Kostenlos

Der Chevalier von Maison-Rouge

Text
0
Kritiken
iOSAndroidWindows Phone
Wohin soll der Link zur App geschickt werden?
Schließen Sie dieses Fenster erst, wenn Sie den Code auf Ihrem Mobilgerät eingegeben haben
Erneut versuchenLink gesendet

Auf Wunsch des Urheberrechtsinhabers steht dieses Buch nicht als Datei zum Download zur Verfügung.

Sie können es jedoch in unseren mobilen Anwendungen (auch ohne Verbindung zum Internet) und online auf der LitRes-Website lesen.

Als gelesen kennzeichnen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

XLVII.
Priester und Henker

Als sie das Tribunal verließ, wurde die Königin in die Conciergerie geführt.

Sobald sie in ihrem Zimmer war, nahm sie die Scheere und schnitt ihre langen, schönen Haare ab, welche noch schöner geworden waren durch den Mangel an Puder, dessen sie sich seit einem Jahre nicht mehr bediente; sie schloß dieselben in ein Papier und schrieb aus dieses: Zwischen meinem Sohne und meiner Tochter zu vertheilen.

Dann setzte sie sich, oder fiel vielmehr auf einen Stuhl und entschlummerte, gelähmt von der Anstrengung denn das Verhör hatte achtzehn Stunden gedauert.

Um sieben Uhr erweckte sie plötzlich das Geräusch des Windschirmes, den man verrückte; sie wandte sich um und sah einen Mann, der ihr völlig unbekannt war.

»Was will man von mir?« fragte sie.

Der Mann näherte sich ihr, begrüßte sie so höflich, als ob sie noch Königin gewesen wäre, und sprach:

»Ich heiße Sanson.«

Die Königin schauerte leicht und stand aus. Dieser Name allein sagte mehr als eine lange Rede.

«Sie kommen sehr frühzeitig, mein Herr,« sprach sie, »könnten Sie nicht noch ein wenig zögern?«

»Nein, Madame,« erwiderte Sanson, »ich habe Befehl, zu kommen.«

Nach diesen Worten machte er noch einen Schritt gegen die Königin.

Alles war bei diesem Mann und in diesem Augenblick ausdrucksvoll und furchtbar.

»Ah! ich begreife,« sagte die Gefangene, »Sie kommen, um mir die Haare abzuschneiden.«

»Das ist nothwendig, Madame,« antwortete der Scharfrichter

»Ich wußte es, mein Herr, und wollte Ihnen diese Mühe ersparen. Meine Haare liegen hier aus diesem Tisch.«

Sanson folgte der Richtung der Hand der Königin.

»Nun,« fuhr sie fort, »nur wünschte ich, daß Sie sie diesen Abend meinen Kindern zustellen würden,«

»Madame, das ist nicht meine Sorge.«

»Ich glaubte jedoch . . .«

»Ich für mich,« versetzte der Scharfrichter, »habe nur die Verlassenschaft . . . der Personen . . . ihre Kleider, ihre Juwelen, und zwar nur, wenn sie mir dieselben förmlich schenken; sonst geht dies Alles an die Salpetrière über und gehört den Armen der Hospitäler; ein Beschluß des Wohlfahrtsausschusses hat diese Dinge geordnet.«

»Aber mein Herr,« sagte Marie Antoinette dringend, »kann ich darauf zählen, daß meine Haare meinen Kindern zugestellt werden?«

Sanson blieb stumm.

»Ich übernehme es, den Versuch zu machen,« sagte Gilbert.

Die Gefangene warf dem Gendarmen einen Blick unaussprechlicher Dankbarkeit zu.

»Ich bin gekommen,« sprach Sanson, »um Ihnen die Haare abzuschneiden; doch da dieses Geschäft schon abgetan ist, so kann ich Sie, wenn Sie es wünschen, einen Augenblick allein lassen.«

»Ich bitte Sie darum, mein Herr,« sprach die Königin, »denn ich bedarf der Sammlung und des Gebetes.«

Sanson verbeugte sich und ging hinaus.

Dann befand sich die Königin allein, denn Gilbert hatte nur den Kopf hereingestreckt, um die Worte zu sprechen, die wir gehört.

Während die Verurtheilte auf einen Stuhl niederkniete, der etwas niedriger war als die andern und ihr als Betpult diente, fiel eine Szene, nicht minder schrecklich, als die von uns erzählte, in dem Pfarrhanse der kleinen Kirche Saint-Landry in der Cité vor.

Der Geistliche dieses Kirchspiels war eben aufgestanden, seine alte Haushälterin richtete sein bescheidenes Frühstück zu, als man plötzlich heftig an die Thüre des Pfarrhauses klopfte.

Selbst bei einem Priester unserer Tage kündigt ein unvorhergesehener Besuch stets ein Ereigniß an: es handelt sich um eine Taufe, um eine Heirath in extremis, oder um eine Beichte in der Todesstunde; in jener Zeit aber konnte der Besuch eines Fremden etwas noch viel Ernsteres ankündigen. In jener Zeit war der Priester in der That nicht mehr der Abgeordnete Gottes und er mußte den Menschen Rechenschaft ablegen.

Doch der Abbé Girard gehörte zu denjenigen, für welche am wenigsten zu befürchten war, denn er hatte der Constitution den Eid geleistet; in ihm hatten das Gewissen und die Redlichkeit lauter gesprochen, als die Eitelkeit und der religiöse Geist. Ohne Zweifel gab der Abbé Girard die Möglichkeit eines Fortschrittes in der Regierung zu und beklagte so viele Mißbrauche, welche im Namen der göttlichen Gewalt begangen wurden; er hatte, seinen Gott beibehaltend, die Brüderschaft des republikanischen Regime angenommen.

»Sehen Sie nach, Dame Jacinthe,« sagte er, »sehen Sie nach, wer so frühzeitig an unsere Thüre klopft, und wenn es nicht zufällig ein sehr dringender Dienst ist, den man von mir verlangt, so sagen Sie, ich sei diesen Morgen in die Concierqerie beschieden und müsse mich nothwendig in einem Augenblick dahin begeben.«

Dame Jacinthe10 hieß früher Madeleine. Doch sie hatte einen Blumennamen für ihren Namen angenommen, wie der Abbé Girard den Titel Bürger für den eines Geistlichen angenommen hatte

Auf den Befehl ihres Herrn stieg Dame Jacinthe eiligst auf den Stufen des kleinen Gartens hinab, gegen welchen sich die Eingangsthüre öffnete: sie zog die Riegel zurück, und es zeigte sich ein sehr bleicher, sehr bewegter junger Mann, dessen Physiognomie indessen sanft und ehrlich war.

»Ist der Herr Abbé Girard zu Hause?« fragte er, Jacinthe betrachtete prüfend die in Unordnung gebrachten Kleider, den langen Bart und das Nervenzittern des Unbekannten; dies Alles dünkte ihr ein sehr schlimmes Vorzeichen,

»Bürger,« sagte sie, »es ist hier weder ein Herr, noch ein Abbé.«

»Verzeihen Sie, Madame,« versetzte der junge Mann, »ich will sagen, der Geistliche vom Saint-Landry.«

Jacinthe wurde trotz ihres Patriotismus betroffen von dem Worte Madame, das man nicht an eine Kaiserin gerichtet hätte; doch sie antwortete:

»Man kann ihn nicht sehen, Bürger; er spricht sein Brevier.«

»Dann werde ich warten,« versetzte der junge Mann.

»Aber,« entgegnete Dame Jacinthe, der diese Beharrlichkeit die schlimmen Gedanken wieder gab, welche sich gleich Anfangs in ihr geregt hatten, »aber Sie werden vergebens warten, denn er ist nach der Conciergerie gerufen und wird sogleich dahin abgehen.«

Der junge Mann erbleichte furchtbar, oder wurde vielmehr von bleich, wie er war, leichenfarbig.

»Es ist also richtig!« murmelte er.

Dann sagte er laut:

»Madame, das ist gerade der Gegenstand, der mich zu dem Bürger Girard führt.«

Und trotz der Alten war er, indes er so sprach, hereingegangen, hatte sachte, aber entschlossen die Riegel an der Thüre vorgeschoben und trat nun, ohne die Einwendungen und sogar die Drohungen der Dame Jacinthe zu beachten, in das Haus und drang bis in das Zimmer des Abbé.

Als dieser ihn erblickte, ließ er einen Ausruf des Erstaunens vernehmen.

»Verzeihen Sie, Herr Pfarrer,« sagte sogleich der junge Mann, »ich habe über eine sehr ernste Sache mit Ihnen zu sprechen; gestatten Sie, daß wir allein bleiben.«

Der alte Priester wußte aus Erfahrung, wie sich die großem Schmerzen ausdrucken. Er las ein ganzes Leiden in dem verstörten Gesichte des jungen Mannes, er erkannte eine erhabene Erschütterung in seiner fieberhaften Stimme.

»Lassen Sie uns, Dame Jacinthe,« sagte er.

Der junge Mann folgte mit den Augen voll Ungeduld der Haushälterin, welche, gewohnt an den Geheimnissen ihres Herrn Theil zu nehmen, sich zu entfernen zögerte; als sie endlich die Thüre geschlossen hatte, sprach der Unbekannte:

»Mein Herr Pfarrer, Sie werden mich vor Allem fragen, wer ich bin. Ich will es Ihnen sogleich sagen. Ich bin ein Geächteter; ich bin ein zum Tode Verurtheilter und lebe nur durch die Gewalt der Kühnheit; ich bin der Chevalier von Maison-Rouge,«

Der Abbé sprang vor Schrecken von seinem Lehnstuhle aus.

»Oh! fürchten Sie nichts,« versetzte der Chevalier. »Niemand hat mich hier eintreten sehen, und diejenigen, welche mich gesehen hätten, würden mich nicht erkennen, denn ich habe mich seit zwei Monaten gewaltig verändert.«

»Aber was wollen Sie denn, Bürger?« fragte der Pfarrer.

»Sie werden diesen Morgen in die Cenciergerie gehen?«

»Ja, ich bin durch den Concierge dahin bestellt.«

»Wissen Sie, warum?«

»Wegen eines Kranken, wegen eines Sterbenden, wegen eines Verurtheilten vielleicht.«

»Sie haben es gesagt: ja, eine verurtheilte Person erwartet Sie.«

Der alte Priester schaute den Chevalier erstaunt an.

»Aber wissen Sie, wer diese Person ist?« sagte Maison-Rouge.

»Nein . . . ich weiß es nicht.«

»Nun wohl! diese Person ist die Königin!«

Der Abbé stieß einen Schmerzensschrei aus.

»Die Königin! oh! mein Gott!«

»Ja, mein Herr, die Königin! Ich erkundigte mich, um zu wissen, welchen Priester man ihr geben würde. Ich erfuhr, Sie wären es, und lief herbei.«

»Was wollen Sie von mir?« fragte der Priester, erschrocken über den fieberhaften Ausdruck des Chevalier.

»Ich will. . . ich will nicht, mein Herr. Ich komme, um Sie zu bitten . . . Sie anzuflehen . . .«

»Was denn?«

»Mich mit Ihnen zu Ihrer Majestät gehen zu lassen.«

»Oh! sind Sie denn verrückt!« rief der Abbé, »Sie richten mich zu Grunde und stürzen sich selbst ins Verderben!«

»Befürchten Sie nichts,«

»Die arme Frau ist verurteilt und es ist um sie geschehen.«

»Ich weiß es, und nicht um einen Versuch zu machen, sie zu retten, will ich sie sehen, sondern . . . Doch hören Sie mich, mein Vater, Sie hören mich nicht an.«

»Ich höre Sie nicht an, weil Sie etwas Unmögliches von mir verlangen; ich höre Sie nicht an, weil Sie wie ein Wahnsinniger handeln,« sprach der Greis; »ich höre Sie nicht an, weil Sie mich erschrecken.«

 

»Mein Vater, beruhigen Sie sich,« erwiderte der junge Mann, indem er sich selbst zu beruhigen suchte; »mein Vater, glauben Sie mir, ich habe meine volle Vernunft. Die Königin ist verloren, ich weiß es; doch kann ich mich zu ihren Füßen niederwerfen, nur eine einzige Secunde, so ist mein Leben gerettet; sehe ich sie nicht, so tödte ich mich, und da Sie die Ursache meiner Verzweiflung sind, so haben Sie zugleich den Leib und die Seele getödtet.«

»Mein Sohn, mein Sohn,« sprach der Priester, »bedenken Sie wohl, Sie fordern das Opfer meines Lebens von mir; so alt ich bin, so ist mein Dasein doch noch vielen Unglücklichen nothwendig; so alt ich bin, würde ich mir, wenn ich selbst dem Tode entgegenginge, einen Selbstmord zu Schulden kommen lassen.«

»Weisen Sie mich nicht zurück, mein Vater,« versetzte der Chevalier; »Sie brauchen einen Hilfspriester, einen Acolyten, nehmen Sie mich mit, mein Vater,«

»Nein,« sagte er, »nein, ich würde mich dadurch gegen meine Pflichten verfehlen: ich habe die Constitution beschweren, ich habe aus dem Grunde meines Herzens in meiner Seele und meinem Gewissen geschworen. Die arme verurtheilte Frau ist eine strafbare Königin; ich würde zu sterben einwilligen, wenn mein Tod einem Nebenmenschen nützlich sein könnte; doch ich will nicht meine Pflicht verletzen.«

»Aber wenn ich Ihnen sage,« rief der Chevalier »wenn ich Ihnen wiederhole, wenn ich Ihnen schwöre, daß ich nicht die Königin retten will! Sehen Sie auf dieses Evangelium, sehen Sie aus dieses Cruzifix schwöre ich ihnen, daß ich nicht in die Conciergerie gehe, um ihren Tod zu verhindern.«

»Was wollen Sie dann?« fragte der Greis, erschüttert durch diesen Ausdruck der Verzweiflung, den man nicht nachahmt.

»Hören Sie,« erwiderte der Chevalier, dessen Seele einen Weg über seine Lippen zu suchen schien, »sie war meine Wohltäterin, sie hat einige Anhänglichkeit für mich; mich in ihrer letzten Stunde zu sehen, wird, ich bin es fest überzeugt, ein Trost für sie sein.«

»Das ist Alles, was Sie wollen?« fragte der Priester, ergriffen von diesem unwiderstehlichen Ton.

»Durchaus Alles.«

»Sie spinnen kein Complott, um einen Versuch zu Befreiung der Verurtheilten zu machen?«

»Keines, Ich bin ein Christ, mein Vater, und wenn in meinem Herzen ein Schatten von Lüge ist, wenn ich hoffe, sie werde leben, wenn ich in irgend einer Hinsicht daran arbeite, so strafe mich Gott durch eine ewige Verdammniß!«

»Nein! nein! ich kann Ihnen nichts versprechen,« sagte der Pfarrer, vor dessen Geist sich wieder die großen und zahlreichen Gefahren einer solchen Unklugheit stellten.

»Hören Sie, mein Vater,« entgegnete der Chevalier mit einem Ausdrucke tiefen Schmerzes, »ich habe als demüthiger Sohn mit Ihnen gesprochen; ich habe nur christliche und mildherzige Gefühle gegen Sie geäußert; kein bitteres Wort, keine Drohung ist aus meinem Munde gekommen, und dennoch gährt mein Kopf, dennoch durchglüht das Fieber mein Blut, dennoch zernagt mir die Verzweiflung das Herz, dennoch bin ich bewaffnet, sehen Sie, ich habe einen Dolch.«

Und der junge Mann zog aus seiner Brust eine glänzende, feine Klinge, welche einen bläulichen Reflex auf seine zitternde Hand warf.

Der Geistliche trat rasch zurück.

»Fürchten Sie sich nicht,« sagte der Chevalier, »Andere, die Sie so treu Ihrem Worte gekannt hätten, würden Ihrer Angst einen Schwur entrissen haben. Nein, ich habe Sie angefleht, ich flehe Sie mit gefalteten Händen, die Stirne aus dem Boden, immer noch an, machen Sie, daß ich die Königin nur einen einzigen Augenblick sehe, und nehmen Sie dies als Garantie an.«

Und er zog aus seiner Tasche eine Zettel, den er Girard bot; der Abbé entfaltete ihn und las folgende Worte:

»Ich René, Chevalier von Maison-Rouge, erkläre bei Gott und meiner Ehre, daß ich durch Androhung des Todes den würdigen Pfarrer von Saint-Landry gezwungen habe, mich trotz seiner Weigerung und seines lebhaften Sträubens in die Conciergerie mitzunehmen. Zu Beglaubigung dessen, habe ich unterzeichnet

Maison-Rouge.«

»Es ist gut,« sprach der Priester, »doch schwören Sie mir nun auch noch, daß Sie keine Unklugheit begehen werden; es ist nicht genug, daß mein Leben unversehrt bleibt, ich bin auch für das Ihrige verantwortlich.«

»Oh! denken wir nicht hieran,« sprach der Chevalier, »Sie willigen ein?«

»Ich muß wohl, da Sie es so haben wollen. Sie erwarten mich unten, und wenn sie in die Kanzlei geht, werden Sie sie sehen,«

Der Chevalier ergriff die Hand des Greises und küßte sie mit eben so viel Ehrfurcht und Inbrunst, als wenn es ein Cruzifix gewesen wäre.

»Oh!« murmelte der Chevalier, »sie wird wenigstens wie eine Königin sterben und die Hand des Henkers wird sie nicht berühren!«

XLVIII.
Der Henkerskarren

Sobald Maison-Rouge diese Erlaubniß von dem Pfarrer von Saint-Landry erhalten hatte, eilte er in ein halb geöffnetes Cabinet, in welchem er das Ankleidecabinet des Abbé erkannt hatte.

Hier fielen in einem Nu sein Backenbart und sein Schnurrbart unter dem Rasiermesser und jetzt erst konnte er seine Blässe wahrnehmen; sie war erschreckend.

Er kehrte scheinbar ruhig zurück; übrigens schien er völlig vergessen zu haben, daß er, obgleich er den Bart abgeworfen, in der Conciergerie erkannt werden konnte.

Der Chevalier folgte dem Abbé, den während seiner kurzen Abwesenheit zwei Wachen geholt hatten, und trat mit jener Keckheit, welche jeden Verdacht beseitigt, mit jenem entstellenden Anschwellen des Fiebers durch das Gitter ein, welches zu jener Zeit in den Hof des Palastes ging.

Er trug wie der Abbé Girard einen schwarzen Frack, denn die priesterlichen Gewänder waren abgeschafft.

In der Kanzlei fanden sie mehr als fünfzig Personen, theils Angestellte des Gefängnisses, theils Deputirte, theils Commissäre, welche entweder als Mandatare oder als Neugierige die Königin vorüberkommen sehen wollten.

Sein Herz schlug so gewaltig, als er sich der Kerkerpforte gegenüber befand, daß er die Gespräche des Abbé mit den Gendarmen und dem Concierge nicht mehr hörte.

Ein Mann, der eine Scheere und ein Stück frisch abgeschnittenen Stoff in der Hand hielt, stieß aus der Schwelle an Maison-Rouge.

Maison-Rouge erkannte den Scharfrichter.

»Was willst Du, Bürger?« fragte Sanson.

Der Chevalier suchte den Schauer zu bewältigen, der unwillkürlich seine Adern durchlief, und antwortete:

»Ich! Du siehst es wohl, Bürger Sanson, ich begleite den Geistlichen von Saint-Landry.«

»Ah! gut,« versetzte der Scharfrichter.

Und er trat aus die Seite und gab seinem Gehilfen Befehle.

Während dieser Zeit drang Maison-Rouge in das Innere der Kanzlei, von der Kanzlei ging er in das Gelaß, wo sich die zwei Gendarmen aushielten.

Diese braven Leute waren bestürzt; so würdig und stolz sie sich gegen die Anderen benommen hatte, so gut und sanft war die Königin gegen sie gewesen; sie schienen mehr ihre Diener, als ihre Wächter zu sein.

Doch von dem Platze, wo der Chevalier war, konnte er Marie Antoinette nicht sehen.

Der Windschirm hatte sich geöffnet, um den Geistlichen einzulassen, war aber wieder hinter ihm geschlossen worden.

Als der Chevalier eintrat, hatte das Gespräch schon begonnen,

»Mein Herr,« sagte die Königin mit ihrem scharfen, stolzen Tone zu dem Pfarrer, »da Sie der Republik, in deren Namen man mich zum Tode bringt, den Eid geleistet haben, so vermöchte ich kein Vertrauen zu Ihnen zu fassen. Wir beten nicht denselben Gott an!«

»Madame,« erwiderte Girard, sehr bewegt durch dieses verächtliche Glaubensbekenntniß, »eine Christin, welche zu sterben im Begriffe ist, muß sterben ohne Haß im Herzen und darf ihren Gott nicht zurückweisen, unter welcher Form er sich auch ihr zeigen mag,«

Maison-Rouge machte einen Schritt, um den Windschirm ein wenig zu öffnen, in der Hoffnung, wenn sie ihn erblicken würde und die Ursache wüßte, die ihn hierher führte, dürste sie ihre Ansicht in Beziehung auf den Geistlichen ändern; doch die zwei Gendarmen widersetzten sich durch eine Bewegung.

»Aber da ich der Gehilfe des Pfarrers bin?« entgegnete Maison-Rouge.

»Insofern sie den Pfarrer zurückweist, braucht sie auch den Gehilfen nicht,« antwortete Duchesne.

»Sie wird ihn vielleicht annehmen,« erwiderte der Chevalier die Stimme erhebend, »es ist nicht möglich, daß sie ihn nicht annimmt.«

Doch Marie Antoinette war zu sehr von dem Gefühle eingenommen, das ihr Inneres bewegte, um die Stimme des Chevalier zu hören und zu erkennen,

»Gehen Sie,« fuhr sie gegen Girard fort, »gehen Sie und lassen Sie mich allein; da wir gegenwärtig in Frankreich unter einer Regierung der Freiheit leben, so verlange ich die, nach meiner Phantasie zu sterben.«

Girard suchte zu widerstehen.

»Lassen Sie mich, mein Herr,« sprach sie, »ich sage Ihnen, lassen Sie mich!«

Girard versuchte es, noch ein Wort beizufügen.

»Ich will es,« entgegnete die Königin mit einer Gebärde von Marie Therese.

Girard ging hinaus.

Maison-Rouge bemühte sich, mit seinem Blick durch den Zwischenraum des Windschirmes zu dringen, aber die Königin wandte ihm den Rücken zu.

Der Gehilfe des Scharfrichters kreuzte den Geistlichen; er trat mit Stricken in der Hand ein.

Die Gendarmen trieben den Chevalier bis zur Thüre zurück, ehe er, geblendet, verzweifelnd, betäubt, im Stande gewesen war, einen Ruf von sich zu geben oder eine Bewegung zu machen, um sein Vorhaben zu vollführen.

Er befand sich also mit Girard im Corridor des Gefängnisses. Vom Corridor drängte man ihn bis in die Kanzlei zurück, wo sich die Kunde von der Weigerung der Königin schon verbreitet hatte, und wo der österreichische Stolz von Marie Antoinette bei Einigen der Text von groben Schmähungen, bei Anderen ein Gegenstand geheimer Bewunderung wurde.

»Gehen Sie,« sagte Richard zu dem Abbé, »kehren Sie nach Hause zurück, da die Gefangene Sie fortjagt und nach ihrem Belieben sterben will.«

»Höre,« versetzte die Frau Richard, »sie hat Recht und ich würde es machen wie sie.«

»Und Sie hätten Unrecht, Bürgerin,« entgegnete der Abbé.

»Schweige, Frau,« murmelte der Concierge, indem er die Augen weit aufriß, »was geht das Dich an? Gehen Sie, Abbé, gehen Sie.«

»Nein,« wiederholte Girard, »ich werde sie wider ihren Willen begleiten; ein Wort, und wäre es nur ein einziges Wort, wird sie, wenn sie es hört, an ihre Pflichten erinnern; überdies hat mir die Gemeinde den Auftrag gegeben und ich muß der Gemeinde gehorchen.

»Gut, doch schicke Deinen Sacristan weg,« sagte mit grobem Tone der Adjutant-Major, der die bewaffnete Macht befehligte.

Es war ein ehemaliger Schauspieler der Ccmedie Francaise, Namens Grammont

Die Augen des Chevalier schleuderten einen doppelten Blitz und er fuhr maschinenmäßig mit seiner Hand in seine Brust.

Girard wußte, daß er einen Dolch unter seiner Weste hatte. Er hielt ihn mit einem flehenden Blick zurück.

»Schonen Sie mein Leben,« sagte er leise zu ihm, »Sie sehen, daß Alles für Sie verloren ist; stürzen Sie sich nicht mit ihr in das Verderben; ich werde auf dem Wege mit ihr von Ihnen sprechen, das schwöre ich Ihnen; ich werde ihr sagen, was Sie gewagt haben, um sie zum letzten Male zu sehen.«

Diese Worte dämpften das Aufbrausen des jungen Mannes; überdies bewerkstelligte sich die gewöhnliche Gegenwirkung, seine ganze Organisation erlitt eine seltsame Lähmung. Dieser Mann von einem heldenmäßigen Willen, von einer wunderbaren Macht war am Ende seiner Kraft und seiner Willens angelangt; er schwamm unentschlossen oder vielmehr ermattet, besiegt, in einer Art von Schläfrigkeit, die man hätte für den Vorboten des Todes halten können.

»Ja,« sagte er, »so mußte es sein; das Kreuz für Jesus, das Schafott für sie; die Götter und Könige leeren bis auf die Hefe den Kelch, den ihnen die Menschen reichen.

Folge dieses ganz ergebenen, ganz trägen Gedankens war, daß sich der junge Mann bis zur äußeren Thüre zurückstoßen ließ, ohne sich auf eine andere Art, als durch einen unwillkührlichen Seufzer zu vertheidigen, ohne mehr Widerstand zu leisten, als Ophelia, dem Tode gweiht, leistete, da sie sich von den Wellen fortgerissen sah.

Am Fuße der Gitter und Thore der Conciergerie drängte sich eine von den furchtbaren Mengen, von denen man sich keine Vorstellung machen kann, wenn man sie nicht wenigstens einmal gesehen hat.

Die Ungeduld beherrschte alle Leidenschaften, und alle Leidenschaften sprachen laut ihre Sprache, die, sich vermischend, einen ungeheuren Lärmen bildete, als ob dieser ganze Lärmen und die ganze Bevölkerung von Paris sich in dem Quartiere des Justizpalastes concentrirt hätten.

 

Vor dieser Menge war eine ganze Armee mit Kanonen mit der Bestimmung ausgepflanzt, das Fest zu beschützen und für diejenigen, welche es genießen wollten, sicher zu machen.

Man hätte es vergebens versucht, diesen Wall zu durchbrechen, der sich, seitdem die Verurtheilung außerhalb Paris bekannt geworden war, durch die Patrioten der Vorstädte verstärkt hatte.

Aus der Conciergerie vertrieben, befand sich Maison-Rouge natürlich bei der ersten Reihe der Soldaten. Die Soldaten fragten ihn, wer er wäre.

Er antwortete, er wäre der Vicar des Abbé Girard; doch da er wie sein Pfarrer den Eid geleistet, so hätte ihn die Königin wie seinen Pfarrer zurückgewiesen.

Die Soldaten stießen ihn ihrerseits bis zur ersten Reihe der Zuschauer zurück.

Hier sah er sich gezwungen, zu wiederholen, was er den Soldaten sagte.

Da erhob sich das Geschrei:

»Er kommt so eben von ihr. . . Er hat sie gesehen . . . Was hat sie gesagt? . . . Was macht sie? . . . Ist sie immer noch stolz? . . . Ist sie niedergeschlagen?. . . Weint sie? . . .«

Der Chevalier beantwortete alle diese Fragen mit einer zugleich schwachen, sanften und freundlichen Stimme, als ob diese Stimme die letzte Kundgebung des an seinen Lippen hängenden Lebens wäre.

Seine Antwort war die reine und einfache Wahrheit, nur war diese Wahrheit eine Lobeserhebung der Festigkeit von Marie Antoinette, und das, was er mit der Einfachheit und dem Glauben eines Evangelisten sagte, brachte Unruhe in mehr als ein Herz.

Als er von dem kleinen Dauphin und Madame Royale, von dieser Königin ohne Thron, von dieser Gattin ohne Gatten, von dieser Mutter ohne Kinder, von dieser verlassenen Frau ohne einen Freund mitten unter Henkern sprach, da verschleierte sich mehr als eine Stirne mit Traurigkeit, erschien mehr als eine Thräne, verstohlen und brennend in Augen, welche kurz zuvor noch der Haß belebte.

Es schlug elf Uhr im Glockenthurme des Palastes jeder Lärmen hörte sogleich aus. Hundert tausend Personen zählten die Stunde, welche es eben schlug und der die Schläge ihres Herzens antworteten.

Als das Vibriren des letzten Schlages im Raume erlosch, entstand ein gewaltiges Geräusch hinter den Pforten, während zugleich ein von dem Quai aux Fleurs herkommender Karren zuerst die Volksmenge, sodann die Wachen durchschnitt, und sich endlich unten an den Stufen aufstellte.

Bald erschien die Königin oben auf der ungeheuren Freitreppe. Alle Leidenschaften drängten sich in den Augen zusammen, der Athem blieb keuchend und gehemmt.

Ihre Haare waren kurz geschnitten; die Mehrzahl hatte sich während ihrer Gefangenschaft gebleicht, und diese Silberfarbe machte noch zarter die perlmutterartige Blässe, welche in diesem äußersten Augenblick die Schönheit der Tochter der Cäsaren beinahe himmlisch erscheinen ließ.

Sie trug ein weißes Kleid und ihre Hände waren ihr aus den Rücken gebunden.

Als sie sich oben aus den Stufen zeigte, wobei sie auf ihrer Rechten den Abbé Girard, der sie wider ihren Willen begleitete, und auf ihrer Linken den Nachrichter, Beide schwarz gekleidet, hatte, entstand in dieser ganzen Menge ein Gemurmel, das Gott allein, der im Grunde der Herzen liest, verstehen und in einer Wahrheit zusammenfassen konnte.

Ein Mann trat nun zwischen den Scharfrichter und Marie Antoinette.

Dies war Grammont. Er kam so, um ihr den schmählichen Karren zu zeigen.

Die Königin wich unwillkührlich einen Schritt zurück.

»Steigen Sie ein,« sagte Grammont.

Jedermann hörte dieses Wort, denn die Erschütterung hielt alles Gemurmel an den Lippen der Zuschauer zurück.

Da sah man das Blut in die Wangen der Königin steigen und die Wurzel ihrer Haare erreichen; doch beinahe in demselben Augenblick überzog sich ihr Gesicht wieder mit einer tödtlichen Blässe.

Ihre erbleichenden Lippen öffneten sich.

»Warum einen Karren für mich, während sich der König ohne Wagen nach dem Schafott begeben hat?« sagte sie.

Der Abbé Girard sprach nun leise einige Worte zu ihr. Ohne Zweifel bekämpfte er bei der Verurtheilten diesen letzten Schrei des königlichen Stolzes.

Die Königin schwieg und wankte.

Sanson streckte die Arme aus, um sie zu unterstützen; doch sie erhob sich und wich zurück, ehe er sie berührt hatte.

Sie ging die Treppe hinab, während der Gehilfe einen hölzernen Fußtritt hinter dem Karren befestigte.

Die Königin stieg ein, der Abbé stieg hinter ihr ein.

Sanson ließ sie Beide sitzen.

Als der Karren sich zu erschüttern anfing, entstand eine gewaltige Bewegung im Volke; doch die Soldaten, da sie nicht wußten, in welcher Absicht diese Bewegung geschah, vereinigten zu gleicher Zeit alle ihre Kräfte, um die Menge zurückzudrängen; dadurch ergab sich ein großer leerer Raum zwischen dem Karren und den ersten Reihen.

In diesem Raum erscholl ein düsteres Geheul.

Die Königin bebte, richtete sich aus und schaute umher.

Sie erblickte nun ihren seit zwei Monaten verlorenen Hund, ihren Hund, der nicht mit ihr in die Conciergerie hatte dringen können, der trotz des Geschreis, der Schläge und Stöße gegen den Karren vorstürzte; doch als bald verschwand der arme, magere, abgezehrte, gelähmte Black unter den Füßen der Pferde.

Die Königin folgte ihm mit den Augen; sie konnte nicht sprechen, denn ihre Stimme wurde von dem Lärmen bedeckt; sie konnte nicht mit dem Finger auf ihn deuten, denn ihre Hände waren gebunden; hätte sie ihn aber auch zeigen, hätte man sie hören können, sie würde ohne Zweifel vergebens nach ihm verlangt haben.

Nachdem sie ihn kurze Zeit aus den Augen verloren, erblickte sie ihn wieder.

Er war in den Armen eines bleichen jungen Mannes, der auf einer Kanone stehend die Menge überragte und, erhoben durch eine unsägliche Exaltation, sie grüßte und aus den Himmel deutete.

Marie Antoinette schaute zum Himmel empor nur lächelte sanft.

Der Chevalier von Maison-Rouge stieß einen Seufzer aus, als ob ihm dieses Lächeln eine Wunde im Herzen beigebracht hätte, und als sich der Wagen dem Pont au Change zuwandte, fiel er in die Menge zurück und verschwand.

10Jacinthe gleich Hyacinthe