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Capitän Richard

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Der Marschall Lauriston soll nun nach Petersburg gehen. Lauriston geht zuerst in das Lager Kutusow’s, um von dem alten General einen Paß zu erhalten. Seine Vollmacht ist jedoch nicht so ausgedehnt, man will den Grafen Wolsonicki nach Petersburg schicken, und Kutusow meint, es komme aufs Gleiche heraus.

Er hat vollkommen Recht, denn weder Wolsonicki, noch Lauriston noch Caulaincourt werden eine Antwort bringen. Der Winter brachte sie; er traf am 14. October ein. Der erste Schnee ist eine Warnung, die Napoleon endlich versteht: er gibt Befehl, alle Zierrathen, die dem französischen Heere als Trophäen dienen können, aus den Kirchen zu nehmen. Das Invalidenhotel wird auch bedacht: auf seinem Dome soll das goldene Kreuz prangen, das auf der Hauptkuppel des Kreml glänzt.

Ohne das verhängnißvolle, die Treulosigkeit der Glücksgöttin anzeigende Wort Rückzug zu nennen, wird die Division Claparède sammt den Trophäen des Feldzugs und allen transportablen Verwundeten und Kranken nach Moschaisk »abgeschickt.« Die Kranken und Verwundeten, welche die Anstrengungen der Reise nicht ertragen können, werden im Findelhause zurückgelassen. In diesem Hause der Schmerzen liegen übrigens eben so viele Russen als Franzosen. Die Wundärzte, welche sie alle, ohne Unterschied der Nation, gepflegt haben, sollen bei ihnen bleiben.

Plötzlich hört man den Kanonendonner, der übrigens gar nicht aufgehört hat, in geringerer Entfernung von Moskau. Napoleon, der eben im Hofe des Kreml die unter Ney’s Befehl stehenden Truppen mustert, stellt sich, als ob er gar nichts hörte. Niemand wagte es, ihm die Schreckenskunde zu bringen. Abends endlich begibt sich Duroc in das Gemach des Kaisers und meidet ihm, daß Kutusow den König von Neapel zu Winkowo angegriffen, das Murat’sche Corps umgangen und ihm den Rückzug abgeschnitten, zwölf Kanonen, zwanzig Pulverkarren und dreißig Gepäckwagen genommen habe. Viertausend Mann sind theils todt theils verwundet. Zwei Generale sind geblieben. Murat selbst ist verwundet, und nur den größten Anstrengungen Poniatowski’s, Claparède’s und Latour-Maubourg’s ist es gelungen, eine völlige Niederlage zu verhüten.

Dies hatte Napoleon erwartet; er brauchte einen Vorwand, um Moskau zu verlassen, und diesen Vorwand hat er gefunden: die Scharte mußte ausgewetzt, Kutusow gezüchtigt werden.

In der Nacht des 18. rückt das Heer aus, und am 19. verläßt Napoleon selbst die heilige Stadt, indem er die Hand gegen Kaluga ausstreckt und sagt: »Wehe denen, die mir in den Weg kommen!«

Die Franzosen waren 35 Tage in Moskau geblieben; als sie die Stadt verließen, zählten sie l40,000 Mann, 50,000 Pferde, 500 Kanonen, 2000 Artilleriefuhrwerke, 4000 Pulverwagen, Kaleschen und Gepäckwagen aller Art.

Vier Tage später, in der Nacht vom 22. zum 23. October, gegen ein Uhr erzitterte der Boden von einer heftigen Explosion wie bei einem Erdbeben, und ein dumpfer Knall erfüllte die Luft. Die in der Umgebung des Kaisers wachenden Offiziere sprangen erschrocken auf, die Ursache dieser gewaltigen Erschütterung war ihnen im ersten Augenblicke unbegreiflich, man war ja schon drei Tagemärsche von Moskau.

Duroc trat in das Zimmer Napoleons, der sich in vollen Kleidern aufs Bett geworfen hatte. Der Kaiser schlief nicht; er sah sich um, als er Duroc kommen hörte.

»Haben Sie gehört, Sire?« fragte Duroc.

»Ja,« antwortete Napoleon.

»Was sagen Ew. Majestät dazu?«

»Es ist nichts . . . der Kreml fliegt in die Luft.«

Dann wandte er sich mit dem Gesicht wieder gegen die Wand. Duroc entfernte sich.

XIII.
Im gewöhnlichen Schritt

Am 19. November, gerade einen Monat nachdem Napoleon Moskau verlassen hatte, marschirte eine vier- bis fünftausend Mann starke französische Colonne mit etwa zwölf Kanonen zwischen Korinthya und Kalowa, eine Tagereise diesseits Smolensk

Dreihundert Reiter marschirten zu beiden Seiten der langen dunkeln Heersäule. Sie hatten sich zu Smolensk mit unerhörten Anstrengungen den übrigen Truppen zugesellt; sie gehörten verschiedenen Waffengattungen an, und was aus den Regimentern, selbst aus den Armeecorps, zu denen sie gehörten, geworden war, wußte Niemand. Man hätte antworten können: was im nächsten Frühjahr aus dem Schnee werden wird, auf welchem die Truppen setzt marschiren.

Napoleon, der diesem Truppencorps um drei Tagemärsche voraus war, kam in dem Augenblicke, wo wir auf diese elenden Ueberreste der herrlichen Armee einen Blick werfen, nach Orscha an der Spitze von 6000 Mann der alten Garbe, die früher 35,000 Mann stark gewesen war. Der Prinz Eugen hatte von seinen 42,000 Mann nur noch 1800 und die 4000 Soldaten, die Davoust bei sich hatte, waren der Ueberrest von 70,000.

Dies waren die Truppen, die Napoleon, mit einem Stock in der Hand vorangehend, um selbst ein Beispiel von Muth und Ausdauer zu geben, noch immer die »große Armee« nannte.

Als Napoleon am 14. November Smolensk verließ, beschloß er, daß Eugen, Davoust und Ney nicht zugleich, sondern einer nach dem andern abmarschiren sollten: – er selbst zuerst, dann Eugen, der Dritte sollte Davoust und Ney der Letzte seyn. Ueberdies sollte zwischen jedem Abmarsch ein Tag verfließen. Napoleon marschirte daher am 14., Eugen:am 15., Davoust am 16., Ney am l7.

Ney hatte überdies den Befehl, die Zapfen der zurückzulassenden Kanonen absägen und die Munition vernichten zu lassen, alle Nachzügler vor sich her zu treiben und die Stadtwälle an vier Stellen zu sprengen.

Ney hatte diese Befehle pünktlich vollzogen und rückte nun auf der Straße vor, die von drei Truppenkörpern schon ruinirt worden war. Die 6000 Gardisten Napoleons, die 1800 Soldaten Eugens, die 4000 Streiter Davoust’s waren freilich keine Armeen; aber es waren Leute, die dreißig Tage auf dem Rückzuge durch die Schneewüste mit Noth und Mangel gekämpft hatten, und von denen jeder nur so viel Mannszucht beobachtete, wie er mit seiner Selbsterhaltung verwendbar hielt.

Diese Ueberreste der vier Divisionen, welche Ney im Anfange des Feldzugs befehligt hatte, marschirten nun, auf 4- bis 5000 Bajonnete und etwa 300 Reiter zusammengeschmolzen, zwischen Korinthya und Kalowa.

Plötzlich halten die voranmarschirenden Reiter an und betrachten den Erdboden. Ney eilt zuerst herbei und erkennt sogleich was ihre Aufmerksamkeit fesselt: es sind die noch frischen Spuren eines Schlachtfeldes. Der Schnee ist mit Blut bedeckt, mit zerbrochenen Waffen und verstümmelten Leichen übersät. Die Todten, die in langen Reihen liegen, zeigen dadurch an, daß Sie in Reihe und Glied gestanden, bevor die mörderischen Kugeln sie ereilt hatten.

Einer der Reiter, der unter einem schwarzen Bärenfell die Ueberreste einer Jägeroffiziersuniform verbirgt, springt vom Pferde.

»Hier hat das Armeecorps des Prinzen Eugen gekämpft,« sagt er; »hier sieht man auf den zertrümmerten Czakos noch die Nummern der Regimenter.«

Er geht mit angstvoller Spannung an den Reihen der Gefallenen hin, die wie abgemähte Aehren auf einem Kornfelde liegen. Aber er sucht vergebens, die Todten liegen zu Tausenden da. Die Nacht bricht an, man kann sich nicht länger aufhalten.

Der Kampf hat wahrscheinlich den vorigen Tag in den Morgenstunden stattgefunden, denn kein Verwundeter antwortet auf den Ruf der Ankommenden. Die Nacht ist über das Schlachtfeld dahingezogen, und bei dreißig Grad Kälte bringt eine Nacht ohne Feuer den Tod. Es ist daher Alles still und regungslos auf dem weiten Leichenfelde.

Die Armee ist hier vorübergezogen, es war also der rechte Weg. Man marschirte noch zwei Stunden, dann wurde Halt gemacht. Es mußte Feuer gemacht werden, denn die Soldaten mußten unter freiem Himmel übernachten. Ein solcher Bivouac auf der unabsehbaren Schneewüste war etwas Furchtbares. Viele Soldaten zerstreuten sich in verschiedenen Richtungen, um Brennmaterial und Lebensmittel herbeizuholen, und man wunderte sich jeden Abend, daß so Wenige zurückkamen: Einige waren erfroren, Andere unter den Lanzen der Kosaken gefallen oder als Gefangene fortgeschleppt worden.«

Diesen Abend brauchte man nicht weit zu suchen: ein Tannenwald lieferte Brennholz, die gefallenen Pferde lieferten Fleisch. Man hatte Smolensk erst Tags zuvor verlassen,und der Brotvorrath war noch nicht erschöpft

Der Offizier, der vom Pferde gestiegen war und unter den Todten gesucht hatte, war einer der Ersten, die sich wieder auf das Schlachtfeld begaben. Aber mit Einbruch der Nacht war eine Schaar Wölfe herbeigekommen, und man mußte sie vertreiben. Glücklicherweise fressen die Raubthiere am liebsten Menschenfleisch, die Pferde waren daher ziemlich unberührt geblieben und lieferten den vorbeimarschirenden Truppen eine reichliche Mahlzeit.

Man zündete die Feuer an und stellte die Schildwachen auf; bis auf das Geheul der Wölfe hatte man eine ziemlich ruhige Nacht.

Am andern Morgen bei Tagesanbruch gab der Marschall das Zeichen zum Abmarsch. Er war ein Feuergeist in einem eisernen Körper und immer der Letzte, der sich niederlegte, der Erste, der wieder wach war.

Wie gewöhnlich waren einige hundert Mann an den halb erloschenen und rauchenden Feuern liegen geblieben; sie waren im Schlafe in eine todesähnliche Erstarrung versunken, und beim Erwachen schien es ihnen kürzer und minder schmerzhaft, vollends zu sterben, als wieder ins Leben zurückzukehren.

Die Colonne marschirte weiter. Es hatte in der Nacht geschneit und schneite noch; man ging aufs Gerathewohl fort über die Schneewüste. An der Spitze der Colonne ritten Ney, der General Ricard und zwei oder drei Generale. Eine kleine Schaar eilt ihnen voraus; es ist keine Vorhut, sondern eine aus verschiedenen Waffengattungen zusammengelaufene Truppe, die ungeduldiger ist, als die übrigen.

Plötzlich bemerkt der Marschall Ney eine sonderbare Bewegung. Die voraneilende Schaar hält an, die Vordersten weichen zurück und nöthigen dadurch auch die Andern zum Stillstehen.

 

Ney setzt sein Pferd in Galopp und fragt sie was vorgeht. Die Soldaten zeigen ihrem General durch eine lichte Stelle des Tannenwaldes, in welchem sie sich befinden, die ganz mit Russen bedeckten nahen Berge. Man war gerade auf die Flanke der Kutusow’schen Armee losmarschirt, und diese achtzig-tausend Mann starke Armee verfolgte das Truppencorps, welches Napoleon bei sich führte. Man hatte sie nicht gesehen, weil es schneite und weil man mit gesenktem Kopf marschirte; aber die Rassen beobachten von den Höhen, auf denen sie sich befinden, seit einer Stunde den Marsch der kleinen Colonne, die sich unbesonnener Weise selbst überliefert und die man nur zu erwarten braucht. Denn der große Halbkreis, den die russische Armee bildet, braucht nur seine beiden äußersten Enden zusammen zu ziehen, und Ney’s fünf-bis sechstausend Mann werden gefangen, wie in einem ungeheueren Amphitheater.

Der Marschall Ney gibt Befehl, die Waffen schußfertig zu machen.

In demselben Augenblick sieht man einen Offizier gerade auf die Franzosen zukommen. Er ist in einen Mantel gehüllt und daher in der Ferne an seiner Uniform nicht zuerkennen. Es ist aller Wahrscheinlichkeit nach ein Parlamentär.

Man wartet. Fünfzig Schritte von den vordersten Reihen schwenkt er seinen Hut . . . es ist nicht nur ein Parlamentär, sondern ein Franzose.

Während das Wort: »ein Franzose! . . . ein Franzose!« schnell die Reihen durchläuft, treibt der Jägeroffizier, der die auf dem gestern berührten Schlachtfelde Gefallenen als Soldaten des Prinzen Eugen erkannt hat, sein Pferd an, steigt rasch ab und sinkt dem Parlamentär in die Arme.

Die beiden Offiziere wechseln einige Worte.

»Paul! . . . Ludwig! . . . Lieber Bruder!«

Beide haben einander unter den Todten gesucht, umso größer ist nun ihre Freude, daß sie sich lebend wiederfinden.

Unterdessen haben sich die voranreitenden Generale genähert, und der Parlamentär wird mit Fragen bestürmt. Der junge Offizier, der von den Höhen herabgekommen ist, erklärt nun den Zweck seiner Sendung. Er ist Capitän und Ordonnanzoffizier des Prinzen Eugen und vor zwei Tagen in derselben Schlacht, deren Schauplatz die letzte Colonne berührt hat, in Gefangenschaft gerathen. Der alte russische Feldmarschall hat den Marschall Ney erkannt und läßt ihn nun auffordern sich zu ergeben.

»Und Sie, ein Franzose, haben diese Botschaft übernommen?« sagte Ney zu dem jungen Offizier.

»Lassen Sie mich ausreden, Herr Marschall,« erwiederte der letztere. »Ich will zuerst die Worte des russischen Feldmarschalls wiederholen und dann die meinigen hinzufügen. Er würde es nicht wagen, sagte er, einem so großen Heerführer und berühmten Krieger einen so verletzenden Antrag zu machen, wenn ihm noch ein Rettungsmittel übrigbliebe; aber es stehen achtzigtausend Russen mit hundert Kanonen vor ihm, und er hat einen französischen Offizier an ihn abgeschickt, weil er in dessen Wort vielleicht mehr Vertrauen setzt als in das Wort eines russischen Offiziers.«

»Es ist gut,« erwiederte Ney; »Sie haben die Bestellung ausgerichtet, jetzt sagen Sie was Sie selbst hinzuzusetzen haben.«

»Ich setze hinzu, »Herr Marschall, daß dem Prinzen Eugen vorgestern derselbe Antrag gemacht wurde, und der Prinz antwortete mit einem Bajonnetangriff seiner sechstausend Mann gegen achtzigtausend Russen.«

»Das läßt sich hören,« sagte Ney; »jetzt fangen Sie an französisch zu sprechen.«

»Wenn wir mit Miloradowitsch zu thun hätten, so würde ich sagen: wir sind verloren, wir wollen mit einander sterben; aber wir haben gegen Kutusow zu kämpfen, wir werden ein Drittheil, vielleicht die Hälfte unserer Leute verlieren, aber wir werden entkommen.«

»Es ist gut,« erwiderte Ney; »gehen Sie wieder hinüber und sagen Sie dem Feldmarschall, was Sie ihm gleich hätten sagen sollen: ein Marschall von Frankreich weiß zu sterben, aber nicht sich zu ergeben!«

»Ich habe es ihm gesagt,« antwortete der junge Offizier gelassen. – Dann wandte er sich zu seinem Bruder:«

»Paul gib mir irgend eine Waffe, womit ich mich mitten im Getümmel meiner Hüter entledigen und den Weg zur Flucht bahnen kann.«

Der Jägeroffizier zog unter seinem Bärenfell einen langen damascirten Dolch hervor und reichte ihn seinem Bruder.

»Hier, nimm diesen Dolch,« sagte er, »ich erwarte Dich.«

Der junge Ordonnanzoffizier salutirte und begab sich wieder zu den Russen.

Der Marschall Ney benutzte diese kurze Frist, um alle seine Leute zu versammeln. Auf der einen Seite standen achtzigtausend Russen in vollzähligen Reihen, mit prächtiger Reiterei, mit furchtbarer Artillerie und in einer höchst vortheilhaften Stellung; – auf der andern sechstausend Soldaten von allen Waffengattungen, von Kälte und Hunger ermattet in der Schneewüste umherirrend . . . Und diese sechstausend Mann sollen jene achtzigtausend angreifen!

Ney gibt das Zeichen. – Das Vordertreffen bilden fünfzehnhundert Soldaten, die von der Division Ricard übriggeblieben sind. Der General Ricard soll mit seiner Handvoll Leute angreifen und den Menschenwall durchbrechen. In diese Bresche will Ney mit den übrigen Trümmern seines Armeecorps dringen.

Sobald Ricard gegen die Russen verrückt, beginnen die zuvor kalten und lautlosen Hügel zu donnern und Feuer zu speien, wie Vulkane. Der General erklimmt mit seinen fünfzehnhundert Mann den Hügel, den er vor sich hat. Die kleine Schaar findet einen Hohlweg, arbeitet sich durch den tiefen Schnee, und wird von den russischen Linientruppen zurückgeworfen. Aber Ney ist schon mitten unter ihnen, er sammelt sie wieder und dringt an ihrer Spitze vor, nachdem er vierhundert Illyriern, unter denen sich der Jägeroffizier befindet, den Befehl gegeben der feindlichen Armee in die Flanke zu fallen.

Das scheint Tollkühnheit, fast Wahnsinn! Vierhundert Mann fallen einem Heere von achtzigtausend in die Flanke, ein Mann gegen zweihundertfünfzig! . . . Es war wirklich so, und es war nicht beispiellos in jenen abenteuerlichen Kriegen. Mit seinen dreitausend Mann erstürmt Ney die lebende Citadelle, und mit seinen vierhundert Illyriern fällt der Capitän Paul Richard der russischen Armee in die Flanke.

Ney hat seine Soldaten nicht angesprochen, er hat kein Wort gesagt; er hat sich an ihre Spitze gestellt und ist vorgedrungen. Alle sind ihm gefolgt.

Die erste Linie wird mit dem Bajonnet angegriffen und zurückgeworfen; die zweite steht zweihundert Schritte zurück.

»Vorwärts!« ruft Ney.

Aber bevor man diese zweite Linie erreichen kann,schleudern dreißig Kanonen von beiden Seiten den Tod in die Reihen der Anstürmenden; die Colonne, in drei Stücke zerrissen, wie eine Schlange, wankt und weicht, ihren Marschall mit sich fortreißend, gegen den Hohlweg zurück. Man hatte das Unmögliche versucht.

»Zurück, im gewöhnlichen Schritt!« ruft der Marschall.

»Hört Ihr wohl, Soldaten: im gewöhnlichen Schritt!« ruft der General Ricard; »der Marschall sagt: im gewöhnlichen Schritt!«

Die Soldaten ziehen sich im gewöhnlichen Schritt zurück, marschiren durch den mit Schnee gefüllten Hohlweg, und kommen wieder an die Stelle, wo sie ursprünglich gestanden. Aber von den fünftausend Mann, die den Angriff gemacht, sind nur zweitausend zurückgekommen. Die vierhundert Illyrier hingegen kommen zahlreicher, als sie fortgezogen waren, den Hügel wieder herab; sie haben eine fünftausend Mann starke russische Colonne mit dreihundert Gefangenen – Franzosen, Deutschen, Polen – auf der Höhe angetroffen. Das Häuflein hat die Colonne angegriffen; jeder Gefangene hat einen Russen ergriffen, und nach seinem Kampfe von wenigen Minuten ist die Colonne zurückgewichen, die Gefangenen sind befreit worden, und die beiden Brüder haben sich wieder gefunden.

Die kleine Schaar sieht nun, wie sich die zweitausend Mann des Marschalls unter dem Feuer der Geschütze zurückziehen und wieder in Reihe und Glied stellen. Der Capitän Richard gibt Befehl, sich mit der Colonne zu vereinigen. – Was wollen die braven Krieger thun? Quarré formieren und sterben!

Aber die Gefangenen kommen an. Sie kennen den alten Feldmarschall Kutusow. Er hat Napoleon und Eugen durchgelassen, und wird auch Ney durchlassen. Man braucht nur einen Umweg zu machen. Kutusow wird den Feind nicht verfolgen; er verläßt sich auf den russischen Winter. Der Winter ist nach seiner Meinung ein rascherer, gefährlicherer Feind als die Kanonenkugel. Der Winter, sagt er, ist mein Obergeneral, ich bin nur sein Unterbefehlshaber.

In diesem Augenblicke fängt es wieder an zu schneien der Rückzug ist im Schneegestöber leichter auszuführen.

Ney besinnt sich eine kleine Weile und gibt Befehl, sich wieder gegen Smolensk zurückzuziehen.

Alle hören den Befehl schweigend an. Man soll also wieder gegen Norden marschiren und Napoleon den Rücken kehren!

»Gegen Smolensk, und im gewöhnlichen Schritt!« wiederholt Ney.

Seine Soldaten merken nun, daß der Marschall einen Plan hat; wahrscheinlich will er die Colonne retten.

Man setzt sich unter dem Kartätschenhagel von fünfzig Geschützen in Marsch; aber der Feind schickt ihnen nur Kartätschen nach. Die Prophezeiung der Gefangenen geht in Erfüllung. Kutusow, der nordische Fabius, ist auf dem Hügel geblieben Ein einziges russisches Corps durfte nur in die Ebene rücken und angreifen, und Ney war mit seiner kleinen Schaar verloren. Aber der Obergeneral gab keinen Befehl dazu, und die ganze Armee blieb in ihrer Stellung.

Inzwischen donnerten die Geschütze immer fort; der Kartätschenhagel fiel fast eben so dicht wie der Schnee, der die Artilleristen zwang, aufs Gerathewohl zu zielen. Die zum Tode Getroffenen fielen und blieben im Schnee liegen; die Verwundeten fielen auch, standen wieder auf, schleppten sich eine Weile fort, sanken von Neuem nieder, machten wieder einen Versuch sich aufzurichten, aber nach und nach machte es der Schnee mit ihnen wie er es mit den Todten gemacht hatte: er bedeckte sie mit dem unermeßlich großen Leichentuche, das der russische Winter wob, um den Hochmuth Frankreichs zu begraben.

Hier und da entstanden auf der Landstraße kleine Erhöhungen, die anfangs stark geröthet, nach und nach ganz weiß wurden. Diese Erhöhungen waren die Todten, welche die Armee zurückließ.

So gings im dichten Schneegestöber weiter. Plötzlich stieß man auf eine dichte, dunkle Masse. Es war eine russissche Colonne.

»Halt! wer sevd Ihr?« rief der General, der diese Colonne befehligte.

»Feuer!« sagte der Marschall.,

»Still!« sagte ein Pole, den man eben aus der Gefangenschaft befreit hatte.

Dann trat er vor und sagte in russischer Sprache: »Erkennet Ihr uns denn nicht? Wir sind von Uwarow’s Corps; wir umgehen die Franzosen, die in der Schlucht gefangen sind.«

Der russische General begnügte sich mit dieser Antwort und ließ die französische Colonne durch; so dicht war das Schneegestöber und so groß die durch den Kartätschenhagel verursachte Verwirrung. Die Franzosen machten erst zwei Meilen von da auf dem Schlachtfelde des Prinzen Eugen Halt.

Sie waren nun außer der Schußweite der russischen Kanonen und außer dem Gesichtskreise des Feldmarschalls.