marie kopfschüttelnd, »und der Beweis davon ist, daß er immer an die Lisa denkt und an den Streich, den sie ihm gespielt, und jetzt sagen die Leute, da ihn Eine getäuscht, hat er einen Abscheu gegen alle Frauen.«

»Gehen Sie nur, Jeanne Marie, man spricht nur schlecht von Dem, was man liebt. Es ist mit Alain wie mit den alten Mastwächtern, die ihr Handwerk verwünschen, die sagen, daß Nichts ärger sei, als die Seeluft einzuschnappen, und doch sind sie kaum acht Tage bei den Landbewohnern, so wollen sie schon wieder aufs Meer. Das darf Sie nicht abschrecken, hübsche Wittwe.«

»Ich bin weder jung noch hübsch genug, Maitre Jacques, um zu machen, daß Monsieur Alain eine Ansichten ändert. So ist also Alles, was Sie mir da sagen, so gut wie Nichts.«

»Aber wenn es sich einst mit ihm änderte, wenn er einst die Ansichten wechselte, würden Sie einwilligen?«

»O!« versetzte die Wittwe,« wenn es nur das Opfer meines Blutes bedürfte, um für den Dienst zu zahlen, den er mir geleistet hat, so sage ich Ihnen von ganzem Herzen, Maitre Henin, mein Blut gehört Ihm bis auf den letzten Tropfen.«

»O! Sie bieten mehr an, als nöthig ist, und man verlangt nicht so viel von Ihnen,« versetzte der Seemann. »Ich will die Segel darnach stellen und versuchen, sie auf dieses Wasser zu treiben. Jedesmal, wenn ich in eine Hütte eintrete, spaltet es mir das Herz, ihn so allein und verlassen zu sehen, und es koste, was es wolle, so will ich nicht, daß es von Dauer sei.«

Maitre Jacques begleitete Jeanne Marie bis an die Thür des Materialhändlers, indem er sie von dem Plane unterhielt, der in seinem Gehirn Wurzel geschlagen hatte.

Die Wittwe stieg zu ihrem kleinen Zimmer hinauf und legte sich nieder.

Aber sie war noch immer sehr aufgeregt von der Erinnerung an die Unterredung mit dem alten Steuermann.

Sie wiederholte sich jede Minute, daß er ein Thor sei, daß eine solche Heirath unmöglich wäre; aber indem sie sich dies jede Minute wiederholte, hörte sie nicht auf, daran zu denken.