Kostenlos

Das Brautkleid

Text
0
Kritiken
iOSAndroidWindows Phone
Wohin soll der Link zur App geschickt werden?
Schließen Sie dieses Fenster erst, wenn Sie den Code auf Ihrem Mobilgerät eingegeben haben
Erneut versuchenLink gesendet

Auf Wunsch des Urheberrechtsinhabers steht dieses Buch nicht als Datei zum Download zur Verfügung.

Sie können es jedoch in unseren mobilen Anwendungen (auch ohne Verbindung zum Internet) und online auf der LitRes-Website lesen.

Als gelesen kennzeichnen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

II.
Die Barriere Saint-Denis

Am 2. September 1796 zeigte sich eine kleine, mit Leinwand überspannte Carriole mit einer Seitenöffnung, mit Stroh belegt und durch einen Bauern geführt, welcher auf der Deichsel saß, um sechs und ein halb Uhr Morgens an der Barriere Saint-Denis; sie folgte einem Dutzend anderer Karren, welche alle das dringende Verlangen zeigten, die Hauptstadt zu verlassen, was zu jener Zeit eine nicht sehr leichte Sache war.

Jedes Fuhrwerk, welches sich zeigte, wurde einer strengen Durchsuchung unterworfen.Außer den Douaniers, deren Geschäft es war, die eingehenden Fuhrwerke einfach zu besichtigen, waren vier Municipalofficianten an der Barriere stationiert, um die Pässe zu visiren. Und ein Posten freiwilliger Nationalgardisten hielt sich bereit, sie zu unterstützen, wenn es die Umstände notwendig machen sollten.

Jeder Reisewagen, welcher dem kleinen Fuhrwerke vorfuhr, wurde angehalten, und bis in die geheimsten Fächer durchwühlt. Keiner derselben zeigte einen verdächtigen Inhalt; denn alle passierten ohne Anstand hinaus; so erreichte das kleine Fuhrwerk das Gitterthor und hielt vor dem Wachposten an. Der Bauer hob nun, ohne irgend eine Frage abzuwarten, die Leinwand, welche seinen Wagen schloß, in die Höhe, und reichte seinen Paß dar.

Dieser Paß, welcher von der Maire zu Abbeville ausgestellt war, ersuchte die Behörden, den Pächter Pierre Durand, seine Frau, Catharina Payot, und seine Mutter, Gervasia Arnould, welche alle Drei sich nach Paris begaben, ungehindert passieren zu lassen. Auf der andern Seite autorisiert die Municipalität von Paris die genannten Personen, nach dem Dorfe Nonbion, ihrem gewöhnlichen Aufenthaltsorte, zurück zu kehren.

Der Municipalofficiant streckte seinen Hals in den Wagen hinein; er umschloss eine Frau von fünf und vierzig bis fünfzig Jahren, eine andere von fünf und zwanzig bis acht und zwanzig Jahren, und ein kleines vierjähriges Mädchen. Alle Drei waren in Normannische Bauerntracht gekleidet, und sie trugen, das Kind ausgenommen, die großen Hauben der Frauen aus dem Pays de Cux.

»Wer heißt Gervasia Arnould?«fragte der Municipalofficiant.

»Ich, mein Herr,« entgegnete die ältere der beiden Frauen.

»Wer heißt Katharina Payot?« fuhr der Fragende fort.

»Ich, Bürger,« antwortete die Jüngere.

»Warum steht dies kleine Mädchen nicht auf dem Passe?«

»Potztausend, mein Herr,« sagte der Bauer, indem er auf die an die beiden Frauen gerichtete Fragen antwortete. »Das ist ein großer Fehler von uns; meine Frau sagte wohl zu mir: Peter, wir müssen sie auch auf dem Papiere einzeichnen lassen; aber ich erwiderte ihr, lass das gehen, Katharina, bei einem Kinde, wie dieses ist, lohnt es sich nicht der Mühe.«

»Ist es Dem Kind?«fragte der Municipalofficiant.

Das Kind öffnete den Mund um zu antworten; aber seine Mutter legte ihm die Hand auf die Lippen.

»Zum Henker!« sagte der Bauer, »wem glauben Sie denn, daß es gehöre?«

»Es ist gut,« sagte der Officiant; »aber wie die Bürgerin gesagt hat, ist es von Wichtigkeit, daß des Kindes in dem Passe erwähnt wird; und dann,« fuhr er fort, »ist es ohne Zweifel ein Irrtum, wenn es darin heißt, daß Deine Mutter fünfundsechzig und Deine Frau fünfunddreißig Jahre alt sei, während doch keine von den beiden Bürgerinnen das Alter zu haben scheint, welches in dem Passe angegeben ist.«

»Ich habe dennoch wohl sechzig Jahre, mein Herr,« sagte die ältere der beiden Frauen.

»Und ich fünfunddreißig,« sagte die Jüngere.

»Und ich, mein Herr,« sagte das kleine Mädchen, »ich zähle vier Jahre, und kann gut lesen und schreiben.«

Die beiden Frauen schauderten zusammen und der Bauer fuhr fort.

»Das glaube ich, daß Du lesen und schreiben kannst, das hat mich, auch genug gekostet.

Sechs Franken monatlich in der Schule von Abbeville; dafür danke ich! Wenn Du für dieses Geld nicht lesen gelernt hättest, so würde ich mit Deiner Lehrerin einen Prozess angefangen haben; denn ich bin nicht umsonst Norman.«

»Genug,« sagte der Municipalofficiant; »Ihr steigt ab, und tretet so lange in mein Kabinett, bis man Euer Fuhrwerk visitiert und sich überzeugt hat, daß sonst Niemand darin ist, als Ihr.«

»Aber, mein Herr,« erwiderte die ältere der beiden Bäuerinnen.

»Meine Mutter,« sagte die jüngere, indem sie sie am Arme fasste.

»Vorwärts, vorwärts,« rief der Bauer; »thut doch, was der Bürger will, und wenn er sieht, daß wir keine Aristokraten in unserm Stroh verborgen haben, dann lässt er uns passieren. Nicht wahr, mein Herr.«

Die beiden Frauen gehorchten und gingen in die Wachstube, so wie die ältere den Fuß in dieselbe setzte, brachte sie ihr Taschentuch an die Nase. Glücklicher Weise wurde diese Bewegung von Niemand als ihrer Begleiterin bemerkt, welche ihr zwei oder drei Zeichen gab, daß sie die Äußerungen von Ekel nicht bemerken lassen solle, welche für eine Bäuerin nicht passen. Der Bauer blieb bei seinem Wagen.

Der Municipalofficiant öffnete die Türe seines Kabinetts, die beiden Frauen und das Kind traten ein, und dann schloss er die Türe hinter denselben.

Es trat ein augenblickliches Schweigen ein, und während desselben betrachtete der Officiant die beiden Frauen mit der größten Aufmerksamkeit; Beide wussten nicht, was sie von dieser stummen Befragung halten sollten, da brachte er plötzlich der älteren einen Armsessel, zeigte der Jüngern mit der Hand einen Stuhl und sagte: »Geben Sie sich die Mühe, sich niederzulassen, Frau Marquise! Nehmen Sie doch Platz, Frau Baronin! sagte er zu der jüngeren.

Die beiden Frauen wurden blass wie der Tod, und fielen mehr auf die ihnen dargebotenen Sitze, als sie sich niedersetzten.

»Aber, mein Herr, Sie täuschen sich,« sagte die ältere der beiden Frauen.

»Bürger, ich versichere Dich, daß Du im Irrtum bist,« rief die jüngere.

»Verstellen Sie sich vor mir nicht, meine Damen; übrigens haben' Sie nichts zu fürchten.«

»Aber wer sind Sie und woher kennen Sie uns?«»Ich bin der Exintendant der Frau Herzogin von Lorges, vormaligen Ehrendame der Frau Gräfin von Artois, welche Paris mit dem Prinzen verlassen hat, und mich hier zurückließ, um von ihrem Vermögen zu retten, was ich retten kann.

Ich habe Sie zwanzigmal bei meiner Gebieterin gesehen, und auf den ersten Blick wieder erkannt.«

»Unser Leben ist in Ihren Händen, mein Herr,« sagte diejenige der beiden Damen, welche der Officiant mit dem Titel Baroness bezeichnet hatte; »denn wir wollen nicht länger in Abrede stellen, daß wir die Personen sind, welche Sie bei der Frau Herzogin von Lorges gesehen haben, die eine unserer besten Freundinnen war. Aber Sie haben Mitleiden mit uns, nicht wahr?«

»Sie können ruhig sein, meine Damen,« antwortete der Exintendant, »und ich werde Alles, was in einer Macht steht, dazu beitragen, um Ihnen zu Ihrer Flucht behilflich zu sein.«

»O, mein Herr,« rief die Marquise, »glauben Sie, daß wir Ihnen ewig dankbar sein werden, und wenn wir Ihnen, durch unsere Empfehlungen zu irgend etwas. . . .«

»Ach, meine Mutter,« sagte die Baroness, »wozu sollen jetzt unsere Empfehlungen dem Herrn dienen höchstens um ihn bloß zu stellen. Weit entfernt, daß wir etwas für Andere tun können, bedürfen wir des Schutzes Anderer!«

»Ach, ja, Du hast Recht, meine Tochter,« antwortete die Marquise. »Ich vergesse immer wer wir sind, und was aus unserem armen Lande geworden ist.«

»Stille, meine Mutter,« sagte die junge Frau, »sprechen Sie doch um des Himmels willen solche Worte nicht.«

»O, Sie haben nichts zu fürchten, meine Damen,« sagte der Officiant, »das heißt, so lange Sie dergleichen Sachen bloß vor mir sprechen. . . . Aber wenn ich Ihnen einen Rat geben darf, Frau Marquise, so ist es der, daß Sie so wenig als möglich sprechen,« fügte er lachend bei; »denn Sie haben einen aristokratischen Akzent, und der ist in gegenwärtiger Zeit ungangbar; und wenn Sie sprechen, so rate ich Ihnen ferner, das Du zu gebrauchen und die Leute Bürger anzureden.«

»Niemals, mein Herr, niemals,« schrie die Marquise.

»Wegen mir, meine Mutter, wegen meines armen Kindes!« sagte die Baroness, »es hat ja seinen Vater schon verloren. Was sollte aus ihm werden, wenn es auch uns beide verlieren würde?«

»Nun, es sei!« sagte die Marquise; »ich verspreche Ihnen, meine Tochter, zu tun, was möglich ist.«

»Und nun, meine Damen, wollen Sie Ihre Reise mit diesem Pass fortsetzen?«

»Was raten Sie, mein Herr?«fragte die Baroness.

»Statt Ihnen zu nützen, wird er Ihnen vielmehr höchst nachteilig werden können. Keine von Ihnen scheint das Alter zu haben, welche derselbe enthält, und wie ich Ihnen gesagt habe, Ihre Fräulein Tochter ist darin nicht aufgeführt.«

»Was sollen wir denn aber beginnen; wir haben keinen andern.«

»Aber wenn ich Ihnen einen verschaffen könnte!«

»O mein Herr,« rief die Baroness,« wenn Sie das für uns tun wollten!«

»Ohne Zweifel; allein Sie werden gezwungen sein, hier eine halbe Stunde, oder vielleicht noch länger zu warten.«

»O, so lange Sie wollen,« sagte die Baroness; »denn ich fühle, daß wir in Ihrer Nähe in Sicherheit sind.«

Der Municipalofficiant ging hinaus und kam nach einem Augenblicke wieder, indem er den Pass voll von Kot und halb zerrissen zurückbrachte.

»Bürger Greffier,« sagte er, indem er einem jungen Menschen rief, der gleich ihm eine dreifarbige Schärpe um hatte. »Habe die Gefälligkeit, für mich auf die Maire zu gehen, und einen Pass ausfertigen zu lassen. Du wirst diesen da zeigen und sagen, daß ich ihn unter das Rad eines Wagens habe fallen lassen. Füge hinzu, daß die Personen in meinem Kabinette sind, und daß ich das Signalement selbst hinein schreiben werde.«Der junge Mann nahm den Pass aus den Händen des Municipalbeamten und ging fort, ohne die geringste Bemerkung zu machen.

»Und nun, mein Herr,« sagte die Baroness, »dürfen wir wohl wissen, wie Sie sich nennen, damit wir Ihren Namen im Gedächtnisse behalten, für unseren Erretter zu Gott beten können.«

 

»Ach, Madame,« entgegnete der Officiant, »ich habe zum Glücke für Sie und für mich einen ziemlich unbekannten und selten genannten Namen. Ich war, wie ich Ihnen sagte, Intendant der Frau Herzogin von Lorges, die mich mit einer englischen Erzieherin verheiratet hat, welche sie zur Vollendung der Bildung ihrer Tochter hatte kommen lassen. Meine Frau hat sie, nebst meinem sechsjährigen Sohne bei der Auswanderung begleitet. Gegenwärtig sind sie in England, zu London, und wie ich vermute, begeben auch Sie sich nach London.«

»Ja, mein Herr,« antwortete die Baroness.

»Ich kann Ihnen die Adresse der Herzogin geben, welche sie übrigens immer bei Ihrer kgl. Hoheit der Frau Gräfin von Artois finden werden.«

»Und sie wohnt?«fragte die Baroness.

»Regents-Street No. 14.«

»Ich danke Ihnen, mein Herr; ich werde es nicht vergessen, und wenn Sie einige Aufträge an Ihre Frau haben. . .«

»Sie werden Ihr sagen, daß ich das Glück gehabt habe, Ihnen einen kleinen Dienst erweisen zu können, daß bis jetzt mein Patriotismus mich vor jeder misslichen Geschichte bewahrt hat, daß ich mich aber, da ich mich nicht für ganz sicher halte, zu ihr begeben werde, sobald es mir möglich geworden ist, unser kleines Vermögen zu retten.«

»O, mein Herr, seien Sie versichert, daß ich auch nicht ein einziges Wort von dem vergessen werde, was Sie mir gesagt haben. Bei allem dem aber haben Sie mir Ihren Namen nicht genannt.«

»Sie werden ihn auf dem Visa finden, welches ich unten an Ihren Paß setzen werde, und ich hoffe, daß er Sie da noch schützen wird, wenn ich nicht mehr da sein werde, um Sie in Schutz zu nehmen.«

In diesem Augenblicke kam der Greffier zurück und brachte den neuen Paß; er hatte den andern auf der Maire hinterlegen müssen.

»Setzen Sie sich, und schreiben Sie!« sagte der Municipalofficiant zu dem jungen Menschen.

Dieser gehorchte und füllte die gebräuchlichen Formulare aus; als er an den Namen der Personen gekommen war, erhob er den Kopf, damit man sie ihm diktiere.

»Wie heißt Dein Mann, Bürgerin?«fragte der Officiant.

»Er heißt Peter Durand und ist sechs und dreißig Jahre alt.«

»Gut, und Deine Mutter?«

»Gervasia Arnould und sie ist fünf und vierzig Jahre alt.«

»Und Du?«

»Catharina Peyot, fünf und zwanzig Jahre.«

»Und Dein Kind?«

»Cäcilie.«

»Wie alt?«

»Vier Jahre.«

»Gut,« sagte der Officiant, »nun wie viel hast Du ausgelegt, Joseph?«

»Vierzig Sou,« erwiderte der Greffier.

Die Marquise zog einen Doppellouisd'or aus ihrer Tasche.

»Meine Mutter, meine Mutter,« flüsterte die Baroness ihr zu, indem sie sie bei der Hand fasste; dann zahlte sie, indem sie nach und nach ein Dreißigsoustück und zehn Soustücke aus der Tasche hervorbrachte, gab diese dem Greffier, welcher grüßte und wegging.

Inzwischen setzte der Officiant sein Visa auf den Paß und als dieses geschehen war, reichte er das kostbare Papier der Baronesse dar, indem er sagte:

»Nun,. Madame, können Sie Ihre Reise fortsetzen, und ich hoffe, daß sie ohne widrigen Zufall vollendet werden wird.«

»Mein Herr,« entgegnete die Baroness, »der Dienst, den Sie uns erzeigt haben, läßt sich nicht anders als mit einer ewigen Dankbarkeit erwidern, und er wird aus meiner Mutter, und meinem Herzen, in das meines Mädchens übergehen, wenn diese einmal begreifen wird, was Dankbarkeit ist.«

Die Marquise machte dem Municipalofficianten eine würdevolle Verneigung, und die kleine Cäcilie warf ihm einen Kuß zu.

Dann stiegen alle drei wieder in die Carriole. Peter Durand nahm seinen Platz auf der Deichsel wieder ein, und nachdem er sich überzeugt hatte, daß die beiden Frauen und das Kind auf dem Wagen gut sitzen, gab er dem Pferde einen Hieb mit der Peitsche, welches sich dann in einen kurzen Trab versetzte.

»Apropos, meine Tochter/ sagte nach einer Weile die Marquisin. »Wie nennt sich dieser brave Mann?«

»Ludwig Duval,« sagte die Baroness, deren erste Sorge es gewesen war, den Namen ihres Retters unten auf dem Passe aufzusuchen.

»Ludwig,« entgegnete die Marquise,« es scheint doch, daß diese Leute vom Volke nicht alle Jakobiner und Mörder sind,«

Bei diesen Worten rollten zwei große Tränen über die Wangen der Baroness herab.

Die kleine Cäcilie trocknete sie mit zwei Küssen ab.

III.
Man hat gesehen, daß Königinnen weinten, wie die einfachsten Frauen

Nun einige Worte über diese beiden Frauen und über dieses Kind, welche, Dank dem würdigen Officianten, wie wir gesehen haben, einer sehr großen Gefahr entgingen.

Die ältere dieser beiden Damen nannte sich die Marquise de la Roche-Bertaud, sie war eine geborene de Chemille, und also sowohl von Geburt, als nach ihrer Vermählung, eine der großen Damen des Königreichs.

Die jüngere, ihre Tochter, war die Baroness von Marsilly.

Das Kind, wie wir schon gesagt haben, die Enkelin der ersteren, hieß Cäcilie; sie ist die Heldin dieser Geschichte.

Ihr Vater, Baron Marsilly, mit der jüngeren der beiden Damen verheiratet, war acht Jahre lang Offizier in der Garde gewesen.

Die Baroness Marsilly war seit fünf Jahren Palastdame der Königin.

Alle Beide waren ihrem Fürsten getreu geblieben; Baron Marsilly hätte in den Jahren 91 und 92 sehr wohl in das Ausland flüchten können, wie es viele seiner Kameraden getan hatten, allein er hatte es für Pflicht gehalten, bei dem Könige zu bleiben, und, wenn er für ihn sterben sollte, in seiner Nähe zu sterben. Die Baroness war, ohne irgend eine Betrachtung anzustellen, bei ihrem Manne geblieben, den sie anbetete, und bei der Königin, die sie verehrte.

Als der König und die Königin versucht hatten, zu entfliehen, hatten sie den Baron Marsilly und seine Gemahlin ihrer Dienste entlassen, und beide hatten sich in ihr Hotel in der Rue de Verneuil No. 6 zurückgezogen. Hier bereiteten sie sich vor, Frankreich gleichfalls zu verlassen und sich mit ihren Souveräns wieder zu vereinigen, als sie erfuhren, daß Ihre Majestäten in Varennes angehalten worden seien und nach Paris zurückgebracht würden. Sie gingen nun, um ihre Stellen sogleich wieder in den Tuilerien einzunehmen, und die beiden ersten Personen, welche der König und die Königin, beim Aussteigen aus dem Wagen bereit fanden, ihnen ihre Huldigungen darzubringen, waren der Baron und' die Baroness Marsilly.

Es ist wohl zu bemerken, daß zu jener Epoche dir Verhältnisse sich schon so ernst gestaltet hatten, daß dieses Zeichen von Ergebenheit nicht unbemerkt vorüber ging. Der zwanzigste Juni bereitete den zehnten August, und der zehnte August den ein und zwanzigsten Jänner vor.

Paris bot einen eigenen Anblick dar; es schien, daß die Vorübergehenden nicht mehr zu ihren Geschäften sich begaben, sondern dahin, wohin die Leidenschaften sie riefen. Statt dieser gutmütigen Physiognomie, welche sich mit Possen beschäftigte, die den Charakter der Gaffer von Paris bildet, sah man nichts als Leute, welche damit beschäftigt schienen, sich dem Hasse hinzugeben, oder eine Rache zu verfolgen. Jeden Tag hörte man von irgend einem neuen Morde sprechen; bald war es ein unglücklicher Prokurator, den man unter dem Vorwand in der Rue de Roeuille totschlug, daß er ein Emissaire Laffayette's sei; bald war es ein alter Garde du Corps, welchen man in das Bassin der Tuilerien tauchte und ihm den Kopf unter das Wasser im Angesicht von hundert Spaziergängern hielt, welche diesem schrecklichen Schauspiele mit einem einfältigen Lachen zusahen; eines Tages war es ein widerspenstiger Priester, den man an die Laterne unter dem Hohngelächter des Volkes knüpfte; an einem andern Tage war es Duval d'Epramesnil, welchen man auf der Terrasse des Feuillants aufknüpfte, und alle diese Morde, diese Metzeleien wurden mit dem pompösen, und feierlichen Namen der Volksjustiz beschönigt. Wenn dergleichen Gerüchte mit dieser sonderbaren Entschuldigung in die Tuilerien gelangten, sah man sich bestürzt an und fragte sich, was denn diese neue Justiz sei, welche ungestraft an die Stelle der Justiz des Königs trete.

Das Alles kündigte irgend eine große Katastrophe an, als eines Tags, wie wenn sich des Himmels Vorhersagungen mit den Drohungen der Menschen vereinigen wollten, eines jener unheilvollen Gewitter losbrach, welche eine gewisse Harmonie zwischen der Ober- und der Unter-Welt ankündigen.

Es war der dritte August 1792; der ganze Tag war drückend schwül gewesen, eine gewisse Mattigkeit, ein unbestimmter Schrecken, eine düstere Entmutigung schien auf der Bevölkerung zu lasten; die beunruhigten Nachbarn hatten sich unter ihren Türen vereinigt, oder plauderten mit einander aus den Fenstern, zeigten sich erstaunt die schweren kupferfarbenen Wolken, 'welche reißend schnell über die engen Straßen, gleich ungeheuren Wogen hinflogen und dann im Westen sich wie zu einem ungeheuren Meere von Blut vereinigten. Nie hatte der Himmel diese Farbe gehabt, nie war die Sonne von der Erde mit einem so traurigen Lebewohl geschieden.

Bald erhob sich in den Lüften ein pfeifender und heißer Wind, der so seltsam und so unerwartet war, daß sich die Gruppen, ohne ein Wort zu wechseln, zerstreuten, und daß jeder nach Hause kehrte und die Fenster und Türen schloss. Nun brach das Gewitter los.

Man erinnere sich des Gewitters im Monat Juli, welches um einige Tage der Revolution 1830 voranging.

Nach Verlauf von einer oder zwei Stunden wollten indessen die Menschen mit den Elementen kämpfen. Bei dem Leuchten der Blitze, bei dem Rollen des Donners verbreitete sich jene wilde Horde, welche man die Marseiller nannte, nicht weil sie aus Marseille waren, sondern weil sie gleich den Stürmen von Mittag gekommen waren, in den Straßen. Ein lebendiges Gewitter hatte sich mit dem Gewitter des Himmels vereinigt, und Ströme von Menschen wechselten mit den Strömen des Feuers, welche die Luft durchzückten, ab. Endlich aber besiegte der Sturm Gottes diese Art von Aufruhr, diese heulenden Banden zerstreuten sich, und die verödeten Straßen blieben das Eigentum der Blitze und des Donners.

Während dieser schrecklichen Nacht schlief in den Tuilerien Niemand; mehr als einmal warfen der König und die Königin durch einen halb geöffneten Fensterladen ihre Blicke nach den Feuillants oder auf die Quai's; sie kannten ihr Volk, ihre Stadt nicht mehr, und kaum erkannten sie Gott wieder, indem sie ihn so grollen hörten und sich nicht erinnerten, ihn jemals beleidigt zu haben.

Erst um sieben Uhr Morgens legte sich das Gewitter.

Jetzt erst erfuhr man die betrübenden Einzelheiten.

Der Blitz hatte an mehr als fünfzig Orten eingeschlagen, achtzehn bis zwanzig Personen getötet. Das Kreuz auf der Ebene von Iffy, das Kreuz von Crosne, das Kreuz des Kirchhofs von Hay und das Kreuz der Charenton-Brücke waren zerschmettert worden. In derselben Nacht, unter dem Brüllen des Donners war es, daß Danton, Camille des Moulins, Barbarour und Panis den zehnten August dekretierten.

Am neunten hatte der Baron von Marsilly die Wache in den Tuilerien, und die Baroness verrichtete wie gewöhnlich ihren Dienst bei der Königin.

Um acht Uhr Morgens hörte man die Trommel in den verschiedenen Quartieren von Paris rühren. Mandar, der Oberbefehlshaber der Nationalgarde, rief die Bürgermiliz zur Verteidigung der Tuilerien, welche man seit gestern Abend von den Vorstädten bedroht wußte.

Dem Appell folgten kaum drei oder vier Bataillone. Das eine davon wurde in dem Hofe der Prinzen, das andere in dem Hofe der Schweizer und die übrigen in dem unteren Stockwerke des Schlosses aufgestellt. Der Hof der Prinzen führte zu dem Pavillon der Flora, das heißt zu dem Pavillon, welcher nach dem Quai geht. Der Hof der Schweizer führte zu dem Pavillon Marsan, das heißt zu dem Pavillon, welcher nach der Straße Rivoli führt.

Um Mittag wies Herr von Maillador den Schweizern die verschiedenen Posten an, welche sie zu besetzen hatten.

Um halb ein Uhr erhielt der Baron Marsilly den Befehl, den König 'in die Kapelle zu begleiten. Die ganze königliche Familie wollte die Messe hören, wie sonst die Ritter in der Stunde des Gefechtes kommunizierten; ohne noch etwas zu sehen, ahnte man, daß ein schreckliches Ereignis nahe.

Es lag etwas besonders Feierliches in dieser Messe, der vorletzten, welche Ludwig XVI. hörte.

Die letzte war die vom ein und zwanzigsten Jänner.

Der übrige Theil des Tages verging ziemlich ruhig; man beschäftigte sich im Schlosse mit einigen Verteidigungsanstalten. Der Baron wurde beauftragt, die Fußböden von der Gallerie des Louvres wegzunehmen, heut zu Tag die Gallerie des Museums genannt.

Um elf Uhr Abends trat Petion, der Maire von Paris, derselbe, der ein Jahr später flüchten mußte, und fast lebendig von den Wölfen in den Haiden von Saint-Emillon gefressen worden wäre, in das Zimmer des Königs, aus welchem er um Mitternacht wegging.

 

Sogleich erschien der König, öffnete die Thüre eines Zimmers, wo ein Posten war, und sagte, indem er Herrn von Marsilly in dem kommandierenden Offiziere erkannte:

»Ich verheiße Ihnen eine viel ruhigere Nacht, als wir geglaubt haben; der Herr Maire von Paris versichert mich, daß sich Alles beruhigt. Lassen Sie diese Nachricht dem Herrn von Maillador hinterbringen, was ihn indessen nicht verhindern soll, zu wachen.«

Der Baron verbeugte sich und ging hinaus, um die Befehle des Königs zu vollziehen; allein als er an den Posten der großen Treppe gelangte, hielt er inne, lauschte, und glaubte im ersten Augenblicke falsch gehört zu haben. Die Lärmglocke ertönte zugleich mit dem Generalmarsch und mit dem Rufe: »Auf eure Posten!« Dieses Geschrei ertönte von einem Ende der Tuilerien bis zum andern, und zu gleicher Zeit schloss man das große Gitterthor vor Carroussel.

Eine halbe Stunde später verbreitete sich das Gerücht, daß die Kanoniere der Nationalgarde, welche zur Verteidigung des Königs herbeigerufen und in dem Hofe waren, ihre Geschütze gegen das Schloss gewendet hatten.

Um zwei Uhr Morgens kündigte man dem Baron Marsilly an, daß der König ihn zu sprechen verlange.

Der Baron traf den König, die Königin, Madame Elisabeth und ihre Vertrautesten in dem Zimmer versammelt, welches vor dem Kabinett des Königs lag. Die Baroness stand mit noch zwei Ehrendamen in einer Fenstervertiefung.

Die Damen waren alle sehr bleich. Der Charakter der Physiognomien war, selbst in diesem außerordentlichen Zustand, auf dem Gesicht des Königs und der Königin der der Resignation.

Der König hatte sich nicht zu Bette gelegt. In dem Augenblicke, in welchem der Baron eintrat, lag er auf einem Kanapee. Seine Majestät erhob sich; sie trug ein violettes Kleid und hatte einen Degen an der Seite.

Ludwig XVI. trat vor den Baron hin, fasste ihn bei einem Knopf seines Kleides, wie dies seine Gewohnheit war, wenn er mit seinen Vertrauten sprach, und führte ihn in eine Ecke.

»Nun, mein lieber Baron sagte er zu ihm, »es scheint, daß trotz dem, was mir Herr Petion gesagt hat, die Sache eine schlimme Wendung annehme. Sie versammeln sich, und mit Anbruch des Tages sollen sie, wie man versichert, gegen die Tuilerien marschieren. Was wollen sie? Ich weiß es nicht. . . Ohne Zweifel uns erwürgen. . . Glauben Sie die Tuilerien in einem Zustande, um sich verteidigen zu können?«

»Sire,« antwortete der Baron, »Sie verlangen die Wahrheit von mir, nicht wahr?«

»O ja, die Wahrheit, die volle Wahrheit. Wenn man sie mir immer gesagt hätte, so wäre ich nicht da, wo ich jetzt bin.«

»Wenn wir mit einiger Umsicht und einiger Beharrlichkeit angegriffen werden, so wird sich das Schloss nicht zwei Stunden lang halten.«

»Wie! Sie glauben, daß meine Verteidiger mich verlassen werden?« »Nein, Sire,« versetzte der Baron;«aber nach Verlauf von zwei Stunden werden sie alle tot sein.«

»Baron sprechen Sie nicht so laut, schonen Sie die Königin! Das ist also Ihre Meinung?«

»Ja, Sir.«

»Es ist auch die Mailladors, welchen ich so eben hatte kommen lassen.

Baron, nehmen Sie fünfzig Mann, welche Sie als die bravsten kennen, und übernehmen Sie den Posten der Porte de l'Horloge; er ist durch zwei Kanonen verteidigt. Ich will auf die bauen können, welche auf diesem Posten, dem bedeutendsten der Tuilerien, sind.«

»Ich danke, Euer Majestät, für das Vertrauen, mit welchem Sie mich beehren und ich werde mich dessen würdig zeigen,« antwortete der Baron und verbeugte sich, um sich zurückzuziehen.

»Sagen Sie einige Worte der Baronesse, ich erlaube es,« sagte der König, indem er ihn zurückhielt.

»Ich danke Ihnen, Sir, ich würde es nicht gewagt haben, um diese Gnade zu bitten, allein Euer Majestät wissen in dem Grunde des Herzens die Wünsche desselben zu lesen.«

»Weil ich Vater und Gatte bin, wie Sie, Baron,« antwortete der König, »und weil ich die Königin aus dem Grunde meines Herzens liebe.«

Dann fügte er mit leiser Stimme bei: »Arme Mary, Gott möge Dich schützen!«

Der Baron nahte sich seiner Frau:

»Luise,« sagte er, »man weiß nicht, was sich ereignen kann. Im Fall, daß die Tuilerien genommen werden sollten, flüchtest Du Dich in das Kabinett, welches hinter der Bibliothek von der Madame Elisabeth ist; wenn ich nicht gefallen sein sollte, so werde ich Dich dort wieder finden.«

»Aber wenn die Königin Paris verlässt?«

»Dann werden wir uns, da ich dem Könige folgen werde, nicht verlassen.«

Beide drückten sich die Hand.

»Umarmen Sie sie!« sagte der König, indem er sich gegen das Ohr des Barons neigte, und seine Hand auf seine Schulter legte; »wer weiß, ob die, die sich in diesem Augenblick verlassen, sich nur jemals wiedersehen werden.«

»Ich danke Ihnen, Sire, ich danke Ihnen,« sagte der Baron.

Und er drückte seine Frau an sein Herz.

Die Königin vergoss eine Träne.

Der Baron sah dieses Zeichen der Teilnahme und er ließ sich vor Marie-Antoinette auf ein Knie nieder.

Die Königin reichte ihm ihre Hand zum Küssen dar.

Der Baron stürzte aus dem Zimmer.

Der Soldat fühlte, daß er wie ein Kind weinen könnte.