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Des anderen Tages verbreitete sich das Gerücht in der Stadt, daß die Briefe, welche Nero während des Schauspiels erhalten, und die einen so tiefen Eindruck auf ihn gemacht hatten, die Nachricht von der Empörung der spanischen und gallischen Legionen unter Galbas und Vindex' Führung enthielten.

XVII

Drei Monate nach den Ereignissen, welche wir soeben erzählt haben, verließen fünf Männer am Abend eines regnerischen Tages und beim Anbruch einer stürmischen Nacht das Nomentanische Tor und ritten auf der Straße nach Nomentum weiter. Derjenige, welcher an der Spitze ritt und den man folglich für den Führer der Truppe halten konnte, hatte bloße Füße, er trug eine blaue Tunika und einen großen, dunkelfarbigen Mantel darüber; sein Gesicht war dicht mit einem Schleier verhüllt, entweder um es vor dem Regen zu schützen oder um es den Blicken der Neugierigen zu entziehen, denn obwohl die Nacht fürchterlich war, die Blitze fortwährend die Dunkelheit durchzuckten und der Donner unaufhörlich grollte, waren die Erdbewohner doch so sehr mit ihren eigenen Revolutionen beschäftigt, daß sie die des Himmels darüber vergaßen. In der Tat erhob sich ein großes Volksgeschrei in der kaiserlichen Stadt, das dem Tosen des stürmischen Ozeans glich, und auf der Straße begegnete man alle hundert Schritt weit einzelnen Wanderern oder kleinen Gruppen wie die, welche wir beschrieben haben. Zu beiden Seiten der Straßen von Alaria und Nomentum erhoben sich zahlreiche Zelte der Prätorianer, welche ihre innerhalb Roms gelegenen Kasernen verlassen und außerhalb der Stadtmauern ein freieres und nicht so leicht zu überraschendes Lager aufgeschlagen hatten.

Es war, wie gesagt, eine jener schrecklichen Nächte, wo alle Dinge in der Natur eine klagende oder schreckende Stimme annehmen, und der Mensch allein seine Stimme braucht, um zu lästern. Bei dem plötzlichen Anblick des erwähnten Reiterführers hätte man übrigens glauben können, er sei das Ziel, das der Zorn der Menschen und der Götter verfolgte. In dem Augenblick, wo er Rom verließ, ging ein seltsames Wehen durch die Luft, so daß die Bäume darunter zitterten, die Erde erbebte, die Pferde sich wiehernd niederbeugten und die in der Landschaft zerstreuten Häuser sichtbar auf ihren Grundflächen schwankten. Diese Erschütterung hatte nur wenige Sekunden gedauert, aber sie hatte den ganzen Apennin von Rhegium bis zu den Alpen durchlaufen, so daß ganz Italien gebebt hatte. Als die Reiter gleich nachher die Brücke überschritten, die über die Tiber geschlagen war, machte einer seiner Gefährten darauf aufmerksam, daß das Wasser, statt abwärts zum Meere zu fließen, schäumend zur Quelle zurückdrängte, eine Erscheinung, die man seit dem Tage, wo Julius Cäsar ermordet worden war, nicht mehr beobachtet hatte. Endlich erreichten sie einen Hügel, von wo aus sie ganz Rom überblicken konnten und auf dessen Spitze sich eine ehrwürdige Cypresse erhob, die so alt war wie die Stadt. Da schien sich der Himmel zu öffnen, der Blitz hüllte die Reiter in eine Schwefelwolke ein, ein furchtbarer Donnerschlag erkrachte, und der Jahrhunderte alte Baum, der allen Stürmen und Revolutionen bisher getrotzt hatte, war zerschmettert.

Bei jedem dieser unheilvollen Vorzeichen hatte der verschleierte Mann ein dumpfes Stöhnen ausgestoßen und sein Pferd, trotz der Vorstellungen eines seiner Begleiter, zu einer lebhafteren Gangart aufgemuntert, so daß die Reiter im Trab auf der Landstraße hinritten. Ungefähr eine halbe Meile von der Stadt entfernt begegnete ihnen ein Trupp Bauern, die trotz des fürchterlichen Wetters fröhlich nach Rom zogen. Sie waren mit Festkleidern geschmückt und trugen auf dem Kopfe die Mütze der Freigelassenen zum Zeichen, daß von diesem Tage an das Volk frei sei. Der verschleierte Mann wollte das Pflaster verlassen und abseits in das Feld reiten, aber einer seiner Begleiter ergriff sein Pferd am Zügel und zwang ihn, seinen Weg fortzusetzen. Als sie bei den Bauern vorüberkamen, erhob einer seinen Stock, um anzuzeigen, daß sie halten sollten. Die Reiter gehorchten.

Ihr kommt aus Rom? sagte der Bauer.

Ja, antwortete der Gefährte des verschleierten Mannes.

Was sagt man von Oenobarbus? Neros Spitzname Oenobarbus bedeutet Weinbart, das Wort ist verderbt aus Aënobarbus.

Der verschleierte Mann zitterte.

Daß er sich gerettet habe, antwortete einer der Reiter.

Nach welcher Seite?

Auf dem Wege nach Neapel sei er gesehen worden, sagt man, auf der Appischen Straße.

Danke, sagten die Bauern und zogen weiter nach Rom mit dem Ruf: Es lebe Galba! Tod dem Nero!

Diese Rufe erweckten andere; in der Ebene und in den Lagern zu beiden Seiten der Straße ließen sich die Stimmen der Prätorianer vernehmen, die den Cäsar mit furchtbaren Verwünschungen überschütteten.

Die Reiter setzten ihren Weg fort; eine Viertelmeile weiter begegneten sie einem Haufen Soldaten.

Wer seid ihr? fragte einer derselben, indem er ihnen den Weg mit seiner Lanze versperrte.

Anhänger des Galba, die Nero suchen, antwortete einer der Reiter.

Dann wünsche ich euch mehr Glück als wir hatten, sagte der Anführer, denn wir haben ihn verfehlt.


Wieso das?

Ja, man hatte uns gesagt, daß wir ihn auf dieser Straße treffen würden, und da wir einen Reiter im Galopp dahersprengen sahen, glaubten wir, er sei es.

Und? … sagte der verschleierte Mann mit zitternder Stimme.

Wir haben ihn getötet; antwortete der Anführer; erst als wir den Leichnam betrachteten, merkten wir, daß wir uns getäuscht hatten. Seid glücklicher als wir, und Jupiter beschütze euch!

Der verschleierte Mann wollte wiederum sein Pferd in Galopp setzen, aber seine Gefährten hielten ihn zurück. Er ritt daher in mäßigem Tempo auf der Straße weiter, aber kaum hatte er fünfhundert Schritte zurückgelegt, so stieß sein Pferd an einen Leichnam und machte einen so heftigen Seitensprung, daß der Schleier, der sein Gesicht verhüllte, herabfiel. In diesem Augenblick ging ein prätorianischer Soldat vorüber, der aus dem Urlaub zurückkehrte. Heil dem Cäsar! sagte der Soldat. Er hatte Nero beim Aufleuchten eines Blitzstrahls erkannt. In der Tat war es Nero selbst, der an den Leichnam dessen gestoßen war, den man für ihn gehalten hatte. Um diese Stunde war alles für ihn eine Ursache des Schreckens, sogar das Zeichen der Ehrerbietung, das ihm ein alter Soldat entbot. Nero war vom Gipfel seiner Macht herabgestürzt durch eine jener unerhörten Wendungen, von denen die Geschichte jener Zeit mehrere Beispiele aufweist; er fand sich flüchtig und geächtet auf der Landstraße und floh vor dem Tod, den er weder sich selbst zu geben noch zu erwarten den Mut hatte. Welche Folge von Ereignissen hatte es aber vermocht, den Herrn der Welt in das Elend zu stürzen?

Als der Kaiser den Zirkus betrat, war er von den Rufen begrüßt worden: Es lebe Nero, der Olympische! Es lebe Nero, der Herkulische! Es lebe Nero, der Apollinische! Es lebe der erlauchte Sieger über alle seine Nebenbuhler! Ruhm seiner göttlichen Stimme! Glücklich sind alle, denen vergönnt war, ihre himmlischen Laute zu hören! Zur selben Zeit sprengte ein Bote aus Gallien auf schweißbedecktem Roß durch das Flaminische Tor, ritt über das Marsfeld, unter dem Triumphbogen des Claudius durch, am Kapitol entlang, trat in den Zirkus und übergab dem Hüter vor der Loge des Kaisers die Briefe, die er in großer Eile so weit hergebracht hatte. Es waren jene Briefe, die den Cäsar veranlaßten, den Zirkus zu verlassen; sie waren in der Tat von solcher Bedeutung, daß sie das plötzliche Verschwinden des Kaisers leicht erklärten. Sie kündigten den Aufstand der Gallier an.

Es gibt Epochen in der Weltgeschichte, wo man ein Reich, das im Todesschlaf zu liegen schien, plötzlich erbeben sieht, wie wenn der Genius der Freiheit zum erstenmal vom Himmel herniederstiege, um seine Träume zu erhellen. Wie groß und weit auch dieses Reich sein mag, die elektrische Erschütterung durchdringt es von Norden nach Süden und von Osten nach Westen und durchläuft unerhörte Entfernungen, um in Völkern, die gar keine Verbindung untereinander haben, aber alle in demselben Knechtschaftsverhältnis stehen, dasselbe Verlangen nach Freiheit zu entzünden. Dann hört man dieselben Rufe auf zwanzig verschiedenen Seiten zugleich erschallen, wie wenn der Blitz ihnen die Losung zum Sturm zugetragen hätte.

Alle verlangen in verschiedenen Sprachen dasselbe, nämlich: daß das, was ist, nicht mehr sein soll. Ob die Zukunft besser sein wird als die Gegenwart? Das weiß niemand, und es hat auch nicht viel zu bedeuten, denn die Gegenwart drückt so schwer, daß man sich vor allen Dingen davon befreien muß, dann läßt sich erst über die Zukunft verhandeln.

Für das römische Reich in seinem ganzen ungeheuren Umfange war dieser Zeitpunkt angebrochen. In Norddeutschland bildeten Fonteius Capiton, in Gallien Vindex, in Spanien Galba, in Lusitanien Otho, in Afrika Claudius Macer und in Syrien Vespasian mit ihren Legionen einen drohenden Halbkreis, der nur auf ein Zeichen wartete, um die Hauptstadt einzuschließen. Nur Virginius allein in Oberdeutschland war entschlossen, was auch kommen möge, nicht Nero, aber dem Vaterlande treu zu bleiben. Es fehlte also nur der zündende Funke, um den Brand anzustecken, und Vindex war es, der diesen Brand entfachte.

Dieser Prätor aquitanischer Abkunft stammte aus königlichem Geschlecht, er war ein Mann von Geist und Gemüt und erkannte, daß die Stunde gekommen sei, wo die herrschende Cäsarenfamilie erlöschen müsse. Ohne ehrgeizige Wünsche für sich selbst zu hegen, blickte er um sich nach dem rechten Manne, der die allgemeine Sympathie finden könnte. Zu seiner Rechten auf der anderen Seite der Pyrenäen stand Sulpicius Galba, den seine Siege in Afrika und Germanien bei dem Volke und dem Heere zugleich beliebt gemacht hatten. Sulpicius Galba haßte den Kaiser, dessen Furcht ihn aus seiner Villa in Fondi herausgerissen und ihn nach Spanien gesandt hatte, mehr wegen seiner Verbannung von Rom als wegen der Würde des Prätors. Sulpicius Galba war seit lange von der Volksstimme wie durch göttliche Orakel zum Alleinherrscher vorherbestimmt. Er war in jeder Hinsicht der geeignete Mann, um an die Spitze der Empörung zu treten. Vindex sandte ihm geheime Briefe, in denen er ihm den ganzen Plan des Unternehmens enthüllte; er versprach, ihm zur Unterstützung hunderttausend Gallier zu senden, und bat ihn, wenn er nicht zu dem Sturze Neros beitragen wolle, wenigstens die höchste Würde nicht zurückzuweisen, die er nicht gesucht, sondern die sich ihm von selbst dargeboten habe.

 

Was Galba betrifft, so verleugnete sich sein düsterer und unentschlossener Charakter nicht bei dieser Gelegenheit. Er empfing die Briefe und verbrannte sie, um auch die letzte Spur davon zu zerstören, aber ihren Inhalt behielt er sorgfältig im Gedächtnis.

Vindex fühlte, daß Galba gedrängt sein wollte; er hatte die Verbindung nicht angenommen, aber er hatte den, der sie ihm anbot, auch nicht verraten; durch dieses Stillschweigen bekundete er sein Einverständnis.

Der Augenblick war günstig. Zweimal im Jahre vereinigten sich die Gallier auf einer Nationalversammlung, die in Clermont stattfand. Hier enthüllte Vindex seine Pläne.

Mitten im Luxus und in der Verderbnis der römischen Kultur war Vindex der echte Gallier der alten Zeit geblieben. Er einte in sich die kühle und feste Entschlossenheit des Nordländers mit der kühnen, hinreißenden Beredsamkeit des Südens.

Ihr beratet hier über die Angelegenheiten Galliens, sagte er, ihr sucht die Ursache unseres Unglücks in eurer Mitte; ihr irrt, diese Ursache liegt in Rom, Oenobarbus ist der Schuldige, der eines um das andere von unsern alten Rechten vernichtet, unsere blühendsten Provinzen ins Elend gestürzt und Trauer in unsere edelsten Familien gebracht hat. Er ist jetzt der letzte seines Geschlechts, und eben weil er der letzte Sproß der Cäsarenfamilie ist, fürchtet er weder Rivalen noch Rächer und läßt seiner Wut die Zügel schießen wie seinen Rennern. Er läßt sich von seinen Leidenschaften fortreißen und zermalmt das Haupt Roms und die Glieder seiner Provinzen unter den Rädern seines Wagens. Ich habe den kaiserlichen, gekrönten Athleten und Sänger gesehen; ja, ich hab' ihn gesehen, wie er betrunken und selbst der Ehre eines Fechters und Komödianten unwürdig war. Warum wollen wir ihn mit dem Titel des Cäsars, des Fürsten, des Erlauchten schmücken? Diese Titel hatte der göttliche Augustus durch seine Tugend, der göttliche Tiberius durch seinen Geist, der göttliche Claudius durch seine Wohltaten verdient. Aber dieser schändliche Oenobarbus gleicht dem Oedipus, dem Orestes; nach diesen müßte man ihn nennen, weil er sich die Namen des Ruchlosen, des Muttermörders zur Ehre anrechnet. Früher haben unsere Vorfahren Rom im Sturm erobert, einzig von dem Wunsche nach Veränderung und der Sucht nach Gewinn geleitet. Jetzt ist es ein edlerer und würdigerer Beweggrund, der uns auf die Spur unserer Vorfahren zurückführt. Statt dem Schwerte des alten Brennus werfen wir jetzt die Freiheit der Völker in die Wagschale und bringen den Besiegten nicht Unheil, sondern Glückseligkeit!

Vindex war tapfer, und man wußte, daß die Worte, die aus seinem Munde gingen, keine eitlen Worte waren. Seine Rede wurde mit lebhaftem Beifall und geräuschvollen Kundgebungen ausgenommen. Jeder gallische Hauptmann zog sein Schwert und schwur darauf, daß er in einem Monat zurückkehren werde mit einem seinem Range und Vermögen angemessenen Gefolge und zog sich hierauf in seine Stadt zurück. Jetzt war die Maske vom Gesicht gerissen und das Schwert entblößt. Vindex schrieb zum zweitenmale an Galba.

Seit Galba in Spanien angekommen war, hatte er alles getan, sich bei der Bevölkerung beliebt zu machen. Nie gab er sich zu den Gewalttätigkeiten her, wie sie die Prätoren gewöhnlich ausübten; wenn er Erpressungen nicht verhindern konnte, beklagte er deren Opfer. Niemals sagte er etwas Schlimmes über Nero, aber er ließ satyrische Verse und beleidigende Epigramme gegen den Kaiser frei umgehen. Seine Umgebung erriet daraus seine Pläne, ohne daß er sie jemanden anvertraut hätte. An dem Tage, wo er Vindex' Botschaft empfing, gab er seinen Freunden ein großes Festmahl, und nachdem er sie von dem Aufstand der Gallier benachrichtigt hatte, teilte er ihnen am Abend die Eilbotschaft des Galliers mit, ohne etwas hinzuzufügen; so stellte er es ihnen durch sein Schweigen frei, selbständig ihre Billigung oder Mißbilligung auszudrücken. Seine Freunde blieben stumm und unentschlossen, als sie das Blatt lasen; nur einer von ihnen, namens Benius, trat bestimmter auf als die andern. Er wandte sich zu Galba, blickte ihm ins Angesicht und sagte:

Galba, wozu sollen wir noch beraten, ob wir Nero treu bleiben wollen, das ist schon so gut, als wären wir von ihm abgefallen. Entweder mußt du Vindex' Freundschaft annehmen, wie wenn Nero schon unser Feind wäre, oder du mußt ihn auf der Stelle verklagen, oder ihm den Krieg erklären, und warum? Weil er will, daß die Römer lieber dich zum Kaiser als Nero zum Tyrannen haben sollen.

Wenn es euch recht ist, wollen wir uns am fünften des nächsten Monats in Neu-Karthago wieder versammeln, um einige Sklaven in Freiheit zu setzen, antwortete Galba, als ob er die Frage nicht gehört hätte.

Die Freunde Galbas erklärten sich bereit zu kommen und verbreiteten das Gerücht, daß bei dieser Zusammenkunft über die Geschicke des Kaiserreichs entschieden werden solle.

An dem bestimmten Tage strömten alle hervorragenden Einheimischen und die eben in Spanien weilenden angesehenen Fremden an dem genannten Orte zusammen. Jeder kam in derselben Absicht, von demselben Wunsche beseelt und vom selben Haß durchglüht. Galba bestieg die Rednertribüne, und von einmütiger Begeisterung ergriffen, riefen ihn sogleich alle zum Kaiser aus.

XVIII

Das war der Inhalt der Briefe, welche Nero erhalten hatte; zugleich teilte man ihm mit, Vindex' Aufruf sei unter das Volk verteilt worden und bereits in einigen Exemplaren nach Rom gekommen. Daß man ihn darin Frevler, Muttermörder, Tyrann nannte, erzürnte und beleidigte ihn weniger als der Spitzname Oenobarbus und die Bemerkung, er sei ein schlechter Sänger. Das waren Beleidigungen, für welche der Senat Rache nehmen mußte, er schrieb daher sogleich an den Senat. Um den Vorwurf der Ungeschicklichkeit in seiner Kunst zu vergelten, ließ er demjenigen eine Million Sesterzien versprechen, der Vindex töten würde; darauf fiel er wieder in seine Sorglosigkeit und Apathie zurück.

Inzwischen machte der Aufstand in Spanien und Gallien Fortschritte; Galba hatte sich eine Reitergarde geschaffen und eine Art Senat eingerichtet. Als Vindex vernahm, daß ein Preis auf seinen Kopf gesetzt sei, antwortete er, er wolle gerne seinen Kopf hergeben, wenn man ihm den Neros dafür bringe.

Unter allen Heerführern, Präfekten und Prätoren, die dem neuen Cäsar zufielen, war Virginius allein treu geblieben, nicht, wie schon erwähnt, aus Liebe zu Nero, sondern weil er in Vindex einen Fremden sah und Galba als einen schwachen, unentschlossenen Charakter kannte. Er fürchtete, daß Rom, so unglücklich es schon war, unter dem Wechsel noch mehr zu leiden haben würde. Er stellte sich daher mit seinen Legionen den Galliern entgegen, um das Reich vor der Schande zu retten, einem seiner früheren Feldherrn gehorchen zu müssen.

Die gallischen Hauptleute hatten ihren Schwur gehalten; an der Spitze von Heerhaufen aus den drei edelsten und mächtigsten Völkerschaften Galliens, den Sequanern, Äduern und Arvernern schlossen sie sich an Vindex an. Virginius dagegen hatte die germanischen Legionen um sich versammelt, die belgischen Hilfstruppen und die batavische Reiterei. Diese beiden Heere rückten gegeneinander vor, bis Vindex vor Besançon stand, das zur Zeit dem Galba als Aufenthalt diente. Aber kaum waren die Vorbereitungen zur Belagerung getroffen, so war Vindex' Heer zur Stelle.

Die Gallier zogen den Römern entgegen, die sie erwarteten; als sie noch drei Wurflängen entfernt waren, hielten sie an und stellten sich in Schlachtordnung auf. In diesem Augenblick trat in Vindex' Auftrag ein Herold vor und ging dem Virginius entgegen. Eine Viertelstunde später rückten die Garden der beiden Heerführer zwischen den beiden Heeren vor, in der Mitte wurde ein Zelt errichtet, und Virginius und Vindex begaben sich in dieses Zelt.

Niemand war bei ihrer Unterredung zugegen, doch geht die Meinung der Geschichtsforscher dahin, Vindex habe Virginius seine Politik entwickelt, ihm erklärt, daß er nicht für sich selbst handle, sondern für Galba, und ihn überzeugt, daß diese Erhebung dem Vaterland zum Wohle gereiche. Jedenfalls verständigte sich hierauf Vindex mit dem, den er erst bekämpfen wollte. Die beiden Heerführer trennten sich, um sich bald darauf wieder zu vereinigen und an der Spitze ihrer Heere gemeinschaftlich gegen Rom vorzugehen; da erscholl auf einmal großes Geschrei auf dem rechten Flügel der Armee. Eine Abteilung von hundert Mann hatte Besançon verlassen, um sich den Galliern anzuschließen. Diese führten eine Schwenkung aus, um sie einzuholen; da glaubten sich die Soldaten des Virginius angegriffen, und dem ersten Antrieb folgend, stellten sie sich ihnen entgegen. Das war die Ursache des Geschreis, das die beiden Heerführer vernahmen. Sogleich sprengte jeder zu seinem Heer zurück und beschwor die Soldaten einzuhalten, aber ihre Bitten wurden von den Schlachtrufen der Gallier, die ihre Schilde an den Mund legten, übertönt. Man hielt ihre Handbewegungen für Zeichen der Ermutigung, ein unbegreiflicher Taumel, wie er zuweilen Armeen und Menschen erfaßt, ergriff die ungeheure Menge. Man sah das grauenvolle Schauspiel sich entwickeln, wie Soldaten ohne Oberbefehl und ohne Schlachtordnung aufeinander losstürzten und sich überfielen wie Löwen und Tiger im Zirkus, einzig von dem Instinkt der Vernichtung getrieben, und von dem alten Haß entflammt, den die unterjochten Völker gegen ihre Überwinder und die Eroberer gegen die Unterworfenen hegen. Nach zwei Stunden hatten die Gallier in diesem Kampf zwanzigtausend Mann und die germanischen und batavischen Legionen sechzehntausend Mann verloren. Endlich zogen sich die Gallier im Schutze der Dunkelheit zurück. Auf dem Platze, wo die germanischen Soldaten sie des andern Morgens wiederzufinden hofften, stand nur noch ein Zelt, und darin fand man den Leichnam des Vindex, der sich aus Verzweiflung darüber, daß er seine schönsten Hoffnungen auf Freiheit vereitelt sehen mußte, in sein Schwert gestürzt hatte.

Zur selben Zeit waren auch die Ereignisse in Spanien für den neuen Kaiser ebenso ungünstig. Eine Reiterabteilung, die sich empört hatte, bereute, ihren Treueschwur gebrochen zu haben; sie wollte Galba verlassen und war nur mit großer Mühe zur Rückkehr unter seinen Oberbefehl zu bewegen. Am selben Tage, an dem sich Vindex in sein Schwert stürzte, wäre Galba auf dem Wege zum Bade in einer engen Straße beinahe ermordet worden von Sklaven, die ihm ein früherer Freigelassener des Nero übergeben hatte. Er war noch ganz erschüttert von der doppelten Gefahr, der er kaum entronnen, als er die Niederlage der Gallier und den Tod des Vindex vernahm. Jetzt glaubte Galba alles verloren, und anstatt kühn dem Geschick zu vertrauen, zog er sich in die feste Stadt Clunia zurück, deren Befestigungswerke er noch verstärkte. Aber gleich darauf gaben ihm untrüglich scheinende, glückliche Vorzeichen den verlorenen Mut zurück. Als man die neue Verschanzung um die Stadt zu führen begann, fand ein Soldat beim ersten Spatenstich einen Ring von kostbarer, antiker Arbeit, auf dessen Stein eine Siegesgöttin und eine Trophäe graviert waren. Dieses erste Unterpfand des Schicksals verlieh ihm wieder einen ruhigeren Schlummer, als er lange gehabt hatte, und während dieses Schlummers sah er im Traume die kleine Statue der Fortuna, welcher er auf seiner Villa in Fondi einen besonderen Kultus geweiht und der er monatlich ein Opfer und jährlich eine Nachtwache gewidmet hatte. Sie schien seine Türe zu öffnen und sagte, sie sei es müde, an seiner Schwelle zu warten, und werde einem anderen folgen, wenn er sich nicht beeile, sie einzulassen. Noch ganz ergriffen von diesen beiden günstigen Vorzeichen, erhob er sich; da verkündigte man ihm, daß bei Dertosa, einer am Ebro gelegenen Stadt, ein mit Waffen beladenes Schiff gelandet sei, ohne Passagiere, Matrosen und Steuermann; von jetzt ab betrachtete er seine Sache als gerecht und gewonnen, denn es war offenbar, daß sie den Göttern wohlgefiel.

Was Nero betrifft, so hatte er den üblen Nachrichten im ganzen wenig Wert beigelegt, sich sogar darüber gefreut, denn er fand unter dem Vorwand des Kriegsrechts ein Mittel neue Steuern zu erheben. Er hatte sich damit begnügt, dem Senat den Aufruf des Vindex zu übersenden, indem er Genugtuung verlangte diesem Menschen gegenüber, der ihn einen schlechten Kytharaspieler genannt habe. Dann hatte er auf den Abend die hervorragendsten Bürger zu sich berufen. Diese beeilten sich sehr, die Versammlung zu besuchen, weil sie glaubten, daß über die neuesten Ereignisse beraten werden solle; aber Nero begnügte sich damit, jedem einzeln hydraulische Musikinstrumente von neuer Erfindung vorzuzeigen und über deren Gebrauch und Vorzug ausführlich zu reden. Alles, was er über den Aufstand in Gallien sagte, war die Bemerkung, daß er alle diese Instrumente ins Theater bringen lassen werde, wenn Vindex ihn nicht daran verhindere.

 

Als am nächsten Morgen neue Briefe einliefen, die mitteilten, daß die Anzahl der Aufständischen in Gallien sich bereits auf hunderttausend belaufe, dachte Nero, daß es Zeit sei, Kriegsvorbereitungen zu treffen. Er gab die seltsamsten und unsinnigsten Befehle. Er ließ Wagen vor das Theater und den Palast fahren und mit Musikinstrumenten statt mit Waffen beladen und berief die städtischen Mannschaften ein, um den Militäreid zu leisten. Da er jedoch sah, daß die waffenfähigen Männer nicht erschienen, verlangte er von den Herren als Ersatz eine gewisse Anzahl Sklaven; er ging selbst in die Häuser, um die kräftigsten und stärksten auszuwählen, und nahm selbst die Wirtschaftsführer und die Schreiber. Dann versammelte er vierhundert Kurtisanen, ließ ihnen die Haare abschneiden, bewaffnete sie mit der Axt und dem Schild der Amazonen und bestimmte sie zur cäsarischen Leibwache. Auf die Schultern des Sporus und des Phaon gestützt, verließ er nach der Mahlzeit das Speisezimmer, und als ihn einige warnten, sagte er ihnen, sie möchten sich nur beruhigen, denn sobald er nur den Boden der Provinz berührt und sich den Galliern ohne Waffen gezeigt haben werde, würde er nur noch nötig haben, ein paar Tränen zu vergießen, dann würden die Verführer sogleich bereuen, und am anderen Tag würde man ihn fröhlich mit den Fröhlichen eine Siegeshymne anstimmen hören, die er sogleich komponieren wolle.

Einige Tage darauf traf wieder ein Bote aus Gallien ein; dieser wenigstens brachte die günstigen Nachrichten von dem Zusammentreffen der römischen Legionen mit den Galliern, von der Niederlage der Rebellen und dem Tode des Vindex, Da erhob Nero ein großes Freudengeschrei und rannte wie ein Narr in den Gemächern und Gärten des goldenen Hauses umher, ordnete Feste und Vergnügungen an, verkündigte, daß er am Abend im Theater singen werde, und ließ die vornehmsten Bürger der Stadt für den folgenden Tag zum Abendessen einladen.

Am Abend begab sich Nero wirklich ins Gymnasium, aber eine dumpfe Gärung herrschte in der Stadt. Als er vor einer seiner Bildsäulen vorüberging, sah er, daß sie mit einem Sack bedeckt war. Die Vatermörder schloß man nach altem Brauch in einen Sack und warf sie in die Tiber mit einem Affen, einer Katze und einer Schlange.

Die Vorstellung wurde mit einem Volksschauspiel eröffnet, das der Schauspieler Eatus aufführte.

Die Rolle begann mit den Worten: Heil meinem Vater! Heil meiner Mutter! In dem Augenblicke, wo er diese Worte aussprach, wandte er sich gegen Nero und führte die Bewegung des Trinkens aus, als er sagte: Heil meinem Vater! und die Bewegung des Schwimmens bei den Worten: Heil meiner Mutter! Dieser Ausfall wurde mit einstimmigem Beifall ausgenommen, denn jedermann erkannte die Anspielung auf den Tod des Claudius und der Agrippina. Nero fing dabei an zu lachen und zu applaudieren wie die andern, sei es, daß er für jede Art Scham unempfindlich war, sei es, daß er fürchtete, das Publikum noch mehr gegen sich aufzubringen und seinen Spott herauszufordern, wenn er sich erzürnt zeige.

Als die Reihe an ihn kam, verließ er seine Loge und stieg hinab in das Theater.

Obwohl er nach seiner Gewohnheit bescheiden vortrat, um eine ehrerbietige Ansprache an die Zuschauer zu richten, er werde sein möglichstes tun, daß aber jeder Erfolg von der Gunst des Zufalls abhänge, rührte sich keine Hand, und kein Beifallsruf ließ sich hören. Dennoch fing er an zu singen, aber eingeschüchtert und zitternd. Seine ganze Rolle wurde im tiefsten Stillschweigen angehört, nicht ein einziges Zeichen der Aufmunterung folgte.

Als er an die Stelle kam:

Meine Frau, meine Mutter und mein Vater verlangen meinen Tod! erschallten zum ersten Mal Beifallsrufe und lebhaftes Geschrei. Diesesmal konnte er sich nicht mehr darüber täuschen, was das zu bedeuten habe. Nero verstand den wahren Sinn dieser Kundgebung und beeilte sich, das Theater zu verlassen; aber als er die Treppe hinabging, verwickelte er sich mit den Füßen in sein langes Gewand, er stürzte und verwundete sich im Gesicht; bewußtlos hob man ihn unten auf.

In seinem Hause auf dem Palatin kam er wieder zu sich; er schloß sich in sein Zimmer ein, denn er war außer sich vor Schreck und Zorn. Jetzt zog er seine Schreibtäfelchen hervor und entwarf seltsame Pläne darauf, die nur der Unterschrift entbehrten, um furchtbare Todesbefehle zu werden. Seine Absichten gingen dahin, Gallien der Plünderung durch die Armeen preiszugeben, den ganzen Senat bei einem Festmahl zu vergiften, die Stadt zu verbrennen und zu gleicher Zeit die wilden Tiere loszulassen, damit das undankbare Volk, das ihm nur applaudiert hatte, um ihm seinen Tod anzukündigen, sich nicht gegen die Verheerungen des Feuers wehren könne. Dann warf er sich auf sein Bett, beruhigt durch die Überzeugung, daß er noch die Macht besitze, so viel Übles zu tun. Endlich verfiel er in einen unruhigen Schlummer, aber entsetzliche Traumgestalten quälten ihn unaufhörlich, so daß er bald zitternd mit schweißbedeckter Stirn und gesträubtem Haar erwachte. Da rief er und befahl, daß man Sporus zu ihm führe, und der junge Mann blieb die übrigen Stunden der Nacht in seinem Zimmer.

Beim Anbruch des Tages verschwand das Übermaß der nächtlichen Schrecken, aber es blieb eine unbestimmte Furcht zurück, so daß er jeden Augenblick erzitterte. Er ließ den Boten vor sich kommen, der die Nachricht vom Tode des Vindex gebracht hatte. Es war ein batavischer Reiter, der mit Virginius aus Germanien gekommen war und die Schlacht mitgemacht hatte. Nero ließ ihn mehrmals alle Einzelheiten des Kampfes wiederholen, besonders diejenigen, die den Tod des Vindex betrafen; endlich wurde er ruhig, als der Soldat ihm bei Jupiter schwur, daß er den Leichnam von Stichen durchbohrt und zur Bestattung bereitet mit eigenen Augen gesehen habe. Darauf ließ ihm Nero eine Summe von hunderttausend Sesterzien auszahlen und machte ihm seinen eigenen Ring zum Geschenk.

Inzwischen war die Stunde des Festmahls herbeigekommen; die kaiserlichen Gäste versammelten sich auf dem Palatin. Vor der Mahlzeit ließ sie Nero wie gewöhnlich das Bad besuchen; beim Verlassen desselben boten ihnen Sklaven weiße Togen und Blumenkränze an. Nero erwartete sie im Triklinium, er war weiß gekleidet wie sie und trug einen Blumenkranz; unter den Klängen einer entzückenden Musik ließen sich alle auf den schwellenden Polstern nieder.

Diese Mahlzeit war nicht nur mit dem raffinierten Geschmack, sondern auch mit allem Luxus eines römischen Festmahls ausgestattet. Jeder Gast hatte einen Sklaven zu seinen Füßen, der seinen leisesten Wünschen zuvorzukommen suchte; ein Schmarotzer saß an einem besonderen Tisch, der ihm ganz als Opfer überlassen wurde, während im Hintergrund auf einer Bühne gaditanische Tänzerinnen erschienen, die sich mit solcher Anmut und Leichtigkeit bewegten, als ob sie die holden Frühlingsgöttinnen wären, die im Monat Mai Flora und Zephyr beim Einzug in ihr Reich umschweben.