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Capitän Richard

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»Der Capitän Richard war also Ihr Bruder?« fragte Lieschen, die sich kaum zu fassen vermochte.

»Ja, mein theures Fräulein; wir waren Zwillingsbrüder, beide Offiziere, beide Capitäne, und einander so ähnlich, daß man uns nur an unseren verschiedenen Uniformen erkannte. Sie haben gesehen, daß mich der Brigadier Schlick, der meinen Bruder gekannt hat, so eben mit ihm verwechselte. Mein Bruder war der Schuldige, und mich hat er vor seinem Tode beauftragt, Sie in seinem Namen um Verzeihung zu bitten.«

»O Vater . . . Vater!« stammelte Lieschen und sank dem Greise zu Füßen.

Acht Tage nachher erhielt der Pastor Blum einen von Amsterdam datirten Brief, der nur folgende Worte enthielt:

»Kommen Sie sobald als möglich mit Lieschen hierher,mein theurer, verehrter Vater. Ich bin in Sicherheit.«

»Ludwig Richard.«

X.
August Wilhelm Schlegel

Im Jahre 1838 bereiste ich den Rhein, um daselbst die Volkssagen zu sammeln, die dem alten deutschen Flusse ein so poetisches Interesse geben. In Bonn, wo ich einige Tage verweilte, hatte ich die Ehre durch den Dichter Simrock dem bereits bejahrten Professor August Wilhelm Schlegel, dem intimen Freunde Göthes, Schiller’s und der Frau von Staël dargestellt zu werden.

Der berühmte Gelehrte war ein schöner Greis von siebzig Jahren, voll Jugendfeuer und Leben; er war vorzugsweise Kritiker und hatte sich keineswegs erschöpft, wie es bei einem Dichter oder Romanenschreiber, der immer aus sich selbst schöpfen muß, der Fall gewesen wäre.

Das Gespräch mit einem der ausgezeichnetsten Gelehrten Deutschlands führte natürlich auf den Hauptzweck meiner Reise, und ich bat ihn um Mittheilung der ihm zu Gebote stehenden Rheinsagen und Legenden.

»Was würden Sie sagen,« antwortete er, »wenn ich Ihnen statt einer deutschen eine französische Sage mittheilte?«

»Sie würde mir sehr willkommen seyn, wie Alles was Ihre gütige Hand mir spendete.«

»Ich wollte einen kleinen Roman, eine etwa fünfzig Seiten lange Novelle daraus machen; aber es kommen die Jahre, lieber Herr Dumas, wo man nicht mehr mit Gewißheit sagen kann, daß man noch Zeit bat, eine Novelle von fünfzig Seiten zu schreiben. Sie sind noch jung,« – ich war damals fünfunddreißig Jahre, also gerade halb so alt wie Schlegel – »Sie haben noch Zeit vor sich, Sie müssen aus meinen fünfzig Seiten einen zwei bis drei Bände starken Roman machen.«

»Mit Vergnügen,« erwiederte ich; »jede Mittheilung von Ihrer Hand ist mir schätzenswerth.«

»Aber unter einer Bedingung,« fuhr der jugendliche Greis fort. »Ich habe die betreffenden Personen gekannt und die beiden Hauptpersonen leben noch: Sie dürfen daher weder an ihren Charakteren, noch an den Ereignissen etwas ändern.«

»Gut, ich werde mich genau an Ihre Mittheilung halten.«

»Versprechen Sie mir’s?«

»Ja, mein Wort darauf.«

Es wurde Thee gebracht. Ich nahm mein Notizenbuch, um einige unerläßliche Notizen niederzuschreiben, falls zwischen der Erzählung und Ausführung eine lange Zeit verstriche.

August Wilhelm Schlegel begann nun die oben mitgetheilten Ereignisse zu erzählen. Er hatte alle Helden dieser Geschichte gekannt, von Napoleon bis zu dem Spion Schlick, dem einzigen, dessen Namen er ändern zu müssen glaubte.

Ich hörte dem berühmten Professor so aufmerksam zu, wie die Studenten in einem Collegium. Die Erzählung dauerte eine halbe Stunde.

»Nun, was sagen Sie zu der Geschichte,« fragte er, als die Erzählung zu Ende war.

»Vor dem ersten Kritiker der Welt,« antwortete ich, »will ich mir keine Kritik erlauben.«

»Sagen Sie mir ganz aufrichtig Ihr Urtheil,« erwiederte er; »Ihr Fabeldichter – Sie wissen ja, die Fabeldichter sind verkappte Kritiker – erzählt von einem Menschen, der in dem Auge seines Nachbars einen Strohhalm steht und den Balken in seinem eigenen Auge nicht bemerkt.«

»Nun, da Sie mein Urtheil wissen wollen,« sagte ich durch die Erlaubniß ermuthigt, »so glaube ich, daß sich aus dem ganzen militärischen Theile der Geschichte etwas machen läßt. Denn so oft der »Riese der Eroberungen,« wie ihn Hugo nennt, durch eine Erzählung schreitet, nimmt diese Erzählung den großartigen Charakter eines Epos an. Die ganze Episode mit Staps ist merkwürdig und interessant; der Tod Paul Richard’s ist dramatisch, aber . . .«

Ich zögerte.

»Nur weiter,« sagte er; »ich bin auf Alles gefaßt«

»Aber sobald der Capitän Richard bei dem Pastor Blum eine Zuflucht sucht, bekommt das französische Soldatenepos den Anstrich einer deutschen Idylle . . .«

»Gut. . . nur weiter.«

»Nach meiner Meinung,« fuhr ich fort, »besteht das Unglück der deutschen Literatur darin, daß sie keine Mittelstraße kennt: sie schwingt sich entweder zum Erhabenen auf, oder sie sinkt bis unter das Naive herab.«

»Nach Ihrer Meinung springen wir Deutsche also über das Natürliche hinweg?«

»Ja wohl«

»Nach Ihrem französischen Geschmack sind also die Scene zwischen Lieschen und Ludwig Richard . . .«

»Gezierte Poesie, die zuweilen ins Kindische ausartet.«

»Nennen Sie mir ein Beispiel.«

»O, ich brauche nicht lange zu suchen. Die auf Margarethens Grabe gepflückten Veilchen vermögen kein wahres Interesse zu wecken, sie nehmen sich sogar albern aus. Wir haben wohl zwanzig Vaudeville, die mit einem genommenen Blumenstrauß beginnen und mit dessen Zurückgabe schließen.«

»Ja Frankreich werden also keine Blumensträuße mehr genommen und zurückgegeben? Ich hielt die Blumen für ein Symbol, das nie veraltet, weil sie sich alljährlich erneuern.«

»Ich will nicht sagen,« erwiederte ich, »daß die Blumen veralten, ich würde es ganz natürlich finden, wenn ein angehender Poet, der eben sein erstes Sonett gedichtet hat, oder ein sentimentaler Schreiber, der in der Wonne seiner ersten Liebe schwimmt, ein schönes Mädchen um einen Veilchenstrauß bittet; – aber ein Offizier, ein Mann von dreißig Jahren, ein Soldat, der die Kriege unter Napoleon mitgemacht, der bei Austerlitz, Jena, Wagram und an der Moskwa gekämpft, der auf dem furchtbaren Rückzuge aus Rußland seinen geliebten Bruder verloren, der den Kaiser auf die Insel Elba begleitete und auf dem Schlachtfelde von Waterloo Betrachtungen über die Vergänglichkeit irdischer Größe angestellt hat, – glauben Sie, ein solcher Mann stelle sich ans Dachfenster, um zu sehen, wie eine Schöne Rosenblätter in den Wind streut, und bitte sie zum Abschiede um einen Veilchenstrauß, der ihm als Talisman dienen soll?«

Der berühmte Kritiker hörte mich mit der größten Aufmerksamkeit an, und als ich schwieg, fragte er:

»Haben Sie in Ihrer Jugend geliebt, Herr Dumas?«

»Ja, in meiner frühen Jugend.«

»Haben Sie geliebt wie der Capitän Richard.«

»Ja, weil ich kein Soldat, sondern ein Bauer, weil ich nicht dreißig, sondern fünfzehn Jahre alt war.«

»Jetzt hören Sie mich an, ich will Ihre philosophischen Ansichten vom realistischen Standpunkte beantworten. Das Herz hat, wie das Leben, wie die Natur, seine vier Jahreszeiten, nicht wahr?«

»Es gibt sogar Menschen, für die es nur eine Jahreszeit hat . . .«

»Sie meinen den Frühling?«

»Ja . . . wenn ich hundert Jahre alt würde, so würde mein Herz im hundertsten Jahre noch frisch und blühend seyn, wie ein Hochzeitstrauß.«

»Jetzt sind Sie gefangen, Herr Criticus,« erwiederte Schlegel: »Dieser Frühling des Herzens beginnt bei Einigen mit fünfzehn, bei Anderen mit zwanzig und bei Anderen mit dreißig Jahren. Rousseau, der mit vierzig Jahren anfing zu schreiben, schrieb mit derselben Jugendfrische, ja mit noch mehr Lebendigkeit und Gefühlsinnigkeit, als Voltaire, der mit achtzehn Jahren seine Schriftstellerlaufbahn begann.«

»Ich sehe wo Sie hinaus wollen . . .«

»Das ist auch gar nicht schwer. Für Ludwig Richard, der keine Jugend gehabt, der das große Spiel um Leben und Tod, das man den Ruhm nennt, schon als Knabe begonnen hat, beginnt der Lebensfrühling mit der Begegnung des ersten jungen Mädchens, das er kennen lernt. Die Liebe erwacht in seinem Herzen, oder mit anderen Worten: sein Lebensfrühling beginnt. Was kümmern ihn die Feldzüge, die er mitgemacht, die Länder, die er gesehen, die Schluchten, die er, der Hunderttausendste mit gewonnen oder verloren hat? Sein ganzes früheres Leben war Lärm und rastlose Bewegung, Todesverachtung und Aufopferung, aber keine Liebe. . . der Frühling bleibt Frühling, lieber Herr Dumas, er mag nun früh oder spät eintreten; die Liebe bleibt Liebe; der Frühling treibt die Blumen, die Liebe pflückt sie.«

»Warum,« entgegnete ich, »warum sind denn die Veilchen am Ende nicht wieder zum Vorscheine gekommen? Warum haben Sie es nicht gemacht wie Scribe in »Valérie?«

»Wollen Sie ganz wahr und naturgetreu seyn?« fragte er.

»Das ist mein Bestreben gewesen, seit ich angefangen habe zu schreiben,« erwiederte ich.

»Nun, so machen Sie den Schluß mit dem Veilchenstrauß.«

Ich lächelte.

»Herr Dumas,« sagte Schlegel ernst, »ich habe Ihnen gesagt, daß ich die Hauptpersonen der so eben erzählten Geschichte gekannt habe.«

»Sie haben Ludwig Richard gekannt?«

»Ja . . . zu beiden Seiten seines Camins hingen zwei Rahmen: in dem einen war das Offizierskreuz der Ehrenlegion, das er von dem Leichname seines Bruders losgemacht und dann von dem Kaiser Napoleon erhalten hatte . . . Rathen Sie, was in dem andern Rahmen war?«

»Nein.«

»Der Veilchenstrauß, den ihm Lieschen zum Abschiede gereicht hatte.«

Ich schwieg verlegen.

»Jetzt,« setzte er hinzu, »vergessen Sie Ihr Versprechen nicht.«

»Habe ich Ihnen denn ein Versprechen gegeben?«

»Ja, Sie haben mir versprochen, meine Geschichte entweder nicht zu veröffentlichen, oder die Charaktere der Personen nicht zu verändern.«

Ich habe dem berühmten Kritiker gewissenhaft Wort gehalten; jetzt hat das Publicum zwischen uns zu entscheiden.

 
E n d e