Kostenlos

Der Chevalier von Maison-Rouge

Text
0
Kritiken
iOSAndroidWindows Phone
Wohin soll der Link zur App geschickt werden?
Schließen Sie dieses Fenster erst, wenn Sie den Code auf Ihrem Mobilgerät eingegeben haben
Erneut versuchenLink gesendet

Auf Wunsch des Urheberrechtsinhabers steht dieses Buch nicht als Datei zum Download zur Verfügung.

Sie können es jedoch in unseren mobilen Anwendungen (auch ohne Verbindung zum Internet) und online auf der LitRes-Website lesen.

Als gelesen kennzeichnen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

XXX.
Nelke und Gang

Der erste Schlag war schrecklich gewesen und es war bei Maurice der ganzen Gewalt bedurft, die er über sich, selbst besaß, um Lorin die Verstörung zu verbergen, die sich seiner ganzen Person bemächtigt hatte; doch einmal im Garten, einmal allein, einmal in der Stille der Nacht wurde sein Inneres wieder ruhiger und, statt ungeordnet in seinem Gehirn umherzurollen, boten sich seine Gedanken seinem Geiste und konnten von seiner Vernunft erläutert werden.

Wie! dieses Haus, das Maurice so oft mit dem reinsten Vergnügen besucht, dieses Haus, aus dem er sein Paradies auf Erden gemacht hatte, war nur eine Höhle blutiger Intriguen! Der gute Empfang, den man seiner glühenden Freundschaft bereitet, war Heuchelei; die ganze Liebe von Geneviève war Furcht!

Man kennt die Einteilung dieses Gartens, wohin unsere Leser öfter unseren zwei jungen Leuten gefolgt sind, Maurice schlüpfte von Gebüsch zu Gebüsch, bis er gegen die Strahlen des Mondes durch das Treibhaus beschützt war, in welchem man ihn am ersten Tage, wo er in das Haus gedrungen, eingeschlossen hatte.

Dieses Treibhaus stand dem Pavillon gegenüber, den Geneviève bewohnte.

Doch statt vereinzelt und unbeweglich das Zimmer der jungen Frau zu beleuchten, spazierte das Licht an diesem Abend von einem Fenster zum andern. Maurice erblickte Geneviève durch einen zufällig halb aufgehobenen Vorhang; sie packte hastig Effecten in einen Mantelsack, und er sah zu seinem großen Erstaunen Waffen in ihren Händen glänzen.

Maurice erhob sich aus einen Weichstein, um besser in das Zimmer schauen zu können.

Ein großes Feuer glänzte im Kamin und erregte seine Aufmerksamkeit: es waren Papiere, welche Geneviève verbrannte.

In diesem Augenblick öffnete sich eine Thüre und ein junger Mann trat bei Geneviève ein.

Maurice dachte zuerst, dieser Mann wäre Dirmer.

Die junge Frau lief aus ihn zu, ergriff seine Hände und Beide standen einander einen Augenblick, wie es, einer heftigen Erschütterung preisgegeben, gegenüber. Was war die Ursache dieser Erschütterung? Maurice konnte es nicht errathen, das Geräusch ihrer Worte drang nicht bis zu ihm.

Doch plötzlich maß Maurice die Gestalt des Eintretenden mit seinen Augen.

»Es ist nicht Dirmer,« murmelte er.

In der That, der Mann, welcher Geneviève gegenüber stand, war schlank und von kleinem Wuchse; Dirmer war groß und stark.

Die Eifersucht ist, ein thätiges Reizmittel; in einer Secunde hatte Maurice die Gestalt des Unbekannten eine Linie berechnet und die Silhouette des Mannes analysiert.

»Es ist nicht Dirmer,« murmelte er, als ob er sich hätte wiederholen müssen, um von der von Geneviève überzeugt zu sein.

Er näherte sich dem Fenster; doch je mehr er näherte, desto weniger sah er: seine Stirne stand in Flammen.

Sein Fuß stieß an eine Leiter; das hatte Fenster sieben bis acht Fuß Höhe; er nahm die Leiter und legte sie an die Mauer an.

Er stieg hinaus und drückte sein Auge an die Spalte des Vorhangs.

Der Unbekannte im Zimmer von Geneviève war ein junger Mann von sieben und zwanzig bis acht und zwanzig Jahren, mit blauem Auge und zierlicher Tournure; er hielt die Hände der jungen Frau und sprach mir ihr während sie die Thränen trocknete, welche den reizend Blick von Geneviève verschleierten.

Ein leichtes Geräusch, das Maurice machte,veranlaßte den jungen Mann, den Kopf nach dem Fenster zuwenden. Maurice drängte einen Schrei des Erstaunens zurück: er hatte seinen geheimnißvollen Retter von dem Platze am Chatelet erkannt.

In diesem Augenblick zog Geneviève ihre Hände aus denen des Unbekannten zurück und ging auf den Kamin zu, um sich zu versichern, daß alle Papiere von der Flamme verzehrt wären.

Maurice konnte sich nicht länger halten; alle die furchtbaren Leidenschaften, welche den Menschen martern, die Liebe, die Rache, die Eifersucht, preßten sein Herz mit ihren Feuerzähnen zusammen. Er stieß mit aller Heftigkeit das schlecht geschlossene Fenster auf und sprang in das Zimmer.

In demselben Augenblick setzten sich zwei Pistolen auf seine Brust.

Geneviève hatte sich bei dem Geräusch umgekehrt: sie blieb stumm, als sie Maurice erblickte.

»Mein Herr,« sprach mit kaltem Tone der junge Republikaner zu demjenigen, welcher zweimal sein Leben am Ende seiner Waffen hielt, »mein Herr, sie sind der Chevalier von Maison-Rouge?«

»Und wenn dem so wäre?« erwiderte der Chevallier.

»Oh! Wenn dem so ist, so sind Sie muthiger Mann, und folglich ein ruhiger Mann, und ich werde ein paar Worte mit ihnen sprechen.«

»Sprechen Sie,« sagte der Chevalier, ohne seine Pistolen abzuwenden.

»Sie können mich tödten, doch Sie werden mich nicht tödten ehe ich einen Schrei ausgestoßen habe, oder vielmehr ich werde nicht sterben, ohne ihn ausgestoßen zu haben. Stoße ich einen Schrei aus, so haben tausend Menschen, die dieses Haus umschließen, dasselbe, ehe zehn Minuten vergehen, in Asche verwandelt; senken sie also Ihre Pistolen und hören Sie was ich Madame sagen werde.«

»Geneviève!« sagte der Chevalier.

»Mir!« flüsterte die junge Frau.

»Ja, Ihnen.«

»Geneviève ergriff,bleicher als eine Bildsäule, den Arm von Maurice. Der junge Mann stieß sie zurück.

»Sie wissen,was Sie mir versichert habe, Madame,« sagte Maurice mit tiefer Verachtung. »Ich sehe nun, daß Sie wahr gesprochen. In der That, Sie lieben den Herrn Morand nicht.«

»Maurice hören Sie mich!« rief Geneviève.

»Ich habe nichts zu hören, Madame,« sagte Maurice. »Sie haben mich getäuscht; Sie haben mit einem Streich alle Bande zerrissen, die mein Herz an das Ihrige fesselten. Sie haben mir gesagt, Sie liebten Herrn Morand nicht, doch Sie sagten mir nicht, daß Sie einen Andern liebten.«

»Mein Herr,« rief der Chevalier, »was sprechen Sie von Morand, oder vielmehr von welchem Morand sprechen Sie?«

»Von Morand dem Chemiker.«

»Morand der Chemiker steht vor Ihnen! Morand!, Chemiker und der Chevalier von Maison-Rouge sind ein und dieselbe Person.«

Und er streckte seine Hand nach einem nahestehenden Tische aus und setzte einen Augenblick die schwarze Perrücke auf, die ihn so lange in den Augen des jungen Republikaners unkenntlich gemacht hatte.

»Ah! ja,« sprach Maurice mit doppelter Verachtung »ja, ich begreife, Sie liebten Morand nicht, weil es keinen Morand gab. Aber, wenn auch geschickter ist diese Ausflucht darum doch nicht minder verächtlich.«

Der Chevalier machte eine drohende Bewegung.

»Mein Herr,« fuhr Maurice fort, »wollen Sie mich einen Augenblick mit Madame sprechen lassen. Wohnen Sie sogar diesem Gespräche, bei, wenn es Ihnen beliebt, es wird nicht lange dauern, dafür stehe ich Ihnen.

Geneviève forderte Maison-Rouge mit einer Gebärde auf, Geduld zu fassen.

»So also, Geneviève,« sprach Maurice, »so haben Sie mich zum Gespötte Ihrer Freunde, zum Abscheu der meinigen gemacht! Sie haben mich, der ich blind war bei allen Ihren Complotten dienen lassen! Sie Haben aus mir allen Nutzen gezogen, den man aus einem Werkzeug zieht. Hören Sie, das ist eine schändliche Handlung! Sie sollen dafür gestraft werden, Madame! denn dieser Herr wird mich unter Ihren Augen tödten, doch ehe fünf Minuten vergehen, wird er ebenfalls zu Ihren Füßen liegen, oder wenn er lebt, so wird er nur leben, um seinen Kopf auf ein Schafott zu tragen.«

»Er, sterben!« rief Geneviève; »er seinen Kopf aus das Schafott tragen! Sie wissen also nicht, Maurice, daß er mein Beschützer, der Beschützer meiner Familie ist, daß ich mein Leben für das seinige geben würde, daß ich sterben werde, wenn er stirbt, und daß, wenn Sie meine Liebe sind, er meine Religion ist?«

Ah!« rief Maurice, »Sie werden vielleicht fortwährend behaupten, Sie lieben mich; in der That, die Frauen sind zu schwach und zu feig.«

Dann wandte er sich gegen den jungen Royalisten um und sprach:

»Vorwärts, mein Herr, Sie müssen mich entweder tödten oder sterben.«

»Warum dies?«

»Weil ich Sie verhafte, wenn Sie mich nicht tödten.« Maurice streckte die Hand aus, um ihn am Kragen zu fassen.

»Ich werde Ihnen mein Leben nicht streitig machen,« sprach der Chevalier von Maison-Rouge, »sehen Sie!«

Und er warf seine Pistolen aus einen Stuhl.

»Warum werden Sie mir Ihr Leben nicht streitig machen?«

»Weil mein Leben die Reue nicht Werth ist, die ich fühlen würde, wenn ich einen muthigen Mann getödtet hätte, und besonders weil Geneviève Sie liebt.«

»Ah!« rief die junge Frau die Hände faltend, »wie sind Sie doch immer gut, groß, rechtschaffen, edelmüthig, Armand!«

Maurice schaute Beide mit einem beinahe albernen Erstaunen an.

.Hören Sie,« sagte der Chevalier, »ich kehre in mein Zimmer zurück; ich gebe Ihnen mein Ehrenwert daß ich dies nicht thue, um zu entfliehen, sondern um ein Portrait zu verbergen.«

Maurice richtete rasch seine Augen aus das von Geneviève: es war an seinem Platz.

Hatte Maison-Rouge den Gedanken von Maurice errathen, oder wollte er seinen Edelmuth bis zum höchsten Grad treiben . . . er sprach zu ihm:

»Ich weiß, daß Sie Republikaner sind, ich weiß aber auch, daß Sie zugleich ein edles und reines Herz besitzen. Ich werde mich Ihnen ganz und gar anvertrauen Schauen Sie!«

Und er zog aus seiner Brust ein Miniaturbild, daß er, Maurice zeigte. Es war das Portrait der Königin.

Maurice neigte das Haupt und drückte die Hand auf seine Stirne.

»Ich erwarte Ihre Befehle, mein Herr,« sagte Maison-Rouge; »wollen Sie immer noch meine Verhaftung, so klopfen Sie an diese Thüre, wann es Zeit sein wird, daß ich mich überliefere. Es liegt mir nichts mehr am Leben, so bald dieses Leben nicht mehr durch die Hoffnung, die Königin zu retten, aufrecht gehalten wird.«

Der Chevalier ging hinaus, ohne daß Maurice eine einzige Gebärde machte, um ihn zurückzuhalten.

 

Kaum war er aus dem Zimmer, als Geneviève zu den Füßen des jungen Mannes stürzte und ausrief:

»Verzeihung, Maurice, Verzeihung für alles Böse, das ich Ihnen zugefügt habe, Verzeihung für meine Täuschungen, Verzeihung im Namen meiner Leiden und meiner Thränen, denn ich schwöre Ihnen, ich habe viel gemeint, ich habe viel gelitten Ah! mein Gatte ist diesen Morgen abgereist: ich weiß nicht, wohin er gegangen ist, und werde ihn vielleicht nie wieder sehen; nun bleibt mir nur ein einziger Freund, nein, kein Freund, ein Bruder, und Sie wollen ihn tödten lassen. Verzeihung, Maurice, Verzeihung l«

Maurice hob die junge Frau auf und sprach:

»Was wollen Sie? es gibt solche Mißgeschicke: Jedermann spielt um sein Leben zu dieser Stunde; der Chevalier von Maison-Rouge hat gespielt wie die Andern und hat verloren. Nun muß er bezahlen.«

»Das heißt, er stirbt, wenn ich Sie recht verstehe.«

»Ja.«

»Er muß sterben, und Sie sagen mir das?«

»Nicht ich, Geneviève, sondern das Geschick.«

»Das Geschick hat noch nicht das letzte Wort in dieser Angelegenheit gesprochen, da Sie ihn retten können.«

»Aus Kosten meines Wortes und folglich meiner Ehre. Ich verstehe Sie, Geneviève.«

»Schließen Sie die Augen, Maurice, mehr verlange ich nicht von Ihnen, und so weit die Dankbarkeit einer Frau gehen kann, so hoch wird die meinige steigen, das verspreche ich Ihnen.«

»Ich würde vergeblich die Augen schließen, Madame; es gibt ein Losungswort, ohne welches Niemand hinauskommen kann, den ich wiederhole Ihnen, das Haus ist umzingelt.«

.Und Sie wissen es?«

»Allerdings weiß ich es.«

»Maurice?«

»Nun?«

»Mein Freund, mein lieber Maurice, dieses Losungswort, sagen Sie es mir, ich muß es wissen.«

»Geneviève!« rief Maurice, »Geneviève! wer sind Sie denn, daß Sie mir sagen: im Namen der Liebe, die ich für Dich hege, sei ohne Wort, sei ohne Ehre, verrathe Deine Sache, Deine Meinung, lüge, verleugne. Was bieten Sie mir, Geneviève, für Alles dies, Sie, die Sie mich so versuchen?«

»Oh! Maurice, retten Sie ihn, retten Sie ihn zuerst, und dann fordern Sie das Leben von mir.«

»Geneviève,« erwiderte Maurice mit düsterem Tone, »hören Sie mich: ich habe einen Fuß aus dem Stege der Schande, um ihn ganz zu betteten, will ich wenigstens einen guten Grund gegen mich selbst haben, Geneviève, schwören Sie mir, daß Sie den Chevalier von Maison-Rouge nicht lieben?«

»Ich liebe den Chevalier von Maison-Rouge wie eine Schwester, wie eine Freundin, nicht anders, das schwöre ich Ihnen.«,

»Geneviève, lieben Sie mich?«

»Maurice, ich liebe Sie, so wahr Gott mich hört.«

»Werden Sie, wenn ich thue, was Sie verlangen, Verwandte, Freunde, Vaterland verlassen, um mit dem Verräther zu fliehen?«

»Maurice! Maurice!«

»Sie zögert. . . oh! sie zögert!« rief Maurice und warf sich mit aller Heftigkeit der Verachtung zurück.

Geneviève, die sich an ihn angelehnt halte, fühlte plötzlich ihre Stütze weichen und sank aus ihre Kniee.

»Maurice,« sprach sie die Hände ringend, »Maurice, Alles, was Du willst, ich schwöre es Dir; befiehl, ich gehorche.«

»Du wirst mir gehören, Geneviève?«

»Wann Du es verlangst.«

»Schwöre bei Christus!«

Geneviève streckte den Arm aus und sprach:

»Mein Gott, Du hast der Ehebrecherin vergeben, ich hoffe, Du wirst auch mir vergeben.«

Und schwere Thränen flossen über ihre Wangen und fielen aus ihre zerstreut über ihre Brust herabwogenden Haare.

»Oh! nicht so, schwören Sie nicht so,« sagte Maurice, »oder ich nehme Ihren Schwur nicht an,«

»Mein Gott!« sprach sie, »ich schwöre, mein ganzes Leben Maurice zu weihen, mit ihm und, wenn es sein muß, für ihn zu sterben, wenn er meinen Freund, meinen Beschützer, meinen Bruder, den Chevalier von Maison- Rouge rettet.«

»Es ist gut, er soll gerettet werden,« sagte Maurice.

Er ging aus das Zimmer zu.

»Mein Herr,« sprach er, »ziehen Sie wieder die Kleidung des Gerber Morand an. Ich gebe Ihnen Ihr Wort zurück, Sie sind frei.«

»Und Sie, Madame,« sagte er zu Geneviève, »hören Sie das Losungswort Nelke und Gang.«

Und als wäre es für ihn grauenhaft gewesen, länger an dem Orte zu weilen, wo er die Worte gesprochen, die ihn zum Verräther machten, öffnete er das Fenster und sprang in den Garten.

XXXI.
Aufsuchung

Maurice war an seinen Posten im Garten, dem Zimmer von Geneviève gegenüber, zurückgekehrt; nur war dieses Fenster dunkel geworden, denn Geneviève hatte sich m das Zimmer des Chevalier von Maison-Rouge begeben.

Es war Zeit, daß Maurice das Zimmer von Geneviève verließ, denn kaum hatte er die Ecke des Treibhauses erreicht, als sich die Gartenthüre öffnete und der graue Mann, gefolgt von Lorin und fünf bis sechs Grenadieren, erschien.

»Nun?« fragte Lorin.

»Ihr seht, ich bin an meinem Posten,« antwortete Maurice«.

»Hat es Niemand versucht, mit Gewalt herauszukommen?«

»Niemand,« erwiderte Maurice, glücklich, durch die Art, wie die Frage gestellt war, einer Lüge zu entgehen; »Niemand! und Ihr, was habt Ihr getan?«

«Wir haben die Gewißheit erlangt, daß der Chevalier von Maison-Rouge vor einer Stunde in das Haus zurückgekehrt und seitdem nicht mehr ausgegangen ist,« antwortete der Mann der Polizei.

»Und Ihr kennt sein Zimmer?« fragte Lorin.

»Sein Zimmer ist von dem der Bürgerin Dirmer nur durch einen Corridor getrennt.«

»Ah! Ah!« rief Lorin.

»Bei Gott! es bedurfte keiner Trennung, gar keiner Trennung; es scheint, der Chevalier von Maison-Rouge ist ein lockerer Geselle.«

Maurice fühlte, wie ihm das Blut zu Kopf stieg; er schloß die Augen und sah tausend innere Blitze.

»Aber was sagte denn der Bürger Dirmer dazu?« fragte Lorin.

»Er hielt es für eine große Ehre für ihn.«

»Sprecht,versetzte Maurice mit gepreßter Stimme, »wozu entscheiden wir uns?«

»Wir entscheiden uns dazu,« antwortete der Mann der Polizei, »daß wir ihn in seinem Zimmer, und vielleicht sogar in seinem Bette festnehmen.«

»Er vermuthet also nichts?«

»Durchaus nichts.«

»Wie ist das Terrain beschaffen?« fragte Lorin.«

»Wir haben einen vollkommen genauen Plan bekommen,« erwiderte der graue Mann: »ein Pavillon an der Ecke des Garten gelegen, hier ist er; man steigt vier Stufen hinauf, sehr Ihr sie? Man befindet sich aus einem Ruheplatz, rechts die Thüre vom Zimmer der Bürgerin Dirmer: es ist ohne Zweifel dasjenige, dessen Fenster wir sehen. Dem Fenster gegenüber eine andere Thüre, welche auf den Corridor geht, und in diesem Corridor die Thüre vom Zimmer des Verräthers.«

»Das ist eine sehr sorgfältige Topographie,« sagte Lorin; »mit einem solchen Plan kann man mit verbundenen Augen, und um so viel mehr mit offenen Augen gehen; vorwärts also.«

»Sind die Straßen wohl bewacht?« fragte Maurice mit einem Interesse, das die Anwesenden natürlich der Furcht, der Chevalier könnte entkommen, zuschrieben.

«Die Straßen, die Passagen, die Kreuzwege, Alles, antwortete der graue Manne, »keine Maus kann hinaus, wenn sie nicht das Losungswort hat,«

Maurice schauerte; so viele Vorsichtsmaßregeln ließen ihn befürchten, sein Verrath könnte seinem Glücke unnütz werden,

»Wie viel Mann verlangt Ihr nun, um den Chevalier zu verhaften?« fragte der Graue.

»Wie viel Mann?« erwiderte Lorin. »Ich hoffe, Maurice und ich werden genügen; nicht wahr, Maurice?«

»Ja,« stammelte dieser, »wir werden sicherlich genügen.«

.Hört,« sagte der Polizeimann, »keine unnütze Prahlereien; liegt Euch daran, ihn zu fangen?«

»Beim Donner! ob uns daran liegt,« rief Lorin, »ich glaube wohl! nicht wahr, Maurice, wir müssen ihn fangen?«

Lorin legte einen besonderen Nachdruck aus diese Worte. Es schwebte, wie er gesagt hatte, der Anfang eines Verdachts über ihnen und man durfte dem Verdacht, der in jener Epoche so schnell fortschritt, keine Zeit lassen, größere Haltbarkeit zu gewinnen; Lorin begriff aber, daß es Niemand wagen würde, an dem Patriotismus von zwei Männern zu zweifeln, denen es gelungen wäre, den Chevalier von Maison-Rouge festzunehmen.

»Nun wohl,« sagte der Polizeimann, »wenn Euch wirklich daran gelegen ist, so nehmen wir eher drei Mann als zwei, eher vier als drei; der Chevalier hat, wenn er m Bette liegt, immer seinen Degen unter seinem Kopfkissen und ein paar Pistolen auf seinem Nachttisch.«

»Ei, den Teufel!« sagte einer von den Grenadieren von der Compagnie Lorin, »keinen Vorzug für irgend Einen; ergibt er sich, so bringen wir ihn zur Reserve für die Guillotine, leistet er Widerstand, so hauen wir ihn nieder.«

»Gut gesagt,« sprach Lorin: »Vorwärts! gehen wir durch die Thüre oder durch das Fenster?«

»Durch die Thüre,« erwiderte der Polizeimann, »vielleicht steckt der Schlüssel, während wir, wenn wir durch das Fenster gehen wollten, einige Scheiben zerbrechen müßten, was Lärmen machen würde.«

»Also durch die Thüre!« sagte Lorin; »wenn wir nur hineinkommen, gleichviel wo. Vorwärts, den Säbel in die Hand, Maurice.«

Maurice zog maschinenmäßig seinen Säbel aus der Scheide.

Die kleine Truppe rückte gegen den Pavillon vor. Man traf, wie es der graue Mann bezeichnet hatte, die ersten Stufen der Freitreppe, dann befand man sich auf dem Ruheplatz und hierauf im Vorhause.

»Ah!« rief Lorin freudig, »der Schlüssel steckt in der Thüre.«

Er hatte in der That die Hand ausgestreckt und um der Spitze seiner Finger die Kälte des Schlüssels gefühlt.

»Vorwärts, öffnet doch, Bürger Lieutenant,« sprach der graue Mann.

Lorin drehte vorsichtig den Schlüssel im Schlosse, die Thüre öffnete sich.

»Wir sind an Ort und Stelle,« sagte Lorin.

»Noch nicht,« versetzte der graue Mann. »Sind unsere topographischen Nachrichten genau, so befinden wir uns in der Wohnung der Bürgerin Dirmer.«

»Wir können uns hierüber Sicherheit verschaffen, sagte Lorin; »zünden wir Kerzen an, es ist noch Feuer im Kamin.«

»Zünden wir Fackeln an,« entgegnete der graue Mann, »die Fackeln erlöschen nicht wie die Kerzen.«

Und er nahm aus den Händen eines Grenadiers zwei Fackeln und zündete sie an der ersterbenden Gluth an. Eine gab er Maurice, die andere Lorin in die Hand.

»Ihr seht,« sagte er, »ich täuschte mich nicht; hier ist die Thüre, welche in das Schlafzimmer der Bürgerin Dirmer geht; jene dort geht auf den Corridor.«

»Vorwärts in den Corridor,« sprach Lorin.

Man öffnete die Thüre im Hintergrund, welche eben so wenig geschlossen war als die erste, und befand sich vor der Thüre der Wohnung des Chevalier. Maurice hatte diese Thüre zwanzigmal gesehen und nie gefragt, wohin sie ging; für ihn drängte sich die Welt in dem Zimmer zusammen, wo ihn Geneviève empfing.

»Oh! oh!« sagte Lorin mit leiser Stimme, »hier ändert sich die Sache, kein Schlüssel mehr und die Thür geschlossen«

»Aber,« fragte Maurice, der kaum mehr sprechen konnte«, »aber seid Ihr denn ganz gewiß, daß es hier ist?«

»Ist der Plan genau, so muß es hier sein,« antwortete der Polizeimann; »übrigens werden wir sogleich sehen. Grenadiere, stoßt die Thüre ein, und Ihr, Bürger, haltet Euch bereit, sobald die Thüre eingestoßen ist, in das Zimmer zu stürzen.«

Vier von dem Abgesandten der Polizei bezeichnete Leute hoben ihre Flintenkolben in die Höhe und thaten auf ein Zeichen desjenigen, welcher das Unternehmen leitete, einen einzigen Schlag: die Thüre zersprang in Stücke.

»Ergib Dich, oder Du bist des Todes!« rief Lorin in das Zimmer stürzend.

Niemand antwortete; die Bettvorhänge waren geschlossen.

»Gebt wohl Acht, hinter dem Bett!« sagte der Polizeimann; »schlagt an und feuert bei der ersten Bewegung der Vorhänge.«

»Wartet,« sprach Maurice, »ich will sie öffnen.«

Und ohne Zweifel in der Hoffnung, Maison-Rouge der hinter den Vorhängen verborgen und der erste Dolches oder Pistolenschuß würde für ihn sein, stürzte Maurice auf die Vorhänge zu und zog sie auf ihrer Stange zurück.

Das Bett war leer.

»Alle Teufel!« sagte Lorin; »Niemand!«

»Er wird entwichen sein,« stammelte Maurice.

»Unmöglich, Bürger, unmöglich!« rief der graue Mann; »ich sage Euch, daß er vor einer Stunde nach Hause gekommen ist, daß ihn Niemand hat hinausgehen sehen und daß alle Ausgänge bewacht sind.«

Lorin öffnete die Thüren der Cabinete und der Schränke und schaute überall, selbst da, wo es materiell unmöglich war, daß sich ein Mensch verbergen konnte.

»Niemand! Ihr seht es wohl, Niemand!«

»Niemand!« wiederholte Maurice mit einer leicht begreiflichen Erschütterung; »Ihr seht in der That, es ist Niemand da.«

»Gehen wir in die Wohnung der Bürgerin Dirmer. versetzte der Polizeimann, »vielleicht ist er dort.«

 

»Oh! respectirt die Wohnung einer Frau,« sagte Maurice.

»Wie?« versetzte Lorin, »sicherlich wird man sie respectiren und die Bürgerin Dirmer ebenfalls; doch man wird sie durchsuchen.«

»Die Bürgerin Dirmer?« sagte einer von den Grenadieren, entzückt, einen schlechten Spaß anbringen zu können.

»Nein,« erwiderte Lorin, »nur die Wohnung.«

»Dann laßt mich zuerst hinein,« sprach Maurice.

»Geh, voran,« sagte Lorin, »Du bist Kapitän: Ehre dem Ehre gebühret,«

Man ließ zwei Mann zurück, um das Zimmer; bewachen, aus dem man wegging; dann begab man wieder in das, wo man die Fackeln angezündet hatte.

Maurice näherte sich der Thüre, welche in das Schlafzimmer von Geneviève führte.

Es was das erste Mal, daß er hier eintreten sollte.

Sein Herz schlug gewaltig.

Der Schlüssel stak in der Thüre.

»Nun,« sagte Lorin, »öffne doch!«

»Aber wenn die Bürgerin Dinner im Bette liegen würde?« versetzte Maurice.

»Wir schauen in ihr Bett, unter ihr Bett, in ihren Kamin und in ihre Schränke,« sagte Lorin, »ist hernach Niemand da als sie, so wünschen wir ihr eine gute Nacht.«

»Nein,« sprach der Polizeimann, »wir verhaften sie, sie Bürgerin Geneviève Dirmer war eine Aristokratin, welche als Mitschuldige der Tochter Tison und des Chevalier von Maison-Rouge erkannt worden ist.«

»Öffnet also,« sagte Maurice, indem er den Schlüssel losließ, »ich verhafte keine Frauen.«

Der Polizeimann schaute Maurice von der Seite an und die Grenadiere murrten unter sich.

»Oh! Oh!« sagte Lorin, »Ihr murrt? Murrt für zwei, da Ihr einmal daran seid, ich bin der Meinung von Maurice.«

Und er machte einen Schritt rückwärts.

Der graue Mann faste den Schlüssel und drehte rasch um; die Thüre gab nach, die Soldaten stürzten in das Zimmer.

Zwei Kerzen brannten auf einem kleinen Tische; doch das Zimmer von Geneviève war, wie das des Chevalier von Maison-Rouge, unbewohnt.

»Leer!« rief der Polizeimann,

»Leer!« wiederholte Maurice erbleichend; »wo ist sie denn?«

Lorin schaute Maurice erstaunt an.

»Suchen wir,« sagte der Polizeimann.

Und von den Milizen gefolgt, fing er an das Haus von den Kellern bis zu den Werkstätten zu durchforschen.

Kaum hatten sie den Rücken gewendet, als Maurice, der Ihnen ungeduldig mit den Augen gefolgt war, ebenfalls in das Zimmer stürzte, die Schränke, die man schon mal geöffnet, abermals öffnete und mit angstvoller Stimme ausrief:

»Geneviève! Geneviève!«

Aber Geneviève antwortete nicht, das Zimmer war wirklich leer.

Dann durchwühlte Maurice das Haus mit einer Art von Wuth. Treibhäuser, Schoppen, Nebengebäude. Alles durchsuchte er, aber vergebens.

Plötzlich vernahm man einen gewaltigen Lärmen eine Truppe bewaffneter Leute zeigte sich an der Thüre, wechselte das Losungswort mit der Schildwache, überströmten den Garten und verbreitete sich im Hause. An der Spitze dieser Verstärkung glänzte der eingeräucherte Federbusch von Santerre.

»Nun,« sagte er zu Lorin, »wo ist der Verschwörer?

»Wie! wo ist der Verschwörer?«

»Ja, ich frage Euch, was Ihr mit ihm gemacht habt.«

»Das frage ich Euch selbst: wenn Euer Detachemen, die Ausgänge gut bewacht hat, muß es ihn festgenommen haben, da er nicht mehr im Hause war, als wir eintraten.«

»Was sagt Ihr da,« rief der General wüthend, »Ihr habt ihn also entwischen lassen?«

»Wir konnten ihn nicht entwischen lassen, da wir ihn nie in Händen hatten.«

»Dann begreife ich es nicht,« sagte Santerre.

»Was?«

»Was Ihr mir durch Euren Abgesandten habt sage, lassen.«

»Wir haben Jemand an Euch abgeschickt?«

»Ganz gewiß . . . einen Mann mit braunem Rock, schwarzen Haaren und grüner Brille, der zu uns kam, und benachrichtigte, Ihr wäret auf dem Punkt, Maison-Rouge festzunehmen, doch er vertheidige sich wie ein Löwe worauf ich herbeieilte.«

»Ein Mann mit braunem Rocke, schwarzen und grüner Brille?« wiederholte Lorin.

»Allerdings; er führte eine Frau am Arm.«

»Jung, hübsch?« rief Maurice gegen den General vorstürzend.

»Ja, jung und hübsch.«

»Er war es! Und die Bürgerin Dirmer.«

»Wer, er?«

»Maison-Rouge . . . Oh! ich Elender, daß ich sie nicht Beide tödtete!«

»Vorwärts, vorwärts, Bürger Lindey, man wird sie einholen,« sagte Santerre.

»Aber warum des Teufels habt Ihr sie passiren lassen,«?« fragte Lorin,

»Alle Wetter! wir ließen sie passieren, weil sie das Losungswort hatten,« versetzte Santerre.

»Sie hatten das Losungswort!« rief Lorin, »es ist also ein Verräther unter uns!«

»Nein, nein, Bürger Lorin,« entgegnete Santerre, »man kennt Euch wohl und weiß, daß kein Verräther unter Euch ist.«

Lorin schaute umher, als wollte er den Verräther suchen, dessen Anwesenheit er verkündigt hatte.

Er begegnete der düsteren Stirne und dem umherirrenden Auge von Maurice.

»Oh! oh!« murmelte er, »was soll das bedeuten?«

»Dieser Mensch kann nicht fern sein,« sagte Santerre; »durchforschen wir die Umgegend, vielleicht ist er in die Hände einer Patrouille gefallen, welche geschickter gewesen ist als wir, und sich nicht hat hintergehen lassen.«

»Ja, ja, suchen wir,« sagte Lorin. Und er nahm Maurice beim Arm und zog ihn unter dem Vorwand, zu suchen, aus dem Garten,

»Ja, suchen wir,« sagten die Soldaten, »doch ehe wir suchen . . . .«

Und einer von ihnen warf seine Fackel unter einen ganz mit Reißbündeln und trockenen Brettern vollgestopften Schoppen.

»Komm,« sagte Lorin, »komm.«

Maurice leistete keinen Widerstand. Er folgte Lorin wie ein Kind; Beide liefen bis zur Brücke, ohne mehr sprechen; hier blieben sie stehen, Maurice wandte sich um.

Der Himmel war roth am Horizont der Vorstadt und man sah über den Häusern zahlreiche Funken aufsteigen.