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Der Arzt auf Java

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VII.
Die Wache

Zu spät über die Absichten ihres Führers aufgeklärt; versuchte Esther sich von ihrem Pferde herab zustürzen. Aber Thsermai leitete mit der Gewandtheit eines orientalischen Reiters sein Thier mit Knieen und Sporen, so daß seine beiden Hände frei blieben. Mit der einen erhielt er Esther im Sattel, während er mit der andern den Renner lenkte, der die junge Frau trug und dessen Lauf sein Crid von Zeit zu Zeit beschleunigte.

Sie wollte schreien, nach Hilfe rufen, aber obgleich das Meer durch die Gluth der Morgenröthe bereits purpurn gefärbt war, ging die Sonne doch noch nicht auf, die Felder waren öde, und sie kamen nur durch einige Reisfelder, auf denen ihr Geschrei keine Aussicht hatte, gehört zu werden. Die Pferde nach der linken Seite führend, hatte Thsermai sich in die Sümpfe geworfen, welche Batavia mehrere Meilen weit gegen Süden umgeben, und deren tödtlichen Ausdünstungen nur einige kühne Jäger, und einige arme Chinesen, welche Matten flechten, Trotz zu bieten wagen, wenn im Frühjahre die langen Winterregen den Einfluß dieser Dünste minder verderblich gemacht haben.

Man war aber nun der heißesten Jahreszeit nahe, und es ließ sich nicht annehmen, daß die Sümpfe jetzt von anderen lebenden Wesen besucht wurden, als von Vögeln und Schlangen.

Thsermai war so sehr davon überzeugt, Esther’s Anstrengungen, ihm zu entrinnen, würden jetzt nutzlos sein, daß er, nachdem sie ungefähr eine Meile zurückgelegt hatten, den wüthenden Lauf seiner Pferde hemmte, zumal er ihn nicht ohne die grüßte Gefahr hätte fortsetzen können.

Er befand sich in der That auf einem schmalen Wege, welchen die Hand Derer, die durch ihre Industrie gezwungen wurden, diese traurigen Orte auszubeuten, durch die Sümpfe angelegt hatten, und der nur aus übereinandergelegten Faschinen bestand. Bei jedem Tritte der Pferde fühlten die Reiter die gebrechliche Brücke unter sich beben, so daß sie in Gefahr standen, in den Abgrund hinab zu stürzen, der um so entsetzlichen war, da kein menschliches Auge ihn zu ergründen vermochte.

Rechts und links schloß eine doppelte Mauer von Rohr aller Art und von Bambus die bei den Reisenden ein; die Wurzeln des Bambus traten aus grau und gelb gemischtem Wasser oder aus dickem Schlamme hervor; die Spitzen, welche die Hundstagshitze gelb zu färben begonnen hatte, wogten bis auf zwanzig Fuß über dem Pfade hin und her. Unter diesem Gewölbe setzten die beiden Reisenden ihren Weg ungefähr zwei Stunden weit fort. Thsermai blieb stumm; von Zeit zu Zeit warf er dabei einen Blick auf Esther, als wollte er die Schönheit derselben analysiren, und dann nahm seine Physiognomie den Ausdruck grausamer Befriedigung an.

Der erste Schrecken der Madame van der Beek war verschwunden; allmälig hatte sie sich daran gewöhnt, den Gefahren, die ihr drohten, in das Gesicht zu sehen; ihre anfangs verwirrten Gedanken hatten sich gesammelt, und sie dachte über ihre Lage nach. Wenn der Mensch, der sie begleitete, ein. Agent der Piraten war, so erschien es nicht sehr wahrscheinlich, daß er sich irgend eine Gewaltthat gegen sie erlauben würde, weil die Seeräuber, in. ihren habgierigen Hoffnungen dadurch getäuscht, ihn dafür hart gezüchtigt haben würden; in diesem Falle brachte jeder Schritt, den sie vorwärts that, sie auch Eusebius näher. – Dieser Gedanke, ihren Mann wiederzusehen, verlieh ihr die Kraft, ihre Schrecken zu überwinden, und sie wiederholte sich, daß sie stets die Freiheit haben würde, den Tod dem Attentate vorzuziehen, welches die Haltung Thsermai’s sie einen Augenblick hatte fürchten lassen.

Die Hoffnung, von diesem etwas Näheres über das Geschick van der Beeks zu erfahren, bestimmte sie, zuerst das Wort zu ergreifen.

»Haben wir noch längere Zeit so zu reiten?« fragte sie ihn.

Als der Javanese die junge Frau plötzlich beruhigt sah, heiterte sich sein finsteres Gesicht auf.

»In einer Stunde,« entgegnete er, »sind wir an der Bucht von Palvan, wo wir die Männer des Meeres treffen. Die Sonne belästigt Sie,« fuhr er fort, indem er bemerkte, daß Esther den Kopf unter den Strahlen der Sonne beugte, die stechend waren wie Pfeile; – »gleich uns liebt sie die Menschen nicht, die aus den nördlichen Ländern kommen, aber in der Barke werden Sie Mittel finden, Ihr Gesicht gegen den Glanz ihres Blickes zu schützen.

»Also ist es wahr, daß ich meinen Eusebius wiedersehen werde? Sie täuschen mich nicht, mein Herr?« fragte Esther mit einem Ausdrucke des Glücks, der den Javanesen zu überraschen schien.

»Ja, Sie werden ihn wiedersehen,« sagte er. »Der Gebieter der Meerzigeuner will, daß dem so sei, und sein Wille muß erfüllt werden.«

»Weshalb, mein Herr,« entgegnete schüchtern die junge Frau, »haben Sie dann den Eid nicht leisten wollen, den ich vorhin von Ihnen erbat?«

»Weshalb?« sagte Thsermai mit finsterem Lachen. »Weil Niemand die Falten der Seele des Oberhauptes der Zigeuner erforschen kann; weil es ihm vielleicht einfällt, dem Rajah, dem er seine Lieblings-Sclavin raubte, später zu sagen: Sohn der Soesoenans, hier ist ein Weib, schöner und reizender als Die, welche ich Dir raubte, um deren Stelle zu vertreten; weil, wenn dies sein Wille sein sollte, der Rajah sich die Hände nicht durch einen Eid gebunden haben mag, wenn der Augenblick gekommen sein sollte, seine Arme zu öffnen, um die Tochter des Landes der Uebel zu umschließen.«

Esther fühlte ein Frösteln durch ihren Körper rieseln und senkte die Augen unter dem frechen Blicke, den Thsermai auf sie richtete.

»Wenn Der, welcher mit mir spricht, sein Rajah ist, wenn er von den Soesoenans abstammt, erklären Sie mir, wie es kommt, daß er dem unbekannten Oberhaupte Derer gehorcht, welche wir die Meerzigeuner nennen?«

Thsermai zuckte die Achseln und schwieg.

In diesem Augenblick stutzte sein Pferd, welches einen mäßigen Trab angenommen hatte, und warf sich heftig auf die Fesselgelenke zurück. Der Stoß war so heftig, daß Thsermai, ein so guter Reiter er auch war, in dem Sattel schwankte.

Er blickte nach dem Hindernisse umher, welches das Schrecken des Thieres hervorrief, und die Wangen des Javanesen färbten sich mit dunkler Röthe. Er sah, daß der Weg durchschnitten war. Man hatte die Faschinen in einer Länge von etwa zehn Klastern fortgenommen; der schwarze Schlamm war unbedeckt und die Fortsetzung des Weges unmöglich.

»Die schwarzen Engel mögen mit Dem sein, der das gethan hat!« rief er heftig ans. »Wir müssen umkehren, und wenn die dort uns nicht mit der Stunde der Fluth kommen sehen, sind sie im Stande, auf das offene Meer zurückzukehren.«

Als ein Mensch, der den Werth der Augenblicke kennt, warf er dann sein Pferd und das Esther’s herum, und kehrte auf demselben Wege, den er gekommen war, wieder zurück.

Bald aber hielt Thsermai die beiden Pferde an, und Esther sah, wie er sich in den Steigbügeln emporrichtete und mit den Blicken auf die andere Seite der Rohrwand zu dringen suchte.

»Was geht denn vor?« fragte Madame van der Beek, welche in den Zügen ihres Führers eine außerordentliche Unruhe bemerkte.

»Warten Sie hier einen Augenblick,« entgegnete Thsermai; »besonders aber machen Sie keine Bewegung; bedenken Sie, daß rechts, links, überall, der Tod lauert, und daß ich allein Sie zu Dem führen kann, den Sie wiedersehen wollen.«

Indem Thsermai dies sagte, trieb er sein Pferd vorwärts, und zwar mit so großer Sicherheit, als ritte er auf festem Boden. Nach einigen Augenblicken sah Esther ihn mit verhängtem Zügel zurückkehren; seine gelbe Haut war leichenblaß geworden. Hinter ihm stieg ein dichter Rauch auf.

»Feuer! Feuer!« rief er der jungen Frau zu.

»Feuer in dem Rohr!« schrie diese, indem sie jetzt ihrerseits auch blaß wurde. »Das ist unmöglich.«

»Sehen Sie,«« erwiederte Thsermai kurz, indem er mit dem Finger auf dichte Rauchwolken deutete, die einen Augenblick die Spitze der Bambusrohre umwirbelten, und dann in dunklen Säulen zum Himmel emporstiegen. Dann lauschte er und fügte hinzu: »Hören Sie!«

In der That vernahm Esther bei dem Geräusch des Windes das dumpfe Grollen des Feuers, das Zerplatzen der noch grünen Blätter und Halme des Rohres, welche unter der Umarmung der Flamme zusammenbrachen.

Das Herz der jungen Frau klopfte heftig und kalter Schweiß rieselte von ihrer Stirn. Der Tod erschreckte sie nicht, aber zu sterben, in dem Augenblicke, in welchem sie die Hoffnung erwachen sah, wieder mit Eusebius vereinigt zu werden, das schien ihr entsetzlich zu sein.

»Wer hat das Feuer entzündet?« fragte sie den Javanesen.

»Sich, er waren es keine befreundeten Hände,« entgegnete, dieser, indem er sich wüthend auf die Lippen biß, welche das blutige Zeichen seiner Zähne trugen; »sehen Sie hier den Beweis davon.«

In der That begann eine zweite Rauchsäule ihnen zur Rechter in der Entfernung weniger Schritte in die Luft zu steigen.

»Zurück! Zurück!« rief er. »In fünf Minuten werden die Rohre, welche unsern Weg bilden, in ein Feuer verwandelt sein, gegen welche das der. Hölle ein Kinderspiel ist. Zurück!« Und das Beispiel den Worten hinzufügend, jagte er aufs Neue dem Theile des Weges zu, der bei dem Durchstich endete.

Er hatte darauf verzichtet, Esther’s Pferd zuführen; die Sorge um seine persönliche Erhaltung nahm ihn jetzt allein in Anspruch. Die junge Frau folgte ihm und fand ihn an dem Rande des Sumpfes damit beschäftigt, mit dem Blicke den leeren Raum zu prüfen, der den Weg unterbrach. So ungeheuer groß die Gefahr auch war, schien der Javanese dennoch unentschlossen zu sein. Seine Augen wendeten sich von dem Abgrunde, den er überschreiten mußte, zu dem näher kommenden Brande, und mehrmals wischte er sich das in Schweiß gebadete Gesicht ab, mehrmals zog er die Zügel an, als wollte er einen Entschluß fassen, mehrmals ließ er sie wieder auf den Hals seines Pferdes herabfallen.

»Es hieße Mohamed versuchen!« rief er endlich aus, »Von einem Thiere eine solche Anstrengung zu fordern.«

 

Aber in diesem Augenblick raste das Feuer mit dem Lärmen eines Orcans heran, und der Wind trieb eine Rauchwolke vor sich her, so daß sie den schmalen Raum bedeckte, auf dem dieser fürchterliche Auftritt Statt fand.

Esther stieß einen Schrei der Verzweiflung aus, glitt von ihrem Pferde herab und eilte auf den Mann zu, der noch einige Augenblicke zuvor ihr so viel Schrecken eingeflößt hatte.

»Retten Sie mich! Um des Himmels willen retten Sie mich!« rief sie.

»Zurück! Zurück!« erwiederte Thsermai mit rauhem, wildem Tone, indem er sie von sich stieß. »Zurück! Du wirst Deinen Mann in der Hölle wieder finden, wenn es dem Propheten gefällt.«

Und mit unwiderstehlicher Kraft sein Pferd antreibend, indem er ihm die spitzen Steigbügel in die Seiten stieß, sprengte er es auf den Abgrund zu.

Die Kraft und die Entschlossenheit des edlen Thieres war so groß, daß sein wüthender Sprung das Hinderniß besiegt und das andere Ufer erreicht haben würde, aber in eben dem Augenblick, als es zum Sprung ansetzte, wurde ein Seil, welches an der einen Seite an einem Bambusrohre befestigt und in dem Schlamme und unter Rohrstücken sorgfältig verborgen gelegen hatte, auf der andern Seite durch eine unsichtbare Hand angezogen, die Füße des armen Thieres verwickelten sich in dieses Seil, und Roß und Reiter stürzten in die Mitte des kothigen Abgrunds hinein.

Thsermai stieß einen Schrei der Verzweiflung aus, der das tausendfältige Toben des Brandes übertönte. Auf diesen Schrei antwortete ein anderer, ein Triumphschrei, und ein Mensch, dessen Gesicht und Kleider mit Schlamm besudelt waren, brach durch die Rohrhecke am Rande des Fußpfades hervor, sprang auf diesen, ohne im Geringsten auf Esther zu achten, und heftete seine glühenden Blicke auf den Abgrund, in welchem der unglückliche Javanese und sein Pferd mit dem Tode rangen.

»Thsermai! Thsermai!« rief er.

Bei diesem Rufe wendete Der, welcher in den Schlamm, erst bis zum Gürtel eingesunken war, während sein schwereres Pferd bereits verschwand, und der noch immer die Hoffnung nicht verloren zu haben schien, den festen Boden zu erreichen, den Kopf nach der Seite, von welcher er sich rufen hörte, indem er vielleicht glaubte, es sei ein unerwarteter Beistand, den die Vorsehung ihm sendete.

»Harruch!« murmelte er, und sein Gesicht nahm eine so graue Farbe an, wie die des Schlammes, in welchem er den Tod sich nahen sah, und verzweiflungsvoll streckte er die Arme nach dem Rande, der dem, auf welchem der Gueber stand, entgegengesetzt war.

Aber die Bewegung, die er gemacht hatte, war ihm verderblich gewesen; sein ganzer Oberleib verschwand in dem Sumpfe, nur seine Arme und sein Kopf allein erhielten sich durch eine krampfhafte Anstrengung noch über der Oberfläche.

»Ja, Harruch,« antwortete der Gueber mit einem Lachen, welches dem Geheul der Hyäne glich, »Harruch, der gekommen ist, um sich an Deinem Tode zu ergötzen, Rajah, wie er sich ergötzen wird, wenn die Beiden Andern sterben.«

»Harruch, Harruch, rette mich!i«

»Dich retten! Bist Du denn barmherzig gegen die Bedaja bei Mynheer Cornelis gewesen? – Du hattest der Liebe des Guebern ein Weib versprochen, und Du gabst ihm eine Leiche. – Ich vergelte Gleiches mit Gleichem. Du strebtest nach dem Throne von Java, und Du findest den Tod in seinem stinkendsten Schlamme.«

»Harruch, Harruch,« rief der Elende, dessen Stimme heiser und rauh wurde, »reich’ mir die Hand, Harruch, und Du kannst in meinem Harem wählen.«

»Begnadigt ihn,« bat auch Esther, welche’ dieser Auftritt vor Schrecken erstarren machte, und die nicht mehr daran dachte, daß der Tod vielleicht auch sie selbst sogleich erfassen würde. – »Im Namen des Gottes der Barmherzigkeit, übt Gnade an ihm!«

»Gnade!« rief Harruch, indem er sich vor Madame van der Beek hoch emporrichtete, als wollte er den finsteren Ausdruck seiner ganzen Gestalt sichtbar machen. »Sehe ich denn so aus wie Jemand, von dem man Gnade erwarten darf?«

Esther senkte den Kopf und schwieg. Harruch wendete sich wieder zu dem Javanesen.

»Betrachte die Sonne, Sohn der Soesoenans, betrachte die goldflammende Kugel, welche das Leben in unsern Adern erweckt, betrachte sie, ehe Du in die Finsterniß versinkst, die ohne Ende ist! Unsere Nacht ist nichts, als ein verschwiegener Mantel, der sich über unsere Freuden breitet und den Zauber derselben verdoppelt; diese Freuden, nach denen Du so begierig warst, wirst Du nicht mehr kosten, Rajah. Die schöne Arroa verschwendet schon an einen Andern die Küsse, auf die Du so eifersüchtig warst! Suche in dem Schlamme nach einem Gewürm, dessen Umschlingungen die wohlriechenden Arme vertreten, in denen Du mit so vieler Lust jeden Abend einschliefst.«

Harruch sprach jeden dieser Sätze mit langsamer, scharfer Betonung, als wünschte er, daß sie deutlich zu den Ohren seines Feindes gelangen und dessen Todesqual verdoppeln möchten; aber Thsermai schien sie nicht zu hören, oder wenn er. sie hörte, so konnte er ihren Sinn nicht mehr erfassen. Der Tod näherte sich ihm leise, aber sicher und unerbittlich, und seine Annäherung hatte den Geist des Rajah bereits gelähmt; seine Lippen bedeckten sich mit Schaum, seinen Augen entfielen blutgemischte Thränen, seine erschöpfte Brust athmete nur noch in röchelnden Zügen, die nichts Menschliches mehr hatten.

Mit jenem Instinkt, den die Annäherung des letzten Augenblicks verleiht, hatte er es versucht, denselben zu verzögern, indem er sich horizontal über den Schlamm streckte; aber die Berührung des Sumpfes, der für ihn tödtlich sein sollte, flößte ihm einen unbesieglichen Widerwillen ein, so daß er sich heftig zurückwarf, und die daraus folgende Erschütterung senkte ihn wieder tiefer in den Schlamm hinein. Der untere Theil des Kopfes war bereits von dem entsetzlichen Element umgeben, welches, ähnlich den großen Schlangen, sein Opfer mit einer Langsamkeit vernichtete, welche darauf berechnet zu sein schien, dem Guebern einen höllischen Genuß zu bereiten.

Noch einmal versuchte es Thsermai die Barmherzigkeit seines Feindes anzuflehen, aber schon drang der Schlamm in seine Kehle, erstickte seinen Athem, und ein furchtbares Schluchzen entrang sich seinem Halse. Bald war nichts mehr zu sehen, als zwei Augen, mit Blut unterlaufen, unmäßig weit ausgerissen, in ihren Höhlen rollend, und die Stimme und die Bewegung durch den ergreifenden Ausdruck ihres Flehens und ihres Schreckens ersetzend.

Dann verschwanden auch die Augen, die Stirn, die Haare, und der Abgrund schloß sich.

Ein tiefer Seufzer entrang sich der Brust Harruch’s; vielleicht beklagte er es, daß dieses abscheuliche Schauspiel so schnell beendet wurde. Indeß war für den unglücklichen Rajah noch nicht Alles zu Ende. Seine krampfhaften Bewegungen erschütterten noch den Schlamm, der ein menschliches Leben verschlang, und plötzlich streckte sich eine schwarze Hand daraus hervor, die durch ihre krampfhaften Zuckungen noch immer Gnade und Barmherzigkeit zu erstehen schien.

Harruch brach zum zweiten Male in sein entsetzliches Lachen aus, und erweckte dadurch Esther aus der Betäubung, in welche der Schrecken sie gestürzt hatte. Sie erhob ihr Gesicht aus den Händen, die ihr dazu gedient hatten, ihr den Anblick dieser Gräul zu entziehen, öffnete die Augen, bemerkte den Arm Thsermai und stürzte ohnmächtig zu den Füßen des Guebern nieder.

Als Esther wieder zu sich kam, befand sie sich außerhalb des Sumpfes auf einer Erhöhung des Strandes ausgestreckt, und als sie die Augen öffnete, sah sie Harruch, der wenige Schritte von ihr entfernt saß. Die Physiognomie des Guebern hatte den entsetzlichen Ausdruck verloren, den die Leidenschaft, welche er an Thsermai befriedigte, ihm verliehen; er mischte seinen Betel mit ungelöschtem Kalk und Arakanuß mit einer Kaltblütigkeit, welche Esther beinahe ebenso sehr entsetzte, wie der Austritt, den sie kurz vorher vor Augen gehabt hatte.

Unwillkürlich machte sie eine Bewegung des Widerwillens; »dann bedachte sie, daß das Verbrechen Harruch’s ihre letzte Hoffnung, mit Eusebius vereinigt zu werden, zertrümmert hatte, ließ den Kopf sinken und weinte.

Ein bitteres Lächeln umspielte die Lippen des Guebern.

Er stand auf, trat zu Madame van der Beek, berührte sie leise mit den Fingern und sagte:

»Weshalb diese Thränen, Frau?«

Esther deutete auf ein Boot, welches soeben die Küste, an der sie sich befanden, verließ; vier kräftige Ruderer ließen das leichte Fahrzeug über die Oberfläche der Wogen dahin fliegen; am Steuer stand ein Mann, dessen roth und schwarzer Sacong gleich einem Wimpel im Winde flatterte.

Obgleich die Entfernung, welche die junge Frau und den Guebern von dem Orte trennte, sehr groß war. erkannte Harruch dennoch Noungal; sein Auge funkelte und seine Brust hob sich unter einem dumpfen Murren.

»Ach,« sagte Madame van der Beek, »das sind ohne Zweifel Die, welche ich aufzusuchen kam, und die müde wurden, auf uns zu warten. Der Mord, den Ihr verübtet, hat mich verhindert, sie zu treffen; wer kann jetzt wissen, was meinem armen Eusebius geschehen wird?«

»Höre,« sagte er, »denn es ist Ormuzd, der durch meinen Mund spricht. Du hieltest in dieser Nacht in Deinen Händen das Leben Dessen, der eine flammende Fahne auf die Wohnung Deines Gatten gesteckt hatte, den er haßt, wie er den Javanesen haßt, den Du soeben sterben sahest. Du hast Dich barmherzig und treu Deinem Eide gezeigt; als daher Der, welchen Harruch anbetet, über dem Horizont emporstieg, hat er es gewagt, sein Angesicht demselben zuzuwenden, und ihn zu befragen. Ormuzd hat geantwortet: Mein Gesetz steht in den Büchern geschrieben; ich habe zu meinem Volke gesagt: Wenn Dir ein Ungläubiger ein Hirsekorn bietet, so gib ihm dafür eine Maß Weizen; reicht er Dir den Finger, so biete ihm Deinen Arm, denn es ziemt sich nicht, daß ein Sohn der Parsis minder großmüthig sei, als ein Ungläubiger. – Da habe ich aus meinem Hasse einen Scheiterhaufen gebildet, und das Feuer, welches aus Ormuzd’s Blicken strömte, verzehrte ihn zu Asche, die der Wind verwehte; mein Herz fühlte sich rein von jedem Zorn gegen Den, dessen Namen Du trägst, und ich sagte zu mir selbst: Beklage es nicht, daß Du Die nicht getroffen hast, denen Du entgegengingst; die Hoffnung ist golden, um das Eisen zu verbergen, aus dem die Wirklichkeit besteht. – Vergebens wirst Du es versuchen, Honig aus dem bittern Safte der Euphorbia zu pressen. – Die, welche Du so schnell fliehen siehst, wie die schreienden Seevögel, welche die Spitze der Wogen berühren, sind Deine Feinde, und die Feinde des Mannes, welchen Du liebst, während sie zugleich auch die Feinde Harruch’s sind. Aber Harruch hat ihre Wohlthaten nicht angenommen, Harruch wird auf ihre Barmherzigkeit speien, Harruch wird Dir dienen, indem er seiner Rache dient, welche eine erste Mahlzeit nicht sättigte. – Sie eilen, sie fliegen wie ein Schwarm Raubvögel, der zur Aetzung fliegt; aber der Pfeil des Jägers erreicht den Vogel in den Lüften, und Noungal wird Harruch ebenso wenig entschlüpfen, wie Thsermai ihm entronnen ist.«

Bei diesen letzten Worten schien der Gueber zu vergessen, daß er mit Esther sprach; er an den Rand der Klippe, welche steil zwischen dem Ocean niedersank, und die Hand gegen die Barke ausgestreckt, die man nur noch wie einen schwarzen Punct auf den Wogen bemerken konnte, sprach er jedes seiner Worte aus, als hätte er gehofft, daß der Wind sie Noungal zutragen würde.

Esther hörte ihm erstarrt zu; der genaue Sinn dieser Bildersprache entging ihr; sie begriff das Band des Hasses nicht, welches der Gueber zwischen ihrem.Manne, dem Javanesen, der in dem Sumpfe so elend umgekommen war und Dem bezeichnete, den Harruch selbst das Oberhaupt der Meerzigeuner nannte; aber das verstand sie, daß der Gueber nicht nur Eusebius verziehen hätte, sondern daß er ihr auch versprach, ihre Anstrengungen zu unterstützen, um die Befreiung Dessen herbeizuführen, den sie für gefangen hielt, und daß er dabei zugleich den Rachedurst befriedigen wollte, der ihn gegen die Piraten zu verzehren schien.

»Aber Eusebius! Eusebius!« rief sie, indem sie versuchte, Harruch wieder zu dem zurückzuführen, was ihr auf der ganzen Welt das Wichtigste war.

»Ehe die Sonne viermal auf- und untergegangen ist, wirst Du ihn wieder gesehen haben.«

»Frei.«

»Die Bande, welche ihn umschlingen und zurückhalten, sind fester, als wären sie aus Diamanten oder Stahl geschmiedet; ich kann Dir nichts versprechen.«

»Aber was soll ich thun?«

»Mir folgen.«

Harruch und Esther stiegen von der Klippe herab und schritten dem Innern der Insel zu. Sie gingen an den Sümpfen vorüber, welche dem ersten Führer der Madame van der Beek so verhängnißvoll geworden waren; die Ueberbleibsel des Rohres, welches von der Flamme verzehrt worden war; dampften noch, und von Zeit zu Zeit schien die Flamme neues Leben zu gewinnen. Doch da sie Alles vernichtet hatte, was nicht durch die Frische des Wassers grün und saftreich erhalten worden war, erlosch sie endlich, nachdem sie eine schwarze Schlangenlinie um die stehenbleibenden Bambusstiele gebildet hatte.

 

Als Harruch an einem Theil des Sumpfes vorüber kam den der Brand nicht berührt hatte, pfiff er auf eine eigenthümliche Weise. Bei diesem Tone kam Maha aus einem Gebüsch hervor und sprang auf den Guebern zu.

Der Anblick dieses entsetzlichen Thieres machte Madame van der Beek erbeben; aber Harruch beruhigte sie durch einen Blick, strich mit der Hand über das Fell des Panthers, der wie ein gehorsamer Hund hinter ihm herging, und alles Drei verfolgten ihren Wegs.