Ius Publicum Europaeum

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

III. Lehre des Verwaltungsrechts

38

Auf das öffentliche Recht entfällt im juristischen Universitätsstudium etwa ein Drittel der Pflichtfachveranstaltungen, wovon wiederum deutlich über die Hälfte das Allgemeine und Besondere Verwaltungsrecht samt Prozessrecht einnehmen. Im Pflichtfachbereich wird das Allgemeine Verwaltungsrecht, meistens im dritten Fachsemester und oftmals im Rahmen der für die Zwischenprüfung relevanten Leistungen, in einem Umfang von vier bis sechs Semesterwochenstunden gelesen. Die Verwaltung wird hierbei als ein durchaus eigengearteter, sich keineswegs im (Gesetzes-)Vollzug erschöpfender, sondern auch zu konkreter Gestaltung berufener Bereich öffentlicher Gewalt präsentiert,[215] der erst allmählich im Zuge dogmatischer und verfassungsrechtlicher Entwicklung juristisch diszipliniert wurde. Schwierigkeiten bereitet den Studenten anfangs die hochgradige Organisations- und vor allem Verfahrensgebundenheit des Verwaltungsrechts, die ihnen in dieser Form weder aus dem Bürgerlichen Recht noch Strafrecht vertraut ist. Eine Einführung in die eigene Komplexität verwaltungsrechtlicher Konstellationen und Phänomene einschließlich ihrer methodischen Implikationen ist von daher unerlässlich. Die Frontalvorlesung übersteigt inhaltlich schon seit geraumer Zeit den Horizont der lange tradierten nationalstaatlichen Erzählung vom „deutschen Verwaltungsrecht“, die nur noch gelegentlich anklingt.[216] Im Mittelpunkt stehen neben der europarechtlich ergänzten Rechtsquellenlehre der verfassungsrechtlich bestimmte Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, die Lehre von den unbestimmten Rechtsbegriffen, vom Ermessen und subjektiven öffentlichen Recht sowie die Handlungsformenlehre, die auch die vielfältigen administrativen Rechtsetzungsakte und inzwischen auch das informale Verwaltungshandeln einschließt. Gelehrt wird Dogmatik, illustriert und entwickelt insbesondere anhand der Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes und der Länder, aber auch der Leitentscheidungen namentlich des Bundesverwaltungsgerichts, mittlerweile aber auch des Europäischen Gerichtshofes. Begleitet wird die Vorlesung vielfach durch Arbeitsgemeinschaften oder Tutorien, die die theoretisch-abstrakte Wissensvermittlung durch die Bearbeitung von Besprechungsfällen und Einübung der entsprechenden Gutachtentechnik ergänzen. Das für die Fallbearbeitung unverzichtbare Verwaltungsprozessrecht wird entweder in die Vorlesung zum Allgemeinen Verwaltungsrecht integriert oder folgt in einer separaten Veranstaltung. Hinzu kommen aus dem Bereich des Besonderen Verwaltungsrechts obligate Vorlesungen von je zwei Semesterwochenstunden zum Polizei- und Ordnungsrecht, Kommunal- und teils Bau- oder Wirtschaftsverwaltungsrecht. Auf diese Themenfelder rekurrieren die fallorientierten „Übungen im Öffentlichen Recht für Fortgeschrittene“, die eine unverzichtbare Voraussetzung für die Zulassung zum Ersten Juristischen Staatsexamen bilden, das unter der Beteiligung auch von Praktikern abgenommen wird. In den meisten Ländern sind dem öffentlichen Recht zwei der zumeist sechs Aufsichtsarbeiten gewidmet, wovon wiederum gut die Hälfte der Klausuren auf das Verwaltungsrecht entfallen, häufig verzahnt mit staats-, insbesondere grundrechtlichen Fragestellungen. Im Zweiten Juristischen Staatsexamen sind die öffentlich-rechtlichen regelmäßig verwaltungsrechtliche Klausuren. In beiden Staatsexamen umfasst die gewichtige mündliche Prüfung mit dem öffentlichen Recht auch das Verwaltungsrecht.

39

Seit der Reform der Juristenausbildung im Jahre 2003 und der damit verbundenen Einführung der neuen Schwerpunktausbildung haben die Juristischen Fakultäten neben den Justizprüfungsämtern auch einen eigenen Gestaltungs- und verselbständigten Prüfungsanteil am Ersten Juristischen Staatsexamen erhalten, der sich auf immerhin 30 Prozent bemisst. Das breit gefächerte Angebot an Schwerpunktbereichen mit öffentlich-rechtlichen Inhalten oder jedenfalls modularisierten Komponenten umfasst teils klassisch den überkommenen nationalen Bereich des Verwaltungsrechts („Staat und Verwaltung“), zumeist aber das Verwaltungsrecht in seinen europäischen und internationalen Bezügen.[217]

Erster Teil Landesspezifische Ausprägungen › § 58 Wissenschaft vom Verwaltungsrecht: Deutschland › IV. Europäisierung der Wissenschaft vom Verwaltungsrecht

IV. Europäisierung der Wissenschaft vom Verwaltungsrecht

1. Perspektivenwandel und Omnipräsenz in Forschung und Lehre

40

Führte das Europarecht in den sechziger und siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts eine randständige Existenz in der rechtswissenschaftlichen Forschung und Lehre, so sind seine Einflüsse und Bedeutsamkeit jedoch keineswegs vollständig ignoriert worden, wie seine frühe Einbeziehung in den Kreis der verwaltungsrechtlichen Rechtsquellen belegt.[218] Periodisierungen sprechen hier von einer „Phase der Bestandsaufnahme“,[219] die auf eine „deskriptiv-ordnende“ Erfassung der in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes entwickelten „Verwaltungsrechts-Grundsätze“[220] sowie der punktuellen fachrechtlichen Bezüge in den Rechtsetzungsakten der Gemeinschaft ausgerichtet war. Eine zweite, Ende der siebziger Jahre anhebende Phase der „Europäisierung“ habe den „ausgreifenden Regelungsanspruch des EG-Rechts in Verwaltungssachen“ und die durchschlagende Wirkung der EuGH-Rechtsprechung auf das nationale Verwaltungsrecht verdeutlicht,[221] was in der Wissenschaft zu euphorisch zustimmenden wie skeptisch abwehrenden, aber auch ausgleichend vermittelnden Reaktionen führte, kulminierend in den Referaten und der Diskussion der Mainzer Staatsrechtslehrertagung im Jahre 1993. Pointiert sprach der damalige Richter des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften Manfred Zuleeg den „Strukturen des nationalen Verwaltungsrechts“ einen „Eigenwert“ ab,[222] den Diskussionsredner hingegen als „Verwaltungsrechtskultur eines Rechtsstaats“[223] oder mit Hinweis auf die „historische Entwicklung“, die verfassungsrechtliche Verankerung und ihre „Vernetzung als System“[224] verteidigten. Der separierten Wahrnehmung hier des ingerierenden Europarechts, dort des weitmöglichst zu bewahrenden Verwaltungsrechts entspricht die abgesonderte Stellung des Wahlfachs „Europarecht“ im akademischen Lehrbetrieb. Schließlich begann in den neunziger Jahren eine „Phase der Strukturbildung“, die einer „umgreifenden Ordnung“ der „Gesamtheit der administrativen Beziehungen in der Gemeinschaft“, d.h. des „Europäischen Verwaltungsrechts“ in einem übergreifenden Sinne gilt.[225] Verbunden hiermit ist ein Perspektivenwandel hin zu einer systematischen Einbindung des Europarechts in die verwaltungsrechtliche Dogmatik, namentlich der Handlungsformen, des Organisations-, Verfahrens- und Prozessrechts, sichtbar auch an der gegenseitigen „Zuwendung“ von vormals „reinen“ Verwaltungs- und Europarechtlern.[226] Vorbildliche Lehrbücher weisen jetzt nicht nur eigene Abschnitte über „Europäisches Recht und Verwaltungsrecht“ auf, in denen neben den Rechtsetzungs- und Handlungsformen der Union, das System der Vollziehung des Unionsrechts samt seiner Auswirkungen auf das nationale Verwaltungsrecht und den Rechtsschutz sowie die vielfältigen Verwaltungskooperationen im europäischen Rechtsraum dargestellt werden,[227] sondern durchwirken die gesamte Stoffmasse unter diesem Aspekt. Diese sachliche Verknüpfung prägt ebenfalls die verwaltungsrechtliche Lehre und hat für den Studenten zur Folge, dass auch europarechtliche Fragestellungen in die Übungs- und Examensklausuren zum Verwaltungsrecht Einzug halten.

41

Der voranschreitende Europäisierungsprozess hat nicht nur ausgewählte Referenzgebiete des Besonderen Verwaltungsrechts, wie namentlich das Umwelt-, Wirtschaftsverwaltungs-, Vergabe- und Regulierungsverwaltungsrecht ergriffen, das bereits seine Existenz weitgehend der europarechtlichen Liberalisierung unter anderem der Telekommunikation verdankt.[228] Unberührt sind selbst das Kommunal-, Beamten- und Polizeirecht nicht geblieben. Die „strukturelle Tiefenwirkung“ der Europäisierung hat vor allem auch Kernbereiche des Allgemeinen Verwaltungsrechts und Verwaltungsprozessrechts erfasst.[229] Wie dürren Zunder traf der gleißende Blitz des Gemeinschaftsrechts etwa die deutsche Dogmatik der Rücknahme von Verwaltungsakten im Falle gemeinschaftswidriger Beihilfen und stellte die gesetzlichen Grundentscheidungen in puncto Vertrauensschutz, Rücknahmeermessen und -frist in einem Ausmaß in Frage, dem nur schwerlich mit Hilfe einer europarechtskonformen Auslegung Rechnung getragen werden kann. Attackiert sieht sich auch die deutsche Konzeption subjektiv-öffentlicher Rechte, insbesondere in Form der sog. Schutznormtheorie, da das Gemeinschaftsrecht nicht zuletzt deswegen viel großzügiger Klagebefugnisse zuspricht, um den Einzelnen im Wege einer „funktionalen Subjektivierung“ zugunsten der effektiven Wirkung des Gemeinschaftsrechts in die gerichtliche Vollzugskontrolle einzuspannen.[230] Dieselbe Tendenz findet sich im Staatshaftungsrecht, in dem der EuGH durch die Ausbildung eines gemeinschaftsrechtlich fundierten Anspruchs die Rechtsposition des Einzelnen nicht nur um ihrer selbst willen, sondern zugleich zur Durchsetzung des Europarechts enorm aufgewertet hat. Ebenfalls im Gemeinschaftsinteresse hat der EuGH die Dogmatik der grundsätzlich aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage gegen Verwaltungsakte aus den Angeln gehoben und darüber hinaus den vorläufigen wie einstweiligen Rechtsschutz ganz eigenen Vorgaben unterworfen. Frühzeitig wies die Literatur auf zwei Reaktionsmöglichkeiten hin, um den unweigerlichen Veränderungen entweder in einem ein- oder zweispurigen Modell systematisch Rechnung zu tragen.[231] Zweispurig verfahren nach wie vor etwa verwaltungsrechtliche Lehrdarstellungen, die zunächst die gewachsene deutsche Dogmatik vorstellen, um dann punktuelle Abweichungen auf Grund sektoral begrenzter gemeinschaftsrechtlicher Einflussnahmen anzufügen.[232] Auch von diesem Ansatz aus bleibt es möglich, sich über das rechtlich zwingend gebotene Maß hinaus vereinzelt einen „Overspill (eine ‚produktive Überwirkung‘) des europäischen Rechts“[233] mit Folgewirkung für die verwaltungsrechtliche Systembildung insgesamt dienstbar zu machen. Teilweise wird mit der Ermunterung, „auch diese Probleme lassen sich aber dogmatisch bewältigen“,[234] eine Harmonisierung von europäischen Vorgaben und deutschen dogmatischen Strukturen favorisiert, die ein vorwiegend aus dem nationalen Fundus gespeistes Einheitsmodell nahelegt. Für die gemeinhin deutlich umbruchfreudiger verstandene und europarechtlich gegründete Einspurigkeit streitet in jedem Fall das systematisch-ästhetische Anliegen, gerade die allgemeinen Lehren des Verwaltungsrechts nicht dauerhaft getrennt für den gemeinschaftsrechtlich infizierten und einen schwindenden, davon noch unbelastet gebliebenen Bereich formulieren zu müssen.[235]

 

42

Grundlage der Europäisierung des Verwaltungsrechts bildet die mit dem supranationalen Charakter des Gemeinschaftsrechts verbundene unmittelbare Wirkung auch für und gegen den Einzelnen sowie sein Anwendungs-, nicht Geltungsvorrang gegenüber kollidierendem nationalen Recht, wobei der aus dem Völkerrecht übernommene effet-utile-Grundsatz dem Gemeinschaftsrecht auch in Fällen indirekter Kollision Vorfahrt gegenüber wirksamkeitshinderndem mitgliedstaatlichen Recht verschafft.[236] Der EuGH hat sich durch die Ausbildung dieser Rechtsinstitute Einwirkungsinstrumente geschliffen, die die deutsche Literatur grundsätzlich anerkennt, wenn auch in der eher verfassungsrechtlich und rechtstheoretisch bestimmten Diskussion unterschiedlich begründet, sei es im Sinne einer autonomen Geltung des Europarechts oder sei es mit Hilfe eines zwischengeschalteten staatlichen Rechtsanwendungsbefehls.[237] Die eigentlichen verwaltungsrechtlichen Konfliktlinien verlaufen entlang der Fragen der Reichweite des den Primat vermittelnden Effektivitäts- und Kohärenzarguments, um nationales Verwaltungsrecht auszuhebeln oder umzuformen, das keine innere Begrenzung in sich trägt.[238] Insbesondere das reduktionistische funktionale Verständnis prinzipiell begrenzungstauglicher individueller Rechtspositionen zugunsten der effektiven Durchsetzung des Gemeinschaftsinteresses stößt auf Kritik, wie überhaupt gegen die „Eindimensionalität des Gemeinschaftsrechts“ der „Doppelauftrag des Verwaltungsrechts“ in Stellung gebracht wird, neben der Handlungsfähigkeit auch die Garantie eigenwertigen Rechtsschutzes zu gewährleisten.[239] Dass das „Gebot eines möglichst einheitlichen Vollzuges des EG-Rechts“ das mitgliedstaatliche Verwaltungsrecht nicht dominieren kann, sondern dass „jede Verwaltungsrechtsordnung zuallererst eine materielle Rechtsverhältnisordnung zwischen Bürger und Verwaltung“ darstellt, findet sich auch im Rahmen systembildender Bemühungen um ein genuin Europäisches Verwaltungsrecht betont.[240]

43

Konsens besteht über den „Modernisierungsschub“, den die Europäisierung dem deutschen Verwaltungsrecht jenseits kritischer Auseinandersetzungen im Einzelnen letztlich gebracht hat, zunächst in normativer Hinsicht, denkt man an die Kodifikationen im Bereich des Kommunalwahlrechts, der Umweltverträglichkeitsprüfung, des Umweltinformationsrechts sowie der Informationsfreiheit der Verwaltungsöffentlichkeit insgesamt.[241] Zu den rechtsdogmatischen Innovationsfeldern zählt unbestreitbar das Staatshaftungsrecht, das bei ausstehender Kodifikation einen tiefgreifenden Gestaltwandel erfahren hat, sowie das Privatisierungsfolgen- und Regulierungsverwaltungsrecht. Kräftige Impulse erhalten haben darüber hinaus die Lehre vom subjektiv-öffentlichen Recht, die Dogmatik der Entscheidungsspielräume der Verwaltung auf der Tatbestands- wie Rechtsfolgenseite des Gesetzes, die Grundfrage außenrechtswirksamer sog. normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften, die der EuGH nicht zur Umsetzung von EG-Richtlinien tauglich erachtet, die Verhältnisbestimmung zwischen Privat- und Verwaltungsrecht sowie das Grundverständnis des Verwaltungsverfahrens, das sich entgegen gesetzgeberischen Beschleunigungstendenzen aufgewertet sieht.[242] Auf der Gewinnseite wird schließlich die Bedeutungszunahme der Rechtsvergleichung verbucht,[243] die in einem Wettbewerb der Rechtssysteme verortet ist, aus denen der europäische Gesetzgeber und Richter jeweils zentrale Einspeisungen vornimmt. Nicht introvertierte Selbstbespiegelung erlittener Einbußen, sondern aktiver Export entsprechend aufbereiteter Dogmatik wird auf diesem Gebiet angemahnt.[244] Ebenso steht der Nutzen informierter Importe von gesetzgeberischen und dogmatischen Anregungen grundsätzlich außer Frage. Insgesamt hat die deutsche Verwaltungsrechtslehre sich vergleichsweise früher als die Verfassungsrechtswissenschaft den mit der Europäisierung einhergehenden Herausforderungen in ihrer ganzen Breite und Tiefe gestellt,[245] geleitet wohl von der ebenso pragmatisch formulierten wie unprätentiös aufgenommenen Einschätzung einer mangelnden Alternative.[246]

2. Entstehung einer europäischen Verwaltungsrechtswissenschaft im europäischen Verwaltungsverbund

44

Die Verwaltungsrechtswissenschaft steht im Begriff, nun auch den Horizont der Europäisierung eines national radizierten Verwaltungsrechts zu übersteigen. In den Blick geraten ist die „Entwicklung eines Europäischen Verwaltungsrechts“ in Form einer „mehrschichtigen Verwaltungsrechtsordnung“, bestehend aus dem mitgliedstaatlichen Verwaltungsrecht, dem Eigenverwaltungsrecht der Europäischen Union, dem auf die Mitgliedstaaten einwirkenden „Gemeinschafts-" bzw. „Unionsverwaltungsrecht“ und schließlich dem Verwaltungskooperationsrecht, das die vertikale Zusammenarbeit zwischen nationalen und europäischen Verwaltungsstellen sowie die horizontale Kooperation zwischen den nationalen Verwaltungen umgreift.[247] Für die den mitgliedstaatlichen Verwaltungen und der europäischen Administration „gemeinsam“ anvertraute „Verwaltung des Gemeinschaftsraumes“, in dem sich ein „Informations-, Handlungs- und Kontrollverbund“ entwickelt habe,[248] wird der „metaphorische Begriff des Europäischen Verwaltungsverbundes“ als „Korrelat“ zum Begriff des Europäischen Verfassungsverbundes vorgeschlagen, der zugleich bemüht wird, um die schwerwiegenden Legitimationsprobleme zu lösen.[249] Der Vorschlag nimmt bestehende Ansätze zur bündischen Struktur der Union als „Integrationsverbund“[250] in der Konkretion einer „administrativen Föderalisierung“[251] auf. Die geäußerte Mahnung, „vielleicht“ nicht so weit zu gehen, die nationalen Verwaltungen schon deshalb, weil sie Gemeinschafts- bzw. Unionsrecht vollziehen „in Bausch und Bogen zur ‚Gemeinschaftsverwaltung‘ (im funktionalen Sinne)“ zu rechnen,[252] lässt sich erst recht gegen diesen theoretischen Beschreibungsversuch erheben. Immerhin löst die Verbundmetapher aber die Perspektive vom überkommenen Vollzugsmodell ab und bezieht integrativ den immer bedeutsamer werdenden Bereich administrativer Verbundstrukturen in die Betrachtung ein. Jenseits der überholten dualen Unterscheidung von hier direktem, gemeinschaftsunmittelbaren und dort indirektem, mitgliedstaatlichen Vollzug des Gemeinschafts- bzw. Unionsrechts hat sich eine Wirklichkeit von Kommunikationsverbünden, Kooperationsnetzwerken unter Einbeziehung zahlreicher europäischer Ämter und Agenturen etabliert, die eine sozialwissenschaftlich offene Verwaltungsrechtsdogmatik nicht übergehen kann.[253] Gerade in diesem Bereich bedarf es der Transparenz und Verantwortungsklarheit, der juristischen Zurechnung und des angepassten Rechtsschutzes, und kulminiert das Legitimationsproblem, dem mit Hilfe eines Denkens in „Legitimationsketten“ nur sehr begrenzt Rechnung getragen werden kann.[254] In Anpassung an gegebene Realitäten wird ein „Pluralismus der Legitimationsquellen“ verfochten, der auf der Input-Seite auch partizipative wie deliberative Elemente einbezieht und zudem leistungs- und akzeptanzbezogen auf den administrativen Output abstellt.[255] Eine spezifische Verbundstruktur bezeichnet das Transnationalitätsmodell, das die gemeinschaftsweite Wirkung nationaler Entscheidungen auf Grund von Unionsrecht erfasst, wie sie sich etwa in Teilen des Lebensmittelrechts findet. Der transnationale Verwaltungsakt bildet dabei eine Schnittstelle zum derzeit neu belebten internationalen Verwaltungsrecht, was einen wissenschaftlichen Abgleich der entsprechenden Entwicklungen wie Zusammenhänge nahelegt.[256] Der hier zu verzeichnende Trend hin zu einer Theorie der „Global Governance“[257] korrespondiert mit der Konjunktur des inzwischen schon populären Theorems im innerstaatlichen wie europäischen Verwaltungsrecht.[258] Im europäischen Kontext kann allerdings von einer „governance without government“ aus strukturellen Gründen nicht die Rede sein, nicht zuletzt auch wegen eines „hinter dem ‚Governance‘-Projekt der Kommission“ zuweilen sichtbar werdenden „etatistischen Machtanspruchs“.[259] Um so dringlicher erscheint die Formierung einer wirklich europäischen Verwaltungsrechtswissenschaft, die gerade auf Grund ihrer vielfältigen, auch rechtskulturellen Ausgangspunkte dazu berufen wäre, eine dem Verdacht nationaler Interessendurchsetzung enthobene Kritik und ausgewogene Gestaltungsvorschläge zu formulieren.[260]

Erster Teil Landesspezifische Ausprägungen › § 58 Wissenschaft vom Verwaltungsrecht: Deutschland › Bibliographie

Bibliographie


Ivo Appel, Das Verwaltungsrecht zwischen klassischem dogmatischen Verständnis und steuerungswissenschaftlichem Anspruch, VVDStRL 67 (2008), S. 226ff.


Otto Bachof, Die Dogmatik des Verwaltungsrechts vor den Gegenwartsaufgaben der Verwaltung, VVDStRL 30 (1972), S. 193ff.


Rüdiger Breuer, Zur Lage der deutschen Verwaltungsrechtswissenschaft, Die Verwaltung 36 (2003), S. 271ff.


Thomas von Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht, 2008.


Martin Eifert, Das Verwaltungsrecht zwischen klassischem dogmatischen Verständnis und steuerungswissenschaftlichem Anspruch, VVDStRL 67 (2008), S. 286ff.


Wolfgang Hoffmann-Riem/Eberhard Schmidt-Aßmann/Andreas Voßkuhle (Hg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I: Methoden, Maßstäbe, Aufgaben, Organisation, 2006.


Hans Maier, Die ältere deutsche Staats- und Verwaltungslehre, 21980.


Wolfgang Meyer-Hesemann, Methodenwandel in der Verwaltungsrechtswissenschaft, 1981.


Fritz Ossenbühl, Die Weiterentwicklung der Verwaltungswissenschaft, in: Jeserich u.a. (Hg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 5, 1987, S. 1143ff.


Matthias Ruffert, Die Europäisierung der Verwaltungsrechtslehre, Die Verwaltung 26 (2003), S. 293ff.


Eberhard Schmidt-Aßmann, Das Allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 22006.


ders./Wolfgang Hoffmann-Riem (Hg.), Methoden der Verwaltungsrechtswissenschaft, 2004.


Rainer Schröder, Verwaltungsrechtsdogmatik im Wandel, 2007.


Gunnar Folke Schuppert, Verwaltungswissenschaft, 2000.


Andreas Voßkuhle, Allgemeines Verwaltungs- und Verwaltungsprozeßrecht, in: Willoweit (Hg.), Rechtswissenschaft und Rechtsliteratur im 20. Jahrhundert, 2007, S. 935ff.


Rainer Wahl, Herausforderungen und Antworten: Das Öffentliche Recht der letzten fünf Jahrzehnte, 2006.