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Capitän Richard

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XI.
Die Hinrichtung

Am folgenden Tage gegen Abend verbreitete sich das Gerücht, der Marschall Berthier habe in Abwesenheit des inzwischen abgereisten Kaisers ein Kriegsgericht eingesetzt, und Friedrich Staps sey zum Tode verurtheilt worden.

Der Angeklagte hatte Alles gestanden und nicht den mindesten Versuch gemacht, die Anklage zu entkräften. Als er seine Verurtheilung vernommen, hatte er weder um Gnade noch um Aufschub gebeten. Er hatte nur, als er wieder in seinem Gefängniß war, den Wunsch ausgesprochen, den rapportirenden Lieutenant, einen jungen Jägeroffizier Namens Paul Richard, vor der Hinrichtung zu sprechen.

Dann hatte er gebetet und seinen Hüter ersucht, ihn eine Stunde vor der Hinrichtung zu wecken, und als Belohnung für die Mühe, die er ihm machte, hatte er ihm seine ganze aus vier Friedrichsdor bestehende Baarschaft geschenkt.

Darauf hatte er sich zur Ruhe begeben, ein Miniaturbild aus der Brusttasche gezogen, dasselbe zu wiederholten Malen zärtlich geküßt und war endlich eingeschlafen.

Um sechs Uhr Früh trat der Schließer in sein Zimmer und weckte ihn. Staps schlug lächelnd die Augen auf, dankte dem Manne für seine Pünktlichkeit, kleidete sich so nett an, wie es sein Reiseanzug erlaubte, und kämmte zumal sein schönes Haar mit ungemeiner Sorgfalt. Als man ihn fragte, was er zum Frühstück wünsche, antwortete er:;»Ich glaube, eine Tasse Milch wird genug seyn.«

Als er die Tasse eben geleert hatte, erschien der junge Offizier, den er Abends zuvor um einen Besuch hatte bitten lassen.

Der Jägerlieutenant war gerade nicht befangen, aber es schien ihm keineswegs angenehm zu seyn, daß die Wahl des Verurtheilten auf ihn gefallen war.

»Ich danke Ihnen,« sagte Staps, »daß Sie so gütig sind, meiner Einladung Folge zu leisten; ich habe Sie um eine Gefälligkeit zu bitten.«

»Ich bin bereit, sie Ihnen zu erweisen,« antwortete der junge Offizier.»Herr Lieutenant, es ist nicht das erste Mal. daß wir uns sehen.«

»Es ist wahr, und ich bedaure, daß mich der Zufall zum Berichterstatter in Ihrer Angelegenheit gemacht hat.«

»Ich meine nicht blos die drei Sitzungen des Kriegsgerichts, in denen ich erschienen bin . . . wir haben uns schon früher gesehen . . .«

»Das ist möglich, aber ich habe ganz vergessen, wann und wo.«

»Die Sache ist ganz einfach: ich war maskirt und Sie nicht.«

»Wie!« sagte Paul Richard stutzend: »es war also in den Ruinen von Abensberg!«

»Ja wohl, und Sie glaubten damals in derselben Lage zu seyn, in der ich mich jetzt befinde.«

»Leider ist hier Wirklichkeit, was dort nur Blendwerk war,« erwiederte der Lieutenant.

»Aber Sie wußten nicht, daß es ein Blendwerk war, und Sie haben sich brav gehalten, Capitän Richard, und man hatte vollkommen Recht, Ihnen an jenem Abende den Namen Richard Löwenherz zu geben.«

Der junge Offizier erblaßte. »Wissen Sie warum ich dort war?« fragte er.

»Nein, Herr Lieutenant; aber ich weiß, daß ein Soldat an seinen Befehl gebunden ist, wie ein Ehrenmann an sein Wort. Das Uebrige ist mir ziemlich gleichgültig . . . Ich erkannte Ihr Gesicht und dachte: alle kühnen und muthigen Männer sind Brüder; Du hast hier einen Bruder gefunden, Staps, und kannst ihn ohne Bedenken um einen letzten Dienst bitten.«

»Sie haben sich nicht getäuscht, ich bin bereit Alles für Sie zu thun, was sich mit meiner Dienstpflicht verträgt.«

»O, fürchten Sie nichts,« antwortete der Gefangene, »ich habe Sie um nichts zu bitten was Ihre Stellung gefährden könnte.«

»Reden Sie,« sagte der Offizier.

»Ich liebte ein Mädchen,« fuhr der Gefangene fort; »ohne die Ereignisse, die in jüngster Zeit stattgefunden, würde ich die Braut heimgeführt haben; ihr Vater und der meinige waren Freunde, unsere Heirath war beschlossen. . .«

»Aber da traten Sie in den Tugendbund,« erwiederte der junge Offizier; »Sie wurden durch’s Loos gewählt, den Kaiser zu ermorden, und seitdem waren alle Ihre Liebeshoffnungen verschwunden . . . Fahren Sie fort.«

»Ja, ich weiß, die Minuten sind gezählt . . . Fürchten Sie nichts, ich werde nicht auf mich warten lassen.«

Der Offizier nickte, um zu erkennen zu geben, daß er davon überzeugt sey.

»Sie wissen,« fuhr Staps fort, »daß man ein Porträt bei mir gefunden hat.«

»Ja, ich weiß es.«

»Ich habe gebeten, mir dieses Porträt bis zum Tode zu lassen.«

»Und man hat Ihnen diese Bitte ohne Bedenken gewährt.«

»Dieses Porträt,« setzte der Gefangene hinzu, »wird auf meinem Herzen ruhen, wenn ich sterbe.«

»Wünschen Sie mit dem Porträt begraben zu werden?«

»Nein, ich wünsche, daß ein Freund es nach meinem Tode zu sich nehme; nachdem er mir versprochen, es einst meiner Braut zu übergeben und ihr zu sagen, wie ich gestorben bin, und vor Allem, daß sie mein letzter Gedanke gewesen.«

»Sie wohnt in Baiern?«

»Nein, in Folge eines schrecklichen Ereignisses hat sie mit ihrem Vater ihre Heimat verlassen und wohnt jetzt im Badischen, in dem Dorfe Hensberg. Dort werden Sie sie finden.«

»Gut; Sie werden mir also vor Ihrem Ende das Porträt übergeben?«

»Ich habe Ihnen gesagt, daß ich es bis nach meinem Tode auf dem Herzen zu tragen wünsche. Nehmen Sie es daher zu sich, wenn ich todt bin.«

»Wie heißt Ihre Braut?«

»Der Name steht hinter dem Porträt.«

»Ist dies Alles?«

»Nein . . . ich habe Sie noch um einen Freundschaftsdienst zu bitten. Ich wünsche nicht mit einem gemeinen Mörder verwechselt zu werden. Wenn Sie das Porträt von meiner Brust genommen haben, machen Sie meine rechte Hand auf, Sie werden darin ein Papier finden, und dieses Papier theilen Sie den Offizieren mit, die mich als Mitglieder des Kriegsraths verurtheilt haben.«

»Auch dieser Wunsch soll erfüllt werden . . . Ist dies Alles?«

»Ja . . .«

»Dann bleibt mir nichts übrig, als Ihnen die Hand zureichen und guten Muth zu wünschen.«

»Ich nehme Hand und Wunsch an, obschon der Wunsch, wie Sie bald sehen werden, mindestens überflüssig ist . . .Wo werde ich Sie wieder finden?«

»Auf dem Hinrichtungsplatz.«

»Also auf der Esplanade?«

»Ja.«

Der junge Offizier und der Gefangene drückten einander noch einmal die Hand, und der Offizier entfernte sich.

Das Militärgefängniß in welchem Staps saß, war auf der Esplanade. Die Hinrichtung sollte um acht Uhr stattfinden; es war sieben Uhr, und die Esplanade war mit Neugierigen angefüllt.

Diese Menschenmenge bestand theils aus Franzosen, theils aus Wienern.

Als Paul Richard aus dem Arresthause kam, wurde er umringt und mit Fragen bestürmt. Paul antwortete, der Gefangene habe ihn wieder erkannt, weil er ihn schon in Abensberg gesehen, und habe ihn rufen lassen, um ihm seinen letzten Willen mitzutheilen.

»Er soll also wirklich diesen Morgen erschossen werden?« fragte ein Capitän, der in dem Kriegsgericht gesessen hatte.

»Ja, Herr Capitän; Sie wissen ja, daß die Urtheile der Kriegsgerichte ohne Aufschub vollzogen werden.«

»Ja, aber ich weiß auch, daß der Oberst dem Gefangenen sagen ließ, er könne an den Marschall Berthier ein Gnadengesuch richten, und der Oberst sagte mir nach der Ablesung des Urtheils, daß der Fürst von Neuchâtel für diesen Fall die ausgedehnteste Vollmacht vom Kaiser erhalten habe.«

»Er hat von der ihm zugestandenen Begünstigung keinen Gebrauch gemacht,« erwiederte Paul Richard.

»Und wird auch keinen Gebrauch davon machen?« fragten mehre Stimmen.

»Nein, ich glaube, daß der Unglückliche aus einem Grunde, den nur Gott kennt, den Tod wünscht.«

Es schlug acht. – Die Thür that sich auf. Ein Sergent erschien mit vier Mann, hinter ihnen der Verurtheilte.

Er hatte Rock und Weste im Gefängniß gelassen; seine ganze Bekleidung bestand aus Hemd, Beinkleid und Stiefeln. Sein Gesicht war blaß, aber ruhig; er zeigte weder geckenhafte Prahlerei noch Zaghaftigkeit. Man sah, es war ein Mann, der zum Tode geführt wurde. Er wußte wohin erging und gab gelassen sein junges Leben hin. Das Verbrechen, das ihn zum Tode führte, hatte er vielleicht aus Schwärmerei begangen; aber im Angesicht des Todes war dieses fieberische, überspannte Gefühl einem unerschütterlichen Entschlusse gewichen, den man in den leichten Stirnfalten zwischen den Augenbraunen und in dem Ausdruck seines schönen, fast lächelnden Mundes sehen konnte.

Hinter ihm kamen sechs Mann.

Kaum war er aus dem Hause getreten, so schaute er sich nach allen Seiten um, und er bemerkte den Lieutenant Paul Richard, dessen Blick ihm zu sagen schien: »Hier bin ich,Sie sehen, daß ich Wort halte.«

Dann nickte er ihm zu, und die leichte Spur von Unruhe, die eine Secunde auf seinem Gesicht zu sehen war, verschwand gänzlich. Er ging weiter.

Plötzlich hörte man Kanonendonner.

»Was ist das?« fragte der Verurtheilte.

»Der Friede ist diese Nacht unterzeichnet worden, und die Kanonen verkünden es.«

»Der Friede?« fragte der Gefangene. »Ist das wirklich wahr?«

»Allerdings,« antwortete man ihm.

»Dann,« sagte er, lassen Sie mich Gott danken.«

»Wofür?«

»Daß er Deutschland die Ruhe wieder gibt.«

Der junge Mann ließ sich auf ein Knie nieder und sprach zwischen den Soldaten ein kurzes Gebet.

Als er wieder aufstand, eilte Richard herbei und drang durch die Bajonnete, die den Verurtheilten umgaben.

»Aendert diese Kunde etwas an Ihren Anordnungen?«fragte er ihn.

»Wozu diese Frage, Herr Lieutenant?«

»Wenn Sie etwa ein Gnadengesuch . . .«

Staps unterbrach ihn.

»Sie wissen,« sagte er, »welchen Freundschaftsdienst ich von Ihnen erwarte?«

»Ja . . .«!

»Sind Sie noch bereit, Ihr Versprechen zu halten?«

»Allerdings.«

»Dann reichen Sie mir die Hand.«

Richard reichte ihm die Hand.

Staps nahm einen Gegenstand; den er in der rechten Hand hielt, in die linke, und drückte dem jungen Offizier herzlich die Hand.

 

Alles dies geschah ohne die mindeste Prahlerei und mit derselben Ruhe, die Richard bis dahin an ihm bemerkt hatte.

Dann gings weiter. – Von dem Arresthause bis zu der Stelle, wo die Hinrichtung stattfinden sollte, waren etwa dreihundert Schritte. Dieser Weg wurde in zehn Minuten zurückgelegt Während dieser Zeit fiel jede Minute ein Kanonenschuß. Staps konnte sich überzeugen, daß man ihn nicht getäuscht hatte, die Regelmäßigkeit der Kanonenschüsse zeigte an, daß eine große Feier begangen wurde. .

Endlich machte die Escorte Halt.

»Ist es hier?« fragte Staps.

»Ja,« antwortete der Sergent

»Steht es mir frei, mich zu wenden nach welcher Seite ich will?«

Der Sergent verstand ihn nicht recht. Richard näherte sich wieder. Staps wiederholte seine Frage, die Richard dem Sergenten erklärte. Der Verurtheilte wünschte mit dem Gesicht nach Westen, d. i. nach Bensberg gewendet, zu sterben.

Die Bitte wurde ihm gewährt.

»Herr Lieutenant,« sagte Staps zu Richard, »ich weiß, daß ich viel verlange; ich bin nicht Soldat und will nicht selbst Feuer commandiren, aber ich wünsche, daß die einzige befreundete Stimme, die ich hier vernehmen kann, das Todeswort ausspreche.«

Richard sah den Sergenten an.

»Thun Sie es, Capitän,« sagte dieser.

Richard nickte dem Verurtheilten zu.

»Jetzt bin ich bereit,« sagte Staps.

Ein Soldat trat mit einem Tuch auf ihn zu.

»O, Herr Lieutenant,« sagte Staps, »halten Sie es für nöthig?«

Der Lieutenant Richard gab dem Soldaten einen Wink; der Mann mit dem Schnupftuch trat zurück.

Dann commandirte Richard mit derselben festen Stimme,wie früher in den Burgruinen von Abensberg:

»Achtung!«

Man hörte mitten in der tiefen Stille, die auf dem Glacis herrschte, das Rasseln der Gewehre.«

»Gewehr in Arm!«

In der Ferne fiel ein Kanonenschuß.

»Präsentirt das Gewehr!«

»Legt an!«.

Der Lieutenant schien zu zögern, und Staps selbst rief mit fester Stimme: »Feuer!«

Die Soldaten gehorchten . . . Die Schüsse trachten, und Friedrich Staps sank, von acht Kugeln getroffen, zu Boden.

Der Lieutenant Richard hatte sich abgewandt. Als er den vor einer Minute noch lebenden und nun zur Leiche gewordenen Jüngling ansah, hielt dieser die linke Hand auf die Brust gedrückt und die rechte fest geschlossen.

Er trat auf den Leichnam zu und sagte zu der Mannschaft: »Dieser Unglückliche hat mich beauftragt, seinen letzten Willen zu vollziehen . . . er trägt auf der Brust ein Porträt, in der Hand ein Papier.«

Die Soldaten traten ehrerbietig zurück.

Richard hob den Todten auf, knöpfte das Hemd auf, bemerkte eine dünne Haarkette und zog sie hervor. An dieser Haarkette hing ein Medaillon.

Der Lieutenant suchte etwas zögernd das Porträt.,

»Margarethe Blum!« rief er, wie vom Donner gerührt. »O, ich ahnte es wohl!«

Dann riß er hastig die rechte Hand des Todten auf und nahm ein Papier heraus.

Dieses Papier enthielt nur die vier Worte:

»Ich begnadige ihn.

»Napoleon.«

»Ach! der unglückliche!« sagte Paul Richard; »er wollte sterben . . . Und ich,« setzte er mit tiefem Schmerz hinzu, »ich bin die Ursache seines Todes! . . .«

XII.
1812. Der Rückzug

Am 14. September 1812 sah Napoleon auf der Höhe des Heilsberges die Kuppeln der alten moskowitischen Metropole im hellsten Sonnenschein glänzen, und die ganze Armee, die in der Schlacht an der Moskwa sehr beträchtlich gelitten hatte, aber immer noch 90,000 Mann stark war, klatschte jubelnd in die Hände und rief: Moskau! Moskau! – wie sie vierzehn Jahre zuvor in Egypten gerufen hatte: Die Pyramiden! die Pyramiden!

An demselben Abende war Napoleon in dem verödeten Moskau. Als die Gallier unter ihrem tapfern Führer. Dem die lateinischen Geschichtschreiber den Namen Brennus beilegten, das Capitol eroberten, fanden sie wenigstens die Senatoren auf ihren curulischen Stühlen sitzend; sie fanden doch wenigstens einige Menschen, an denen sie ihren Muth kühlen konnten. Anders war’s in Moskau; man fand nur die französischen Kaufleute, die den Siegern ganz erschrocken die sonderbare Kunde brachten: Moskau ist menschenleer!

In derselben Nacht wurde Napoleon durch Feuerlärm nicht geweckt, denn er schlief nicht, sondern überrascht. Er trat an ein Fenster des Kreml, welches die Aussicht auf die Stadt darbot. Der Palast Trubetzkoi stand in Flammen.

Anfangs schrieb er die Feuersbrunst einer Unvorsichtigkeit zu; er glaubte, Mortier halte schlechte Mannszucht im Heere; er wähnte, ein betrunkener Soldat habe aus Fahrlässigkeit den Palast angezündet, und befahl den Thäter aufzusuchen und aus der Stelle zu erschießen; aber man erwiederte, die Sache sey ganz anders zugegangen: um Mitternacht habe sich eine feurige Kugel auf den Palast niedergelassen,und daher komme nicht nur die Feuersbrunst, sondern auch das Signal.

Es war wirklich ein verabredetes Zeichen, denn fast zu gleicher Zeit brach das Feuer an drei anderen Punkten der Stadt aus.

Napoleon zweifelte noch; aber es gingen rasch nach einander die bedenklichsten Berichte ein, das Feuer brach im Börsengebäude aus und man hatte Polizeileute gesehen, die es mit überteerten Stangen schürten.

In zwanzig, dreißig, hundert Häusern, die in verschiedenen Stadttheilen standen, flogen Bomben und Granaten auf, die in Oefen versteckt waren und beim Heizen der letzteren die französischen Soldaten tödteten oder verwundeten und die Feuersbrunst immer weiter verbreiteten.

Noch mehr; Schaaren von Randgesindel zogen mit brennenden Fackeln durch die Straßen der Stadt und verbreiteten den Brand mit trunkener Wuth, oder vielleicht mit der höchsten patriotischen Begeisterung. Der Anblick der Franzosen machte sie nur noch wüthender, die Drohungen steigerten nur ihre Erbitterung: es war unmöglich, ihnen die Fackeln zu entreißen, man mußte sie niederhauen.

Napoleon hörte alle diese Berichte mit dem größten Erstaunen an, er mochte noch nicht daran glauben, er leugnete die Wirklichkeit, er zweifelte wo kein Zweifel mehr möglich war, et ging in den Prunkgemächern auf und ab und sagte mit Ingrimm:

»Die Elenden! die Barbaren! . . .«

Der anbrechende Tag war minder hell als die Nacht; denn die Nacht war durch die Flammen erhellt, der Tag durch den Rauch verdunkelt.

Napoleon konnte sich an dem Schauspiel nicht satt sehen, er ging von einem Fenster zum andern und rief: »Löschet das Feuer! . . . Mein Gott! so löschet doch!«

Zum zweiten Male war seine Stimme, die über Menschen so viel vermochte, machtlos, als er den Elementen gebieten wollte. Am Tage der Schlacht bei Esling hatte er, auf seine Gewalt trotzend, einen ähnlichen Ruf vernehmen lassen, als die schwellende Donau seine Brücken fortriß. Endlich hatte er den reißenden Strom bewältigt: ob er auch das Feuer bezwingen würde?

Nein, der Brand schien durch eine unsichtbare Kraft geschürt zu werden, und der große Flammenkreis zog sich immer enger und enger zusammen. Napoleon wurde von einem Feuermeer buchstäblich belagert; jedes Haus ist eine glühende Woge, und die furchtbare Flut wälzt sich immer näher heran und beginnt an die Mauern des Kreml zu schlagen.

So vergeht der Tag mit der Betrachtung des entsetzlichen Schauspieles; man drängt sich in die Gemächer des Kaisers, man bittet ihn, den Kreml zu verlassen; aber er hält sich an den Fensterstangen fest,. als ob er fürchtete, man werde ihn mit Gewalt fortschleppen. Die Nacht kommt, und der Brand ist so nahe gerückt, daß der Widerschein der Flammen auf dem Antlitz dieses von den Titanen belagerten Jupiter zusehen ist.

Alle, die einigen Einfluß auf ihn zu haben glauben, sind herbeigeeilt: der Fürst von Neuchâtel, sein Schwager Murat, sein Stiefsohn Eugen Beauharnais – Alle bitten, beschwören sie ihn. Er scheint taub, unempfindlich, stumm, alle seine Geistes- und Körperkräfte haben sich in den Augen vereinigt, der Gesichtssinn scheint allein noch thätig zu seyn. Mit verschränkten Armen, entblößtem Haupte, das Gesicht mit einer röthlichen Glut übergossen, steht er am Fenster und betrachtet die brennende Stadt. Ein Gemurmel geht von Mund zu Mund; jeder der Anwesenden schickt es weiter, damit es endlich den Kaiser erreiche.

»Der Kreml brennt!«

Diese Schreckenskunde genügt noch nicht. »Löschet das Feuer!« sagte der Kaiser.

Man gehorcht, das Feuer wird gelöscht. – Zehn Minuten nachher wogt dasselbe Gemurmel, noch drohender als zuvor, durch die Gemächer.

»Löschet das Feuer!« wiederholte Napoleon.

Aber zum dritten Male bricht es im Arsenal aus. Dieses Mal wird der Mordbrenner auf der That ergriffen und vor Napoleon geführt. Er ist ein Polizeisoldat.

Man nimmt ihn ins Verhör. Er hat seinen Befehlen gemäß gehandelt.

Von wem hat er diese Befehle erhalten?

Von seinem Vorgesetzten.

Von wem hat sein Vorgesetzter seine Befehle erhalten?

Von einem höhern Vorgesetzten.

Der Befehl ist also von oben gekommen, es ist also nicht der Fanatismus einiger Unholde, der die alte Metropole angezündet hat, sondern es wird ein höherer Befehl vollzogen, ein mit Umsicht entworfener Plan ausgeführt.

Napoleon zuckt die Achseln und schickt den Mordbrenner mit einer Geberde des Abscheues fort. Man führt ihn in einen Hof und ersticht ihn mit Bajonneten. Er stirbt lachend und in russischer Sprache furchtbare Drohungen ausstoßend.

Ein Pole, der diese Drohungen verstanden hat, eilt ganz bestürzt die Treppe hinauf und dringt bis in das Zimmer, wo sich Napoleon befindet.

»Der Kreml ist unterminirt,« sagt et; »die Russen hoffen den Kaiser und seinen ganzen Generalstab in die Luft zu sprengen!«

»Sire,« sagt Eugen Beauharnais, »man kämpft wohl gegen die Menschen, wie Cäsar und Alexander, man kämpft wohl gegen die Götter, wie Diomedes und Achill, aber gegen das Feuer kann man nicht kämpfen!«

»Gut, wir wollen aufbrechen,« sagt Napoleon, der sich endlich entschließt; »wo ist die nördliche Treppe?«

Die Thüren thun sich rasch auf; die Guiden, welche den Ordonnanzdienst hatten, eilen voraus, um den Weg zu zeigen, und der ganze Zug verläßt die alte Czarenburg auf der durch die Niedermetzelung der Strelitzen berühmt gewordenen nördlichen Treppe.

»Wohin wollen Sie Ihr Hauptquartier verlegen,« Sire?« fragte Berthier.

»Auf die Petersburger Landstraße,« antwortete Napoleon, »in das kaiserliche Schloß Petrowski.«

Er will also den Rückzug nicht antreten, trotz der entsetzlichen Feuersbrunst, trotz der drohenden Mine, trotz dem Vulkane, der sich zu seinen Füßen aufgethan! – er will nicht nach Frankreich, sondern noch eine Meile weiter auf der Petersburger Straße marschiren!

Es fragte sich nur, ob Petrowski zu erreichen war. Man hatte sehr lange gewartet; gestern war man noch von dem immer näher rückenden Brande belagert, heute wird man vom Feuer blockiert.

Durch einen in Felsen gehauenen schmalen Gang erreicht man eine Seitenpforte und verläßt endlich den Kreml.

Aber außerhalb des Kreml ist man den Flammen nur noch näher; man befindet sich mitten in einem unabsehbaren Feuermeer, aus welchem dichte Rauchwolken aufsteigen; die Straßen sind kaum noch sichtbar, die glühende Luft ist erstickend.

Man stürzte sich aufs Gerathewohl in einen offenen Raum, der einer Straße noch am meisten ähnlich war. Zum Glück war’s wirklich eine Straße, aber sie war eng, krumm, auf beiden Seiten brennend.:

Der Kaiser ging zu Fuß, von etwa zwanzig Personen umgeben, rasch fort. Seine Begleiter schwenkten unablässig die Hüte, um die Luft etwas abzukühlen. Er ging zwischen Murat und Eugen Beauharnais. Berthier folgte ihm, wie überall, als der treue Vollstrecker seines Willens, aber ohne eigene Gedanken, ohne selbstständigen Willen.«

Man ging zwischen zwei brennenden Mauern, unter einem Flammendach, auf glühender Erde. Brennende Balken fielen rechts und links von den Häusern herab, das geschmolzene Blei floß, wie das Regenwasser im Gewitter, von den Dächern. Die im Winde wogenden Flammen versengten die Federbüsche der Offiziere und wirbelten dann wieder hoch zum Himmel empor.«

Man mußte einen Ausweg finden, oder ersticken . . . Noch fünf Minuten, und kein Mensch kam mehr lebend aus dieser Hölle. Man wollte umkehren, aber die Häuser stürzten ein, und der Rückzug wurde durch eine brennende Barricade abgeschnitten

»Vorwärts! . . . Vorwärts!« rief Murat.

»Vorwärts!« rief der Prinz Eugen.

»Vorwärts!« sagte Napoleon selbst.

Aber die Vorangehenden hielten die Hände vors Gesicht und riefen:

»Es ist unmöglich, wir sehen nichts mehr . . . das Feuer versperrt uns den Weg.«

 

»Hierher, Sire . . . kommen Sie hierher!« rief eine Stimme mitten in einer Rauchwolke.

Ein junger Offizier von etwa dreißig Jahren, auf dessen bleichem Gesicht ein noch nicht geheilter Säbelhieb zu sehen war, erschien zur Linken des Kaisers.

»Führen Sie uns,« sagte Napoleon.

»Hierher, Sire,« wiederholte der junge Offizier.

Dann stürzte er sich wieder in den dicken Rauch und rief: »Folgen Sie mir, Sire . . . ich stehe für Alles!«

Napoleon hielt sein Schnupftuch auf den Mund, denn die Luft war glühend heiß geworden, man konnte kaum noch athmen.

»Hierher, Sire!« rief dieselbe Stimme.

Als man einige Schritte weiter vorgedrungen war, wurde die Hitze gelinder, der Rauch durchsichtig Man befand sich in einem schon Morgens niedergebrannten Stadttheile.

Ein General, der auf einer Sänfte getragen wurde, begegnete dem Kaiser. Es war der Marschall Davoust, der an der Moskwa verwundet worden war; er wollte sich in den Kreml tragen lassen, um Napoleon zum Fortgehen aus der verhängnißvollen Burg zu bewegen.

Der Marschall sank dem Kaiser in die Arme. Napoleon empfing ihn mit Dank, aber so ruhig, als ob er auf einem Spazirgange gewesen wäre.

Bald darauf begegnete man einer Reihe von Pulverkarren, die rasch durch die brennenden Straßen fuhren.

»Laßt den Kaiser durch!« rief der junge Offizier.

»Lassen Sie die Pulverwagen durch!« sagte der Kaiser; »bei einer Feuersbrunst,« setzte er lächelnd hinzu, »muß man vor Allem das Pulver in Sicherheit bringen.«

Ein Pulverwagen flog in die Luft. Die Begleiter des Kaisers drängten sich um ihn. Dann flog noch ein Pulverwagen, und wieder einer auf. Die Trümmer fielen wie ein Feuerregen nieder.

Es waren fünfzig Pulverwagen; man wartete bis sie vorbei waren und ging dann weiter.

Am Stadtthore fragte Napoleon den Marschall Davoust: »Ist unser Führer, der uns aus den Flammen gerettet, nicht der Lieutenant Richard, den Sie mir nach Donauwörth geschickt hatten?«

»Ja, Sire,« antwortete der Marschall, »aber er ist,jetzt Capitän.«

»Er muß noch höher steigen,« erwiederte Napoleon; »bei der nächsten Gelegenheit machen Sie ihn zum Bataillonschef, für jetzt ernenne ich ihn zum Offizier der Ehrenlegion . . . Geben Sie ihm Ihr Kreuz, Davoust.«

Der Marschall rief den jungen Offizier, nahm sein goldenes Kreuz ab und sagte zu ihm:

»Capitän Richard, dies habe ich Ihnen im Namen des Kaisers zu übergeben.«

Der Capitän Richard verneigte sich und Napoleon winkte ihm im Vorübergehen mit der Hand, womit er sagen wollte: Ich habe Dich erkannt, ich werde Dich nicht vergessen.

Der junge Offizier trat zurück, bereit, für den Kaiser ohne Murren das Leben zu lassen.

Am folgenden Morgen eilte Napoleon – er hatte in drei Nächten nichts geschlafen – ans Fenster, das die Aussicht auf die Stadt Moskau darbot.

Er hoffte das Feuer gelöscht, oder wenigstens einigermaßen beruhigt zu sehen; aber die ganze Stadt war ein Feuermeer, eine Rauchwolke.

Die alte Czarenstadt, zu der man aus so weiter Ferne und mit so vielen Gefahren sich den Weg gebahnt hatte, das große prächtige Moskau, das sich vor den Franzosen lange zurückzuziehen schien, wie die Luftspiegelungen der Wüste, was war es nun, als man es endlich erreicht hatte? Ein Schutthaufen! Nicht nur die Kriegsheere des Czaren, sondern auch seine Städte waren für den Feind unerreichbar geworden.

Was wird nun der Held von 1805, 1806 und 1809, der Mann des raschen Entschlusses thun? Wozu wird er sich entschließen der kühne Heerführer, der das Lager von Boulogne verließ, um die Schlacht von Austerlitz zu gewinnen; der die Tuilerien verließ und im Voraus den Tag bestimmte, an welchem er in Berlin einziehen wollte; der Spanien verließ, im raschen Lauf durch Frankreich eilte und erst in Wien rastete? Was will er thun? Er will gegen Petersburg marschiren. Er sagt es wenigstens.

Auf einem Tische ist die Landkarte ausgebreitet, die den Weg zu der zweiten Hauptstadt des Czarenreiches zeigt; aber auf einem andern Tische liegt eine andere Karte, auf welcher der Weg nach Paris zu sehen ist.

Napoleon will acht Tage warten, bevor er einen Entschluß faßt; sein Schreiben an den Kaiser Alexander ist soeben erst nach Petersburg abgegangen, und die Antwort kann erst in einer Woche eintreffen. Es ist erst der 19. September. das Wetter ist schön, man hat Zeit, einen Entschluß zu fassen.

Nach drei Tagen war die Stadt freilich in einen Schutthaufen verwandelt, aber die Feuersbrunst war gelöscht. Der Kreml war gerettet und wieder bewohnbar geworden. Napoleon begab sich in den Kreml zurück, und es schien ihm, als ob er Moskau zum zweiten Male eroberte. Von dort aus sah er das furchtbare Schauspiel einer hungernden Armee, welche die Trümmer einer niedergebrannten Stadt durchwühlte.

Während des dreitägigen Brandes von Moskau hatte Murat die Spur des General Kutusow, den er verfolgte, verloren, aber man sollte bald von ihm hören. Kutusow, der sich anfangs nach Osten zurück gezogen, hatte sich auf einmal nach Süden gewendet, und stand bereits zwischen Moskau und Kaluga. Napoleon gab Murat den Befehl, ihn zu verfolgen. Murat gehorchte; er traf mit dem Feinde am 29. September, und wieder am 11. October zusammen.

Die Kunde von zwei neuen Schlachten drohte Napoleons Hoffnungen zu vernichten. Diese Kunde kam unerwartet, wie man an einem heitern Sommertage zuweilen den Donner grollen hört, ohne am Himmel eine Wolke zu sehen. Abgesehen von seinem letzten österreichischen Feldzuge, hatte der Kaiser nach der Einnahme der Hauptstadt immer den Krieg beendet gesehen; warum sollte es in diesem Feldzuge anders seyn? warum sollte Moskau einen Vorzug haben vor anderen Hauptstädten?

Napoleon hatte in Russland ein noch nie dagewesenes furchtbares Hinderniß, oder vielmehr drei Hindernisse zu bekämpfen; ein dreifaches unheildrohendes Stillschweigen trat dem sieggewohnten Eroberer entgegen: das Stillschweigender Stadt Moskau, das Stillschweigen der umliegenden Wüstenei, das Stillschweigen Alexanders, der sich um Moskau gar nicht zu kümmern schien.

Napoleon zählt die Tage. Dieses Stillschweigen dauert schon elf ewig lange Tage; der Eroberer wird dadurch noch hartnäckiger, er will in Moskau überwintern. Er ernennt einen Gouverneur für die Hauptstadt des Czarenreichs, setzt Gemeindebehörden ein, ordnet die Herbeischaffung von Lebensmitteln an, Die Stadt soll ein großes verschanztes Lager werden; an Brot und Salz, den Hauptnahrungsmitteln,wird’s nicht fehlen; die Pferde, die man nicht ernähren kann, sollen geschlachtet und eingesalzen werden. Wenn’s an Wohnungen fehlt, sollen die Keller bezogen werden. Die ersten handelnden Personen sollen in Moskau dieselbe Rolle spielen, die sie einst in Dresden spielten. Fünf Monate verstreichen bald; im Frühjahr werden Verstärkungen kommen, ganz Lithauen wird sich den Franzosen anschließen und die Eroberung vollenden.

Aber was wird Paris sagen, das von seinem Kaiser und von dem 150,000 Mann starken Kriegsheere seit fünf Monaten keine Nachricht erhalten hat? Was werden die Preußen und Oesterreicher thun, die unzuverlässigen Verbündetem die jeden Augenblick wieder Feinde werden können? Nein, der Plan muß aufgegeben werden.

Ueberdies erwartet matt stündlich die Antwort des Kaisers Alexander; aber Alexander antwortet nicht.«

Am 3. October wird ein neuer Entschluß gefaßt: man will die noch stehenden Trümmer von Moskau vollends niederbrennen und über Twer nach Petersburg marschiren. Dort soll sich Macdonald mit dem Kaiser vereinigen; Davoust und Murat sollen die Nachhut bilden.

Eugen Beauharnais liest diesen neuen Plan vor. Die Generale, Marschälle, Prinzen, Könige sehen einander an, in ihren Blicken liegt die Frage, ob Napoleon wahnsinnig geworden sey.

Nein, sein Geist ist so klar, so gewaltig wie immer, aber die Glücksgöttin fängt an ihn zu verlassen. Vormals, wenn er einen Schritt zurückweichen mußte, sah er sie bei sich die launische Göttin, und stützte sich auf sie. Jetzt ist sie fort und sein Arm findet keine Stütze mehr.

Napoleon muß Frieden machen, der Friede ist unter den obwaltenden Umständen das dringendste Bedürfniß für ihn. Er läßt Caulaincourt kommen. Caulaincourt ist drei Jahre Gesandter am russischen Hofe gewesen und vom Kaiser Alexander als Freund behandelt worden, er wird gewiß günstige Bedingungen bei ihm erwirken.

Caulaincourt lehnt den Antrag ab: er kennt den Kaiser Alexander, er weiß, daß Napoleon von seinem Feinde keine Antwort erhalten wird, bevor er dessen Gebiet geräumt hat.