Die erste Umsegelung Asiens und Europas

Text
Aus der Reihe: Edition Erdmann
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

BEI DEN LAPPEN VON CHABAROWA

Die Vega wurde durch anhaltenden Gegenwind, Regen, Nebel und außerdem durch schweren Seegang bis zum 25. Juli abends bei Masö aufgehalten. Trotz des fortdauernd sehr ungünstigen Wetters lichteten wir dann, ungeduldig weiterzukommen, die Anker und dampften durch den Magerö-Sund in die See hinaus. Gleichzeitig lichtete auch die Lena ihre Anker, da sie Befehl erhalten hatte, der Vega, soweit möglich, zu folgen und für den Fall, dass eine Trennung von uns unvermeidlich werden sollte, ihren Kurs nach Chabarowa in Jugor-Schar, d. h. nach der Stelle zu nehmen, welche ich als Sammelplatz für die vier Fahrzeuge der Expedition bestimmt hatte. Schon in der ersten Nacht verloren wir bei dem schweren Nebel die Lena aus den Augen und sahen sie erst am Sammelplatz wieder.

Der Kurs der Vega wurde nach dem südlichen Gänsekap abgesetzt. Obgleich ich mich schon in Tromsö dafür bestimmt hatte, in das Karische Meer durch die südlichste der dahin führenden Straßen, Jugor-Schar, einzulaufen, so wurde doch der Kurs so nördlich gelegt, weil die Erfahrung gezeigt hatte, dass zu Anfang des Sommers soviel Eis in der Bucht zwischen der Westküste, der Waigatsch-Insel und dem Festland hin- und hertreibt, dass das Segeln in diesen Fahrwassern bedeutend erschwert ist. Diese Schwierigkeiten aber vermeidet man, wenn man ungefähr bei Gänseland Nowaja Semlja anläuft und dort dem westlichen Ufer dieser Insel und der Waigatsch-Insel nach Jugor-Schar folgt. Diesmal war indessen diese Vorsicht nicht erforderlich. Die Eisverhältnisse zeigten sich nämlich besonders günstig, und wir erreichten Jugor-Schar oder die Jugorische Straße, ohne eine Spur von Eis zu sehen.

Die Überfahrt von Norwegen nach Gänseland wurde anfangs von gutem Wind begünstigt, welcher jedoch, als wir uns Nowaja Semlja näherten, schwächer und spärlicher wurde. Dessen ungeachtet ging die Fahrt mithilfe des Dampfes schnell und ohne andere Abenteuer vonstatten, als dass das starke Rollen des Schiffs ein Durcheinanderschütteln verschiedener Instrumente und Bücherkisten zur Folge hatte, glücklicherweise ohne irgendwelchen erheblichen Schaden.

Am 28. Juli, um 10 Uhr 30 Min. nachmittags, bekamen wir Land in Sicht. Dies war die Landspitze, welche sich im Süden von Gänseland unter 70° 33' nördl. Br. und 51° 54' östl. L. von Greenwich in die See hinausschiebt. Das Gänseland ist eine niedrige, von Grasflächen und unzähligen kleinen Seen bedeckte Küstenstrecke, welche von dem Hauptland Nowaja Semljas hervorspringt. Der Name ist eine Übersetzung der russischen Benennung Gusinnaja Semlja und ist entsprungen aus der Menge von Gänsen und Schwänen, welche in dieser Gegend nisten.

Obgleich das Gänseland, von fern gesehen, ganz eben und niedrig zu sein scheint, hebt es sich doch von der Küste in das Land hinein langsam und wellenförmig zu einer mit unzähligen, seichten Seen überstreuten Grasebene von etwa sechzig Metern Höhe. Diese Ebene fällt beinahe überall nach dem Meer hin mit einem steilen, drei bis fünfzehn Meter hohen Absatz ab, unterhalb dessen sich im Laufe des Winters eine gewaltige Schneewehe oder ein sogenannter Schneefuß bildet, welcher erst sehr spät wieder wegschmilzt. Wirkliche Gletscher gibt es hier nicht. Auch sind keine schneebedeckten Bergspitzen vom Meer aus sichtbar, und man kann deshalb zu gewissen Zeiten des Jahres (während des ganzen Augustmonats) von Norwegen nach Nowaja Semlja segeln, dort Jagdausflüge machen und zurückkehren, ohne auch nur eine Spur von Eis oder Schnee gesehen zu haben. Dies gilt zwar nur für den niedrig gelegenen Teil der südlichen Insel, zeigt aber auf alle Fälle, wie unrichtig die allgemein geltende Vorstellung über die Naturverhältnisse Nowaja Semljas ist. Schon Ende Juni oder Anfang Juli wird der größte Teil des Gänselandes schneefrei, und kurz darauf entwickelt sich in wenigen Wochen die nordische Blumenwelt in all ihrer Farbenpracht. Trockene, günstig gelegene Stellen bedecken sich jetzt mit einem niedrigen, aber reichen, von keinem hohen Gras oder durch Gebüsche verdeckten Blumenbett. An feuchteren Stellen trifft man sogar wirkliche Grasmatten, welche, wenigstens von fern gesehen, lachenden grünen Wiesen gleichen.

Infolge des Zeitverlustes, welcher durch die Verzögerung beim Segeln längs der norwegischen Küste und durch den Aufenthalt in Masö verursacht worden war, hatten wir keine Zeit, hier zu landen, sondern setzten unsere Fahrt längs der Westküste Nowaja Semljas nach Jugor-Schar bei einem meist herrlichen, stillen Wetter fort. Das Meer war völlig eisfrei, und das Land, außer einigen in den Talsenkungen noch liegen gebliebenen Schneefeldern, war ebenfalls frei von Schnee. Hier und da sah man auch noch an den steilen Strandabsätzen einige Überreste der winterlichen Schneewehen, welche oft, da die niedrigen Luftlagen von der Sonne stärker erwärmt waren, starke Luftspiegelungen zeigten, sodass sie in der Entfernung wie gewaltige, gegen das Meer steil abfallende Gletscher aussahen. Als wir weiter nach Süden kamen, hatten wir bei klarem Wetter eine gute Aussicht über die Waigatsch-Insel. Dieselbe schien, vom Meer aus an der Westküste gesehen, eine ebene Grasfläche zu bilden, als wir uns aber Jugor-Schar näherten, sahen wir, dass sich niedrige Höhenstrecken längs der östlichen Seite der Insel hinzogen, welche wahrscheinlich die letzten Auszweigungen des nördlichen Vorsprungs vom Ural bilden.

Als wir außerhalb des Einlaufens zum Jugor-Schar waren, wurde ein Dampfboot gemeldet. Nach vielem Hin- und Herraten erkannten wir die Fraser. Ich war anfangs unruhig und fürchtete, dass ein Unglück eingetreten wäre, da sie einen Kurs dampfte, welcher ihrer Bestimmung direkt entgegen war; als aber Kapitän Nilson bald darauf an Bord kam, hörte ich, dass er nur ausgefahren war, uns zu suchen. Express und Fraser hatten seit dem 20. an dem bestimmten Sammelplatz auf uns gewartet. Sie hatten am 13. Juli Wardö verlassen und ebenso wenig wie wir irgendwelches Eis während der Überfahrt angetroffen. Die Vega und die Fraser fuhren nun gemeinsam nach dem Hafen bei Chabarowa, wo am 30. Juli abends in einer Tiefe von vierzehn Metern Anker geworfen wurde. Die Lena fehlte noch. Wir fürchteten, dass dieses kleine Dampfboot Schwierigkeiten gehabt hätte, sich in der schweren See zu halten, welche wir jenseits des Nordkaps angetroffen hatten, da selbst bei der größeren Vega eine Sturzwelle über Deck geschlagen war und eine der daselbst festgeschnürten Kisten zerbrochen hatte. Unsere Besorgnis war jedoch unbegründet; die Lena hatte ihren Konstrukteuren Ehre gemacht und sich in dem Seegang gut gehalten. Die Ursache der Verzögerung war eine Kompassabweichung, welche in diesen nördlichen Breitengraden größer gewesen war als die, welche aus den Untersuchungen gewonnen war, die man vor der Abreise zu diesem Zweck angestellt hatte. Am 31. Juli warf die Lena neben den anderen Fahrzeugen Anker, und so war denn unsere ganze kleine Eismeerflotte an dem bestimmten Sammelplatz vereinigt.


Die Kirche in Chabarowa

Chabarowa ist ein kleines Dorf, welches auf dem Festland südlich von Jugor-Schar und westlich von der Mündung eines kleineren, zu gewissen Zeiten sehr fischreichen Flusses gelegen ist. Im Sommer wird der Ort von einer Menge Samojeden [Lappen], welche ihre Rentierherden auf der Waigatsch-Insel und auf den umliegenden Tundren weiden lassen, sowie von einigen Russen oder russifizierten Finnen bewohnt, welche von Pustosersk hierher kommen, um Tauschhandel mit den Samojeden zu treiben und mithilfe derselben zu jagen und in dem umliegenden Meer zu fischen. Im Winter treiben die Samojeden ihre Herden nach südlichen Gegenden, und die Handelsleute führen ihre Waren nach Pustosersk, Mesen, Archangelsk und anderen Orten. So ist es wahrscheinlich seit Jahrhunderten zugegangen, doch sind die festen Wohnstätten erst in neuerer Zeit aufgeführt worden. Dieselben werden nämlich in der Beschreibung über die Reisen der Holländer in diesen Gegenden nicht erwähnt.

Jetzt besteht das Dorf, oder die »Samojedenstadt«, wie es die Fangmänner stattlich benennen, gleich anderen großen Städten aus zwei Stadtteilen, dem Stadtteil der Vornehmen – einigen aus Holz erbauten und mit flachem Torfdach versehenen Hütten – und dem Volksquartier, einem Haufen schmutziger Samojedenzelte. Außerdem gibt es auch noch eine kleine Kirche im Ort, bei welcher, gleich wie an mehreren Stellen des Strands, Votivkreuze aufgestellt sind. Die Kirche ist ein Holzhaus, welches durch eine Zwischenwand in zwei Abteilungen geteilt ist, von denen die innere, die eigentliche Kirche, nur wenig über zweieinhalb Meter hoch und ungefähr fünf Meter im Quadrat ist. An der östlichen Wand befinden sich während der Zeit, wo die Gegend bewohnt ist, eine Menge von Heiligenbildern, die von den Fangmännern bei Gelegenheit aufgestellt werden. Vor den Bildern hingen große verbogene alte Kupferlampen oder vielmehr Lichthalter, welche umgewendeten, an drei Ketten aufgehängten byzantinischen Kuppeln glichen. Dieselben waren mit vielen dünnen und auch einigen dicken Talglichten vollgesteckt, welche bei unserem Besuch angezündet wurden. Gleich oberhalb der Stelle, wo wir landeten, standen zahlreiche Schlitten, mit Waren beladen, welche die russischen Handelsleute hier eingetauscht hatten und die im nächsten Herbst nach Pustosersk abgehen sollten. Die Waren bestanden hauptsächlich aus Tran sowie aus Fellen von Eisfüchsen, gewöhnlichen Füchsen, weißen Bären, Wölfen, Vielfraßen, Rentieren und Seehunden. Die Bärenfelle hatten oft einen sehr dichten, weißen Winterpelz, waren aber dadurch verdorben, dass der Kopf und die Tatzen abgeschnitten worden waren. Außerdem sah ich unter ihren Vorräten Walrosszähne und Stricke aus Walrosshäuten. Bemerkenswert ist, dass die gleichen Waren schon in Otheres Bericht erwähnt werden.

 

Ich besuchte den Ort zum ersten Mal Anfang August 1875. Man feierte eben einen russischen Feiertag, und wir konnten schon von fern zahlreiche Gruppen von Russen und Samojeden am Strand stehen sehen. Als wir näher kamen, fanden wir sie mit verschiedenen Arten von Spielen beschäftigt, und obgleich es für sie wohl seit Menschengedenken das erste Mal war, dass europäische Herren ihre Stadt besuchten, ließen sie sich kaum mehr in ihrem Vorhaben stören, als wenn einige fremde Samojeden sich plötzlich in ihre Reihen gemischt hätten. Einige standen in einem Kreis und warfen abwechselnd ein Stück Eisen auf die Erde, das ungefähr wie eine kurze Rahe geformt war, wobei die Kunst darin bestand, dass das scharfe Ende so in einen auf den Boden gelegten Ring fiel, dass es in der Erde stecken blieb. Andere waren mit einem unserem Kegelspiel ähnlichen Spiel beschäftigt, und wieder andere mit Ringen und anderem. Russen und Samojeden spielten ohne Unterschied miteinander: die Samojeden, klein, hässlich, mit verwirrtem, ungeordnetem Haar, in schmutzige Sommertrachten aus Fellen gekleidet, die bei manchen mit einem grell gefärbten Baumwollzeug überzogen waren; die Russen, groß, wohlgewachsen, mit langem, von Öl glänzendem Haar, zierlich gescheitelt, gekämmt und gekräuselt sowie durch ein Stirnband oder eine Kopfbedeckung zusammengehalten, und in lange, mit einem Gürtel um den Leib befestigte, bunte Blusen gekleidet. Ungeachtet der anfangs gezeigten gekünstelten Gleichgültigkeit, welche ersichtlich zum guten Ton zu gehören schien, wurden wir freundlich empfangen. Zunächst wurden wir eingeladen, in Gesellschaft mit den anderen unser Glück und unsere Geschicklichkeit im Spiel zu versuchen, wobei es sich bald zur nicht geringen Freude unserer Wirte zeigte, dass wir uns auf diesem Feld durchaus in keinen Wettstreit, weder mit den Russen noch mit den Samojeden, einlassen konnten. Hierauf lud uns einer der Russen in seine Behausung ein, wo wir mit Tee, russischen Weizenbrezeln von ungesäuertem Teig und Branntwein bewirtet wurden. Einige kleine Präsente wurden uns überreicht, mit einer artigen Andeutung der Sachen, welche anstelle derselben willkommen sein würden, eine Andeutung, welcher ich, soweit meine Mittel es gestatteten, mit Vergnügen nachkam.

Anfangs herrschte vollständige Eintracht zwischen unseren russischen und samojedischen Wirten; am nächsten Tag aber war ein ernster Streit im Anzug, weil die Ersteren einen von uns einluden, mit einem in der Nähe einer russischen Hütte stehenden Rentiergespann zu fahren. Die Samojeden wurden hierdurch sehr beleidigt, gaben aber, soweit sich dies mit Zeichen tun ließ, zu erkennen, dass sie selbst auch gern fahren würden, wenn wir es wünschten; und dass es ihnen mit ihrer Erklärung ernst war, zeigten sie dadurch, dass sie dann und wann den Streit abbrachen und mit ihren Rentiergespannen eine sausende Fahrt zwischen den Zelten unternahmen. Die Schlitten der Samojeden sind sowohl für die Winterfahrt auf dem Schnee wie für die Sommerfahrt auf dem Moosbett der Tundra und den wassergetränkten Mooren berechnet.

Bei den Zelten wimmelte es von kleinen schwarzen und weißen langhaarigen Hunden mit spitzer Schnauze und spitzen Ohren. Sie werden ausschließlich zum Hüten der Rentierherden gebraucht. An einigen Stellen der Küste benutzt man sie auch als Zugtiere.

Da ich wusste, dass die Samojeden auf ihren Wanderungen immer Götzenbilder mit sich schleppen, so fragte ich, ob sie mir nicht einige derselben verkaufen könnten. Anfangs antworteten sie ausweichend. Es lag zutage, dass teils ihr Aberglaube sie abhielt, auf mein Verlangen einzugehen, und teils auch, dass sie sich vor den Westeuropäern der Beschaffenheit ihrer Götzenbilder ein wenig schämten. Der Metallglanz einiger Rubelstücke, welche ich mir in Stockholm eingewechselt hatte, veranlasste jedoch schließlich eine alte Frau, alle Bedenklichkeit beiseitezusetzen. Sie ging nach einem der beladenen Schlitten hin, welche sie als Magazine zu benutzen scheinen, und suchte lange, bis sie endlich einen alten, unbrauchbaren Lederstiefel in die Hände bekam; aus diesem zog sie einen hübschen Lederstrumpf hervor, aus welchem schließlich vier Götzenbilder zum Vorschein kamen. Nach weiteren Unterhandlungen erstand ich dieselben für einen ganz ansehnlichen Preis. In dem hier vorliegenden Fall wurde der Handel durch den Umstand erleichtert, dass die alte Hexe Anna Petrowna, welche ihre Götzen verkaufte, als Christin getauft war, welcher Umstand natürlich von mir genutzt wurde, die Eigentümerin an das Unrecht zu erinnern, das sie begehe, wenn sie als Christin noch fortfahre, solche Teufeleien wie ihre »Bolvane« (Götzenbilder) zu verehren, und indem ich ihr die Notwendigkeit vorstellte, dieselben schleunigst loszuwerden. Aber meine zu gleicher Zeit sophistischen und egoistischen Behauptungen wurden von den Umstehenden, sowohl Russen wie Samojeden, missbilligt, indem sie erklärten, dass im Ganzen genommen kein besonderer Unterschied zwischen den Bolvanen der Samojeden und den Heiligenbildern der Christen existiere. Es wollte sogar scheinen, dass die Russen selbst diese Bolvane als Repräsentanten einer Art Heiliger der Samojeden in der anderen Welt ansähen.

Nachdem indessen der Götzenhandel, obwohl nicht zu meiner Zufriedenheit, weil ich für mein Geld zu wenig erhalten zu haben glaubte, zum Abschluss gebracht worden war, wurden wir ebenso wie im Jahr 1875 von einem der Russen eingeladen, in seiner Hütte Tee zu trinken. Diese bestand aus einem Hausflur und einem ungefähr vier Meter im Quadrat messenden, kaum zweieinhalb Meter hohen Zimmer. Die eine Ecke nahm ein großer Feuerherd ein; zur Seite desselben befand sich die sehr niedrige Tür und dieser gegenüber eine Fensterluke, unter welcher einige Kisten aufgestellt waren, die bei dieser Gelegenheit als Teetisch benutzt wurden. Längs der beiden übrigen Seiten des Zimmers waren an der Wand befestigte Bettstellen aus Brettern, mit Rentierfellen bedeckt. Die Fensterluke schien früher mit Glasscheiben versehen gewesen zu sein, von diesen waren aber jetzt die meisten zerschlagen und durch Bretter ersetzt worden, und man kann sich wohl kaum wundern, wenn Glas hier ein selten gesehener Luxusartikel ist.

Sobald wir in die Hütte eingetreten waren, nahmen die Vorbereitungen zu der Teegesellschaft ihren Anfang. Zucker, Brezeln, Teetassen mit Untertassen und eine Branntweinflasche wurden aus einem gewöhnlichen russischen Reisekoffer hervorgenommen. Feuer wurde gemacht, Wasser gekocht und Tee in der gewöhnlichen Weise bereitet, wobei sich eine dicke schwarze Rauchwolke in dem oberen Teil des niedrigen Zimmers ausbreitete, welches während dieser Zeit sich dicht mit einer Menge Neugieriger gefüllt hatte. Bis auf diese kleineren Unannehmlichkeiten verlief das Fest sehr angenehm unter fortwährendem Gespräch, das mit großer Lebhaftigkeit geführt wurde, obgleich der Wirt und die meisten seiner Gäste sich nur mit Schwierigkeit einander verständlich machen konnten.

Von hier begaben wir uns nach den Lederzelten der Samojeden, welche abseits der von den Russen bewohnten Holzhütten lagen. Auch hier wurden wir freundlich empfangen. Verschiedene der Zeltbewohner waren jetzt mit etwas größerer Sorgfalt in eine Tracht aus Rentierfellen gekleidet, etwa wie die Lappländer. Die Feiertagstracht der Frauen war besonders kleidsam. Dieselbe besteht aus einem ziemlich langen, am Leib eng anschließenden Kleid aus Rentierhaut, welche so dünn ist, dass sie von der Mitte an in hübschen, regelmäßigen Falten herabfällt. Der Rock ist mit zwei oder drei ungleichfarbigen Volants oder Fransen von Hundefell versehen, zwischen welchen Borten von grellfarbigen Zeugstücken aufgenäht sind. Die Fußbekleidung besteht aus hohen, hübsch und geschmackvoll eingefassten Rentierfellstiefeln. Im Sommer geht man mit bloßem Kopf. Die Frauen haben dann das schwarze struppige Haar nach hinten in zwei mit Riemen, bunten Bändern und Perlen zusammengeflochtene Haarbüschel geteilt, welche auch noch da, wo das Haar aufhört, sich in einer künstlichen Verlängerung der Flechten fortsetzen.

Die jungen Frauen schmücken sich hier also wie überall anderswo nach bestem Vermögen; aber hübsch sind sie deshalb dennoch nicht in unseren Augen. Sie wetteifern mit den Männern im Schmutz. Gleich den Männern sind sie klein von Wuchs und haben schwarzes, grobes, dem Pferdehaar ähnliches Haar, eine gelbe, oft durch Schmutz verborgene Gesichtsfarbe, kleine, schielende, gewöhnlich triefende und entzündete Augen, eine platte Nase, breite hervorstehende Kinnbacken, dünne spindelartige Beine und kleine Füße und Hände.

Die Tracht der Männer, welche derjenigen der Lappländer gleicht, besteht aus einem weiten und langen Päsk, welcher um den Leib herum durch einen mit Knöpfen und Messingbeschlägen reich verzierten Gürtel zusammengehalten wird, an welchem das Messer hängt. Die Stiefel aus Rentierfell reichen gewöhnlich bis über die Knie hinauf, und die Kopfbedeckung besteht aus einer eng ansitzenden, ebenfalls aus Rentierfell gefertigten Mütze.

Die Sommerzelte, die einzigen, die wir gesehen haben, sind konisch und mit einem Loch im Dach zum Ableiten des Rauchs versehen, der von dem in der Mitte auf dem Boden befindlichen Feuerplatz aufsteigt. Die Schlafplätze sind in vielen Zelten hinter einem Vorhang aus Baumwollzeug verborgen.

Von den Polarvölkern, mit denen ich Bekanntschaft gemacht habe, stehen die skandinavischen Lappländer ohne Zweifel am höchsten, und nach diesen kommen die Eskimos im dänischen Grönland. Beide sind christliche und des Lesens kundige Völker, welche gelernt haben, eine Menge Erzeugnisse auf dem Gebiet des Ackerbaus, des Handels und der heutigen Industrie anzuwenden. Sie sind auch jetzt noch Nomaden und Jäger, können aber nicht länger Wilde genannt werden, und der gebildete Europäer, welcher eine längere Zeit unter ihnen gelebt hat, fasst häufig eine gewisse Vorliebe für viele Seiten ihrer Lebensart und Denkweise. Nächst diesen an Bildung kommen die Eskimos im nordwestlichen Amerika, auf deren ursprünglich rohes Leben die amerikanischen Walfänger einen sehr wohltätigen Einfluss ausgeübt zu haben scheinen. Ihnen folgen die Tschuktschen, welche bisher nur wenig mit Leuten der europäischen Rassen in Berührung gekommen sind, deren Erwerbsquellen aber während der neueren Zeit in bedenklicher Weise abgenommen zu haben scheinen, sodass auch die Kraft und die Lebenslust der Nation sehr merkbar geringer geworden sind. Zuletzt kommen die Samojeden oder wenigstens diejenigen Samojeden, welche die Grenzgegenden nach den Ländern des kaukasischen Stammes hin bewohnen. Auf diese scheint der Einfluss der höheren Rassen mit ihren Reglements und Verordnungen, ihren Handelsleuten und vor allem mit ihrem Feuerwasser entschieden verschlechternd eingewirkt zu haben.

Als ich einst einen Eskimo im nordwestlichen Grönland, welcher durch sein sehr übertriebenes Selbstwertgefühl bekannt war, fragte, ob er nicht zugeben wollte, dass der dänische Gouverneur mehr gelte als er, erhielt ich von ihm die Antwort: »Das ist nicht so sicher; der Gouverneur hat zwar ein größeres Besitztum und scheint mehr Macht zu haben, aber es gibt doch Leute in Kopenhagen, denen er gehorchen muss – über mich hat aber niemand zu befehlen.« Dasselbe stolze Selbstgefühl trifft man in der Hütte des Lappen und in dem Fellzelt des Tschuktschen. Bei den Samojeden dagegen scheint dasselbe durch ein Gefühl der Untergebenheit und der Furcht verdrängt zu sein.

Aus älteren Reisebeschreibungen sowie aus eigener Erfahrung wusste ich, dass eine andere, vielleicht niedrigere Art von Götzenbildern als diejenigen, welche Anna Petrowna aus ihrem alten Stiefel hervorgesucht hatte, an mehreren Stellen auf den mit Knochen geopferter Tiere bestreuten Hügeln aufgestellt sein würde. Unser russischer Wirt erzählte uns, dass die Samojeden von weit entlegenen Gegenden nach diesen Plätzen zu wallfahren pflegten, um dort zu opfern und Gelübde abzulegen. Lange Zeit aber wollte keiner der dortigen Russen mir als Wegweiser dienen. Endlich erbot sich jedoch ein junger Mann, mich an eine Stelle auf der Waigatsch-Insel zu führen, wo ich das Gewünschte würde sehen können. Ich machte deshalb am nächsten Tag in einer der Dampfschaluppen einen Ausflug nach dem anderen Strand der Jugor-Straße.

Der Opferplatz war auf dem höchsten Punkt der südwestlichen Spitze der Waigatsch-Insel gelegen und bildete einen natürlichen Hügel, welcher sich einige Meter über die umgebende Ebene abhob. Diese wurde nach dem Meer zu durch einen steilen Abgrund abgeschlossen. Das Land war flach, erhob sich allmählich zu einer Höhe von achtzehn Metern über das Meer. Hier und da gab es seichte Einsenkungen in der Ebene, welche mit einem recht reichen, ebenmäßig grünen Graswuchs bedeckt waren. Die höher gelegenen, trockenen Teile dagegen prangten in einem äußerst üppigen Blumenteppich. Wald fehlt ganz und gar. Auch die Gebüsche sind kaum eine Elle hoch und auch dieses nur an geschützten Stellen, in Talsenkungen und am Fuße steiler, nach Süden gelegener Hänge.

 

Der Opferhügel bildete einen Steinhaufen von einigen Metern im Quadrat, welcher auf einer besonderen Erhöhung der Ebene lag. Zwischen den Steinen fand man:

Rentierschädel, welche zur Herausnahme des Gehirns zerschlagen waren, die aber die Hörner noch am Stirnknochen sitzen hatten; diese waren so zwischen den Steinen aufgestellt, dass sie ein dichtes Gebüsch von Rentierhörnern bildeten, was dem Opferhügel sein eigentümliches Gepräge gab.

Rentierschädel mit durchbohrtem Stirnbein und auf Stöcke gezogen, welche in den Hügel eingesteckt waren. Mitunter waren auf diesen Stöcken viele Gesichter eingeschnitten, eins über dem anderen.

Knochen von Bären, worunter sich auch die Tatzen und der nur zur Hälfte von seiner Haut entblößte Kopf eines Bären befanden, welcher erst so kurz vorher geschossen worden war, dass das Fleisch noch nicht hatte verwesen können.

Und endlich die mächtigen Wesen, denen alle diese Herrlichkeiten geopfert worden waren.

Letztere bestanden aus Hunderten von kleinen Holzsplittern, nach oben äußerst plump in Form von Menschengesichtern ausgeschnitten, von denen die meisten fünfzehn bis zwanzig und einige bis zu dreihundertsiebzig Zentimetern lang waren. Sie waren alle auf der Ostseite des Hügels in den Boden gesteckt. Nahe dem Opferplatz sah man Stücke von Treibholz und Überreste der Feuerstelle, auf welcher die Opfermahlzeit angerichtet worden war. Unser Wegweiser erzählte, dass bei diesen Mahlzeiten der Mund der Götzen mit Blut und mit Branntwein bestrichen würde.

Mein Wegweiser wurde jetzt augenscheinlich unruhig und sagte, dass ich den Zorn der Bolvanen dadurch versöhnen müsste, dass ich ihnen selbst etwas opferte. Ich äußerte sogleich, dass ich bereit wäre, dies zu tun, wenn er mir zeigen wollte, wie ich dabei zuwege gehen sollte. Einigermaßen verlegen und zweifelhaft, inwieweit er mehr den Zorn der Bolvanen als die Strafe fürchten sollte, welche in der anderen Welt denjenigen treffen soll, der falschen Götzen opfert, sagte er, dass ich nur einige Kupfermünzen zwischen die Steine zu legen brauchte. Mit einer feierlichen Kirchenmiene legte ich hierauf meine Gabe auf den Hügel, nämlich zwei Silbermünzen, sicherlich die größte Kostbarkeit, die je hier geopfert worden war. Jetzt war der Russe zufrieden, erklärte aber, dass ich verschwenderisch gewesen wäre, da ein paar Kupfermünzen völlig genügend gewesen wären.

Am folgenden Tag bekamen die Samojeden zu wissen, dass ich zu ihrem Opferhügel geführt worden war. Für ihren eigenen Teil schienen sie wenig Gewicht darauf zu legen, erklärten aber, dass der Wegweiser schon von den beleidigten Bolvanen gestraft werden würde. Er würde seine Tat vielleicht schon im nächsten Herbst bereuen, wenn seine Rentiere von den Waigatsch-Inseln zurückkehrten, wo sie gegenwärtig von den Samojeden gehütet würden; ja, wenn die Strafe ihn nicht jetzt ereile, würde sie ihn in der Zukunft heimsuchen oder auch seine Kinder oder Kindeskinder treffen, sicherlich aber würden ihn die Götter nicht ungestraft lassen. In Bezug auf Gottes Zorn stimmten ihre Religionsbegriffe vollständig mit den Lehren des Alten Testaments überein.


Opferhöhle auf der Waigatsch-Insel

Dieser Opferplatz war übrigens nicht besonders alt. Ein älterer Opferplatz hatte dagegen sechshundert Meter näher nach dem Strand hin unweit einer Höhle gelegen und war von den Samojeden mit abergläubischer Ehrfurcht betrachtet worden. Eine Menge Holzgötzen waren hier aufgestellt gewesen; aber vor etwa dreißig Jahren hatte ein eifriger, neu eingesetzter und deshalb streng durchgreifender Archimandrit [orthodoxer Priester] die Stelle besucht, den Opferhügel niedergebrannt und anstelle desselben ein noch dort stehendes Kreuz errichtet. Eine Vergeltung hatten die Samojeden jedoch nicht durch Zerstörung dieses Zeichens christlicher Anbetung ausgeübt; sie überließen die Rache den Göttern selbst, überzeugt, dass dieselben bald alle Rentiere des Archimandriten umbringen würden, und verlegten nun ihren eigenen Opferplatz etwas tiefer in das Land hinein, und vorläufig hatte kein weiterer unverständiger Glaubenseiferer Eingriffe in ihre Bolvanenverehrung gemacht.

Der alte Opferplatz war noch durch die Masse von Knochen- und rostigen Eisenstücken erkennbar, welche um das russische Kreuz herum noch über ein weites Gebiet verstreut lagen. Auch sah man dort noch Überreste des Feuerplatzes, auf welchem die Schamanengötzen verbrannt worden waren.