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Der Arzt auf Java

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Dieses Actenstück ist in meinem Comptoir abgegeben worden, sagte mir der Huissier, der es aufgesetzt hat, und der, das Aergerniß zu vermeiden und die Strenge der Gerichte mit der Schonung zu vereinigen wünscht, welche man dem Zustande schuldig ist, in dem sich Madame van der Beek befindet. Hier ist es.«

Der Notar reichte Eusebius das Papier; dieser stieß einen Seufzer aus, der einem unterdrückten Schrei glich, nahm das Actenstück und zerdrückte es in den Händen.

»Verzeihen Sie,« rief Herr Maes, »aber das Papier darf nicht zerrissen werden; bedenken Sie, daß wir vielleicht gezwungen sind, es der Madame van der Beek vorzulegen, welche die Erbin ist und nicht Sie.«

Eusebius Blässe verwandelte sich in Todtenfarbe.

»Esther ist von dem Allen unterrichtet, mein Herr!« rief er. »Wollen Sie sie denn tödten? Versuchen Sie das nie, wenn Sie auf Ihr Leben halten.«

Ungeachtet des furchtbaren Blickes, mit welchem Eusebius die Worte begleitete, schien der Notar dadurch nicht im Geringsten ergriffen zu werden; er setzte sich an die Seite seines Clienten und sog phlegmatisch eine Prise Tabak ein.

»Dann,« sagte er, indem er mit den Fingerspitzen einige Tabakkörner fort schnippte, welche die Weiße seines Hemdes zu trüben drohten, »dann müssen Sie sich eine Vollmacht verschaffen, die Sie von Madame van der Beek unter irgendeinem Vorwande fordern mögen; wir berathen danach mit einander den Widerspruch, den wir den Reclamationen der Antragstellerin entgegenzusetzen haben; wir machen einen Formfehler ausfindig, wir klagen, und wenn der Staat nicht intervenirt, indem er sich auf die Klausel des Testaments stützt, welche die Regierung als Erbin einsetzt, im Fall die Ansprüche bestritten werden, nun, dann können wir vielleicht zugleich das Zartgefühl der Madame van der Beek und Ihren Geldbeutel schonen, in welchen diese Summe von 600, 000 Gulden eine ziemlich bedeutende Bresche schießen würde.«

Sonderbar! Eusebius, der, während er ruhig das Vermögen genoß, welches der Doctor Basilius hinterlassen hatte, und darauf keinen Werth legte, sich sogar desselben mehrmals zu entledigen suchte, fühlte sich plötzlich sehr beunruhigt, als er sah, daß diese Besitzverminderung gegen seinen Willen bewirkt werden sollte, und als er erkannte, daß er mit dem Verlust eines bedeutenden Theiles des verschmähten Vermögens bedroht war.

Es ist mit dem Golde wie mit den Frauen; ganz besonders, wenn diese sich von uns abwenden, kann man erkennen, ob man sie liebt und in welchem grade man sie liebt.

Der Doctor Basilius konnte nicht bei gesundem Verstande gewesen sein, als er einen so hohen Preis auf die Liebe dieses elenden Geschöpfes setzte. Es war aber eine Laune des Testators, gleich der, welche Madame van der Beek auf Kosten anderer Verwandten bereicherte, die ihr Onkel vielleicht noch hatte.

»Aber,« sagte Eusebius, indem er aufstand, und unruhig im Zimmer auf- und niederging, »es ist unmöglich, daß ich zu der Bezahlung dieser Summe verurtheilt werde. Mit Hilfe irgend eines Zaubers, den ich nicht begreife, haben sie mit meinem Körper gemacht, was sie wollten, aber mein Herz, meine Seele, mein Geist, sind rein geblieben.«

»Ich glaube, mein lieber Herr van der Beek, daß Sie gleich einigen Personen meiner Bekanntschaft diesen Zauber auf dem Boden einer Flasche gefunden haben. Ei zum Teufel, das ist der Grund! Sie haben sich mit dem Geiste nicht befreundet und dadurch ihn sich zum Feinde gemacht!«

»Nein, nein, ich werde beweisen, daß ich das Opfer einer höllischen Intrigne war, daß Die, welche mich verfolgen, nicht von dieser Welt sind, und daß alle Kraft und alle Tugend des Menschen gegen eine solche Bosheit ohnmächtig bleiben.«

»Herr van der Beek,« entgegnete der Notar, »wenn Sie von Zaubermitteln zu unseren ehrlichen holländischen Richtern sprechen, so werden Sie, wie ich glaube, Ihre Angelegenheit ganz verderben. Das Erforderliche ist, einen guten Grund zu finden, auf den wir unsere Vertheidigung stützen können; der ist weit eher in dem Paudemonium der Chicane zu entdecken, als beiden geheimen Wissenschaften. Da Sie aber geneigt zu sein scheinen, den Ansprüchen der Johanna Trumper Widerspruch entgegen zu setzen, darf ich Ihnen nicht verhehlen, daß aus diesem Processe großes Aergerniß entspringen wird.«

So groß auch der Unterschied war, den der Notar zwischen dem wollüstigen Herrn Maes«und dem strengen Rechtsgelehrten und öffentlichen Beamten zu machen behauptete, war es doch nicht möglich, ihn so vollkommen festzustellen, daß der Gedanke, selbst compromittirt zu werden, wenn die eine oder die andere der streitenden Parteien sein Zeugniß anrief, nicht einigen Einfluß auf seine gemachte Bemerkung gehabt hätte. Diese Bemerkung brachte Eusebius zur Verzweiflung. Er hatte bei dem Schmerze, den ihm der Verlust der 600, 000 Gulden machte, Esther nicht vergessen und konnte nicht ohne Abscheu an die Verzweiflung denken, die er ihr verursachen würde. Seine Betrübniß war so groß, daß sie Herrn Maes, der mit Strenge sein Amt auszuüben liebte, entwaffnete.

»Zum Teufel, mein lieber Herr van der Beek,« sagte er, »Sie müssen nicht verzweifeln. Glauben Sie mir, Viele von denen, welche Sie verurtheilen, werden es bedauern, nicht an Ihrer Stelle gewesen zu sein. – Die Furcht vor den verfluchten Schlangen trieb mich in die Flucht und so sah ich den Auftritt nicht, der in diesem Actenstücke geschildert wird. Aber wenn von der weißen Rangune die Rede ist, wie ich vermuthe, so muß ich gestehen, daß man zu entschuldigen ist, wenn man sich wegen eines so schönen Geschöpfes in die Verdammniß stürzt.«

Nach einer Bewegung der Ungeduld, welche seinem Clienten entging, fuhr er dann fort.

»Aber zum Teufel, Herr van der Beek, wie kam es denn, daß Sie, der Sie Ihrer so sicher waren, sich schwach zeigten und das gerade bei einer von den einzigen drei Personen, bei denen Ihnen die Schwäche untersagt ist? Denn Sie dürfen nicht vergessen, daß die ganze übrige Welt Ihnen freisteht.«

Herr Maes ließ sich hier in eine unerschöpfliche Reihe von Gemeinplätzen ein, welche jederzeit zu Vorwürfen Veranlassung gegeben haben würden. Er machte gegen Eusebius eine Masse listiger Bemerkungen, allein seine tugendhafte Beredtsamkeit hatte doch den Vortheil, Eusebius die Aufrichtigkeit des Notars zu beweisen und ihm zu zeigen, daß derselbe nur durch die Leichtfertigkeit seiner Sitten und seine nicht sehr gewählten Verbindungen tadelnswerth war, Dinge, die van der Beek kannte, und die er nicht gehörig bedacht zu haben das Unrecht beging.

Der Notar hatte freundschaftlich die Hand seines Clienten ergriffen und sagte:

»Hören Sie, eine geschriebene Zeile auf gutem Stempelpapier wird unsere Sache weiterbringen, als alle Ihre Seufzer, wären sie auch mächtig genug, einen Dreimaster von Batavia nach Amsterdam zu treiben. Erzählen Sie mir Ihre Geschichte; verhehlen Sie mir nichts; ein Notar, ein Priester und ein Arzt, bilden die Dreieinigkeit der Beichtväter, deren ein Mensch in seinem Leben bedarf.«

Eusebius zögerte, ob er den Notar zum vollkommenen Vertrauten machen und ihm Alles mittheilen sollte, was seit dem Tage vorgegangen war, an welchem der Notar sein Haus betrat. Er blieb einige Augenblicke unentschieden und stumm.

Auf der einen Seite empfand er gleich allen Unglücklichen das Bedürfniß, sich auszusprechen und dadurch das Gewicht der Sorgen zu erleichtern; auf der andern schien es ihm, als verleihe er dadurch, daß er einem Fremden seine Angst mittheilte, derselben Körper und Leben, während er bisher Alles nur als Phantome hatte betrachten wollen. Es widerstrebte ihm, daß ein Anderer die Existenz des Basilius bezeugen sollte; er hoffte seine Erinnerung zu tödten, indem er die Wirklichkeit derselben leugnete.

Bei dem Kampfe, den er zu bestehen gehabt hatte, verließ ihn die-Festigkeit seines Charakters, er fühlte nicht mehr, wie zuvor, den Muth, den Mittheilungen über den sonderbaren Menschen, dem er sein Vermögen Verdankte, entgegen zu gehen; er begann die frische Kraft zu verlieren, die ihm bisher gestattet hatte, der Gefahr in das Gesicht zu sehen. Endlich ließ ihn auch noch der spöttische Ton, mit welchem Herr Maes ihm antwortete, als er von Zaubermitteln sprach, fürchten, der Notar möchte seine sonderbare Schilderung als eine Störung seines Verstandes betrachten, und diese letztere Rücksicht, die stärker war, als alle übrigen, hielt ihn besonders zurück.

Er beschränkte sich deshalb darauf, von der Nacht bei Mynheer Cornelis die Umstände zu erzählen, auf die er sieh besinnen konnte; die Betäubung, von der er plötzlich befallen worden war, die Art von Fieber, welche auf diesen ersten Zustand folgte, sein Erwachen auf einer Matte, die mit Blut befleckt und mit Trümmern der Orgie bedeckt war; seine Ueberraschung, als er in seinen Armen die leblose Rangun erblickte; seine Verwirrung, als er, seine Betäubung abschüttelnd, bemerkte, daß sein eigenthümliches Erwachen Zeugen hatte; die Neckereien, die er von Denen anzuhören hatte, die ihn umgaben und die ihn mit den Bestimmungen des Codicills bekannt machten, von welchem Herr Maes ihm den Abend zuvor erzählt hatte, indem er ihm versprach, es ihm am nächsten Tage umständlich mitzutheilen.

»Das ist nichts weiter, als eine kleine Falle,« sagte der Notar, nachdem er diese Erzählung angehört hatte, »und mein Freund Thsermai, den ich lächeln sah, als Sie sich so ungeschickt Ihrer Kraft rühmten und der, wie man versichert, diese Rangune in seinem Ballet gehabt hat, ist der Sache vielleicht nicht ganz fremd.«

»Thsermai,« rief Eusebius »Aber Thsermai ist reich.«

Der Notar zuckte die Achseln.

»Man ist niemals reich,« entgegnete er, »wenn man sich schon auf dieser Erde das Paradies Mohamed’s schaffen will.«

»Aber er hat mich mit Zuvorkommenheit und Frenudschaftsversicherungen überhäuft.«

»Ein Grund mehr, Hätte ich noch einen Zweifel, so wurde das, was Sie mir sagen, ihn zerstören. Thsermai hatte keinen Grund, sich Ihnen so an den Hals zu werfen; es war eine einfache Spekulation dieses edlen Eingebornen; er wird irgend Etwas in Ihren Wein gethan haben, und jetzt mit der Rangune theilen, das ist klar. – Sie sehen, daß dabei allerdings ein Zaubermittel stattgefunden hat, wenn auch nicht in dem Sinne, wie Sie es verstanden.«

 

Die Schlußfolgerung des Notars erleichterte Eusebius. Bei der Verlegenheit, in welcher er sich befand, entweder einen ärgerlichen Prozeß zu bekommen, der Esther den lebhaftesten Kummer verursachen mußte oder ein Drittel seiner Reichthümer zu opfern, war es für ihn ein Trost, die Ueberzeugung zu gewinnen, daß der Einfluß des Doctor Basilius dabei nicht mitgewirkt hatte und daß er ein Opfer der Habgier der Menschen war und nicht der Bosheit der Dämonen.

Dieser Gedanke beschwichtigte seine Schrecken. Er gestattete ihm die Hoffnung, die beiden anderen Drittel seines Vermögens leicht erhalten zu können und sie nicht einmal bedroht zu sehen. Mit größerer Freiheit des Geistes prüfte er jetzt gemeinschaftlich mit Herrn Maes die Aussichten, welche in diesem Falle ein gerichtliches Verfahren ihm ließ.

Der Notar war nicht der Meinung, ein solches zu versuchen, ehe er sich offen gegen Esther ausgesprochen hatte, ohne deren Mitwirkung und Wissen es schwer gewesen sein würde, einen Prozeß zu führen, bei dem sie selbst Partei war.

Es bemerkte Eusebius, daß er auf die Nachsicht und die Verzeihung einer Frau rechnen dürfte, die ihm so ganz ergeben war, daß im Grunde der Fehltritt, dessen er sich schuldig bekennen mußte, keiner war, da weder sein Herz noch sein Wille daran Theil genommen hatte.

Eusebius van der Beek blieb unerschütterlich, sein Stolz lehnte sich gegen den Gedanken auf, seine Schwäche zu gestehen, und in eben dem Augenblicke, in welchem ihm die menschliche Gebrechlichkeit bewiesen wurde, zeigte sein Selbstvertrauen sich ebenso unerschütterlich, wie zuvor, obgleich er es eigentlich schon verloren haben sollte. Herr Maes, der, wie wir bereits sagten, keineswegs wünschte, diese Angelegenheit öffentlich werden zu sehen, bekämpfte gleichwohl den Entschluß seines Clienten mit spartanischer Selbstverleugnung, die er als eine Pflicht seines Amtes betrachtete.

Alles war nutzlos. Die Nothwendigkeit dieses vorangehenden Geständnisses bestimmte Eusebius zu dem Opfer, welches dem Geize, der in seinem Herzen Wurzel zu fassen begann, unendlich schwer wurde.

Er begleitete Herrn Maes bis zu dessen Wohnung und unterzeichnete seufzend die Actenstücke, deren der Notar bedurfte, um seinem Clienten die Summe zu verschaffen, die dazu dienen sollte, einen von den Artikeln des Codicills des Doktor Basilius zu erfüllen.

V.
Der indische Arzt

Eusebius erreichte seine Wohnung in großer Niedergeschlagenheit Der Zustand, in welchem er Esther gelassen hatte, beunruhigte ihn sehr. Aber zu seiner großen Ueberraschung war es ihm, wie am Tage zuvor, als er die Rangune betrachtete, unmöglich, seine rebellischen Gedanken auf Die zu richten, die er liebte, und während der zärtlichen Besorgnisse, die sein Geist erweckte, wie eben so viele schwarze Phantome, dachte er beständig an die Mittel, die er anwenden wollte, um die gewaltige Lücke auszufüllen, die sein Vermögen erlitten hatte; die Qualen seines Herzens verschwammen mit Rechenexempeln.

Vergebens wies er diese unwürdige Beschäftigung zurück; sie schien Kräfte aus den Anstrengungen selbst zu schöpfen, die er machte, um sie zu verjagen und nahm ihren Platz an dem Kopfende des Lagers ein, auf welchem die Einbildungskraft des jungen Mannes ihm seine sterbende Frau zeigte. Er dachte mit Entsetzen an diese furchtbare Macht jeder Leidenschaft, als er seine Thür erreichte.

Wie bei den meisten der größeren Hotels in Weltevrede, lag auch vor Eusebius’ Haus ein großer mit Sand bestreuter und mit Blumen und Bäumen eingefaßter Hof; auf diesem Hofe stand ein Kiosk und auf dem Boden dieses Kiosks erblickte Eusebius einen Menschen liegen.

Das Gesicht dieses Menschen war zu charakteristisch, um es vergessen zu können, wenn man es einmal gescheit hatte. Eusebius erkannte Harruch. Er schritt auf ihn zu und stieß ihn mit dem Fuße an, nicht um ihn zu erwarten, sondern um ihn aus der Art von Extase zu reißen, in der er für gewöhnlich lebte.

»Was willst Du?« sagte Eusebius zu dem Schlangenbeschwörer.

»Seit wann fragt Der, welcher Jemand gerufen hat, diesen, wenn er gehorcht: Was willst Du?«

Eusebius erinnerte sich an seine Einladung des Jougleurs, allein seitdem er die Ueberzeugung gewonnen zu haben glaubte, daß die Hand seines bösen Geistes den Auftritt bei Mynheer Cornelis lenkte, war es ihm peinlich geworden, von Basilius zu sprechen.

»In diesem Augenblick kann ich Dich nicht anhören,« sagte er zu Harruch, »ein einem andern Tag werde ich Dich empfangen.«

»Der Staub der Straße hat die Kehle Harruch’s ausgedörrt, die Kiesel haben seine Füße zerrissen, willst Du denn ihn wieder auf die Straße hinausstoßen, zu der Stunde, in welcher die Nacht die Erde einhüllen wird, damit er den Tiger nicht fliehen könne, wenn er demselben begegnet, damit er seinen Gott nicht anrufen könne, wenn er von ihm bedroht worden? Laß mich die Nacht unter der Vorhalle Deines Palastes zubringen, laß mir ein wenig Wasserreichen und morgen werde ich Dich von meiner Gegenwart befreien.«

Alles, was Eusebius an Mynheer Cornelis erinnerte, war ihm verhaßt geworden und obgleich der Jongleur, dessen Rathschläge in der Gestalt von Parabeln ihm jetzt wieder einfielen, nicht in dem Verdacht stehen konnte, Theil an der Verschwörung gehabt zu haben, die er Thsermai zuschrieb, war ihm dessen Anwesenheit dennoch nur angenehm. Allein erkannte eine so bescheidene Bitte nicht verweigern.

»Du hast Recht,« sagte er, »und ich will nicht nur Befehl geben, daß man für Dich Sorge trägt, sondern Dir auch das Geschenk senden, das ich Dir versprach.«

Harruch nahm, ohne zu antworten, seinen Platz auf dem Fußboden des Kiosks wieder ein; er schien in der That von Ermüdung erschöpft und wie vernichtet zu sein. Eusebius ging weiter und stieg schnell nach dem Zimmer Esthers hinauf.

Hier war Alles in Unordnung; man hörte Nichts, als Geschrei und Schluchzen. Weit entfernt, sich zu bessern, hatte der Zustand der Kranken sich vielmehr verschlimmert; er war der Art, daß der Arzt ihren Frauen erklärt hatte, er könnte für das Leben ihrer Gebieterin nicht stehen.

Ungeachtet der Stärkungsmittel, die er verordnete, war Esther noch nicht zum Bewußtsein zurückgekehrt; ihre erschöpften Muskeln weigerten sich, die Arbeit zu unterstützen, welche die Natur zu vollbringen hatte, um mit ihrer schmerzhaften Aufgabe zu Ende zu kommen. Nichts vermöchte die Verzweiflung zu schildern, die Eusebius empfand, als er seine geliebte Esther in einem solchen Zustande erblickte. Er hatte die Leiden seiner Frau um den Preis der Ruhe seiner ganzen Existenz erkauft, und nun sollte er selbst die Ursache ihres Todes sein. Er fragte sich, ob das nicht die Entwicklung sei; die der Doctor Basilius der Ewigkeit seiner Liebe für Esther prophezeit hatte; er prüfte sein Gewissen, er befragte seine Erinnerungen, er wollte seinem Gedächtniß Gewalt anthun, und von demselben wissen, ob während des Augenblickes des Irrthtums, der die Nacht bezeichnete, welche er verwünschte, er den abscheulichen Plan gefaßt hätte, welcher ihm Die rauben sollte, die er ihm so wunderbar erhalten hatte. Er fand in seinem Herzen nichts, als die unbedingteste Liebe, als die vollständigste Ergebenheit und dennoch machte er Beiden den Vorwurf, nicht so groß zu sein, wie sein Wille gewünscht hätte. Er brach in heftiges Weinen aus und überhäufte dazwischen mit Schmähungen das übernatürliche Wesen, dessen verderbliche Hand er in Allem zu erkennen glaubte, was ihm begegnete.

Dies währte so den ganzen Abend fort. Als die Nacht gekommen war, wurde Esther’s Puls immer schwächer und nichts verkündete, daß die Niederkunft nahe oder auch nur möglich sei. Der von Angst ergriffene Arzt ermahnte Eusebius zum Muth; er erklärte ihm, daß jede Hoffnung, die junge Frau zu retten, verloren sei; daß seine Mittel darin bestanden, seine Anstrengungen darauf zu beschränken, das Lebendes Kindes zu erhalten, und die fürchterliche Operation zu unternehmen, welche, wenn sie auch der Mutter den Tod gab, vielleicht das arme kleine Wesen retten könnte, das sie sonst mit sich in das Grab hinab nehmen würde.

Eusebius’ Schmerz wies mit Entsetzen diesen äußersten Schritt zurück, und da der Arzt nichts von ihm zu erlangen vermochte, entschloß er sich, ihn ganz zu verlassen. Als er ihn gehen sah, glaubte Eusebius, Alles sei zu Ende; er stürzte sich auf den Körper seiner Frau und schwur, sie nicht zu überleben.«

In diesem Augenblicke öffnete sich leise die Thür des Gemaches und Harruch erschien auf deren Schwelle.

Bei dem Anblick des finsteren, auffallenden Gesichtes, das von einem schlechten Turban von grauer Leinwand umgeben war, dieses Menschen, der in eine Masse bräunlicher Lumpen.gekleidet war, stießen die Frauen Esther’s lautes Schreckensgeschrei aus. Eusebius erhob den Kopf, aber er war so in seine Verzweiflung versunken, daß er kein Wort des Staunens oder des Vorwurfs gegen die Keckheit des Guebern fand. Es schien ihm ganz natürlich, daß alle Welt an seinem Schmerze Theil nehme. Ueberdies machen große Schmerzen die Menschen gleich und nehmen die Thränen der Armen als kostbare Diamanten auf.

Aber nicht um zu weinen war Harruch gekommen. Er ging gerade auf das Bett Esther’s zu und berührte mit dem Finger leise Eusebius Schulter.

»Was willst Du?« fragte ihn dieser.

Statt der Antwort deutete Harruch auf die Kranke. Eusebius, in dessen Hirn tausend verworren Gedanken kochten, wie die Lava, der Schwefel und das Erdharz in dem Schooße des Vulcans, erkannte die Bedeutung dieser Bewegung. Es war ihm, als erblickte er hinter Harruch den Geist des Doctor Basilius.

»Mir sie rauben! – Nimmermehr?« rief er. »Todt oder lebend ist diese Frau die meinige!«

»Ich komme nicht, sie Euch zu rauben, sondern sie Euch zu erhalten.«

»Du!« erwiederte Eusebius mit einem Blicke verächtlicher Geringschätzung.

»Ja, ich, der erbärmliche Grashalm, den die Vorübergehenden unter die Füße treten, der aber dennoch Tugenden besitzt, welche ihn über das Gold erheben, das man aufhebt, weil es glänzt.«

»So wirst also auch Du,« sagte Eusebius mit finsterem Lachen, »auch Du einen Preis auf den Dienst setzen, den. Du mir leisten willst. Nun, was verlangst Du? Aber sei bescheiden in Deinem Begehren; denn wolltest Du mein Leben, so könnte ich es Dir nicht mehr bieten, weil ich es schon Deinem Freunde Basilius gegeben habe.«

»Der, welchen Ihr Basilius nennt, ist nicht mein Freund. Ich verlange keinen Lohn dafür, Eure Frau zu retten; es ist ein Verbrechen, einen Preis auf die Erhaltung eines Menschenlebens zu setzen; verkauft uns die Sonne, der wir das Leben verdanken, ihre Strahlen?«

»Nein,« entgegnete Eusebius entmuthigt, »ich habe schon genug von Zaubereien erfahren. Das Unglück betraf dies Haus durch die Vermittlung des Bösen und wenn meine Seele mit der ihrigen entflieht, so kümmert mich das wenig; aber ich will nicht mehr von der verhängnißvollen Wissenschaft der bösen Geister erbitten daß sie zu meinen Gunsten eines ihrer nichtswürdigen Wunder vollbringe.«

»Weshalb seid Ihr nicht immer so weise, so ergebungsvoll gewesen? Aber beruhigt Euch; ich gehöre nicht zu Dienen, welche das Salz zurückweisen, dieses Symbol der Weisheit und der Unsterblichkeit; meine Wissenschaft ist von dieser Welt und sie genügt mir, möge ich Gutes oder Böses zu vollbringen haben,« fügte Harruch hinzu, indem er Eusebius einen Blick zu schleuderte, in welchem der Haß sich so wenig verstellte, daß der junge Holländer den Widerwillen sich verdoppeln fühlte, den er schon gegen den Schlangenbeschwörer Harruch seit dessen Eintritt empfand.

Nachdenkend, mit gekreuzten Armen im Zimmer dahinschreitend, blieb er plötzlich vor Harruch stehen und sprach:

»Nein, Harruch, »ich will durchaus Deine Dienste nicht, geh!«

»Du hast nicht das Recht, mir zu sagen, geh!«

»Und weshalb nicht?«

»Daß der Mensch den Stiel des Carilla abschneide, der nur einen leichten Duft zurückläßt, welchen der Wind vertreibt, ist gut, denn Gott hat ihn mit reichen Farben geschmückt, um seine Augen auf einen Augenblick zu entzücken; aber den Bananenast abschneiden, wenn er sich unter der Last seiner gelblichen Früchte beugt, die bald saftig und nützlich sein werden, das ist ein Verbrechen.«

Die Wahrheit dieses Spruches ergriff Eusebius. Esther’s Frauen hatten sich genähert; der Schrecken, den Harruch ihnen bei seinem Eintritt eingeflößt hatte, war verschwunden; sie erblickten in ihm nur noch einen jener eingebornen Aerzte, welche in Jana volksthümlich sind, selbst beiden reichsten Colonisten; ihre ganze Sympathie war ihm gewonnen, und sie beschworen Eusebius, ihn die Heilung der Krankheit versuchen zu lassen, indem sie ihre Bitte durch die außerordentlichsten Beispiele unterstützten.

 

»Es sei,« sagte Eusebius, »doch da ich nicht will, daß dieser Mensch, um sie zu retten sich anderer Mittel bediene, als solcher, welche die Wissenschaft oder die Natur bietet, wird er nur in Gegenwart des europäischen Arztes handeln.«

Harruch willigte in dieses Begehren zur großen Ueberraschung der Frauen, welche den Widerwillen konnten, den die Eingebornen dagegen empfinden ihre Geheimnisse preiszugeben.

Eine der Frauen eilte, den holländischen Doktor herbeizuholen. Dieser nahm mit Achselzucken den ihm gemachten Vorschlag auf, allein in dem verzweifelten Zustande, in welchem die Kranke sich befand, glaubte er einen Versuch gestatten zu müssen, den er als nutzlos betrachtete.

Harruch, der während dieses ganzen Auftrittes seine kalte, würdevolle Haltung bewahrt hatte, nannte die medicinalen Pflanzen, deren er bedurfte, und die man sich beeilte, herbeizuschaffen. Er verlangte nicht, sie selbst zu bereiten, sondern gab den Frauen seine Anweisungen, und diese machten daraus ein Getränk, das man der jungen Frau mit Gewalt zwischen den zusammengebissenen Zähnen einträufelte. Als der Gueber sich überzeugt hatte, daß sie davon eine hinreichende Dosis genommen, verließ er theilnahmslos, wie ein Mensch, der seines Erfolges gewiß ist, das Zimmer und nahm seinen Platz unter dem Kiosk wieder ein.

Zu Eusebius großer Freude und der großen Verwunderung des Arztes war die Wirkung der Kräuter, aus denen das Getränk bestand, eben so rasch als entscheidend; die letzten Tropfen. hatten kaum die Zeit gehabt, bis in Esther’s Magens zu gelangen, als diese auch schon die Augen öffnete, ohne daß auf ihrem Gesicht die Spuren der fürchterlichen Erschütterungen zu sehen blieben, die sie erduldet hatte. Ihre Blicke suchten Eusebius, ihre Arme streckten sich ihm entgegen.

Einige Augenblicke darauf stellten sich die ersten Wehen ein und ungeachtet der finsteren Prophezeihung des Arztes war die Niederkunft gut und leicht, und als Eusebius, der so erschöpft war, daß er nicht die Kraft besaß, diesem für liebende Herzen so beängstigenden Schauspiel beizuwohnen, in das Zimmer seiner Frau zurückkehrte, fand er sie in einem leichten Schlafe liegend, und neben ihr ein liebliches kleines Geschöpf, rosig und weiß, das lebende Symbol ihrer gegenseitigen Liebe, deren Erinnerung zu verlängern Gott ihnen gestattete.

Sollen wir es bekennen? Wenn Eusebius mit inniger Freude die Versicherung des Arztes empfing, daß seine Frau unbedingt gerettet sei, so hatte er doch nur einen kalten und beinahe gleichgültigen Blick für das Kind, welches ihm beinahe so theuer zu stehen gekommen wäre.

Jetzt, wo er das kleine Wesen besaß, schien es ihm, nie die Versicherungen des Glückes halten zu können, durch welche er seit neun Monaten sein künftiges Leben zu erheitern versprach.

Die eheliche Liebe trat der Vaterliebe in den Weg; in diesem Augenblick war das kein sehr großer Uebelstand; aber mußte man nicht fürchten, daß, wenn Eusebius seines Tages dem Materialismus des Doctor Basilius Recht gab, und die Zeit und die Pflicht seine Zuneigung verminderten, es sehr spät sein würde, den heilsamen Einfluß eines Gefühls zu empfinden, welchem er bis dahin in seinem Herzen nicht den Platz angewiesen hatte, durch das es zu seinem Schilde, einer Vertheidigungswaffe, für die Zeit werden konnte, in welcher böse Leidenschaften ihn schwach und wehrlos finden konnten?

Wie lebhaft auch die Anstrengungen seiner Zärtlichkeit waren, wie fest das Bild Esther’s noch. in sein Herz eingegraben sein mochte, war dieser Tag doch vielleicht nicht so weit entfernt, wie Eusebius vermuthete.

Als er Esther bei ihrem Erwachen trotz ihrer Blässe schön und lächeln sah, als er, sich überzeugte, daß der unglückliche Auftritt des vorhergehenden Tages keine verderblichen Folgen haben würde, daß nichts die Genesung der Wöchnerin störte, als seine Ueberreizung sich gelegt hatte, befand er sich genau in dem Zustande, in welchem er sich den Tag zuvor erblickt hatte, als er den Notar Maes verließ; die Reaction stand aber im Verhältniß zu dem, wodurch sie hervorgebracht wurde, und mit Esther vor seinen Augen, mit der Hand der jungen Frau in der seinigen, dachte er nicht mehr an die Gefahren, denen sie ausgesetzt war, an das neue Wunder, durch welches sie ihm erhalten wurde, sondern nur noch an den ungeheuren Verlust, in den er sich fügen mußte, und an die Mittel, denselben zu ersetzen.

Er bestellte seinen Wagen, nahm seinen Hut und ohne daß seine gute sanfte Gattin, die nur an ihn dachte, eine einzige Bemerkung wagte, verließ er ihr Lager und fuhr nach seinem Comptoir in Batavia, ohne nur daran zu denken, sich zu erkundigen, was aus Harruch geworden sei.

Uebrigens konnte ihn nichts bewegen, den gefaßten Entschluß zu bereuen, denn zum ersten Male zeigten sich ihm die Geschäfte in einem günstigen Lichte; zum ersten Male fand er bedeutenden Gewinn von den Unternehmungen einzuziehen, welche den Tag zuvor nur noch negative Erfolge haben zu sollen schienen.

Sehr heiter kehrte er nach Hause zurück.

Zum ersten Male machte er Bekanntschaft mit der Trunkenheit des Erfolges, welcher selbst die kräftigsten Naturen bezwingt, die rechtschaffensten Menschen aus dem Gleichgewicht bringt, die edelsten Geister trübt.

Er fand auch Esther ihrerseits sehr heiter. Allein als die junge Frau ihren Mann erblickte, nahm sie eine kleine Schmollmiene an, welche den Ausdruck ihrer Physiognomie noch reizender machte.

»Mein Freund,« sagte sie, »ich habe Dir große Vorwürfe zu machen.«

»Sie sollen willkommen sein; ich bedarf eines Kummers, denn Deine glückliche Niederkunft verursacht mir eine Freude, die mich erschreckt,« sagte Eusebius, der es vergaß, den glücklichen Verkauf einer großen Quantität Caffee mit der nicht unerhofften Wiederherstellung seiner Frau in Uebereinstimmung zu bringen. – »Sprich.«

»O, wenn ich die Liste länger machen soll, so sage ich Dir zunächst wie ich es sehr schlecht gefunden habe, daß Du mich an einem solchen Tage verließest.«

»Ich leiste Abbitte und Ehrenerklärungen,« erwiederte Eusebius, indem er Esther einen lauten Kuß auf die Stirn drückte.

»Dann,« fuhr sie fort, »wir konntest Du nicht den Gedanken haben, mir den armen Mann zuzuführen, der mir durch einige Kräuter, die Ihr alte Weibermittel zu nennen pflegt, nicht nur das Leben erhielt, an dem ich nur Deinetwegen hing, sondern der uns auch unsern lieben kleinen Engel gegeben hat?«

»Ja, das ist wahr!« rief Eusebius, denn er hatte den armen Harruch ganz vergessen. »Wo ist er?«

»Er ist fort.«

»Fort, ohne daß ich ihm gedankt habe, ohne daß ich ihm für. den uns geleisteten Dienst den wohlverdienten Lohn gab?«

»Als man mir mittheilte, was vorgegangen ist, glaubte ich in Deiner Abwesenheit den ersten Dank aussprechen zu dürfen; ich ließ ihn kommen.«

»Hierher?« fragte Eusebius erröthend, denn er zitterte bei dem Gedanken, der Schlangenbeschwörer möchte Esther von ihrem ersten Zusammentreffen erzählt haben.

»Und was sagte er Dir?«

»Nicht viel in Erwiederung auf meine Danksagungen; ein unbedingtes Nein, als ich von einer Belohnung sprach, die er meiner Meinung nach, sowie nach der Deinigem sehr wohl verdient hatte, und um deren Annahme ich ihn dringend bat.

»Das ist sonderbar.«

»Um so sonderbarer, da er, ein wenig Wasser ausgenommen, nichts von den Nahrungsmitteln nehmen wollte, die unsere Leute ihm boten; eben so wenig verließ er den Kiosk, in welchem. er sein Lager aufgeschlagen hatte, um unter unserem Dache zu schlafen.««