Rache: Blendwerk II

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Rache: Blendwerk II
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Adam Wutkowski

Rache: Blendwerk II

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Kapitel 1: Im Spinnennetz

Kapitel 2: Invasion

Kapitel 3: Der Widerstand

Kapitel 4: Der Anfang vom Ende

Kapitel 5: Rache

Kapitel 6: Epilog

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Impressum neobooks

Kapitel 1: Im Spinnennetz


Rache: Blendwerk II


Für meine Frau und meine Kinder

Danke







Impressum



Rache: Blendwerk II

Untertitel: Was sind die beiden häufigsten Gefühle, die der Mensch ausdrückt?

von Adam Wutkowski


Text Copyright: © Adam Wutkowski

Cover Copyright: © Adam Wutkowski


Alle Rechte,

einschließlich des Nachdrucks in jedweder Form,

sind vorbehalten.


Schönberg 2021



Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1: Im Spinnennetz

Kapitel 2: Invasion

Kapitel 3: Der Widerstand

Kapitel 4: Der Anfang vom Ende

Kapitel 5: Rache

Kapitel 6: Epilog




Zitat aus dem Talmud: »Wer ein Menschenleben rettet, dem wird es angerechnet, als würde er die ganze Welt retten. Und wer ein Menschenleben zu Unrecht auslöscht, dem wird es angerechnet, als hätte er die ganze Welt zerstört.


Mein Dank an dieser Stelle geht an Holger und meine Frau,

die in einem unermüdlichen Kampf

meine Rechtschreibfehler korrigiert haben.












«Wir müssen etwas unternehmen. Sonst wird sich die Geschichte wiederholen.», sprach der eine Verschwörer aus, was den beiden anderen Anwesenden ebenfalls auf der Zunge lag.

Die Nacht war lang gewesen. Und noch schlimmer wog die Tatsache, dass diese eine unerwartete Wendung mit sich brachte. Sie waren in einer Kutsche, im Park am Rande des Schlosses, hinter ein paar Bäumen, von unerwünschten Blicken verborgen. Ihre Gesichter in Schatten gehüllt.

«Das ist einfacher gesagt als getan. Seine Macht scheint grenzenlos zu sein. Nun hat er sein Spinnennetz um die junge Königin gewoben und keiner ist in der Lage es zu durchdringen.», stellte der zweite Verschwörer fest.

«Es war taktisch sehr klug von ihm, die Sache so auszulegen. Nun wird nicht nur die Königin, sondern auch das ganze Volk nach seiner Nase tanzen, im Glauben das zu tun, was richtig ist.», stellte der dritte Verschwörer fest.

«Doch noch ist es nicht zu spät. Wir können es noch verhindern.», riss der erste Verschwörer das Wort an sich und blickte seine beiden Gegenüber an.

Obwohl keines der Gesichter in der Dunkelheit zu erkennen war, ahnten die beiden letzten Verschwörer in der Kutsche, dass ihnen der Vorschlag ihres Mitstreiters nicht gefallen würde. Und doch konnte der zweite nicht anders, als dem Impuls nachzugehen und schließlich zu fragen: «Was schlägst du vor?»

«Wir müssen ihn beseitigen und zwar schnell!»

«Das ist Wahnsinn. Wir wären nicht besser als er.», entgegnete der zweite Verschwörer.

«Und außerdem hat dieser Plan einen Haken.», mischte sich der dritte Verschwörer in den Disput, wobei er sich für einen Moment in Schweigen hüllte, bevor er weitersprach. «Selbst wenn wir ihn töten, wie schaffen wir es, dass nicht ein anderer seinen Platz einnimmt. Zum Beispiel sein Sohn!»

Schweigen legte sich für einen Moment um die schattenhaften Figuren.

Die ausgelassene Stimmung aus dem Schloss begann in jenem Moment der Stille die Geräuschkulisse zu prägen und die Verschwörer an ihre Machtlosigkeit zu erinnern.

Schließlich nahm der zweite Verschwörer den Gesprächsfaden wieder auf. «Wir müssen uns eingestehen, dass unsere Bemühungen, die Königin vor dem Blendwerk eines Größenwahnsinnigen zu schützen, gescheitert sind. Wir haben verloren.»

«Nein, wir können jetzt nicht zurück. Wenn wir jetzt nichts unternehmen, werden wieder Tausende für die Ambitionen eines einzelnen sterben. Wir dürfen jetzt nicht aufgeben.», flehte der erste seine beiden Mitverschwörer förmlich an. «Denkt an seine Worte während seiner Rede: „Für Ruhm und Ehre. Für euch und eure Familien“.», wiederholte er die Worte, die er vor wenigen Augenblicken aus dem Mund des einen vernommen hatte. «Aber sagt mir, meine Freunde, welcher Ruhm liegt darin, wenn die Lebenden die Toten betrauern müssen. Mit welch einer Bürde müssen jene, die zurückbleiben, leben. Vor allem die Mütter und Väter, die über Jahre ihr Kind gehegt und gepflegt haben und am Ende mit dem Tod ihres Kindes leben müssen. Nein, meine Freunde, wir dürfen jetzt nicht aufgeben. Bitte ich flehe euch an!»

«Es ist zu spät. Wir müssen uns neuformieren und die Gunst der Stunde abwarten. Momentan stehen wir mit dem Rücken an der Wand. Kein Mensch ist bereit uns zu zuhören. Die Stimme der Vernunft ist in dem Tosen des Blenders untergegangen.»

«Deswegen müssen wir ihn auch töten!», beharrte der erste Verschwörer.

«Nein und noch einmal nein. Das Volk und die Königin würden sich einfach eine neue Figur suchen, die ihnen das Blaue vom Himmel lügt. Außerdem möchte ich mit dem Mord nichts zu tun haben.», stellte der zweite fest.

«Ich auch nicht.», ergänzte der dritte. «Wenn wir zu solchen Mitteln greifen, sind wir nicht besser als er und sein Untergebener.»

«Ihr seid naiv. Viel zu naiv.», raunte die Stimme des ersten Verschwörers voller Enttäuschung durch den kleinen Raum der Kutsche.

«Vielleicht.», sagte der zweite, legte seine Hand auf die Türklinke der Kutschentür und läutete das Ende der Unterredung damit ein. «Aber mein Entschluss steht damit fest.»

Im nächsten Augenblick trat der zweite Verschwörer aus der Kutsche.

«Es tut mir leid.», sagte der dritte und folgte einen Augenblick später seinem Kompagnon.

Allein in der Kutsche blickte der erste Verschwörer seinen ehemals Verbündeten nach. Schließlich, als die Niedergeschlagenheit ihn zu übermannen drohte, wandte dieser ein letztes Mal seinen Blick auf das Schloss, auf die prächtige Parkanlage und all den Glanz, der diesen Ort hier widerspiegelte. Und dann wusste er, dass dieser Glanz mit Blut bezahlt wurde. Schließlich fühlte er Übelkeit in sich aufsteigen. Und dann wünschte er sich nur noch fort von hier. Ohne einen weiteren Moment verstreichen zu lassen, lehnte er sich zurück und gab dem Kutscher den Befehl loszufahren.



Kapitel 2: Invasion


Jamie stand auf einem Hügel und blickte in die Ferne. Er sah von weitem die Rauchschwaden gen Himmel aufsteigen. Zwischen all den weißen Wolken wirkten die beiden schwarzen Säulen vor ihm wie ein schwarzer Fleck auf weißem Leinentuch. Trauer übermannte seine Gefühlswelt. Doch er musste sich eingestehen, dass sie trotz alledem Glück gehabt hatten. Schließlich sind sie rechtzeitig gewarnt worden.

Jamies Blick wanderte hinüber zu seiner Mutter, Lena, Melcom, Brutus, Ilianer, Martok und dessen zweijährigem Sohn Ian, sowie den Chiks an der Seite von Gul-Marak.

Wären sie nicht da, dann… dachte sich Jamie und vertrieb sogleich wieder den schrecklichen Gedanken. Er wollte nicht darüber nachdenken, was wäre, wenn.

Seine Familie und Freunde waren schließlich am Leben. Und nur das zählte. Den Blick nach vorn gerichtet, mussten sie mit ansehen, wie in der Ferne die Arkanischen Soldaten wie Ameisen um das, was einst ihr Hof war, herumschwirrten und alles niederbrannten.

Nach einem Augenblick ließ Jamie seinen Blick zu der zweiten schwarzen Wolke wandern, die sich links von ihnen hinter Bäumen ihren Weg in den Himmel bahnte. Dort wo der Hof von Ilianer und Marok lag.

Das Arkanische Königreich oder besser gesagt der Baron von Illmenstein hat seine Ambitionen gegenüber dem Norden nicht aufgegeben. Mit dem heutigen Tag konnte jeder das mit seinen Augen wahrnehmen. Und wen sie bei ihrem Vorhaben aus dem Weg räumen wollten, war eindeutig. Ihnen allen, so wie sie dastanden, war bewusst gewesen, dass die Gefahr einer erneuten Invasion seitens des Arkanischen Königreiches bestand. Doch dass diese so schnell und so gezielt vonstattenging, damit hat keiner von ihnen gerechnet.

Martok hielt seine Hand fest um die Barbarenstreitaxt umschlungen. Jamie wusste genau, dass in diesem Moment Martok am liebsten dort unten bei seinem Hof wäre, um mit seiner Axt jedem das Fürchten zu lehren. Doch da war Ilianer und Klein-Ian und die damit verbundenen Pflichten.

 

«Wir sollten so schnell wie möglich von hier verschwinden. Die Arkanischen Späher sind uns dicht auf den Fersen. Außerdem wird der Rest von unseren Männern nicht ewig auf dem Sammelplatz auf uns warten.», durchbrach die Stimme Gul-Maraks die Szene.

«Ich hoffe nur, dass der Rest von unseren Verbündeten genauso schnell gewarnt werden konnte wie wir.», sagte Melcom und wandte sich vom Geschehen ab.

«Wir werden es sehen.», erwiderte Martok und legte seine rechte Hand auf die Schulter seines Vaters.

Die Pferde waren ausgeruht und an die Umgebung gewöhnt. Und so kamen die Flüchtigen gut voran. Als schließlich der Tag sich langsam seinem Ende neigte und die Abendröte immer mehr ihren Schleier über das Land legte, zog der Zug aus Fliehenden über ein Tal an einem Bach entlang gen Norden.

Während ihrer Reise wuchs der Zug an Flüchtigen stetig an. Immer mehr Nordmänner und Frauen schlossen sich ihnen an und reihten sich in den Zug ein. Mittlerweile wuchs ihre Zahl auf zweihundert Reiter an. Mit jedem Ankömmling wuchs auch die Freude und Zuversicht, dass dieser Kampf noch nicht entschieden war. Auch wenn jeder wusste, dass es dieses Mal keinen Ian geben würde, der sich für alle opferte.

Als schließlich die Sonne im Westen untergegangen war, traf der Zug aus Flüchtigen an dem vereinbarten Sammelplatz ein. Jamie blickte auf das Tal herunter und entdeckte ein Meer an Lagerfeuern.

Chiks und Nordmänner vereint, mal wieder.

«Wir müssen hier entlang.», richtete Gul-Marak das Wort an Jamie und jene, die für den Norden sprechen würden. Zielstrebig führte Gul-Marak diese zwischen den Lagerfeuern, an denen Menschen kauerten, sich unterhielten oder vereinzelt ihre Laute erklingen ließen, zu einer Feuerstelle in der Mitte des Lagers.

Die Lagerstelle selbst lag in einer kleinen Senke mit einem Durchmesser von etwa 15 Metern. Das Feuer in der Mitte unterschied sich nicht von den anderen. Auch der Nachthimmel war nicht anders. Doch die Menschen, die um das Feuer saßen, weckten Zuversicht und Hoffnung in Jamie.

«Jamie, Melcom, Ilianer, Martok, Brutus. Da seid ihr ja. Ich hatte schon befürchtet, dass ich einen Suchtrupp nach euch schicken muss.», begrüßte Alko die Neuankömmlinge und drückte jeden an sich. Bei Ilianers Kind blieb er einen Augenblick länger stehen und betrachtete dieses für einen Moment, nachdem Martok diesem den Namen des Jungen verraten hatte.

Und dann schälten sich aus dem Schatten zwei Gestalten, Drako und Harald.

Jamie war froh, dass auch Harald rechtzeitig von ihren Verbündeten gewarnt wurde. Die Freude über das Wiedersehen führte sogleich zu der Frage nach all den anderen, die hier und jetzt fehlten.

«Was ist mit Sean?», fragte er und blickte Harald und Draco der Reihe nach an.

«Sie haben ihn gefangen genommen. Die Arkanischen Soldaten sind wie ein Sturm über den Norden hinweg gefegt. Sie wussten genau, wo sie als erstes zuschlagen mussten. Sie haben gezielt die Häuser der Redensführer von damals angegriffen und niedergebrannt. Einige unserer Verbündeten haben sie ausgeschaltet, bevor diese die anderen warnen konnten. Anderen ist es wiederum gelungen, ihren Häschern nur mit Müh und Not zu entkommen. Sie waren sehr gut vorbereitet. Viele der Arkanischen Soldaten befanden sich bereits im Land, als der Angriff stattfand. Einige von ihnen haben sich als Händler verkleidet und haben gezielt zugeschlagen. Andere wiederum haben über kurz oder lang bei Sympathisanten Unterschlupf gefunden um anschließend koordiniert zugeschlagen.», berichtete Harald wehmütig.

«Wir wissen bisher nicht viel. Die Informationen sind spärlich. Doch ich habe die Befürchtung, dass, wer es bis jetzt nicht hierher geschafft hat, entweder tot ist oder in den Händen der Arkanischen Soldaten.», ergänzte Drako.

Nach dieser kurzen Zusammenfassung der Ereignisse fühlte Jamie und der Rest der Neuankömmlinge eine gewisse Niedergeschlagenheit in sich aufsteigen. Für Jamie begann das drumherum zu verschwimmen. Plötzlich sah er vor seinem inneren Auge Gesichter auftauchen, von Menschen, die von Arkanischen Soldaten angegriffen wurden und ihrer selbst gewählten Lebensart beraubt wurden.

«Jamie und ihr anderen. Setzt und wärmt euch an unserem Eintopf. Anschließend müssen wir Kriegsrat halten.», ordnete Alko an und zeigte einladend auf den Kessel am Feuer.

Jamie setzte sich neben Martok, Ilianer, Brutus und ein paar anderen Männern aus dem Norden. Lena streckte die Hände Klein-Ian entgegen und richtete das Wort an ihre Schwester: «Ich kümmere mich um ihn. Geh, nimm teil an der Versammlung! Ich bin da drüben am Feuer, wenn du mich brauchst.», erklärte sie, während sich um sie herum immer mehr Menschen versammelten.

Ilianer nickte und reichte Ian an ihre Schwester und blickte den beiden einen Moment nach, bis diese in dem Meer von Leibern verschwanden. Doch sie war nicht die einzige, die ihre Schwester im Blick hatte. Auch Jamie und Gul-Marak hatten ihr Augenmerk auf Lena gerichtet.

Doch nicht nur Ilianer sondern auch Jamie entging nicht, dass Gul-Marak Lena mit seinem Blick verfolgte. Und im selben Moment, in dem Jamie das wahrnahm, verspürte er einen Beschützerinstinkt in sich aufsteigen. Gerade als er Gul-Marak auffordern wollte, dass dieser seinen Blick von seiner Schwester abwenden sollte, legte Melcom eine Hand auf Jamies Schulter.

Jamie blickte zu Melcom. In dessen Gesicht spiegelte sich Freundlichkeit sowie eine gewisse Vertrautheit wider. Verwirrt und verunsichert blickte Jamie in das Gesicht seines Gegenübers.

«Männer und Frauen des Nordens.», lenkte die Stimme von Alko die Aufmerksamkeit von Jamie und den Anwesenden auf die bevorstehende Besprechung. «Wir haben nicht viel Zeit. Und wir wissen nicht, wie lange wir hier bleiben können. Die Informationen, die wir bisher zusammengetragen haben, geben uns einen ersten Eindruck über den Angriff von Seiten unserer Arkanischen Gegenspieler. Wir wissen nicht genau, welche Gebiete die Arkanische Armee bereits unter ihrer Kontrolle gebracht hat. Doch wir müssen vom Schlimmsten ausgehen. Drako und Harald werden uns nun die aktuellen Informationen vom Stand der Invasion schildern. Bitte!», forderte Alko mit einer Handbewegung die beiden Männer auf vorzutreten und nahm seinerseits am Rande der Versammlung Platz.

Das Gesicht der Menge zugewandt, die Feuerstelle im Rücken, begannen die beiden Männer nacheinander zu berichten. «Wie von Alko angesprochen, sind wir noch nicht in der Lage, das Ausmaß der Invasion genau zu beurteilen. Was wir zum jetzigen Zeitpunkt sagen können ist, dass der Schlag gegen den Norden gut geplant und koordiniert verlief. Nach ersten Informationen müssen wir davon ausgehen, dass viele der Arkanischen Soldaten sich bereits im Land befanden, als die eigentliche Invasion vonstattenging. Das lässt sich aus dem schnellen Vorgehen, insbesondere gegenüber unseren Verbündeten weiter im Norden unseres Landes, schließen. Sie kamen vermutlich getarnt als reisende Händler oder Bauern. Andere wiederum haben Unterschlupf bei Männern und Frauen gefunden, die dem Blendwerk der Arkanischen Führung erlegen sind. Festgenommen wurden vor allem jene, die damals bei dem Kampf gegen das Arkanische Königreich beteiligt waren und jene, die das Arkanische Königreich als gefährlich eingestuft hat. Darunter Sean, unser Hauptmann. Zusammengefasst sind nur wenige von damals unseren Häschern entkommen. Wir sind gerade um die 700 bis 800 Männer und Frauen aus dem Norden. Wir müssen davon ausgehen, dass, wer sich bis jetzt uns nicht angeschlossen hat, entweder gefangen genommen wurde oder irgendwo anders Zuflucht gefunden hat.», beendete Harald die Schilderung der derzeitigen Lage im Norden.

Nach diesen Worten war hier und dort Gemurmel, begleitet von verstörten Blicken, wahrzunehmen. Daraufhin begannen erste Beschimpfungen gegen das Arkanische Königreich die Runde zu machen.

Schließlich erhob sich Alko, hob die Hände und brachte die Versammelten nach wenigen Augenblicken wieder zum Schweigen.

«Meine Freunde! Bitte bewahrt Ruhe. Ich kann euren Frust und Ärger nachvollziehen. Auch uns ging es damals, bei den ersten Angriffen auf unsere Souveränität, nicht anders. Doch im Gegensatz zu früher stehen wir von Beginn an Seite an Seite.», stellte Alko fest und erntete sogleich Zustimmung.

Als sich die Gemüter wieder soweit beruhigt hatten, so dass eine Verständigung möglich war, nahm Alko das Zepter in die Hand und fuhr fort: «Mittlerweile sind viele Gerüchte im Umlauf. Doch in unserer Lage haben wir keine Zeit Gerüchten nachzugehen. Wir müssen uns auf das konzentrieren, was wir wissen und was wir mit dem Wissen anfangen wollen.», stellte Alko nüchtern fest. Im nächsten Moment blickte er zu Drako herüber und bedeutete diesen mit einem leichten Kopfnicken zu sprechen.

«Unseren Waldläufern zufolge ist das Arkanische Heer mit einer Truppenstärke von schätzungsweise 9000 Soldaten über die Grenze gekommen. Wir gehen davon aus, dass weitere 3000 bereits im Norden waren und nur auf ein Zeichen warteten um zu zuschlagen. Nach der Truppenstärke zu urteilen und dem koordinierten Vorgehen scheint das Arkanische Königreich nichts dem Zufall überlassen zu wollen. Unseren Informationen zufolge bewegen sich die Soldaten schnell, koordiniert, zielgerichtet und lassen sich von nichts und niemanden aufhalten. Uns bleibt wenig Zeit. Morgen früh müssen wir das Lager vor den ersten Sonnenstrahlen abbrechen und möglichst viel Abstand zwischen uns und unseren Häschern bringen. Doch bevor wir das machen, müssen wir eine Strategie für die kommenden Tage festlegen.»

«Gegen einen Feind dieser Größenordnung können wir nichts machen.», warf einer der Chiks aus der Menge ein.

«Es muss uns aber etwas einfallen. Was sollen wir sonst tun. Ein Leben auf der Flucht führen?», schaltete sich sogleich ein Nordmann ein.

«Nein! Natürlich nicht.», antwortete Harald. «Aber, wenn wir wirklich etwas an unserer Lage ändern wollen, dann müssen wir wirklich einen guten Plan haben und etwas Glück. So wie damals auf der Steinebene vor Arag. Militärisch sind wir auf lange Sicht dem Arkanischen Königreich unterlegen. Da brauchen wir uns keine falschen Hoffnungen zu machen.», stellte Harald nüchtern fest.

Für einen Moment entstand eine angespannte Stille unter den Versammelten. Der Kampfeswille, der vor wenigen Augenblicken die Stimmung der Menschen beherrscht hatte, war der Realität von Haralds Worten gewichen.

Jamies Blick wanderte zwischen den Gesichtern der Versammelten hin und her. Plötzlich musste Jamie an die Worte seines Vaters denken; „…die Geschichte wiederholt sich immer wieder aufs Neue. Das einzige was sich ändert ist die Kulisse.“

In dem Moment, in dem er sich der Worte seines Vaters bewusst wurde, konnte er ein Lächeln nicht unterdrücken. Und im selben Augenblick formte sich ein Gedanke in seinem Kopf. Unsicher, ob er diesen aussprechen sollte, blickte er zu Alko hinüber, schließlich zu Harald und all den anderen. Doch diese hüllten sich in Schweigen.

Letztendlich blickte Jamie zu dem Nachthimmel empor. Blickte auf das Sternenzelt über seinem Haupt und sagte im Stillen an seinen Vater denkend: „Nun verstehe ich die Bürde der Verantwortung. Und ich habe Angst an ihr zu scheitern“.

«Vielleicht müssen wir…», begann Jamie mit einer leicht zittrigen Stimme und stoppte als er sich all der Aufmerksamkeit bewusst wurde, die nun auf ihn haftete.

«Ja Jamie?», sagte Harald und blickte nun seinerseits Jamie an.

Für einen Moment wünschte sich Jamie nichts gesagt zu haben. Doch dann spürte er plötzlich einen Ruck von der Seite, der ihn auf die Beine zwang. Von einem Moment auf den anderen stand Jamie in der Mitte der Versammlung. Allein das Feuer hinter ihm war noch zentraler. Und hinter diesem konnte er sich nicht verstecken.

«Sag schon Jamie, welchen Plan hast du?», forderte ihn Martok auf.

Und im selben Moment, in dem er Martok anblickte, hatte er das unbegreifliche Gefühl, dass dieser ihn in die Mitte der Versammlung geschubst hatte.

«Meine Freunde. Mein Vater sagte einmal zu mir, dass sich die Geschichte wiederholt. Und zwar immer wieder aufs Neue. Das einzige was sich ändert ist die Kulisse!», begann Jamie dieses Mal mit einer kräftigen Stimme zu sprechen. «Was wir also machen müssen ist die Kulisse zu ändern. Und damit den Feind mit seinen eigenen Waffen schlagen. So lange bis diesem nichts anderes übrigbleibt, als sich von unserem Land zurückziehen.»

«Ja. Das hört sich gut an. In dir steckt mehr von deinem Vater als du denkst.», stellte Alko fest. «Also sprich, was genau hast du vor?»

 

Jamie spürte wie die Anspannung anfing von ihm abzufallen. Zugegeben. Er hatte den Worten seines Vaters eine neue Bedeutung beigemessen. Aber hier und jetzt schien das nicht von Bedeutung zu sein. Alles was in dem Moment für alle von Bedeutung schien, war ein Plan. Ein Ziel, auf das sie gemeinsam hinarbeiten könnten.

Durch die Worte von Alko verspürte Jamie neuen Mut in sich aufsteigen. Und nun gab es kein zurück mehr. Der Gedanke, der sich so spontan gebildet hatte, musste nun geformt werden. Aber dafür hatte er ja noch seine Freunde und Verbündeten, die ihm helfen könnten. Entschlossen blickte Jamie der Reihe nach die Versammelten an.

Und dann begann er seine Idee vorzustellen.

Am folgenden Morgen führte Alko seine Mitstreiter an das Ufer des Flusses Muk. Die Sonne brannte bereits unbarmherzig auf die Schar der Verbündeten. Während die Pferde den Moment nutzten und ihren Durst an dem kühlen Wasser des Flusses stillten, ließ Ilianer ihren Blick entlang der wilden Natur des Nordens streifen.

Hier war es nun an der Zeit sich zu trennen.

Ilianers Augen füllten sich mit Tränen. Noch nie hatte sie länger als für einen Abend ihren Sohn an einen ihrer Verwandten abgegeben. Hier und jetzt aber musste sie Abschied von ihrem Kind nehmen. Für wie lange, das wusste sie nicht. Doch der Schmerz, gepaart mit dem schlechten Gewissen, drohte sie förmlich zu zerreißen.

Aber welche Wahl hatte sie? Sie konnte und wollte ihn nicht mitnehmen. Dafür war das, was sie vorhatten einfach viel zu gefährlich. Noch einmal drückte sie ihren Sohn an sich und küsste ihn liebevoll.

«Pass auf deine Großmutter auf, ok. Sei ein braver Junge! Hörst du.»

«Ja, Mama.», erwiderte der kleine und lächelte seine Mutter in seiner kindlichen Art und Weise an.

«Wir werden dich, sobald es in unserer Macht steht, zu uns holen. Verstanden!», verabschiedete sich Martok und legte seine Pranke auf das Haupt seines Sohnes.

Während Ilianer und Martok Abschied von ihrem Sohn nahmen, blickte Jamie auf die Gesichter der Umstehenden. Die Szenerie um ihn herum begann ihn an jenen Zeitpunkt zu erinnern, als er sich mit seinem Vater und all den anderen damals in Richtung Norden aufmachte, um jene, die sie liebten, aus den Klauen ihrer Feinde zu befreien. Und jetzt wiederholte sich die Geschichte. Für einen weiteren Augenblick tauchte das Gesicht seines Vaters vor seinem inneren Auge auf und Trauer begann sich wie ein Tuch über ihn zu legen. Und in diesem Moment, als sich zur Trauer Angst über die Zukunft mischte, begann sich Jamie zu fragen, wie sich die neue Situation auf seine inneren Dämonen auswirken würde. In den letzten Jahren hatte er mit diesen gelernt zu leben. Sie waren immer noch ein fester Bestandteil seinerselbst. Doch würden sie auch so ruhig bleiben, wenn er gezwungen sein würde, sich wieder in den Kampf zu stürzen?

«Wir sind dann soweit!», riss Gul-Maraks Stimme Jamie aus seinem Tagtraum und brachte ihn in das Hier und Jetzt zurück. Mit einem leichten Lächeln auf den Lippen blickte Jamie Gul-Marak an und sagte: «Nun sind wir wieder im Kampfe vereint.»

«Ja.», antwortete Gul-Marak ein wenig zurückhaltend. Mittlerweile war Gul-Marak eine zentrale Figur in der Welt der Chiks. Viele junge Krieger verehrten diesen wie einen Gott. Und jeder junge Mann im kampffähigen Alter träumte davon einmal an der Seite von Gul-Marak zu reiten und zu kämpfen.

«Ich sehe besonders viele junge Krieger, die sich entschieden haben uns zu begleiten.», stellte Jamie nüchtern fest.

«Ja.», stellte Gul-Marak fest und blickte in die Gesichter ihrer Mitstreiter. «Wir können einfach der Natur unseres Seins nicht entkommen.»

«Bleibt nur zu hoffen, dass wir, genauso wie unsere Väter vor uns, es fertigbekommen, möglichst viele dieser jungen Gesichter wieder heil nach Hause zu bringen.»

«Es ist an der Zeit!», durchdrang eine wohl bekannte Stimme das Gespräch der beiden.

Gul-Marak blickte seinen Vater an, als dieser neben den beiden auf dem Rücken seines Pferdes saß und sie anschaute.

«Passt gut auf euch auf. Ich will euch beide wiedersehen. Verstanden!»

Jamie und Gul-Marak überlegten für einen Moment etwas zu erwidern. Doch nichts Sinnvolles wollte ihren Lippen entweichen. Und schließlich verging der eine Moment und Alko wandte sein Pferd von den beiden ab. Jamie und Gul-Marak blieb nichts anderes übrig als auf Alko, Drako sowie Melcom, Martok, Ilianer, Harald und den Rest zu blicken, die ihrerseits sie traurig aber auch voller Hoffnung anschauten und zum Abschied mit ihren Blicken fixierten, so als ob sie versuchen würden, diesen Augenblick für immer in ihr Gedächtnis einzubrennen.

«Es ist so weit. Wir müssen weiter. Möge Ians Gunst mit ihnen sein.», sagte Brutus hinter Jamie und Gul-Marak und gewann somit deren Aufmerksamkeit. Als die beiden hinter sich blickten, sahen sie, wie Mulak bereits einen Teil ihrer Schar den Weg entlang dem Fluss führte.

Jamie und Gul-Marak ritten in Begleitung von Brutus über den Fluss und schlossen sich ihrer Einheit an. Im Gegensatz zu dem Trupp unter der Führung von Alko und Melcom, der sich dem Norden zuwandte, zogen Jamie und Gul-Marak mit ihrer Streitkraft von etwa 400 Nordmännern gen Osten in Richtung der Gebirgsketten des Horas Gebirges.

Es war ein langer und anstrengender Ritt durch das Flussbett bis spät in die Nacht. Doch dieser war nötig, um von ihrer Spur abzulenken. Der Feind sollte ruhig glauben, dass all jene die sie verfolgten in Richtung Norden marschierten. Als schließlich der Zug aus Leibern eine kleine Lichtung an einer Bergkette links vom Flussbett erreichte, wurde das Nachtlager aufgebaut.

Jamie wandte sogleich seine Aufmerksamkeit seiner Mutter, dem kleinen Ian und seiner Schwester Lena zu. «Wie geht es ihm?», erkundigte sich Jamie bei seiner Mutter nach dem Wohlbefinden seines Neffen.

«So weit, so gut. Der lange Ritt hat ihn aber ziemlich mitgenommen.»

«Nach Gul-Maraks Einschätzung zu urteilen, werden wir wohl oder übel noch eine Woche im Sattel verbringen, bis wir das Tal erreichen, an dem sich die Familien der Chiks verstecken. Dort aber werdet ihr vor dem Zugriff der Arkanischen Armee sicher sein.», versuchte Jamie aufmunternd zu wirken.

«Ich werde nicht dort bleiben. Ich komme mit dir und dem Rest unserer Männer mit.», mischte sich Lenas Stimme in das Gespräch ein.

«Nein, das wirst du nicht. Du bist noch zu jung. Außerdem ist das hier kein Ausflug. Das ist bitterer Ernst.», tadelte sie Jamie.

«Als Vater dich von deinem jugendlichen Leichtsinn zurückhalten wollte, hast du ihn einen Narren geschimpft. Und nun verwehrst du mir das gleich Recht, welches du dir so gewünscht hast. Du bist wirklich genauso wie …», unterbrach sich Lena und stampfte wütend ein paar Meter davon.

Alko, Melcom, Ilianer, Martok, Drako und der Rest ihrer Schar, bestehend aus 1000 kampffähigen Männern und Frauen, erreichten am Abend ihr Nachtlager am Rand eines Bergrückens. Ihre Spur in den Norden war unverkennbar. Und das war gut so.

Als schließlich der Nachthimmel sein Sternenzelt vollständig offenbarte, saßen die Anführer der Streitkraft um das Lagerfeuer verteilt.

«In drei Tagen erreichen wir das Hauptheer meines Volkes. Wir werden dann mit den Nordmännern zusammen ein Heer von rund 2000 Kriegern befehligen. Die höchste Priorität liegt darin, sich dem Zugriff der Arkanischen Armee zu entziehen. Anschließend müssen wir unbedingt in Erfahrung bringen, welche Strategie das Arkanische Königreich im Norden verfolgt. Erst dann können wir genau den von uns besprochenen Plan in die Tat umsetzen.», stellte Alko fest und schob sich anschließend etwas von dem Wild in den Mund.

«Unsere Waldläufer sind entlang der Grenze aufgestellt und haben die Aufgabe Informationen zu sammeln und zu beobachten. Zum Vollmond, also in etwa 13 Tagen, werden wir uns dann mit unseren Informanten im Tal der Lebenden treffen. Anschließend werden wir in der Lage sein, unseren ersten Angriff zu planen.», ergänzte Drako.

Ilianer lag in den Händen von Martok und nahm die Worte nur beiläufig wahr. Das lag zum einen daran, dass sie von dem langen Ritt Gesäßschmerzen hatte und zum anderen drehten sich ihre Gedanken hauptsächlich um ihren Sohn. Schließlich legte die Müdigkeit sein schwarzes Tuch über ihr Bewusstsein und ohne, dass sie es merkte, fiel sie in ein unruhigen Schlaf.

Der Morgen begann wie die Tage zuvor. Es war Sommer und die Wärme des Tages legte sich über die Täler. Die Arkanische Heerführung hat den Einmarsch in den Norden gut geplant und ausgeführt. Mittlerweile war der Norden von den Truppen der Arkanischen Armee bis zum letzten Winkel in Besitz genommen worden. An den wichtigsten strategischen Punkten und Handelsrouten begannen Baumeister, Soldaten und jene aus dem Norden, die dem Königreich wohlgesonnen waren, Kontrollpunkte und Palisaden zu errichten. Der Widerstand der Einheimischen wurde durch den schnellen Einmarsch, sowie gezielte Festnahmen im Keim erstickt, noch bevor dieser wusste, was überhaupt geschehen war. Sicherlich. Es gab da einige Nordmänner, denen es gelungen war, sich dem Zugriff der Arkansichen Armee zu entziehen und sich weit in das Gebiet der Chicks in den Norden zu flüchten. Doch es war nur eine Frage der Zeit, bis auch diese sich dem Willen des Arkanischen Königreiches beugen würden.