Kostenlos

Capitän Richard

Text
0
Kritiken
iOSAndroidWindows Phone
Wohin soll der Link zur App geschickt werden?
Schließen Sie dieses Fenster erst, wenn Sie den Code auf Ihrem Mobilgerät eingegeben haben
Erneut versuchenLink gesendet

Auf Wunsch des Urheberrechtsinhabers steht dieses Buch nicht als Datei zum Download zur Verfügung.

Sie können es jedoch in unseren mobilen Anwendungen (auch ohne Verbindung zum Internet) und online auf der LitRes-Website lesen.

Als gelesen kennzeichnen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

III.
Die Rückkehr

Es sind gerade drei Jahre, daß wir die Leser in ein zu den inneren Gemächern der Tuilerien gehörendes Cabinet führten. Wir bitten sie jetzt, in dem dunkeln, stillen, verödeten Palaste ein Weilchen zu warten; wir versprechen ihnen, daß sie nicht lange in der Dunkelheit allein bleiben sollen.

Es ist der 18. December 1812. Ein alter, nichts weniger als eleganter Reisewagen hält vor der Seitenpforte, die sich am Ende der Rue-de-l’Echelle befindet; seit zehn Minuten wird vergebens geklopft. Endlich entschließt sich der Pförtner, nachdem ihn eine Schildwache geweckt, sich nach der Ursache des Lärms zu erkundigen. Er ist ganz verblüfft, »als er die egyptische Uniform des Mameluken Rustan erblickt, der ihm durch das Eisengitter ungeduldig zuruft:

»Geschwind, beeilen Sie sich . . es ist der Kaiser.«

Der Pförtner öffnet rasch das Gitterthor, der Wagen fährt in schräger Richtung über den Hof und heilt in der Vorhalle.

Zwei Männer, der eine von hohem Wuchs, der andere von mittler Größe, beide in Pelze gehüllt, steigen aus und gehen sehr schnell die Treppe hinauf.« Der Mameluk Rustan eilt voran und ruft unaufhörlich: »Der Kaiser! der Kaiser!«

Ein Lakei, der zugleich mit dem erlauchten Reisenden ankommt, nimmt einem seiner Cameraden, der durch das Geräusch herbeigelockt wird, einen Armleuchter aus der Hand und geht gerade auf das Arbeitszimmer zu. Er weiß, daß der Schlaf für den eisenfesten Mann, dem man gehorcht, nur ein untergeordnetes Bedürfniß ist.«

Der Kaiser geht durch dasselbe Zimmer, wo er drei Jahre zuvor eine Nacht verweilte und eine Viertelstunde schlief, wo die arme Josephine leicht und geräuschlos wie ein Schatten erschien und ihm einen Kuß auf die Stirn drückte.

Dieses Mal verweilt er nicht, um zu schlafen, er gebt nur durch das Zimmer und fragt nach dem Erzkanzler.

Der Erste, den er kommen läßt, ist wieder Cambacériè, aber dieses Mal muß der Erzkanzler allein kommen.

Dann geht Napoleon, von dem großen Manne gefolgt,durch den Gang, der zu den Gemächern der Kaiserin führt.

Die Kaiserin wollte sich eben zur Ruhe begeben. In trüber Stimmung und leidend, hatte sie eben ihre Kammerfrau., Madame Durand, entlassen. Die Letztere war im Nebenzimmer; sie hört plötzlich Stimmen im Salon, öffnet die Thür und stößt einen Schrei aus, als sie zwei Männer eintreten sieht.

Die Kammerfrau begreift nicht, wie zwei Männer so spät in der Nacht bis in die Gemächer der Kaiserin gelangen konnten. In ihrer Besorgniß über die Absichten dieser beiden räthselhaften Personen, welche, wie Verschwörer, in weite Mäntel gehüllt waren, eilt sie an die Thür des Schlafzimmers der Kaiserin, um dasselbe zu vertheidigen; aber einer der. Beiden Männer, die von ihrem Schrecken gar keine Notiz nahmen, wirft seinen Mantel auf einen Sessel – sie erkennt Napoleon.

»Der Kaiser!« ruft sie, »der Kaiser!« Und sie tritt ehrerbietig auf die Seite.

Der Kaiser läßt nun seinen Begleiter im Salon und geht in das Schlafzimmer mit den Worten:

»Ich bin’s, Louise!«

»Denn die gutmüthige, sanfte, liebenswürdige Creolin, deren Wuchs, trotz ihrer vierzig Jahre, noch so schlank und anmuthig ist, die allgemein verehrte, populäre Josephine ist, nicht mehr Kaiserin. Napoleons Gemahlin, welche die Stelle der seelenvollen, schwarzäugigen Josephine eingenommen, ist eine Dame von dreiundzwanzig Jahren, blond und blauäugig, kalt und gleichgültig; es ist die Tochter des Kaisers Franz, die Nichte der unglücklichen Marie Antoinette, die Napoleon zum Neffen Ludwigs XVI. gemacht hat; es ist die in Frankreich sehr unpopuläre Marie Louise.«

»Der Kaiser!« rief Marie Louise erstaunt, als Napoleon eintrat.

»Bonaparte!« würde Josephine ihm entgegengejauchzt haben.

Sie hat recht, die blonde deutsche Prinzessin: es war nicht mehr »Bonaparte,« sondern »der Kaiser.«

Wie hat er den weiten Weg von Orscha nach Paris zurückgelegt? Wie ist er entkommen aus der russischen Schneewüste, wo er seinen Waffenbruder Ney, den er schon verloren gegeben, so freudig begrüßt? Wir wollen es mit wenigen Worten sagen.

Während der Kaiser in Korinthya rastete, kam ein französischer Courier, der ihm ein Schreiben von dem Grafen Frochot brachte.

Zum ersten Male seit dem Ausmarsch aus Moskau erblaßte Napoleon, als er das Schreiben las. Dann nahm er eine Feder und schrieb einen langen Brief; aber er mochte wohl fürchten, sein Bote könne überfallen werden, denn er steckte den Brief, sobald er ihn geschrieben, in sein Portefeuille, und zu Orscha verbrannte er ihn nebst seinen übrigen Papieren. Der Inhalt dieses Briefes ist nie bekannt geworden.

Der Eindruck jenes Schreibens erlosch nie ganz in seinem Gemüthe, aber sein Gesicht wurde nach einigen Stunden wieder so ruhig wie gewöhnlich.

Napoleon beschloß seinen Weg über Borisow zu nehmen. Er hatte, wie schon erwähnt, den General Eble mit einem Pioniercorps vorausgeschickt, und unter Jomini’s Leitung sollten Brücken über die Beresina geschlagen werden.

Am 22. November wurde abmarschirt. Auf beiden Seiten der Landstraße waren öde, entlaubte Birkenwälder. Die Wege waren abscheulich; viele Soldaten waren so schwach daß sie in dem tiefen Koth liegen blieben.

Auf dem ganzen Wege gingen Schreckensnachrichten ein. Gegen Abend sprengte ein Offizier heran und fragte nach dem Kaiser. Man zeigte ihm Napoleon, der, um seinen Soldaten Muth zu machen, zu Fuß in dem tiefen Koth watete.

Der Offizier brachte eine neue Hiobspost: Borisow war in der Gewalt Tschitschakow’s.

Napoleon hörte den Bericht ganz ruhig an; aber als die Erzählung beendet war, stampfte er mit seinem Stock auf den Boden und rief zornig:

»Hat sich denn Alles gegen uns verschworen!«

Napoleon ließ nun Halt machen und gab Befehl, die Hälfte der Gepäckwagen zu verbrennen, um die Geschütze vollständiger bespannen zu können. Außerdem sollten alle Zugthiere, deren man habhaft werden könne, selbst seine eigenen Pferde, zur Vorspann benützt werden, um nur den Russen keine Kanonen und Pulverwagen zu lassen.

Dann wurde weiter marschirt; er selbst ging voran 15,000 Mann, die kaum erkennbaren Ueberreste der großen Armee, betraten schweigend und düster den unabsehbaren Wald von Minsk; sie folgten Napoleon in der dunklen Nacht, wie einst die flüchtigen Hebräer der Feuersäule folgten. Sie fürchteten nicht mehr den Feind, sondern nur den Winter. Was lag ihnen an den Russen? sie waren gewohnt sich durchzuschlagen; Kälte, Schnee, Eis, Hunger, Durst, Koth – das waren die eigentlichen Hindernisse.

Man kam an die Beresina, und man ging hinüber trotz den Russen. Das Ungethüm, welches die Armee bei den Füßen packte und an sich zog, der Abgrund, der einen Theil derselben verschlang, war der Fluß.

Die Franzosen ließen 12,000 Mann in der Beresina zurück, denn sie hatten sich mit den Armeecorps Victor’s und Oudinot’s vereinigt; aber man kam hinüber.

Am 29. verließ Napoleon das Ufer des verhängnißsvollen Flusses.

Drei Flüsse versperrten ihm zu verschiedenen Zeiten in furchtbarer Weise den Weg: die Donau bei Esling, die Beresina bei Borisow, die Elster bei Leipzig.

Am 30. November kam er nach Pleßnitz; am 4. December nach Bienitza, am 5. December nach Smorgow.

Dort ließ er alle seine Generale zusammenkommen, zollte jedem das ihm gebührende Lob und schrieb sich selbst die Schuld des Unglücks zu, dass seine Soldaten getroffen.

»Wenn ich ein Bourbon wäre,« setzte er hinzu, »so wäre es mir ein Leichtes gewesen, keinen Fehler zu machen.«

Dann ließ er ihnen durch Eugen Beauharnais das 29. Bulletin vorlesen und kündigte ihnen officiell seine Abreise an.

In derselben Nacht wollte er nach Paris abreisen, wo seine Anwesenheit unerläßlich war. Denn nur von Paris aus konnte er der Armee zu Hilfe kommen, gegen Oesterreich und Preußen wirksame Maßregeln ergreifen und in drei Monaten mit 500,000 Mann an die Weichsel rücken.

Den Oberbefehl übertrug er dem Könige von Neapel.

Es war zehn Uhr Abends; er stand auf, umarmte seine Generale und reiste in einem Schlitten ab. Neben ihm saß Caulaincourt, auf dem Rücksitz der Dolmetscher Wonzowitsch. In einem zweiten Schlitten saßen Rapp und Lobau. Der Mameluk Rustan und ein Lakei waren seine ganze Dienerschaft.

In Wilna gab ihm der Herzog von Bassano die beruhigende Versicherung, daß er Lebensmittel für 100,000 Mann zusammengebracht habe und daß die Armee acht Tage rasten könne.

Auf einigen Stationen schickte er während des Pferdewechsels Couriere ab. IN Warschau besprach er sich mit den polnischen Ministern, verlangte von ihnen die Aushebung von 10,000 Recruten, bewilligte ihnen einige Hilfsgelder, versprach ihnen, mit 300,000 Mann wieder zu kommen und setzte seine Reise fort.

In Dresden sprach er den König von Sachsen und schrieb an den Kaiser von Oesterreich. Seinem Gesandten am weimarischen Hofe, de Saint Aignan, der sich zufällig in Dresden befand, dictirte er Briefe an alle seine Collegen des Rheinbundes und an die in Deutschland befindlichen Militärcommandanten

In Dresden ließ er seinen Schlitten, und de Saint-Aignan gab ihm einen Wagen.

Am 18. December, um elf Uhr Abends war er, wie schon erwähnt, in den Tulierien.

Von Moskau bis Lithauen war sein Marsch mit dem berühmten Rückzuge Xenophon’s zu vergleichen; von Lithauen bis an die französische Grenze reiste er, wie Richard Löwenherz auf der Rückkehr von Palästina: jeder deutsche Herzog konnte ihm anhalten und festsetzen. In Paris war er, für den Augenblick wenigstens, wieder Herr von Europa.

Wir haben gesehen, wie er durch seine Arbeitszimmer eilte und in das Schlafgemach der Kaiserin Marie Louise ging. Er war noch da, als ihm gemeldet wurde, daß Cambacérès ihn erwarte.

Als er wieder durch den Salon ging, fand er Caulaincourt, der inzwischen eingeschlafen war: für ihn allein war der Schlaf kein Bedürfniß.

 

»Sie sind also wirklich da, Sire!« rief der Erzkanzler.

»Ja wohl, lieber Cambacérès,« antwortete Napoleon. »Wie vor vierzehn Jahren, als ich aus Egypten kam, erscheine ich jetzt als als Flüchtling, nachdem ich versucht habe im Norden mir den Weg nach Indien zu bahnen, wie ich es vormals durch den Orient versuche hatte.«

Napoleon sagte freilich nicht, daß sein Glücksstern in Egypten erst aufgegangen war, durch den kalten Nebelhimmel Rußlands hingegen verdunkelt wurde.

Cambacérès wartete, er wußte daß Napoleon bei solchen Gelegenheiten viel zu sagen hatte und das Bedürfniß fühlte sich auszusprechen.

Napoleon ging, die Hände auf dem Rücken haltend, eine kleine Weile im Zimmer auf und ab. Plötzlich stand er still und sagte zu Cambacérès, als ob dieser seinen Gedanken hätte folgen können, wie ein Wanderer, der am Ufer eines Flusses steht, den Lauf des Wassers mit den Blicken verfolgt.

»Der Krieg, den ich führe, ist ein politischer Krieg, ich hätte Rußland gern die Drangsale erspart, die es sich selbst bereitet hat. Ich hätte den größten Theil der Bevölkerung durch Befreiung der Leibeigenen gegen die Regierung bewaffnen können, aber ich habe es unterlassen, denn diese Maßregeln würde vielen Familien entsetzliches Unglück bereitet haben . . .«

Eine kurze Pause folgte. Cambacérès schwieg noch immer. Endlich fuhr Napoleon fort:

»Frankreich hat sein Unglück selbst verschuldet; die Folgen seiner Verirrungen waren unausbleiblich. Der Aufruhr ward von den Schreckensmännern als eine Pflicht erklärt, und um dem Volke zu schmeicheln, legte man in seine Hände eine Gewalt, zu deren Ausübung es nicht befähigt war. Die Lenker großer Reiche sollten sich diese Mißgriffe zur Warnung dienen lassen, sie sollten nach dem Beispiele der Präsidenten Harlay und Molé jederzeit bereit seyn, den Souverän, den Thron, die Gesetze zu vertheidigen. Der schönste Tod wäre der Tod eines Soldaten auf dem Felde der Ehre, wenn der Tod eines Staatsdieners bei der Vertheidigung des Thrones und der Gesetze nicht noch ruhmvoller wäre. . . Aber,« setzte er mit Heftigkeit hinzu, »es gibt leider viele Staatsbeamte, die kleinmüthig sind und ihre Pflicht nicht erfüllen . . . Sie sind mein Freund, Cambacérès,« sagte er sich plötzlich zu dem Erzkanzler wendend, »sagen Sie, wie die Sache gekommen ist.«

Cambacérès hatte wohl gemerkt, wohin diese steigende Wortflut zielte, er wußte, daß der Kaiser an die Verschwörung des General Mallet dachte, deren Kunde ihn in Rußland so tief erschüttert hatte.

»Ew. Majestät wünschen die näheren Umstände zu erfahren?« fragte Cambacérès.

»Ja,« sagte Napoleon, sich sehend; »sagen Sie mir Alles.«

»Kennen Ew. Majestät Mallet!«

»Nein, nur von Ansehen . . . einmal bemerkte ich ihn und man sagte mir: das ist der General Mallet. Ich wußte, daß er zu der Gesellschaft der Philadelphen gehörte. Er war ein vertrauter Freund Oudet’s, der bei Wagram fiel und dessen Tod man mir zur Last gelegt hat. Schon 1808, als ich in Spanien war, conspirirte er gegen mich. Ich hätte ihn können erschießen lassen, es lagen Beweise genug vor; aber ich habe einen Abscheu vor dem Blutvergießen, ich hatte Staps begnadigt, aber er wollte sterben. Die unsinnigen Menschen wähnen, man könne mich nur ohne weiteres aus der Welt schaffen . . . Doch um wieder auf Mallet zu kommen: er war in einem Spital, wohin ich ihn aus besonderer Nachsicht hatte bringen lassen . . . Sie sehen, Cambacérès, daß ich nicht rachsüchtig, sondern zur Milde geneigt bin, und trotzdem nennt man mich einen grausamen Tyrannen . . . Wo ist das Spital?«

»An der Thronbarriere.«

»Wie heißt der Eigenthümer?«

»Doctor Dubuisson.«

»Freund oder Feind?«

»Der Doctor?«

»Ich meine, ob er um die Verschwörung wußte.«

»Nein, er hatte keine Ahnung davon.«

»Aber er hat Mallet doch entschlüpfen lassen . . .«

»Nein, Sire, der Arrestant ist über die Mauer gestiegen.«

»Allein?«

»Mit einem gewissen Abbé Lafon, der aus Bordeaux gebürtig ist; sie nahmen ein mit Proklamationen gefülltes Portefeuille mit. Zwei Mitverschworene erwarteten sie auf der Straße: der Eine ist ein Lehrer, Namens Boutreux, der Andere ein Corporal und heißt Rateau.

»Und einer dieser Unsinnigen hatte die Rolle des Seinepräfecten, ein anderer die eines Adiutanten übernommen?«

»Ja, Sire.«

»Wenn ich nicht irre, steckte noch ein anderer Abbé darunter. Das ist also der Dank der Geistlichkeit, für die ich so viel gethan habe!«

»Der Andere ist ein Spanien.«

»Nun, dann wundert es mich nicht. Wie heißt er?«

»Cormagno, eine Bekanntschaft aus dem Gefängniß. Er wohnte an der Place-Royale, bei ihm hat man Mallet’s Waffen und Uniform, die Feldbinde für einen Adjutanten und die Schärpe für einen Polizeicommissär gefunden.«

»Es waren also alle Vorkehrungen getroffen!« sagte Napoleon aufgebracht. »Weiter!«

»Mallet legte seine Uniform an, nahm seine Waffen, begab sich in eine Caserne und ließ sich als General Lamotte bei dem Obersten melden . . .«

»Es ist unerhört!« unterbrach ihn Napoleon; »unter einem angenommenen, unbekannten Namen kann man so etwas unternehmen! . . . Und was that der Oberst?«

»Sire, der Oberst lag krank im Bett. Der General Mallet redete ihn mit den Worten an: »Wissen Sie etwas Neues, »Herr Oberst? Bonaparte ist todt!«

»Für gewisse Leute bin ich also noch immer Bonaparte!« eiferte Napoleon. »Wozu nützen mir alle Siege, die ich seit vierzehn Jahren errungen, wozu der 18. Brumaire, wozu die Krönung, wozu meine Bundesverwandtschaft mit dem ältesten europäischen Fürstenhause? Soll denn Alles aus seyn, wenn ein Schwindelkopf auftritt und sagt: Bonaparte ist todt! Aber was wollte man mit Napoleon II. machen? Napoleon II. ist doch am Leben . . .

»Sire,« erwiederte Cambacérès, »Sie wissen, der Soldat hält sich an seinen Befehl, er gehorcht ohne zu erörtern.«

»Aber wenn der Befehl falsch ist?«

»Der Oberst hielt ihn für wahr. Er ließ seinen Major rufen; der Befehl wurde von dem angeblichen General Lamotte noch einmal vorgelesen; die Truppen wurden alarmiert und dem General Mallet zur Verfügung gestellt, und mit diesen Truppen, die keine Patronen hatten, begab sich Mallet vor das Gefängniß Laforce, ließ sich die Thüren öffnen und rief einen Corsen . . .«

»Einen Corsen! unterbrach ihn Napoleon; »der hat sich gewiß nicht bethören lassen . . . Und was weiter?«

»Und rief die Generale Lahorie, und Guidal.«

»Auch Einer, den ich nach Toulon schicken und vor ein Kriegsgericht stellen könnte; seine Verbindungen mit den Engländern waren erwiesen.«

»Ja wohl; aber statt dessen machte man ihn zum Senator. Lahorie sollte Polizeipräfect werden und erhielt zugleich den Befehl, seinen Vorgänger Rovigo zu verhaften.«

»Der konnte sich irren,« erwiederte Napoleon mit jenem Gerechtigkeitsgefühle, das in seinem Charakter lag, wenn es auch zuweilen in den Hintergrund gedrängt wurde; »er ward um vier Uhr Früh von der bewaffneten Macht geweckt und in Freiheit gesetzt, er ist zu unschuldigen. Erzählen Sie weiter, Cambacérès, was aus der Geschichte geworden ist.«

»Nun, von jetzt an theilen sich die Aeste der Verschwörung. Während der neue Polizeipräfect seinen Vorgänger verhaften wollte, schickte Mallet eine Ordonnanz in eine andere Kaserne mit einem an die daselbst einquartierten Unteroffiziere adressierten Packet. Dieses enthielt den Befehl die Posten an der Börse, an der Bank, an der Staatstasse und an den Barrieren abzulösen.

»Wie heißt der Oberst dieses Regiments?« fragte Napoleon.

»Oberst Rabbe.«

»Er hat sich doch widersetzt?«

»Nein, Sire, er leistete dem Befehl Folge, et ließ sich täuschen, wie der Oberst Saulie.«

Napoleon schlug die Hände zusammen.

»Weiter, weiter!« sagte er ungeduldig.

»Unterdessen marschirte Lahorie gegen das Polizeiministerium, nachdem er den neuen Präfecten Boutreux nach der Präfectur geschickt. Der Präfect wurde verhaftet und in das Gefängniß Laforce gebracht . . .«

»In das Zimmer Guidal’s? Es ist ihm Recht geschehen; warum ließ er sich verhaften!«

»Mitten in dem Tumult,« fuhr Cambacérès fort, »hatte der Baron Pasquier Zeit gehabt, an den Herzog von Novigo einen Eilboten abzusenden; aber der Bote konnte nicht zu ihm gelangen, die Horde marschirte rasch und schlug sofort die Thüren ein; sie hatte schon die Thür des Schreibzimmers erbrochen, als der Minister in der gegenüber befindlichen Thür erschien.«

»Aber Lahorie und Novigo waren ja Freunde, wenn ich nicht irre,« unterbrach ihn Napoleon; »Novigo hatte mir ihn empfohlen.«

»Sie waren sogar Dutzbrüder Sire. Lahorie machte sogar bei dieser Gelegenheit von dem brüderlichen Du Gebrauch und rief dem Minister zu: »Ergib Dich, Savary! Du bist mein Gefangener; es soll Dir kein Leid geschehen.«

»Und was that Savary?«

»Er wollte Widerstand leisten, Sire. Sie wissen, daß Savary sich nicht leicht ergibt; aber Lahorie rief: »Ergreifet ihn!« Zehn Soldaten fielen über ihn her; er war unbewaffnet. Guidal führte ihn nach Laforce.«

»Wenn . . . weiter!«

»Unterdessen hatte Mallet den Platzcommandanten Hullin auf Befehl des Polizeiministers verhaftet, und auf die erste Gegenvorstellung Hallin’s schoß er eine Pistole auf ihn ab und zerschmetterte ihm die Kinnlade. Von da begab er sich zu dem General Doucet, Chef des Generalstabes, zeigte ihm an, daß ihn die neue Regierung in seiner Stellung lasse und ertheilte ihm Verhaftungsbefehle. Da trat plötzlich der Adjutant Laborde vor und fiel dem Redner ins Wort: »Sie sind nicht der General Lamotte, sondern der General Mallet; gestern, vielleicht noch diese Nacht waren Sie Staatsgefangener!«

»Das läßt sich hören,« sagte Napoleon; »es war doch wenigstens Einer, der sich nicht täuschen ließ!«

»Mallet zog seine zweite Pistole hervor,« fuhr Cambacérès fort, »und wollte Laborde niederschießen; aber der General Doucet faßte seinen Arm und schickte Laborde hinaus. Draußen begegnete Laborde dem Generalinspector Pâques, der sich mit dem Platzcommandanten über die Fortschaffung Guidal’s nach Toulon verständigen wollte. Pâques erfuhr zu seinem größten Erstaunen, daß Guidal Senator, Lahorie Polizeiminister, der Corse Boccheciampi Präfect des Seinedepartements, der General Mallet das Oberhaupt der provisorischen Regierung und daß der General Hullin von Letzterem tödtlich verwundet worden sey . . . Fünf Minuten nachher war Mallet verhaftet, und bald darauf kam die Reihe an Lahorie, der so vollständig getäuscht worden war, daß er nicht begreifen konnte, warum man ihn ins Gefängniß abführte . . . Guidal wurde erst gegen Abend verhaftet. Boutreux hielt sich noch acht Tage versteckt.

»Und wer ist jetzt von den Verschwörern noch übrig?« fragte Napoleon.

»Der Oberst Rabbe, dem ein Aufschub bewilligt wurde, und der Corporal Rateau dessen Oheim Generalprocurator in Bordeaux ist.«

»Und die Anderen?«

»Die drei Generale, der Oberst Soulin, der Major Piqueret und vier andere Offiziere sind am 28. October erschossen worden.«

Napoleon blieb eine Weile in Gedanken, dann fragte er zögernd, indem er den Erzkanzler scharf ansah:

»Und wie sind die Verschwörer gestorben?«

»Muthig, Sire, wie es sich für Soldaten geziemt: Mallet mit Ironie, aber mit Ueberzeugung, die Anderen ruhig und entschlossen, aber voll Verwunderung, daß sie mit einem ihnen ganz unbekannten Manne und wegen einer Verschwörung von der sie nichts wußten, in den Tod gehen sollten.«

»Sie glaubten also diese Hinrichtungen gestatten zu müssen, Herr Erzkanzler?«

»Ja, Sire, ich hielt es für meine Pflicht, strenge Gerechtigkeit zu üben, denn das Verbrechen war groß.«

»Von Ihrem Gesichtspunkte hatten Sie vielleicht Recht.«

»Von meinem Gesichtspunkte?«

»Ja, als erste Justizperson des Landes, aber von meinem Gesichtspunkte . . .«

Napoleon hielt inne.

Cambacérès sah den Kaiser fragend an.

»Von meinem Gesichtspunkte,« fuhr Napoleon fort, »das ist vom politischen Gesichtspunkte würde ich anders gehandelt haben.«

»Sire . . .«

»Ich sage: ich würde anders gehandelt haben; ich sage nicht, daß Sie hätten anders handeln sollen.«

»Ew. Majestät würden also die Verschwörer begnadigt haben?«

»Ja, wenigstens die Bethörten, die auf höhern Befehl zu handeln glaubten.«

»Und Mallet?«

»Mallet hätte ich in das Irrenhaus zu Charenton geschickt.

»Was verfügen Ew. Majestät über den Obersten Rabbe und den Corporal Rateau?«

»Morgen Früh sollen sie in Freiheit gesetzt werden,« erwiederte Napoleon, »und merken Sie wohl, lieber Cambacérès: es muß bekannt werden, daß ich wieder in Paris bin . . . Jetzt, gute Nacht, lieber Erzkanzler,« sagte der Kaiser mit einer Vertraulichkeit, deren sich nur seine Günstlinge rühmen konnten; »morgen im Staatsrathe sehe ich Sie wieder.«

 

Er ging in sein Zimmer und sagte für sich:

»Lahorie . . . ein vormaliger Adjutant Moreau’s! Es würde mich nicht wundern, wenn Moreau mit der englischen Flotte vor dem Havre kreuzte.«

Er hatte sich aber um ein Jahr geirrt; denn im folgenden Jahre kam Moreau von Amerika herüber, um sich am 27. August 1813 bei Räcknitz von einer französischen Kanonenkugel beide Beine abschießen zu lassen.

Napoleon hielt das Versprechen, das er am 5. December seinen Generalen an der russischen Grenze gegeben hatte: am 1Mai stand er mit 300,000 Mann in der Ebene von Lützen. Er würde ein Heer von 500,000 Mann gehabt haben, wenn ihn Preußen nicht verlassen und Oesterreich seine Hand nicht zurückgezogen hätte. Es war daher weder seine noch Frankreichs Schuld, daß er 200,000 Mann weniger hatte.

Am 29. April 1813 waren die ersten Kanonenschüsse gefallen; am 2. Mai machte ihn der Sieg bei Lützen zum Herrn des ganzen linken Elbufers von Böhmen bis Hamburg.