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Der Chevalier von Maison-Rouge

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XV.
Die Göttin Vernunft

Maurice war, wie er es dem General Santerre hatte lagen lassen, ernstlich krank.

Seitdem er das Zimmer hütete, besuchte ihn Lorin regelmäßig und that Alles, was er vermochte, um ihn zu irgend einer Zerstreuung zu bestimmen. Aber Maurice blieb unerschütterlich. Es gibt Krankheiten, die man nicht heilen will.

Am 1. Juni kam er gegen ein Uhr.

»Was geht denn heute Besonderes vor?« fragte Maurice; »Du bist herrlich.«

Das Costume von Maurice war wirklich streng der Vorschrift gemäß: eine rothe Mütze, die Carmagnole und der dreifarbige Gürtel geschmückt mit den zwei Instrumenten, die man damals die Schenkkännchen des Abbé Maury nannte, während sie früher und seitdem ganz einfach dm Namen Pistolen hatten.

»Zuerst,« antwortete Lorin, »gibt es im Allgemeinen Eisbruch der Gironde, welche sich hinzurichten im Begriffe ist, jedoch beim Rasseln der Trommeln. In diesem Augenblick zum Beispiel macht man die rothen Kugeln auf der Place du Caroussel glühend; insbesondere aber findet eine Feierlichkeit statt, zu der ich Dich auf übermorgen einlade.«

»Aber was gibt es denn heute? Du kommst, um mich zu holen, sagst Du?«

»Ja, heute haben wir die Probe.«

»Welche Probe?«

»Die Probe von der großen Feierlichkeit.«

»Mein Lieber, Du weißt, daß ich seit acht Tage, nicht ausgehe; folglich bin ich mit nichts aus dem Laufenden und ich bedarf sehr der Belehrung.«

»Wie, ich habe es also nicht gesagt?«

»Du hast mir nichts gesagt.«

»Du weißt vor Allem, daß wir Gott aus einige Zeit unterdrückt und daß wir ihn durch das höchste Wesen ersetzt haben.«

»Ja, ich weiß das.«

»Nun, es scheint, man hat wahrgenommen, daß das höchste Wesen ein Gemäßigter, ein Rolandist, ein Girondist war.«

»Lorin, keinen Scherz über heilige Dinge; Du weißt, ich liebe das nicht.«

»Was willst Du, mein Lieber, man muß seinem Jahrhundert angehören. Ich liebte auch meinen alten Gott, vor Allem, weil ich an ihn gewöhnt war. Was das höchste Wesen betrifft, so scheint es, daß dasselbe wirklich Unrecht hat, und daß; seitdem es da oben ist, Alles schief geht, unsere Gesetzgeber haben endlich seine Absetzung beschlossen.«

Maurice zuckte die Achseln.

»Zucke die Achseln, so lange Du willst,« versetzte Lorin.

 
»Auf der Weisen ernstes Geheiß
Soll auch der Thorheit ein Cult sich weihen,
Schwarz bleibt Schwarz und Weiß bleibt Weiß,
Doch mögen den Schein sie sich leihen,
Wir Stützen des Momos, wir Narren,
Opfern der Thorheit den Farren,
Obgleich nur in partibus.«
 

»So, daß wir nun ein wenig die Göttin Vernunft anbeten werden,« fügte Lorin bei.

»Und Du machst alle diese Mummereien mit?« sprach Maurice.

»Ah! mein Freund, wenn Du die Göttin Vernunft kennen würdest, wie ich sie kenne, so wärest Du einer ihrer wärmsten Parteigänger. Höre, ich will sie mit Dir bekannt machen, ich will sie Dir vorstellen.«

»Laß mich mit all' diesen Narrheiten in Ruhe; ich bin traurig, Du weißt es wohl.«

»Ein Grund mehr; sie wird Dich erheitern, denn es ist ein gutes Mädchen. Ei! Du kennst sie, die strenge Göttin, welche die Pariser mit dem Lorbeer bekränzen und auf einem Karren von Goldpapier umherführen werden! Es ist . . . errathe . . .« '''

»Wie soll ich errathen?«

»Es ist Arthemise.«

»Arthemise?« versetzte Maurice, in seinem Gedächtniß suchend, ohne daß sich bei diesem Namen irgend eine Erinnerung in ihm regte.

»Ja, eine große Brünette, deren Bekanntschaft ich im vorigen Jahre auf einem Ball der Oper gemacht habe; kannst Du Dich nicht mehr entsinnen, Du speistest mit uns zu Nacht und machtest sie berauscht.«

»Ah! ja, es ist wahr,« erwiderte Maurice, »ich erinnere mich nun; und sie ist es . . .«

»Sie ist es, welche am meisten Hoffnung hat . . . Ich habe sie bei dem Concurse vorgeschlagen: alle Thermophylen haben mir ihre Stimmen zugesagt. In drei Tagen die allgemeine Wahl. Heute vorbereitendes Mahl; heute vergießen wir Champagnerwein; übermorgen werden wir vielleicht Blut vergießen! Doch man mag antworten, was man will, Arthemise wird Göttin, oder der Teufel soll mich holen. Auf, komm', wir wollen sie ihre Tunica anlegen lassen.«

»Ich danke. Ich hatte immer einen Widerwillen gegen dergleichen Dinge.«

Gegen das Ankleiden der Göttinnen? Pest! mein Lieber, Du bist schwierig. Nun, so höre, wenn es Dich zerstreuen kann, werde ich ihr die Tunica anlegen, und Du magst sie ihr ausziehen.«

»Lorin, ich bin krank, und habe nicht nur keine Heiterkeit mehr, sondern auch die Heiterkeit der Andern thut mir weh.«

»Ah! Du erschreckst mich! Maurice. Du Dich nicht mehr, Du lachst nicht mehr, solltest Du zufällig conspiriren?«

»Ich? Gefiele es Gott!«

»Du willst sagen: gefiele es der Göttin Vernunft!«

»Laß mich, Lorin, ich kann nicht, ich will nicht ausgehen, ich bin im Bette und bleibe hier.«

Lorin kratzte sich hinter dem Ohr und erwiderte:

»Gut! ich sehe, was es ist.«

»Und was siehst Du?-

»Ich sehe, daß Du die Göttin Vernunft erwartest.«

»Beim Teufel!« rief Maurice, »die witzig sind sehr lästig; gehe, «der ich belade Dich mit Verwünschungen, Dich und die Göttin.«

Maurice hob die Hand auf, um zu fluchen, als er durch seinen Willfährigen unterbrochen wurde, der in diesem Augenblick einen Brief für den Bürger, Bruder, in der Hand haltend eintrat.

»Bürger Agesilaus,« sprach Lorin, »Du trittst in einem schlimmen Augenblick ein; Dein Herr war im Begriff, erhaben zu werden.«

Maurice ließ seine Hand fallen und streckte sie gleich gültig nach dem Briefe aus; doch kaum hatte er ihn berührt, als er bebte, denselben gierig seinen Augen näherte die Schrift und das Siegel mit dem Blicke verschlang, und erbleichend, als ob er einer Ohnmacht nahe wäre, dieses Siegel erbrach.

Oh! oh!« murmelte Lorin, »es scheint, unser Interesse erwacht.«

Maurice hörte nicht mehr, er las mit seiner ganzen Seele die vier Zeilen von Geneviève. Nachdem er so gelesen, las er sie noch einmal, dreimal, viermal, dann wischte er sich die Stirne ab, ließ seine Hände zurückfallen und schaute Lorin wie ein völlig verdutzter Mensch an.

»Teufel!« sagte Lorin, »dieser Brief muß wohl wichtige Nachrichten enthalten.«

Maurice las den Brief zum fünften Male und eine neue Röthe färbte sein Antlitz. Seine vertrockneten Augen befeuchteten sich, ein tiefer Seufzer erweiterte seine Brust; dann vergaß er plötzlich seine Krankheit und die Schwäche, welche eine Folge daran war, und sprang aus seinem Bette.

»Meine, Kleider!« rief er seinem erstaunten Willfährigen zu, »meine Kleider, Agesilaus. Ah! mein armer Lorin, mein guter Lorin, ich erwartete es jeden Tag, doch ich hoffte nicht darauf. Dort, eine weiße Hose, ein Jabothemd: man frisire und rasire mich auf der Stelle.«

Der Willfährige beeilte sich, die Befehle von Maurice zu vollziehen, frisirte und rasirte ihn in einem Nu.

»Oh! sie wiedersehen, sie wiedersehen!« rief der junge Mann. »Lorin, in der That, ich habe bis jetzt nicht gewußt, was das Glück ist.«

»Rein armer Maurice,« sagte Lorin, »ich glaube, Du bedarfst des Besuches, den ich Dir gerathen habe.«

»Oh! lieber Freund,« rief Maurice, »verzeihe mir, doch in Wahrheit, ich habe meine Vernunft nicht mehr.«

»Dann biete ich Dir die meinige an,« versetzte Lorin, über diesen abscheulichen Calembour lachend.

Am Wunderbarsten dabei war, daß Maurice auch lachte.

Das Glück hatte ihn leicht zugänglich für den Witz gemacht.

Das war noch nicht Alles.

»Halt,« sagte er, indem er ein mit Blüthen bedecktes Orangenbäumchen abschnitt, »biete diesen Strauß in meinem Namen der würdigen Witwe von Mausolos an.«

»Das lasse ich mir gefallen!« rief Lorin, »das ist eine hübsche Artigkeit! ich verzeihe Dir auch. Und dann kommt es mir vor, als wärest Du im höchsten Maße verliebt, und ich habe stets die tiefste Achtung vor großem Unglück gehabt.«

»Nun wohl, ja, ich bin verliebt,« rief Maurice, den das Herz beinahe vor Freude überströmte; »ich bin verliebt, und kann es nun gestehen, da sie mich liebt, denn da sie mich zurückruft, liebt sie mich, nicht wahr, Lorin?«

»Ganz gewiß,« antwortete gefälliger Weise der Anbeter der Göttin Vernunft; »doch nimm Dich in Acht, Maurice, die Art, wie Du die Sache auffassest, mir bange. . .

 
»Was ist's, wenn Dein Herz Egeria liebt,
Ein Verrath, den Eros der Zwingherr verübt,
Lieb' die Vernunft wie ich, und auf immer
Schwindet für Dich der Thorheit Schimmer!«
 

»Bravo! bravo!« rief Maurice in die Hände klatschend.

Und er sprang unaufhaltsam und zu vier und vier die Treppe hinab, erreichte den Quai und eilte in der so wohlbekannten Richtung der Rue Vieille-Saint-Jacques fort.

»Ich glaube, er hat Beifall geklatscht, Agesilaus?« fragte Lorin.

»Ja, gewiß, Bürger, und darüber dürfen Sie sich nicht wundern, denn was Sie sagten, war sehr hübsch.«

»Dann ist er kranker, als ich glaubte,« sagte Lorin, Und er stieg ebenfalls die Treppe hinab, doch mit einem ruhigeren Schritt. Denn Arthemise war nicht Geneviève.

Kaum befand sich Lorin mit seinem blühenden Orangenbäumchen in der Rue Saint-Honoré, als eine Menge von jungen Bürgern, denen er je nach der Stimmung seines Geistes Decimen oder Fußtritte unter die Carmagnolen zu ertheilen die Gewohnheit angenommen hatte, ihm ehrfurchtsvoll folgte, ohne Zweifel im Glauben, er sei einer von den tugendhaften Männern, denen nach einem Antrage von Saint Jest ein weißes Kleid und ein Strauß von Orangenblüthen geboten werden sollten.

Da das Gefolge sich immer mehr vergrößerte, so selten war selbst in jener Zeit ein tugendhafter Mann zu sehen, so hatten sich mehrere tausend junge Bürger versammelt, als der Strauß Arthemise angeboten wurde, eine Huldigung, worüber mehrere andere Vernünfte, welche sich um denselben Rang bewarben, bis zur Migräne erkrankten.

 

An diesen. Abend verbreitete sich in Paris die berühmte Cantate

 
Vive la déesse Raison!
Flamme pure, douce lumière.5
 

Und da sie ohne den Namen eines Verfassers, was den Scharfsinn der revolutionären Archäologen sehr in Anspruch genommen hat, auf uns gelangt ist, so hätten dir beinahe die Kühnheit, zu behaupten, sie sei für die schöne Arthemise von unserem Freund Hyacinth Lorin gemacht worden.

XVI.
Der verlorene Sohn

Maurice wäre nicht schneller gewesen, hätte er Flügel besessen.

Die Straßen waren voll von Menschen, doch Maurice bemerkte diese Menge nur, weil sie seinen Lauf verzögerte; man sagte in allen Gruppen, der Convent sei belagert, die Majestät des Volks sei in seinen Vertretern, die man auszugehen verhindere, beleidigt, und dies hatte wohl einige Wahrscheinlichkeit, denn man hörte die Sturmglocke erklingen und die Lärmkanonen donnern.

Doch was kümmerte sich Maurice in diesem Augenblick um die Sturmglocke und um die Lärmkanonen? Was machte es ihm, ob die Abgeordneten heraus konnten oder nicht heraus konnten, da sich das Verbot nicht auf ihn erstreckte? Er lief nur. Während er lies, bildete er sich ein, Geneviève erwarte ihn an dem kleinen Fenster, das nach dem Garten ging, um ihm aus der Fenster, sobald sie ihn nur immer erblickte, ihr reizendstes Lächeln zuzusenden.

Dirmer wäre ohne Zweifel auch von dieser glücklichen Rückkehr unterrichtet und würde Maurice seine gute dicke, in ihrem Drucke so treuherzige, redliche Hand reichen.

Er liebte Dirmer, an diesem Tage liebte er sogar Morand und seine schwarzen Haare und seine grüne Brille unter der er bis daher ein duckmäuserisches Auge glitzern zu sehen geglaubt hatte.

Er liebte die ganze Schöpfung, denn er war glücklich; er hätte gern Blumen aus den Kopf von all Menschen geworfen, damit alle Menschen glücklich gewesen wären wie er.

Er täuschte sich jedoch in seinen Hoffnungen, der arme Maurice; er täuschte sich, wie es zehnmal um zwanzigmal dem Menschen geschieht, der mit seinem Herzen und nach seinem Herzen rechnet.

Statt des sanften Lächelns, das Maurice, wie erwartete, aus der Ferne, sobald er erblickt würde, empfangen sollte, hatte sich Geneviève gelobt, Maurice eine kalte Höflichkeit zu zeigen – ein schwacher Damm den sie dem Strom entgegensetzte, der ihr Herz zu überfluthen drohte.

Sie halte sich in ihr Zimmer im ersten Stock zurückgezogen und wollte erst in das Erdgeschoß hinabgehen wenn sie gerufen würde.

Ach! sie täuschte sich auch.

Nur Dirmer täuschte sich nicht; er belauerte Maurice durch ein Gitter und lächelte ironisch.

Der Bürger Morand färbte phlegmatisch kleine Schwänze, welche man auf weiße Katzenfelle setzen sollte, um Hermelin daraus zu machen.

Maurice stieß die kleine Gangthüre aus, um vertraulich durch den Garten einzutreten; wie früher ließ die Thüre ihr Glöckchen auf die besondere Weise ertönen, welche andeutete, daß es Maurice war, der die Thüre öffnete.

Geneviève, welche an ihrem geschlossenen Fenster stand, bebte.

Sie ließ den Vorhang wieder fallen, den sie leicht geöffnet hatte.

Das erste Gefühl von Maurice, da er bei seinem Wirthe eintrat, war also eine Enttäuschung. Geneviève erwartete ihn nicht nur nicht an ihrem Fenster im Erdgeschoße, sondern als er in den kleinen Salon kam, wo er von ihr Abschied genommen hatte, sah er sie nicht und war genöthigt, sich melden zu lassen, als ob er während der drei Wochen seiner Abwesenheit ein Fremder geworden wäre.

Sein Herz schnürte sich zusammen.

Es war Dirmer, den Maurice zuerst sah; Dirmer lief herbei und schloß Maurice mit einem Freudengeschrei in seine Arme.

Da kam Geneviève herab; sie hatte sich mit ihrem Perlmuttermesser auf die Wangen geschlagen, um das Blut zurückzurufen, aber sie war noch nicht zwanzig Stufen hinabgestiegen, als der gezwungene Carmin, gegen das Herz zurückfließend, wieder verschwand.

Maurice sah Geneviève im Halbschatten der Thüre erscheinen; er ging lächelnd auf sie zu, um ihr die Hand zu küssen, und gewahrte nun erst, wie sehr sie sich verändert hatte.

Sie bemerkte ihrerseits mit Schrecken die Magerkeit von Maurice, sowie das glänzende, fieberhafte Licht seines Blicks.

»Sie sind also hier, mein Herr?« sagte sie zu ihm mit einer Stimme, deren Bewegtheit sie nicht zu bewältigen vermochte.

Sie hatte sich gelobt, mit gleichgültigem Tone zu ihm zu sagen:

»Guten Abend Bürger Maurice, warum machen sie sich denn so selten?«

Die Variante kam Maurice noch kalt vor, und dann noch welche Nuance!

Dirmer schnitt die langen Prüfungen und gegenseitigen Anschuldigungen kurz ab. Er ließ das Mittagsbrod auftragen, denn es war beinahe zwei Uhr.

Als man in den Speisesaal kam, bemerkte Maurice daß sein Gedeck gelegt war.

Dann erschien der Bürger Morand mit demselben kastanienbraunen Rocke und derselben Weste. Er hatte immer noch seine grüne Brille, seine großen schwarzen Locken und seinen weißen Jabot, Maurice war so freundlich, als er nur immer konnte, gegen diese Gesamtheit die ihm, wenn er sie unter den Augen hatte, unendlich weniger Furcht einflößte, als wenn er davon entfernt war.

In der That, welche Wahrscheinlichkeit, daß Geneviève diesen kleinen Chemiker liebte? Man mußte sehr verliebt und folglich sehr närrisch sein, um sich solchen Possen in den Kopf zu setzen.

Ueberdies wäre der Augenblick zur Eifersucht schlecht gewählt gewesen. Maurice hatte in seiner Westentasche den Brief von Geneviève und sein Herz schlug freudig darunter.

Geneviève hatte ihre Heiterkeit wieder gewonnen. Es ist eine Eigenthümlichkeit in der Organisation der Frauen daß die Gegenwart beinahe immer die Spuren der Vergangenheit und die Drohungen der Zukunft bei ihnen verwischen vermag.

Geneviève, welche sich glücklich fühlte, wurde wieder Herrin ihrer selbst, das heißt, ruhig und kalt, obgleich freundlich . . . eine andere Nuance, welche Maurice zu begreifen nicht stark genug war. Lorin hätte die Erklärung davon in Parny, in Bertin oder in Gentil-Bernhard gefunden.

Das Gespräch fiel auf die Göttin Vernunft; der Fall der Girondisten und der neue Cultus, der die Erbschaft des Himmels zu einem Kunkellehen machte, waren die zwei Ereignisse des Tages. Dirmer behauptete, es wäre ihm nicht unangenehm gewesen, wenn er diese schätzbare Ehre Geneviève angeboten gesehen hätte, Maurice wollte darüber lachen. Doch Geneviève trat der Meinung ihres Gatten bei und Maurice schaute Beide, erstaunt darüber an, daß der Patriotismus einen so verständigen Geist wie den von Dirmer und eine so poetische Natur wie die von Geneviève in diesem Grade irreleiten konnte.

Morand entwickelte eine Theorie der politischen Frau, wenn er von Théroigne von Méricourt, der Heldin des 10. August, zu Madame Roland, dieser Seele der Girondisten.aufstieg. Dann schleuderte er beiläufig ein paar Worte gegen die Strickerinnen. Diese Worte machte Maurice lächeln; es waren jedoch grausame Spöttereien gegen die Patriotinnen, denen man später den Namen Guillotine-Leckerinnen gab.

»Ah! Bürger Morand,« sprach Dirmer, »ehren wir den Patriotismus, selbst wenn er sich verirrt.«

»Ich meines Theils,« versetzte Maurice, »ich finde Frauen stets patriotisch genug, wenn sie nur nicht zu aristokratisch sind.«

»Sie haben Recht,« sagte Morand, »Ich gestehe offenherzig, ich finde eine Frau eben so verächtlich, wenn sie das Wesen eines Mannes affectirt, als ich einen Mann feige finde, der eine Frau beschimpft, selbst wenn es seine grausamste Feindin wäre.«

Morand hatte Maurice auf einem ganz natürlichen Wege auf ein zartes Gebiet geführt. Maurice antwortete durch ein bestätigendes Zeichen. Die Schranken waren geöffnet. Dirmer fügte, wie ein Herold, der die Stimme hebt, bei:

»Einen Augenblick Geduld, Morand; Sie nehmen hoffentlich die Frauen aus, welche feindselig gegen die Nation gesinnt sind.«

Ein Stillschweigen von einigen Secunden erfolgte auf diesen Gegenstoß gegen die Antwort von Morand auf das Zeichen von Maurice.

Maurice unterbrach dieses Stillschweigen und sagte mit traurigem Tone:

»Wir wollen Niemand ausnehmen; ach! die Frauen welche die Feindinnen der Nation gewesen, sind heute hoch gestraft, wie mir dünkt.«

»Sie meinen die Gefangenen des Temple, die Oesterreicherin, die Schwester und die Tochter von Capet,« sagte Dirmer mit einer Zungenfertigkeit, welche seinen Worten jeden Ausdruck benahm.

Morand erbleichte in Erwartung der Antwort des jungen Municipal, und wenn man sie gesehen, hätte man glauben können, seine Nägel wollten eine Furche auf seiner Brust ziehen, so tief drückten sie sich ein.

»Ganz richtig, sie meine ich,« sprach Maurice.

»Wie?« versetzte Morand mit gepreßter Stimme, »ist es wahr, was man sagt, Bürger Maurice?«

»Und was sagt man?« fragte der junge Mann.

»Daß die Gefangenen zuweilen grausam gerade von denjenigen behandelt werden, deren Pflicht es wäre, sie beschützen.«

»Es gibt Menschen,« erwiderte Maurice, «die den Namen eines Menschen nicht verdienen. Es gibt Feinde welche nicht gekämpft haben und die Besiegten nothwendig morden müssen, um sich selbst zu überreden, daß sie Sieger seien.«

»Oh! Sie gehören nicht zu diesen Menschen, dessen bin ich gewiß,« rief Geneviève.

»Madame,« antwortete Maurice, »ich habe Wache die bei dem Schaffot bezogen, aus welchem der König gestorben ist. Ich hatte den Säbel in der Hand und war bereit um Jeden zu tödten, der ihn hätte retten wollen. Als er aber in meine Nähe kam, nahm ich unwillkührlich den Hut ab, wandte mich gegen meine Leute um und sprach zu ihnen: »»Bürger, ich sage Euch, daß ich dem Ersten der den ehemaligen König schmäht, den Säbel durch den Leib renne.«« Oh! Ich fordere Männiglich auf, zu sagen, ob sich ein einziger Schrei sich aus meiner Campagnie hörbar gemacht hat. Ich war es auch, der zuerst einen von den zehn tausend Zetteln schrieb, welche in Paris angeheftet wurden, als der König von Varennes zurückkam:

»»Wer den König grüßt, wird geschlagen, wer ihn schmäht wird gehenkt.««

»Nun wohl,« fuhr Maurice fort, ohne die furchtbare Wirkung zu bemerken, welche diese Worte in der Versammlung hervorbrachten, »ich habe also bewiesen, daß ich ein guter und offenherziger Vaterlandsfreund bin, daß ich die Könige und ihre Parteigänger verabscheue. Aber trotz meinen Ansichten, welche durchaus auf die tiefster Überzeugung beruhen, trotz der Gewißheit, der ich lebe, daß die Oesterreicherin einen großen Antheil an dem Unglück hat, das Frankreich verheert, nie, nie wird ein Mensch, wer es auch sein mag, und wäre es Santerre selbst, Exkönigin in meiner Gegenwart beleidigen.«

»Bürger, unterbrach ihn Dirmer, wie ein Mann, der eine Keckheit nicht billigt, »wissen Sie, daß Sie unserer sehr sicher sein müssen, um solche Dinge in unserer Gegenwart zu sagen?«

»Vor Ihnen, vor Allen, Dirmer, und ich füge bei: Sie wird vielleicht auf dem Schafotte ihres Gemahls sterben, doch ich gehöre nicht zu denjenigen, welchen eine Frau bange macht, und ich werde stets mit schonender Achtung behandeln, was schwächer ist als ich.«

»Und die Königin,« fragte schüchtern Geneviève, »hat sie Ihnen zuweilen bewiesen, Herr Maurice, daß sie empfänglich für die Zartheit war, an die sie entfernt nicht gewöhnt ist?«

»Die Gefangene hat mir wiederholt für meine Rücksichten gegen sie gedankt, Madame.«

»Dann muß sie es mit Vergnügen sehen, wenn die Reihe der Wache an Sie kommt?«

»Ich glaube es,« antwortete Maurice.

»Sagen Sie,« sprach Morand zitternd wie ein Weib, »da Sie zugestanden haben, was Niemand jetzt mehr gesteht, nämlich ein edles Herz: Sie verfolgen die Kinder eben so wenig?«

»Ich!« versetzte Maurice, »fragen Sie den schändlichen Simon, was der Arm des Municipal wiegt, in dessen Gegenwart er den kleinen Capet zu schlagen die Frechheit gehabt hat.«

Diese Antwort brachte eine unwillkürliche Bewegung an dem Tische von Dirmer hervor: alle Gäste erhoben sich ehrfurchtsvoll.

Maurice allein blieb sitzen und vermuthete nicht, daß er diesen Aufschwung der Bewunderung veranlaßte.

»Nun, was gibt es denn?« fragte er erstaunt.

»Ich glaubte, man habe aus der Werkstätte gerufen, antwortete Dirmer.

 

»Nein, nein,« sagte Geneviève. ich glaubte es Anfangs auch, doch wir haben uns getäuscht.«

Und Alle setzten sich wieder wieder.

»Ah! Bürger,« sagte Morand mit zitternder Stimme, »Sie sind also der Municipal, von dem man so viel gesprochen, und der ein Kind so edelmüthig vertheidigt hat

»Man hat davon gesprochen?« versetzte Maurice in einer fast erhabenen Naivetät.

»Ah! das ist ein edles Herz,« rief Morand, stand vom Tische auf, um seine Gefühle nicht zum Ausbruch kommen zu lassen, und begab sich in die Werkstätte, als ob ihn eine dringende Arbeit dahin riefe.

»Ja, Bürger,« antwortete Dirmer, »ja man hat davon gesprochen, und man muß sagen, daß alle Menschen von Herz und Muth Sie gelobt haben, ohne Sie zu kennen.

»Und lassen wir ihn unbekannt,« versetzte Geneviève, »der Ruhm, den wir ihm geben würden, wäre ein gefährlicher Ruhm.«

So hatte Jedes, bei diesem seltsamen Gespräche, ohne es zu wissen, ein Wort über Heldenmuth, Aufopferung und Gefühl vorgebracht.

Selbst die Liebe hatte ihre lauten Klänge gefunden.

5Es lebe die Göttin Vernunft!Eine reine Flamme, ein sanftes Licht.