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Das Brautkleid

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VI.
Das Landhaus

So wie sie den Fuß ans Land gesetzt hatte, wollte die Baroness sogleich einen Wagen nach London nehmen, allein die Marquise erklärte, da sie nun das Glück gehabt habe, Frankreich zu verlassen und sich an einem sichern Orte zu befinden, so werde sie auch nicht einen Schritt weiter in diesem lächerlichen Aufzuge machen, zu welchem sie die Roth gedrungen habe. Da dieser Aufenthalt von keiner Bedeutung war, so willigte die Baroness ein, und so seltsam auch oft die Anforderungen der Frau von la Roche-Bertaud waren, so unterwarf sich denselben die Baroness fast immer mit jener kindlichen Hingebung, die man noch häufig in den großen Familien findet, welche die Überlieferungen des siebzehnten Jahrhunderts bewahrt haben.

Demgemäß ließ sich die Baroness in den ersten Gasthof von Dover führen und hier öffnete die Marquise trotz der Anstrengungen der Reise und ehe sie noch etwas genossen hatte, eine Kiste, welche sie in der Carriole verborgen und brachte aus derselben ihre Wäsche und ihre gewöhnlichen Kleider hervor.

Nachdem sie mit Verachtung die populären Lumpen, welche sie so sehr gedrückt, weit von sich geworfen hatte, begann sie ihre Toilette, und hielt diese nicht eher für vollendet, als bis sie vollständig frisiert und gepudert, und zwar mit derselben Sorgfalt war als wenn sie diesen Abend noch in einen Zirkel der Königin gehen wolle.

Die Baroness wandte alle ihre Sorge bloß der kleinen Cäcilie zu, welche glücklicherweise die Seefahrt gut bestanden hatte; da sie indessen sich beeilte, nach London zu kommen und sich dort eine Wohnung aufzusuchen, so ließ sie noch denselben Tag das ganze Innere eines Wagens mieten, welcher am folgenden Morgen um neun Uhr nach der Hauptstadt abfuhr.

Die Reise von Dover nach London wurde mit der gewöhnlichen Schnelligkeit gemacht. Die Reisenden kamen, fast ohne sich aufzuhalten, durch Canterbury und Rochester, und noch an demselben Tage langten sie in London an.

Die Baroness war von ihrem Schmerze zu sehr ergriffen, um auf das zu merken, was um sie her vorging; aber die Marquise war entzückt. Sie sah Livreen, Wappen, Puder, Sachen, die sie seit zwei oder drei Jahren nicht mehr in Frankreich gesehen hatte, und sie fand nun, daß London die schönste Stadt der Welt, und die Engländer das größte Volk der Erde seien.

Die beiden Reisenden stiegen in einem Hotel in Golden-Square ab, welches ihnen Madame Ambron bezeichnet hatte; es lag nur ein Paar hundert Schritte von der Regents-Street; die Baronin schickte sogleich einen Brief an die Herzogin de Lorges, um sie von ihrer Ankunft in Kenntnis zu setzen.

Noch an demselben Abende kam die Herzogin de Lorges herbei. Die Baroness und sie waren sehr intim, und die Herzogin bot ihr ihre Dienste für den Fall an, daß sie in London bleiben wolle.

Allein das war die Absicht der Frau von Marsilly nicht; sie wollte, während sie in der Fremde sich aufhalten würde, das zurückgezogenste Leben führen; sie bat daher die Herzogin bloß, ihr zu sagen, ob sie nicht ein kleines niedliches Dorf kenne, welches für sie als Aufenthalt geeignet sei; damit sie sich ganz der Erziehung ihres Kindes widmen könne. Die Herzogin benannte ihr Hendon, als einen jener angenehmen Aufenthaltsorte, die mit der Nähe der Hauptstadt die Einsamkeit des Landlebens verbinden, und die Baronin gelobte sich, übermorgen das kleine Paradies zu besuchen, welches ihr die Freundin empfahl.

Am folgenden Tage stattete die Baroness und die Marquise der Herzogin ihren Gegenbesuch ab. Die erste Sorge der Baronin war, sich nach Madame Duval zu erkundigen, indem sie, wie man sich erinnern wird, allein der Sorgsamkeit des Mannes derselben zu verdanken hatte, daß sie und ihre Mutter in Boulogne anlangten, ohne auf irgend eine Weise beunruhigt worden zu sein. Die Herzogin ließ sie rufen und einige Augenblicke später trat Madame Duval ein, von ihrem Sohne, einem charmanten Kinde von sechs Jahren begleitet, welchen man sogleich der kleinen Cäcilie zum Spielgenossen gab. Nachdem die Baroness der Madame Duval erzählt hatte, welche Verpflichtungen sie gegen ihren Mann habe, entledigte sie sich der Aufträge desselben an sie. Die gute Frau hörte mit einer wahrhaften Dankbarkeit jedes ihrer Worte an; es waren mehr als drei Monate, seit sie keine Nachricht von ihrem Manne erhalten hatte, der es nicht wagte, seine Briefe der Post anzuvertrauen und sie ihr nur durch Gelegenheiten schicken konnte, welche von Tag zu Tag seltener wurden. Übrigens hatten seit drei Monaten die Niedermetzlungen vom 10. August und vom 2. und 3. September Statt gehabt und die von Nachrichten beraubte, gute Frau wußte nicht, ob er nicht unter der Zahl der Schlachtopfer sei.

Als sie dieses erfuhr, rief sie ihr Kind herbei und dieses kam, die kleine Cäcilie unter den Armen haltend.

»Heinrich«sagte sie, »bitte die Frau Baronin um Erlaubniß, ihr die Hand küssen zu dürfen und danke ihr aus dem Grund Deines Herzens; denn sie hat mich so eben versichert, daß Du noch einen Vater hast.«

»Und wo ist mein Vater?«fragte die kleine Cäcilie, »wo ist er, Mutter?«

Die arme Frau zerfloß in Thränen, nahm dann die beiden Kinder in ihre Arme und umschloss sie so, zu großem Verdrusse der Marquise zu gleicher Zeit.

Am Abende erhielt die Baroness einen Brief von der Herzogin, in welchem diese ihr ankündigte, daß sie nicht zugeben könne, daß sie allein nach Hendon gehe, daß sie vielmehr morgen ihren Wagen nehmen und mit ihr das kleine Dorf besuchen wolle, welches zu ihrer Residenz bestimmt sei.

Am andern Morgen um zehn Uhr war die Herzogin wirklich bei der Baroness, diese und die kleine Cäcilie waren bereit; allein die Marquise hatte ihre Toilette noch nicht vollendet.

Von London nach Hendon sind nur einige Stunden, man gelangte daher in zwei Stunden dahin. Die Baroness war von diesem ruhigen und bescheidenen Anblick der kleinen englischen Häuser entzückt. Eine Frau von einfachem Geschmack, und innerlichen Genüssen huldigend, hatte sie überhaupt seit dem Tode ihres Mannes die Abgeschiedenheit und Einsamkeit in einem dieser Häuser geträumt, wie sie jetzt bei jedem Schritte an der Straße vor ihr standen. Es schien ihr, daß in solchen Wohnungen das Leben immer glücklich, oder wenigstens immer ruhig sein müsse.

Man langte zu Hendon an; es war so, wie es die Herzogin geschildert hatte, eines jener reizenden englischen Dörfer, wie man sie nicht in Holland und Belgien leicht findet. Die Baroness zog Erkundigungen ein, ob eines von den schönen Häusern, welche sie sah, zu mieten sei, und man bezeichnete ihr fünf oder sechs, welche ihr nach den erhaltenen Mitteilungen vollkommen genügend sein konnten.

Die Baroness hatte eine so große Eile, eine dieser niedlichen Wohnungen zu beziehen, daß sie sich sogleich auf den Weg machte, und bei dem ersten, welches sie sah, stehen bleiben wollte.

Allein die Herzogin war mit der inneren Einrichtung dieser kleinen Wohnungen mehr bekannt, und versicherte sie, daß sie noch viel schönere finden würde, als die, welche sie für ein Wunder hielt. Dieser Versicherung glaubend, setzte Frau von Marsilly ihren Weg fort.

Nachdem sie sechs oder sieben gesehen hatte, kamen sie in eine so reizende, daß die Herzogin selbst gestehen mußte, es würde schwer sein, eine bessere zu finden, und man fragte nun nach dem Preise. Frau von Marsilly konnte noch an demselben Tage einziehen, so gut schien sie ihr, und man forderte die Summe von achtzig Pfund Sterling jährlich.

Es war ein kleines Haus von zwei Stockwerken, weiß mit grünen Läden, der Länge derselben nach lief ein Gitterwerk von derselben Farbe hin, ganz besetzt mit Rankengewächsen, deren breite Blätter die verschiedensten Nuancen des schönsten Purpurs in diesem Augenblicke zeigten.

Zur Fassade dieses Hauses gelangte man durch einen kleinen Hof auf dessen beiden Seiten sich Blumenhügel erhoben. Drei Staffeln führten zu einer Thüre von derselben Farbe, wie die Fensterläden, und in der Mitte derselben prangte ein Hammer von Kupfer, der poliert war und glänzte, wie wenn er von Gold wäre. Wenn man durch diese Thüre eingetreten war, befand man sich in einem Korridor, der durch das ganze Haus sich hinzog, um auf der andern Seite in einen kleinen niedlichen Garten zu führen, der ungefähr einen halben Morgen groß, und, wie man es nur in England sieht, mit einem grünen Grasplatz und einer rund herum führenden Allee versehen war, in welcher sich von Zeit zu Zeit große Akazien, Judasbäume, und spanische Flieder befanden. Im Hintergrunde war es ein ländliches Kabinett mit einem Tische und vier Stühlen, ein kleiner Bach, welcher über Felsen en miniatur herunter plätscherte, an deren Ende er ein kleines Bassin bildete, in welches die Mittagssonne nicht eindringen konnte.

Das Innere dieses Hauses war sehr einfach.

Vier Thüren führten in den Korridor des Erdgeschoßes. Nämlich die des Speisesaals, die des Salons, die eines Schlafzimmers und die eines Arbeitskabinetts.

Der Speisesaal und der Salon standen mit einander in Verbindung, ebenso das Schlafzimmer und das Arbeitskabinett.

Der erstere Stock hatte eine verschiedene Einteilung; die dahin führende Treppe ging in ein Vorzimmer, in welches sich drei Thüren öffneten, die in der Mitte war die Thüre eines niedlichen Salons, und von denen auf der Seite führt die eine in ein Schlafzimmer und die andere in ein Boudoir. Der obere Teil war der Dienerschaft vorbehalten und enthielt außer den Zimmern derselben eine Waschkammer.

Die Marquise fand wohl dieses Haus zu klein und zu dürftig, höchstens zu einem Absteigequartier geeignet; allein die Baroness sagte lachend zu ihr, daß man den Winter in London zubringen werde, und indem sie diese Versicherung wiederholte, nahm sie Frau von la Roche-Bertaud für Ernst und gab ihre Zustimmung zu der Wahl ihrer Tochter.

Aber die Wohnung war, wie man das leicht einsehen wird, durchaus nicht meublirt, man mußte alles kaufen oder alles miethen. Die Herzogin von Lorges und die Marquise von la Roche-Bertaud, welche ohne Unterlaß Frankreich, wie es dasselbe verdiene, durch die auswärtige Koalition gezüchtigt, die Emigrierten nach Paris zurückkehren, die legitimen Fürsten wieder auf ihre Throne gesetzt sahen, waren für eine einfache Miete; aber Frau von Marsilly, welche die Sache aus dem Grunde eines wirklichen Schmerzes und mithin aus einem viel positiveren Standpunkte betrachtete, berechnete, daß eine dreijährige Miethe einen Kauf aufwiege, und entschloss sich daher, daß man die Möbeln und alle übrigen nötigen Utensilien kaufen solle. Sie lud ihre Mutter ein, das Appartement sich auszusuchen, welches ihr gefalle, damit sie es ohne Zögerung und sobald als möglich nach ihrem Geschmack herrichten lassen könne. Die Marquise fand, daß das ganze Haus für sie und ihre Kleider nicht zu groß sei, sie sagte, daß sie in ihrem Schlosse zu Touraine Schränke habe, in welche sie diese Zimmer alle hineinstecken könne. Es mochte wahr sein; aber man war nicht zu Touraine, sondern in England; man mußte daher seinen Entschluss fassen und sich entscheiden. Nachdem die Marquise wohl zwanzigmal die Treppe hinauf und hinabgegangen war, nachdem sie alle Winkel und Ecken ihrer künftigen Wohnung gemustert, entschied sie sich für das Schlafzimmer und Kabinett im Erdgeschoss«.

 

Nachdem die Wahl getroffen war, kehrte man nach London zurück.

Da die Frau von Marsilly wünschte, sich so bald als möglich einzurichten, so schickte am folgenden Tage d«Herzogin ihren Tapezierer, um das Maß zu nehmen.

Die Baroness protestierte gegen diese aristokratische Manier und gestand der Herzogin offen, daß sich ihr ganzes Vermögen in diesem Augenblicke auf hundert tausend Franken, die Diamanten der Marquise mit einbegriffen, belaufe. Die Herzogin hatte aber erwidert, daß mit hundert tausend Franken und einiger Sparsamkeit Frau von Marsilly wohl fünf oder sechs Jahre warten könne, daß es aber immer evident sei, daß man diese Zeit nicht zu warten brauche, indem die Truppen der Alliierten kaum fünfzig Stunden von der Hauptstadt entfernt seien.

Überdies hatte man Pächter, Landgüter, Hilfsquellen, man würde Geld aus Frankreich beziehen.

Alle diese Gründe schienen der Herzogin und der Marquise so richtig, daß sie nicht begreifen konnten, warum sie die Baroness nicht auf der Stelle anerkenne. Die Baroness gab in einem Stücke nach, sie akzeptierte den Tapezierer, sie behielt sich aber den Ankauf der Möbeln vor.

Acht Tage später war das Landhaus bereit, seine Bewohner aufzunehmen; Alles war von außerordentlicher Einfachheit, aber von wunderbarem Geschmack und Nettigkeit. Übrigens hatte man Alles kaufen müssen: Weißzeug, Silbergeräthe, Möbel, Kleider u.s.w., so daß, wie ökonomisch auch die Baroness zu Werke ging, die Einrichtung zwanzigtausend Frank kostete.

Es war der fünfte Teil dessen, was sie besaß, es blieb ihr an barem Geld nicht mehr als die zehntausend Livre von Peter Durand, denn die weiteren sechzig oder achtzig tausend Frank an Diamanten gehörten, wie gesagt, der Marquise. Aber damit konnte man fünf oder sechs Jahre leben, und ungeachtet der Zweifel, welche das Unglück in dem Herzen der Frau von Marsilly wegen der Zukunft erregt hatte, konnte sie sich nicht enthalten, ganz leise zu wiederholen:

»In fünf oder sechs Jahren kann sich vieles ereignen.«

In der Tat waren diese fünf oder sechs Jahre bestimmt, die wichtigsten Ereignisse zu sehen.

Aber für den gegenwärtigen Augenblick haben wir uns mit unserem kleinen Landhaus und seinen zwei Bewohnerinnen zu beschäftigen.

VII.
Die Erziehung

Man wird leicht einsehen, daß die Marquise ihrer Tochter bei allen diesen Einrichtungen des Hauses durchaus nutzlos war; sie war daher die ganze Zeit hindurch bei der Herzogin de Lorges geblieben und diese hatte dafür Madame Duval gebeten, die möglichste Sorgfalt auf die Einrichtung ihrer Freundin zu wenden.

Madame Duval war, wie bereits erwähnt wurde, eine Engländerin von bürgerlicher Abkunft, aber von einer ausgezeichneten Erziehung, so daß sie sich der Professur hätte widmen können. Zu der Sympathie, welche ein gemeinschaftliches Unglück der Baronin für sie einflößte, trat die Dankbarkeit für tausend kleine ihr geleistete Dienste hinzu, und daraus ergab sich in fünf oder sechs Tagen, während welchen die beiden Frauen beisammen blieben und die Einrichtungen des Landhauses bewerkstelligten, eine gewisse Innigkeit zwischen Beiden, in welcher jedoch Madame Duval mit einem sicheren Takte stets die Entfernung beobachtete, welche die Sitte der Gesellschaft zwischen sie und der Baroness gestellt hatte.

Die beiden Kinder, welche von Allem dem noch nichts wußten, spielten inzwischen mit einander auf dem Nasen des Gartens oder auf dem Teppiche des Salons, bald liefen sie sich nach, oder gingen Hand in Hand in der den Garten umgebenden Allee.

Nach Verlauf von acht Tagen war Alles fertig; Madame Duval verpflichtete sich, für die Baroness eine Frau ausfindig zu machen, welche sowohl für die Küche als für das Hauswesen sorgen könne, und kehrte nach London zurück.

Den beiden Kindern verursachte diese Trennung viel Schmerz.

Am folgenden Tage langte die Herzogin de Lorges an und brachte in ihrem Wagen die Marquise de la Roche-Bertaud und eine französische Kammerfrau mit, welche die Marquise ausschließend für ihren Dienst angenommen hatte.

Die Baroness sah mit einiger Unruhe auf diesen Zuwachs der Dienerschaft, auf welchen sie nicht gerechnet hatte. Allein sie kannte die aristokratischen Gewohnheiten ihrer Mutter und da diese eine Bedienung notwendig hatte, so hielt sie es für grausam, die Marquise dieses Luxus zu berauben, sie, die schon so viele Opfer in ihrer Lage gebracht hatte.

Gewiß war diese Lage sehr unabhängig von dem Willen der Baronin. Frau von Marsilly war wie ihre Mutter an alle Bequemlichkeiten eines großen und eleganten Lebens gewöhnt, und sie hatte daher gleich ihrer Mutter die Beengung schmerzlich zu fühlen, welche sie in ihrer gegenwärtigen Lage, wenn sie diese mit ihrer früheren, reichern Stellung verglich, zu ertragen hatte; allein es gibt solche hingebende Charaktere, die immer sich selbst vergessen, um an andere zu denken. Frau von Marsilly war einer dieser Charaktere, erhoben durch den Schmerz, und ihre vorzüglichste Sorge war ihre Mutter.

Die kleine Cäcilie wußte noch nichts von den Ereignissen der Welt; Schmerz und Glück waren für sie leere Worte, die sie nur einem Echo gleich aussprach, ohne ihren Wert zu kennen und ohne noch einen Unterschied in dem Tone zu machen, mit welchem sie sie aussprach.

Sie war übrigens ein allerliebstes Mädchen von drei und einem halben Jahre, mit all' den bezaubernden Instinkten der weiblichen Natur den guten Eindrücken zulächelnd, wie eine Frühlingspflanze der Sonne, natürlich glücklich, und nichts als der mütterlichen Liebe bedürfend, um alle Tugenden in sich zu vereinigen.

Die Baronin, welche diese glücklichen Anlagen bemerkte, behielt sich allein die Sorge vor, sie zu entwickeln.

Diese Sorge wurde ihr übrigens gerne von der Marquise überlassen, obgleich auch sie ihre Enkelin liebte. Auf den ersten Blick hatte sie für weniger geübte Augen den Anschein, sie mehr zu lieben, als sie ihre Tochter liebte. Sie rief sie von einem Ende des Zimmers in das andere; sie ließ sie sich aus dem Garten bringen, um sie leidenschaftlich zu umarmen, aber wenn das Kind zehn Minuten bei ihr war, genierte es sie, und sie schickte es zu ihrer Mutter zurück. Die fünfundvierzig Jahre alte Marquise liebte Cäcilien, wie das Kind seine Puppe, das heißt, um mit ihr die Mutter zu spielen. Cäcilie war für sie nicht, was sie für ihre Mutter war, ein Bedürfnis bei Tag und bei Nacht, sie war ihr bloß eine Zerstreuung auf einige Augenblicke. In einem Momente des Enthusiasmus hätte die Marquise für ihre Enkelin das Leben hingegeben, aber sie hätte sich so wenig für ihre Enkelin, als für irgend Jemand in der Welt, eine Entbehrung von acht Tagen auferlegt.

In den ersten Tagen erhob sich eine ernste Erörterung zwischen der Baroness und ihrer Mutter über Cäciliens Erziehung.

Die Marquise wollte eine glänzende Erziehung in allem dem Range würdig, zu welchem ihre Enkelin in der Welt berufen werden würde, wenn der König an seinen Feinden sich rächen und seinen Thron wieder besteigen würde, der Baroness nicht nur ihre verlorenen Güter zurückgab, sondern ihr auch seinen Dank durch Vergrößerung ihres Vermögens erstattete. Sie verlangte daher, daß Cäcilien ein Sprachmeister, ein Tanz- und ein Zeichenmeister gegeben werden müsse.

Die Baroness war dagegen einer ganz verschiedenen Ansicht; als eine Frau von Geist und Verstand betrachtete sie die Sachen aus ihrem Gesichtspunkte. Der König und die Königin waren Gefangene, sie und ihre Mutter waren Verbannte, die Zukunft schien ihr ziemlich ungewiss und mehr mit düsteren Dünsten, als mit goldenen Scheinen versehen, und für diese Zukunft mußte man Cäcilie erziehen. Daher schien ihr eine Erziehung, welche eine einfache Frau aus ihr machen würde, die ohne Bedürfnisse und mit Wenigem zufrieden war, die beste zu sein, welche man ihr in diesem Augenblicke geben könne, und die dann immer noch die Freiheit gestattete, wenn die Zeiten sich andern und besser werden würden, auf den vortrefflichen Grund, welcher gelegt worden war, eine glänzendere Erziehung zu bauen.

Überdies war, um dem Mädchen Lehrer im Tanzen, im Zeichnen und in den Sprachen zu geben, das Vermögen erforderlich, welches man gehabt hatte, und nicht das, welches man gegenwärtig besaß. Wohl machte die Marquise das Anerbieten, einen Teil ihrer Diamanten die er Erziehung zu weihen; aber die Baroness, welche viel weiter sah, und ihr für ihre Liebe zu ihrer Enkelin, eine Liebe, die sie fortriss, das zu opfern, was ihr das Teuerste auf der Welt war, aus dem Grunde des Herzens dankte, bat sie, diese Hilfsquelle der äußersten Roth vorzubehalten, einer Roth, die, wenn die Sachen in Frankreich so fort«gen, nicht ermangeln würde, sich empfinden zu lassen.

Indem sie sich mit dieser Erziehung allein belastete, konnte die Baroness Cäcilien die ersten Grundzüge aller Künste und Alles einem jungen Mädchen notwendigen Wissens beibringen, und ferner, indem sie sie ganz unter mütterlicher Aufsicht entwickelte, den vortrefflichen Instinkten zu Hilfe kommen, welche die Natur in dieses junge Herz gelegt hatte, sie konnte da«für sorgen, daß die schlimmen Grundsätze, welche fremder Einfluss herbeiführen könnte, in ihrem Geiste nie zu wurzeln vermochten.

Die Marquise, welche nicht gerne stritt, gab bald den überzeugenden Gründen der Baroness nach, und Frau von Marsilly sah sich, in Folge der stillschweigenden Einwilligung ihrer Mutter, Herrin der Erziehung Cäciliens.

Sie ging auch sogleich an's Werk. Große und heilige Seelen finden eine Linderung ihres Schmerzes in der Erfüllung ihrer Pflichten. Der Schmerz der Baronin war tief, aber süß war die Pflicht, die sie sich auferlegt hatte. Die Baroness traf eine gehörige Einteilung der Zeit; sie war überzeugt, daß ein Kind die ersten Elemente dessen, was eine Frau wissen muß, spielend lernen könne. Sie bot Cäcilien die Arbeit unter dem Gesichtspunkte eines Spieles dar, und das Kind gab sich derselben um so lieber hin, weil ihm alle seine Arbeit durch die Mutter vorgezeichnet war, und weil es seine Mutter anbetete.

So war denn der Morgen dem Lesen, dem Schreiben und dem Zeichnen gewidmet, der Nachmittag der Musik und dem Spaziergange.

Diese verschiedene Übungen des Geistes und des Körpers waren durch drei Ruhestunden unterbrochen, nach welchen der Salon des Erdgeschosses für eine kürzere oder längere Zeit ein Ort der Versammlung wurde.

Nach Verfluß einiger Zeit hörte die Marquise auf, bei dem Frühstücke zu erscheinen. Dieses, welches um zehn Uhr Morgens statt fand; störte sie zu sehr in ihren Gewohnheiten. Die Marquise war dreißig Jahr lang in ihrem Leben zwischen elf Uhr und Nachmittag aufgestanden und sie hatte sich nicht ein einziges Mal in ihrem Leben Jemand von Stand, auch nicht einmal ihrem verstorbenen Manne ohne ihren Puder und ohne ihre Schönpflästerchen gezeigt. Es war also für sie viel zu unbequem, sich dieser neuen Lebensweise zu unterwerfen, sie nahm sich daher von derselben aus, und wie in ihrem Hotel in der Rue de Verneuil, brachte man ihr den Chocolad vor ihr Bett.

Die Baronin brachte ihre Zeit mit den Sorgen für das Hauswesen und die Erziehung ihrer Tochter zu. Die Marquise, welche weder eine Erzieherin, noch eine Haushälterin war, verbrachte die ihrige, in dem Zimmer eingeschlossen, mit dem Lesen der Erzählungen Marmontel's und der Romane Crébillon's, des Sohnes, während Mademoiselle Aspasia, dies war der Name der französischen Kammerfrau, die, so wie sie ihre Gebieterin angekleidet war, nichts mehr zu tun hatte, neben ihr stickte oder nähte, und, zum Range einer Gesellschaftsdame erhoben, durch ihre Unterhaltung die Zwischenräume ausfüllte, welche zwischen den verschiedenen Lektüren der Marquise lagen.

 

Die Marquise hatte wohl versucht, Verbindungen mit einigen ihrer Nachbarn auf dem Lande anzuknüpfen, aber die Baronin hatte, indem sie ihr in dieser Beziehung alle Freiheit ließ, erklärt, daß sie, was ihre Person betreffe, isoliert leben werde.

So verging der Winter. Das Innere dieser kleinen, durch die Baroness geregelten Familie, war auch nicht ein einziges Mal außer der Ordnung gekommen; nur brachte hie und da die Marquise eine kleine Unordnung in die Verwendung der Zeit, aber Alles kam sogleich wieder durch den festen Willen der Baroness in seinen gewohnten Gang.

Indessen wurden die Nachrichten aus Frankreich für die Emigrierten immer trauriger. Ein Tag, schrecklicher als alle vergangenen Tage, ein Tag, vor welchem der zehnte August und der zweite September erblichen, hatte sich nicht bloß für Frankreich, vielmehr für ganz Europa erhoben, es war der ein und zwanzigste Januar. Der Schlag war für die arme einsame Familie schrecklich. Der Tod des Königs ging dem der Königin voran. Das letzte Band zwischen der Revolution und dem Königreiche, und vielleicht sogar zwischen Frankreich und der Monarchie war zerrissen. Die Marquise wollte an diese blutige Neuigkeit nicht glauben, anders aber war es bei der Baroness, welche die Zukunft von der düsteren Seite betrachtet hatte, weil sie sie von Seite ihrer Trauer ansah. Das Unglück gewöhnt sich an das Unglück, es glaubt an Alles und dennoch glaubt es nichts als Wahrheit.

Als die kleine Cäcilie ihre Mutter weinen sah, wie sie sie vor sechs Monaten weinen gesehen hatte fragte sie:

»Hat denn der Vater geschrieben, daß er nicht mehr zurückkommen würde?«

Die schrecklichen Ereignisse, welche sich setzt in Frankreich folgten, änderten in dem gewöhnlichen Leben der Baroness Nichts, die Tränen ausgenommen, die sie ihr kosteten. Die kleine Cäcilie wuchs fast sichtlich und gleich den Blumen in dem Garten, sie schien bereit mit dem Frühling zu blühen.

Es waren die ersten Tage des Frühlings in der Tat wiedergekommen, und Alles rings um das Haus her hatte einen festlichen Anblick angenommen; der Garten blühte auf, die Rosenstöcke bedeckten sich mit Blättern und mit, Knöpfen, die Flieder singen an, ihre purpurnen, blühenden Trauben zu zeigen, die Akazien schaukelten im Winde ihre duftenden Zweige, der Bach, welchen das Eis des Winters in seinem unterirdischen Lauf zurückgedrängt hatte, erschien noch ganz von Frost zitternd; es gab bis an das Haus Nichts, was nicht vermöge dieser sprossenden Blüten ein lebendiges Ansehen, ein Aussehen der Jugend und der Freude, welches der Winter geraubt hatte, angenommen hätte.

Es war auch eine Epoche des Glücks für die kleine Cäcilie. Während des ganzen Winters, diesem düstern, traurigen, kalten und regnerischen Winter von London, hatte sie ihre Mutter mit der größten Sorgfalt eingeschlossen gehalten, und das Kind, an das Leben von Paris und an die Erfordernisse in dem Hotel der Straße Verneuil gewöhnt, hatte keinen großen Unterschied zwischen diesem Winter und dem vorigen gesehen, welch letzteren sie vielleicht schon vergessen hatte. Aber als sie den Frühling kommen sah, diesen in Paris unbekannten Gast, als sie ihn fast mit der Hand erreichen konnte, Alles entstehen, Alles sich beleben, Alles blühen sah, da wurde ihre Freude groß, und alle Zeit, welche sie nicht auf ihre Studien verwenden mußte, brachte sie im Garten zu.

Ihre Mutter ließ sie gewahren, sie zeigte ihr den Himmel, der sich nach lind nach von seinem Nebelschleier befreite, und wenn ein Strahl der Sonne durch irgend einen Riss der Wolken brach und dieser den Azur des Firmamentes sehen ließ, sagte sie der kleinen Cäcilie, daß dieser Sonnenstrahl der Blick Gottes sei, der sich auf die Erde hefte, und daß dieser göttliche Blick die Welt blühen mache.

Was die Marquise betraf, so gab es für sie weder Frühling noch Winter. Sie stand immer um elf ein halb Uhr auf, nahm ihre Chocolade im Bette zu sich, kleidete sich an, ließ sich frisieren und pudern, die Schönpflästerchen auflegen und las wohl zum zwanzigsten Mal die Erzählungen Marmontel's und die Romane Crébillon's, deren Schönheiten sie mit Mademoiselle Aspasia zergliederte.

Die Baronesse betete für ihren Mann und für den König, welche tot waren, für die Königin und den Dauphin, welche dem Tod entgegengingen.

Von Zeit, zu Zeit hörte man sagen, daß die republikanischen Armeen bedeutende Siege erfochten haben, und die Namen Fleurus und Valmy ertönten bis in das Innerste des kleinen Landhauses.