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Capitän Richard

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Cambacérès seufzte und fragte: »Haben Ew. Majestät sonst nichts zu befehlen?«

»Der gesetzgebende Körper soll sich morgen versammeln.«

»Sire, er hält seit Ihrer Abreise Sitzung.«

»Es ist wahr; morgen werde ich mich einfinden und ihm meinen Willen kundgeben.«

Cambacérès entfernte sich. Aber er kehrte wieder um und sagte: »Ich sollte Ew. Majestät an einen gewissen General Mallet erinnern.«

»Ja, es ist wahr, aber ich will erst mit Herrn Fouché reden Sagen Sie, wenn Sie durch das Vorzimmer gehen, daß ich Herrn Fouché zu sprechen wünsche; er muß im grünen Salon seyn.«

Cambacérès verneigte sich; als er an der Thür war, rief ihm Napoleon sehr freundlich nach: »Adieu, lieber Erzkanzler!«

Cambacérès entfernte sich beruhigter für sich selbst, aber in großer Besorgniß für Frankreich

Als er fort war, ging Napoleon mit starken Schritten im Zimmer auf und ab. Seit neun Jahren der Regierung— denn das Consulat hatte sich von einer monarchischen Regierung kaum unterschieden – hatte er trotz der Bewunderung, die er einflößte, zuweilen offenen Tadel, sogar Anfeindungen erfahren, aber nie war ein Zweifel laut geworden. Jetzt zweifelte man an seinem Glücksstern, und dieser Zweifel war zuerst in seiner Armee, in seiner Garde, bei seinen alten Kriegern laut geworden. Die verhängnißvolle Capitulation von Baylen hatte seinem Ruhm den ersten furchtbaren Stoß gegeben. Varus hatte sich wenigstens mit seinen drei Legionen, die Augustus von ihm zurückverlangte, niederhauen lassen. Varus hatte sich nicht ergeben. Schon in Valladolid wußte Napoleon alles was Cambacérès soeben gesagt hatte, und noch andere Dinge. Tags vor seiner Abreise hatte er Musterung über seine Grenadiere gehalten; er wußte daß diese Prätorianer gemurrt hatten, daß sie in Spanien bleiben sollten, und wollte diese von der Sonne Italiens und Egyptens gebräunten Gesichter in der Nähe sehen, um zu wissen, ob sie die Vermessenheit haben würden, unzufrieden zu seyn. Er stieg vom Pferde und ging zu Fuß durch ihre Reihen. Die Grenadiere präsentirten düster und schweigend das Gewehr, nicht ein einziger Ruf: »Es lebe der Kaiser!« wurde gehört; ein einziger Soldat sagte leise: »Sire, nach Frankreich!«

Das hatte Napoleon erwartet. Er riß ihm das Gewehr aus den Händen und schleppte ihn vor die Fronte.

»Taugenichts!« sagte er zu ihm. »Du verdientest, daß ich Dich erschießen ließe! – Ich weiß wohl,« sagte er laut zu dem ganzen Corps, »Ihr wollt nach Paris zurück, um daselbst euer Schlaraffenleben und eure Dirnen wiederzufinden. Doch daraus wird nichts, Ihr bleibt unter den Waffen bis eure Zöpfe schneeweiß sind« ’

Er warf dem Grenadier das Gewehr wieder in die Arme. Der Soldat ließ es vor Schmerz fallen.

In diesem Augenblicke der Erbitterung bemerkte er den General Legendre, der die Capitulation von Baylen mit unterzeichnet hatte. Er ging mit zornglühenden Blicken auf ihn zu. Der General blieb stehen, als ob seine Füße in der Erde Wurzel geschlagen hätten.«

»Ihre Hand, General,« sagte er.

Der General streckte zagend die Hand aus. »Ich begreife nicht,« sagte Napoleon, indem er sie betrachtete, »daß diese Hand, als sie die Capitulation von Baylen unterzeichnete, nicht verdorrt ist!«

Und er wandte sich mit dem Ausdrucke der Verachtung ab, wie von einem Verräther.

Der General, der die Capitulation nur auf höhern Befehl unterzeichnet hatte, war wie vernichtet.

Napoleon stieg wieder zu Pferde und ritt nach Valladolid zurück, von wo er, wie erwähnt, am folgenden Tage nach Frankreich abreiste.

Er war in dieser Stimmung, als sich die Thür wiederaufthat und der Thürsteher meldete:

»Se. Excellenz der Polizeiminister.«

Das blasse Gesicht Fouché’s erschien zögernd und furchtsam in der Thür.

»Ja, Herr Fouché,« sagte Napoleon, »ich begreife wohl, daß Sie zögern, vor mir zu erscheinen.«

Fouché gehörte zu den Charakteren, die vor der unbekannten Gefahr zurückbeben, aber darauf losgehen oder sie erwarten, sobald sie eine Gestalt angenommen hat.

»Ich, Sire?« erwiederte er, seinen Kopf mit den gelblichen Haaren, mit der blassen Gesichtsfarbe, mit den Vergißmeinnichtaugen und dem großen Munde aufwerfend; »warum sollte ich, der Kartätschenmann von Lyon, Bedenkentragen, mich vor Ew. Majestät zu zeigen?«

»Weil ich kein Ludwig XVI. bin!«

»Ew. Majestät geruhen – und es ist nicht das erste Mal – auf mein Votum vom 19. Jänner anzuspielen.«

»Nun, wenn ich’s thäte?«

»Dann würde ich antworten, daß ich als Mitglied des Convents nicht dem Könige, sondern der Nation den Eid geleistet hatte, und diesen Eid habe ich gehalten.«

»Und wem haben Sie am 13. Thermidor des Jahres VII den Eid geleistet? etwa mir?«

»Nein, Sir.«

»Warum haben Sie mir denn am 18. Brumaire so gute Dienste geleistet?«

»Ew. Majestät wollen sich huldreichst erinnern, daß Ludwig XIV. Sagte: der Staat bin ich! . . . Am 18. Brimaire waren Sie die Nation, und deshalb diente ich Ihnen.«

»Aber das hinderte mich nicht, Ihnen 1802 das Portefeuille der Polizei zu entziehen.«

»Ew. Majestät hofften einen geschicktern, wenn nicht treuern Polizeiminister zu finden; Sie gaben mir das Portefeuille 1804 zurück.«

Napoleon ging einige Schritte vor dem Camin hin und her; er blickte starr vor sich nieder und zerdrückte das Papier, das die wenigen Worte Josephinens enthielt. Plötzlich blieb er stehen, sah seinen Polizeiminister scharf an und sagte:

»Wer hat Sie ermächtigt, mit der Kaiserin von Scheidung zu sprechen?«

Wäre Fouché nicht so weit von dem Lichte entfernt gewesen, so hätte man sehen können, daß sein Gesicht noch blässer wurde als zuvor.

»Sire,« sagte er, »ich glaube zu wissen, daß Ew. Majestät die Scheidung sehnlich wünschen.«

»Habe ich diesen Wunsch gegen Sie geäußert?«

»Ich habe gesagt: ich glaube zu wissen, und glaubte Ew. Majestät einen Dienst zu erweisen, wenn ich die Kaiserin auf dieses Opfer vorbereitete.«

»Ja, schonungslos, wie Alles was Sie thun.«

»Sire, Niemand kann sein Naturell ändern: ich habe meine Laufbahn als Lehrer bei den Vätern des Oratoriums begonnen, und hatte in dieser Eigenschaft unbändige Knaben im Zaum zu halten, später ist mir etwas von der Ungeduld aus meiner Jugendzeit geblieben; ich bin ein Obstbaum, man darf keine Blumen bei mir erwarten.«

»Herr Fouché, Ihr Freund,« und Napoleon betonte diese beiden Worte absichtlich stark, »Ihr Freund Talleyrand empfiehlt seinen Untergebenen immer: nur keinen Eifer. Ich will diesen Grundsatz von ihm borgen, um ihn auf Sie anzuwenden. Dieses Mal haben Sie wirklich zu viel Eifer gezeigt; ich will nicht, daß man in Staatssachen oder Familienangelegenheiten die ersten Schritte thue.«

Fouché schwieg.

»Weder kommt es,« fuhr Napoleon fort, »daß Sie jetzt wieder der beste Freund Talleyrand’s sind, nachdem Sie sein erbitterter Feind waren? Zehn Jahre lang haben Sie sich gegenseitig gehaßt und angeschwärzt: Sie nannten ihn einen frivolen Diplomaten, und er nannte Sie einen plumpen Intriganten; Sie verachteten eine Diplomatie, welche, wie Sie sagten, von der Siegesgöttin ins Schlepptau genommen wurde; er verspottete den eitlen Prunk mit einer Polizei, die bei der allgemeinen Unterwerfung leichtes Spiel habe und sogar überflüssig sey. Sind denn die Verhältnisse wirklich so bedenklich, daß Sie sich, wie Sie behaupten, für die Nation opfern und Beide Ihre alte Feindschaft vergessen? Sie haben die Vermittlung dienstfertiger Personen angenommen und haben sich öffentlich ausgesöhnt. öffentlich besucht; Sie haben einander zugeflüstert, es sey möglich, daß mich in Spanien das Messer eines Fanatikers, in Oesterreich eine Kanonenkugel treffe; nicht wahr, das Haben Sie gesagt?«

»Sire,« antwortete Fouché, »die spanischen Dolche wissen die großen Monarchen zu finden, das hat man bei Heinrich IV. gesehen; die österreichischen Kanonenkugeln wissen die großen Feldherren zu treffen, das hat man bei Turenne und dem Marschall Berwiek gesehen.«

»Sie beantworten eine Thatsache mit einer Schmeichelei,« erwiederte Napoleon; »ich bin nicht todt, und will nicht, daß mein Nachlaß schon bei meinen Lebzeiten getheilt werde.«

»Sire, daran denkt Niemand, am allerwenigsten wir.«

»Sie dachten so wenig daran, daß Sie meinen Nachfolger schon erkoren hatten. Warum lassen Sie ihn nicht im voraus krönen? Der Augenblick ist günstig, der Papst hat mich in den Bann gethan . . . Glauben Sie denn, die französische Krone passe nicht aus jeden Kopf? Aus einem Churfürsten von Sachsen kann man wohl einen König von Sachsen machen, aber aus einem Herzog von Berry macht man nicht so leicht einen König von Frankreich oder einen Kaiser der Franzosen. Um das Eine zu werden, muß man ein Nachkomme Ludwig des Heiligen seyn; um das Andere zu werden, muß man von meinem Geblüt seyn. Sie haben freilich ein Mittel, um den Moment, wo ich nicht mehr seyn werde, zu beschleunigen . . .«

»Sire,« antwortete Fouché, »ich bitte Ew. Majestät, mir dieses Mittel zu nennen.«

»Morbleu! Sie dürfen nur die Verschwörer unbestraft lassen.«

»Verschwörer gegen Ew. Majestät sollten unbestraft geblieben seyn? Haben Sie die Gnade, sie zu nennen.«

»O! das ist nicht sehr schwer: ich will Ihnen sogleich drei nennen.«

»Ew. Majestät meinen die angebliche Verschwörung, die der Polizeipräfect Dubois entdeckt haben will.«

»Mein Polizeipräfect Dubois ist nicht, wie Sie, der Nation, sondern mir ergeben.«

Fouché zuckte die Achseln; diese Bewegung entging dem Scharfblick Napoleons nicht.

»Sie zucken die Achseln, weil Sie nichts zu erwiedern wissen,« sagte Napoleon, auf dessen Stirn sich ein Ungewitter zusammenzog; »wo es sich um Verschwörungen handelt, kann ich die Zweifler nicht leiden.«

»Kennen Ew. Majestät die Personen, um die es sich handelt?«

»Ich kenne zwei von den dreien; ich kenne den General Mallet, der ein unverbesserlicher Verschwörer ist.«

 

»Ew Majestät glauben, daß der General Mallet conspirire?«

»Ich weißes gewiß.«

»Und Ew. Majestät fürchten eine Verschwörung, anderen Spitze ein Tollhauscandidat steht?«

»Sie sind in einem doppelten Irrthum befangen, Herr Fouché: erstens fürchte ich nichts, und zweitens ist der General Mallet kein Tollhauscandidat.«

»Er hat wenigstens eine fixe Idee.«

»Ja wohl, aber Sie werden zugeben, daß er kein Narr ist, denn seine fixe Idee besteht darin, daß er einst, wenn ich dreihundert, vierhundert Meilen entfernt bin, meine Abwesenheit benutzen wird, um die Nachricht von meinem Tode auszusprechen und einen Aufstand hervorzurufen.«

»Halten Ew. Majestät die Sache für möglich?«

»So lange als ich keinen Erben habe, ja.«

»Eben deshalb habe ich es gewagt, mit der Kaiserin von Scheidung zu sprechen.«

»Auf diese Angelegenheit wollen wir nicht zurückkommen. Sie verachten Mallet, Sie haben ihn wieder in Freiheit gesetzt. Ich will Ihnen etwas sagen, was mein Polizeiminister mir hätte sagen sollen: Mallet ist nur einer der Fäden einer unsichtbaren Verschwörung, die sich im Heere anspinnt.«

»Ach ja, die Philadelphen . . . Glauben Ew. Majestät an die Magie des Obersten Oudet?«

»Ich glaube an Arena,« antwortete Napoleon, »ich glaube an Cadoudal, ich glaube an Moreau. Mallet ist einer von diesen Träumern, von diesen Illuminaten, von diesen Narren, wenn Sie wollen; aber für den gefährlichen Narren gehört die einsame Zelle und die Zwangsjacke; Sie haben den Ihrigen in Freiheit gesetzt . . Der zweite ist Servan; ist der ein Narr, ein Königsmörder?«

»Wie ich, Sire.«

»Ja, aber ein Königsmörder aus der Schule der Gironde, ein vormaliger Verehrer der Madame Roland, ein Mann, der als Minister Ludwigs XVI. zum Verräther an ihm wurde und aus Rache für seinen Sturz am 10. August eine Hauptrolle spielte.«

»Er handelte gemeinschaftlich mit dem Volke.«

»O! das Volk thut nur das, wozu es verleitet, getrieben wird. Die Vorstädte Saint-Marcau und Saint-Antonin, die unter der Führung Alexandre’s und Santerre’s so unruhig waren, sie rühren sich nicht mehr, seitdem ich ihnen den Daumen aufs Auge halte . . . Ihren Florent Guyot kenne ich nicht, aber ich kenne Mallet und Servan. Diesen Beiden trauen Sie nicht! Ueberdies ist der eine General, der andere Oberst, und es gibt unter einer militärischen Regierung ein schlechtes Beispiel, wenn zwei Offiziere conspiriren.«

»Sire, man wird ein wachsames Auge auf sie haben.«

»Jetzt, Herr Fouché, habe ich Ihnen noch den schwersten Vorwurf zu machen.«

Der Polizeiminister verneigte sich.

»Was haben Sie mit der öffentlichen Meinung gemacht, Herr Fouché?«

Ein anderer Minister hätte die Frage noch einmal wiederholen lassen. Fouché verstand sehr gut was der Kaisersagen wollte; allein um sich Zeit zur Antwort zu nehmen, gab er sich das Ansehen, als ob er nicht recht wüßte was Napoleon meinte.

»Die öffentliche Meinung?« wiederholte er; »ich weiß nicht was Ew. Majestät damit sagen wollen.«

»Ich will damit sagen,« erwiederte Napoleon, »daß Sie die öffentliche Meinung über die Tagesbegebenheiten irregeleitet, getäuscht, daß Sie Deuteleien und vorwitzige Bemerkungen über meinen letzten Feldzug gestattet, daß man, weil Sie es ruhig geschehen ließen, von Kriegsunglück sprach, während meine Heere von Sieg zu Sieg eilten. Das Geschwätz der Pariser macht das Ausland übermüthig. Wissen Sie wohl, auf welchem Wege ich’s erfahren habe? Ueber Sanct-Petersburg! Ich habe Feinde, ich rühme mich dessen; aber daß meine Feinde unter Ihren Augen, Herr Minister, von Verminderung meines Ansehens, von Mißstimmung, von Widerstreben gegen meine Politik, von meiner Schwäche und Ohnmacht faseln, das ist zu arg! Die Folge davon ist, daß Oesterreich, an diese Albernheiten glaubend, meine vermeintliche Schwäche benützen und mich angreifen will; aber ich werde sie Alle demüthigen, die innern wie die äußern Feinde!. . . Apropos, Sie haben doch meinen Brief vom 31. December erhalten?«

»Welchen’, Sire?«

»Den von Benevento datirten.«

»Worin von den Söhnen der Ausgewanderten die Rede war?«

»Sie scheinen ein kurzes Gedächtniß zu haben, Herr Fouché!«

»Befehlen Ew. Majestät, daß ich den Brief Wort für Wort wiederhole?«

»Ja, beweisen Sie mit, daß Sie ein gutes Gedächtniß haben.«

»Sire,« erwiederte Fouché, eine Brieftasche hervorziehend, »hier ist das Schreiben . . .«

»So! Sie haben es bei sich?«

»Die eigenhändigen Briefe Ew. Majestät trage ich immer bei mir. Als ich Schulmeister bei den Vätern des Oratoriums war, las ich jeden Morgen mein Brevier; seitdem ich Polizeiminister bin, lese ich jeden Morgen die Briefe Ew. Majestät . . . Diese Depesche,« setzte Fouché hinzu, ohne den Brief aufzumachen, »lautet folgendermaßen . . .«

»Ich verlange nicht den Wortlaut, sondern den Inhalt,« unterbrach ihn Napoleon.

»Ew. Majestät schrieben mir, mehre Emigrantenfamilien hätten ihre Söhne der Conscription entzogen und ließen sie in sträflicher Unthätigkeit; Sie beauftragten mich zugleich, ein Verzeichniß dieser Familien anfertigen zu lassen, um alle jungen Männer derselben, die das achtzehnte Jahr überschritten, in die Militärschule nach Saint-Cyr zu schicken. Zu dieser Liste sollte jedes Departement mindestens zehn, die Stadt Paris mindestens fünfzig Namen liefern, und auf etwaige Beschwerden sollte ich kurzweg antworten, es sey der Wille Ew. Majestät.«

»Es ist gut; ich will nicht, daß sich ein Theil der Nation den Anstrengungen entziehe, welche die jetzige Generation für den Ruhm der künftigen macht . . Jetzt gehen Sie dies ist Alles was ich Ihnen zu sagen hatte!«

Fouché verneigte sich; aber da er sich nicht schnell genug entfernte, fragte Napoleon:

»Wünschen Sie noch etwas?«

»Sire,« erwiederte der Minister, »Ew. Majestät haben viele Dinge zur Sprache gebracht, um mir zu beweisen, daß meint Polizei schlecht sey; ich will nur eine Thatsache erwähnen, um Ihnen das Gegentheil zu beweisen . . . In Bavonne haben Ew. Majestät zwei Stunden verweilt . . .«

»Ja.«

»Ew Maiestät haben sich einen Bericht abstatten lassen . . .«

»Einen Bericht?«

»Ja, über die Beschwerden, die gegen mich vorliegen sollen. Der Bericht schloß mit dem Antrage, mich von meinem Posten abzuberufen und durch Herrn Savary zu ersetzen.«

»Und ist dieser Bericht unterzeichnet?«

»Ja, Sire, er ist unterzeichnet, und Ew. Majestät haben ihn bei sich . . . in der linken Rocktasche.«

Fouché deutete mit dem Finger auf die Stelle der Uniform, wo die Tasche war.«

»Sie sehen, Sire,« setzte er hinzu, »daß meine Polizei wenigstens in gewissen Richtungen eben so gut ist wie jene des Herrn Lenoir und des Herrn von Sartines.«

Und ohne die Antwort des Kaisers abzuwarten, verschwand Forsche, der schon nahe an der Thür gestanden.

Napoleon griff in die Tasche, zog eine in Depeschenform zusammengelegte Schrift heraus, faltete sie auseinander, warf einen flüchtigen Blick darauf, schaute noch einmal nach der Thür hin und sagte lächelnd:

»Ja, Du hast Recht: Du bist noch der geschickteste . . . wenn Du nur auch der rechtlichste wärest!«

Er zerriß das Papier und warf es ins Feuer. Während die Schrift von den Flammen verzehrt wurde, meldete der Thürsteher:

»Se. Excellenz der Oberkämmerer.«

Das lächelnde Gesicht des Fürsten von Benevent erschien hinter dem Thürsteher.

Die Poeten erfinden nichts. Als Goethe, der große Zweifler, seinen »Faust« schrieb, ahnte er nicht, daß Gott,sowohl seinen menschlichen Helden als seinen Mephistopheles bereits geschaffen hatte, und daß beide in kürzester Frist, der Eine mit seiner ernsten, geistvollen Stirn, der Andere mit seinem Pferdefuß, auf dem Welttheater erscheinen sollten.

Der von Gott geschaffene Faust hieß Napoleon; der Mephistopheles – Talleyrand. Wie Faust die Tiefen der Wissenschaft ergründet, bat Napoleon alle Labyrinthe der Politik durchwunden, – und wie Mephistopheles den Faust ins Verderben stürzt, war Talleyrand Napoleons böser Genius. Eben so wie sich Faust in seinen Momenten des Abscheues von Mephistopheles loszumachen sucht, suchte sich Napoleon in seinen Stunden des Zweifels von Talleyrand loszumachen. Aber sie schienen durch einen Höllenpact aneinander gekettet zu seyn, und wurden erst getrennt, als die Seele des Denkers, des Poeten, des Eroberers in den Abgrund fiel.

Unter den Dreien war Talleyrand vielleicht am bangsten zu Muth, aber er erschien gewiß mit dem heitersten Antlitz.

Napoleon konnte sich eines unheimlichen Gefühls nicht erwehren, als er ihn erblickte, und ohne seine Anrede abzuwarten, streckte er die Hand aus, um ihn weiter vortreten zu lassen, und sagte:

»Fürst von Benevent, ich habe Ihnen nur ein paar Worte zu sagen. Wer mich verläugnet, ist mein Gegner, und ich achte ihn als solchen, aber wer sich, um mich zu verläugnen, sich selbst verläugnet, ist der Gegenstand meines größten Abscheues. Sie behaupten überall, daß Sie an dem Tode des Herzogs von Enghien keinen Theil gehabt; Sie versichern, daß Sie dem spanischen Kriege fremd seyen. Sie haben mir den Tod des Herzogs von Enghien schriftlich gerathen, und ich habe Briefe, in denen Sie mir die Politik Ludwigs XVI. dringend anempfehlen. Herr von Talleyrand,wer ein so kurzes Gedächtniß hat, kann mein Freund nicht seyn; schicken Sie mir morgen Ihren Kammerherrnschlüssel zurück, der dem Herrn von Montesguiou nicht nur bestimmt sondern bereits zugesichert worden ist.«

Ohne den Fürsten von Benevent zu entlassen, ohne ein Wort hinzuzusetzen entfernte sich Napoleon durch die in Josephinens Gemächer führende Thür.

Talleyrand wankte wie an dem Tage, wo ihn Maubreuil auf den Stufen der Kirche St. Denis mit einer Ohrfeige zu Boden warf. Aber dieses Mal traf der Schlag nur seine äußeren Verhältnisse, und der Oberkämmerer zählte, wie Mephistopheles, auf Satans Beistand, um mehr wieder zu bekommen, als er verloren hatte.

Die Leser erinnern sich, daß Napoleon in derselben Nacht zu Cambacérès gesagt hatte, er werde im April mit 400,000 Mann an der Donau stehen. Er hielt Wort: die Bevölkerung von Donauwörth, die am 17 April 1809 auf den Straßen und Plätzen des Städtchens wogte, erwartete den Kaiser der Franzosen.

III.
Die Zwillinge

Gegen neun Uhr Morgens entstand eine große Bewegung unter der Volksmenge, und ein lautes Gemurmel, das sich wie ein Lauffeuer vom äußersten Ende der Dillinger-Straße bis in den Mittelpunkt der Stadt verbreitete, war der Verbote eines ungewöhnlichen Ereignisses.

Dieses Ereigniß war die Ankunft eines Couriers in grüner, goldbetreßter Uniform, der dem Wagen des Kaisers um eine halbe Stunde voraus eilte.

Er sprengte im Galopp durch die auf beiden Seiten zurückweichende Menge der oberen Stadt zu, und hielt am Thore des vormaligen Klosters zum heiligen Kreuz an, wo Gemächer für den Kaiser eingerichtet worden waren.

Der Generalmajor Berthier, der den Kaiser in dem alterthümlichen stattlichen Gebäude erwartete, wurde durch die Ankunft des Couriers keineswegs überrascht Der Prinz von Neuchâtel, der auf der Plattform des Schlosses durch ein Fernrohr schaute, hatte schon seit zehn Minuten den kaiserlichen Wagenzug auf der Landstraße bemerkt.

Am 9. April hatte Erzherzog Carl ein Schreiben »an den Obergeneral der französischen Armee« nach München abgehen lassen. Mit einer andern Adresse war das Schreiben nicht versehen. Meinte der Erzherzog den Kaiser Napoleon damit und war für ihn, wie für den Abbé Loriquet, der Marquis von Bonaparte damals nur noch der Obergeneral Seiner Majestät Ludwig XVIII. Wenn dies der Fall war, so zeigte Erzherzog Carl überaus viel Starrsinn.

Wir wollen dahingestellt seyn lassen, wer der Obergeneral, Marschall, Prinz, König oder Kaiser war, den der Erzherzog meinte; das kurze Schreiben lautete folgendermaßen:

»Nach der Erklärung Sr. Majestät des Kaisers von Oesterreich zeige ich dein Herrn Obergeneral der französischen Armee an, daß ich die Weisung habe, mit den unter meinem Befehle stehenden Truppen vorzurücken und Jedermann, der mir Widerstand leisten wird, als Feind zu behandeln.«

Dieser Brief war vom 9. April. Am 12. Abends hatte der Kaiser Napoleon in den Tuilerien durch eine telegraphische Depesche die Nachricht von diesem Beginne der Feindseligkeiten erhalten. Er war am 13. Morgens abgereist, und am 16. hatte er zu Dillingen den König von Baiern angetroffen, der seine Hauptstadt verlassen und sich gegen zwanzig Stunden zurückgezogen hatte.

Durch die dreitägige ununterbrochene Reife ermüdet,verweilte Napoleon zu Dillingen, um daselbst zu übernachten, und gab dem Könige sein Wort, ihn binnen vierzehn Tagen in seine Hauptstadt zurückzuführen.

 

Am andern Morgen um sieben Uhr setzte er seine Reisefort, und um den Zeitverlust wieder einzudringen, legte er dennoch übrigen Weg in der größten Eile zurück. Er fuhr im sausenden Galopp durch die engen Gassen von Donauwörth, und selbst die Anhöhe hinauf ging’s im Galopp, bis er endlich im Hofe des vormaligen Klosters anhielt und von dem Generalstabschef Berthier empfangen wurde.

Die Förmlichkeiten waren kurz mit Napoleon. Er begrüßte den Fürsten von Neuchâtel mit einem kurzen: »Guten Tag, Berthier,« und dieser erwiederte den Gruß, wie gewöhnlich, murrend und an den Nägeln kauend. Dann winkte er dem übrigen Generalstabe mit der Hand zu und eilte, von einem Dutzend Diener geleitet, in die für ihn eingerichteten Gemächer.

Auf einem großen Tische lag eine Specialkarte von Baiern ausgebreitet, auf welcher jeder Baum, jeder Bach, jedes Thal, jedes Dorf, sogar jedes Haus angegeben war.

Napoleon trat sogleich an den Tisch, während ein Adjutant das Reiseportefeuille offen auf einen Säulentisch legte und der Kammerdiener das Bett auf dem ledernen Sack zog und in einem Winkel des Salons bereitete.

»Gut,« sagte er, den Finger auf Donauwörth haltend, »sind Sie mit Davoust in Verbindung?«

»Ja, Sire,« antwortete Berthier.

»Mit Massena?«

»Ja, Sire.«

»Mit Oudinot?«

»Ja, Sire.«

»Dann geht Alles gut. Wo stehen die Generale?«

»Der Marschall Davoust ist in Regensburg, der Marschall Massena und der General Oudinot sind in Augsburg;einige von ihnen abgeschickte Offiziere erwarten Ew. Majestät, um Bericht abzustatten.«

»Haben Sie Spione ausgeschickt?«

»Zwei sind schon zurückgekommen, ich erwarte den dritten und gewandtesten.«

»Was haben Sie gethan?«

»Ich habe mich so viel als möglich an den Plan Ew. Majestät gehalten, nemlich auf der großen Heerstraße gerade nach Regensburg zu marschiren und von da gegen Wien vorzurücken, zu Wasser aber nur die Kranken und Verwundeten sammt einem Theil der Munition und des Gepäcks der Armee fortzuschaffen.«

»Gut, an Fahrzeugen wird es uns nicht fehlen; ich habe auf allen Nebenflüssen der Donau Alles ankaufen lassen, was zu finden war, und zwölfhundert meiner besten Seeleute von Boulogne genommen, falls wir auf den Inseln Widerstand finden. Sie haben Hacken und Schaufeln ankaufen lassen?«

»Fünfzigtausend, ist das genug?«

»Es ist gerade nicht zu viel . . . Sie sind am 13. Abends hier angekommen; was haben Sie seitdem angeordnet?«

»Ich ertheilte zuerst Befehl, alle Truppen gegen Regensburg ausrücken zu lassen«

»Haben Sie denn meinen Brief nicht erhalten, der Ihnen befahl, alle in Augsburg zusammenzuziehen?«

»Ja wohl, und ich schickte sogleich Gegenbefehl an Oudinot, der mit seinem Armeecorps schon auf dem Marsche war; aber ich glaubte Davoust in Regensburg lassen zu müssen.«

»Dann ist aber die Armee in zwei Massen getheilt: die eine steht in Regensburg, die andere in Augsburg . . .«

»Und die Baiern stehen dazwischen.«

»Hat irgendwo schon ein Zusammenstoß stattgefunden?«

»Ja, Sire, bei Landshut, zwischen den Oesterreichern und Baiern.«

»Welche Division?«

»Die Division Duroc.«

»Haben sich die Baiern gut gehalten?«

»Seht gut, Sire; aber sie mußten der vierfachen Uebermacht weichen.«

»Wo stehen sie jetzt?«

»Dort, Sire, im Walde bei Dürnbach.«

»Wie stark sind sie?«

»Etwa 27,000 Mann.«

»Und wo steht der Erzherzog?«

»Zwischen der Isar und Regensburg; aber bis jetzt war es unmöglich, genaue Erkundigungen einzuziehen.«

»Lassen Sie den vom Marschall Davoust abgeschickten Offizier hereinkommen.«

Berthier gab einen Wink, ein Adjutant öffnete eine Thür und führte einen jungen Jägeroffizier herein.

Der Kaiser sah ihn flüchtig, aber mit sichtlichem Wohlgefallen an: es war unmöglich, einen schöneren stattlicheren Cavalier zu sehen.«

»Sie kommen von Regensburg, Herr Lieutenant?« fragte der Kaiser.

»Ja, Sire,« antwortete der junge Offizier.

»Zu welcher Stunde sind Sie fortgeritten?«

»Um ein Uhr Nachts.«

»Der Marschall Davoust bat Sie abgeschickt?«

»Ja, Sire.«

»Wie stark war sein Corps, als Sie Regensburg verließen?«

»Vier Divisionen Infanterie, eine Division Kürassiere und eine Division leichte Cavallerie.«

»Im Ganzen?«

»Etwa 50,000 Mann. Die Generale Nansouty und Espagne mit der schweren und einem Theile der leichten Cavallerie, und der General Demont mit dem vierten Bataillon und dem Artilleriepark stehen am linken Donauufer.«

»Hat die Zusammenziehung der Truppen um Regensburg ohne Schwierigkeiten stattgefunden?«

»Sire, die Divisionen Gudin, Morand und Saint-Hilaire haben ihre Stellungen eingenommen, ohne einen Schuß abzufeuern; aber die Division Friant, welche sie deckte, hatte beständig mit dem Feinde zu kämpfen, und obgleich sie hinter sich alle Brücken zerstört hat, wird der Marschall Davoust doch wahrscheinlich in Regensburg angegriffen werden«

»Wie viele Stunden sind Sie unterwegs gewesen?«

»Sieben Stunden, Sire.«

»Und wie weit ist Regensburg von hier?«

»Zweiundzwanzig Wegstunden.«

»Sind Sie zu ermüdet, um in zwei Stunden wieder zurückzureiten?«

»Ew. Majestät wissen wohl, daß man im Dienste nie müde wird. Man gebe mir ein frisches Pferd, und ich reite fort, wann Ew. Majestät es befehlen.«

»Ihr Name?«

»Lieutenant Richard.«

»Ruhen Sie zwei Stunden, Herr Lieutenant, aber in zwei Stunden müssen Sie zur Reise gerüstet seyn.«

Der Lieutenant Richard salutirte und ging.

In diesem Augenblicke kam ein Adjutant und sprach mit Berthier.

»Lassen Sie den Abgesandten des Marschalls Massena kommen,« sagte der Kaiser.

»Sire,« antwortete Berthier, »ich halte es für überflüssig, ich habe ihn befragt und Alles erfahren was zu wissen nothwendig ist. Massena ist mit Qudinot, Molitor und Boudet in Augsburg. Sein Corps zählt mit Einschluß der Baiern und Würtemberger etwa 80,000 Manns aber ich glaube Ew. Majestät etwas Besseres bieten zu können.«

»Was denn?«

»Der Spion ist zurückgekommen.«

»Wirklich?«

»Er hat sich durch die österreichischen Reihen geschlichen.«

»Lassen Sie ihn hereinkommen.«

»Ew. Majestät wissen, daß diese Leute sich oft weigern,in Gegenwart mehrerer Personen zu reden.«

»Lassen Sie mich mit ihm allein.«

»Fürchten Ew. Majestät nicht . . .«

»Was soll ich denn fürchten?«

»Man spricht von Illuminaten, von Fanatikern . . .«

»Lassen Sie ihn nur hereinkommen, ich werde es ihm schon in den Augen ansehen, ob Sie mich mit ihm allein lassen können.«

Berthier öffnete eine kleine Thür, die in ein Cabinet führte, und holte einen etwa dreißigjährigen wie ein Schwarzwälder Holzhauer gekleideten Mann heraus.

Der Mann trat einige Schritte vor, hielt die Hand an die Stirn und salutirte militärisch.

»Gott bewahre Ew. Majestät vor jedem Unglück,« sagte er.

Der Kaiser sah ihn an.

»Oho!« sagte er, »wir sind ja alte Bekannten.«

»Sire, am Tage vor der Schlacht bei Austerlitz gab ich Ihnen im Vivonac Auskunft über die Stellung der Russen und Oesterreicher.«

»Die Auskunft war ganz genau, Meister Schlick.«

»O, Donner und Wetter!« erwiederte der falsche Schwarzwälder mit einem echt deutschen Fluch, »Ein Majestät erkennen mich also? das freut mich!«

»Ja,« sagte der Kaiser; »Alles gebt gut,« – Dann gab er dem Generalstabschef einen Wink und setzte hinzu: »Ich glaube, daß Sie mich ohne Bedenken mit ihm allein lassen können.«

Der Fürst von Neuchâtel schien diese Meinung zu theilen, denn er entfernte sich mit seinen Adjutanten, ohne die mindeste Einwendung zu machen.«

»Zuerst das Dringendste,« sagte der Kaiser; »kannst Du mir über den Erzherzog etwas mittheilen?«

»Ueber ihn oder seine Armee, Sire?«

»Ueber Beides.«

»O, ich kann über Beide Auskunft geben: ein Vetter von mir dient in seiner Armee und mein Schwager ist sein Kammerdiener.«

»Wo ist er oder das Gros seiner Armee?«

»Außer den 50,000 Mann, die unter Bellegarde und Kolowrat aus Böhmen gegen die Donau anrücken und in Regensburg mit dem Marschall Davoust zusammenstoßen sollen, bat der Erzherzog selbst etwa 150,000 Mann. Am 10. April ist der Prinz mit beiläufig 60,000 Mann über den Inn gegangen.«

»Kannst Du alle Bewegungen, die Du mir angibst, auf einer Karte verfolgen?«

»Warum nicht? Unsereins ist ja in die Schule gegangen.«