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Der Frauenkrieg

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»Ich verstehe nicht ganz,« erwiederte der alte Edelmann ironisch. »Wie Euch, der Ihr nach Eurem eigenen Geständnisse die Partei den Prinzen ergriffen habt, ist der seltsame Gedanke gekommen, Herrn von Epernon einen Dienst zu leisten?«

»Das ist die einfachste Sache der Welt: die Einsicht der Papiere, welche ich bei dem Einnehmer vorfand, hat mich von der Reinheit der Absichten den Königs überzeugt. Seine Majestät ist völlig gerechtfertigt in meinen Augen, und der Herr Herzog hat tausendmal Recht gegen die unter seiner Verwaltung Stehenden. Hier ist also die gute Sache und deshalb habe ich für die gute Sache Partei ergriffen.

»Das ist ein Räuber, den ich hängen lassen werde, wenn er je in meine Hände fällt,« brummte der alte Edelmann und zog dabei an den krausen Haaren seines Schnurrbarts.

»Ihr sagt?« fragte Cauvignac, unter seiner Maske mit den Augen blinzelnd.

»Nichts. Nun eine Frage; was werdet Ihr mit dem Blanquett machen, das Ihr von mir,fordert?«

»Der Teufel soll mich holen, wenn ich einen Entschluß hierüber gefaßt habe. Ich forderte ein Blanquett, weil es die bequemste, die tragbarste, die elastischste Sache der Welt ist. Wahrscheinlich werde ich es für irgend einen außerordentlichen Umstand aufbewahren; möglicher Weise verschleudere ich es auch für die nächste beste Laune, die mir in den Kopf kommt; vielleicht lege ich es Euch schon vor dem Ende dieser Woche vor; vielleicht gelangt es auch erst in drei bin vier Monaten mit einem Dutzend von Interessenten wie ein in den Handel geworfener Wechsel zu Euch. Aber seid unbesorgt, jedenfalls werde ich es nicht zu etwas mißbrauchen, worüber wir, Ihr und ich, zu erröthen haben. Man ist im Ganzen Edelmann.

»Ihr seid Edelmann?

»Ja, mein Herr, und zwar einer von den besten.«

»Dann lasse ich ihn rädern,« murmelte der Unbekannte; »dazu soll ihm sein Blanquett nützen.«

»Seid Ihr entschlossen, mir das Blanquett zu geben?« fragte Cauvignac.

»Ich muß wohl,«– antwortete der alte Edelmann.

»Ich nöthige Euch nicht, wohl verstanden. Es ist ein Tausch, den ich Euch vorschlage. Behaltet Euer Papier und ich behalte das meinige.«

»Den Brief?«

»Das Blanquett?«

»Und er streckte mit einer Hand den Brief aus, während er mit der andern eine Pistole spannte.

»Laßt Eure Pistole in Ruhe,« sprach der Fremde und öffnete seinen Mantel, »denn ich habe auch Pistolen, und zwar ebenfalls gespannte.«

»Hier ist Eiter Brief.«

Der Austausch der Papiere wurde nun auf eine redliche Weise vorgenommen, und jede der beiden Parteien prüfte stillschweigend, nach Maße und mit Aufmerksamkeit das, welches man ihr zugestellt hatte.

»Nun, mein Herr,« sprach Cauvignac, »welchen Weg nehmt Ihr?«

»Ich muß auf das rechte Ufer den Flusses.«

»Und ich auf das linke,« antwortete Cauvignac.

»Wie wollen wir das machen? Meine Leute sind auf der Seite, wohin Ihr wollt, die Eurigen auf der wohin ich will.«

»Nichts ist leichter. Schickt meine Leute in Eurem Nachen zurück, ich schicke Euch die Eurigen in meinem.«

»Ihr habt einen raschen, erfindungsreichen Geist.«

»Ich war zum Heerführer geboren.«

»Ihr seid es.«

»Ah! das ist wahr,« sprach der junge Mann, »ich hatte es vergessen.«

Der Fremde machte dem Fährmann ein Zeichen, seine Barke loszubinden und ihn auf das entgegengesetzte Ufer in der Richtung eines Gebüsches zu führen, daß sich bis an die Straße ausdehnte.

Der junge Mann erwartete vielleicht irgend einen Verrath und erhob sich halb, um ihm mit den Augen zu folgen, die Hand stets an die Krabbe seiner Pistole gelegt und bereit, bei der geringsten verdächtigen Bewegung Feuer auf den Fremden zu geben. Aber dieser ließ sich nicht einmal herbei, das Mißtrauen, dessen Gegenstand er war, zu bemerken, begann, dem jungen Manne mit einer wirklichen oder geheuchelten Sorglosigkeit den Rücken zuwendend, den Brief zu lesen, und war bald völlig in die Lecture versunken.

»Erinnert Euch wohl des Augenblicks,« sprach Cauvignac, »es ist morgen Abend um acht Uhr.«

Der Fremde antwortete nicht, und schien sogar nicht einmal gehört zu haben.

»Ah,« sagte Cauvignac leise und mit sich selbst sprechend, während er beständig den Kolben seiner Pistole streichelte, »bedenkt man, daß ich, wenn es mir gefiele, die Erbfolge des Gouverneur der Guienne öffnen und dem Bürgerkrieg Einhalt thun könnte! Aber ist der Herzog von Epernon todt, wozu soll mir dann sein Blanquett nützen, und ist der Bürgerkrieg geendigt, wovon solle ich leben? In der That, es gibt Augenblicke, wo ich glaube, daß ich ein Narr werde! Es lebe der Herzog von Epernon! Es lebe der Bürgerkrieg! Vorwärts, Schiffer, an Deine Ruder, wir wollen rasch nach dem rechten Ufer steuern und diesen würdigen Herrn nicht lange auf seine Escorte warten lassen.«

Einen Augenblick nachher landete Cauvignac an dem linken Ufer der Dordogne, gerade in der Minute, wo der alte Edelmann ihm Ferguzon und seine fünf Banditen in dem Schiffe des Fährmannes von Ison zurückschickte. Er wollte ihm an Pünktlichkeit nicht nachstehen und wiederholte seinen Schiffer den Befehl, die vier Leute des Unbekannten in seine Barke aufzunehmen und nach dem rechten Ufer zu führen. Mitten im Flusse begegneten sich die zwei Truppen und grüßten einander höflich. Dann landete jede an dem Punkte, wo sie erwartet wurde. Der alte Edelmann drang mit seiner Escorte in das Gehölze, das sich von dem Ufer des Flusses nach der Landstraße ausdehnte, und Cauvignac schlug an der Spitze seines Heeres den Weg nach Ison ein.

III

Eine halbe Stunde nach der so eben von uns erzählten Scene öffnete sich dasselbe Fenster, das so rasch geschlossen worden war, vorsichtig wieder, und auf das Gesimse dieses Fensters lehnte sich, nachdem er zuvor aufmerksam rechts und links geschaut hatte, mit dem Ellenbogen eins junger Mensch von sechzehn bis achtzehn Jahren, in schwarzer Kleidung mit bauschigen Manschetten an der Handwurzel. Ein Hemd von feinem gesticktem Batist trat stolz aus seinem Leibrocke hervor und fiel wellenförmig auf seine mit Bindern überladenen Beinkleider. Seine kleine, zierliche, fleischige Hand zerknitterte ungeduldig damlederne, auf den Nähten gestickte Handschuhe. Ein perlgrauer Filzhut, der sich an seinem Ende unter der Krümmung einer herrlichen blauen Feder bog, beschattete seine langen Haare mit den goldenen Reflexen, welche auf eine wundervolle Weise ein ovales Gesicht mit weißer Hautfarbe, mit rosigen Lippen und schwarzen Brauen umgaben. Aber dieses anmuthige Gesamtwesen, das aus dem jungen Manne einen der reizendsten Cavaliere machen mußte, war für den Augenblick durch einen Ausdruck übler Laune verdüstert, welche ohne Zweifel von einer vergeblichen Erwartung herrührte, denn der junge Mann befragte mit seinen verweinten Augen die in der Ferne bereits in den Abendnebel getauchte Landstraße.

In seiner Ungeduld schlug er seine linke Hand mit den Handschuhen. Bei dem Lärm den er machte, schaute der Wirth, welcher seine Feldhühner vollends gerupft hatte, empor, nahm seine Mütze ab und fragte:

»Um welche Stunde werdet Ihr zu Nacht speisen, gnädiger Herr, denn man erwartet nur Eure Befehle, um aufzutragen?«

»Ihr wißt wohl, daß ich nicht allein zu Nacht speise, und daß ich einen Gefährten erwarte,« versetzte dieser. »Wenn Ihr ihn kommen seht, könnt Ihr Euer Mahl auftragen lassen.«

»Ah, mein Herr,« antwortete Meister Biscarros, »es ist nicht um Euren Freund zu tadeln, denn es steht ihm sicherlich frei, zu kommen oder nicht zu kommen, aber ich halte es für eine schlechte Gewohnheit, auf sich warten zu lassen.«

»Es ist nicht seine Gewohnheit, und ich staune über dieses Zögern.«

»Ich gehe weiter, ich staune nicht nur, sondern ich bekümmere mich darüber. Der Braten wird verbrannt sein.«

»Nehmt ihn vom Spieße.«

»Dann wird er kalt sein.«

»Setzt einen andern an das Feuer.«

»Er wird nicht gar werden.«

»Dann, mein Freund, macht es, wie Ihr wollt,« sprach der junge Mann, der sich trotz seiner schlimmen Laune eines Lächelns über die Verzweiflung des Wirthes nicht erwehren konnte. »Ich überlasse die Sache ganz Eurer erhabenen Weisheit.«

»Es gibt keine Weisheit, und wäre es die des Könige Salomo,« versetzte der Wirth, »welche ein gewärmtes Mittagsbrod eßbar machen könnte.«

Und auf dieses Axiom, das Boileau vierzig Jahre später in Verse brachte, kehrte Biscarros, schmerzlich den Kopf schüttelnd, in sein Haue zurück.

Der Jüngling, als wollte er seine Ungeduld hintergehen, zog sich in sein Zimmer zurück, ließ einen Augenblick seine Stiefeln auf dem Boden klingen und eilte bei dem entfernten Geräusche von Pferdetritten, daß er gehört zu haben glaubte, abermals an das Fenster.

»Endlich,« rief er, »endlich ist er da, Gott sei gelobt!«

Er sah wirklich jenseits des Gebüsches, wo die Nachtigall sang, deren melodischen Tönen der junge Mann in seiner großen Unruhe ohne Zweifel keine Aufmerksamkeit geschenkt hatte, den Kopf eines Reiters erscheinen. Zu seinem Erstaunen aber erwartete er vergebens, der Reiter wurde auf dem Wege ausmünden. Der Ankömmling zog sich nach rechts drang in das Gehölze, oder vielmehr sein Hut sank in demselben, ein sicherer Beweis, daß er abgestiegen war. Einen Augenblick nachher gewahrte der Beobachter durch die vorsichtig auf die Seite geschobenen Zweige eine graue Kasake und den Blitz von einem der letzten Strahlen der untergehenden Sonne, der sich auf dem Laufe einer Muskete spiegelte.

Der junge Mann blieb in Gedanken versunken an seinem Fenster. Der in dem Gehölze verborgene Reiter war offenbar nicht der Gefährte, den er erwartete, und der Ausdruck von Ungeduld, der sein Gesicht zusammenzog, machte einem Ausdruck der Neugierde Platz.

Bald zeigte sich ein zweiter Hut an der Biegung der Straße: der junge Mann zog sich so weit zurück, daß er nicht mehr gesehen werden konnte.

 

Dieselbe graue Kasake, dasselbe Manoeuvre des Pferdes, dieselbe glänzende Muskete. Der Zweite richtete an den, welcher zuerst gekommen war, einige Worte, welche unser Beobachter der Entfernung wegen nicht hören konnte, und in Folge der Kunde, die ihm sein Gefährte ohne Zweifel gab, drang er in die mit dem Gehölze parallel liegende Baumgruppe, stieg ebenfalls vom Pferde, kauerte sich hinter einen Felsen und wartete.

Von dem erhabenen Punkte, wo sich der junge Mann befand, sah er den Hut über dem Felsen; neben dem Hute funkelte ein leuchtender Punkt, es war das Ende des Musketenlaufes.

Ein Gefühl unbestimmter Bangigkeit regte sich in dem jungen Manne, der, immer mehr zurückweichend, die Scene beobachtete.

»Oh, ah!« fragte er sich, »bin ich es oder sind es die tausend Louisd’or, die ich bei mir trage, woran man sich vergreifen will? Aber nein, vorausgesetzt Richon kommt an, und ich kann mich diesen Abend auf den Weg begeben, so gehe ich nach Libourne und nicht nach Saint-André-de-Cubzac. Folglich komme ich nicht an dem Orte vorüber, wo diese Bursche sich verborgen halten. Wenn nur mein alter Pompée da wäre, ich könnte ihn um Rath fragen. Aber wenn ich mich nicht täusche, ja, meiner Treue! hier erscheinen noch zwei Männer, sie stoßen zu den Andern. Ei, ei, das sieht ganz aus, wie ein Hinterhalt.«

Der junge Mann machte abermals einen Schritt rückwärts.

In diesem Augenblick erschienen wirklich zwei Menschen an demselben Punkte des Weges. Aber diesmal hatte nur einer von ihnen die graue Kasake an. Der Andere ritt auf einem mächtigen Rappen, war in einen großen Mantel gehüllt, trug einen verbrämten Filzhut mit einer weißen Feder, und man sah unter dem Mantel, den der Abendwind emporhob, eine reiche Stickerei glänzen, welche sich über einen nacaratfarbigen Leibrock hinschlängelte.

Man hätte glauben sollen, der Tag verlängere sich, um diese Scene zu beleuchten, denn die letzten Strahlen der Sonne entzündeten, sich aus einem von den schwarzen Wolkenlagern lösend, welche sich zuweilen auf eine so pittoreske Weise am Horizont ausstrecken, plötzlich tausend Rubine an den Fensterscheiben eines hübschen Hausen, das etwa hundert Schritte von dem Flusse lag, und ohne dieses, verloren zwischen den Zweigen einer dichten Baumgruppe, von dem jungen Menschen nicht bemerkt worden wäre. Diese Lichtverstärkung erlaubte wahrzunehmen, einmal, daß die Blicke der Spione sich abwechselnd dem Eingange des Dorfes und dem kleinen Hause mit den funkelnden Fensterscheiben zuwandten; dann, daß die grauen Kasaken die größte Achtung vor der weißen Feder zu haben schienen, mit der sie nur mit entblößtem Haupte sprachen, und endlich, daß eine Frau, als sich eines von den erleuchteten Fenstern öffnete, auf dem Balcon erschien, sich einen Augenblick vorbeugte, als ob sie ebenfalls Jemand erwartete, und dann, ohne Zweifel aus Furcht gesehen zu werden, wieder zurückkehrte.

Zu gleicher Zeit senkte sich die Sonne hinter den Bergen und je mehr sie sich senkte, desto mehr schien das Erdgeschoß des Hauses in den Schatten zu fallen, und die Fenster allmählich verblassend, stieg das Licht, auf das Schieferdach und verschwand endlich, nachdem es noch einen Augenblick auf einem Bündel vergoldeter Pfeile gespielt hatte, welche die Wetterfahne bildeten.

Für jeden verständigen Geist gab es hier hinreichend Andeutung, und auf diese Andeutung konnte man, wenn nicht Gewißheit, doch wenigstens Wahrscheinlichkeiten gründen.

Es unterlag kaum einem Zweifel, daß diese Menschen das kleine vereinzelte Haus bewachten, auf dessen Balcon sich einen Augenblick eine Frau gezeigt hatte. Es unterlag kaum einem Zweifel, daß diese Frau und diese Männer eines und dieselbe Person, aber in verschiedenen Absichten, erwarteten. Es war ferner wahrscheinlich, daß diese Person durch das Dorf und folglich vor dem Gasthause vorüberkommen mußte, das auf halben Weges zwischen dem Dorfe und dem Gehölze lag, wie das Gehölze halbwegs des Gasthofes und den berührten kleinen Hauses war. Es erschien endlich unzweifelhaft, daß der Reiter mit der weißen Feder der Anführer der Reiter mit den grauen Kasaken war, und den derselbe aus dem Eifer zu schließen, den er, sich in seinen Steigbügeln erhebend, um weiter zu sehen, entwickelte, von Eifersucht getrieben und auf eigene Rechnung lauerte.

In dem Augenblick, wo der junge Mann in seinem Innern diese Reihenfolge von Schlüssen vollendete, die sich aneinander ketteten, wurde die Thüre seines Zimmers geöffnet, und Meister Biscarros trat ein.

»Mein lieber Wirth,« sagte der junge Mann, ohne demjenigen, welcher zu so gelegener Zeit bei ihm eintrat, Zeit zu lassen, den Beweggrund seinen Besuchen zu erklären, einen Beweggrund, den er überdies errieth, »mein lieber Wirth, kommt hierher und sagt mir, wenn meine Frage keine Unbescheidenheit ist, wem jenes kleine Haus gehört, welches man da unten wie einen weißen Punkt mitten unter den Pappeln und, Adamsfeigenbäumen erblickt?«

Der Wirth folgte mit den Augen der Richtung den Zeigefingers und erwiederte, sich an der Stirne kratzend, mit einem Lächeln, das er spöttisch zu machen suchte:

»Mutter Treue, bald dem Einen, bald dein Andern, . . . Euch, wenn Ihr einen Grund habt, die Einsamkeit zu suchen, mag es Euer Wunsch sein, Euch selbst zu verbergen, oder irgend Jemand sonst zu verbergen.«

Der Jüngling erröthete.

»Aber wer bewohnt gegenwärtig dieses Haus?« fragte er.

»Eine junge Dame, die sich für eine Wittwe ausgibt, und die der Schatten ihres ersten und vielleicht auch ihren zweiten Gatten von Zeit zu Zeit besucht. Nur ist Eines zu bemerken: diese zwei Schatten verständigen sich ohne Zweifel unter einander und kommen nie zu gleicher Zeit.«

»Und seit wann,« fragte lächelnd der junge Mann, »bewohnt die schöne Wittwe das vereinzelte, wie es scheint, so bequeme Haus?«

»Seit ungefähr zwei Monaten. Sie lebt indessen sehr zurückgezogen, und ich glaube, es kann sich Niemand rühmen, sie seit diesen zwei Monaten gesehen zu haben; denn sie geht äußerst selten ans, und wenn sie ausgeht, nur verschleiert. Eine reizende kleine Kammerfrau kommt jeden Morgen zu mir und bestellt die Speisen für den Tag: man bringt sie zu ihr, sie empfängt die Platten in der Hausflur, bezahlt die Rechnung reichlich und schließt die Thüre unmittelbar vor der Nase des Kellners. Diesen Abend zum Beispiel findet dort ein Mahl statt und für sie bereitete ich die Wachteln und Feldhühner, die Ihr mich habt rupfen sehen.«

»Und wem gibt sie Abendbrod?«

»Ohne Zweifel einem von den zwei Schatten, von denen ich vorhin sprach.«

»Habt Ihr zuweilen diese zwei Schatten gesehen?«

»Ja, aber nur vorüber kommen, wenn die Sonne untergegangen war, oder am Morgen, ehe der Tag graute.«

»Ich bin darum nicht minder überzeugt, daß Ihr, sie wahrnehmen mußtet, mein lieber Herr Biscarros, denn bei dem ersten Worte, das Ihr sprecht, sieht man, daß Ihr ein Beobachter seid. Laßt hören, was habt Ihr Besonderes an dem Wesen dieser zwei Schatten wahrgenommen?«

»Der eine ist der eines Mannes von sechzig bis fünfundsechzig Jahren, und dieser sieht mir aus, als wäre er der des ersten Gatten, denn er kommt wie ein Schatten, welcher des rechtlichen Vorzugs zur Zeit sicher ist. Der andere ist der eines jungen Mannes von sechsundzwanzig bis achtundzwanzig Jahren. Dieser ist, ich muß es gestehen, etwas schüchterner und hat ganz das Aussehen einer gefolterten Seele. Ich wallte auch wetten, es ist der des zweiten Gatten.«

»Um welche Zeit sollt Ihr dem Befehle gemäß das Abendbrod heute liefern?«

»Um acht Uhr.«

»Es ist halb acht,« sprach der junge Mann, eine sehr schöne Uhr, die er bereits wiederholt um Rath gefragt hatte, aus seiner Tasche ziehend. »Ihr habt also keine Zeit zu verlieren.«

»Oh, seid unbesorgt, es wird bereit sein. Ich kam nur herauf, um von dem Eurigen zu sprechen und Euch zu sagen, daß ich es völlig wieder angefangen habe. Da Euer Gefährte so lange zögert, so macht nur, daß er erst in einer Stunde kommt.«

»Hört, mein lieber Wirth,« sprach der junge Cavalier mit der Miene eines Menschen, für den die wichtige Angelegenheit seines pünktlich aufgetragenen Mahles nur eine secundäre Sache ist, quält Euch nicht wegen unseres Abendbrodes, selbst wenn die Person, die ich erwarte, käme, denn wir haben miteinander zu reden. Ist das Essen nicht bereit, so sprechen wir vorher, ist es bereit, so sprechen wir nachher.«

»In der That, mein Herr,« sagte der Wirth, »Ihr seid ein sehr gefälliger Edelmann, und da Ihr Euch auf mich verlassen wollt, so werdet Ihr gewiß auch mit mir zufrieden sein.«

Biscarros machte hiernach eine tiefe Verbeugung, welche der junge Mann mit einem leichten Zeichen des Kopfes erwiederte, und er trat ab.

»Und nun begreife ich Alles,« sagte der junge Mann zu sich selbst und nahm neugierig wieder seinen Posten am Fenster ein. »Die junge Dame erwartet irgend Einen, der von Libourne kommen muß, und die Männer im Gehölze beabsichtigen den Gast anzugehen, ehe dieser Zeit gehabt hat, an die Thüre zu klopfen.«

In derselben-Minute und gleichsam um die Vorhersehung unseres scharfsichtigen Beobachters zu rechtfertigen, ließ sich der Tritt eines Pferdes auf der Linken vernehmen. Rasch wie der Blitz sondierte das Auge des jungen Mannes das Gehölze, um das benehmen der im Hinterhalte liegenden Leute zu beobachten. Obgleich die Nacht bereits die Gegenstände in einer Halbdunkelheit zu vermengen anfing, kam es ihm doch vor, als schöben die Einen die Zweige auf die Seite, während die Andern sich erhoben, um über die Felsen zu schauen, und Alle sich zu einer Bewegung vorbereiteten, die ganz den Anschein eines Angriffs hatte. Zu gleicher Zeit drang ein hartes Geräusch wie das einer Muskete, welche man spannt, an sein Ohr, und machte sein Herz beben. Da wandte er sich rasch nach den Seite von Libourne, suchte denjenigen zu erschauen, welchen dieses mörderische Geräusch bedrohte, und sah, die Nase im Wind, den Arm auf der Hüfte gerundet; auf einem völlig losgekoppelten Pferde im Trabe einen jungen Menschen erscheinen, dessen mit weißem Atlas ausgefütterter Mantels anmuthig die rechte Schulter enthüllte. Von ferne erschien dieses Gesicht voll Eleganz, voll welcher Poesie und freudigen Stolzes; von Nahem war es ein Antlitz mit feinen Linien, mit belebtem Teint, mit glühendem Auge, mit einem Munde, halb geöffnet durch die Gewohnheit des Lächelns, mit zartem schwarzem Schnurrbart und kleinen weißen Zähnen. Ein triumphierendes Schwingen der Reitpeitsche, ein kurzes Pfeifen, dem ähnlich, welches bei den Petits-maitres jener Zeit, nach dem Beispiele von Herrn Gaston von Orleans, Mode war, machten vollends aus dem Ankömmling den Cavalier nach den bei dem Hofe von Frankreich, welcher bei allen Höfen Europas bereits den Ton anzugeben begann, in Kraft stehenden Gesetzen.

Fünfzig Schritte hinter ihm, und ein Pferd reitend, dessen Gang er nach dem des Pferdes seines Herrn regelte, kam ein sehr anmaßender und aufgeblasener Lackei, welcher einen nicht minder ausgezeichneten Rang unter den Bedienten, als sein Herr unter den Edelleuten einzunehmen schien.

Der schöne Jüngling, der an dem Fenster des Gasthofes stand, konnte sich, ohne Zweifel noch zu jung, um kalt einer Scene, wie sie ihm verheißen war, beizuwohnen, eines Bebens bei dem Gedanken nicht erwehren, daß die zwei Unvergleichlichen, welche so sorglos und sicher verrückten, aller Wahrscheinlichkeit nach, zu dem Hinterhalte gelangend, der ihrer harrte, den Waffen ihre Feinde unterliegen sollten.

Ein rascher Kampf schien sich in ihm zwischen der Schüchternheit seines Alters und seiner Nächstenliebe zu entspinnen. Endlich gewann das edle Gefühl die Oberhand, und als der Reiter vor der Thüre des Gasthauses vorüberzog, ohne auf seine Seite zu schauen, rief der junge Mann, einer raschen Aufwallung, einem unwiderstehlichen Entschlusse nachgebend, dem schönen Reisenden zu:

»Holla! mein Herr, haltet an, wenn es Euch gefällig ist, denn ich habe Euch etwas Wichtiges mitzuteilen.«

Bei dieser Stimme und bei diesen Werten hob der Reiter den Kopf empor und hielt als er den jungen Mann an dem Fenster sah, sein Pferd mit einer Handbewegung an, die dem besten Stallmeister Ehre gemacht hätte.

»Haltet Euer Pferd nicht an, mein Herr,« fuhr der junge Mann fort, »nähert Euch mir im Gegentheil, als ob es ohne besondere Absicht geschähe und wie wenn Ihr mich kennen würdet.«

Der Reisende zögerte einen Augenblick; als er aber an der Miene desjenigen, welcher zu ihm sprach, wahrnahm, daß er es mit einem jungen Edelmanne von guter Haltung und schönem Antlitz zu thun hatte, nahm er den Hut in die Hand und ritt lächelnd vor.

»Hier bin ich zu Euren Diensten, mein Herr,« sprach er, »was steht zu Befehl?«

»Kommt immer näher, mein Herr,« fuhr der Unbekannte am Fenster fort, »denn was ich Euch zu sagen habe, läßt sich nicht laut sagen. Setzt Euren Hut auf; man muß glauben, wir kennen uns seit langer zeit, und Ihr wollt mich in diesem Gasthause besuchen.«

 

»Mein Herr,« sprach der Reisende, »ich begreife nicht.«

»Ihr werdet sogleich begreifen. Mittlerweile bedeckt Euch; kommt noch näher, immer näher; reicht mir die Hand. So ist es gut. Ich bin entzückt, Euch zu sehen. Nun überschreitet diesen Gasthof nicht, oder Ihr seid verloren.«

»Was gibt es denn? In der That, Ihr erschreckt mich,« sprach lächelnd der Reisende.

»Ihr begebt Euch in jenes kleine Haus, wo das Licht glänzt, nicht war?« Der Reiter machte eine Bewegung. »Auf dem Wege nach jenem Hause aber, dort wo sich die Straße biegt, indem düsteren Gebüsche haben sich vier Menschen in Hinterhalt gelegt und warten auf Euch.«

»Ah,« sprach der Reiter und schaute mit allen seinen Augen den kleinen, bleichen jungen Mann an, »ah! Ihr seid Eurer Sache gewiß?«

»Ich habe gesehen, wie sie nach einander ankamen, von ihren Pferden stiegen und sich theils hinter den Bäumen, theils hinter den Felsen verbargen. Als Ihr so eben aus dem Dorfe herausrittet, hörte ich sie ihre Musketen spannen.

»Gut!« versetzte der Reiter, welcher ebenfalls sich zu beunruhigen anfing.

»Ja, mein Herr, es ist, wie ich Euch sage,« fuhr der junge Mann mit dem grauen Hute fort, »und wenn es heller wäre, vermöchtet Ihr sie vielleicht zu sehen und zu erkennen.«

»Oh, ich brauche sie nicht zu erkennen,« sprach der Reisende; »ich weiß sehr wohl, wer diese Menschen sind. Aber, wer hat Euch gesagt, mein Herr, daß ich in jenes Haus gehe und daß man auf mich lauert?«

»Ich habe es errathen.«

»Ihr seid ein reizender Oedipus. Ich danke Euch. Ah! man will mich also todt schießen! Wie viel Mann sind es zu dieser Operation?«

»Vier, von denen der eine der Führer zu sein scheint.«

»Dieser Führer ist älter als die Andern, nicht wahr?«

»Ja, so viel ich von hier aus beurtheilen konnte,«

»Gebückt?«

»Weiße Feder, gestickter Leibrock, brauner Mantel, sonderbare, aber gebieterische Geberden.«

»Ganz richtig, es ist der Herzog von Epernon.«

»Der Herzog von Epernon!« rief der junge Edelmann.

»Ah! gut, ich erzähle Euch da meine Angelegenheiten,« sagte lachend der Reisende; »doch gleichviel, Ihr leistet mir einen so wichtigen Dienst, daß ich es nicht so genau nehme. Und wie sind die Leute von seinem Gefolge gekleidet?«

»Graue Kasaken.«

»Ganz richtig, das sind seine Stockträger.«

»Aus denen aber heute Musketenträger geworden sind.«

»Bei meiner Ehre»sehr verbunden! Wißt Ihr nun, was Ihr jetzt thun solltet, mein edler Mann?«

»Nein, aber sagt mir Eure Meinung, und wenn das, was ich thun soll, Euch dienen kann, so bin ich zum Voraus dazu geneigt.«

»Habt Ihr Waffen?«

»Ja, ich habe meinen Degen.«

»Habt Ihr Euren Bedienten?«

»Allerdings, aber er ist nicht hier, ich habe ihn Einem, den ich erwarte, entgegen geschickt.«

»Nun, Ihr solltet mir hilfreiche Hand leisten.«

»Wozu?«

»Um diese Elenden anzugreifen und sie und ihren Führer um Gnade bitten zu zu lassen.«

»Seid Ihr verrückt, mein Herr!« rief der junge Mann in einem Tone, welcher bewies, daß er nicht im Mindesten zu einem solchen Unternehmen geneigt war.

»In der That, ich bitte Euch nur Verzeihung,« sprach der Reisende, »ich vergaß, daß Euch die Sache nichts angeht.«

Dann sich gegen seinen Bedienten umwendend, welcher, da er sah, daß sein Herr anhielt, die gehörige Entfernung beobachtend, ebenso angehalten hatte, sagte er:

»Castorin, komm hierher.«

Zu gleicher Zeit legte er die Hand auf die Holfter seines Sattels, als wollte er sich des guten Zustandes seiner Pistolen versichern.

»Ah, Herr!« rief der, junge Edelmann und streckte den Arm gleichsam um ihn zurückzuhalten aus: »Herr, im Namen des Himmels! wagt Euer Leben nicht bei einend solchen Abenteuer. Tretet vielmehr in den Gasthof ein, um bei demjenigen, welcher Eurer harrt, keinen Verdacht zu erwecken. Bedenkt, es handelt sich um die Ehre einer Frau.«

»Ihr habt Recht,« sprach der Reiter, »obgleich es sich bei diesem Verhältnis nicht gerade um die Ehre, sondern um das Glück handelt. Castorin, mein Freund,»fuhr er sich an seinen Lackeien wendend, fort, »wir gehen für den Augenblick nicht weiter.«

»Wie« rief Castorin, in seinen Hoffnungen beinahe eben so sehr getäuscht, wie sein Gebieter, »was sagt der gnädige Herr?«

»Ich sage, Mademoiselle Francinette werde diesen Abend des Glückes Dich zu sehen beraubt sein, weil wir die Nacht im Gasthofe zum Goldenen Kalbe zubringen. Gehe also hinein, bestelle nur Abendbrod und laß mir ein Bett bereiten.«

Und du der Reiter ohne Zweifel bemerkte, daß Costorin Einwendungen machen wollte, begleitete er die letzten Worte mit einer Bewegung des Kopfes, die keine längere Erörterung zuließ. Castorin verschwand unter der großen Thüre, das Ohr gesenkt und ohne daß er ein einzigen Wort mehr wagte.

Der Reisende folgte Costorin einen Augenblick mit den Augen, schien dann, nachdem er nachgedacht hatte, seinen Entschluß zu fassen, stieg ab, ging hinter seinem Lackeien durch das Thor, warf ihm die Zügel seines Pferdes zu und war mit zwei Sprüngen vor dem Zimmer des jungen Edelmannes, der, als er plötzlich seine Thüre aufgehen sah, sich einer Bewegung des Erstaunens vermischt mit Furcht nicht erwehren konnte, welche jedoch der Ankömmling wegen der Dunkelheit nicht wahrnahm.

»Also,« sprach der Reisende, sich heiter dem jungen Manne nähernd und herzlich eine Hand schüttelnd, die man ihm nicht reichte, »also es ist abgemacht, ich verdanke Euch das Leben.«

»Ah, Herr, Ihr übertreibt den Dienst, den ich Euch geleistet habe,« entgegnete der Jüngling und suchte einen Schritt rückwärts.

»Nein, keine Bescheidenheit, es ist, wie ich Euch sage. Ich kenne den Herzog: er ist roh wie der Teufel! Ihr aber seid ein Muster von Scharfsichtigkeit, ein Phönix christlicher Menschenfreundlichkeit. Doch sagt mir, Ihr, der Ihr so liebenswürdig, so mitleidig seid, habt Ihr Eure Güte so weit getrieben, daß Ihr Kunde bis in das Haus gelangen ließet?«

»In welches Haus?«

»In das Haus, wohin ich mich begab, wo man mich erwartet.«

»Nein,« sprach der junge Mann, »ich gestehe, ich dachte nicht daran, und hätte ich auch daran gedacht, so wären mir doch keine Mittel zu Gebot gestanden. Ich bin selbst erst seit zwei Stunden hier und kenne Niemand in jenem Hause.«

»Ah! Teufel!« rief der Reisende mit einer Bewegung der Unruhe. »Arme Nanon, wenn Ihr nur nichts geschieht!«

»Nanon! Nanon von Lartigues!« rief der junge Mann erstaunt.

»Ah! Ihr seid ein Zauberer?« sprach der Reisende. »Ihr seht Menschen sich an der Straße in Hinterhalt legen und errathet, an wen sie sich machen wollen. Ich sage Euch einen Taufnamen und Ihr errathet den Familiennamen. Erklärt mir dies geschwinde, oder ich zeige Euch an und lasse Euch von dem Parlament von Bordeaux zum Scheiterhaufen verurtheilen.«

»Diesmal werdet Ihr zugestehen,« versetzte der junge Mann, daß es nicht viel Witz brauchte, um Euch auf die Fährte zu kommen. Sobald Ihr den Herzog von Epernon als Euren Nebenbuhler genannt hattet, war es offenbar, daß, wenn Ihr eine gewisse Nanon nanntet, dies die Nanon von Lartigues sein mußte, die Schöne, die-Reiche, die durch ihren Geist Glänzende, von der der Herzog bezaubert ist und welche in seinem Gouvernement herrscht, weshalb sie von der ganzen Guienne beinahe eben so sehr verflucht wird, als er selbst. Und Ihr wart auf dem Wege zu dieser Frau?« fuhr der Jüngling mit dem Tone des Vorwurfs fort.

»Meiner Treue! ja, ich gestehe es, und da ich sie einmal genannt habe, so verleugne ich sie nicht. Überdies wird Nanon mißkannt und verleumdet. Nanon ist eine reizende Person, ihren Versprechungen äußerst getreu, so lange sie ein Vergnügen darin findet, dieselben zu halten, und demjenigen ganz ergeben, welchen sie liebt, so lange sie ihn liebt. Ich sollte diesen Abend mit ihr speisen, aber der Herzog hat den Fleischtopf umgeworfen. Wünscht Ihr, daß ich Euch morgen Nanon vorstelle? Was Teufels! der Herzog wird wohl früher oder später nach Agen zurückkehren müssen.