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Der Arzt auf Java

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»Zum Teufel, was will er sagen?« rief Eusebius, dessen Gedanken sich sogleich auf Esther richteten und der glaubte, daß der Jongleur seine Frau bezeichnen wollte. »Sollte der Verfluchte Dir das Versprechen gegeben haben? Also lebt dieser elende Basilius noch? Die Vision auf dem Damme von Tjiliwong war also kein Traum? Sprich, Harruch, sprich,« fuhr er fort, indem er die beinahe regungslosen Hände des Jongleurs in die seinigen nahm; »welche Versprechungen er Dir auch gemacht hat, um Dich für seine Pläne gegen mich zu gewinnen, so werde ich Dir doch Gold, viel Gold, geben, wenn Du Dich entschließest, zu sprechen, Du, der Du, wie Du sagst, die Geheimnisse der Geisterwelt erforscht hast.«

Harruch machte eine Anstrengung, um sich der Betäubung zu entreißen, die sich seiner mehr und mehr bemächtigte und ihm nur noch die Fähigkeit ließ, auf ihrem Fluge den leichten Phantomen zu folgen, die seine Einbildungskraft hervorrief.

Er sah Eusebius starr an und murmelte: »die Laster der Menschen gleichen den Pflanzen, die die Sümpfe bedecken; ein Vogel läßt ein Samenkorn von dem Ufer eines durchsichtigen Sees fallen; er keimt und einige Monate darauf hat die blaue Fläche sich in einen schwarzgrünen Teppich verwandelt. Nur der ist stark, der sich selbst und Andern mißtraut.«

»Ich verstehe Dich, Harruch; Du willst sagen, daß ich Unrecht hatte, dem Narren Maes an diesen nichtswürdigen Ort zu folgen.«

»Die gelben Blätter treten an die Stelle der grünen; dann kommt der Wind und nimmt sie mit sich fort und streut sie über die Wege. Ist der weise, welcher den Eid leistet, das Gewand des Frühlings während der Regenzeit zu bewahren, an dem geliebten Stiele hängen zubleiben, den er ungeachtet der Stürme des Winters liebt?«

»Ja, Du verdammst meinen Glauben an das ewige Fortbestehen meiner Liebe.«

»Nachdem die Sonne die Ebenen der Erde und die Fläche des Meeres mit ihren Strahlen vergoldet hat, nachdem sie die Felder befruchtet und die Blumen und die Früchte liebkost, geht sie schlafen in ihrem Dunstbett und die Nacht folgt ihr. Darf man Den weise nennen, der sich gegen die Schrecken der Dunkelheit empört und der den Tag vor der Stunde sehen möchte, welche der Herr der Welt mit seinen Fingern zu der Rückkehr des Lichtes bezeichnete?«

, »Ich hätte mich in die Trennung ergeben sollen, die das Schicksal von mir forderte, ich hätte denken sollen, sie sei nur augenblicklich, und bald würde ich in einer bessern Welt Die wiederfinden, deren Gott mich für einige Zeitberauben wollte.«

»Der Upas gibt den Tod,« fuhr der Jongleur fort. »Ist Der weise, welcher ruhig unter seinem tödtlichen Schatten einschläft, weil er nur goldene Früchte zwischen dem Laubwerk erblickt?«

»Hier verstehe ich Dich nicht mehr, Harruch,« erwiederte Eusebius. »Willst Du sagen, daß ich Unrecht habe, das Vermögen zu bewahren, welches von diesem Verfluchten stammt? Höre auf in Bildern zu sprechen; Harruch, ich beschwöre Dich, rede deutlicher.«

»Harruch hat Alles.gesagt, was er sagen konnte,« erwiederte der Jongleur, dessen Stumpfsinn sichtlich zunahm, und der in jenen extatischen Schlaf verfiel, der die Wirkungen des Opiums bezeichnet.

»Nein, Du sollst sprechen, Du mußt!« rief Eusebius, indem er den Hindu heftig schüttelte.

»Auf, Harruch, laß Deine Aufgabe nicht halb erfüllt; steh mir bei, über die Arglist dieses Dämons zu siegen.«

Die Bitten und die Anstrengungen Eusebius waren vergeblich; die Hand Harruch’s öffnete sich, die Pfeife des Javanesen fiel aus den Boden und zerbrach in tausend Stücke und der Jongleur sank nieder auf die Matte, auf der er ausgestreckt liegen blieb, als sei er jeden Gefühls beraubt. Seine Augen blieben geöffnet und spiegelten alle Eindrücke wieder, die in diesem Augenblicke seine Seele empfand; sie bewiesen allein, daß er noch lebte.

Eusebius van der Beek richtete sich empor, und zu seinem großen Staunen bemerkte er, daß der Saal, die Gäste, die Tänzerinnen um ihn her wirbelten.

Die Mischung, welche die Pfeife des Jongleurs füllte, war so stark, daß der Holländer, welcher in der Nähe den Duft eingeathmet hatte, die Wirkung davon empfand. Seine Betäubung war so heftig, daß er in das Freie wollte, weil er hoffte, die frische Luft würde ihm gut thun. Aber in dem Augenblicke, als er aufstehen wollte, schien es ihm, als drücke sich eine bleierne Hand auf seine Schulter und zwänge ihn, sich wieder zu setzen.

Er dachte, die Frische des Wassers würde das Gleichgewicht seiner Seele wieder herstellen; er griff nach einer Wasserflasche, so rasch, so leichtfertig, daß. es ihm unmöglich war, seine Hand auf den Hals derselben zu legen; so oft er sich ausstreckte, um die Flasche zu ergreifen, entschlüpfte ihm diese mit einem eigensinnigen Satze.

Einer der javanesischen Diener Thsermai’s kam ihm zu Hilfe und füllte sein Glas. Sobald Eusebius es geleert hatte, schien das Unbestimmte aus seinem Kopfe zu verschwinden; es kam ihm vor, als nehme seine Trunkenheit eine bestimmte Form an, als öffne sich sein Schädel und sie entfliehe demselben. Er empfand einen Augenblick unendlichen Wohlbehagens und Genusses. Aber seine Augen kehrten von selbst zu dem Schauspiel zurück, welches seinem Herzen und seinem Verstande so sehr widerstrebt hatte, zu dem, was auf der Estrade vorging.

Das Ende der mimischen Scene, welche die Ranguns aufführten, war nahe. Zwei Ranguns, welche Kobolde vorstellten, versuchten es ein junges Mädchen zu verführen, welches von der hübschen Tänzerin dargestellt wurde. Mit wollüstigen Bewegungen strengten sie sich an, das junge Mädchen fortzureißen; dieses kämpfte, der Ausdruck ihrer Augen sagte, daß das Glück nur darin für sie bestehen könnte, wenn der, welchen sie liebte, die Stelle einer der beiden Kobolde eingenommen hätte. Die Sprache dieser Letzteren war so lebhaft, es lag eine solche Kühnheit in ihrer Pantomime, daß mit jedem Augenblicke die Vertheidigung der liebenswürdigen Rangun schwächer wurde. Ihr Gesicht drückte Schmerz aus, während ihre Augen andeuteten, daß ihr Herz dem Abwesenden gehöre. Aber ihr Körper wurde besiegt und gab sich nach und nach den Bewegungen einer reizenden Koketterie hin, indem sie die Schleier, die ihr zur Schutzwehr dienten, einen nach dem andern fallen ließ.

Eusebius van der Beek war ganz ergriffen durch den Zauber dieses eigenthümlichen Schauspiels; sein Blut stürmte durch die Adern; seine Schläfe klopften heftig; es schien ihm in einzelnen Augenblicken, als sollte sein Herz seine Brust sprengen.Plötzlich ertönte hinter ihm ein rauher Schrei, ein Kehlton, wie ein Schrei, den man zu unterdrücken sucht. Er wendete sich um und. sah auf Harruch. Wie zuvor lebten nur noch die Augen des Jongleurs, aber sie hatten ihren strahlenden Ausdruck verloren; sie waren starr, vor Schrecken ergriffen und fest aus die Estrade geheftet. Eusebius folgte der Richtung und bemerkte drei oder vier häßliche Schlangen, welche in dem Korbe enthalten waren und die jetzt über das Theater zu den Tänzerinnen krochen. Er sah, wie die europäische Tänzerin bei einer ihrer Stellungen den Fuß auf den Körper einer gewaltigen Cobra Copella setzte; diese erhob zornig ihren platten Kopf und machte einen Satz auf sie zu.

Die Tänzerin wurde todtenblaß und brach in sich selbst zusammen, als ob das Gift, mit dem die Schlange sie bedrohte, bereits durch ihre Adern rinne.

Zuschauer, Musiker, Ranguns und Gäste stürzten unter Schreckensgeschrei auf die Thür des Pavillons zu und entflohen nach allen Richtungen. Es blieben in dem Festgemache nur noch die ohnmächtige Tänzerin, Harruch auf der Matte liegend und Eusebius zurück.

Dieser dachte nicht daran, zu entfliehen. Er sprang auf das Theater, ergriff die Schlange, die sich um den Arm der Tänzerin gerollt hatte, wirbelte sie wie eine Schleuder in der Luft umher, und zwar mit solcher Kraft, daß er ihr nicht die Zeit ließ, sich zusammen zu rollen, um ihn zu stechen, zerschmetterte ihr dann den Kopf an der Mauer und kehrte zu der Tänzerin zurück.

Ohne ein Wort zu sprechen, deutete diese mit dem Finger auf eine kleine Wunde, die sie unter der linken Schulter hatte, an dem Orte, wo der Hals sich mit der Brust vereinigt. Aus dieser Wunde entquollen einige kleine Tropfen reinen hellen Blutes. Das Gemach war leer; von Niemand ließ sich Hilfe erwarten. Eusebius zögerte nicht; er heftete seinen Mund auf den Biß, um das Gift auszusaugen, wenn es noch möglich war. Aber kaum hatten seine Lippen die weiße weiche Haut berührt, als in ihm eine sonderbare Umwandlung entstand. Die Tänzerin nahm in seinen Augen die Gestalt, den Wuchs und das Gesicht Esthers an; es war Esther, welche er beinahe sterbend in seinem Arme zu halten glaubte. Die Illusion war so vollständig, daß er den süßen Athem des Weibes, das er liebte, zu fühlen, daß er ihre Stimme im Dunkeln zu hören glaubte. Aber es schien ihm auch, als würde das Gesicht Esthers immer blässer und blässer, als entfärbten sich ihre Lippen, als verschleierten sich ihre Augen, als entfliehe ihr das Leben.

Er wollte den Körper, den er erkalten fühlte, erwärmen, schloß ihn dicht in seine Arme und sein Herz konnte die Schläge des andern Herzens fühlen, das nur noch in einzelnen Pausen klopfte. Eusebius heftete jetzt seine Lippen auf die der Sterbenden, wie er es in jener fürchterlichen Nacht gethan, in welchem seine junge Frau ihm auf so wunderbare Weise zurückgegeben wurde.

In diesem Augenblicke erlosch die Kerze, die seit einiger Zeit schon erblichen war, gänzlich und Alles sank um sie in Finsterniß.

Man hörte nur noch das Geräusch von zwei Athmenden und die Athemzüge Beider wurden immer kürzer, immer keuchender.

Man sah nichts mehr, als den phosphorschimmernden Glanz, der aus den Augen Harruch’s strahlte und Flammen in die Finsterniß zu sprühen schien.

III.
Noungal, der Malaye

Das System, welches die weit gedehnten Besitzungen der Holländer beherrscht, ist zugleich einfach und geschickt. Die Regierung hat auf den Hauptpuncten der Insel die javanesischen Herren, welche die Insel ehedem unter eingebornen Herrschern regierten, beibehalten oder wieder eingesetzt.

 

Diese Beamten, welche durch ihre Geburt oder durch ihren Rang seit undenklichen Zeiten einen großen Einfluß aus die Bauern ausüben, haben für ein wenig Gold diesen Einfluß den Europäern zur Verfügung gestellt und sich zu deren bereitwilligen Werkzeugen gemacht.

Gegenwärtig damit beauftragt, die Befehle der Colonialbehörde mitzutheilen und für deren Befolgung zu sorgen, vertheilten sie unter den Ackerbauern die Naturalleistungen, welche Java in einen gewaltigen Pachthof zum Nutzen Hollands verwandelt haben. Das ist eine macchiavellische Berechnung, mit deren Hilfe die drückende Hand sich verbirgt und sich aus solche Weise den Folgen einer unmittelbaren Berührung entzieht.

Die Vorfahren Thsermai’s waren seit der Eroberung der Insel mit dem Amte des Gouverneurs in der Provinz Bantam betraut. Sein Vater mußte durch seine Ergebenheit in der großen Krisis von 1811 das ganze Vertrauen der Holländer zu gewinnen, die ihn mit Ehren und Reichthümern überhäuften.

Der tributpflichtige Herr der Dörfer der Provinz Bantam machte die Reise noch Holland und wurde dem König Wilhelm vorgestellt. Er kehrte von dort mit einer lebhaften Bewunderung für die Industrie und die Civilisation Europas zurück.

Obgleich die Javanesen seit dem 14. Jahrhundert Muselmänner sind, theilen sie doch nicht den Fanatismus, welcher die Anhänger des Islam anderwärts charakterisirt; der Regent von Bentam hatte daher auch keinen Widerwillen zu besiegen, kein Vorurtheil zu bekämpfen um die Erziehung seines einzigen Sohnes einem Christen anzuvertrauen. Dieser war der berühmte Arzt in Batavia, eben der, welchen wir bei dem Beginne unserer Geschichte eine so wichtige Rolle spielen sahen, und der Doktor Basilius wurde mit dem unbedingtesten Vertrauen beehrt.

Sei es nun aber, daß der arme Gouverneur von Bentam eine schlechte Wahl getroffen hatte, sei es, daß die Neigung des Zöglings durchaus lasterhaft war, genug, ehe dessen Vater starb, sah dieser, wie sein Sohn alle auf ihn gesetzten Hoffnungen betrog.

Das sichtlichste Resultat der europäischen Erziehung Thsermai’s war, daß er den Lastern seines Stammes die Laster hinzufügte, welche mit der vorgerückten Civilisation und der Auflösung der moralischen Ordnung in der alten Gesellschaft verbunden sind.

Er war eifersüchtig, ränkesüchtig, falsch, abergläubisch und leichtgläubig, wie alle Eingebornen; außerdem war er ausschweifend, habsüchtig und ehrgeizig, wie die holländischen Colonisten; er würde vor einem Verbrechen nicht zurückgebebt sein, hätte dasselbe seinen Leidenschaften dienen können.

Er war kaum seit einigen Monaten aus der Obhut seines Erziehers entlassen worden, als er seinen Vater verlor und demselben in seinem Range und seiner Würde folgte. Seine erste Sorge war, den zu sich zu berufen, der seines schlechten Neigungen, statt sie zu bekämpfen, begünstigt hatte, und ihn mit dem Titel eines Rathes in seinen Palast einzuführen.

Thsermai legte sich einen zahlreichen Hofstaat bei, hielt prachtvolle Equipagen, erbaute Paläste; in der ganzen Provinz Bantam und bis nach Buytenzorg, war von weiter nicht die Rede, als von einem zahlreichen Ballet, das er unterhielt und von der Wahl der Bedajas, die es bildeten. Wie ungeheuer auch die Einkünfte des jungen Prinzen waren, konnten sie dennoch den übermäßigen Ausgaben nicht genügen, welche durch dergleichen kostspielige Vergnügungen und stets wechselnde Launen veranlaßt wurden. Um seinen Bedürfnissen zu genügen, nahm er seine Zuflucht zu zahllosen Erpressungen; um seinen Harem zu füllen, entführte er die Töchter seiner Bauern; zahllose Klagen wurden gegen ihn bei dem Sitze der Centralregierung eingereicht, Aber man war,Dank dem Andenken an seinen Vater, so sehr für ihn eingenommen, daß der Colonialrath ein Auge zudrückte.

Kühn gemacht durch die Straflosigkeit, vorwärts getrieben durch die Rathschläge seines ehemaligen Erziehers, begnügte Thsermai sich nicht mehr damit, Die auszuplündern, die sein Vater wie seine Kinder betrachtet hatte, sondern er versuchte es auch, das Vertrauen der Hollländer zu hintergehen, indem er einen Theil der Abgaben, die er für Rechnung des Staatsschatzes einzog, zu seinem Nutzen zu unterschlagen versuchte.

Hier aber zeigte die Regierung sich unerbittlich und eine augenblickliche Absetzung war die Folge dieses neuen Vergehens. Der Rathgeber Thsermais war stark compromittirt; er wurde mit gerichtlicher Verfolgung bedroht und entging der Confiscation der beträchtlichen Reichthümer, die er sowohl in dem Dienste des jungen Herrschers von Baal Bantam, als durch eine Art von Handel mit den Piraten der Insel Borneo unterhielt, zusammengescharrt hatte, nur durch, daß er gerade indem Augenblicke starb, als gegen ihn eingeschritten werden sollte.

In; dankbarer Anerkennung der wichtigen Dienste, welche der Vater den Colonien geleistet hatte, wollte der Generalgouverneur der Insel Java nicht, daß der Sohn, gänzlich verarmt, die erbliche Herrschaft seiner Familie verlassen sollte; er verordnete daher, daß sein Nachfolger ihm einen beträchtlichen Jahresgehalt zahlen mußte.

Weder die Nachsicht, mit der man seit so langer Zeit gegen ihn verfahren war, noch dieser letzte Beweis der Freigebigkeit, noch die freundlichen Worte, womit man denselben begleitet, beschwichtigten den Unwillen, der in Thsermai durch die strenge gegen ihn ergriffene Maßregel erweckt worden war. Er glaubte von dem königlichen Stamme der Pandjajaran entsprossen zu sein, deren letzter Soesoenan oder Sultan, welcher über die südlichen und östlichen Theile der Insel Java herrschte, im Jahre 1749 zu Gunsten der Holländer abgedankt hatte.

Er betrachtete die Oberlehensbarkeit der Provinz Bantam, die seiner Familie geblieben war, als einen pflichtschuldigen Ersatz dieser Abdankung, als ein unantastbares und unveräußerliches Recht, und er widmete Denen, die ihn desselben beraubt hatten; einen unversönlichen Haß.

Längere Zeit ergoß sich dieser Haß nur in Schmähungen und Drohungen. Aber da Thsermai, seitdem er seiner Macht beraubt war, und die schönste Quelle seiner Einkünfte vertrocknen sah, sich seinen verderblichen Launen nicht mehr hingeben konnte; suchte er sieh durch schmutzige Ausschweifungen zu betäuben; da er gewöhnlich in den Tavernen Batavia’s, in deren Schlamme, bei Mynheer Cornelis, Vertraute seiner Ränke suchte, achtete die Colonialregierung nicht darauf.

Bei einer seiner fast täglichen Orgien in dem chinesischen Campong traf er in einem Wirthshause einen malayischen Seemann dessen Hartnäckigkeit allem seinen Thun zu folgen, ihm sonderbar erschien; er näherte sich ihm; der Malaye sagte ihm einige Worte in das Ohr und zum großen Staunen aller Genossen seiner Ausschweifungen verließ Thsermai das Haus des Chinesen in der Gesellschaft des Seemanns, lange zuvor, ehe der Becher der Trunkenheit bis auf den Boden geleert war.

Von diesem Augenblicke an veränderte sich sein Betragen vollständig.

Man hörte, den Ex-Oberlehensherrn der Provinz Bantam nicht mehr gegen die Tyrannei der Eroberer eifern und die Rechte der Eingebornen in Anspruch nehmen. Man sah ihn nicht mehr die zügelloses Sitten der holländischen Colonisten geißeln, ihre Niedrigkeit bespötteln, ihren Geiz verhöhnen und ganz laut die Hoffnung aussprechen, daß der Tag der Buße für sie erscheinen würde.

So lärmend seine Unzufriedenheit gewesen war, so unwichtig daher seine Worte erschienen, so wußte er, Dank dem Talente der Verstellung, welches ihm sein javanesisches Blut verlieh, bei sich selbst sein Gefühl zu verschließen, sich klug in seinen Handlungen, zurückhaltend in seiner Sprache, zu zeigen. Er that noch mehr. Er brach den Umgang mit den gemeinen Genossen seiner schmachvollen Orgien ab, schien seine Ausführung zu regeln, und obgleich er seine Bedajas und den fürstlichen Aufwand beibehielt, welche seiner Geburt und seinem Range gebührten, schien er seine thörichte Verschwendung einzuschränken und sich in seinen Ausgaben der Ordnung und der Vernunft zu fügen. Sein Betragen wurde so musterhaft, daß der Gouverneur und die Mitglieder des Colonialrathes, welchen Thsermai seine Aufwartung machte, die Strenge bedauerten, mit der sie ihn zu behandeln gezwungen gewesen waren, und ihm die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung in sein Amt in Aussicht stellten.

Es ist freilich wahr, daß Thsermai zu der gleichen Zeit, während welcher er einer der eifrigsten Besucher in den Palästen von Weltevrede und der Residenz Buytenzorg geworden war, den Umgang einiger Chinesen suchte, deren Feindseligkeit gegen die Regierung man sehr gut kannte. Es ist wahr, daß er eine vertraute Freundschaft mit Ti-Kai schloß, dem chinesischen Kaufmann, den wir bei Mynheer Cornelis kennen lernten und dessen Vorfahren einer von den Häuptlingen des berüchtigten, Aufstandes der Chinesen gewesen war, der in dem vorhergehenden Jahrhundert die holländische Herrschaft über die Insel Java nahe an den Rand des Verderbens brachte.

Wir müssen auch noch hinzufügen, daß man seit der plötzlichen Bekehrung Thsermai’s von nächtlichen Versammlungen der Unzufriedenen sprach, die in dem Gehölz von Tjidaval, in der Provinz Batavia und in den ungeheuren Wäldern von Dayu-Lonchur, stattfinden sollten, welcher im Süden der Provinz Cheribor gegen die Gränze von Preangers liegt, nicht weit von dem classischen Theile der Insel Java, welche am fruchtbarsten von Erinnerungen der ursprünglichen Herrscher dieser Gegend war.

Ungefähr dreißig Meilen von Buytenzorg gegen die ersten Gipfel der auleonischen Bergkette, welche die Insel Batavia durchzieht und welche die Seeleute die blauen Berge nennen, bilden drei Zweige dieser Kette, der Ohagah, der Saxi und der Sadjiva, ein Dreieck, welches vollständig ein Thal einschließt, das an seiner breitesten Linie sechs Meilen haben mag, an der Spitze aber höchstens drei breit ist. Dieses Thal, eine wahre Oase in Folge der Frische, welche die Nachbarschaft der Berge, die nicht über dreitausend Klaster hoch sind, während der größten Sommerhitze dort erhält, gehört Tuan Thsermai. Dort finden wir ihn am Tage nach dem Abend, der in dem Pavillon des Mynheer Cornelis auf so verhängnißvolle Weise schloß.

Der Wohnsitz Thsermai’s lag in dem südlichen Theil des prachtvollen Thales, auf dem der Ebene zunächst liegenden Berge Saxi.

Von dem Vater des jungen Prinzen gebaut, war es nicht, gleich den meisten Palästen der malayischen Großen in der Nähe der Dörfer und in der Mitte bebauter Felder errichtet worden; man gelangte zu demselben auf einem Wege, der sich durch den Wald schlängelte, welcher die ersten Absätze des Berges bedeckte.

In diesem Walde fand man alle Gattungen der tropischen Vegetation; das dicht verschlungene Unterholz derselben diente als unzugängliche Zufluchtsstelle für die Eber, die Hirsche, die Rehe und für wilde Pfauen, während in den höheren Zweigen die tausend verschiedenen Arten der Papageien spielten und ihr widerliches Geschrei ertönen ließen, und die Paradiesvögel ihr Purpur- und Goldgefieder zeigten.

Aus einer gewissen Entfernung gesehen; würde der Palast Thsermai’s mehr einer Stadt als einem fürstlichen Schlosse geglichen haben.

Rings um.das Hauptgebäude, welches im maurischen Style aufgeführt war, und dessen alabasterweiße Kuppeln, dessen frei zugespitzte Minarets, dessen buntfarbige Bogengänge, Alles zeigten, was die Künste der Araber und Perser Feenhaftes und Elegantes erfunden haben, sah man die Schöpfungen eines chinesischen Architecten, dessen Einbildungskraft allen Eingebungen seiner phantastischen ungeregelten Launen den Zügel hatte schießen lassen. Lusthäuser von Stukaturarbeit, durchbrochen in Spitzen, Porzellanhäuschen, Bambushütten, bald zwanzig Fuß hoch über dem Boden, bald in der Gestalt von Thieren oder Werkzeugen, erschienen als unzusammenhängende. Einfälle, waren aber mit einander durch Gewölbe, durch Gänge, durch unterirdische Verbindungen, verknüpft, ebenso originell in der Anordnung und der Gestalt, wie das Gebäude selbst.

Seit seiner Ungnade hatte Thsermai den maurischen Palast und die Gemächer verlassen und lebte mit seinen Weibern und seinen Sclaven in den chinesischen Bauten.

Während der Hitze des Tages pflegte er sich gern in einer Muschelgrotte aufzuhalten, die mit den prachtvollsten Korallen, Seegewächsen und Schnecken der Südsee bekleidet war. Ein Wasserstrahl fiel an dem oberen Theile dieser Grotte herab, der Alles gleich einem undurchdringlichen Schleier gegen die Hitze des Tages, so wie gegen die zudringlichen Blicke der Dienerschaft, verschloß.

In dieser Grotte finden wir Thsermai wieder. Er lag auf silbergestickten grünen Kissen. Er sog nicht die frischen Dünste des persischen Narguileh oder die indischen Haku ein; nicht den milden Wohlgeruch des orientalischen Tabaks, sondern den scharfen Rauch einer Cigarre, wie ein holländischer Reishändler es in seinem Comptoir zu Batavia gethan haben würde.

 

An seiner Seite kauerte der braungekleidete Mensch, den wir bei Mynheer Cornelis an Harruch die narkotische Pfeife reichen sahen, dessen Dunst auf das Hirn des Eusebius van der Beek einen so mächtigen Einfluß übte. Der Mensch trug jetzt die Kleidung eines malayischen Seemanns und glich auf eine auffallende Weise dem, welcher Eusebius an dem Tage nach dem Tode des Doktor Basilius auf dem Damme von Tjiliwong anredete.

»Weshalb willst Du fort, Noungal,« fragte Thsermai.

»Weil es sein muß,« entgegnete dieser.

»Wohin gehst Du?«

»Zu der Vollbringung unserer Pläne.«

»Aber fürchtest Du nicht, daß ich strauchle, wenn Du Dich von mir zurückziehst?«

»Mein Geist wird an Deiner Seite bleiben.«

Der Javanese senkte den Kopf und versank in schweigendes Nachdenken.

»Nun,« sagte er endlich, »Du hast mir Geheimnisse in das Gedächtniß zurückgerufen, die ich in das Grab versenkt glaubte; Du hast mir erzählt, was Basilius, der seit beinahe einem Jahre die Beute der Würmer ist. Allein wissen konnte; Du hast mir die Beweise einer übermenschlichen Macht gegeben, welche meinen Geist fesselte und Du beweisest mir zu gleicher Zeit eine Theilnahme, welche Dir mein Herz gewann. Aber ehe ich die wichtigen Pläne weiterverfolge, die meinen Kopf in Gefahr bringen können, laß mich noch eine Frage an Dich richten und versprich mir darauf zu antworten. Wer bist Du?«

»Habe ich es Dir nicht gesagt, Thsermai?« antwortete der Malaye mit ironischem Lächeln. Man nennt mich Noungal und ich bin der, welcher über die Tzingaris oder Zigeuner des Meeres herrscht. So ärmlich auch mein Aeußeres ist, gebiete ich dennoch über Flotten, um welche die mächtigsten Herrscher dieser Welt mich beneiden würden, und noch über etwas Besseres, als über die elende Zusammenstellung von Brettern und Tauen – über fürchterliche Menschen, die kein anderes Vaterland haben, als die endlose Fläche des Oceans und die, seit der Kindheit daran gewöhnt, mit dem Meere zu spielen, nicht einmal das Wort Gefahr kennen. Meinem Willen gleich Sclaven unterworfen, werden sie auf ein Wort von mir aufstehen, um Dir Beistand zu leisten. – Was ist noch weiter nöthig, um aus Thsermai den König von Jana zu machen?«

»Das war es nicht, was ich wissen wollte, Noungal,« entgegnete der Javanese. »Ich kenne die Wildheit und die Tapferkeit der Tzingari durch den Schrecken, den ihr bloßer Name den Bewohnern des indischen Archipels einflößt; ich weiß, daß vor ihnen selbst die europäischen Soldaten entfliehen würden, wie vor einer Wolke von Heuschrecken. Du versprachst mir ihren Beistand zur Wiedergewinnung nicht etwa des Fetzens von Macht, den ich von der Freigebigkeit unserer Herren besaß und den deren Ungerechtigkeit mir entrissen hat, sondern um den Rang, welchen meine Vorältern in diesem Lande einnehmen, in seiner ganzen Ausdehnung wieder zu erlangen. Ich sagte Dir dafür meinen Dank und ich wiederhole Dir, daß meine Dankbarkeit nicht hinter der Wohlthat zurückbleiben soll. – Doch das war es nicht, was ich zu wissen wünschte.«

»So sprich denn.«

»Nicht nur die Horden des Meeres hat Noungal seinem Willen unterworfen, sondern er gebietet auch über jene geheimnißvollen Geister, die es zwischen Himmel und Erde gibt, welche die Christen Dämone nennen und denen wir den Namen der Devas und der Dschiuns beilegen. – Wäre es anders, wie könnte dann Noungal wissen, was vor mehreren Jahren zwischen dem alten holländischen Doctor und seinem Zögling gesprochen wurde? – Wer konnte ihm das mittheilen, was mit dem Todten, der es hörte, gestorben ist, wenn es nicht der irrende Geist des Basilius war? Diese Geheimnisse sind es, die ich kennen zu lernen wünsche, Noungal!«

»Deine Bitte kommt zu gelegener Zeit, Thsermai, denn ich selbst hatte eine an Dich zu richten.«

»Sprich, und wenn es in meiner Macht liegt, Dich zu befriedigen, so schwöre ich Dir, daß Du haben sollst, was Du wünschest.«

»Du hast unter Deinen Bedaja’s eine Schönheit, die mir gefällt und ich will, daß Du sie mir gibst.«

»Noungal, Du wirst meinen Palast entvölkern! Um Dich zu befriedigen, habe ich die weiße Tochter Hollands geopfert; durch die Schlange Harruch’s gebissen, verdankt sie die Verlängerung ihres Lebens nur den Gegengiften, mit denen Du sie gegen den Biß dieses Thieres versehen hattest; aber ungeachtet Deiner Mittel wird sie erliegen. Willst Du denn, daß ich keine Tänze mehr haben soll, um meine Langeweile zu vertreiben und süße Gesänge, um mich einzuschläfern?«

»Das Wort Thsermai’s ist nicht wie der Flaum, der aus der Frucht der Baumwollenstaude bricht; ein Hauch genügt, um die weißen Fäden umher zu treiben.«

»Nein, Noungal, ich habe Dir mein Versprechen gegeben und sich werde es halten. Wähle daher eine meiner Bedaja’s, sei sie braun, wie die Schale der Granate, oder weiß, wie die Blume der Gardonia – Du kannst sie nehmen und sie wird Dir zu Deinem Volke folgen; ich mache nur eine Ausnahme.«

»Und wenn es nun eben diese Eine wäre, die ich will?«

»So bezeichne sie, Noungal, und laß mich meine Worte nicht ferner verlieren.«,

»Die, welche ich begehre, ist nicht braun, wie die Schale der Granate, sie ist nicht weiß, wie die Blume der Gardonia, sie ist gelb, wie die Lilie, die an dem Ufer der Bäche wächst, und dennoch von allen Deinen Bedaja’s die Schönste.«

»Arroa, die Tochter Argalenka’s!« rief Thsermai, dessen braunes Gesicht eine leichenhafte Blässe annahm, und in dessen Auge das Blut trat.

»Du hast sie genannt, Thsermai,« erwiederte Noungal mit der größten Gleichgültigkeit. »Aber weshalb wechselst Du die Farbe?«

»Noungal, fordere von mir, was Du willst!« rief der Javanese, dessen Ton bebend und abstoßend geworden war; »verlange von mir alle andern Bedaja’s, die den Palast bevölkern; fordere von mir meinen schwarzen Panther, der meine Sandalen wie ein junger Hund leckt;begehre Felder und Wälder, um Dich reich zumachen; verlange meinen Palast und ich werde Dir das Alles nicht verweigern, doch sprich nicht von Arroa; nein, ich kann sie Dir nicht abtreten!«

»Wozu bedürfte ich Deiner Reichthümer? Was könnte ich mit Deinem Palaste anfangen? »Was ich will, Thsermai, ist das gelbe Mädchen mit den schwarzen Gazellenaugen.«

»Und ich verweigere sie Dir, Noungal.«

»Ist es Dir gefällig, mir zu sagen, weshalb?«

»Ich weiß es nicht; es ist mir unmöglich, das zu erklären, was in mir vorgeht; aber seitdem sie meinen Palast bewohnt, habe ich über sie alle Gefährtinnen vergessen. Die beiden Tage, die ich fern von Arroa zubrachte erschienen mir als Jahrhunderte; ich glaube wirklich, daß ich sie liebe.«

»Wenn man Dir nun sagte, daß Du den Thron, von dem Du träumst, nur gewinnen könntest, indem Du sie opferst?«

»Zwischen einer ungewissen Zukunft und den süßen Blick, der mich berauscht und den wollüstigen Liebkosungen, die mir das Paradies auf Erden zaubern, würde ich nicht schwanken, Noungal.«

»Kind! erwiederte der Malaye mit einem Lächeln, welches zugleich Mitleid und Geringschätzung verrieth, »Kind, das den Elementen und den Mächten einer andern Welt gebieten will, und das seine eigenen Leidenschaften nicht zu beherrschen vermag!«

Der Javanese verstand die Lehre und senkte den Kopf; indeß war die Bitterkeit dieser Vorwürfe nicht ohne die Beimischung einer gewissen Süßigkeit; es schien ihm, als würde er Arroa bewahren.

»Höre, Thsermai,« fuhr der Malaye fort, »die Augenblicke sind kostbar und wir dürfen keinen verlieren. Ich muß diesen Abend noch die Küste verlassen und morgen auf dem Meere sein; in einem Monat siehst Du mich wieder.«