Antikorruptions-Compliance

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2. Einladungen

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Sport hat ein gutes Image und Sportveranstaltungen faszinieren. Eintrittskarten sind häufig limitiert. Dennoch: Die Teilnahme an großen Sportevents bringt regelmäßig die Augen der Zuschauer zum Leuchten – egal, ob es Kinder, der Vorstandsvorsitzende eines DAX-Konzerns oder die Bundeskanzlerin sind. Außerdem ist die Stimmung gut, die Sorge um das leibliche Wohl im Rahmen der Hospitality[29] stimmt und in angenehmer Atmosphäre lässt sich einiges gut besprechen. Außerdem sind bei den absoluten Topevents die Kartenkapazitäten knapp. Kurzum: Glücklich kann sein, wer kostenlos ein Ticket zu einem Top-Sportevent erhascht.

a) Einladungen an Amtsträger

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Sportvereine und -veranstalter laden besonders gerne Politiker und andere Amtsträger ein. Dies ist nicht per se verwerflich. Bei Veranstaltungen die kraft Dimension einem Staatsakt gleichkommen (wie etwa das Finale einer Fußballweltmeisterschaft) – auch wenn es natürlich rechtlich private Veranstaltungen eines eingetragenen Vereins nach schweizerischem Recht, der FIFA, bleiben – lässt sich die Anwesenheit der Bundeskanzlerin und des Bundespräsidenten (wie etwa beim Finale der Fußball-WM 2014 in Brasilien beim Spiel Deutschland – Argentinien) aus Repräsentationsgründen ohne Weiteres vertreten. So hoch muss man gar nicht greifen, um einzusehen, dass der Landrat bei einem seinen Beritt betreffenden Leichtathletikwettbewerb oder die Oberbürgermeisterin der Stadt Köln bei den Heimspielen des 1. FC Köln anwesend sein kann, um seine/ihre Verbundenheit mit der Gebietskörperschaft und den sporttreibenden Einwohnern zu unterstreichen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Staat auf kommunaler und Landesebene den Amateursport und der Bund auf Bundesebene i.d.R. nur den Leistungssport z.T. durch erhebliche Investitionen und Zuschüsse fördert. Auf der anderen Seite bleibt diese Einladung auch für den eingeladenen Politiker, auf welcher Ebene auch immer, mit Annehmlichkeiten verbunden. Hierzu gehört das Treffen außergewöhnlicher und besonderer Menschen, die ihren Platz im Sport gefunden haben, die Exklusivität der Behandlung und des zugewiesenen Platzes, das Ticket als Eintrittskarte an sich und – selbstverständlich – die Unentgeltlichkeit einschließlich der häufig nicht zu verachtenden Hospitality-Dienstleistungen. Das mag neben den vielen Entbehrungen und Anstrengungen zu den Annehmlichkeiten dieser Ämter gehören und deswegen im Ausgangspunkt mehr als gerechtfertigt sein. Allerdings ist dem Sport der Kontakt auf dieser Ebene mit diesen Vergünstigungen im Hintergrund sicherlich auch nicht abträglich, mit dem politischen Vertreter in einen Austausch über die sportbezogenen Themen zu kommen. Diese Vertreter sind aber zugleich häufig auch Entscheider über viele den Sport betreffenden Fragen. Hier muss nicht nur an die offensichtlichen Dinge wie öffentliche Zuschüsse oder sonstige Subventionen gedacht werden. Es ist der Oberbürgermeister oder der Landrat, der (als Behörde, freilich nicht in persona) über die Baugenehmigung für die beabsichtigte Erweiterung eines Trainingsgeländes oder über die Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis für den Topathleten entscheidet, der das Team des örtlichen Clubs in der nächsten Saison verstärken soll. Dass die die Bundeskanzlerin oder Ministerpräsidenten, Bundes– und Landesminister oder auch hohe Ministerialbeamte Einfluss auf sportbezogene Gesetze, Förderungen und Entscheidungen haben können, liegt auf der Hand. Um einer unlauteren Verquickung von Vorteil und Amtsausführung in diesem Bereich zu verhindern, gibt es die strengen Regeln der Straftaten im Amt nach den §§ 331 bis 334 StGB, also die Vorteilsannahme (§ 331 StGB) und als Qualifikation die Bestechlichkeit (§ 332 StGB) aus Sicht des Amtsträgers und als Qualifikation die Vorteilsgewährung (§ 333 StGB) und Bestechung (§ 334 StGB) aus Sicht des Einladenden.

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Der Schulfall in diesem Bereich ist der zwischenzeitlich berühmte Fall von Utz Claassen, der zur Tatzeit – im Vorfeld der Fußball-WM 2006 in Deutschland – Vorstandsvorsitzender der EnBW war.[30] Der Energiekonzern EnBW trat als Hauptsponsor der Fußball-WM 2006 auf. Die Marketingabteilung des Konzerns hatte dazu ein Sponsoringkonzept zur Verteilung von ca. 14.000 Eintrittskarten entwickelt. Es sah u.a. vor, einen kleinen Teil der Karten für Repräsentanten aus Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur, Wissenschaft und Politik zu verwenden, um den Eingeladenen die Gelegenheit zu geben, ihre entsprechenden Institutionen zu präsentieren und repräsentieren und zugleich die Rolle von EnBW werbewirksam hervorzuheben. Am 20.12.2005 unterzeichnete Claassen ca. 700 Weihnachtsgrußkarten. Adressaten waren Personen, deren Daten in seiner „VIP-Datei” gespeichert waren. Unter den in einigen Fällen zusätzlich übersandten Präsenten befanden sich mit dem offiziellen Sponsorenlogo der EnBW versehene Gutscheine für Logenplätze bei einem WM-Spiel in Stuttgart oder Berlin. Sie wurden u.a. an den Ministerpräsidenten und fünf Minister des Landes Baden-Württemberg (für jeweils zwei Eintrittskarten) sowie an den beamteten Staatssekretär im Berliner Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (für eine Eintrittskarte) verschickt. Die Minister und Beamten waren im Rahmen ihrer Ressortzuständigkeit mit Angelegenheiten befasst, die für die Geschäftspolitik und den wirtschaftlichen Erfolg der EnBW oder Claassen persönlich von erheblicher Bedeutung waren. Nachdem in der Presse über die Versendung der Gutscheine berichtet worden war und die Staatsanwaltschaft Karlsruhe Mitte Februar 2006 ein Ermittlungsverfahren gegen Claassen eingeleitet hatte, lehnte der baden-württembergische Ministerpräsident die Einladungen namens der Regierungsmitglieder ab. Sämtliche Mitglieder der Landesregierung hatten jedoch anderweitig freien Zugang mit Begleitung jedenfalls zu den WM-Spielen in Stuttgart. Das Landgericht Karlsruhe hatte Claassen vom Vorwurf der Vorteilsgewährung in sieben Fällen freigesprochen.[31] Diesen Freispruch hat der Bundesgerichtshof in seiner Revisionsentscheidung, die auf die Revision der Staatsanwaltschaft ergangen ist, gerade noch – wenn auch mit einem deutlich vernehmbaren Zähneknirschen – hingenommen.

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Der Freispruch von Claassen beruhte letztlich auf einer nicht nachweisbaren Verknüpfung des Vorteils mit der Dienstausübung der Eintrittskartenempfänger.[32] Hierbei kann kein Zweifel bestehen, dass solche Eintrittskarten einen Vorteil i.S.d. §§ 331 ff. StGB darstellen. Nach den Feststellungen des Landgerichts konnte auch nicht ernsthaft bestritten werden, dass dieser Vorteil einen Bezug zur Dienstausübung[33] der eingeladenen Amtsträger hatte. Kern der Tatbestände ist jedoch die inhaltliche Verknüpfung von Dienstausübung und Vorteilszuwendung, die gemeinhin als „Unrechtsvereinbarung“ im Sinne einer (zumindest angestrebten) Übereinkunft zwischen dem Amtsträger und dem Vorteilsgeber beschrieben wird.[34] Das Landgericht hatte zwar gesehen, dass auch in der geschilderten Konstellation bestimmendes Motiv der Einladung sein kann, den Amtsträger – gewissermaßen unter dem „Deckmantel” Sponsoring/Repräsentation – geneigt zu machen, bei seinen Dienstaufgaben zugunsten des Einladenden zu handeln.[35] Für den Nachweis eines solchen Beweggrundes bedürfe es aber, so das Landgericht, gewichtiger Anhaltspunkte, die über das Bestehen von Berührungspunkten zwischen dem Aufgabenbereich des jeweiligen Amtsträgers und dem Betätigungsfeld des Vorteilsgebers bzw. seines Arbeitgebers hinausgehen. Dass das Landgericht diesen Nachweis im vorliegenden Fall als nicht zu führen angesehen hat, hat der BGH deutlich bemängelt und nur unter den gegebenen revisionsrechtlichen Beschränkungen hingenommen.[36]

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Diese Unrechtsvereinbarung ist gegenüber § 331 ff. StGB, wo sich die Unrechtsvereinbarung auf eine konkrete Diensthandlung beziehen muss, gelockert.[37] Die Anforderungen sind hier also sehr streng. Spätestens seit dem Rücktritt des ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff wird man sich nicht mehr glaubhaft auf mangelhaftes Problembewusstsein berufen können. Wulff stürzte bekanntlich über ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren, dass u.a. durch Medienberichte ausgelöst wurde, ein Filmemacher habe für Wulff Hotelkosten für ein Wochenende auf Sylt übernommen hatte. Schon eine einmalige Einladung zu einem Spiel der Fußball-Bundesliga übersteigt regelmäßig die übliche Grenze für Aufmerksamkeiten, wie sie im Rahmen „strafloser Klimapflege“ üblich und sozialadäquat sind.[38]

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Die Handlungsempfehlungen der Sponsorenvereinigung S20 empfehlen bei der Einladungspraxis gegenüber Amtsträgern die Verwendung folgenden Disclaimers:

„Wir möchten Sie gerne zu unserer Veranstaltung willkommen heißen. Im Interesse von Fairness und Regelkonformität bitten wir Sie, die nachfolgenden Hinweise vor Ihrer Entscheidung über die Annahme zu beachten:

Sollten Sie Beamter, sonstiger Amtsträger oder für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteter sein, bitten wir Sie, bei der zuständigen Behörde oder Einrichtung eine Genehmigung zur Annahme der Einladung einzuholen. Andernfalls müssen wir Sie um eine Ablehnung der Einladung bitten.“[39]

b) Einladungen an professionelle Kontakte („Landschaftspflege“)

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Aber auch im gewerblichen Verkehr sind die strafrechtlichen Schranken bei den Hospitality-Einladungen zu beachten. Hier können die Grenzen weiter gefasst sein.[40] Denn bei § 299 StGB reicht für die Unrechtsvereinbarung nicht ein allgemeiner Bezug zu einer Diensthandlung, vielmehr muss hier der Vorteil als Gegenleistung für eine künftige unlautere Bevorzugung gefordert, versprochen oder angenommen werden.[41] Nach Peters bedarf es hier einer „erhöhten Vorsicht“ auch für den gewerblichen Bereich.[42] Hiergegen, also auch gegen die in § 299 StGB liegenden Bemühungen Lauterkeit im Geschäftsleben mit Hilfe des Strafrechts herbeizuführen, hat Schröder-Frerkes mit beachtlichen Argumenten Einwendungen vorgebracht.[43] Ob „Einladungen zur Landschaftspflege“ letztlich einer Strafbarkeit nach § 299 StGB bleibt schwierige Rechts- und Tatfrage. Einladende sind gut beraten, Auswahl und Einladung ihrer Gäste transparent[44] zu machen, um jeglichen Anschein einer Unlauterbarkeit von Anfang an zu vermeiden.

 

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Für Einladung an geschäftliche Kontakte empfiehlt die Sponsorenvereinigung S20 z.B. folgenden Einladungsdisclaimer:

„Wir dürfen Sie bitten, die Einhaltung gesetzlicher und unternehmensinterner Regelungen zu prüfen, bevor Sie die Einladung annehmen. (Wir stehen Ihnen bzw. dem Compliance- Beauftragten Ihres Unternehmens gerne für Rückfragen zur Verfügung.)“[45]

c) Einladungen an Dritte

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Völlig risikolos erweisen sich Einladungen an Dritte, Freunde, Familie, private Bekannte usw. allerdings auch nicht. Da zu den Top-Sportevents die Anzahl der Tickets häufig limitiert ist, wird die Teilnahme und ihre Ermöglichung durch Mitarbeiter, Konkurrenten und andere rezipiert, was heutzutage – in den Zeiten von Social Media – auch kaum zu unterdrücken ist. Auch in der Auswahl privater Gäste kann die Ausnutzung der hierzu gegebenen Macht im Amt gesehen werden; hinzukommt, dass der deutschen Gesellschaft der Neidfaktor nicht ganz fremd ist. Insgesamt sollte große Vorsicht walten.[46] Völlig beanstandungsfrei wird nur derjenige sich verhalten können, der die Tickets für Freunde und Familie selbst bezahlt. Und selbst dann bleibt noch der Vorwurf, allein die Möglichkeit zum Ticketkauf nur durch die eigene Stellung erlangt zu haben (s.a. unten „Ticketvergabe“). Das scheint jedoch weniger vorwerfbar als vielmehr amtsimmanent zu sein.

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Schließlich muss berücksichtigt werden, dass mit der Einladung zu einem Sportevent, also dem Ticketgegenwert erhöht um etwaige Hospitality-Leistungen, dem Eingeladenen möglicherweise ein geldwerter Vorteil im einkommensteuerrechtlichen Sinne zufließt. Hier muss Compliance im Hinblick auf die steuerliche Behandlung gewahrt bleiben. Vom (insbesondere privaten) Dritten ist sie regelmäßig nicht zu erwarten. Die großen Verbände sind daher mittlerweile dazu übergegangen, einen pauschalierten Einkommensteuerbetrag für die Eingeladenen an ihr Finanzamt zu entrichten.

II. Wahlen in Gremien und Ämter

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Auf die Bedeutung der Ehrenämter im Sport ist bereits hingewiesen worden. Die Ämter im Sport sind aber nicht nur aus altruistischen Motiven interessant. In der verantwortungsvollen Führung einer Sportorganisation zum Wohle vieler kann man tiefe Befriedigung finden. Nicht zuletzt wird auch durch Titel, Einfluss und Macht ein natürlicher Grundnarzissmus bedient, der in jeder Persönlichkeit steckt. Probleme treten immer dann auf, wenn Wollen und Können eines Amtsanwärters mit seinen Aufgaben nicht recht in Einklang zu bringen sind. Das funktioniert in beide Richtungen: Der Gernegroß, der unbedingt Präsident sein möchte, ist mit den Aufgaben überfordert.[47] Dem potenten Konzerndirektor, der die Geschicke des heimatlichen Großvereins leiten möchte, fehlt in der Regel die notwendige Zeit und möglicherweise auch der richtige Ton für einen basisnahe Führung und Kommunikation.

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Das Ehren- oder Führungsamt kann aber auch aus anderen Gründen sehr attraktiv sein: Es ermöglicht etwa den Kontakt zu prominenten Sportlern, führt möglicherweise zu eigener Prominenz und ermöglicht i.d.R. einen einfacheren Zugriff auf Tickets zu spannenden Veranstaltungen. In den großen Dachverbänden wird aus dem „Ehrenamt“ dann ein Wahlamt, das teilweise gegen nicht unerhebliche Aufwandsentschädigungen ausgeübt wird.[48] In großen Sportarten, wie etwa im Fußball, winken bereits auf Landesverbandsebene Vergünstigungen wie eine pauschalierte Aufwandsentschädigung und ein Dienstwagen. Das eigene Büro in der Verbandsgeschäftsstelle mit Geschäftsführung und/oder Assistenz dürfte häufig als selbstverständlich gelten.

1. Erlangung des Amtes

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Aus welchen Gründen auch immer: Diese – für viele Menschen spannenden – Ämter werden häufig angestrebt und wollen auch behalten werden. Hierzu werden nicht zuletzt häufig Absprachen getroffen, die jedenfalls dann nicht zu beanstanden sind, wenn sie öffentlich und damit transparent erfolgen sowie von den dafür bestimmten Gremien vorgenommen werden. Unter Compliance-Gesichtspunkten werden andere Absprachen oder Einflussnahmen, etwa von übergeordneten Verbänden, um sich im untergeordneten Verband einen amtierenden Präsidenten als Günstling zu erhalten, freilich problematisch. Die Grenzziehung zwischen zulässigen Absprachen und dem – hier nach dem kölnischen Begriff benannten – „Klüngeln“ (wählst Du mich, wähle ich Dich; wählst Du meinen Kandidaten, wähle ich Deinen Kandidaten; wenn diese Satzungsänderung durchkommt, wählen wir Deinen Kandidaten) ist nicht immer einfach. Rechtswidrig werden sie jedenfalls dann, wenn es zu unsachgemäßen Verbindungen kommt (Satzungsänderung/Kandidat für ein Amt) oder Dritte unlauter benachteiligt werden. Dies ist nicht nur ein Compliance-, sondern für Verbände ein Qualitäts- und Zukunftsproblem, weil so eine Bestenauslese für Verbandsämter verhindert wird.

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In eine Strafbarkeit nach den Korruptionsdelikten laufen solche Absprachen, wenn sie mit konkreten materiellen Vorteilen verbunden werden. So wird dem amtierenden FIFA-Präsidenten und seinem Vorgänger zumindest nachgesagt, die Präsidenten der FIFA-Mitgliedsverbände durch das Versprechen von Turnieren oder Zuwendungen als „Stimmvieh“ bei der Stange gehalten zu haben. Hierbei soll es sich häufig um kleinere Nationalverbände handeln, die im internationalen Fußball faktisch keine Rolle spielen, aber bei der FIFA mit ihrer Stimme Erstaunliches ausrichten können:[49] So betreut der Fußballverband von Katar 16 Vereine, während sich der DFB um rund 24 000 Vereine kümmert. Beide Verbände haben in der FIFA-Generalversammlung eine gleichgewichtete Stimme.

2. Interessenkollisionen

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Gestandene Ehrenamtler wissen es: Ehrenämter drohen „auszufransen“. Auch weil es häufig an Alternativen fehlt, werden Personen, die sich in Ehrenämter und Gremienpositionen bewährt haben, verwendet, um weitere Positionen in anderen und übergeordneten Verbänden auszuüben. Dies ist häufig, neben weiteren Aufgaben, mit weiteren Vergünstigungen versehen. Hier ergibt sich Compliance-Problem unter Qualitätsgesichtspunkten: Ein Mehr an Aufgaben verlangt nach einem Mehr an Zeit für eine korrekte Aufgabenerledigung. Naturgemäß sind aber die zeitlichen Ressourcen der handelnden Personen beschränkt, die zudem häufig noch im aktiven Berufsleben stehen. Soweit die weiteren Positionen aktiv angestrebt werden, stellen sich die im vorangegangenen Abschnitt dargestellten Compliance-Probleme.

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Ein weiteres Einfallstor für Konflikte sind Doppelfunktionen und Ämterhäufungen. Solche sollten stets konsequent und transparent auseinandergehalten werden, so dass es immer klar und deutlich ist, in welcher Funktion und mit welchem Mandat ein Funktionär gerade tätig wird.[50] Häufig ist hier noch nicht auf allen Sportebenen das notwendige Problembewusstsein eingekehrt: Dass z.B. der hauptamtliche Sportschulleiter eines Fußballlandesverbandes gleichzeitig Schatzmeister des übergeordneten Regionalverbandes ist und dort unmittelbaren Einfluss auf die Belegung, Bezuschussung und Aufstellung der eigenen Sportschule und der anderen Sportschulen hat, ist unter Compliance-Gesichtspunkten zumindest bemerkenswert.

III. Vergabe von Sportereignissen

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Dass es eigentlich bei der Vergabe von Sportgroßereignissen häufig nicht mehr mit rechten Dingen zugehen kann, ist ein offenes Geheimnis. Als Beispiel braucht bloß die Fußball-WM der FIFA herangezogen werden, die in ihrer Geschichte schon so viele Vergabeskandale heraufbeschworen hat, dass man sich mit abgeklärtem Blick schon wundern muss, warum Verband und Vergabe nicht nachhaltig reformiert worden sind.

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In Deutschland liegt der Fokus natürlich auf dem sog. Sommermärchen, der Fußball-WM 2006 in Deutschland, bei deren Vergabe es um eine nach wie vor jedenfalls im Kern ungeklärte 6,7-Millionenzahlung zwischen dem adidas-Manager Louis-Dreyfus, Franz Beckenbauer und dem DFB kam.[51] Während in Deutschland strafrechtlich deswegen zumindest das Hauptverfahren gegen die damals verantwortlichen Funktionäre des DFB wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung eröffnet wurde[52] (obwohl auch hier recht bald absolute Verjährung droht), steht der entsprechende Prozess in der Schweiz vor dem aus.[53] Dieser scheint sich in der Schweiz mittlerweile sogar zu einem handfesten Justizskandal zu entwickeln.[54] Dabei wäre eine umfassende gerichtliche Aufklärung äußerst wünschenswert, um von dazu berufener Stelle die Klärung zu erhalten, ob es insoweit tatsächlich zu einem korrumptiven Stimmenkauf bei der Vergabeentscheidung gekommen ist. Hierbei ist klar, dass Deutschland – anders als seinerzeit Argentinien und im Jahr 2022 Katar, hierzu sogleich – aus gesellschaftlicher, politischer und sportlicher Sicht ein geeigneter Ausrichter für das Turnier war.

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Aus der Retrospektive skandalös war ebenfalls die Vergabe der Fußball-WM 1978 nach Argentinien, die angesichts der damaligen politischen Lage und Menschenrechtssituation vor Ort niemals hätte erfolgen dürfen bzw. hätte revidiert werden müssen. Die Menschenrechtsverletzungen durch die herrschende Militärjunta gerade auch im Hinblick auf zehntausende sog. „Desaparecidos“ (Verschwundene) waren (zumindest nach zahlreichen Hinweisen) bekannt, wenn auch vor und lange nach dem Turnier noch nicht in vollem Umfang. Die damalige argentinische Militärakademie ESMA etwa diente der Diktatur als Geheimgefängnis, auch während der WM. Dort wurden insgesamt etwa 4 700 Menschen illegal gefangen gehalten, gefoltert und bis auf wenige Überlebende ermordet. Sie liegt in Buenos Aires in der Nähe des „River-Plate-Stadions“, wo unter anderem das WM-Endspiel stattfand.[55] Besucht man, wie Verf., das ESMA-Gebäude, das heute ein Museum und eine Gedenkstätte ist, wird eines schreckliche Gewissheit: Die seinerzeit dort Inhaftierten der argentinischen Militärdiktatur werden das ausgelassene Spektakel um das WM-Finale in ihrer Hilflosigkeit und in Todesangst mitangehört haben.

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Unabhängig davon, welche Umstände zu einer Vergabe des Turniers nach Argentinien oder – trotz einer schon damals geführten Diskussion – zur Teilnahme auch der deutschen Nationalmannschaft geführt haben, scheint es klar, dass unter dem Gesichtspunkt der Compliance im Hinblick auf Menschenrechtsverletzungen eine solche Vergabeentscheidung heute nicht mehr getroffen werden würde bzw. zahlreiche Mannschaften einen Boykott des Turnier erklären würden. Entsprechende Entscheidungen wären den jeweils Verantwortlichen aus Compliancesicht indes dringend zu raten.

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Dass das so klar nicht ist, wird allerdings auch bei der anstehenden Fußballweltmeisterschaft, der Fußball-WM 2022 in Katar, leider allzu schnell deutlich. Berichte über mangelnde Arbeitsbedingungen und Menschenrechtsverletzungen für die unzähligen Gastarbeiter auf den Baustellen für die WM-Stätten reißen nicht ab.[56] Anlässlich der Covid-19-Pandemie gerieten sie kürzlich erneut in den Fokus.[57]

 

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Allein dies würde aus einer Unternehmenssicht für ein komplettes PR- und Compliance-Desaster ausreichen. Aber auch im Hinblick auf die eigentliche Vergabeentscheidung der FIFA gibt es neue Erkenntnisse: Die US-amerikanischen Ermittlungsbehörden geben an, klare Beweise dafür zu haben, dass zur Vergabe der WM 2018 nach Russland und zur WM 2022 nach Katar Schmiergeldzahlungen geflossen sind.[58]

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Dies erklärt zumindest Vergabeentscheidungen, die von jeglichen Sacherwägungen befreit zu sein scheinen. Warum eine Fußball-WM in einer islamisch geprägten Monarchie ohne nennenswerte Fußballtradition – dafür aber damit mit Traditionen, die im menschenrechtszentrierten demokratischen Rechtsstaat europäischen Gepräges höchst problematisch dahergekommen – und selbst im Winter noch unter fußball- und zuschauerfeindlichen Bedingungen durchgeführt werden soll, erschließt sich – auch in Kenntnis einiger dafür vorgebrachter Argumente – letztlich nicht.

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Jedes Compliance-Management-System auf einer solchen Ebene im Sport muss Mechanismen enthalten, die solche – schlechterdings nicht mehr erklärbare – Entscheidungen schon auf der Auswahlebene (und wegen möglicher Bestechung nicht erst auf der Abstimmungsebene) verhindern. Anhaltspunkte für verschiedene (Straf-)Rechtsverletzungen geben solche Vergabeentscheidungen ohnehin.[59]