Handbuch Arzthaftungsrecht

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c) Allgemeine organisatorische Sturzvorkehrungen

156

Vgl. auch 1. Teil, 3. Kap., Rn. 417 ff.

157

Krankenhäuser und weitere Leistungserbringer sind dazu verpflichtet, Patienten während der Behandlung durch geeignete organisatorische Maßnahmen vor Stürzen zu schützen. Die Reichweite dieser organisatorischen Verpflichtung richtet sich immer danach, inwieweit eine Sturztendenz des jeweiligen Patienten überhaupt vorhersehbar ist.

158

Es gilt mithin nicht der Grundsatz, dass ein Sturz immer eine Pflichtverletzung aus dem Behandlungsvertrag bedeute. Kommt es allerdings zu einem vermeidbaren Sturzereignis wird in der Regel die Rechtsfigur des vollbeherrschbaren Risikos einschlägig sein. Denn wenn ein entsprechender Sturz durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicher hätte ausgeschlossen werden können, so ist bereits qua Definition die Rechtsfigur des vollbeherrschbaren Risikos einschlägig.

159

Auch hier gilt, wie bereits oben dargelegt, dass die Verschuldensvermutung des voll beherrschbaren Risikos grundsätzlich nicht zu einer Beweislastumkehr auf Ebene der haftungsbegründenden Kausalität führt. Auch im Fall eines Sturzereignisses muss der Patient die Kausalität zwischen eingetretenem Sturz und behaupteten Gesundheitsschaden beweisen. Nach ständiger Rechtsprechung muss der Patient auch grundsätzlich darlegen und anhand des Beweismaßstabes von § 286 ZPO beweisen, dass es sich bei der Durchführung der Behandlungsmaßnahme, bei der es zum Sturz kam, um einen solchen voll beherrschbaren Risikobereich handelt[175].

160

Der voll beherrschbare Risikobereich ist nicht einschlägig, wenn ein Sturzereignis im Rahmen einer eigenständigen Mobilisation des Patienten stattfindet, die nicht auf eine entsprechende Anweisung von ärztlichem oder pflegerischem Personal zurückgeht[176].

161

Das OLG Sachsen-Anhalt hatte in dem zitierten Fall darauf abgestellt, dass eine Situation im Zusammenhang mit einem Sturz dann nicht voll beherrschbar sei, wenn sich der jeweilige Patient in seinem Zimmer selbst frei bewege und dabei zu Fall komme[177]. In sämtlichen Fällen eines Sturzereignisses durch Eigenmobilisation ist somit ein gesetzliches Haftungsprivileg nach § 2 Nr. 15a SGB VII in Verbindung mit §§ 104 Abs. 1 S. 1, 136 Abs. 3 Nr. 2 SGB VII in Betracht zu ziehen und zu prüfen.

162

Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 15a SGB VII sind: „Personen, die auf Kosten einer Krankenkasse oder eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung (…) stationäre oder teilstationäre Behandlungen (…) zur medizinischen Rehabilitation erhalten, kraft Gesetzes, versichert“. Wenngleich der Wortlaut der Vorschrift missverständlich ist, hat das BSG[178] eine stationäre Krankenhausbehandlung als von dem Haftungsprivileg umfasst angesehen. Bereits 1978[179] erläuterte das BSG, welche Situationen vom gesetzlichen Haftungsausschluss erfasst sind. Als Kriterium wurde (und wird) das sogenannte „Hotelrisiko“ herangezogen. Es wird also darauf abgestellt, ob sich in dem Sturzereignis ein entsprechendes Risiko realisiert hat, dass sich ebenso im häuslichen Bereich hätte realisieren können oder ob sich ein Risiko realisiert hat, das dem Krankenhausaufenthalt typisch anhaftet.

163

Für die Abgrenzung ist ein ursächlicher innerer Zusammenhang zwischen dem Sturzereignis und der jeweiligen Behandlung erforderlich. Die Regelung stellt darauf ab, Versicherte gegen drohende Gesundheitsgefahren aus der Behandlung, an der sie mitzuwirken verpflichtet sind, zu schützen. Die Versicherten sollen vor weitergehende Gefahren geschützt werden, die entstehen, weil sie sich in eine besondere Einrichtung begeben müssen und dort überwiegend anderen Risiken ausgesetzt sind als zu Hause[180].

164

Liegen die Voraussetzungen vor und sind die negativen Voraussetzungen von § 104 Abs. 1 SGB VII, also ein fehlendes vorsätzliches Verhalten, gegeben, so ist der hier zitierte Haftungsausschluss bei Sturzfällen zu diskutieren.

4. Entlassmanagement

a) Historische Entwicklung/Zielsetzung und Vorgaben

165

Die Idee des Entlassmanagement ist nicht neu. Vielmehr war das Entlassmanagement bereits seit jeher ausschließlicher Bestandteil der Krankenhausbehandlung. Bereits vor dem Inkrafttreten des GKV-Versorgungsstrukturgesetzes im Jahre 2012 sowie dem 2015 in Kraft getretenen GKV-Versorgungsstärkungsgesetz[181] hatte jeder Versicherte einen Anspruch auf ein Entlassmanagement welches als integraler Bestandteil des allgemeinen Versorgungsmanagements angesehen worden ist[182].

166

Gemäß § 11 Abs. 4 SGB V hatten (und haben) Versicherten einen Anspruch auf ein Versorgungsmanagement insbesondere zur Lösung von Problemen beim Übergang in die verschiedenen Versorgungsbereiche. Der Anspruch umfasst auch die fachärztliche Anschlussversorgung. Die betroffenen Leistungserbringer müssen für eine sachgerechte Anschlussversorgung des Versicherten sorgen und übermitteln sich diesbezüglich gegenseitig die erforderlichen Informationen. Nach § 39 Abs. 1 S. 3 SGB V umfasst die Krankenhausbehandlung im Rahmen des Versorgungsauftrages des Krankenhauses alle Leistungen, die im Einzelfall nach Art und Schwere der Krankheit für die medizinische Versorgung der Versicherten im Krankenhaus notwendig sind, insbesondere ärztliche Behandlungen (§ 28 Abs. 1 SGB V), Krankenpflege, Versorgung mit Arzneimittel, Heil- und Hilfsmitteln, Unterkunft und Verpflegung; die akut stationäre Behandlung umfasst aber auch die im Einzelfall erforderlichen und zum frühestmöglichen Zeitpunkt einzusetzenden Leistungen zur Frührehabilitation.

167

Der Gesetzgeber sah bei den Vorgaben aus § 11 Abs. 4 SGB V entsprechende Umsetzungsdefizite bei den Krankenhäuser und hat daher § 39 Abs. 1 SGB V etabliert[183]. Auch in der Umsetzung dieser Vorschrift sah der Gesetzgeber Umsetzungsdefizite. Daher wurde mit dem Versorgungsstärkungsgesetz § 39 Abs. 1a SGB V implementiert. Der Gesetzgeber wollte mit der Neuregelung eine eigenständige und umfangreiche Regelung des Entlassmanagements schaffen und dabei insbesondere die Krankenkassen stärker in den Prozess des Entlassmanagements einbinden[184].

168

Entlassmanagement ist ein Prozess zur Unterstützung des Patienten bei der Bewältigung des Übergangs vom Krankenhaus in einen anderen Versorgungsbereich[185]. Das Entlassmanagement zählt in seiner Ausgestaltung zur stationären Krankenhausbehandlung, es ist allerdings auf der Schnittstelle zwischen dem stationären und im ambulanten Leistungssektor angesiedelt[186].

169

Aufgabe des Entlassmanagements ist es nicht, primär eine krankenhausspezifische Leistungserbringung zu gewährleisten. Vielmehr geht es voranging um deren Organisation und Planung im Anschluss an den Krankenhausaufenthalt. Ziel soll es sein, die Kontinuität der Versorgung sicher zu stellen und die Kommunikation zwischen den beteiligten ambulanten und stationären Leistungserbringern zu verbessern. Daneben soll das Entlassmanagement einen prophylaktischen Zweck verfolgen und zukünftige Krankenhausaufenthalte vermeiden[187]. Der Gesetzgeber hat mit dem Entlassmanagement nicht nur weitreichendere organisatorische Verpflichtungen der Krankenhäuser etabliert. Vielmehr hat er einen unmittelbaren Unterstützungsanspruch des Versicherten gegen die Krankenkasse bundesgesetzlich etabliert[188]. Der Gesetzgeber wollte mit diesem unmittelbaren Unterstützungsanspruch gewährleisten, dass die Kostenträger nicht darauf verweisen können, dass alleine das Krankenhaus für die Erbringung des Entlassmanagements zuständig sei.

170

Der Gesetzgeber hat eine Verpflichtung zur Kooperation zwischen Kranken- und Pflegekassen etabliert. In den Fällen, in denen im Rahmen des Versorgungsmanagements Leistungen der Pflegeversicherung als auch der Krankenversicherung in Betracht kommen, sind diese zur Kooperation verpflichtet. Die Verpflichtung zur Kooperation umfasst dabei auch die Einbeziehung von Pflegeeinrichtungen[189]. Können entsprechende Leistungen den Versicherten nicht rechtzeitig zur Verfügung gestellt werden, kommt eine gesamtschuldnerische Haftung in Betracht.

171

§ 39 Abs. 1 S. 3 SGB V ermächtigt die Krankenhäuser, Aufgaben des Entlassmanagements durch Vertrag auf zugelassene Ärzte, zugelassene MVZ, ermächtigte Ärzte und ermächtigte Einrichtungen zu delegieren.

172

Wie dargestellt gehören Gesichtspunkte der ordnungsgemäßen Organisation seit dem Inkrafttreten des Patientenrechtegesetzes zum allgemein anerkannten fachlichen Standard. Fehler im Entlassmanagement stellen daher also einen Verstoß gegen § 630a Abs. 2 BGB dar. Da es bei dem Entlassmanagement um Gesichtspunkte handelt, deren Fehlerquellen nicht den menschlichen Organismus und einem etwaigen Krankheitsbild als solchem geschuldet sind und durch organisatorische Vorgaben sicher ausgeschlossen werden können, stellen Organisationsfehler in diesem Bereich Fehler in Form des vollbeherrschbaren Risikos dar.

b) Rahmenvertrag zum Entlassmanagement

173

Am 17.10.2016 ist durch das erweiterte Bundesschiedsamt für die vertragsärztliche Versorgung ein Rahmenvertrag über ein Entlassmanagement beim Übergang in die Versorgung nach Krankenhausbehandlung zwischen dem GKV Spitzenverband, Spitzenverband Bund der Krankenkassen und dem Spitzenverband Bund der Pflegekassen, der Kassenärztlichen Vereinigung sowie der Deutschen Krankenhausgesellschaft e.V. vereinbart bzw. festgelegt worden[190]. Der Rahmenvertrag tritt zum 1.10.2017 verbindlich in Kraft, er kann mit einer Frist von einem Jahr ganz oder teilweise gekündigt werden.

 

174

Der festgelegte Rahmenvertrag gilt für Entlassungen von Patienten aus voll- und teilstationären Behandlungen durch ein Krankenhaus. Ziel des Vertrages ist es, die bedarfsgerechte, kontinuierliche Versorgung der Patienten im Anschluss an die Krankenhausbehandlung zu gewährleisten. Dazu soll eine strukturierte und sichere Weitergabe versorgungsrelevanter Informationen zählen (so § 2 Abs. 1). Bei der Ausgestaltung des Entlassmanagements sollen der Patient und seine Bedürfnisse im Zentrum der Bemühungen alle an der Versorgung beteiligten Personen stehen. Das Entlassmanagement soll Patienten individuell, ressourcen- und teilhabeorientiert ausgestaltet sein.

175

Der Anspruch des Patienten auf ein Entlassmanagement besteht gegenüber dem Krankenhaus. Gegenüber der Krankenkasse bzw. Pflegekasse besteht ein Anspruch auf Unterstützung des Entlassmanagements. Für das gesamte Entlassmanagement gilt der Grundsatz „ambulant vor stationär“.

c) Organisatorische Vorgaben

aa) Entlassplan und SOP

176

Gemäß § 3 Abs. 1 des Rahmenvertrages stellt das Krankenhaus ein standardisiertes Entlassmanagement in multidisziplinärer Zusammenarbeit sicher und etabliert schriftliche, für alle Beteiligten transparente Standards. Die multidisziplinäre Zusammenarbeit beinhaltet für die Belange des Vertrages die Zusammenarbeit von Ärzten/psychologischen Psychotherapeuten, Pflegepersonal, dem Sozialdienst, Krankenhausapotheken und weiteren am Entlassmanagement beteiligten Berufsgruppen. Die Verantwortlichkeiten im multidisziplinären Team müssen verbindlich geregelt werden. Die Krankenhäuser informieren über ihr Entlassmanagement in ihrem Internetauftritt.

177

§ 3 Abs. 1 des Rahmenvertrages verpflichtet ausdrücklich „das Krankenhaus“ zur Gewährleistung von organisatorischen Standards. Da das Entlassmanagement als Teil der Krankenhausbehandlung angesehen wird, ist „das Krankenhaus“ richtigerweise der Krankenhausträger. Ungeachtet dessen verbleibt für die Haftung im Rahmen des Entlassmanagements die deliktische Einzelverantwortlichkeit innerhalb des multidisziplinären Teams. Darüber hinaus kommt eine gesamtschuldnerische Haftung der am Entlassmanagement Beteiligten in Betracht. Fehler bei der Etablierung von schriftlichen Standards nach § 3 Abs. 1 führen ebenfalls wieder zur Anwendbarkeit der Rechtsfigur des voll beherrschbaren Risikos. Denn Fehler bei der Planung und Umsetzung des Entlassmanagements sind im Regelfall nicht den Besonderheiten des menschlichen Organismus und der Krankheit geschuldet, sondern vielmehr dem Bereich zuzuordnen, der durch gezielte Planung sicher beherrscht und Fehler in diesem Bereich daher ausgeschlossen werden können.

178

Nach § 3 Abs. 3 des Rahmenvertrages soll der Entlassplan den voraussichtlichen Versorgungsbedarf im Anschluss an die Krankenhausbehandlung umfassen. Das Krankenhaus wird verpflichtet, die aufgrund des Versorgungsbedarfs im Entlassplan festgelegten, voraussichtlich erforderlichen Maßnahmen frühestmöglich einzuleiten. Der Entlassplan muss für alle Mitarbeiter des Krankenhauses, die am Entlassmanagement des jeweiligen Patienten beteiligt sind, in der Patientenakte verfügbar sein.

179

Der obige Rahmenvertrag verpflichtet das Krankenhaus, eine Rufnummer eines zuständigen Ansprechpartners für Rückfragen der weiterbehandelnden Leistungserbringer im Entlassplan, der Teil des Entlassbriefs ist, anzugeben. Unter dieser Rufnummer muss zumindest montags bis freitags in der Zeit von 09:00 bis 19:00 Uhr, samstags von 10:00 bis 14:00 Uhr und sonntags von 10:00 bis 14:00 Uhr ein für das Entlassmanagement des Krankenhauses zuständiger Ansprechpartner für Rückfragen zur Verfügung stehen.

180

Der Rahmenvertrag sieht weiter vor, dass der nahtlose Übergang des Patienten in die nachfolgenden Versorgungsbereiche poststationär unter Verantwortung eines Krankenhausarztes organisiert wird. Eine Definition des „Krankenhausarztes“ enthält der Rahmenvertrag nicht. Auch die Gesetzesbegründung zu § 39 Abs. 1a SGB V sieht hierzu keine besonderen Voraussetzungen vor. Entscheidend ist, dass das Entlassmanagement eines jeden Patienten einem individuellen Krankenhausarzt zugeordnet ist, der dann auch späterer Ansprechpartner für Rückfragen sein muss. Der verantwortliche Krankenhausarzt nimmt dabei eine Lotsenfunktion ein.

bb) Spezielle Einwilligung des Patienten

181

Die Datenverarbeitung des Entlassmanagements, also die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung von personenbezogenen Daten, bedarf der vorherigen Einwilligung des Patienten. Diese Einwilligung hat in Schriftform zu erfolgen. Gleiches gilt für die Information des Patienten über das Entlassmanagement als auch ein etwaiger Widerruf des Patienten in seine Einwilligung.

182

Nach § 7 Abs. 1 des Rahmenvertrages informiert das Krankenhaus den Patienten vor dem Assessment schriftlich über Inhalt und Ziele des Entlassmanagements und holt die schriftliche Einwilligung des Patienten für die Durchführung des Entlassmanagements ein. Für die Information und Einwilligung des Patienten in das Entlassmanagement werden bundeseinheitliche Formulare bereitgehalten. Diese sind zu verwenden. Die entsprechenden Formulare sind als Anlage 1a und 1b zum Rahmenvertrag aufgeführt. Die Anlagen enthalten Regelungen für die Einwilligung in die Datenübermittlung von Krankenhaus an die Krankenkasse sowie Widerrufsregelungen.

183

Für die Einwilligung des Patienten gelten die allgemeinen Regelungen über die Wirksamkeit von Willenserklärungen.

184

Nicht geregelt und dogmatisch diskutabel ist die Frage, welche Konsequenzen die Formunwirksamkeit einer Einwilligung hat. Da das Entlassmanagement einen Übergang in die ambulante Weiterbehandlung ebenso wie eine kontinuierliche Weiterversorgung gewährleisten soll, kann davon ausgegangen werden, dass das Schriftformerfordernis Klarstellungs- und Dokumentationsfunktion hat. Für solche Leistungen, die genehmigungspflichtig sind, tritt neben dieser Klarstellungsfunktion wohl eine Warnfunktion hinzu, um dem Patienten zu verdeutlichen, dass die Leistungen durch die Gesetzliche Krankenversicherung oder Pflegeversicherung nur dann erstattet werden, wenn sie von dieser auch genehmigt werden. Ausgehend von diesen Funktionen kann eine fehlende Schriftform nicht unmittelbar zur Unwirksamkeit des gesamten Entlassmanagements führen mit der Konsequenz einer Haftung aus Organisationspflichtverletzungen.

185

Das Entlassmanagement soll durch transparente Informationsvermittlung gegenüber dem Patienten gewährleisten, dass dieser nahtlos nach dem Krankenhausaufenthalt weiterversorgt wird. Diese rein medizinische Intention des Entlassmanagements wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass diese Informationen nicht in Schriftform vorliegen, wenn sichergestellt ist, dass dem Patienten die erforderlichen Informationen für die weitere Behandlung nach dem Krankenhausaufenthalt zu Teil geworden sind. Dies kann grundsätzlich auch in rein mündlicher Form geschehen.

186

Findet also ungeachtet einer Schriftform ein nahtloser Übergang in die poststationäre Behandlung statt und werden die medizinischen Gesichtspunkte des Entlassmanagements umgesetzt, so kann alleine aus dem Gesichtspunkt einer nicht eingehaltenen Schriftform nicht von einer Organisationspflichtverletzung i.S. eines unwirksamen Entlassmanagements ausgegangen werden.

187

Gleiches gilt nach der hier vertretenen Rechtsauffassung auch für die fehlende schriftliche Einwilligung des Patienten in die Datenverarbeitung. Die schriftliche Einwilligung im datenschutzrechtlichen Sinne hat die Aufgabe, ebenfalls klarstellend und warnend vor Augen zu führen, an welche weiteren Adressatenkreise persönliche Daten weitergeleitet werden. Da die entsprechende Datenweiterleitung zu Gewährleistung eines nahtlosen Übergangs in die ambulante oder stationäre Weiterbehandlung aber dem ureigenen medizinischen Interesse eines Patienten entspricht, kann auch in diesen Fällen und bei Fehlen einer schriftlichen Einwilligung in die Datenweitergabe nicht per se von einer unwirksamen und damit rechtswidrigen Datenweitergabe ausgegangen werden. Vielmehr ist auch hier (wenngleich restriktiv) auf die Gesichtspunkte der mutmaßlichen Einwilligung abzustellen. Denn nur so ist gewährleistet, dass dem Patienten die medizinischen Leistungen des Entlassmanagements nach der Krankenhausbehandlung auch tatsächlich zu Teil werden.

cc) Entlassbrief

188

Der Entlassbrief ist zwingender Bestandteil des Entlassmanagements. Er ist dem Patienten zum Zeitpunkt der Entlassung auszuhändigen. Bei stationärer Anschlussheilbehandlung oder stationärer Pflege ist der Entlassbrief mit Einwilligung des Patienten sowohl der stationären Einrichtung als auch dem Hausarzt bzw. dem einweisenden/weiterbehandelnden Vertragsarzt zu übermitteln.

189

Ist zum Zeitpunkt der Entlassung die Mitgabe eines endgültigen Entlassbriefs nicht möglich, muss mindestens ein vorläufiger Entlassbrief ausgestellt werden, in dem alle getroffenen Maßnahmen und Verordnungen nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 SGB V sowie Beurteilungen nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 7 SGB V erfasst sind. Zusätzlich ist das Krankenhaus verpflichtet, eine Rufnummer eines zuständigen Ansprechpartners für Rückfragen der weiterbehandelnden Leistungserbringer anzugeben.

190

Der Entlassbrief muss alle für die Weiterbehandlung und Anschlussversorgung des Patienten erforderlichen Informationen enthalten. § 9 Abs. 3 des Rahmenvertrages sieht einen Mindestinhalt des Entlassbriefs vor.

191

Mindestinhalt des Entlassbriefs nach § 9 Abs. 3 des Rahmenvertrages


Patientenstammdaten, Aufnahme- und Entlassdatum
Name des behandelnden Krankenhausarztes und Telefonnummer für Rückfragen
Kennzeichnung „vorläufiger“ oder „endgültiger“ Entlassbrief
Grund der Einweisung
Diagnose (Haupt- und Nebendiagnosen) einschließlich Infektionen oder Besiedelungen durch multiresistente Erreger
Entlassungsbefund
Epikrise (Anamnese, Diagnostik, Therapien inkl. Prozeduren
Weiteres Procedere/Empfehlungen
Arzneimittel: Unter ihrer Bezeichnung/Stärke und Beachtung von § 115c SGB V; Darreichungsform inkl. Erläuterung bei besondere Darreichungsformen; Dosierung bei Aufnahme/Entlassung mit Therapiedauer, Erläuterung bei Veränderungen, bekannte Arzneimittelunverträglichkeiten und der Medikationsplan
Alle veranlassten Verordnungen und Informationen über Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit
Nachfolgende Versorgungseinrichtung
Mitgegebene Befunde

192

 

Der Entlassbrief hat erhebliche haftungsrechtliche Relevanz.

193

Er muss nach dem Willen des Gesetzgebers als auch nach der Vorstellung des Rahmenvertrages sämtliche medizinische Informationen gewährleisten, um einen nahtlosen Übergang in die weitere Behandlung zu gewährleisten. Er soll damit sicherstellen, dass die therapeutische Sicherheit und die therapeutischen Interessen des Patienten nach der Krankenhausbehandlung gewährleistet sind.

194

Damit unterfällt der Entlassbrief mit seinem Mindestinhalt einem zwingenden Dokumentationserfordernis. Generell gilt im Bereich der Arzt- und Krankenhaushaftung der Grundsatz, dass rechtlich nur das zu dokumentieren ist, was medizinisch erforderlich ist[191]. Die Bezeichnung als „Mindestinhalt“ im Rahmenvertrag sowie die Intention des Gesetzgebers mit § 39 Abs. 1a SGB V verdeutlichen, dass der Mindestinhalt des Entlassbriefs als medizinisch notwendige Dokumentation anzusehen ist. Ein unvollständiger oder nicht am Mindestinhalt orientierter Entlassbrief führ damit haftungsrechtlich zu der Konsequenz, dass dort nicht dokumentierte Maßnahmen als im Rahmen des Assessments und der Beurteilung nicht durchgeführt worden gelten. Die Konsequenzen können gravierend sein. Generell ist anerkannt, dass eine lückenhafte, unvollständige oder fehlerhafte Dokumentation keine eigenständige Anspruchsgrundlage zur Begründung eines haftungsrelevanten Anspruchs darstellt[192].

195

Wird allerdings entsprechend der Rechtsprechung bei den im Rahmen des Entlassbriefs nicht dokumentierten Maßnahmen deren tatsächliche Nichtdurchführung unterstellt, und wäre eine tatsächliche Nichtdurchführung als Verstoß gegen den anerkannten fachlichen Standard zu werten, führt die Dokumentationslücke im Entlassbrief faktisch zu der Annahme eines (einfachen bzw. groben) Behandlungsfehlers mit der daraus resultierenden haftungsrechtlichen Konsequenz[193].