Hochschulrecht im Freistaat Bayern

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5. Die Universität in der konstitutionellen Monarchie

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Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts war vor allem durch den stetigen Aufstieg der Naturwissenschaften und die Zuwendung zur Berufs- und Lehrerausbildung geprägt, die organisatorische Reform trat hinter die Umwälzungen in der Wissenschaftsgeschichte zurück.[63] Die positiven (also empirischen Natur-)Wissenschaften erreichten eine erste Verselbstständigung mit der Teilung der Philosophischen Fakultäten in München (1865) und Würzburg (1873) in zwei Sektionen, deren naturwissenschaftliche aber erst 1937 zur Fakultät erhoben wurde. Insbesondere die Personalpolitik des an der Wissenschaftsförderung besonders interessierten Maximilians II.[64] und seines Beraters Wilhelm von Doenniges gab Anlass zum Streit. Der König wollte durch seine Berufungspolitik das Ansehen der bayerischen Wissenschaft heben. Dabei richtete er den Blick auch über die bayerischen Landesgrenzen hinaus und berief zahlreiche Professoren aus dem nördlichen Deutschland, die bisweilen despektierlich als „Nordlichter“ angefeindet und zum Teil wieder aus der bayerischen Hochschullandschaft verdrängt wurden.[65] Die 1958 als Teil der Bayerischen Akademie der Wissenschaften gegründete Kommission für deutsche Geschichts- und Quellenforschung mit Leopold v. Ranke als erstem Präsidenten verfolgte ebenfalls das Ziel, als gesamtdeutsche Forschungseinrichtung zu wirken.

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Die wachsende Bedeutung des Studiums für die Berufswelt zeigte sich zwar auch schon in ersten Ansätzen einer Entwicklung der Universitäten zu „wissenschaftlichen Großbetrieben“. Der Hauptanteil der beruflichen Bildung fand aber abseits der Universitäten in verschiedenen Fachschulen mit durchaus wissenschaftlich fundierter Ausbildung statt, die später häufig in die Hochschulen eingegliedert wurden. Für die Forstwirtschaft bildete sich 1790 die Münchener Forstschule, deren Aufgaben seit 1803 die Landwirtschaftsschule Weihenstephan übernahm, bis 1843 die Aschaffenburger Forstschule als Zentralanstalt gegründet wurde.[66] Die Weihenstephaner Schule wurde 1895 zur Königlich Bayerischen Akademie für Landwirtschaft und Brauerei, 1919 zur Hochschule. Im Jahre 1827 entstand die Polytechnische Centralschule München für die technische Berufsbildung. Nach der Neugründung 1868[67] gelang der Aufstieg zur Technischen Hochschule, die 1900/02 das Promotionsrecht und die Rektoratsverfassung erhielt.[68] Auch der Veterinärschule[69] in München gelang der Anschluss an die klassischen Universitäten, zunächst 1890 durch Erhebung zur Königlichen Tierärztlichen Hochschule[70] (mit Promotionsrecht seit 1910) und schließlich 1914 durch Angliederung an die Ludwig-Maximilians-Universität als eigene Fakultät. Die 1910 gegründete Kaufmännische Hochschule in München wurde 1922 in die TH eingegliedert. Hinzu kam seit 1914/20 eine Handelshochschule in Nürnberg. Die künstlerische Ausbildung wandelte sich unterdessen durch die Gründungen der Akademie der bildenden Künste (München) 1808 und der Konservatorien in Würzburg (1804, seit 1974 Musikhochschule) sowie München (1846), dort 1874 zur Königlichen Musikhochschule umgewandelt.

1. Kapitel Grundlagen › I. Die Geschichte der Bayerischen Hochschulen › 6. Die Universität in der Weimarer Zeit

6. Die Universität in der Weimarer Zeit

a) Das „Grundrecht der deutschen Universität“

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Die Weimarer Reichsverfassung von 1919 übernahm aus der Paulskirchenverfassung von 1849 (§ 152), nunmehr gekoppelt mit der Kunstfreiheit, in Art. 142 WRV das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit („Die Kunst, die Wissenschaft und ihre Lehre sind frei“). Damit sollte der Tatsache Rechnung getragen werden, dass „die Freiheit von Forschung und Lehre maßgebend geworden ist für den inneren und äußeren Universitätsbetrieb“[71]. Ohne größere Debatte und in der allgemeinen Überzeugung sachlicher Kontinuität zu 1849 wurde das Grundrecht vom Plenum beschlossen.[72] Wesentliche Impulse für eine Fortentwicklung des Verständnisses der Wissenschaftsfreiheit gingen sodann von den Berichten von K. Rothenbücher und insbesondere R. Smend auf der Tagung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 1927 in München aus. In der Folge setzte sich die Ansicht durch, dass das Grundrecht des Art. 142 S. 1 WRV nicht nur gegen die Verwaltung schützt, sondern auch vor Eingriffen des parlamentarischen Gesetzgebers.[73] Außerdem wird die Wissenschaftsfreiheit über die Forschungs- und Lehrfreiheit als Individualgrundrecht hinaus zusätzlich aufgewertet zum „Grundrecht der deutschen Universität“.[74] Damit soll der Forderung nach „angemessene(r) Rechtsstellung einer großen öffentlichen Institution“[75] Ausdruck verliehen werden. Die Wissenschaftsfreiheit hat seitdem – bis heute – auch eine institutionelle Seite. Eine verfassungsrechtliche Garantie der universitären Selbstverwaltung war damit aber (noch) nicht gemeint.[76]

b) Die bayerische Hochschulentwicklung

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Die Novemberrevolution führte zu Unruhen an den bayerischen Universitäten. Im Anschluss an das Attentat des Münchener Studenten Anton Graf Arco-Valley auf Ministerpräsident Kurt Eisner im Februar 1919 erfolge eine Schließung der LMU, die während der Räterepublik von 1919 kurzzeitig zur „proletarischen Übergangsschule“ erklärt wurde.[77] Nach der Niederschlagung der Revolution beruhigte sich die Lage wieder. Die durch Ministerialentschließung vom 3. Juli 1920 verfügte Reform der bayerischen Universitätsverfassungen erweiterte den Senat auch um Vertreter des Personals und der Studenten, deren Allgemeine Studentenausschüsse 1918/19 an den Universitäten zusammengetreten waren und bereits die Anerkennung durch die Universitäten erhalten hatten. Durch Beschluss des Kultusministeriums wurden 1923 die bisherigen Lyzeen zu Philosophisch-Theologischen Hochschulen[78] erhoben, so dass sie fortan auf einer Stufe mit den Universitäten standen, in denen sie im Verlauf der 1970er-Jahre aufgingen. Die seit 1924 mit Promotionsrecht versehene Hochschule für Landwirtschaft in Weihenstephan wurde 1928 der Technischen Hochschule in München angegliedert und später vollständig in diese integriert. Die Münchener Kunstgewerbeschule wurde 1927 Akademie für angewandte Kunst und die Akademie für Tonkunst 1924 Hochschule für Musik. Die Nürnberger Handelshochschule erhielt 1925 die Universitätsverfassung und 1927 das Habilitationsrecht. Die Lehrerbildung[79] vollzog sich in Bayern im Unterschied zu weiten Teilen des Reiches dagegen weiterhin in den herkömmlichen Anstalten und nicht an den aufkommenden Pädagogischen Akademien.

1. Kapitel Grundlagen › I. Die Geschichte der Bayerischen Hochschulen › 7. Die Universität im Nationalsozialismus

7. Die Universität im Nationalsozialismus

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Aufgrund eines im Allgemeinen eher distanzierten Verhältnisses weiter Teil der akademischen Kreise zur Weimarer Republik bildete sich auch schon vor 1933 an den Universitäten ein Nährboden für die nationalsozialistische Ideologie. So konnte der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund (NSDStB) in den Studentenausschüssen zunehmend Erfolge feiern.[80] Auf Seiten der Professorenschaft äußerte sich das distanzierte Verhältnis zum demokratischen System zwar nur begrenzt in offenen Sympathiebekundungen für die NSDAP, die Einführung an der NS-Ideologie ausgerichteter Strukturen an den Universitäten nach 1933[81] stieß aber allenfalls auf geringen Widerstand.[82] Bereits am 4. April 1933 wurde in Bayern ein Immatrikulationsverbot für jüdische Medizinstudenten verfügt. Die Hochschulpolitik des Nationalsozialismus beschränkte sich weitgehend auf die „Säuberung“ und Anpassung der Universitäten an das Führerprinzip und ein „völkisches“ Wissenschaftsverständnis ohne eigenen geistig-wissenschaftlichen Anspruch. Die rasche Zentralisierung des Reiches im Zuge der Umsetzung des „Gesetzes über den Neuaufbau des Reiches“[83] und die Zusammenfassung unter dem im Mai 1934 gegründeten Reichministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung bedingte eine weitgehende Gleichförmigkeit der organisatorischen Hochschulentwicklung inner- und außerhalb Bayerns. Die Voraussetzungen zur Entlassung missliebiger Professoren wurden mit dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufbeamtentums“[84] geschaffen. Die übrigen Mitglieder des Lehrkörpers wurden seit 1935 im Nationalsozialistischen Dozentenbund (NSDB) zusammengefasst. Gleichzeitig wurde der Zugang zu den Universitäten durch das „Gesetz gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen“[85] erheblich beschränkt und zugleich in einem ersten Schritt eine Begrenzung des Hochschulzugangs von so genannten „Nichtariern“ eingeleitet.[86] Die „Vorläufigen Vorschriften zur Vereinfachung der Hochschulverwaltung“[87] beseitigten die traditionelle Universitätsverfassung und gliederten die Universität fortan nach dem Führerprinzip. Damit verbunden waren die Abschaffung der Rektorenwahl, die Herabstufung des Senats zum Beratungsorgan und die Auslöschung der universitären Selbstverwaltung. Die Studentenschaft war bereits durch das „Gesetz über die Bildung von Studentenschaften an den wissenschaftlichen Hochschulen“[88] zum Hochschulorgan erklärt und in Bayern durch die „Bekanntmachung über die Bildung von Studentenschaften an den wissenschaftlichen Hochschulen“[89] ebenfalls nach dem Führerprinzip umgestaltet worden. Die Universitäten bekamen im Übrigen bereits zu Friedenszeiten und erst recht nach Kriegsbeginn die intellektualitätsfeindliche NS-Politik zu spüren. An der Münchener Universität wurde bei Kriegsausbruch die Veterinärmedizin geschlossen, nachdem das gleiche Schicksal bereits im Februar die Theologische Fakultät ereilt hatte. In München formierte sich 1942/43 studentischer Widerstand in der „Weißen Rose“[90], der allerdings mit der Hinrichtung der beteiligten Geschwister Scholl, der Studenten Probst, Schmorell, Graf und des Prof. Kurt Huber endete. In der Schlussphase des Krieges kam es noch zu Hochschulplanungen, die aber an der Wirklichkeit des totalen Zusammenbruchs vorbei gingen. Nur das Einschreiten der Hochschulleitung verhinderte das Vorhaben des Reichskultusministeriums, die Juristische, Staatswirtschaftliche und Philosophische Fakultät der LMU nach Erlangen zu verlegen.

 

1. Kapitel Grundlagen › I. Die Geschichte der Bayerischen Hochschulen › 8. Die Nachkriegsentwicklung

8. Die Nachkriegsentwicklung

a) Der Wiederaufbau und die Bayerische Verfassung (1946)

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Nach dem Zweiten Weltkrieg stellte sich die Lage an den Universitäten nicht zuletzt wegen der zerstörten Bausubstanz als desolat dar. Vor allem in München gestaltete es sich schwierig, an den Lehrbetrieb wieder anzuknüpfen. Die alliierte Militäradministration bemühte sich im Übrigen darum, zunächst den Lehrkörper von ideologisch belasteten Professoren zu befreien, so dass es erst zum Sommersemester 1946 gelang, die Genehmigung für die Wiederaufnahme der Vorlesungen an der Universität München zu erhalten. Die Auf- und Ausbaumaßnahmen an den universitären Anlagen zogen sich dagegen noch bis in die sechziger Jahre hin. Anders gestaltete sich die Lage an der Universität Erlangen, die von Zerstörungen weitgehend verschont geblieben war. Sie nahm schon zum Wintersemester 1945/46, ebenfalls nach einer umfassenden Überprüfung des Lehrkörpers, ihren Lehrbetrieb wieder auf.

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Impulse und Regelungen für das Hochschulrecht gingen schon bald von bundesdeutschen Gremien aus, vor allem von der 1948 eingerichteten Kultusministerkonferenz (KMK), von der 1949 gegründeten Westdeutschen Rektorenkonferenz (WRK) und dem 1957 entstandenen Wissenschaftsrat. Es setzte sich im Wesentlichen eine Wiederbelebung des Humboldtschen Universitätskonzepts[91] und eine Kontinuität zu den Strukturen vor 1933 durch.[92] Die Universitäten blieben selbstverwaltende Institutionen zwischen Anstalt und Körperschaft des öffentlichen Rechts.[93] Die Leitung der Hochschule folgte weiterhin dem Konzept der Ordinarienuniversität. Die Hochschulpolitik lag nun wieder in der Hand der Länder, auch wenn sich der Bund schon seit den fünfziger Jahren an der Förderung des Hochschulbaus und der Forschungs- und Ausbildungsförderung („Honnefer Modell“) beteiligte.

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Die Verfassung des Freistaats Bayern von 1946 setzte wichtige hochschulrechtliche Akzente, indem sie – noch vor dem Grundgesetz von 1949 (Art. 5 Abs. 3 GG)[94] – die Freiheit der Wissenschaft (Art. 108 BV) garantierte, den Staat zur Bereitstellung universitärer Ausbildungsmöglichkeiten verpflichtete (Art. 118 Abs. 2 BV) und der universitären Selbstverwaltung Verfassungsfestigkeit verlieh (Art. 138 Abs. 2 BV).

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Mit der Hochschule für Politik München wurde 1950 eine Neugründung genehmigt, die zunächst als eingetragener Verein das Interesse für politische Fragestellungen aufgreifen und breiteren Schichten politische Bildung und demokratisches Bewusstsein vermitteln sollte. Im Jahre 1970[95] wurde sie als „institutionell selbstständige Einrichtung“ der Universität München angegliedert und erhielt 1981[96] den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts. Seit 1. Dezember 2014 ist Träger der „Bavarian School of Public Policy“ die TU München.

b) Universitätsgründungen und -umbildungen der siebziger Jahre

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Seit den sechziger Jahren war ein kontinuierliches Ansteigen der Studentenzahlen zu verzeichnen. Der Schwerpunkt rechtlicher Auseinandersetzungen um die Entwicklung bayerischer Hochschulen lag daher im Zulassungsrecht. Der wachsenden Nachfrage nach Studienplätzen, hervorgerufen vor allem durch eine zunehmende Bedeutung akademischer Ausbildungswege für das Berufsleben, konnte nur über wenige Jahre im Wege des Kapazitätenausbaus begegnet werden. Der Gesetzgeber sah sich daher gezwungen, die Zulassung zum Studium einzuschränken, wenn auch zunächst nur für einzelne Gruppen. Die Nichtzulassung Berufstätiger mit akademischem Abschluss wurde Auslöser der ersten Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs zum Zulassungsrecht.[97] Der Gerichtshof stellte fest, dass Art. 128 BV kein subjektives Recht auf die gewünschte Ausbildung verleihe. Im Falle eines Bewerberüberhangs sei aber eine sachliche Auswahl unter den Bewerbern geboten, was bei der Zurückstellung von Bewerbern, die ein Studium bereits durchlaufen hätten, prinzipiell der Fall sei. Die Regelungsbefugnis des Staatsministeriums betreffend das Zulassungsrecht bejahte das Gericht und nahm dabei erstmals eingehend zur Zwitterstellung der Universität zwischen Selbstverwaltungskörperschaft und staatlicher Anstalt Stellung.[98]

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Gleichzeitig versuchte die Landesregierung, dem Studienplatzmangel durch die Gründung neuer Universitäten abzuhelfen. Dahinter standen auch strukturpolitische Motive. Einerseits sollte die erhebliche ökonomische Relevanz einer Hochschule segensreiche Entwicklungen für die Wirtschaft in den strukturschwachen Regionen des Landes herbeiführen, andererseits sollte die Regionalisierung die Bildungschancen auch in geographischen Randlagen erhöhen. Außerdem boten die neuen Universitäten die Möglichkeit zur Erprobung innovativer, experimenteller Studienkonzepte. Vom Leitbild der universitas litterarum verabschiedete man sich dabei zwangsläufig. Die Neugründungswelle spiegelt eine gesamtdeutsche Entwicklung wieder, die allerdings in Bayern, wo allein sechs der bis zur Wiedervereinigung neu gegründeten fünfzehn westdeutschen Universitäten entstanden, besonders forciert wurde.

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Durch das Gesetz über die Errichtung einer vierten Landesuniversität[99] fiel der mehrmals knapp verpasste[100] Startschuss für die Universität Regensburg. Die neue Alma Mater nahm im Wintersemester 1967/68 ihren Lehrbetrieb auf. Ihr wurde 1972 die Pädagogische Hochschule Regensburg eingegliedert. 1969 trat das Gesetz über die Errichtung der Universität Augsburg[101] in Kraft. Die Universität konnte aufgrund des seinerzeit bereits fortgeschrittenen Standes der Planungen[102] bereits im Oktober 1970 eröffnet werden. Eine Eingliederung der Philosophisch-Theologischen Hochschule Dillingen[103] erfolgte 1971, während die Pädagogische Hochschule Augsburg der Universität München als Theologische bzw. Erziehungswissenschaftliche Fakultät angegliedert wurde. Die Gründung der Augsburger Universität wurde zugleich Gegenstand einer Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs,[104] in der dieser die im Wege einer Rechtsverordnung des Kultusministeriums im Vorgriff auf das Bayerische Hochschulgesetz erlassene Universitätsverfassung bestätigte. Zum Reformmodell wurde Augsburg durch die bundesweit erstmalige Einführung der einstufigen Juristenausbildung (1971–1984/85). Das Gesetz über die Errichtung einer Universität Bayreuth aus dem Jahr 1971[105] führte zur Grundsteinlegung im März 1974 und der Aufnahme des Lehrbetriebs zum Wintersemester 1975/76, nachdem sich Bayreuth bereits 1969 als Hochschulstandort beworben hatte. Bereits 1972 trat das Gesetz über die Errichtung der Gesamthochschule Bamberg[106] in Kraft, durch das die Philosophisch-Theologische Hochschule, die Pädagogische Hochschule und die höhere Fachschule für Sozialwesen zusammengelegt wurden. Damit hatte auch der Freistaat zunächst das Konzept der Gesamthochschule umgesetzt, von dem er sich durch die Umbenennung in eine Universität 1979[107] indes wieder löste. Schließlich wurde 1972 die Errichtung einer Universität in Passau beschlossen.[108] Die Eröffnung erfolgte dort unter Eingliederung der Philosophisch-Theologischen Hochschule im Jahre 1978.

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In Eichstätt[109] war 1946 der Betrieb der Philosophisch-Theologischen Hochschule wieder aufgenommen und 1958 zusätzlich eine kirchliche Pädagogische Hochschule gegründet worden. Im Jahre 1972 erfolgte die Zusammenlegung beider Einrichtungen. Die neue Institution wurde zunächst als Gesamthochschule geführt, aber seit 1980 infolge der Trägerschaft einer kirchlichen Stiftung des öffentlichen Rechts als Katholische Universität Eichstätt bezeichnet. Die 1989/90 erfolgte Gründung einer betriebswissenschaftlichen Fakultät in Ingolstadt führte schließlich 2001 zur Umbenennung in „Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt“. Die Technische Hochschule in München, die 1967 bereits die Genehmigung zur Errichtung einer Medizinischen Fakultät erhalten hatte, wurde 1970, der gewachsenen Bedeutung und ihrem Fächerangebot entsprechend, in Technische Universität München umbenannt. Die Erlanger Universität erhielt 1961 die bisherige Nürnberger Handelshochschule als angegliederte Fakultät, 1966 eine eigene Technische Fakultät und schließlich 1972 durch Eingliederung der Pädagogischen Hochschule Nürnberg eine Pädagogische Fakultät. Auch in Würzburg wurde 1971 die örtliche Pädagogische Hochschule als Erziehungswissenschaftliche Fakultät in die Universität integriert. Die LMU erlebte schließlich ein sprunghaftes Wachstum, das sich vor allem in einem stetigen Anstieg der Zahl der Fakultäten und einer räumlichen Ausdehnung bis an die Stadtränder bemerkbar machte.

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Die Lehrerbildungsanstalten aus der Vorkriegszeit bestanden in Bayern zunächst fort, wurden aber 1958 den drei Landesuniversitäten zugeordnet. Die so entstandenen Pädagogischen Hochschulen wurden 1967 auch Gegenstand einer Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs,[110] der die Vereinbarkeit ihres konfessionellen Charakters (Art. 11 Abs. 1 S. 1 und Art. 12 Abs. 1 Lehrerbildungsgesetz) mit der Landesverfassung feststellte.

c) Studentische Reformforderungen und Phase hochschulgesetzlicher Regulierungsaktivität

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Die politische Bewegung der „Achtundsechziger“ unter maßgeblicher Beteiligung der Studentenschaft traf mit einem auch in den Leitungsgremien erkannten Reformbedarf der Hochschulen zusammen und setzte eine umfangreiche Gesetzgebungstätigkeit auf Bundes- und Landesebene in Gang, an deren Ende die weitgehende gesetzliche Regulierung des Hochschulrechts stand. Noch unter der Ägide der großen Koalition kam es zur Einführung hochschulrechtlicher Regelungs-, Finanzierungs- und Mitwirkungskompetenzen des Bundes im Wege der Verfassungsänderung.[111] Die Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau und das auf seiner Grundlage erlassene Hochschulbauförderungsgesetz[112] lösten die Verwaltungsabkommen zur Förderung von Wissenschaft und Forschung aus den Jahren 1964 und 1968 ab. Außerdem erließ der Bund schon bald nach der Grundgesetzänderung Regelungen in Einzelfragen, nämlich das Graduiertenförderungsgesetz[113] und das Hochschulstatistikgesetz.[114] Das Inkrafttreten des Hochschulrahmengesetzes (HRG) verzögerte sich allerdings durch die Bundestagsauflösung 1972 und später durch Widerstände im Bundesrat noch bis in das Jahr 1976.[115] Der Freistaat Bayern erließ bereits 1973 ein eigenes Hochschulgesetz (BayHSchG)[116].

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Die politische Reformdiskussion der sechziger Jahre war vor allem geprägt durch Organisationsfragen. Eine Forderung der Studentenproteste bestand in der so genannten „Demokratisierung“ der Universität und dem Abbau angeblich „autoritärer“ Strukturen. Seitens Teilen der Studentenschaft konkret gefordert wurden etwa ein – von der Rechtsprechung mit Recht stets abgelehntes[117] – allgemeinpolitisches Mandat für die Studentenvertretung und vor allem die Einführung der „Gruppenuniversität“ mit Drittelparität in den Hochschulgremien, d.h. die gleichgewichtige Beteiligung von Professoren, Studenten und wissenschaftlichem Mittelbau an Entscheidungen der Selbstverwaltungsgremien.[118] Eine entscheidende Wende brachte erst die Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Niedersächsischen Vorschaltgesetz im Jahre 1973 (Erstes Hochschulurteil), die weite Teile der organisationsrechtlichen Regelungen der paritätischen Gruppenuniversität für unvereinbar mit Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG erklärte.[119] Demnach hat die Gewähr des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG zwar nicht das überlieferte Strukturmodell der deutschen Universität zum Inhalt, doch erlegt sie dem Gesetzgeber die Pflicht auf, auch die innere Hochschulorganisation in der Weise zu gestalten, dass dem Wissenschaftler der geschützte „Freiraum, der vor allem die auf wissenschaftlicher Eigengesetzlichkeit beruhenden Prozesse, Verhaltensweisen und Entscheidungen bei dem Auffinden von Erkenntnissen, ihrer Deutung und Weitergabe umfasst“[120], erhalten bleibt. Dies schließe zwar nicht den Organisationstypus der Gruppenuniversität aus, der besonderen Position der Hochschullehrer müsse aber angemessen Rechnung getragen werden. Für die Besetzung von Kollegialorganen muss danach den Professoren die Hälfte der Stimmen in Fragen der Lehre und das ausschlaggebende Gewicht in Fragen der Forschung und Berufung zukommen. Das spätere HRG hat dieser Forderung in seinen Regelungen zur inneren Entscheidungsfindung der Universitäten Rechnung getragen. Auch der Bayerische Verfassungsgerichtshof knüpfte in einer Entscheidung aus dem Jahre 1977 hieran an[121] und erklärte den seinerzeitigen Art. 33 Abs. 3 BayHSchG für unvereinbar mit Art. 108 BV, da die Vorschrift unter Umständen nicht die Mehrheit der Hochschullehrer im Fachbereichsrat unabhängig von ihrer Wahlbeteiligung sicherstelle.

 

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Das HRG war ursprünglich geprägt von dem Bild einer Gesamthochschule (vgl. § 4 HRG 1976), ein Modell, das sich letztlich nicht durchsetzen konnte. In Bayern war es erst 1971 zur Einführung des Fachhochschulwesens auf breiter Ebene gekommen.[122] Neben den Fachhochschulen bestanden auch weiterhin die Kunsthochschulen bzw. wurden bestehende Einrichtungen zu solchen erhoben, und die am 1966 gegründete Hochschule für Fernsehen und Film in München.[123]

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Andere Hauptstreitpunkte der Hochschulreform zu Beginn der siebziger Jahre betrafen das Zulassungsrecht, für das die KMK in den Jahren 1968 und 1970 Regeln vereinbart hatte, wonach Härtegesichtspunkte, vorher erbrachte Leistungen und der Jahrgang Faktoren bei der Studentenauswahl bilden sollten. Art. 3, Art. 4 S. 1 BayHSchZulG[124] bestimmte, dass Studienbewerber, die ihren Wohnsitz im Freistaat Bayern haben und auch ihre Hochschulzugangsberechtigung in Bayern erworben hatten, bei der Vergabe von Studienplätzen bevorzugt zu behandeln seien, indem der Note ihrer Reifeprüfung bei der Erstellung der Ranglisten ein durch weitere Vorschriften festgelegter Wert hinzugerechnet wurde. Der Verfassungsgerichtshof hatte 1971 über eine dagegen gerichtete Popularklage zu entscheiden[125] und befand, dass die bayerische Regelung, die an den Wohnsitz anknüpfte, keine unzulässige Diskriminierung nach „Herkunft“ und „Heimat“ enthalte und auch nicht gegen Art. 128, Art. 118 Abs. 1, Art. 108 BV verstoße, da das Verfahren der Bewerberauswahl auf sachlichen Gesichtspunkten beruhe und die Veränderung der Bewerbungsprämissen für Landeskinder dem sozialen Ziel der Kostenminimierung für Studenten entspreche. Das Bundesverfassungsgericht kam indes gemessen an den Grundrechten des Grundgesetzes anlässlich eines Vorlagebeschlusses des VG München zu einer anderen Beurteilung.[126] Es stellte fest, dass die Einschränkung des Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG nur verfassungsmäßig sei, wenn sie in den Grenzen des unbedingt Erforderlichen und unter Erschöpfung vorhandener Kapazitäten erfolge und die Auswahl der Bewerber nach sachgerechten Kriterien vorgenommen werde.[127] Im Gegensatz zum Verfassungsgerichtshof verneinte der Senat indes die Sachgerechtigkeit der „Landeskinder-Regelung“ mit Verweis auf die besondere Bedeutung berufszugangsbezogener Gleichbehandlung im Rahmen der Zulassungsauswahl. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts verstärkte das Bedürfnis nach einer bundesweit einheitlichen Regelung des Hochschulzugangs.[128] Dem entsprach die Einigung der Länder über die Einrichtung der Zentralen Vergabestelle für Studienplätze (ZVS) im Jahre 1972.[129] Der dort zunächst angewendete pauschale Notenvergleich wurde indes vom Bayerischen Verfassungsgerichtshof 1975 für unvereinbar mit Art. 118 BV erklärt,[130] nachdem das Bundesverfassungsgericht die Bonus-Malus-Regelung im Vorjahr noch hatte bestehen lassen.[131] Ein Antrag Nordrhein-Westfalens und Hamburgs auf Erlass einer einstweiligen Anordnung der Durchführung des Staatsvertrags vor dem Bundesverfassungsgericht scheiterte an der Zulässigkeit,[132] bereits zuvor waren die Länder aber mit einem entsprechenden Antrag beim Bundesverwaltungsgericht durchgedrungen.[133] In einer weiteren Entscheidung, in der sich der Verfassungsgerichtshof mit der Universitätszulassung von Absolventen der Rechtspflegerschule zu befassen hatte, zeigte sich freilich, dass durchaus relevante Gestaltungsspielräume des Gesetzgebers für das Zulassungsrecht verblieben.[134] Nach der langwierigen Auseinandersetzung erfolgte schließlich eine Regelung der einschlägigen Zulassungsfragen, die durch die Rechtsprechung zu bestehenden Länderabkommen bereits vorgezeichnet war, in den §§ 30 ff. HRG.[135]