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Der Arzt auf Java

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VIII.
Der Vater und die Tochter

Am Abend war Alles voll Freude; es gab ein Fest in dem Dalam; es schien, als hätte die Hoffnung, Arroa zu behalten, Thsermai dem Leben zurückgegeben.

Die Gärten funkelten unter tausend Lichtern; die Echo’s der Berge widerhallten die melodischen Klänge des Gambang und des Schalamprung; die Bedaja’s, geschmückt mit goldenen Diademen, bekleidet mit einem Leibchen von gesticktem Sammt und mit weiten Rücken von rother Seide, an der Seite aufgeschürzt durch Diamanten-Agraffen, zeigten ihre mit Goldringen umgebenen Füße; Andere, welche das prachtvolle Gewand der Albaneserinnen trugen, vollführten eine Pantomime mit lebhaften und leidenschaftlichen Scenen.

Auf einen weichen Teppich hingestreckt, sog Thsermai langsam den Duft eines persischen Narguileh, ein, dessen Kugel mit reichen Malereien verziert und mit wunderbaren Verschlingungen in Gold und Silber ausgelegt war.

Die schöne Arroa lehnte ihren Kopf auf die Brust des Adipati.

Ihr Haar, schwärzer als das Gefieder des Raben, berührte liebkosend das Gesicht ihres Gebieters; von Zeit zu Zeit lächelten Augen und Lippen des wunderschönen Mädchens Thsermai verliebt zu, und dieser, mehr berauscht durch dieses Lächeln, als durch die wollüstigsten Stellungen der anderen Weiber, legte auf die Lippen Arroa’s um die mit Edelsteinen verzierte Bernsteinspitze, in welche der Narguileh auslief, damit auch sie die wohlriechenden Düfte des Tumbak einziehen sollte.

Einige Schritte entfernt von der Gruppe, welche der Fürst und seine Favorite bildeten, betrachtete Harruch, der Jongleur, diesen Auftritt mit zerstreutem Blicke, welchen in einzelnen Momenten ein Blitz des Zornes, und des Hasses durchzuckte. Er hatte den Aufforderungen seines Wirthes, sich seinem Lieblingsgenusse, dem Opium hinzugeben, widerstanden Harruch schien entschlossen, auf die gewaltigen Gefühle Verzicht zu leisten, welche dieses Narcoticum erregt, als fürchtete er, daß seine Trunkenheit ihm wieder die Leiche zeigen möchte, welche der Panther am Morgen aus der Erde kratzte. Er begnügte sich damit, ein wenig Bethel zu kauen, welchen er am dem Gebrauche der Eingebornen mit ungelöschtem Kalt und Arecanuß vermischte.

In dem Augenblicke, als die Tänze am.lebhaftesten waren, erschallte aus dem Innern des Palastes ein so lauter Lärm, daß er die Klänge des Concertes übertönte.

Thsermai fragte nach der Ursache und seine Diener führten vor ihn einen Greis, den sie in dem Augenblicke überrascht halten, als er in die den Bedaja’s vorbehaltenen Gemächer einzudringen versuchte.

Bei dem Anblick Arroa’s stieß der Greis einen Schrei aus, an welchem Schmerz und Freude gleichen Antheil hatten. Er streckte seine Arme ihr entgegen und würde sich ihr an die Brust geworfen haben, hätten die Leute des Adipatis ihn nicht zurückgehalten.

Indem Thsermai in diesem Greise den Beduis erkannte, welcher bei Mynheer Cornelis seine Tochter von ihm zurückgefordert hatte, runzelte er die Augenbraunen. Auf Arroa schien der Anblick ihres Vaters, dieses Greises mit schmutzigen zerlumpten Kleidern, das Blut, welches dessen Hände und Knie färbte, die Angst, die aus seinem Gesicht leuchtete, keinen Eindruck zu machen; nicht eine Falte störte die Harmonie ihrer schönen Züge; nicht eine der Adern ihres bleichen Gesichtes füllte sich mit Blut. Es schien, als ob dieses herrliche Geschöpf für jedes Gefühl, als das der sinnlichen Liebe, todt sei. Sie blieb still und kalt, wie eine Bildsäule; indeß gab sieden Sclavinnen, welche über ihr gewaltige Fächer von Pfauenfedern schwangen, ein Zeichen, ihre Bewegungen zu beschleunigen.

»Hast Du bedacht, Beduis,« sagte Thsermai zu Argalenka, daß Deine Flucht von meinem Gebiete Dich verurtheilt? Hast Du bedacht, daß Du durch Dein Eindringen in diesen Palast dem Tode entgegentratest?«

»Ich habe gedacht, daß mein Kind hier sei, »das war Alles; seit 16 Stunden schleppe ich mich auf Händen und Füßen hin, um bis zu ihr zu gelangen.«

»So betrachte sie denn genau, Greis, denn bei Mohamed, Du wirst sie nicht wieder sehen, es müßten denn die Augen des Menschen indem Grabe ihre Sehkraft bewahren.«

»Dein Wille geschehe, Herr, denn Du sagst die Wahrheit: Ihr Anblick ist für mich eine so große Freude, daß ich das Leben nicht mehr beklage, nachdem ich sie gesehen habe.«

»Indem Argalenka diese Worte sprach, weinte er heftig und seine Thränen rannen in seinen weißen Bart. Durch seine Blicke voll Liebe und Bitten versuchte er die Aufmerksamkeit Arroa’s auf sich zu lenken, aber sie schien ihn nicht zu bemerken.

»Du erkennst mich nicht, Arroa?« sagte er. »Ach, das Elend, der Hunger und der Aufenthalt in den Wäldern haben mich sehr verändert! Auch Du bist nicht mehr dieselbe und obgleich Deine Gewänder von Gold und Seide und Dein Diadem von Diamanten dem kleinen groben Sacong nicht gleichen, den Du in unserer Hütte trugst, noch den Blumen, mit denen Du Deine Haare schmücktest, hat mein Herz mir sogleich gesagt: »Das ist sie!« – Aber Du liebst mich noch immer, Arroa, Du liebst noch immer Den, welcher Dich als kleines Kind auf seinen Knien schaukelte, dessen Glück und Stolz Du vierzehn Jahr lang warest! – Kann man denn seinen Vater nicht mehr lieben?«

»Was hat Arroa, die Favorite Thsermai’s, jetzt noch mit einem elenden Beduis, wie Du bist, gemein?« sagte roh der Javanese.

Als Argalenka von dem Adipati die Prophezeihung erfüllen hörte, welche der Mann ihm gemacht hatte, den er während der vorhergehenden Nacht auf der Straße traf, fühlte er sein Herz brechen; seine Knie wankten, er faltete die Hände, und streckte sie gegen seine Tochter aus.

»Arroa,« sagte er, »beeile Dich, Deinen Gebieter Lügen zu strafen; sage ihm, welches auch der Rang sei, zu dem das Glück Dich berief, bleibt es doch stets das Blut Argalenka’s, welches in Deinen Adern rinnt; sage ihm, daß zwischen uns Beiden ein allmächtiges Band besteht, welches das Werk Gottes ist und das die Menschen nicht zerreißen dürfen. – Mein Gott sollte ich denn, ohne es zu wollen, Dich durch irgend etwas verletzt haben? Du weißt aber doch, daß dort, als wir noch auf der Ebene mit einander lebten, Dir zu gefallen, mein ganzes Bestreben war, Dich glücklich zu machen, mein einziger Gedanke! Aber ich weiß wohl, wenn man zu viel thun will, verfehlt man zuweilen das Ziel, nach dem man strebt; ist dem aber so, das wirst Du mir verzeihen, Arroa, Du;wirst mir verzeihen, bevor ich sterbe; Du wirst für mich noch wieder jenes süße Lächeln finden, eine jener freundlichen Liebkosungen die Du ehedem an mir verschwendetest; Du wirst mir den Trost lassen, zu denken, daß Du zuweilen auf dem Grabe, in welchem Der, welcher Dein Vater war, für immer schläft, zu trauern kommt.«

Indem der arme Beduis so sprach, erstickten die Thränen seine Stimme; er sah wechselweise auf Arroa, Harruch und Thsermai, Als er erkannte, daß seine Tochter fühllos blieb, und ihm nicht antwortete, wurde er von einer Art von Schwindel ergriffen.

»Mein Gott!« rief er aus, »meine Verzweiflung rührt sie nicht? Sie läßt ihren Vater weinen, ohne ihm nur zu sagen: Vater, ich sehe deine Thränen?«

Und mit einer hastigen Bewegung entriß der Beduis sich Denen, die ihn hielten, sprang auf seine Tochter zu und ergriff die Hand derselben. Sie schien kalt und starr zu sein, wie von Marmor; indem Argalenka sie berührte, glaubte er einen Leichnam berührt zu haben; er wich zurück, indem er einen Schrei des Entsetzens ausstieß-

»Sie ist es nicht! Es ist nicht Arroa, obgleich es ihre Züge sind?« rief er verzweiflungsvoll, »Du hattest Recht, Harruch, ach, ich danke Buddha, denn wenn meine Tochter lebend ihren Vater verleugnet hätte, so würde ich den Tag verflucht haben, an dem er sie mir schenkte, verflucht den Leib, der sie trug. – Es ist Arroa, aber sie ist todt.«

»Man ergreife ihn,« schrie Thsermai.«

»Herr, Adipati, Du wirst mir das Leben rauben, das ich von Buddha habe, wie Du mir einst mein Gut raubtest, wie Du mir meine Tochter entrissest; ich verfluche Dich nicht; der Gott, der Dich sieht, mag es thun; er kann lauter und besser sprechen, als ich. Ich lasse Dich in seiner Hand, und wärest Du eben so mächtig, wie der Herrscher der Mitte, so wird er Dich dennoch in den brennenden Eingeweiden des Banderanger zu finden wissen. Er wird Dich erreichen; ich habe es gesagt, aber ich bereue nichts und ich werde den Augenblick segnen, der mich von dem Anblick dieses abscheulichen Phantoms befreit,« fügte er hinzu, indem er auf seine Tochter deutete.

»Man vollstrecke meinen Befehl!« rief Thsermai.

»Herr,« bemerkte Harruch, »dieser Mensch ist verrückt, wie Du siehst. er erkennt sein Kind nicht! Seit wann sind die Tage der Glückseligen, deren Geist Gott den Schmerzen dieser Welt entriß, nicht mehr heilig für den Muselmann?«

Thsermai erbebte vor Zorn; er hatte trotz des heiligen Charakters, mit welchem Harruch soeben Argalenka bekleidete, große Lust, seine Wuth zu kühlen, indem er den Beduis augenblicklich vernichtete. Aber er sah sich umgeben von Muselmännern, und um seine ehrgeizigen Pläne zu erreichen, bedurfte er aller seiner Diener. Er beschloß daher, seinen Zorn der Klugheit zu opfern und gab Befehl, den Greis in ein Gefängniß einzusperren.

Arroa blieb fortwährend diesem Auftritt Vollkommen fremd. Als aber Argalenka, fortgeführt durch die Diener Thsermai’s, in der Dunkelheit verschwunden war, wendete sie sich wieder zu ihrem Gebieter, und deutete auf die Bedaja’s, die regungslos stehen geblieben waren, wie vor Schrecken erstarrt. Dabei machte sie eine Bewegung unmuthiger und schmollender Ungeduld.

Thsermai gab ein Zeichen; die Tänze begannen wieder und währten einen großen Theil der Nacht hindurch fort.

IX.
Cora

Während der ersten Tage, nach dem Eintritte der Negerin in dem Hause Eusebius van der Beek, bemerkte dieser ihre Gegenwart nicht einmal. Er gab sich ganz der Sorge um seinen Handel hin, dem Glück, mit welchem Unternehmungen, die er versuchte, ihn fortwährend gelangen, wie am ersten Tage. Er berechnete mit Freude, die an Trunkenheit gränzte, die Monate während welcher er noch so fortfahren mußte, um den beträchtlichen Verlust zu ersetzen, den er erlitten hatte, und jetzt, da er mehr als jemals das Glück sich auf seine Seite wenden sah, war er noch fester entschlossen, Esther den Fehltritt zu verbergen, den er unwillkürlich begangen hatte.

 

So kehrte er bei dem Beginn des Kampfes den er gegen das Schicksal unternommen hatte. in sein Haus nur zurück, um Ruhe zu genießen und es am nächsten Morgen mit Tagesanbruch zu verlassen. Esther war mehr als je allein aber da sie ihren Gatten jetzt fast immer heiter lachen sah, fühlte sie sich nicht versucht, sich über seinen Arbeitseifer zu beklagen, obgleich sie darüber staunte,wie begierig er sich zu bereichern suchte.

Indeß war Eusebius’ Glück nicht ganz ohne Wolken. Zuweilen erkältete ein plötzlicher Gedanke sein Herz mitten unter den Regungen der Freude, welche die Einziehung seiner Gewinne ihm verursachte, und er schien ganz verwirrt zu sein. Dann fragte er sich, ob er, seitdem das Fieber des Reichthums sich seiner bemächtigt hatte, nicht aufgehört hätte, für seine Frau die ungetheilte Liebe zu hegen, die sie ihm früher einflößte; es schien ihm, als ob das Klirren der Goldstücke, welche seine Finger bewegten, etwas von dem höllischen Gelächter des Doktor Basilius an sich hätte. Er erblickte das Profil des Doctors in dem Bilde jedes einzelnen Gesichtes auf den Goldstücken.

Aber er war viel zu sehr dabei interessirt, sich zu beruhigen, um diesen Täuschungen nachzugeben; er sagte sich, daß der Durst nach dem Reichthum, dessen Esther gleich ihm genießen sollte, auch eine Art sei, ihr seine Zärtlichkeit zu beweisen, daß er die Schätze nur deshalb zu erringen wünschte, weil er sie damit überwerfen wollte, und er wies die finsteren Phathasien zurück, welche die ersten Tage, die der Verwirklichung seiner Hoffnungen folgten, vergiftet hatten.

Je weiter er kam, desto leichter wurde diese Aufgabe; er hatte nach einiger Zeit dieser Kämpfe die Ueberzeugung gewonnen, daß Esther fortwährend allein in seinem Herzen herrschte; es war ihm gelungen, die Erinnerung an den Doctor Basilius so zu verbannen, daß er an denselben nur noch dachte, wie an ein schmerzhaftes Alpdrücken, das ein dumpfes Gefühl zurückläßt, und daß er dahin gelangte, sogar die Wirklichkeit dessen zu bezweifeln, was zwischen ihnen vorgefallen war.

Indeß gelang es ihm doch nicht gänzlich, die Vorwürfe zum Schweigen zu bringen, die er sich in seinem Gewissen darüber machte, Esther oft so viel lange Stunden der Einsamkeit preiszugeben, obgleich kein Zug auf ihrem Gesichte ihren Unwillen darüber verrieth. Er versuchte aber sein Unrecht gut zu machen, indem er durch Vergnügungen ersetzte, was er ihr an Glück entzog. Um ihm angenehm zu; sein, mußte die junge Frau sich darein ergeben, ihr bisher so friedliches Hauswesen mit dem Seelenzustande ihres Mannes in Einklang zu bringen und sich in einem Wirbel von Gesellschaften und Festen, welche ihm die Erinnerung an die Vergangenheit nur um so bitterer machten, zu betäuben.

Während einer Nacht, die auf ein großes Diner folgte, bei welchem Eusebius, der allmälig die Gewohnheiten der Colonisten annahm, mit einer ihm nicht gewöhnlichen Unmäßigkeit getrunken hatte, schlief er in einem Zimmer, welches mit dem seiner Frau durch einen kleinen Gang zusammenhing; plötzlich schien es ihm in der Betäubung, in welcher er lag, als ob zwei brennende Lippen sich auf die seinigen preßten. Er fuhr aus dem Schlaf empor und streckte die Arme aus, aber er konnte nichts erfassen; indeß hörte er leichte Tritte auf der Rohrmatte, welche den Fußboden bedeckte und die Vorhänge der Thür, die zu dem Zimmer Esther’s führte, bewegten sich in ihren schweren Falten.

Eusebius stand- rasch auf und eilte nach dem Zimmer seiner Franz Esther schlief sanft und ruhig, die Wiege, in welcher das Kind lag, stand vor ihrem Bett; sie konnte also nicht bei ihrem Manne gewesen sein.

Eusebius blieb einen Augenblick nachdenkend stehen meinte dann, er sei das Spielwerk eines Traumes gewesen, und kehrte in sein Bett zurück.

Am nächsten Morgen, als er, ehe er nach der Stadt hinabging, seiner Frau Lebewohl sagte, fand er die junge Amme bei ihr und hörte, wie Esther sie sanft ausschalt. Er fragte, welchen Grund zur Klage Cora ihr gegeben hätte, und sie sagte ihm, seit einiger Zeit scheine die junge Negerin ohne scheinbare Ursache der Last irgend eines geheimen Kummers zu erliegen; sie machte ihn auf die abgemagerten Züge der Amme, auf die Niedergeschlagenheit ihres Zustandes in diesem Augenblicke aufmerksam, und fuhr dabei fort, Cora theilnahmvolle Vorwürfe über ihren Mangel an Vertrauen gegen eine Gebieterin zu machen, die ihr so schnell und so aufrichtig ihre Zuneigung geschenkt hatte.

Cora antwortete nichts; sie wiegte auf ihren Armen das ihrer Sorgfalt anvertraute Kind, und von Zeit zu Zeit küßte sie es mit einer Art fieberhafter Leidenschaftlichkeit, dabei folgte jedem ihrer Küsse ein Blick, den sie auf Eusebius richtete.

Wenn dies Benehmen Esther entging, welche der jungen Amme den Rücken zuwendete, so konnte Eusebius davon nichts verlieren; es lag in dieser Liebkosung ein so eigenthümlicher Ausdruck, die Augen Cora’s brannten, indem sie ihn ansah, mit so glühendem Feuer, daß es ihm schien, als gäbe das Herz der jungen Negerin diese Küsse nicht seinem Kind: er erinnerte sich dessen, was er während der vergangenen Nacht bemerkt hatte und lächelte.

Die Zeit war schon fern, in der Eusebius sich über jeden Gedanken empörte, welcher zum Gegenstande nicht die Frau hatte, welche Gott ihm zur Gattin gab.

Wenn die auffallende Schönheit der Negerin ihn kalt und gleichgültig ließ, so war wenigstens so viel klar, daß jenes Zartgefühl des Herzens, die das Bindemittel aller innigen und unbedingten Zuneigungen ist, bei ihm bereits abgestumpft war. Er empfand noch keine Begierde, aber er hatte schon keinen Widerwillen mehr.

Der Unterschied zwischen dem Gebieter und der Sclavin war so groß, daß er nicht daran dachte, sich durch die Zärtlichkeit beleidigt zu fühlen, die sie ihm so leidenschaftlich und so unbefangen ausgesprochen hatte. Er verachtete diese Gefahr zu sehr, um ihr die Gunst zu erweisen, sie zu fürchten und besonders, um Esther anzuvertrauen, was er entdeckt zu haben glaubte.Es fing bei Eusebius van der Beek Alles an, Berechnung zu werden. Wie es die Gewohnheit der Menschen ist, die sich dem Positiven der Geschäfte ganz hingeben, berechnete er den Werth der gleichgültigsten Handlungen des Lebens.

Wie wir soeben zeigten, hatte Esther eine eigenthümliche Zuneigung für das Mädchen gefaßt, welchem die Sorge für ihr Kind anvertraut war; sie brachte mit ihr die langen einsamen Stunden hin, welche die Geschäfte ihres Mannes ihr ließen. Dies war doppelt nützlich für Eusebius, welcher sich wohl hüten mußte, das gute Einverständniß zu zerstören, welches zwischen der Gebieterin und der Sclavin herrschte und das seinen Interessen diente.

Wäre es ihm möglich gewesen, die Stelle Cora’s bei Esther durch eine Andere ersetzen zulassen? Hätte seine Frau, der Zerstreuung beraubt, welche sie in der Gesellschaft des jungen Mädchens fand, vielleicht von ihrem Manne verlangt, sein Comptoir zu verlassen, um bei ihr zu bleiben?

Diese Betrachtungen flogen wie eine Wolke durch Eusebius Gehirn und das Lächeln, welches wir seine Lippen umspielen sahen, war die ganze Aufmerksamkeit, die er einem Benehmen schenkte, welches ihn erschreckt haben würde, hätte er die Erinnerung zu seinem Beistande ausrufen wollen.

An dem folgenden Tage war Eusebius, was er auch thun mochte, mit der jungen Amme beschäftigt. Ging er durch die Gänge der Gärten oder durch die Zimmer seines Hauses, so fand er sie beständig auf seinem Wege. Es schien, als vervielfältige sie sich, um sich überall zu befinden, wo Eusebius war; bald bemerkte er sie durch die Gebüsche des Gartens irrend, den Kopf auf die Brust herabgesunken, den Sammet ihrer schönen Augen geröthet durch Thränen; bald aber sah er sie wieder durch die Stäbe einer Jalousie auf einem Steine sitzen, den brennenden Strahlen der Sonne der Fenster gerade gegenüber ausgesetzt, schauend ohne zu sehen, horchend ohne zu hören, mit Leib und Seele versetzt in die ideale Welt ihrer Träumereien.

Wenn er ein Zimmer betrat, um eine der Berechnungen anzustellen, die ihn Tag und Nacht beschäftigten, und in welchen er sich allein glaubte, hörte er plötzlich hinter sich einen sanften monotonen Gesang in einer ihm unbekannten Sprache. Er wendete sich um und in einer Ecke bemerkte er die schwarze Gestalt, welche, in ihre schöne Kleider von weißem Wollenzeug gehüllt, den Säugling mit einem Liedchen ihres Landes einschläferte.

Ein anderes Mal, wenn er durch einen Gang ging, hörte er flüchtige Schritte, die den Fußboden kaum zu berühren schienen, sich entgegenkommen; es war Cora, die, wenn er an ihr vorüberging, sich gegen die Mauer drückte und deren heißen Athem er dennoch sein Gesicht berühren fühlte.

Bedurfte er irgend Etwas, verlangte er irgend einen Dienst, so war es stets die Amme, welche erschien, um denselben zu leisten, und wenn sie auch stumm blieb, so sprachen doch jederzeit ihre Blicke zu seinem Herzen und richteten an Eusebius in eben dieser Sprache Bitten der Liebe.

Ehedem würde eine solche Zudringlichkeit Eusebius wenigstens ungeduldig gemacht haben, allein seitdem seine Seele die edle Strenge verloren hatte, welche eine heilige Leidenschaft verleiht, wurde durch ein solches Benehmen nur noch seine Eigenliebe gekitzelt und bei den Regungen des Mitleides, die in ihm entstanden, wirkte die befriedigte Eitelkeit weit mehr mit, als Theilnahme, wenn er den Zustand bemerkte, in welchen die Liebe seine Sclavin versetzt hatte.

Eines Abends arbeitete Eusebius noch spät. An einem kleinen Tische in dem Zimmer seiner Frau, berechnete er seinen Gewinn, wie er dies täglich zu thun pflegte, als ob diese Beschäftigung für ihn die süßeste Zerstreuung gewesen wäre, die er nach einem Tage der Anstrengung hätte finden können.«

Esther wiegte ihr Kind auf ihren Knieen, und versuchte, ihm sein erstes Lächeln zu entlocken; neben ihr saß Cora auf einer Matte, hinter ihr standen in verschiedenen Gruppen die andern Frauen Esthers.

Plötzlich, als Eusebius die Augen zu seiner Frau erhob, sah er in ihren Fingern einen goldenen Schein blitzen, wie der des Goldes. Es war ein Stein mit metallischem Wiederschein, den die Negerin ihrer Gebieterin geschenkt hatte, und dem diese in den Strahlen des Lichtes spielen ließ, um die Augen des Kindes daran hinzulenken.

Eusebius entriß diesen Stein den Händen Esther’s mit einer so heftigen Bewegung, daß er sie erschreckte, und ohne ein Wort an sie zurichten, besichtigte er neugierig den Stein.

»Wo hast Du das her?« sagte er endlich mit einer Stimme, die vor Aufregung zitterte.

»Cora hat ihn mir gegeben,« erwiederte die junge Frau. »Aber was ergreift Dich denn bei diesem Stückchen Kiesel so lebhaft, mein Freund?«

Eusebius gab den Dienerinnen Esther’s ein Zeichen, sich zu entfernen, und der Amme ein zweites, zu bleiben.

»Cora,« sagte er zu dieser, »hast Du zuweilen gewünscht, die Freiheit zu erlangen?«

»Ja,« erwiederte sie, »ehe das Kind, an dessen Stelle das Eurige getreten ist, todt war, träumte ich, als die schönste Erbschaft, die eine Mutter ihrem Sohne hinterlassen kann, die Freiheit; jetzt möchte ich sie nicht mehr.«

»Arme Cora!« sagte Esther, welche in den Worten der Negerin den Ausdruck einer Anhänglichkeit sah, durch welche dieselbe die Zuneigung erwiederte, die ihre Gebieterin ihr bewies. Für Eusebius hatte der Ton, mit welchem Cora ihre Worte sprach, eine zu große Uebereinstimmung mit den Blicken, die er oft bei ihr überraschte, als daß er sich aber das Gefühl, durch welches sie eingegeben worden waren, hätte täuschen können.

»Cora,« sagte er, »es ist keine arme und von Sorgen bedrückte Freiheit, die ich Dir zu bieten hätte, wenn die Hoffnungen, die ich bei Betrachtung dieses Kiesels hege, sich verwirklichen sollten. Es ist der Reichthum, das heißt, der Besitz Alles dessen, was Dein Herz hienieden wünschen kann, Alles dessen, was Dein Glück auf dieser Erde zu begründen vermag.«

»Nein,« sagte Cora, indem sie den Kopf schüttelte, »die arme Cora hat in dieser Welt nichts zu hoffen. Gott selbst könnte ihr nicht geben, was ihr Herz haben möchte.«

»Siehst Du nicht, daß das arme Mädchen fortwährend ihr Kind betrauert?« sagte Esther mit leiser Stimme, indem sie sich zum Ohre ihres Mannes neigte; »erwecke doch nicht so schmerzhafte Erinnerungen bei ihr.«

»Es mag sein,« sagte Eusebius, der unwillkürlich erröthete. »Aber Cora ist jung und der Kummer, der ihr das Herz bedrückt, kann verschwinden.«

 

Obgleich Eusebius diese Antwort mit leiser Stimme gegeben hatte, war sie Cora dennoch nicht entgangen und diese sagte:

»Nein, Cora wird aufgehört haben zu leben, bevor ihr Kummer verschwunden ist.«

»Aber Du hast doch vielleicht in dieser Welt irgend eine Neigung?« erwiederte Eusebius, der, ganz seinen eigenen Gedanken hingegeben, nicht sah, daß er eine schändliche Handlung beging, indem er die Theilnahme, welche seine Frau der Negerin bewies, dadurch mißbrauchte, daß er die Leidenschaft derselben ausbeutete.

»Ach ja wohl!« sagte Cora mit innigem Gefühl.

»Wärest Du nicht z. B. froh, wenn Du zu dem Glücke der Gebieter beitragen könntest, die Dich mehr wie ihr Kind, als wie eine Sclavin behandeln?«

»Was soll ich thun, um ihnen nützlich zu sein? Sprecht! Verlangt Ihr mein Blut?

»Gute Cora!« sagte Esther.

»Es ist weniger erforderlich,« sagte Eusebius. »Trachte nur, Deine Erinnerungen wachzurufen. Wo hast Du diesen Stein gefunden? Weißt Du es?«

»Ich erinnere mich darauf, als ob es erst gestern gewesen wäre, daß er in meine Hände fiel, und gleichwohl ist es schon lange her.«

»Sprich, Cora; wir hören.«

»Mein erster Herr war ein weißer Mann, der meine Mutter gekauft hatte, als ich noch nicht größer war, wie das weiße Kind, dem ich jetzt meine Milch gebe. Wir wohnten in der Provinz Preangers, am Fuße des Berges Golung-Gung. In einer Nacht – ich hatte damals zehn Regenzeiten aus zehn heiße folgen sehen – wurden wir durch das Geschrei aller Bewohner des Hauses, so wie durch dumpfes und schallendes Getöse erweckt. Meine Mutter stand hastig auf und Verließ das Haus, indem sie mich auf ihre Arme nahm. Die Erde zitterte unter ihren Füßen und hinter uns stürzten die Mauern des Hauses zusammen; draußen wartete unser ein fürchterliches Schauspiel. Der Berg war mit dickem Rauche bedeckt, der von Zeit zu Zeit von hohen Flammensäulen durchzuckt wurde, welche bis zu den Wolken emporstiegen; die Atmosphäre war von einem heißen stinkenden Dunst erfüllt, dessen Einathmung beinahe unmöglich fiel; man hörte Ströme siedenden Wassers in gewaltigen Massen von Fels zu Fels niederdonnern; der dunkle Schein, den die Flammen des Berges verbreitetem zeigte uns die Bäume, die Häuser, die Hügel, fortgerissen oder niedergebrannt durch diesen Gluthstrom. Die Dampfwirbel, die er hinter sich ließ, bezeichneten seinen Lauf. Kaum war noch eine Stunde Weges erforderlich, so erreichte er den Ort, an dem wir uns befanden. Alle entflohen, die Weiber trugen auf ihren Armen ihre kleinsten Kinder, wie meine Mutter mich trug; die Männer beluden sich mit ihren werthvollsten Gegenständen und trieben ihr Vieh vor sich her. – Das entsetzliche Tosen des Wassers, das uns verfolgte, kam immer näher und näher; Alle beschleunigten ihren Lauf; die Last, welche meine Mutter trug, drückte sie nieder und rieb ihre Kräfte auf; bald kamen uns Die voraus, mit denen wir das Haus zugleich verlassen hatten; bald wurden auch die Schritte meiner Mutter schwerfälliger und ihre Beine brachen unter ihr zusammen. In diesem Augenblicke sprengte ein Mann zu Pferde im Galopp an uns vorüber. Es war unser Gebieter. »Wirf Dein Kind fort! sagte er zu meiner Mutter; »es ist das einzige Mittel, Dein Leben zu retten.« – Meine Mutter antwortete nur dadurch, daß sie mich dichter au ihren Busen schloß. Der Herr war wüthend über einen Ungehorsam, der ihn zwei Sclavinnen statt einer kosten konnte; er brach deshalb in Verwünschungen und Drohungen aus und wollte meine Mutter mit einer Waffe schlagen, die er in der Hand hielt. Diese neue Gefahr gab ihr ihre Kräfte zurück und sie entfloh vor ihrem Gebieter, wie sie soeben vor der glühenden Lava entflohen war, mit welchem der Berg Golung-Gung die Ebene bedeckte; sie hatte mich auf ihren Rücken gesetzt, um in ihren Bewegungen freier zu sein. Schon fühlte ich an meinen Schultern den glühenden Athem von dem Pferde unseres Herrn, als meine Mutter einen Fels, neben dem wir Vorüber kamen, mit einer Schnelligkeit und Kraft erkletterte, die bei der Erschöpfung ihrer Kräfte unmöglich schienen. Auf den Schrei der Wuth, den unser Herr ausstieß, als er sah, daß sie ihm entrann, folgte ein zweiter voll Entsetzen und Todesqual: Indem er sein Pferd umwendete, bemerkte er, daß der Feuerstrom ihn an Schnelligkeit übertroffen hatte; er ließ sein Pferd einen gewaltigen Satz machen, um eine kleine Schlucht zu überspringen, in welche der Strom sich zu ergießen angefangen hatte, aber betäubt durch die Schwefeldünste, die der Lava entströmten, erreichte das Thier das entgegengesetzte Ufer nicht und Beide stürzten hinab in die Lava, die sich über ihrer Beute schloß. Der Fels, auf welchen meine Mutter sich geflüchtet hatte, lag an dem Abhange des Berges Taikoekoie, der den Golung-Gung berührt; hätte sie den Berg ersteigen können, so würden wir Beide gerettet gewesen sein, aber hinter uns erhob sich eine senkrechte Felswand, und jetzt, wo das siedende Wasser des Vulkans zu unseren Füßen tobte, durften wir nicht mehr daran denken, die Höhen auf einem andern Wege zu erreichen. Meine Mutter blieb regungslos auf dem Felsblocke stehen, indem sie vielleicht hoffte, daß der heiße Strom die Höhe nicht erreichen würde; auf welcher wir uns befanden. Die Dünste, die demselben entströmten, drohten uns zu ersticken, aber zum Glück rieselte an dem Orte, an welchem wir uns befanden, ein Bach von dem Berge herunter und sie ließ mich von dem Wasser desselben trinken; indem er in Absätzen von der Höhe herabfiel, hatte er eine Art von kleinem Becken in dem Fels gehölt, und sie tauchte mich in dieses frische klare Wasser. Gleichwohl erkannte sie mit Entsetzen, daß die Gefahr von Augenblick zu Augenblick wuchs; der glühende Strom kam immer näher und näher; bald war er nur noch wenige Schritte von uns entfernt und schlug schon an den Fuß des Felsens, auf den wir uns geflüchtet hatten. Meine Mutter nahm mich wieder in ihre Arme, schloß mich fest an sich und versuchte mich zu beruhigen, und dies gelang ihr so gut, daß ich einschlief, als ob ich in unserer Hütte gewesen wäre. Als ich erwachte, stand die Sonne hoch am Horizonte. Meine Mutter, die sich gegen den Felsen stützte, hielt mich noch immer in ihren Armen und schien ebenfalls zu schlafen; ich machte mich leise aus ihrer Umarmung los, um sie nicht zu erwecken, und glitt auf die Fläche unseres Felsens nieder; er war noch glühend heiß, aber die Lava hatte sich zurückgezogen; man sah sie nur noch in der Schlucht, in welcher unser Gebieter seinen Tod gefunden hatte. Erst jetzt bemerkte ich, daß die Füße und die Beine meiner armen Mutter entsetzlich Verbrannt waren. Ich rief sie, doch sie antwortete mir nicht; ich schüttelte sie; sie machte keine Bewegung. Ich fürchtete mich eben so sehr vor ihrem Schweigen, wie vor der Einsamkeit, in der ich mich befand, und fing an zu weinen. Aber bei dem Alter, welches ich damals hatte, ist der Kummer nicht von langer Dauer; Kiesel, diesem hier ähnlich, die ich in dem Becken bemerkte, in welches meine Mutter mich während der vorhergehenden Nacht getaucht hatte, zogen meine Aufmerksamkeit auf sich; das Wasser, welches von dem Fels herabstürzte, hatte sie neu dein schwarzen Koth gesäubert, mit dem sie ohne Zweifel, wie die ganze übrige Felsfläche, bedeckt gewesen waren, und die Steine glänzten in den Strahlen der Sonne, die sie zurückwarfen; ich spielte damit, als Leute, welche die Opfer der Katastrophe aufsuchten, uns fanden. Sie trugen meine Mutter fort und nahmen mich mit sich, doch nicht, ohne daß ich unter meinen Kleidern den schönsten der Steine Verborgen hatte, die mir so unterhaltend erschienen waren. Ich bewahrte ihn einige Zeit als ein Spielwerk; dann erkannte ich, daß meine Mutter gestorben sei, indem sie mich gegen jede Berührung des heißen Stromes schützte und daß sie sich also opferte, um mein Leben zu erhalten; so wurde dieser Kiesel mit dem glänzenden Schein ein Erinnerungszeichen an meine Mutter.«