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Das Brautkleid

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XVI.
Die Abreise

Als Cäcilie nach Hause zurückkehrte, traf sie Herrn Duval bei der Marquise, und obgleich der Banquier und ihre Großmutter in ihrer Gegenwart nichts von Geschäften sprachen, so konnte das junge Mädchen doch bemerken, daß Herr Duval gekommen sei, um der Marquise de la Roche-Bertaud Geld zu bringen.

In dem Augenblicke, in welchem Herr Duval das kleine Landhaus verließ, stellte er der Marquise bei ihrer Durchreise durch London sein Haus zur Verfügung; allein die Marquise dankte ihm und sagte, daß, wenn sie bei jemand absteige, so würde dieses bei der Herzogin geschehen, welche es ihr angeboten habe; da sie aber wahrscheinlich nur ein oder zwei Tage sich in London aufhalten werde, so würde sie ohne Zweifel mit ihrer Enkelin in einem Gasthofe absteigen.

Cäcilie bemerkte, daß Herr Duval, als er von ihr und ihrer Großmutter Abschied nahm, sehr traurig war. Aber diese Traurigkeit schien mehr einem Gefühle frommer Teilnahme, als einer persönlichen Unruhe zu entspringen.

Die Marquise hatte die Abreise auf übermorgen festgesetzt und sie bat daher Cäcilien, eine Auswahl unter den Gegenständen zu treffen, welche ihr die notwendigsten, oder die teuersten seien.

Herr Duval hatte es auf sich genommen, Alles was übrig blieb, verkaufen zu lassen.

Dieses Wort verkaufen, machte einen schmerzlichen Eindruck auf Cäciliens Herz; es schien, als sei es eine schreckliche Entweihung, die Gegenstände verkaufen zu lassen, welche ihrer Mutter gehört hatten.

Sie bemerkte dieß ihrer Großmutter, aber diese entgegnete, daß es unmöglich sei, dieses geringfügige Mobiliar mit nach Frankreich zu nehmen, indem die Transportkosten den Werth zweifach übersteigen würden.

Diese Antwort war so begründet, daß sie nur durch Rücksichten des Herzens angegriffen werden konnte, aber diese Rücksichten sind, wie man sagt, zwar sehr heilige, aber sehr schlimme Gründe.

Cäcilie war daher gezwungen, sich zu fügen; aber sie bemächtigte sich der Gegenstände, die zum persönlichen Gebrauche ihrer Mutter gedient hatten, z. B. ihrer Wäsche, ihrer Kleider, und bemerkte, daß Alles in zwei Koffer gebracht werden könne, und daß sie in ihrem Schmerze einen unendlichen Trost darin finde, diese Gegenstände, welche ihrer Mutter gehört hatten, mit sich zu nehmen.

Die Marquise antwortete Cäcilien, daß sie in dieser Hinsicht thun könne, was ihr gut scheine, daß sie ihr aber bemerklich machen müsse, daß es sonst in großen Familien gebräuchlich gewesen sei, alle Kleidungsstücke zu verbrennen, welche Personen, die an einer Brustkrankheit starben, gehörten, indem diese Krankheit für ansteckend gelte, und dergleichen Kleider die Person, welche sie trage, der Gefahr aussetzte, sich dieselbe Krankheit zuzuziehen und denselben Tod zu sterben.

Cäcilie lächelte traurig und dankte ihrer Großmutter für die Erlaubnis, die sie ihr gegeben hatte.

Cäcilie war hinausgegangen und hatte einen Schritt in dem Korridor zurückgelegt, als die Marquise sie zurückrief.

Sie hatte ihr bloß zu sagen, daß sie sich wohl in Acht nehmen solle, daß keine Gegenstände, deren sich die Baroness bedient hatte, unter ihre Effekten kommen.

Mit sechzig Jahren fürchtete die Marquise den Tod mehr, als ihre Enkelin mit sechzehn.

Cäcilie ließ sich in das Zimmer ihrer Mutter die erforderlichen Kisten bringen, dann schloß sie sich andachtsvoll ein, indem sie sogar nicht wollte, daß ihr die Kammerfrau bei Erfüllung der heiligen Pflicht beistehe, welche sie zu vollbringen hatte.

Es war eine süße, aber zugleich auch eine traurige Nacht für Cäcilie, die sie nun ganz und allein in dem Zimmer ihrer Mutter und mit den Erinnerungen an diese zubrachte.

Um zwei Uhr morgens fühlte Cäcilie, welche wenig an das Wachen gewöhnt war, unwillkürlich Schlaf; sie warf sich ganz angekleidet auf das Bett, aber zu«vor fiel sie vor dem Kruzifix auf ihre Knie nieder, und da sie die Gegenstände, welche sie umgaben, fort« gerissen durch ihre kindliche Liebe, auf den höchsten Grad der Begeisterung erhoben, so bat sie Gott, daß, wenn es wahr sei, was sie erzählen gehört, daß die Toten die Lebenden noch besuchen, er ihrer Mutter erlauben möge, daß sie zu ihr komme, und ihr in diesem Zimmer, in welchem sie ihr Kind so oft an das Herz gedrückt, ein letztes Lebewohl sage.

Und Cäcilie schlief mit ausgebreiteten Armen ein, aber Gott milderte zu ihren Gunsten das strenge Gesetz des Todes nicht, und wenn sie ihre Mutter wiedersah, so war es nur im Traum. Der folgende Tag ging unter den weiteren Vorbereitungen zur Abreise vorüber; aus dem Zimmer ihrer Mutter ging Cäcilie in das ihrige und unter den Erinnerungen an ihre Kindheit, unter welchen ihre Albums eine so große Stelle einnahmen, ging der Abend hin.

Am folgenden Morgen verließen Cäcilie und ihre Großmutter das kleine gastliche Haus, welches sie zwölf Jahre lang bewohnt hatten. Mit dem Grauen des Tages erhob sich Cäcilie, um zum letzten male in ihren Garten zu gehen; der Regen schoss in Strömen herab.

Cäcilie stellte sich an das Fenster; der Garten war traurig und betrübt; die letzten Blätter fielen von den Bäumen, die letzten Blumen senkten ihre Kelche, niedergedrückt von dem Wasser des Regens. Cäcilie fing zu weinen an, es schien ihr, daß hätte sie ihre Freundinnen während eines schönen Frühlingstages verlassen, sie weniger getrauert haben würden, indem sie den ganzen Sommer vor sich gehabt hätten, während sie sie in diesem Augenblicke im Todeskampfe und geneigt gegen jenes Grab der Natur zurückließ, welches man Winter nennt.

Den ganzen Tag hindurch wartete Cäcilie, daß der Himmel sich aufkläre, um nach dem Friedhof gehen zu können, allein der Regen fiel den ganzen Tag hindurch in Strömen herab, es war also unmöglich auszugehen.

Gegen drei Uhr kam der Reisewagen und der Kutscher der Herzogin de Lorges, man packte die Koffer auf; der letzte Augenblick war gekommen.

Die Marquise war über die Abreise entzückt. Während der zwölf Jahre, welche sie in diesem reizenden Landhaus zugebracht, hatte sie sich weder an die Menschen, noch an die Dinge gewöhnt; sie hatte nicht eine angenehme Erinnerung.

Cäcilie glich einer Wahnsinnigen, sie berührte die Möbeln, sie umarmte sie, sie weinte, ein Teil ihrer Seele blieb in Hendon zurück.

In dem Augenblicke, in welchem man in den Wagen stieg, war sie beinahe ohnmächtig, man musste sie fast in denselben tragen.

Sie wollte den Schlüssel des kleinen Hauses mit sich nehmen, den man in London während der Durchreise dem Herrn Duval zuzustellen hatte, und sie legte ihn auf ihr Herz.

Dieser Schlüssel war der ihrer Vergangenheit; den zu ihrer Zukunft hatte Gott allein.

Sie bat den Kutscher, einen Umweg zu machen und an der Türe des Friedhofes anzuhalten. Da der Regen noch immer strömend herabgoß, so war ihr das Aussteigen unmöglich. Aber indem sie ihre Blicke durch die Gitter der Türe schweifen ließ, konnte sie noch einmal das Grab, das kleine Kreuz und die großen Bäume sehen, welche es beschützten.

Aber die Marquise bat sie, nicht so lange an einem solchen Orte zu halten, weil ihr die Nachbarschaft eines Friedhofs die unangenehmsten Eindrücke mache.

Cäcilie rief noch einmal:

»Lebe wohl, meine Mutter, lebe wohl!«

Dann warf sie sich in den Fond des Wagens zurück.

Sie hüllte ihr Haupt in ihren schwarzen Schleier und öffnete ihre Augen nicht eher, als bis der Wagen anhielt.

Man war an der Thüre des Gasthauses »König Georg.«

Im Hofe stand ein anderer Wagen ganz bereit und angespannt. Die Herzogin erwartete die Marquise in den Gemächern des Gasthauses, welche für sie bereitet worden waren. Ihr Neffe, Heinrich, welchen sie nach Dover geschickt hatte, um sich nach Schiffen, die nach Frankreich gingen, zu erkundigen, schrieb ihr, daß ein Fahrzeug zur Abfahrt bereit sei und morgen unter Segel gehen werde.

Wenn man von diesem Fahrzeuge Gebrauch machen wollte, so war es notwendig, sogleich abzureisen.

Cäcilie verlangte, zu Madame Duval zu gehen; allein diese wohnte in der City und um dahin zu gehen und zurückzukommen, war mehr als eine Stunde erforderlich. Die Marquise widersetzte sich daher diesem Besuche und sagte ihrer Enkelin, sie solle bloß an jene schreiben.

Das arme Kind fühlte, daß ein Brief nicht genüge, um von den, alten guten Freunden ihrer Mutter Abschied zu nehmen. Aber was vermochte sie gegen den Willen der Marquise; sie musste gehorchen.

Sie schrieb also.

Was nur ein Brief an zärtlichen Ausdrücken und an innigem Bedauern enthalten kann, das enthielt Cäciliens Brief. Sie sagte darin Allen Lebewohl, Herrn Duval, Madame Duval und auch Eduard. Sie überschickte Herrn Duval den Schlüssel des kleinen Hauses, indem sie ihm sagte, daß wenn sie reich wäre, sie dieses kleine Haus, obgleich sie von ihm sich entferne, obwohl sie England für immer verlasse, als das Heiligtum ihrer Jugend behalten würde. Aber sie war arm, und sie erneuerte an Herrn Duval im Namen der Marquise die Bitte, die Möbeln zu verkaufen und den Betrag hierfür ihrer Großmutter zu übersenden.

Man stellte diesen Brief der Frau Herzogin de Lorges zu, welche sich verbindlich machte, ihn am folgenden Tage an ihren früheren Intendanten abzusenden.

Ehe die Herzogin ihre Freundin, die Marquise, verließ, machte sie ihr alle die Anerbietungen an Geld, welche unter Leuten von Stand ohne Bedenken gemacht werden, indem man sie wie einen geleisteten Dienst annimmt, allein vermöge des Verkaufs des Restes ihrer Diamanten glaubte sich die Marquise so genügend gesichert, daß sie nichts weiter bedürfe, um die Zurückgabe ihrer, Güter erwarten zu können.

Endlich kam der Augenblick, in den Wagen zu steigen. Cäcilie hätte Alles darum gegeben, wenn sie Herrn und Madame Duval noch einmal umarmen, Eduard die Hand hätte drücken können. Im Grund ihres Herzens fühlte sie, daß es fast eine Undankbarkeit sei, so zu handeln; allein sie war, wie schon gesagt wurde, nicht im Stande, den Eingebungen ihres Herzens zu folgen. Sie kniete sich nieder, bat ihre Mutter um Verzeihung, und als man sie benachrichtigte, daß der Wagen ihrer harre, begnügte sie sich mit der Antwort, daß sie bereit sei.

 

Es war eine sehr traurige Sache für Cäcilie, in einer regnerischen Nacht von London abreisen zu müssen, ohne jemand andrem als der Herzogin, welche sie kaum kannte, Lebewohl gesagt zu haben.

Man durcheilte London, welches Cäcilie nie gesehen hatte, ohne daß das junge Mädchen ein einziges«mal zum Fenster hinausgeblickt hätte, nur an der reinen Luft und an dem Aufhören des Pflasters erkannte sie, daß man sich jetzt auf dem Lande befinde.

Da der Wagen mit der Post fuhr und sich nirgends länger aufhielt, als zum Umspannen erforderlich war, wurde der Weg sehr schnell zurückgelegt und um fünf Uhr Morgens war man zu Dover angelangt.

Der Wagen hielt im Hofe eines Hotels. Der Schein einiger Fackeln erschreckte die geschlossenen Augen Cäciliens; sie öffnete sie noch ganz betäubt von dem Schaukeln des Wagens, und noch befallen von der dadurch herbeigeführten Schläfrigkeit, begegnete ihr erster Blick Heinrich, welcher ihre Ankunft erwartete.

Cäcilie fühlte sich so heftig erröten,m daß sie den Schleier über ihr Gesicht herab schlug.

Heinrich reichte zuerst der Marquise, dann ihr die Hand, um beim Aussteigen Hilfe zu leisten; es war das erste mal, daß Cäciliens Hand der Heinrichs begegnete, und der junge Mann fühlte diese so sehr zittern, daß er es nicht wagte, sie zu drücken.

In dem Gasthofe warm die Zimmer in Bereitschaft gesetzt und erwarteten die Reisenden; man sah, daß eine umsichtige Hand Alles zuvor geordnet hatte. Da das Fahrzeug nicht vor zehn Uhr Morgen« abging, so hatten die beiden Reisenden wenigstens einige Stunden Ruhe.

Heinrich bat sie, sich wegen gar nichts zu beunruhigen und bloß zur benannten Stunde sich bereit zu halten, indem sein Kammerdiener die Einschiffung aller ihrer Effekten besorgen werde; ließ konnte um so leichter geschehen, als der Wagen ganz beladen war, und man nur die Koffer von demselben zu nehmen brauchte, um sie nach dem Fahrzeuge zu schaffen.

Nachdem er die Marquise und Cäcilie noch gefragt hatte, ob sie ihm nicht noch einige Befehle zu erteilen hätten, empfahl er sich.

Cäcilie schloss sich in ihr Zimmer ein; aber wie groß auch ihre Müdigkeit war, sie versuchte umsonst einzuschlafen. Dieses unerwartete Erscheinen Heinrichs hatte ihrem armen Herzen eine zu große Aufregung verursacht, als daß der Schlaf sich ihr nahen konnte.

Nun blieb ihr noch ein letzter Zweifel, über welchen sie eine Frage an Heinrich nicht gemacht hatte. Heinrich hatte ihr gesagt, daß er auch nach Frankreich gehe: reiste er wohl auf dem nämlichen Fahrzeuge?

Dieser Zweifel war, wie man leicht einsehen wird, hinreichend, um Cäcilie am Schlafen zu hindern.

Aber diese Schlaflosigkeit war nicht ohne Tränen; zum ersten male seit dem Tode ihrer Mutter fühlte sie, daß jemand für sie wache.

Die Bedienten, welche ihre Ankunft erwarteten, diese zu ihrem Empfange in Bereitschaft gesetzten Zimmer, daß ihre Effekten in dem Augenblicke auf das Fahrzeug geschafft wurden, ohne daß es sie nur im Geringsten belästigte, das Alles war die Wirkung eines freundschaftlichen Waltens, welches sich mit Sorgen belud und mit Zuvorkommenheit handelte.

Dieses Etwas, welches über sie wachte, dieses freundschaftliche Walten, welches ihren Wünschen zuvorkam, das war Heinrichs Liebe.

Heinrich liebte sie also wirklich, aufrichtig, innig?

Wie wohl es tut, sich geliebt zu fühlen!

Und dieser Gedanke war so süß, daß er Cäcilien einschläferte, daß das junge Mädchen gegen den Schlaf kämpfte, indem es fürchtete, der Schlaf könnte ihr dieses Gefühl von Schutz, welches sie so glücklich machte, rauben.

Sie sah den Tag grauen, sie, zählte die Stunden, sie stand auf, ohne daß man nötig hatte, sie aufzuwecken; sie war schon auf, als man an ihrer Türe klopfte.

Sie ging nun M ihrer Großmutter und fand sie, wie gewöhnlich, ihre Chocolade im Bette nehmend; sie hatte Lust, sie zu fragen, ob Heinrich zu gleicher Zeit mit ihnen abreise; sie öffnete zwei«oder dreimal den Mund, um diese Frage zu beginnen; allein jedes mal schlossen sich die Lippen, ohne daß sie vermocht hätte, ein Wort zu sprechen.

Inzwischen rückte die Zeit voran, Cäcilie kehrte nach ihrem Zimmer zurück, um der Marquise Zeit zu lassen, sich anzukleiden.

Diese hatte alle ihre alten Gewohnheiten beibehalten, sie legte alle Morgen ihr Roth auf, und Mademoiselle Aspasia allein bediente sie bei der Toilette, die nach ihrer Meinung keine Toilette gewesen wäre, wenn diese aristokratische Ergänzung nicht statt gehabt hätte.

Cäciliens Fenster ging nach der Straße; am Ende der Straße sah man das Thor und über die Häuser her sah man die Wimpeln der Schiffe, welche im Winde flatterten. Cäcilie stellte sich an das Fenster.

Verschiedene Wagen fuhren in der Straße umher, aber in Mitte aller dieser Fahrzeuge bemerkte Cäcilie eines, welches vom Hafen herkam. Sie folgte ihm mit den Augen. Der Wagen hielt an der Türe an, ihr Herz pochte, der Schlag öffnete sich, Heinrich sprang heraus, ihr Herz pochte noch heftiger. Sie zog sich eilig vom Fenster zurück.

Aber nicht so schnell, daß sie Heinrich, indem er den Kopf erhob, nicht gesehen hätte.

Cäcilie blieb stehen, errötend und verlegen, eine Hand auf ihr Herz gelegt, dessen Bewegungen sie zu hemmen suchte, die andere an den Fensterriegel angeklammert.

Sie hörte die Schritte Heinrichs, als er in den Salon eintrat, welcher ihr Zimmer von dem der Marquise trennte; jetzt hielten diese Schritte an. Heinrich wagte nicht, in das Zimmer Cäciliens einzutreten, und Cäcilie getraute sich nicht, in den Salon hinauszugehen.

Dies währte zehn Minuten lang fort.

Nach Verfluß von zehn Minuten klingelte Heinrich; eine Kammerfrau kam.

»Mademoiselle,« sagte Heinrich,« haben Sie die Güte, diesen Damen zu sagen, daß sie die Gewogenheit haben möchten, sich zu beeilen, in einer Viertelstunde wird das Schiff unter Segel gehen.«

»Hier bin ich, mein Herr,« sagte Cäcilie heraustretend und vergessend, daß die Antwort anzeige, daß sie die Rede gehört habe; »hier bin ich, und ich will meine Großmutter davon in Kenntnis setzen, daß Sie warten.«

Sie grüßte dann Heinrich und ging schnell durch den Salon zu der Marquise.

Die Marquise war beinahe bereit, und fünf Minuten später trat sie mit ihrer Enkelin heraus. Heinrich bot der Marquise seinen Arm und Cäcilie folgte beiden, von Mademoiselle Aspasia begleitet, von welcher sich die Marquise nicht trennen wollte.

Ein einziger Gedanke beschäftigte ununterbrochen Cäciliens Seele.

Würde sie wohl Heinrich bloß bis an das Schiff begleiten, oder mit ihnen gehen?

Während des ganzen Wegs getraute sie sich nicht, eine Frage an Heinrich zu stellen, und Heinrich sprach auch nicht ein Wort, welches aus diesen Gegenstand Bezug gehabt hätte, nur seine Augen begegneten öfters denen des jungen Mädchens, und beide schienen sich durch Blicke zu fragen.

Heinrich hatte eine elegante Kleidung, welche ebenso gut ein Jagd- als ein Reisekleid sein konnte; es war daher unmöglich, hieraus etwas zu schließen.

Man langte im Hafen an, stieg aus dem Wagen, eine Barke war bereit, die drei Frauen bestiegen sie, Heinrich folgte ihnen und die Ruderer trieben sie gegen das Schiff.

Heinrich gab der Marquise seine Hand, um an Bord zu steigen, dann reichte er sie Cäcilien. So sehr die Hand des jungen Mädchens zitterte, so konnte sich Heinrich doch nicht enthalten, sie zu drücken. Eine Wolke lagerte sich auf den Augen Cäcilias, es schien ihr, daß sie ohnmächtig werden wolle. Es, war das erste mal, daß ihr Heinrich anders, als durch einen Blick sagte, daß er sie liebe.

Aber war dieser Druck nicht sein Lebewohl?

Als sie den Fuß auf das Verdeck setzte, wankte Cäcilie so, daß sie Schutz an einer Pyramide von Koffern, Kisten und Kästen suchte, welche am Fuße des Besanmastes aufgeschichtet war, und welche einige Matrosen aus Furcht vor schlechtem Wetter mit einer Decke von Wachstuch überdeckten. Aber so unsicher und so verzagt der Blick Cäciliens war, so entdeckte sie doch einen Namen, auf welchen ihre Augen einen Augenblick haften blieben.

Dieser Name stand auf einen Koffer geschrieben, es war eine Adresse, und diese Adresse sagte Cäcilien Alles, was sie zu wissen wünschte, denn sie war folgenden Inhaltes: »Herrn Vicomte Heinrich de Sennones, bureaux restante. . Paris. . Frankreich.«

Cäcilie atmete auf, richtete ihre Augen gen Himmel, und diese begegneten jenen des jungen Mannes.

Es schien, daß Alles, was in dem Herzen des jungen Mädchens vor sich ging, auf ihrem Gesichte ausgedrückt sei; denn Heinrich nahte sich ihr mit einem vorwurfsvollen Blicke und sagte nach einem augenblicklichen Stillschweigen:

»O, Cäcilie, wie konnten Sie auch nur einen Augenblick glauben, daß ich Sie verlassen würde?«

XVII.
Die Reise

Durch einen jener auf dem Meere so häufigen Wechsel der Atmosphäre, hatte sich das Wetter ganz geändert, der Regen von gestern Abend war verschwunden und der Himmel war so rein, wie er es in dieser Jahreszeit so selten ist. Dieses erlaubte den Passagieren, auf dem Verdecke zu bleiben, und dafür dankte Heinrich dem Himmel aus dem innersten Grunde feines Herzens, denn es gestattete ihm, in der Nähe Cäciliens zu bleiben, welche er hätte verlassen müssen, wenn schlechtes Wetter die Reisenden gezwungen hätte, sich in das Zimmer der Damen einzuschließen.

Alles, was Cäcilie sah, war für sie neu und interessant; sie erinnerte sich wohl, aber es war fast nur wie ein Traum, daß sie einer Brandung entlang noch als kleines Kind hinabgestiegen, oder in den Ar«mm ihrer Mutter getragen worden war, daß sie nach«dem sie eine große Wasserfläche, welche ihr wie ein ungeheurer Spiegel vorkam, durchschifft, einen Hafen mit seinen Schiffen gesehen hatte, welche sich gleich vom Winde gebeugten Bäumen bewegten. Aber sie war drei und ein halb Jahr alt, als alle diese Gegenstände ihren Blicken begegnet waren, und diese blieben in ihrem Geiste dunkel, unbestimmt, schwankend, gleich magischen Schatten. Der Anblick, dieses Meer, diese Küsten, diese Schiffe waren also etwas Neues für Cäcilien, für dieses arme Kind, welches gewissermaßen wie die Pflanze an den Boden, so an das kleine Haus gebunden gewesen war, welches sie zwölf Jahre lang bewohnt, während welcher sie keinen andern Horizont gesehen hatte, als den, welchen man aus ihren Fenstern, oder aus denen ihrer Mutter wahrnahm.

Seit dem Tode ihrer Mutter war es also das erste mal, daß der Anblick fremdartiger Gegenstände sie einen Augenblick von dem Verluste abzog, welchen sie erlitten hatte; Heinrich stand neben ihr, und ihn befragte sie neugierig über Alles, was sie umgab. Heinrich antwortete auf alle diese Fragen, wie ein Mann, welchem auch nicht die geringste Einzelheit fremd ist, und Cäcilie fuhr in ihren Fragen vielleicht weniger aus Neugierde, als darum fort, seine Stimme zu hören. Es schien ihr, daß sie in ein ganz neues Leben über« trete und daß sie Heinrich in dieses unbekannte Treiben einführe. Dieses Schiff, welches sie nach einem andern Lande, nach ihrem Vaterland brachte, riss sie von der Vergangenheit los, und trieb mit ihr der Zukunft entgegen.

Die Überfahrt war glücklich. Der Himmel war, wie bereits gesagt, so schön, wie er an einem Herbsttage in England sein kann; so schön, daß man zwei Stunden nach der Abfahrt von Dover die Küsten Frankreichs gleich einem Nebel bemerkte, während jene von England noch vollkommen sichtbar waren; aber nach und nach verlor sich England in den Dünsten des Horizonts, Während die Ufer Frankreichs mehr und mehr hervortraten. Cäciliens Augen wandten sich abwechselnd von leg der einen zu der andern, welche von diesen beiden Küsten würde für sie wohl die glücklichere, oder welche die unglücklichere sein?


Gegen sieben Uhr Abends landete man zu Boulogne; die Nacht war schon lange eingetreten. Die Marquise erinnerte sich des Gasthauses zur Post, obwohl sie den Namen ihrer früheren Wirtin vergessen hatte; bloß der Straße, in welcher dieser Gasthof lag, erinnerte sie sich; sie wurde früher Rue Royal, hierauf Rue du Club des Jacobins genannt und nennt sich nun Rue de la Nation.

Obgleich die See sehr ruhig war, so fühlte sich doch die Marquise außerordentlich ermüdet. Heinrich führte daher Cäcilien und ihre Großmutter in den Gasthof, und dann kehrte er zurück, um die Ausschiffung ihrer Effekten zu überwachen.

Cäcilie hatte ihre Mutter zwanzigmal die Ereignisse jenes schrecklichen Abends ihrer Einschiffung erzählen hören. Sie hatte zwanzigmal ihre Mutter diese gute Madame d'Ambron nennen hören, welche sie mit so vieler Hingebung bis an das Meer begleitete, und, weniger vergessen als ihre Großmutter, hatte sich das junge Mädchen dieses Namens erinnert.

 

So wie Cäcilie auf ihrem Zimmer war, ließ sie die gegenwärtige Besitzerin dieses Gasthofes rufen, und da sie aus dem Alter derselben erkannte, daß sie nicht die nämliche Person sein könne, von welcher ihre Mutter so oft gesprochen hatte, so fragte sie, ob sie Madame d'Ambron gekannt habe, welche dieses Gasthaus zur Post im Jahre 1792 besessen, und ob dieselbe noch zu Boulogne wohne?

Die gegenwärtige Besitzerin nannte sich auch Madame d'Ambron; allein sie war die Schwiegertochter jener; sie hatte deren ältesten Sohn geheiratet, und ihre Schwiegermutter hatte sich zurückgezogen, indem sie ihnen den Gasthof überließ.

Madame d'Ambron wohnte in dem Nebengebäude und sie brachte den größten Teil des Tags in ihrer früheren Wohnung zu.

Cäcilie fragte, ob sie nicht zu sprechen sei, und man erwiderte ihr, daß dies die leichteste Sache von der Welt, und daß man Madame d'Ambron davon in Kenntniß setzen wolle, daß die Reisenden sie zu sprechen wünschten.

In der Zwischenzeit kam Heinrich zurück; wegen der Douane konnte man die Effecten erst am folgenden Mittage ausschiffen.

Er gab von dieser Verzögerung der Marquise und Cäcilien Kenntniß, welche schon geäußert hatten, daß sie am Morgen des folgenden Tages abzureisen wünschten; man kam daher überein, daß die Abreise erst übermorgen vor sich gehen solle.

Diese Abreise war der Gegenstand ernsthafter Erörterungen zwischen der Marquise und ihrer Enkeltochter. Die Marquise wollte mit der Post reisen, allein um mit der Post zu reisen, musste man einen Wagen mieten, oder kaufen, und Cäcilie, die von ihrer Mutter erfahren hatte, wie unbedeutend die Hilfsquellen seien, die ihrer Mutter verblieben, hatte ihrer Großmutter bemerkt, welche große Ersparniß für sie eine Reise mit der Dilligence sein würde. Ihr Wirt, welcher zu gleicher Zeit der Direktor der öffentlichen Fahranstalten war, kam ihr zu Hilfe, und setzte der Marquise auseinander, daß sie, wenn sie das Coupe für sich, ihre Tochter und die Kammerfrau nehme, für sich eben so allein sein würde, als in einer Kalesche oder in einer Berline, und daß die Reise fast eben so schnell gehe, wie mit der Post.

Endlich ließ sich die Marquise, zu ihrem großen Verdrusse, durch diese vernünftigen Gründe überreden, und, man hatte für übermorgen auf das Coupe die drei Namen der Marquise de la Roche-Bertaud, Cäcilie de Marsilly und Mademoiselle Aspasia eingetragen. Als Heinrich diese Vorkehrung erfuhr, nahm er einen Platz im Innern der Dilligence. In diesem Augenblicke trat Madame d'Ambron ein, und stellte sich mit ihrer gewöhnlichen Zuvorkommenheit zur Verfügung der Personen, welche nach ihr gefragt hatten.

Als sie diese würdige Frau sah, welche so viel für ihre Großmutter, für ihre Mutter, und für sie, als sie arme Flüchtlinge waren, getan hatte, öffnete Cäcilie die Arme, um sich ihr an den Hals zu werfen; aber ein Zeichen der Marquise hielt sie zurück.

»Was steht diesen Damen zu Befehl?«fragte Madame d'Ambron.

»Meine Liebe,« antwortete die Marquise, »ich bin die Marquise de la Roche-Bertaud und hier ist Fräulein Cäcilie de Marsilly, meine Enkelin.«

Madame d'Ambron grüßte, aber es war augenscheinlich, daß die beiden ausgesprochenen Namen ihrem Gedächtnisse fremd seien. Die Marquise bemerkte dies und sagte:

»Meine liebe Frau, erinnern Sie sich denn nicht, daß wir schon in Ihrem Gasthofe logierten?«.

Es ist möglich, daß Sie mir diese Ehre schon erzeigten,« entgegnete Madame d'Ambron; »aber ich muß zu meiner Schande gestehen, daß ich mich nicht erinnere, zu welcher Zeit oder bei welcher Gelegenheit.«

»Meine teure Madame d'Ambron,« sagte Cäcilie, »Sie werden sich unserer gewiss erinnern. Denken Sie an die zwei unglücklichen Flüchtlinge, die an einem Septemberabende des Jahres 1792 auf einem kleinen Karren, als Bäuerinnen gekleidet, und durch einen ihrer Pächter, Namens Peter geführt, bei Ihnen ankamen!«

»Ja, ja, gewiß,« rief Madame d'Ambron, »jetzt erinnere ich mich. Die jüngere der beiden Damen hatte sogar ein kleines Mädchen von drei oder vier Jahren bei sich, einen kleinen Cherub, einen kleinen Engel. . .«

»Halten Sie ein, meine teure Madame d'Ambron,« unterbrach sie Cäcilie lächelnd, »denn wenn Sie es noch einmal sagen würden, so würde ich nicht wagen, ihnen zu bemerken, daß dieses kleine Mädchen, dieser kleine Cherub, dieser kleine Engel. . .«

»Nun?«

»Nun! Ich bin.«

»Wie. Sie sind es, mein armes Kind?«rief die gute Wirtin.

»Nun, nun,« murmelte die Marquise, über diese Vertraulichkeit aufgebracht.

»O, entschuldigen Sie,« rief Madame d'Ambron, indem sie sich sammelte, und ohne daß sie das Murmeln der Marquise gehört hatte: »Entschuldigen Sie, mein Fräulein, aber ich habe Sie so klein gesehen.«

Cäcilie reichte ihr die Hand.

»Aber Sie waren ja drei?«fragte Madame d'Ambron, indem sie um sich blickte, als wolle sie die Baronin suchen.

»Ach!« seufzte Cäcilie.

»Ja, ja,« fuhr Madame d'Ambron fort, indem sie vollständig begriff, was dieser schmerzliche Ausruf des jungen Mädchens bedeuten soll, »ja, die Auswanderung ist eine schmerzliche Sache, und es gibt viele, deren Abreise ich gesehen habe, deren Heimkehr ich aber nicht sehen werde. Sie müssen sich trösten, mein liebes Fräulein; Gott hat seine Gründe, uns zu prüfen, und er züchtigt, wie Sie wissen, die, die er lieb hat.«

»Meine liebe Frau,« sagte die Marquise, »wir wollen nicht davon sprechen, ich bin sehr reizbar und diese Erinnerungen schmerzen mich.«

»Ich bitte sehr um Entschuldigung, Frau Marquise,« antwortete die gute Wirtin; »es geschah nur, um dem Fräulein zu beweisen, daß ich mich Ihres Aufenthaltes in meinem Gasthofe noch erinnere; aber wenn es der Frau Marquise gefällig sein sollte, mir zu sagen, zu welchem Zwecke Sie mich rufen ließen.«

»Nicht ich habe Sie rufen lassen, mein«liebe Madame d'Ambron; sondern meine Enkelin, Fräulein von Marsilly; benehmen Sie sich daher mit dieser.«

»Wenn dies der Fall ist, und wenn Sie mein Fräulein. . .«

»Ich habe Sie bitten lassen, meine vortreffliche Madame d'Ambron, um Ihnen mit einigen herzlichen Worten zu danken; denn der Dienst, welchen Sie uns geleistet haben, ist ein solcher, daß man ihn nicht anders, als mit ewigem Danke lohnen kann. Dann habe ich Sie auch noch bitten wollen, ob Sie mich morgen früh nicht durch Jemand an das Meeresufer und an die Stelle führen lassen könnten, an welcher wir, es sind nun bald zwölf Jahre, uns einschifften, vorausgesetzt, daß meine gute Großmutter erlaubt, daß ich diesen Gang unternehme,« fuhr Cäcilie fort, indem sie sich an die Marquise wandte.

»Gewiß,« entgegnete diese,« wenn die Madame d'Ambron eine kluge und verständige Person zur Begleitung mitgibt. Ich würde Dir Aspasia anbieten, aber Du weißt, daß ich sie, besonders Morgens nicht entbehren kann.«

»Ich selbst werde mitgehen, Frau Marquise!« rief Madame d'Ambron. »Ich werde mich glücklich schätzen, Sie zu begleiten, und da ich dabei war, als Sie abreisten, so kann ich gewiss jeden vielleicht zu wünschenden Aufschluss besser als Jemand erteilen.«

»Und ich, Frau Marquise,« sagte Heinrich, der diese Szene mit der lebhaftesten Teilnahme vernommen hatte, »darf Sie wohl um die Erlaubnis bitten, Fräulein Cäcilie zu begleiten.«

»Ich sehe nichts Unschickliches darin, Heinrich,« antwortete die Marquise, »und weil Sie die pittoresken Erinnerungen lieben, so geht, meine Kinder, geht!«

Dann machte die Marquise ihrer ehemaligen Wirtin ein kleines Zeichen, welches sagen wollte: »Madame d'Ambron, ich empfehle sie Ihnen, wachen Sie über sie.«

Madame d'Ambron machte ein bestätigendes Zeichen, und nachdem der Gang auf den nächsten Morgen festgesetzt war, zog sich jedes auf sein Zimmer zurück.

Heinrich und Cäcilie brachten beide eine gute und süße Nacht zu; sie hatten sich um elf Uhr Nachts verlassen; um acht Uhr Morgens sollten sie sich wieder sehen, Für die, welche sich in England kaum einmal in acht Tagen, und da nur in Gegenwart von Zeugen sahen, war dies ein erfreulicher Wechsel. Sie sahen sich jetzt alle Tage, und sie sahen sich nicht bloß, sondern sie sollten nun auch Arm in Arm geben; es musste schwierige Stellen geben, an welchen Heinrich Cäcilien die Hand reichen würde, dann andere noch schwierigere, an welchen er sie unterstützen musste; kurz dieser Spaziergang war für den jungen Mann ein großes Fest.