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Der Arzt auf Java

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Die junge Frau war starr vor Staunen.

»Aber was fällt Dir ein?« sagte sie; »bis morgen wirst Du nicht die Zeit haben, dich mit Herrn Maes zu berathen!«

»Und wozu sollte ich mich mit ihm berathen?« fragte Eusebius.

»Um unsere Angelegenheiten zu ordnen.«

Eusebius schüttelte den Kopf.

»Bedenke doch, daß wir hier über eine Million Gulden Eigenthum zurücklassen,« sagte Esther.

»Was kümmert mich das?«

»Mein Freund, wir haben diese Erbschaft angenommen.«

»Nein,« sagte Eusebius entschlossen, »nein, dieses Geld würde uns Unglück bringen. Ich mag es nicht.«

»Gleichwohl, mein theurer Eusebius, kommt dieses Geld von meinem Onkel, und hat denn doch eine ehrenwerthe Quelle.«

»Ich sage Dir aber, ich mag es nicht!« antwortete Eusebius mit einer Heftigkeit, die für Esther bei ihrem Manne ganz neu war. »Hältst Du darauf, dieses Vermögen zu bewahren, das, wie Du ganz richtig sagst von Deinem Onkel herrührt, so bleibe hier! Mein Herz wird sein reinstes Blut vergießen, aber ich werde reisen, und ich werde glauben, Dir zu beweisen, daß ich Dich liebe, indem ich diesen Reichthum von mir stoße. Sieh also, ob Du ihn mir vorziehst.«

»Ach, Eusebius, kannst Du so sprechen?«

»Ich spreche wie ein Christ!«

»Dieses Vermögen beklage ich nicht meinetwegen!«

»Und wegen wessen denn sonst?«

, Eusebius,« sagte die junge Frau, indem sie erröthete und die Augen senkte, »wenn wir Kinder bekommen sollten —«

»Kinder,« sagte Eusebius und erbebte.

»Ist das nicht möglich? fragte Esther.

»Nun wohl,« sagte Eusebius, »bekommen wir Kinder, so mögen sie es machen, wie wir und arbeiten!«

»Ach, verzeihe mir, mein Freund, verzeihe mir,« sagte die junge Frau: »aber ich habe das Elend kennen gelernt. Ich sah, wie Du gegen dasselbe kämpftest, um mich in meiner entsetzlichen Krankheit zu pflegen; – ach! es ist mir eine furchtbare Angst davon zurückgeblieben.«

Eusebius war gedankenvoll, aber er gab nicht nach.

»Wenigstens,« sagte Esther, welche hoffte, daß eine Berathung mit Herrn Maes ihren Mann minder gleichgültig gegen das Vermögen machen würde, gegen welches er einen unbegreiflichen Widerwillen besaß, – »wenn Du dieses Geld nicht willst, so laß uns darüber zu Gunsten der Armen verfügen, und wenn wir selbst arm inmitten der Menschen sind, so möge ein gutes Werk zur Rechten Gottes für uns sprechen.«

»Nein,« entgegnete Eusebius, »was von dem Teufel kommt, kehrt zu dem Teufel zurück.«

Esther seufzte, und begann schweigend ihre Vorbereitungen zu der Abreise.

Am nächsten Tage, zur Stunde der Fluth, war der Wagen bereit, und trug sie nach dem Damm, wo die Jolle »die Hoffnung«, ihrer wartete.

Die Minuten wurden Eusebius lang wie, Jahrhunderte; es schien ihm, als liege der Raum der ganzen Welt zwischen dem Hafen und dem Fahrzeuge, das er auf der Rhede erblickte, und das er vielleicht nie erreichen sollte. Dennoch legte er an Bord derselben an, eilte mit leichtem Fuße die Leiter an der Seite der »Hoffnung« hinauf muß und hielt sich dabei von einem Augenblick zum andern überzeugt, daß sich irgend ein Ereigniß seiner Abreise entgegenstellen würde.Als er indeß an Bord stand, reichte er Esther die Hand, um sie nachzuziehen, doch in eben dem. Augenblicke, als die junge Frau den Fuß auf die erste Sprosse der Leiter setzte, erblaßte sie, ihr Kopf sank zurück, sie stieß einen leisen Schrei aus, und wurde ohnmächtig. Hätte Eusebius sie nicht gehalten, wäre der Unfall so plötzlich gekommen, daß die arme Frau in das Meer hinabstürzte. Die Matrosen eilten herbei und halfen Eusebius, seine Frau in die Kajüte des Hinterdecks tragen, während das Boot bei einem anderen Fahrzeuge anlegte, um den Beistand eines Arztes anzurufen. Als dieser kam, fühlte er den Puls Esthers, die wieder zum Bewußtsein zurückkehrte, lächelte denen, welche gespannt auf ihn blickten, ermuthigend zu, und bat um die Erlaubniß, leise einige Worte mit der Kranken wechseln zu dürfen.

Eusebius trat einige Schritte zurück, doch ohne seine Frau eine Secunde aus dem Auge zu verlieren. Als er sie blaß, stumm und regungslos sah, dachte er an jene Nacht, in welcher er sie für todt hielt. Er bemerkte, daß Esther bei den Worten des Doctors leicht erröthete.

»Mein Herr,« sagte endlich der Mann der Wissenschaft zu ihm, »denken Sie an eine lange Seefahrt?«

»Ich beabsichtige,« entgegnete Eusebius, »von hier nach Bombay und von Bombay nach Europa zu segeln.«

Der Arzt schüttelte den Kopf und sagte:

»Eure solche Reise ist unmöglich.«

»Unmöglich!« rief Eusebius »und weshalb?«

»Weil ich glaube, daß Sie auf das Leben Ihrer Gemahlin Werth legen.«

»Ach, mehr als auf das meinige!« rief Eusebius.

»Nun wohl; eine solche Reise mit ihr zumachen, hieße ganz einfach, sie dem Tode überliefern, denn binnen hier und wenigen Monden wird sie Sie zum Vater machen.«

Eusebius stieß beinahe einen Schreckensschrei aus, als er diese Nachricht empfing, die ihn bei jeder andern Gelegenheit mit Freude erfüllt haben würde.

Zehn Minuten darauf trug das Boot Herrn und Madame van der Beek nach den Anlegeplatze des Hafendammes zurück, und in dem Augenblicke, als Eusebius den festen Boden betrat, rief er aus:.

»Ha, er war es! Der Dämon! – Nun wohl, kämpfen wir denn, da es gekämpft sein muß.«

X.
Der Verzückte

Eusebius kehrte traurig doch gefaßt in seine Wohnung zurück. Er sah sich durch einen Willen, der stärker war als der seinige, oder vielmehr durch eine übernatürliche Gewalt an Java gefesselt. Er fühlte die Nutzlosigkeit seiner Anstrengungen, sich dieser Gewalt zu entziehen. Allmälig jedoch kehrte das Vertrauen in seine Brust zurück. Er sagte sich, daß, Alles wohl erwogen, der Ausgang des zwischen ihm und dem Doctor Basilius begonnenen Kampfes von seinem Willen und seiner Beständigkeit abhing, daß es nur seine Sache sei, die Regungen seines Herzens zu ordnen, daß dieses Herz zu sehr von dem Bilde Esthers erfüllt sei, um jemals die Verwirklichung der finstern Prophezeihung des Doctors fürchten zu müssen. Er beschloß, mehr Vertrauen auf seine eigenen Gesinnungen und auf seine Liebe zu setzen, und zur großen Ueberraschung seiner Frau zeigte er sich an eben dem Abend, an welchem ihm diese dritte Täuschung geworden war, heiterer, als er es seit mehreren Monaten gewesen.

Als Esther ihn entschlossen sah, auf Java zu bleiben, wenigstens bis nach ihrer Niederkunft, wollte sie versuchen, ob die Rathschläge, die sie von dem Notar Maes empfangen hatte, nicht die so glücklich begonnene Heilung vollenden würden. Sie sprach mit Eusebius über die Sorgfalt, die ihrem Vermögen zu widmen sei, um es nicht schwinden zu sehen, von der Nothwendigkeit, eine Beschäftigung zu suchen, die seine finstern Gedanken etwas zu zerstreuen vermöchte, und zur großen Ueberraschung der jungen Frau hörte Eusebius ohne Widerspruch diese Worte, die noch den Tag zuvor seinen Unwillen und seinen Zorn erregt hatten. Dies kam daher, weil Eusebius seit seiner Rückkehr Von der »Hoffnung« neue Betrachtungen angestellt hatte.

Das Vatergefühl dieses innige und gebieterische Gefühl, hatte ihn ganz ergriffen und ihm eine vollkommen veränderte Ansicht der Dinge beigebracht. Der Mann, der für sich selbst gern und leicht auf all’ die Pracht verzichtet hätte, welche für und um ihn die Millionen des Doctor Basilius hervorriefen, der dies Alles aufgegeben hätte, um in die dunkle und bedrängte Existenz eines armen Handlungscommis zurückzukehren, war im Nu dieses Opfers unfähig geworden, in eben dem Augenblicke, als er erkannte, daß er nicht allein die Folgen desselben zu tragen haben würde, sondern daß er auch die geliebten Wesen mit sich ziehen müßte, für welche, wie er fand, die Erde nicht genug Freuden, Reichthümer und Genüsse haben konnte; daß er durch seinen Entschluß die Zukunft des Wesens gefährdet, welches unter dem Herzen, seiner angebeteten Esther sich regte und das er schon mit jener unendlichen Liebe umfaßte, welche er für dessen Mutter hegte.

Er hatte daher eine lange Berathung mit seiner Frau. Daraus entsprang bei ihm der Gedanke, einen gemischten Entschluß zu fassen, der die Pflichten für das ihm verheißene Kind mit denen seines Gewissens vereinigen sollte.

Der Entschluß, den er für sich selbst faßte, war, die Erbschaft des Doctor Basilius nur als ein Pfand anzutreten, das er früher oder später zurück zu geben hätte, entweder an die Armen oder an den Erblasser selbst, wenn es wahr war, daß er nicht durch eine Vision getäuscht wurde und daß derselbe sich noch am Leben befand. Dabei beschloß er indeß bei sich selbst, ein eigenes Vermögen mit dem fremden zu erwerben, das er augenblicklich in Händen hatte.

Als Eusebius diesen Entschluß einmal gefaßt hatte, gestattete er sich keine Schranke weiter. Gleich am nächsten Tage besuchte er seine Besitzung in der Provinz Buytenzorg, machte sich vertraut mit der Cultur der Kaffeepflanze, welche den größten Theil dieses ungeheuren Besitzthumes bedeckte, erkundigte sich nach den möglichen Verbesserungen, und zwei Tage darauf hatte er ein Comptoir und eine Niederlage in der unteren Stadt gemiethet, ein halbes Dutzend Commis angenommen und einen Monat später zählte das Haus Eusebius van der Beek zu den wichtigsten, nicht nur in Batavia, sondern in der ganzen Colonie.

Indeß obgleich alle Welt Eusebius van der Beek das unvermuthete Glück beneidete, war er keineswegs glücklich. An die Arbeit gefesselt, wie ein Sclave an seine Scholle, beschäftigte sein ausschließlicher Gedanke, sich schnell ein bedeutendes persönliches Vermögen zu erwerben, ihn so sehr, daß er, ohne es zu bemerken, Esther nicht mehr die Aufmerksamkeit und Liebe widmete, an die er sie gewöhnt hatte.

Er liebte sie deshalb im Grunde nur um so mehr, allein man hätte nicht nur in dem Herzen, sondern auch in den Gedanken von Eusebius müssen lesen können, um das zu begreifen.

 

Von Punct zu Punct das verwirklichend, was seine Frau in dem Munde des Notars nur für ein Utopien gehalten hatte, widmete er seinen Geschäften nicht nur seine Tage, sondern auch seine Nächte. Kaum brach die Morgenröthe an, so verließ er Batavia, um die Arbeiten seiner Neger in der Provinz Buytenzorg zu überwachen und am Abend kehrte er so schnell zurück, als die sechs Pferde, die vor seinen Wagen gespannt waren, ihn ziehen konnten. Gegen die Gewohnheit der Javaschen Kaufleute blieb er, auf die Gefahr hin, das Fieber zu bekommen, selbst nach Sonnenuntergang noch in der unteren Stadt, um die Handelsgeschäfte abzuthun. Aber ungeachtet seiner Thätigkeit, ungeachtet seiner gründlichen Kenntnisse segnete der Himmel seine Anstrengungen nicht, und die Bilanz, die er am Ende jedes Monats aufstellte, hatte schon sieben Mal nach einander nicht die geringste Zunahme des Vermögens dargethan, welches er von dem Doctor Basilius überkam.

Alles war eigenthümlich in Eusebius Leben. Er mochte so viel er wollte verkaufen, kaufen, wieder verkaufen, speculiren, wagen, vorsichtig sein, selbst die Geschäfte vernachlässigen, so blieb sich doch das Soll und Haben am Ende jedes Monats gleich und das Facit war das des ursprünglichen Vermögens. Aber in dem Maße, wie der Erfolg seinen Hoffnungen ermangelte, steigerte sich die Gewinnsucht, von der Eusebius beseelt war. Er wollte das Glück beherrschen und begann den Kampf Mann gegen Mann mit ihm. Seine Thätigkeit verwandelte sich in eine Art von Wuth, sein Eifer in Hartnäckigkeit. Er beschränkte die Zeit, die er seinem Schlafe gewidmet hatte, um neue Berechnungen anzustellen, die ihm zu dem so sehnlich gewünschten Vermögen verhelfen sollten, um sich dessen zu entledigen, welches so schwer auf seinem Gewissen lastete.

Zum zweiten Male litt seine Gesundheit unter diesem verzehrenden Fieber; zum zweiten Male hegte Esther lebhafte Besorgnisse. Eines Tages wagte sie einige Bemerkungen und flehte zugleich ihren Mann an, einiger Ruhe zu genießen. Aber Eusebius, der stets so freundlich, so gut gegen sie gewesen war, antwortete: »Es muß sein,« mit einem Tone, der keine Widerrede gestattete, und die arme Frau, deren beständiger Gedanke nur war, Dem zu gefallen, den sie liebte, hegte einen Augenblick die Furcht, ihm bereits mißfallen zu haben und gelobte sich selbst, in Zukunft zu schweigen und sich ergebungsvoll zu fügen.

Indeß nahte die Zeit, wo Esther Mutter werden sollte. Eusebius, der sich ganz seinen Geschäften widmete, konnte sie nicht so oft spazieren führen, als ihr Zustand es erfordert hätte, und zu seinem großen Kummer war Esther gezwungen, allein auszugehen Eines Abends, gegen Ende des Monats, als Eusebius, noch mehr in Gedanken vertieft, noch unruhiger, als er es je zuvor gewesen, in die untere Stadt hinabgegangen war, bestellte Madame van der Beek, welche die Rückwirkung aller der Gefühle empfand, die ihr Mann äußerte und die deshalb von seinem traurigen Zustande ergriffen wurde, ihre Pferde und ihren Wagen, um sich zu zerstreuen und die frische Luft unter dem schönen Schatten des Königsplatzes zu genießen. Einige Zeit folgte ihr Wagen der Reihe der andern Equipagen die so zahlreich in dieser Stadt sind, in welcher sie zu den Gegenständen der ersten Nothwendigkeit gehören; aber ihre wunderbare Schönheit lenkte Aller Blicke auf sie. Verlegen durch die Aufmerksamkeiten, welche ihre Anwesenheit unter der Jugend erregte, befahl sie ihrem Kutscher, die Straße nach Parapattan zu verfolgen, und als sie zu dem Ufer des Tjiliwong kam, befahl sie, längs dem Fluße hin zu fahren. Es war die Stunde, in welcher die jungen Javaneserinnen sich der heilsamen Erquickung des Bades überlassen und sich in dem gelblichen Wasser mehr anfeuchten als abwaschen. Jedes Gebüsch von Wurzelbäumen verbarg eine Gruppe eingeborner Weiber, und ihre Gesänge, sowie ihr Gelächter, belebten das etwas monotone Ufer des batavischen Flußes.

Als die Equipage eine Viertelstunde zurückgelegt hatte, wurde Esthers Aufmerksamkeit durch lautes Geschrei erregt, welches in geringer Entfernung von dem Orte ertönte, wo sie sich eben befand. Als sie näher kam, bemerkte sie einen in Lumpen gekleideten Menschen, den Kinder mit lautem Gezisch verfolgten, während sie ihn zugleich mit einem Hagel von Steinen überschütteten. Der Mann konnte ungefähr fünfzig Jahre alt sein. Er trug einen zerlumpten Sacong, stützte sich auf einen Stock und schien nur mit Mühe zu gehen. Ungeachtet des elenden Zustandes seiner Kleidung mangelte es seinem Gesicht, das von einem graugemischten Barte umgeben war, nicht an einer gewissen Art von Adel. Er schien gleichgültig gegen das Geschrei, durch welches die grausamen Kinder sein Alter und sein Elend beschimpften, und begnügte sich damit, eine Wendung zu machen, wenn einer der nach ihm geworfenen Steine ihn zu treffen drohte. Ungeachtet seiner Geschicklichkeit, die Würfe zu vermeiden, traf ein Stein, der durch einender Kräftigsten unter den kleinen Schelmen geworfen wurde, den Greis in das Gesicht. Er stieß einen dumpfen Seufzer aus, ging dann zudem Ufer des Flußes und wusch sich das Blut ab, das aus der Wunde rann, ohne deshalb dem grausamen Urheber seiner Schmerzen einen Vorwurf zu machen.

Bei diesem Anblicke war Esther aus dem Wagen gesprungen und zu dem Verwundeten geeilt. Die Kinder liefen davon, als sie eine weiße Dame erblickten; sie flohen nach allen Richtungen, indem sie die Luft mit Geschrei und Schimpfworten erfüllten, die sie in Ermanglung von Steinen dem Unglücklichen zu schlenderten.Esther näherte sich inzwischen dem Bettler und sagte: »Armer Mann, die boshaften Kinder haben Euch verwundet; kann ich Euch keinen Beistand leisten?«

Der Bettler sah sie an und sagte: »Weißt-Frau, Dein Mitleid hat schon meine grausame Wunde geheilt. Ich, der ich fern von den Menschen lebe, ich leide besonders dadurch, daß ich sie schon in dem zartesten Alter so schlecht finde; Deine Hand hat mich getröstet, indem sie sich gegen mich ausstreckte. Batara-Armara, der Gott der Liebe, möge Dich belohnen und Buddha Dich segnen, nicht nur in Deiner eigenen Person, sondern auch in dem Kinde, welches Du unter Deinem Herzen trägst!«

»Ihr scheint ermüdet zu sein, armer Mann?« fragte Esther.

»Ich bin weit gegangen.«

»Seit wann bist Du denn unterwegs?«

»Seit dem Beginne des Mondes.«

Diese Antwort sagte Esther, welche gewohnt war, die Zeit auf andere Weise zu messen, nicht viel. Der Bettler sah, daß er eine ungenügende Antwort gegeben hatte und sagte: »Die Sonne ist sieben Mal auf und sieben Mal niedergegangen, seitdem ich mich auf den Weg machte.«

»So kommt Ihr also von weit her?« fragte Esther.

»Aus der entferntesten Gegend der Provinz Batavia’s.«

»Und welcher Grund konnte Euch in Eurem Alter zu einer so weiten Reise bestimmen?«

»Buddha hatte das Feld gesegnet, das ich von meinem Vater empfing und ich lebte glücklich. Aber die Männer des Bösen sind gekommen und haben mich von dem Boden vertrieben, den meine Vorfahren seit fünf Generationen mit ihrem Schweiße netzten. Buddha möge dem Felde seine Fruchtbarkeit und den Bäumen, die es umgeben, ihre Frische erhalten, aber Argalenka wird nicht mehr von ihren Früchten essen, Argalenka wird nicht mehr in ihren Schatten schlafen.«

Der Greis stieß einen schweren Seufzer aus.

»Und weshalb hat man Euch Euer Feld genommen?« fragte Esther.

»Weil ich den Glauben meiner Väter bewahrte, weil ich sagte, daß der Prophet des Islam, der da sagt: »Schlage und tödte«, ein böser Geist ist.«

»Und Ihr kommt, um Gerechtigkeit zu fordern?«

Der Bettler lächelte, diesmal aber voll Bitterkeit.

»Die Gerechtigkeit ist dort oben,« sagte er, zum Himmel hinaufdeutend. »Man müßte Flügel haben, um sie aufzusuchen. Gleich der Raupe, die auf dem süßen Rohre lebt, werde ich darauf warten, daß die Wiedergeburt mir Flügelverleihe, um so weit zu fliegen.«

»Weshalb aber,« drang Esther mit wachsender Theilnahme in ihn, »weshalb verlaßt Ihr denn Eure Wälder, Eure Felder, auf denen Gott weder seine Sonne noch seine übrigen Gaben nach den Reichthümern Derer abmißt, die sie bewohnen? Hier werdet Ihr verfolgt, verhöhnt, geschlagen werden, wie so eben. Die Polizei duldet keine Bettler.«

»Ich kam gebeugt unter der Hand Buddhas und seinem Willen gehorchend, werde ich gehen, bis er mir sagt: »Halt!«

»Und wie kann Buddha Euch seine Befehle mittheilen?« fragte Esther mit einem Ausdruck des Unglaubens, den sie nicht zu verbergen Vermochte.

»Während der Nacht schläft der Körper,« sagte der Greis mit einer gewissen Aufregung, welche den Ausdruck seiner Physiognomie noch edler gestaltete; »die Materie wird betäubt und der freie Geist erhebt sich zu den Himmeln, die sein Vaterland sind. Er steigt empor und schwebt umher, und wenn er Buddha nicht so sieht, wie er ihn später sehen wird, wenn er seiner Hülle vollkommen entledigt ist, das heißt von Angesicht zu Angesicht, so fühlt er wenigstens die wilde Wärme, die aus dem Blicke Gottes strömt, und sein Herz öffnet sich, erwärmt sich, klopft lauter bei der Berührung. Es ist nur noch ein Geflüster, aber schon hört er die Stimme Buddha’s und die Töne dieser Stimme geben ein Echo in seinem Geiste.«

»Ihr wollt von den Träumen sprechen,« sagte Esther, jetzt ihrerseits lächelnd.

»Ja,« erwiederte der Greis, indem er seinen begeisterten Blick gegen Himmel richtete.

»Und was haben Euch Eure Träume gesagt?«

»Sie zeigten mir die Stadt der Europäer und in dieser Stadt Gold, das zu meinen Füßen niederfiel, Gold, mit dem ich das Kind meines Blutes loskaufen kann, das man verkaufte.«

»Ist das Alles, was Eure Träume Euch gezeigt haben?«

»Nein, ich sah Die, welche mein Blut ist, obgleich Gott sich von ihr zurückgezogen hat, und sie verflucht wurde. Sie trat ein anderes Weib, ebenso schön wie sie, doch weiß wie Du unter die Füße, erdrückte es mit ihren Armen, zerriß es mit ihren Nägeln und die Stimme von Oben rief mir zu: »Das ist nicht gerecht, erhebe Dich und gehe, Du, der Du ihr Vater bist, Du, der Du ihr Richter bist.«

Esther. fragte sich, ob sie diesen Menschen als einen Wahnsinnigen oder als einen Verzückten betrachten sollte. Die bebende Stimme des Unglücklichen, der Glanz seiner Blicke, als er diese mystischen Worte sprach, machten einen tiefen Eindruck auf die junge Frau. Sie zog ihre Börse und legte sie in die Hand des Bettlers.

»Nehmt, armer Mann,« sagte sie. »Ich glaube nicht, daß ich zu Euren Träumen gehöre, aber ich will wenigstens meine Stelle bei den ersten haben. Hier ist der erste Grund zu den Reichthümern, die Buddha Euch verhieß.«

Der Bettler zögerte, die Börse, die Esther ihm hinhielt, zu nehmen. »Ein meinem Traume,« sagte er, »war die Hand, welche mir das Gold gab, das Buddha mir sandte, weiß wie die Deinige, Weib, aber es war die Hand eines Mannes.«

»Nun wohl, so nehmet dieses Geld im Namen meines Mannes, der ein Weißer ist, wie Euer Traum ihn Euch gezeigt hat.«

Der Mann senkte den Kopf zum Zeichen des Dankes.

»Ihr seid ermüdet, mein Freund,« fuhr Esther fort; »mein Wagen wird Euch bis zu.den ersten Häusern der Vorstadt bringen, wo Ihr ein Nachtlager finden könnt.«

»Ich danke Dir; so schwach meine Füße Dir auch scheinen mögen, werden sie mich doch noch bis dorthin tragen. Ich würde Deinen Palankin nur beflecken, wie die Palmraupe die Frucht des Mangustan. Du hast mich aus den Händen der boshaften Kinder befreit, Du hast.mir Geld gegeben und Buddha empfing das Alles, denn Buddha ist unter den Lumpen aller Armen versteckt; Buddha wird es Dir vergelten-«

Indem der Greis diese Worte sprach, machte er gegen Esther ein Zeichen des Lebewohls und entfernte sich schnell.