Бесплатно

Die Mühle zu Husterloh

Текст
Автор:
0
Отзывы
iOSAndroidWindows Phone
Куда отправить ссылку на приложение?
Не закрывайте это окно, пока не введёте код в мобильном устройстве
ПовторитьСсылка отправлена

По требованию правообладателя эта книга недоступна для скачивания в виде файла.

Однако вы можете читать её в наших мобильных приложениях (даже без подключения к сети интернет) и онлайн на сайте ЛитРес.

Отметить прочитанной
Шрифт:Меньше АаБольше Аа

26. Kapitel

Auf dem Tische der Wohnstube warteten einige Briefe auf den Hausherrn. Manche von ihnen trugen keine Freimarke, wohl aber einen großen ovalen Stempel, der sie zu Aristokraten ihrer Gattung machte. Sie brauchten nicht den Nachweis zu erbringen, dass die Mühe des Briefträgers und der Vorteil der Reichspostverwaltung mit einem Groschen gewahrt seien. Raubrittern gleich, nahmen sie als ungebetene Gäste ihren Weg in die entlegensten Hütten. Vater Höhrle kannte diese Sorte nur allzu gut, und ein ängstliches Beben durchrieselte seinen Körper bei ihrem Anblick. Auf einem derselben stand flüchtig hingeworfen der Vermerk »Eilt«, und ein blutiger Strich mit einem Rotstift darunter schien andeuten zu wollen, dass man keinen Spaß verstehe. Der Müller nahm den Brief in die Hand und beguckte ihn von allen Seiten. Er ahnte, dass der Inhalt des Kuverts ihm nichts Gutes bedeuten könne, und am liebsten hätte er ein Streichholz unter das Schreiben gehalten. Doch damit war ja nichts erreicht, also erbrach er schweren Herzens den Oblatenverschluss und las aus Gedrucktem und Geschriebenem heraus, dass Rauschkolb die Zwangsvollstreckung gegen ihn beantragt habe. Das war ein bitterer Trank, in dem Augenblick kredenzt, wo er, müde und erschöpft von der Wallfahrt, die Diele seines Hauses betrat. Er sank wie berauscht auf einen Stuhl nieder. Seine Rechte spielte mit dem Papiere auf dem Tische, die Linke wühlte in der Ledertasche, als ob sie nach Geld suchte. Die Schultern, mit Bleigewichten beschwert, schienen den Ärmsten hinabziehen zu wollen, hinab in den Morast der Armut, in dem so viele wandeln, die kein schützendes Obdach mehr ihr eigen nennen, hinab in den Straßengraben, wo man sich zu Bette legt, ohne dass man die Stiefel auszieht, und wo man wenigstens den Vorteil hat, sterben zu können, ohne dass ein Arzneiglas neben einem die Luft mit seinem Gestank verpestet. Vater Höhrle dachte an den leeren Platz neben dem Grabe seiner Frau, dachte ein wenig voraus an die Tage, wo die vermoderten Särge den Erdhügel angesaugt haben werden, unter dem er und sie lagen, wo alles wieder sein würde, wie es war, lange, bevor er und sie zur Welt gekommen, und fing an, sich über den Uhrzeiger zu ärgern, der an der alten Schwarzwälderin ihm gegenüber so pedantisch von Minute zu Minute weiterrückte. Warum nahm er nicht Stunden in der Sekunde, warum nicht ganze Tage oder Wochen in der Minute? Der müde Erdenpilger da auf dem Stuhl wäre imstande gewesen einen Staatsanwalt zu umarmen, der ihm die Stunde seiner Hinrichtung mitgeteilt hätte. Ach, so von Haus und Hof ziehen zu müssen, losgeschält zu werden von allem, womit man durch Geburt und Erziehung verwachsen war, ausgezogen zu werden, ohne die Gewissheit zu erlangen, dass man schlafen gehe, das ist ein Sterben ohne die Sicherheit, dass man tot sei, nachdem man gestorben. Vater Höhrle kämpfte jetzt diesen furchtbaren Todeskampf, ohne dass auch nur der Schimmer eines Lichtes von irgend einer Seite her in die Nacht seiner Sterbekammer gedrungen wäre. Ehe er die Wallfahrt antrat, da leuchtete wenigstens noch ein Irrlicht seinem Pfade voraus, nun aber war alles dunkel um ihn. Der schwer gebeugte Mann hatte gedankenlos seinen Stock ergriffen und tastete damit vor sich hin wie ein Blinder, der seine Straße suchen möchte.

Was, Donnerwetter, spukt es hier, oder warf jemand einen Futtertrog wider die Tür? Vater Höhrle horchte auf und hörte, wie draußen ein Gegenstand rauschend an der Wandverschalung niederglitt. Gleich darauf knackte die Klinke, und Sebastian Stallmann fiel in die Stube herein.

»Dass mich der Teufel lausen muss, oder habe ich ein Nest voll junger Katzen im Schädel?« stammelte er und erhob sich auf die Hände.

»Was plagt sich der Mensch missvergnügt auf zwei Beinen herum, wenn ihn der Wein zu einem vergnügten Vierfüßler macht. Herunter, Vater Höhrle, werden wir Vierfüßler! Mir ist so wohl wie einem Wildschwein zur Zeit, wenn die Eicheln aus ihren Tellern fallen –« und dabei sank er noch einmal vorn über und küsste den Boden.

»Nichts ist ganz unnütz auf der Welt,« philosophierte er nach diesem Zärtlichkeitsparoxismus weiter, »Silbersand naschen die Hühner, wenn sie Eier legen, gut schmeckt er nicht, aber gewöhnen wir uns daran, was sollen wir essen, wenn’s keinen weißen Käse mehr gibt?«

Dabei leckte er mit der Zunge seine Lippen ab und machte voll Gottvertrauen einen erneuten Versuch aufzustehen. Er kam auch in die Knie und beglotzte mit seinen glasigen Augen den Müller.

»Vater Höhrle,« rief er vergnügt, »Vater Höhrle, ihr seid auf dem Holzweg. Während ihr die Seligkeit in Walldürn sucht, wird sie im Weltschirm schoppenweise verzapft, gratis und franko, sage ich euch, gratis und franko.«

Nun stellte er das rechte Bein vor. Da hatte er einen Schnürstiefel am Fuß. Mit einem energischen Ruck riss er das linke Bein unter seinem Gesäß heraus. Da hatte er einen Rohrstiefel am Fuß.

Vater Höhrle, in dem es vorher gekocht hatte, ein wenig nur, so wie es in einem Teekessel kocht, wurde ganz ruhig, als er dies seltsame Stiefelpaar sah. Ein kleiner Vorwurf reckte sich in seinem Gewissen und wurde ein Riese. Seit Monaten schon hatte er dem armen Mühlknecht seinen Lohn nicht auszahlen können. Nun stand er mit zweierlei Stiefeln an den Füßen vor ihm und lachte noch zu seinem Elend.

»Bastian,« rief Höhrle schmerzlich bewegt, »Bastian, sind wir so weit?«

Bastian zog seinen breiten Mund fast bis zu den Ohren und sah grinsend an seinen Hosenbeinen hinunter. Als er bei den Füßen angekommen war, platzte er lachend heraus:

»Hat schon mal einer ein Vieh gesehen mit zweierlei Beinen? Vater Höhrle, mit mir ist Geld zu verdienen, stopft mich aus und verkauft mich an einen Raritätensammler. Haha, haha, was gibt der Mordche Rimbach für ein Monstrum von meiner Sorte? Wenn’s langt, den Rauschkolb zu bezahlen, dann immer zu, Vater Höhrle, schlagt mich tot, schlagt mich tot. Ein Schwein weniger, das in eurem Troge den Rüssel badet! Für einen, dem die Kleie knapp wird, will das schon was heißen. Also nur zu, oder ihr bringt mich an den Galgen, denn, unter uns gesagt, ich habe mir vorgenommen, dem Rauschkolb sein Gesicht so ins Genick zu drehen, dass er seine Rückenwirbel zählen kann. So zu drehen, jawohl, so zu drehen, dass er über sein Sitzfleisch visieren kann, wie über den Lauf einer Doppelflinte, und was ich mir vorgenommen habe, das halte ich, halte ich, und fürchte mich nicht vor einer Krawatte aus Hanf,« und er schlug mit der Faust auf den Tisch, dass der Wasserkrug auf demselben zu tänzeln anfing und sich richtig in sein Verderben hinein und unter den Tisch tanzte.

Mit dieser kleinen Katastrophe war Bastians Wutanfall beendet, wie eben alle seine Zornesausbrüche mit einer Katastrophe enden mussten. Er bückte sich, um die Scherben zu retten, schoss aber dabei gefährlich nach vorn und puderte mit dem Mehlstaub seines Haares das faltenreiche Gesicht seines Brotherrn, so dass dieser aussah, wie seine eigene Totenmaske. Darüber erschrak denn nun wieder Sebastian Stallmann und verlegte sich aufs Lamentieren:

»Nichts für ungut, lieber Herr, nichts für ungut, seht! Ich werde euch einen Gefallen tun, der mir fünfundzwanzig Jahre Fegefeuer einbringt, euch aber so lange Geld, bis der Duellfechter Hans in einem Doktorhause sitzt und Buchenscheitholz als Wartegeld bezieht. Soll ich der Firma Groß und Moos den roten Hahn aufs Dach setzen? Soll ich das? Bei meinem Schuhwerk von zweierlei Art, das werd’ ich tun, werd’ ich tun, und wenn der Teufel mit einem Hundefuhrwerk hinter mir herläuft, um mich abzuholen. Drei Jahre haben sie gebraucht, das Schachtelwerk da unten zu errichten. Drei Jahre werden sie brauchen, um es nach dem Brande wieder aufzurichten. Drei Jahre lang werden die Bauern wieder in unserer Mahlstube hocken, und in drei Jahren wird unser Hans den Doktorhut auf dem Kopfe haben. Dann wird aus dem engbrüstigen Mühlknecht ein Kutscher mit Lackstiefeln an den Beinen.«

So sprach er in kurzen, von Schlucksen unterbrochenen Sätzen und torkelte singend zur Türe hinaus:

 
Im Kellerloch da sitzt die Maus,
Das Haus brennt lichterloh.
Ei, denkt sie, zum Teufel, wo soll das hinaus,
Schon kichert der Funken im Stroh.
Es brennt das Bett, es brennt der Schrein,
Scheu flattert die Eule ums Dach;
Nun rasch in den Rettungsgürtel hinein
Und schwimmend über den Bach!
 

Als er fort war, schlug Vater Höhrle ein Kreuz hinter ihm her in die Luft und langte nach einem zweiten Briefe, der auf dem Tische lag und eine Adresse trug mit wohlbekannter Handschrift. Wer Söhne hat, die an den Brüsten der Wissenschaft saugen, weiß, dass die Alma mater eine teure Amme ist. So wusste denn der Müller, bevor er noch das Siegel erbrach, was des Briefes Inhalt sein werde, und er zauderte ihn aufzumachen.

In diesem Augenblick trat Suse mit einer Schüssel dampfender Morgensuppe ins Zimmer und blieb erschrocken stehen, als sie des Vaters Geist am Tische sitzen sah. »Beim Himmel,« dachte sie, »er kann’s nicht sein, noch ist ja die Prozession nicht zurück, und wie kreidig er aussieht!« Wie sie aber Hansens Brief zwischen seinen Fingern bemerkte, glaubte sie zu wissen, was den Vater erbleichen machte, und trat näher. Sie stellte die Schüssel auf den Tisch und legte ihren Arm um die Schulter des tief in Nachdenken versunkenen Mannes.

»Vater,« sagte sie, »was getragen werden muss, lass uns auf vier Schultern verteilen. Warum willst du mir verschweigen, was doch die Spatzen von den Dächern pfeifen, dass wir der Wut des Rauschkolb schutzlos verfallen sind? Gib ihm kein gutes Wort, von anderer Seite naht uns des Himmels Hilfe. Im vierten Jahre schon lohnt die Rebe des Winzers Müh’, und wir haben nicht einmal mehr so lange zu warten. Hans schreibt, dass seine Studien einen guten Fortgang nehmen. Verzeih, diesen Brief da in deinen Händen habe ich gelesen, und eine, die mit uns auf die Ernte des gleichen Jahrgangs wartet. So ist Geld herbeigekommen, du hast eine Sorge los, und Hans hat sein Auskommen auf Monate hinaus.«

 

Vater Höhrle war aufgestanden und lief betreten im Zimmer auf und nieder. Dass er ein Almosen nehmen musste, das war’s, was er nicht sofort verwinden konnte. Doch nach einigem Schweigen hörte man ihn halblaut sagen:

»Der Rauschkolb, freilich, der Rauschkolb, der wird nicht warten wollen, und so werden eines Tages, wenn kein Wunder geschieht, du und ich und der Bastian unsere Habe im Zwergsack aus der Mühle tragen.«

»Wenn kein Wunder geschieht,« sagte Suse und schlug sich mit der Hand auf die Lippen. »Es geschehen Wunder,« stieß sie hervor und bereute schon im nächsten Augenblick die Worte wieder, die ihr entflohen waren.

Doch von einem Dämon zum Reden getrieben, hub sie von neuem an: »Woher denkst du, dass der Bastian seinen Rausch hatte?«

»Aus dem Weltschirm, ohne Zweifel, aber wer hat ihm die Zeche bezahlt?«

»Sieh, darin liegt es, Vater. Das ganze Dorf ist in Aufregung. Der Hofbauer von Dürellenbach war mit dem Schrot an der Spielbank. Im Wams ist der Bauer abgezogen, im Pelzmantel ist er wiedergekommen, der Protz, am heißesten Tag des Juni. Denke dir den Aufstand, als er großartig wie ein Fürst aus der Postchaise stieg, zu einer Zeit, wo die Sonne das Korn röstet, im Pelzmantel! Röse Ricke sagt, die Hunde hätten gelacht. Aber viel Geld haben die beiden mitgebracht. Seit drei Tagen holt der Wirt im Weltschirm den Wein mit Feuereimern aus dem Keller. Ach, Vater, wenn wir doch nur auch ein klein wenig Glück hätten, ein klein wenig nur.«

War’s der Glanz erträumten Goldes, der dem Mädchen in die lieben Augen schlug? Wie geblendet hielt sie die Schürze vors Gesicht und stürzte aus dem Zimmer.

Vater Höhrle war wieder allein mit seinen Gedanken. Was hatte er in den letzten Stunden nicht alles erlebt. Das lecke Boot seines Glückes trieb in Nacht und Finsternis auf dem Wasser. Da hatte er eine stolze Fregatte auftauchen sehen, die ihn retten konnte. Doch er besaß nicht die Kraft, sie durch irgendetwas an sich heranzuziehen, und sie verschwand hinter dem Horizont. Es kam eine wackelnde Schaluppe, nicht sehr fest gefügt, nicht sehr vertrauenerweckend, und warf das Schlepptau aus. Aber wer konnte sich ihr anvertrauen, da der Mann, der das Steuer lenken sollte, betrunken war. Sie ging, und eine trostlose Einsamkeit lagerte wieder um den Schiffbrüchigen. Da zwinkerte ganz hinten ein unsicheres Blinkfeuer und warnte vor Korallenriffen. Vater Höhrle ahnte die Gefahren wohl, die den Leuchtturm umlagerten, aber da sein Kurs kein anderes Ziel mehr kannte, so überlegte er, ob er nicht gleichwohl der blinkenden Helle zusteuern solle.

27. Kapitel

Alter, ehrlicher Sebastian Stallmann, was brauchst du den Mantel der Nacht, um dich zu verhüllen? Wehe dir, dass dein Vorhaben den Blick der Sonne nicht vertragen kann. Hörst du, wie der Wind warnend durch die Tannen heult? Fühlst du nicht, wie er dich am Busen packt, um dich zurückzuhalten? Siehst du nicht, wie die Eule mit den Augen der Nacht dich warnend zu durchbohren sucht?

Es scheint, dass alle seine Sinne schliefen, denn der alte Mühlknecht, der noch etwas Kopfweh hatte, als Nachwirkung seines Rausches, und nasse Füße, von wegen seines schlechten Schuhwerks, schlich am Erlengebüsch neben dem Bache hin mit einer Schachtel schwedischer Eingeborener in der Tasche. Es war kein leichter Gang, der einen ehrlichen Kerl zum Mordbrenner machen sollte, und das Gewissen hinter der Weste murrte gemeinsam mit den Wellen des Baches einer solchen Freveltat entgegen. Aber die Beine gingen doch vorwärts, obwohl auch der Wind den grauen Kopf des Frevlers mit zwei Halstuchzipfeln ohrfeigte.

»Was ich mir vorgenommen habe, tue ich,« sagte Sebastian Stallmann, »es sei denn, dass sich mir Hindernisse in den Weg legen, die ich nicht übersteigen kann,« fügte er vorsichtig und nicht ohne stille Hoffnung, dass sie kommen möchten, hinzu. Der Weg zur Dampfmühle war ja noch lang, und er war gefahrvoll, weil er nicht die Straße war, die der Mann der Ordnung geht. Man konnte ein Bein brechen. Man konnte an einer Stelle, wo der Bach ein wenig wartet und sich ausschnauft, in einen tiefen Tümpel fallen, und die Schweden konnten nass werden. Oder es konnte ein Hase über den Weg laufen. Dann, ja dann war eben nichts zu machen, und die Dampfmühle blieb vorläufig stehen.

Im Stillen hoffte der Mühlknecht, dass so irgendetwas sich ereignen möchte, aber aufgeschoben war dann noch lange nicht aufgehoben. Er fühlte in sich den Beruf, die Dynastie Höhrle zu retten und wenn er wie ein zweiter Marcus Curtius in den Abgrund springen musste. So ging er weiter, bis zu einer Stelle, wo ein Wiesenpfad den Lauf des Baches kreuzte und dem Wanderer mittels eines Brettes trockenen Fußes ans andere Ufer des Olfenbaches half. Hier konnte ihm jemand begegnen; das war gefährlich, weil es ihn nachträglich verdächtig machen musste. Hier hätte er eigentlich eilig vorübergehen müssen, und doch blieb er stehen, weil ihm schon beinah jeder Grund willkommen war, der sein Vorhaben hinausschob. Es kam aber niemand, und Sebastian Stallmann setzte seinen Weg fort.

Der Himmel schickte ihm allerlei phantastische Wolken entgegen, die unförmlich wie dicke alte Weiber aussahen. Der Mann mit dem bösen Gewissen sah furchtsam zu ihnen empor, als traue er ihnen nichts Gutes zu, und als sie einen Tropfen fallen ließen und ihm gerade ins Gesicht, da wischte er mit dem Ärmel die Nässe von der Wange und die quälende Unentschlossenheit aus seinem Herzen.

»Was bin ich doch für ein Tor,« sagte er zu sich selber, »in jedem Augenblick kann es anfangen aus Brunnenröhren zu gießen. Wer wird bei solchen Aussichten, die einen Kohlenbrenner um das Leben seines Meilers bangen lassen, einen Brand legen wollen. Was ich mir vorgenommen habe, das tue ich, tue ich, und niemand soll mich daran verhindern. Aber heute gerade braucht es nicht zu sein.«

Mit solchen Gedanken im Kopfe und Wasser in dem zweierlei Schuhzeug, drehte er sich um und kam eine Viertelstunde später wieder bei der Mühle an.

Während der Mühlknecht zur Hintertüre hinausgeschlichen war, hatte der Müller durch die Vordertüre das Haus verlassen. Auch sein Weg ging nach einem schlimmen Ziele, und er brachte Schlimmeres heim als nasse Füße. Auch ihn hielt der Aufruhr der Elemente nicht zurück, ja, er war ihm sogar erwünscht, weil er mit feuchtem Besen die Menschen von der Straße fegte.

Bei Mordche Rimbach die Treppe hinauf, das war ein Aufstieg, bei dem schon mancher den Hals gebrochen hatte. Vater Höhrle nahm die Stufen, kam vor die Bodenkammer und sah ein Licht durch ein Schlüsselloch gucken, gerade so, als ob es sagen wollte: »Nun greif ein wenig über mich und du hast die Klinke.«

Der Wanderer in Nacht und Dunkel ließ sich von dem matten Schimmer zurechtweisen und stand plötzlich im Zimmer des Mordche Rimbach einem Manne gegenüber, den er da nicht gesucht hätte. Vater Höhrle wusste, und alle Welt weiß es, dass Heinz Wohlgemuth, nachdem seine Frau sich an das Wasser gewöhnt hatte, nach Amerika ausgewandert war. Leider waren sie drüben nicht angekommen. Der Segler, der so viele hochgespannte Erwartungen trug, brannte mitten auf dem Atlantischen Ozean bis auf den Wasserspiegel nieder und versank. Nur wenige der Passagiere wurden gerettet, darunter Heinz Wohlgemuth, der als Witwer den Strand der Elbe wieder betrat, um vorerst in einem Spital zu Hamburg zu verschwinden. Die Zeitungen hatten das trübe Geschick, dem die »Austria« zum Opfer gefallen war, aller Welt verkündet, und Vater Höhrle und sein ganzes Haus hatten den Untergang des Heinz Wohlgemuth und seiner Gattin gebührend betrauert.

Nun stand der Ertrunkene da, wie aus der Erde gewachsen. Das war etwas, was der Müller nicht begreifen konnte, und er hob an der rechten Seitennaht ein paar Mal verlegen das Hosenbein und ließ es wieder fallen.

Mordche Rimbach, der in einem geflickten Ledersessel inmitten einer Hochflut von Papieren, die ihn zu ersäufen drohte, vor seinem Schreibtisch saß, schob die Hornbrille auf die Stirn, um den Gast zu mustern, der diese Aufmerksamkeit verdiente, schon um deswillen, weil er mit seinem Anliegen zu so später Stunde gekommen war.

»Gott der Gerechte,« rief Mordche Rimbach, »bin ich das jüngste Gericht, ist mein Kontörchen das Tal Josaphat, erleben wir zusammen die Auferstehung des Fleisches? Vater Höhrle, dich sucht der Gerichtsvollzieher, Heinz Wohlgemuth, dich vermutete man im Bauche der Haifische. Nun steht ihr da um Mordche Rimbach herum wie Geister, zurückgekehrt aus dem Schoße Abrahams, und verlangt, dass ich mich nicht soll fürchte vor euch und in der Finsternis, die gelagert ist aufs neue über dem Lande Gosen. Geist von Heinz Wohlgemuth, du warst zuerst da. Sag, was verlangst du von einem alten ehrlichen Jüd?«

»Das Geld für den Schiffsakkord will ich zurückholen,« sagte der Totgeglaubte. »Weder mich noch meine Frau habt ihr ans Ziel gebracht, ’s ist billig, dass ihr mir das Fahrgeld zurückerstattet für sie und mich.«

Mordche Rimbach sah den Sprecher verdutzt an. Ein solcher Fall war ihm in seiner Agentenlaufbahn noch nicht vorgekommen.

»Wie heißt,« sagte er nach einigem Nachsinnen, »du bist wieder diesseit des Ozeans, aber kannst du wissen, wo deine Frau ist? Sieh, Jonas, der Prophet, war im Bauche des Wallfisches und wurde ans Land gespien, wer weiß, vielleicht ist deine Käthe jetzt wohlbehalten in Amerika.«

»Was,« sagte Heinz Wohlgemuth, »kein Geflunker, mausetot ist sie wie ein Sargnagel,« und drehte sich um. Da fiel sein Blick auf ein Bild, das mit vier Schuhnägeln an die Wand geheftet war und ein Schiff in Flammen darstellte. Aus dem Mast- und Segelwalde leckten feuerrote Zungen an dem Berliner Blau eines unbarmherzigen Himmels, der über dem Schweinfurter Grün der unendlichen See seinen Bogen spannte.

»Da schau her,« schrie Heinz Wohlgemuth, »da geht eben meine Frau unter; ich kenne sie an dem roten Mieder,« und er legte den Zeigefinger unter das Konterfei eines mit den Wellen kämpfenden Weibes.

»Bei Gott,« sagte der Jude, »der Beweis der Wahrheit ist dir, ohne dass du eines Rechtsverdrehers bedurft hättest, gelungen. Das Bild der niedergebrannten Austria sagt zu deinen Gunsten aus. Du erhältst dein Geld zurück in bar, oder wünschest du, dass ich es dir anlege?«

»Bin Manns genug für mich selber zu sorgen. Das Geld heraus, schon weiß ich, was ich damit anfangen werde. Ich hab’ es satt, mit barfüßigen Händen durchs Leben zu gehen. Kann ich nicht auch Glacéhandschuhe tragen wie der Schrot und einen Pelzmantel wie der Hofbauer von Dürellenbach? Beim Pfeifenkopf meines Großvaters, wer nichts wagt, gewinnt nichts. Sobald der Schrot zur Spielbank geht, bin ich dabei. Der Bauer ist an mir verloren; wenn ich kein Herr werden kann, zum Knecht bei Groß und Moos reicht’s immer noch.«

Damit nahm er sein Geld und seine Mütze, machte die Pantomime, als ob er seine Finger in neue Handschuhe zwängen müsste und schlug nicht ohne einen Anflug von Großartigkeit die Türe hinter sich ins Schloss.

Nun, da Mordche Rimbach mit Vater Höhrle allein war, nahm der Hebräer ihn bei der Hand, drückte ihn in den alten Lederstuhl und stellte sich ihm gegenüber, so, dass der grüne Lampenschirm sein Gesicht überschattete, während das Antlitz des Müllers im vollen Glanze des rotglühenden Dochtes leuchtete. Derart lag der herabgekommene Müller für den geriebenen Menschenkenner gleichsam auf dem Objektträger eines Mikroskops, und ob er mit dem rechten oder linken Auge durch den Tubus glotzte, der Jude sah alles vergrößert und deutlicher. Beim ersten Blick schon hatte er entdeckt, dass die Runzeln im Gesichte seines Gastes energischer geworden waren und Schatten warfen über benachbarte Täler, in denen sich der Kummer versteckte, wie schwarzgeränderter Junischnee in den Schrunden eines Gebirges. Das aber war auch das einzige, was in diesem Antlitz an Sonnenwirkung erinnerte, sonst sah alles nach einer wüsten Novemberlandschaft aus, die grauen Stoppeln des Bartes, die strähnigen Haare, die da herumhingen wie Hopfenzweige im Winde. Ein Lavafeld, ein ausgebrannter Weltkörper konnte nicht trostloser aussehen wie dieses Menschenantlitz. Mordche Rimbach war nicht ohne Mitleid, und in kurzen Momenten, wo seine trockene Seele sich mit anderem beschäftigte als mit Soll und Haben, konnte er jeden bedauern, dem das Schicksal übel mitspielte. So lag auch jetzt in dem scharf geschnittenen Adlergesicht ein Schatten des Bedauerns mit dem bankrotten Müller, der so vernichtet vor ihm saß, inmitten all der kleinen Mehlsäcke, auf denen die Firma Groß und Moos so protzig aufgetragen war.

 

Das Auge des Vaters Höhrle hing am Boden, er sah nicht die lauernden Züge des Juden und nicht den Wust von Waren, der um ihn aufgestapelt war, von abgelegten Ofengabeln beginnend und hinaufreichend bis zu defekt gewordenen Kronleuchtern. Zuweilen ging über das Antlitz des Mannes in dem schäbigen Lehnstuhl eine konvulsive Bewegung, als ob er etwas herunterschlucke, dann war wieder alles still und leblos.

Mordche Rimbach sah auch dies. Er wusste, dass die Menschen zu schlucken anfangen, wenn etwas heraus soll, was doch den Weg ans Licht nicht finden kann. O, er hatte dieses Phänomen studiert viel hundertmal hier hinter der Lampe mit dem grünen Schirm, auf dem Objektträger aus fettglänzendem Saffianleder. Wie ein Vivisektor stand er da und schaute kalt und gescheit in die auf einem Jammerbrette aufgeschnallte Seele wie in die geöffnete Bauchhöhle eines Versuchskaninchens. Er wusste, nun würde es bald kommen. Noch ein Schlucken, noch ein Zucken der mageren vorspringenden Halsmuskeln, dann ein Räuspern, und dann das erste Wort, der erste Tropfen des Stauwassers, das über das Wehr bricht, um Mordche Rimbachs Wiese zu befruchten.

»Das Stückchen Wald!«

»Das am Ammerteich?«

»Es stehen noch einige sehr schöne Eichen darauf!«

»Meinetwegen, weil Ihrs seid, obwohl ich bei meiner Seele nicht weiß, was damit anfangen.«

Jetzt trat der Jude hinter dem grünen Lampenschirm hervor, bückte sich und zog die Schublade eines wurmstichigen Schreibtisches. Ein gedrucktes Formular ersparte die Mühe langer Schreiberei. Vater Höhrle unterschrieb, war den Rest seines Waldes los und hatte eine Rolle Geld in der Hand.

»Noch ein Wort, Vater Höhrle. Folgt jetzt wenigstens dem Rate eures alten Hofjuden. Tragt euer Geld nicht hinter dem des Heinz Wohlgemuth her.«

Die Nacht hatte mit Sturm und unruhigen Wolkenzügen begonnen. Vielleicht war das noch so, vielleicht war es auch anders geworden. Der Mann, der mit der Faust in der Tasche und mit dem Geld in der Faust auf die Mühle zuschritt, sah nichts von der Stimmung der Nacht. Er fühlte, dass er wie einer, der mit der Lawine über den Felsen stürzt, für den Augenblick des Absturzes wenigstens Luft habe, und er atmete tief auf, wenn er auch wusste, dass die nachstürzenden Massen ihn ersticken mussten.

Der nächste Morgen brachte zunächst die Sonne, die vier Uhr dreißig Minuten programmäßig aufging, dann den Gerichtsvollzieher, der eine Stunde später kam und beim Weggehen den Vater Höhrle mit Ehrfurcht grüßte, wie er es lange nicht mehr getan hatte. Dann einen Geflügelhändler mit seinen Körben, der berichtete, dass gegen Mitternacht in Langenthal zwei Scheunen niedergebrannt seien.

»Verfluchte Kerle, sollten sie doch??« murmelte Sebastian Stallmann voller Misstrauen und drückte die modernen Normänner in seiner Tasche, die heute die Welt mit Feuer überziehen, dass sie knackten.

Другие книги автора