Hochschulrecht im Freistaat Bayern

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c) Staatliche Angelegenheiten (Art. 12 Abs. 3 BayHSchG)

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Art. 12 Abs. 3 BayHSchG erklärt einige Materien zu staatlichen Angelegenheiten, d.h. zu Aufgaben, die die Hochschule als staatliche Einrichtung erfüllt und deshalb der Fachaufsicht unterstehen (Art. 74 Abs. 2 BayHSchG)[114]. Es handelt sich um:


1. die Personalverwaltung,
2. Haushalts- und Wirtschaftsangelegenheiten, insbesondere die Verwendung und Bewirtschaftung der den Hochschulen zugewiesenen Landesmittel, landeseigenen Liegenschaften und Vermögensgegenstände,
3.
4. die überörtliche Bibliotheks- und Rechenzentrumskooperation,
5. die Studienjahreinteilung, die Regelung des Hochschulzugangs, Im- und Exmatrikulation, die Ermittlung von Ausbildungskapazitäten, die Festsetzung von Zulassungszahlen und die Vergabe von Studienplätzen,
6. die Beteiligung an oder die Durchführung von staatlichen Prüfungen,
7. die Erhebung von Gebühren, Verwaltungskostenbeiträgen und Auslagen und
8. weitere durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes bestimmte Angelegenheiten

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Auch in den genannten Bereichen können wissenschaftsrelevante Entscheidungen getroffen werden. Die Wissenschaftsfreiheit und die Hochschulselbstverwaltung werden hier jedoch regelmäßig durch andere Rechtsgüter in den Hintergrund gedrängt: Dem Staat obliegen zum einen grundrechtliche Schutzpflichten (für die Berufsfreiheit des Hochschulpersonals (Art. 12 Abs. 3 Nr. 1 BayHSchG), für die Berufsausbildungsfreiheit der Studenten (Art. 12 Abs. 3 Nr. 3, 5 und 6 BayHSchG) und für die allgemeine (wirtschaftliche) Handlungsfreiheit von Gebühren- und Kostenschuldnern (Art. 12 Abs. 3 Nr. 7 BayHSchG))[116]. Zum anderen sind öffentliche, insbesondere haushaltsrechtliche Interessen zu beachten (Art. 12 Abs. 3 Nr. 2 und 4 BayHSchG). Der Einfluss von Entscheidungen in diesen Bereichen auf Wissenschaft und Hochschulselbstverwaltung ist andererseits regelmäßig nur ein mittelbarer. Freie Forschung und Lehre wird z.B. grundsätzlich nicht dadurch unmittelbar beeinträchtigt, dass der Staat das Studienjahr in bestimmter Weise einteilt oder Bibliothekskooperationen regelt.[117]

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Allerdings sind im Interesse eines effektiven Schutzes der verfassungsrechtlichen Rechte aus Art. 138 Abs. 2 S. 1 BV Einschränkungen zu beachten: Zunächst sind die einzelnen Nummern des Art. 12 Abs. 3 BayHSchG restriktiv auszulegen[118] und die Aufzählung der in Art. 12 Abs. 3 BayHSchG genannten Materien ist (abgesehen von Art. 12 Abs. 3 Nr. 8 BayHSchG) wie der Wortlaut des Art. 12 Abs. 2 BayHSchG („… alle Angelegenheiten …, soweit nichts anderes bestimmt ist“) deutlich macht, als abschließend zu verstehen. Anderenfalls hätte der Staat z.B. gestützt auf Art. 12 Abs. 3 Nr. 1–3 und 5 BayHSchG die Möglichkeit, das Selbstverwaltungsrecht auszuhöhlen. Unter „Personalverwaltung“ i.S.d. Art. 12 Abs. 3 Nr. 1 BayHSchG darf daher z.B. nicht die Beurteilung der wissenschaftlichen Qualifikationen bei der Einstellung oder Berufung verstanden werden.[119] Bei den Haushalts- und Wirtschaftsangelegenheiten (Art. 12 Abs. 3 Nr. 2 BayHSchG) muss es im Lichte des Art. 138 Abs. 2 S. 1 BV allein Sache der Hochschule sein, die unmittelbar wissenschaftsrelevanten Entscheidungen zu treffen, welche finanziellen Dispositionen vorausgehen. Die Verwaltung des hochschuleigenen Vermögens sowie die Erhebung von Studienbeiträgen fällt, wie bereits dargelegt, ohnehin nicht unter Art. 12 Abs. 3 Nr. 2 BayHSchG. Ebenso sind bei Entscheidungen in den in Art. 12 Abs. 3 BayHSchG genannten Bereichen mittelbare Einflüsse auf die Wissenschaftsfreiheit der Hochschulen und Hochschullehrer stets mit zu berücksichtigen.[120]

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Im Gegensatz zum übrigen Studienwesen, das dem Kooperationsbereich zuzuordnen ist, überwiegt bei den in Art. 12 Abs. 3 BayHSchG genannten, das Studium betreffenden Angelegenheiten insbesondere bei der Frage der Im- und Exmatrikulation[121] sowie der Studiengangsstruktur das Interesse der Studierenden und Studienbewerber dasjenige der Hochschulen. Die genannten Materien (aber auch nur diese) sind somit Aufgabe des Staates.

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Die Gliederung der Hochschulen (z.B. in Fakultäten und andere wissenschaftliche Einrichtungen) rechnet Art. 12 Abs. 3 Nr. 3 BayHSchG dem staatlichen Bereich zu.[122] Gemessen am Ziel der Hochschulreformen, die Selbstständigkeit der Hochschulen zu stärken,[123] erscheint dies zunächst als kontraproduktiv. Mehr Selbstständigkeit bedeutet auch mehr Organisationsautonomie.[124] Allerdings entscheidet nur über die Gliederung in Fakultäten und Abteilungen der Staat (Art. 19 Abs. 3 S. 3 BayHSchG), während weitere Untergliederungen (z.B. in Fachbereiche, Departments und Institute) nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 Nr. 8 die Hochschulleitung regelt. Da diese Entscheidungen Auswirkungen auf Forschung und Lehre an der Hochschule haben können, folgt aus der Wissenschaftsfreiheit ein Anhörungsrecht der von solchen Entscheidungen der Hochschulleitung betroffenen Fakultäten und sonstigen Einrichtungen.

d) Körperschaft als genuine Rechtsform der Hochschule

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Art. 11 Abs. 1 S. 1 und 2 BayHSchG legt fest, dass (staatliche) Hochschulen Körperschaften des öffentlichen Rechts und zugleich staatliche Einrichtungen sind. Die Körperschaftsform ist wegen ihrer mitgliedschaftlichen Struktur diejenige Rechtsform, die der Idee der Hochschule als Gemeinschaft freier Wissenschaftler und Studenten am besten entspricht. Weil sich die Mitgliedschaft nach bestimmten Eigenschaften von Personen richtet, stellen die Hochschulen eine spezielle Form von Personalkörperschaften dar. In der Formulierung „zugleich staatliche Einrichtungen“ kommt primär zum Ausdruck, dass Hochschulen grundrechtsverpflichtet sind.[125] Ebenso wird damit betont, dass Hochschulen etwa im Vergleich zu staatsfreien Rundfunkanstalten[126] stärker in die staatliche Verwaltung eingebunden sind.[127] Diese Einbindung reicht jedoch (dafür spricht der Körperschaftsstatus) nicht so weit wie bei den Schulen.[128]

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Der Wortlaut des Art. 12 Abs. 1 BayHSchG, wonach die Hochschulen „eigene Angelegenheiten als Körperschaften […], staatliche Angelegenheiten als staatliche Einrichtungen wahrnehmen“ legt nahe, dass man sich die Hochschule als mixtum compositum aus einem staatlichen und einem Körperschaftsteil vorzustellen hat.[129] Auch die Tatsache, dass das BayHSchG nicht mehr (wie § 58 Abs. 3 HRG a.F.) die Einheitsverwaltung anordnet, spricht für diese Annahmen. Dass eine solche Aufspaltung der Hochschulverwaltung praktisch nicht durchzuhalten ist, zeigt jedoch schon die Existenz des Kooperationsbereichs. Die Hochschule ist als Einheit zu sehen, die staatliche und körperschaftliche Angelegenheiten wahrnimmt.[130]

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Andere Rechtsformen für staatliche Hochschulen (z.B. die öffentlich-rechtliche Stiftung)[131] sind nach Art. 11 Abs. 1 S. 3 BayHSchG möglich.[132] Ob derartigen Hochschulen ebenfalls ein Selbstverwaltungsrecht zustehen würde, klärt das BayHSchG nicht explizit. Klar dürfte jedoch sein, dass auch durch einen Rechtsformwechsel das Mindestmaß an Mitbestimmung in wissenschaftsrelevanten Angelegenheiten, das Grundbedingung für freie Forschung und Lehre ist, nicht unterschritten werden darf.[133] Das Hochschulorganisationsrecht ist auch insoweit von der (individuellen) Wissenschaftsfreiheit her zu denken.

e) Satzungsautonomie (Art. 13 BayHSchG)

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Eine besondere Ausprägung des Selbstverwaltungsrechts der Hochschulen ist die Satzungsautonomie, d. i. das Recht, eigene Normen zu erlassen.[134]

aa) Umfang der Satzungsautonomie

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Art. 13 Abs. 1 BayHSchG begrenzt das Satzungsrecht grundsätzlich auf den Bereich der Körperschaftsangelegenheiten.[135] Ein Satzungsrecht in staatlichen Angelegenheiten steht den Hochschulen nur zu, soweit es gesetzlich vorgesehen ist (z.B. Art. 51 i.V.m. 12 Abs. 3 Nr. 5 BayHSchG). Dies ist konsequent: Weil die Satzungsautonomie Folge des Körperschaftsstatus ist,[136] kann sie auf diesen begrenzt werden. Bedingt durch das Ziel der Hochschulreformen, die Hochschulen selbstständiger zu machen, steigt die Bedeutung der Hochschulsatzungen.

 

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Die Satzungsautonomie unterliegt verschiedenen Grenzen: Zunächst gelten die allgemein an die Normen zu stellenden Anforderungen, d.h. Hochschulsatzungen müssen mit den Grundrechten und dem Rechtsstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 3 GG/3 Abs. 1 BV (Bestimmtheitsgrundsatz, prinzipielles Rückwirkungsverbot[137]) vereinbar sein. Für die Grundrechtsausübung wesentliche Fragen bleiben aus Gründen des Demokratieprinzips Parlamentsgesetzen vorbehalten. Keine (analoge) Anwendung findet hingegen Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG/Art. 55 Nr. 2 S. 3 BV[138]. Auch Satzungsermächtigungen müssen zwar, weil sich der Gesetzgeber seiner Befugnisse nicht vollständig zugunsten körperschaftlicher Rechtssetzung entäußern darf, hinreichend bestimmt sein.[139] Eine (vollständige) Bestimmtheit nach Inhalt Zweck und Ausmaß liefe jedoch der grundrechtlichen Wurzel der Satzungsautonomie zuwider.

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Zuständig für den Erlass von Satzungen ist abgesehen vom Sonderfall der Grundordnung (hierzu sogleich Rn. 217 ff.) der Senat (Art. 25 Abs. 3 Nr. 1 BayHSchG). Nach Art. 13 Abs. 3 BayHSchG i.V.m. der Verordnung über die Bekanntmachung von Hochschulsatzungen (HSchBekV) vom 4.11.1993[140] sind Hochschulsatzungen durch Niederlegung in der Hochschule und Bekanntmachung der Niederlegung durch Anschlag bekannt zu machen. Die Redaktionsrichtlinien vom 6.8.2002 gelten gemäß Art. 13 Abs. 3 S. 2 BayHSchG entsprechend.

bb) Grundordnungsgewalt

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Ein Sonderfall des Satzungsrechts ist die Grundordnungsgewalt. Die Grundordnung ist gleichsam die Verfassung der Hochschule und enthält primär Regelungen über Körperschaftsangelegenheiten, insbesondere über Rechte und Pflichten der Mitglieder und die Beziehungen der Hochschulorgane zueinander, sowie Details über die Arbeitsweise einzelner Organe. Eine Regelung staatlicher Angelegenheiten (Art. 12 Abs. 3 BayHSchG) ist insoweit möglich[141] als Regelungen des BayHSchG der Grundordnung (z.B. im Bereich der Hochschulbinnenorganisation i.S.d. Art. 12 Abs. 3 Nr. 3 BayHSchG) eine nähere Ausgestaltung überlassen.[142] Nicht alle Regelungen, die die Grundordnung nach den Verweisungen im BayHSchG enthalten kann, muss sie auch enthalten. Eine Pflicht zur Aufnahme in die Grundordnung besteht nur, soweit sich dies aus dem Wortlaut der entsprechenden Bestimmung des BayHSchG ergibt (so bei Art. 2 Abs. 3 S. 3; Art. 4 Abs. 2 S. 4, 1. Halbsatz; Art. 20 Abs. 1 S. 1 Nr. 2; Art. 21 Abs. 2 S. 2 und 4, Abs. 14 S. 2; Art. 22 Abs. 2 S. 1; Art. 24 Abs. 1 S. 3 und 4; Art. 28 Abs. 1 S. 3; Art. 29 Abs. 1 S. 2; Art. 38 Abs. 2; Art. 41 Abs. 1 S. 2; Art. 52 Abs. 2 S. 4, Abs. 7; Art. 65 Abs. 8). Auch Bereiche, die im BayHSchG nicht ausdrücklich genannt sind, dürfen in der Grundordnung geregelt werden, sofern es sich um Hochschulaufgaben handelt.

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Über die Grundordnung beschließt der Hochschulrat (Art. 26 Abs. 5 S. 1 Nr. 1 BayHSchG) auf Vorschlag der Hochschulleitung (Art. 20 Abs. 2 S. 2 Nr. 7 BayHSchG).

cc) Genehmigung von Hochschulsatzungen

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Die Grundordnung bedarf der staatlichen Genehmigung (Art. 13 Abs. 2 S. 1 BayHSchG). Ebenso ist eine staatliche Genehmigung erforderlich, soweit dies gesetzlich bestimmt ist. Die übrigen Hochschulsatzungen mit Ausnahme der Studienordnungen (Art. 58 Abs. 1 S. 1 BayHSchG) bedürfen nach Art. 13 Abs. 2 S. 2 BayHSchG „der rechtsaufsichtlichen Genehmigung durch den Präsidenten oder die Präsidentin“.[143] Offen bleibt somit, ob der Staat bei der Genehmigungserteilung ebenfalls auf Rechtsaufsicht beschränkt ist oder ob er die Zweckmäßigkeit überprüfen darf. Dies beurteilt sich nach dem Satzungsinhalt:[144] Ist die Hochschule ermächtigt, im Bereich staatlicher Angelegenheiten Satzungen zu erlassen (Art. 12 Abs. 3, 13 Abs. 1 S. 2 zweiter Halbsatz BayHSchG), darf, weil die Wahrnehmung staatlicher Angelegenheiten der Fachaufsicht unterliegt (Art. 74 Abs. 2 BayHSchG), das Staatsministerium die Zweckmäßigkeit der Satzung überprüfen. Soweit die Satzungsgebung für Körperschaftsangelegenheiten erfolgt (Art. 13 Abs. 1 S. 2, erster Halbsatz BayHSchG) und eine staatliche Genehmigung i.S.d. Art. 13 Abs. 2 S. 1 BayHSchG vorgesehen ist, kann es sich bei dieser wegen Art. 74 Abs. 1 BayHSchG nur um eine rechtsaufsichtliche Maßnahme handeln. Bei der Grundordnung ist die Genehmigung nur dann ein Akt der Fachaufsicht, wenn Gegenstände außerhalb des körperschaftlichen Bereichs geregelt werden.

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Soweit eine staatliche Genehmigung für Satzungen in Körperschaftsangelegenheiten verweigert wird, kann die Hochschule diese im Wege der Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 2. Var. VwGO) einklagen.[145] Aus Art. 138 Abs. 2 S. 1 BV folgt ein Anspruch auf Genehmigungserteilung. Ein Ermessen kommt dem Staat nicht zu.[146] Dies gilt angesichts ihrer fundamentalen Bedeutung erst recht für die Grundordnung. Eine Aufhebung der staatlichen Genehmigung nach Art. 48, 49 BayVwVfG ist, weil die Genehmigung zugleich ein Akt der Rechtssetzung ist, nicht möglich.[147] Die rechtsaufsichtliche Beanstandung einer rechtswidrigen Hochschulsatzung ist jedenfalls in denjenigen Fällen unproblematisch möglich, in denen sich das Ministerium dadurch nicht in Widerspruch zur von ihm selbst erteilten (u.U. sogar bestandskräftigen) Genehmigung setzt; z.B. wenn die Satzung im Nachhinein, etwa in Folge einer Änderung des Hochschulrechts oder der Rechtsprechung rechtswidrig geworden ist.[148] Dadurch wird die Hochschule zur Selbstkorrektur veranlasst. Auch ein Antrag des Ministeriums auf Normenkontrolle nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i.V.m. Art. 5 S. 1 AGVwGO ist (insbesondere dann, wenn eine Beanstandung im Widerspruch zur nach Art. 48, 49 BayVwVfG nicht mehr aufhebbaren Genehmigung stünde) denkbar.[149]

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Die „rechtsaufsichtliche Genehmigung“[150] durch den Präsidenten ist mangels Außenwirkung kein Verwaltungsakt. Daher kann ihre Erteilung nur mithilfe eines Hochschulverfassungsstreits[151] (allgemeine Leistungs- oder Feststellungsklage) erreicht werden. Ein Anspruch der Hochschule auf Genehmigungserteilung besteht, soweit Körperschaftsangelegenheiten geregelt werden. Sinn und Zweck der Verlagerung der Genehmigungszuständigkeit auf die Hochschulleitung kann es nicht sein, das Selbstverwaltungsrecht zu schwächen. Art. 13 Abs. 2 BayHSchG nicht eindeutig zu entnehmen ist, ob es Fälle geben kann, in denen zwei Genehmigungen (durch Ministerium und) erforderlich sind. Da jedoch der Präsident bei der Genehmigung der Rechtsaufsicht untersteht,[152] ersetzt eine erforderliche staatliche Genehmigung die hochschulinterne. Ist die Genehmigung des Präsidenten rechtswidrig, kann das Ministerium sie rechtsaufsichtlich beanstanden.

f) Der Grundsatz des hochschulfreundlichen Verhaltens

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Aus dem Bundesstaatsprinzip des Grundgesetzes und Art. 28 Abs. 2 GG werden Treuepflichten der föderalen Ebenen zueinander abgeleitet.[153] Gestützt auf derartige Ansätze hat Dieter Lorenz den Grundsatz des „universitätsfreundlichen Verhaltens“ entwickelt,[154] wonach der Staat beim Handeln gegenüber den Hochschulen deren Interessen berücksichtigen müsse.

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Die Anknüpfung dieses Grundsatzes an das Prinzip der Bundestreue lässt allerdings außer Acht, dass die Bundestreue im Staatsorganisationsrecht wurzelt, während das Verhältnis der Hochschulen zum Staat grundrechtlich geprägt ist. Im Staatsorganisationsrecht resultiert ein Bedürfnis nach Konstruktionen wie der Bundestreue aber gerade daraus, dass sich aus den Grundrechten abgeleitete Maßstäbe wie die Regel „in dubio pro libertate“ nicht anwenden lassen.[155] Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz findet im Verhältnis zwischen Beteiligten mit allein staatsorganisationsrechtlich begründeter Rechtsstellung ebenfalls keine Anwendung.[156] Durch ihre grundrechtliche Grundlage unterscheidet sich die Beziehung Staat –Hochschule auch von anderen Selbstverwaltungsformen (s.o. II.). Dies legt es nahe, den Grundsatz des hochschulfreundlichen Verhaltens in den Grundrechten zu verorten:[157] Der Grundsatz wird, soweit es um den Schutz der Hochschulen vor Beeinträchtigungen durch Dritte geht, durch die Schutzpflichten aus Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG ersetzt.[158] Für Eingriffe des Staates in das Selbstverwaltungsrecht gilt (sowohl im Verwaltungs- als auch im Rechtssetzungsverfahren) das Verhältnismäßigkeitsprinzip[159] sowie die Einrichtungsgarantie aus Art. 138 Abs. 2 S. 1 BV. Außerdem ist stets die Eigengesetzlichkeit als Grundprinzip der Wissenschaft zu achten. Dies gebietet dem Staat Zurückhaltung bei der Organisation von Bereichen, die unmittelbar mit Forschung und Lehre in Verbindung stehen. Daher hat der Staat auch, soweit ihm die Fachaufsicht obliegt, alle mittelbaren Einflüsse auf den Prozess der Entstehung und Weitergabe wissenschaftlicher Erkenntnis zu berücksichtigen.

g) Verteidigung der Selbstverwaltung

aa) gegen den Staat

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Die bayerischen Hochschulen können ihr Selbstverwaltungsrecht dem Staat als subjektiv-öffentliches Recht entgegenhalten und es vor den Verwaltungsgerichten (zur Klage auf Erteilung einer Satzungsgenehmigung s.o. Rn. 196–198), dem BayVerfGH (Popularklage nach Art. 98 S. 4 BV, 55 VfGHG gegen Gesetze und Verordnungen; Verfassungsbeschwerde nach Art. 120 BV, 51 ff. VfGHG gegen Einzelfallentscheidungen[160]) und dem BVerfG (Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG[161]) geltend machen. Maßnahmen, die sich gegen die Hochschule oder gegen eine ihrer Untergliederungen richten, können von Hochschulmitglieder oder Einrichtungen, denen durch die Maßnahme allein noch keine Grundrechtsverletzung droht bzw. deren Wissenschaftsfreiheit noch nicht strukturell gefährdet sein kann (z.B. Professoren einer anderen als der betroffenen Fakultät), nicht angegriffen werden.[162]

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Eingriffe des Staates in das Selbstverwaltungsrecht sind unzulässig, soweit sie dessen Kernbereich antasten.[163] Nicht jede Regelung, die eine Körperschaftsangelegenheit betrifft, ist jedoch ein unzulässiger Kernbereichseingriff. Ein solcher liegt nur dann vor, wenn der Hochschule eine Körperschaftsangelegenheit vollständig entzogen oder ihre Ausübung unmöglich gemacht wird. Auch in Fällen, in denen Regelungen den Kernbereich unangetastet lassen, hat der Staat allerdings, wie erwähnt, den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten und den Einfluss der Regelung auf freie Forschung und Lehre an der Hochschule zu berücksichtigen.

203

Problematisch erscheint auf den ersten Blick, dass Art. 138 Abs. 2 S. 1 BV das Selbstverwaltungsrecht nicht ausdrücklich begrenzt, während Art. 11 Abs. 1 S. 1 BayHSchG nur ein „Recht der Selbstverwaltung im Rahmen der Gesetze“[164] anerkennt. Diese Diskrepanz ist jedoch nur eine scheinbare: Nach Art. 138 Abs. 1 S. 1 BV ist die Verwaltung der Hochschulen „Sache des Staates“. Art. 138 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 S. 1 BV sind in praktische Konkordanz zu bringen.[165] Die Betonung, dass die Hochschulverwaltung Aufgabe des Staates ist in Abs. 1 S. 1, spricht dafür, eine Beschränkung der Selbstverwaltung nicht erst dann zuzulassen, wenn das staatliche Handeln dazu dient, mit diesem Recht kollidierenden Verfassungsgütern gerecht zu werden. Aus Art. 98 S. 2 BV – dieser findet hier trotz seiner verfassungssystematischen Stellung in einem anderen Abschnitt als Art. 138 BV zumindest deswegen Anwendung, weil Art. 138 Abs. 2 BV ein grundrechtsähnliches Recht ist – folgt außerdem, dass für Beschränkungen eine gesetzliche und den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes genügende Grundlage notwendig ist. Das Selbstverwaltungsrecht nach Art. 138 Abs. 2 S. 1 BV kann somit durch oder aufgrund eines verhältnismäßigen Gesetzes eingeschränkt werden. Diese Einschränkungsmöglichkeit bringt Art. 11 Abs. 1 S. 1 BayHSchG auf der einfachgesetzlichen Ebene zum Ausdruck.

204

Wie erwähnt (s.o. Rn. 143–147) hat das BVerfG in seiner Entscheidung zum Brandenburgischen Hochschulgesetz festgestellt, dass eine Änderung des Hochschulorganisationsrechts dann gegen die Wissenschaftsfreiheit des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG verstößt, wenn sie diese „strukturell gefährdet“, also wissenschaftsinadäquate Organisationsstrukturen geschaffen werden.[166] In weiteren Entscheidungen hat das Gericht die Maßstäbe dafür, wann eine solche Strukturelle Gefährdung vorliegt, konkretisiert.[167] Weil die akademische Selbstverwaltung mit der Wissenschaftsfreiheit in letztlich untrennbar engem Zusammenhang steht, lassen sie sich auf Art. 138 Abs. 2 BV übertragen:

 

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Die Gefahr einer strukturellen Gefährdung sieht das BVerfG insbesondere dann, wenn die Hochschulleitung zulasten der Kollegialorgane gestärkt wird und diese hochschulintern nicht hinreichend durch Kontrollrechte und Einflussmöglichkeiten der Professoren (über das Kollegialorgan) kompensiert wird. Für diesen Fall gilt: „Je mehr, je grundlegender und je substanzieller wissenschaftsrelevante personelle und sachliche Entscheidungsbefugnisse dem kollegialen Selbstverwaltungsorgan entzogen und einem Leitungsorgan zugewiesen werden, desto stärker muss im Gegenzug die Mitwirkung des Selbstverwaltungsorgans an der Bestellung und Abberufung dieses Leitungsorgans und an dessen Entscheidungen ausgestaltet sein“.[168] Maßgeblich ist nicht eine einzelne Kompetenzverschiebung, sondern das hochschulorganisatorische Gesamtgefüge.[169] Einen generellen Vorrang der Kollegial gegenüber den Leitungsorganen lehnt das BVerfG allerdings ab.