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Die Mühle zu Husterloh

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19. Kapitel

Ach, es waren dazumal arme, ausgehungerte Zeiten, die den Bauer erbärmlich drückten. Die Lasten hoch, das Einkommen gering, die Gesichter vergrämt, der Gang schlaff und energielos. Die Berge mussten das grüne Kleid ihrer Wälder hergeben, es wurde zu Geld gemacht, das Geld rollte davon, und nun standen die nutzlos geschorenen Höhen kahl und öde da. Der Regen riss Furchen in sie hinein, und so sahen sie gealtert und heruntergekommen aus wie die Menschen, die zwischen ihnen wandelten. Scharen von Männern, ein kleines Bündel in der Hand, zogen am Montag weg zur Arbeit in die benachbarten Städte, am Samstag kamen sie wieder, um etwas Geld zu bringen und einige Stunden lang Familienglück zu genießen. Einige, mutiger als die anderen, sagten: »Schlechter kann es nicht werden,« und wagten sich in die Welt hinaus, nach Amerika, nach Australien.

Auch Heinz Wohlgemuth wollte auswandern. Er hatte sein armes Bauerngütchen nebst den zwei Kühen losgeschlagen und war zu seinem Bruder gezogen. Seiner Frau war schier das Herz gebrochen, als sie von ihren Kühen Abschied nahm. Nun saßen sie da, hatten nichts zu tun, als auf den Termin zu warten, an dem der neue Besitzer den Kaufpreis zahlen sollte. Das Herz von Käthe Wohlgemuth war zerrissen. Der Schmerz um die Kühe, die sie verloren hatte, quälte sie, und die Angst vor dem großen Wasser, über das sie reisen sollte, tat das Gleiche. Es gab Szenen zwischen ihr und dem Manne. Heute wollte sie gehen, morgen wieder nicht.

»Was ist da zu machen,« sagte ihr Mann, »ich kann das Meer nicht aussaufen und dich trockenen Fußes hinüberführen.«

In seiner Not fragte er einmal Röse Ricke, was er tun solle.

»Weißt du was,« sagte diese, »du musst sie an den Anblick des Wassers gewöhnen, ich will ein paar Mal mit ihr nach Worms fahren, da ist der Rhein, ein respektables Gewässer, da kann sie sich ein Bild machen, und ihre Scheu verliert sich.«

So fuhren sie ein paar Mal mit Erfolg nach Worms und zurück. Käthe Wohlgemuth wagte sich auf die Schiffbrücke, auf eine Baggermaschine, die am Ufer lag, zuletzt sogar in einen Nachen. Das war ein Tag erzieherischen Triumphes für Röse Ricke.

»Hab’ ich dir nicht gesagt: Die Sache lernt sich. Schließlich kann man alles, was man will. Nun sieh dir die Leute an, die eben mit dem Schiff vorüberfahren. Da raucht einer Pfeif’, da trinkt einer eine Flasche Wein. Sehen die aus, als ob sie wassersüchtig wären und vor hätten zu ertrinken? So machst du’s auch, wenn du auf dem Wasser bist. Die Seefahrt nimmt ein Ende, denn wie ich so schätze, wird das Meer kaum zehn bis zwölfmal breiter sein als der Rhein, den du vor dir siehst.«

Damit wandten sie dem Wasser den Rücken und das Gesicht dem Eisenbahnzug zu, der im Rosengarten stand, um nach der Bergstraße abzudampfen. Röse Ricke war eine mitteilsame Natur. Vielleicht hätte sie Millionen verschenkt, wenn sie solche gehabt hätte, da dem nicht so war, musste sie sich begnügen, alle Welt an ihrem Wissen teilnehmen zu lassen.

Es war ein Mann zu ihnen ins Coupé gestiegen in einer Uniform von der Farbe einer Postanweisung, mit einer Dienstmütze auf dem Haupte. Röse Ricke machte eine ganze Bank frei, zum Zeichen, dass sie die Ehre zu schätzen wisse, mit einem Beamten fahren zu dürfen. Zuerst traute sie sich nicht recht an ihn heran, beguckte ihn von oben bis unten, sah aber schnell zu Boden oder auch nach der Lampe an der Decke, wenn sie merkte, dass er ihrem Blicke zu begegnen suchte. Als sie aber wahrnahm, dass er seine Nase zum Fenster hinaus schnäuzte, kam ihr der Uniformierte menschlich näher. Sie fragte, ob er der Kreisrat sei?

Er sagte: »Nein, nur Bahnbeamter.«

»Aber mit großem Einkommen,« forschte sie indiskret, »so schöne Kleider kosten Geld.«

»Die stellt der Staat,« war die knappe Antwort.

»Ja, wer so den Staat hat, der ihm alles besorgt, ist gut daran. Schließlich braucht einer sich nicht einmal eine Frau zu suchen, die liefert wohl auch die Verwaltung?«

Mit dieser Bemerkung machte Röse Ricke den Versuch, witzig zu werden. Der Beamte tat ihr auch den Gefallen zu lachen und sah sie mit intimem Schmunzeln an. Damit hatten sie sich einander enthüllt, und die Serie der Vertraulichkeiten war eröffnet. Nun bogen sich die Köpfe geheimnisvoll tiefer, und Käthe Wohlgemuth hörte außer gelegentlichem Zischen und Schnalzen nur wenige Brocken, die sich ihr nicht zu einem Gedanken runden wollten.

»Ja, in der Tat vortrefflich, ganz vortrefflich.«

»Mittel?«

»Ja, aber nicht gerade viel, dagegen gute Hausmannskost, keine zweite unter der Sonne.«

»Stark?«

»Nicht eben … rund und hart wie eine Eichel.«

»Würde passen, wenn nicht zu hochnäsig.«

»Keineswegs, ein wenig kurzatmig am nervus rerum, kann nicht zu hoch steigen wollen.«

»Gut, der Sache nähertreten.«

Das Gespräch der beiden wurde zuletzt so eifrig, dass sich die Worte sprudelnd über die Lippen drängten und Speichel mitrissen, der stäubend die Umgegend netzte und Käthe Wohlgemut in die fernste Ecke drängte. Da, plötzlich gab es einen Ruck. Röse Ricke und der Bahnbeamte stießen richtig die Köpfe widereinander wie spielende Lämmer auf der Weide. Sie sahen sich grinsend an und lachten. Da stand der Zug und eine Stimme rief: »Lorsch«.

»Da muss ich heraus,« sagte der Uniformierte und drängte sich aus der Tür. Röse Ricke erhob sich, gluckste und kollerte wie ein Zwerghühnchen und rief dem Manne zu: »Auf Wiedersehen!« Da ging der Zug weiter.

Käthe Wohlgemuth sah zum Fenster hinaus und hatte im Vorblick das Städtchen Heppenheim.

»Was ist das für ein langes Gebäude da drüben,« fragte sie.

»Eine Irrenanstalt für einige wenige Verrückte,« war die Antwort, »die meisten laufen noch frei herum.«

»Der Ansicht bin ich auch,« sagte Käthe Wohlgemuth, »wenn alle drin wären, die hineingehören, so würde ich allein im Coupé fahren. Sag’ einmal ehrlich, Ricke, hast du dem Menschen da deine alte Kuhhaut aufschwätzen wollen, oder treibst du sonst einen Fellhandel?«

»Zu dienen,« sagte die weise Frau, »um einen Kuppelpelz zu verdienen. Wer arm ist, muss alles mitgehen heißen.«

Damit war die Unterhaltung abgebrochen, und Käthe Wohlgemuth grübelte still für sich hin und suchte sich ein Bild zu machen, wie manche Leute es anstellten, sich in der Heimat durchzubringen, und dann nicht über das schreckliche Wasser brauchten.

Am nächsten Morgen saß Röse Ricke in der Mühle am Tisch, eifrig bemüht, irgend eine Kleinigkeit, die ihr zwischen die Zähne geraten war, mit dem Fingernagel herauszustochern. Ihr gegenüber saß Liese und hörte mit Aufmerksamkeit zu, wenn die geschwätzige Alte loslegte:

»Du solltest dich nicht bedenken, er ist ein Beamter, einer von den allerhöchsten, wie mir scheinen will.«

»So, zu welcher Würde könnte er mich erheben,« sagte Liese gut gelaunt, »was hat er für einen Titel?«

»Was er für einen Kittel hat? gerechter Himmel, gar keinen. Er hat einen Rock mit umgelegtem Kragen und Messingknöpfen darauf. Auch hat er Hosen mit Passepoil in der Naht, und was er in diesen Hosen befehlen tut, das müssen die anderen tun.«

»Soweit lässt die Sache sich hören, wie steht’s, Röse, die du ja alles weißt, hat er ein großes Einkommen, oder ist er reich?«

»Unverschämt reich muss er sein. Sein Vater ist von Bibelried, die Mutter ist von Winterkasten. Halt, da fällt mir zum Glück auch ein, was er ist. Man nennt’s Meuchelmörder.«

»Meuchelmörder,« lachte Liese laut auf, »also Frau Meuchelmörder, nicht übel Röse. Solltest du nicht vielleicht falsch gehört haben, und er wäre Weichenwärter?«

»Na, meinetwegen Weichenwärter? Übrigens Meuchelmörder oder Weichenwärter, prinzipiell kann das kein großer Unterschied sein. Die Hauptsach’ ist, dass all die andern tun müssen, was er sagt. Er ist der Gebieter.«

Mit dieser Unterredung war ein Verfahren eingeleitet, das Liese nach einigem Hin und Her unter die Haube brachte.

»Ein wenig unter ihrem Stand,« sagten die Leute, »das hätte ihre Mutter nicht überlebt.«

»Der Mann steigt noch,« sagte Röse Ricke. »Er ist in der Glückshaube geboren, er erbt auch noch, wenn der Großmogul der Mongolei stirbt.«

So war denn in der Mühle, wo das Futter knapp wurde, eines von der Raufe weggekommen, aber die Gehende hatte einiges mitgenommen. Vater Höhrle musste die Axt in seinem Walde wüten hören, und wenn einer von den Fichtenriesen niederstürzte, dass die Erde bebte, so bebte auch er. Weit weg von seinem Hause, in einem entlegenen Wiesentale, schnitt er Weiden. Die Klagen, die sein sterbender Wald ausstieß, zerschnitten ihm das Herz.

20. Kapitel

Nickel Lulay, genannt der Backnickel, hatte das Bäckerhandwerk gelernt. Er verstand es aus dem ff, den Teig zu kneten und zu walken, zu salzen und mit Hefe zu versetzen, nur ließ ihn sein Meister nicht schießen, weil er mit dem rechten Auge in die linke Westentasche sehen konnte und gleichzeitig umgekehrt mit dem linken in die rechte. Das war’s, woraus der ungerechte Mann den verfänglichen Schluss zog, sein Lehrling habe kein Augenmaß, und das Brot würde an den Rändern grindig, wenn er ihm den Backofen anvertraue. Auch konnte er nicht lange stehen, denn sein Untergestell war etwas kreuzstöckig geraten, so zwar, dass Klaus Priester seine Konfirmandenhosen über einen Sägebock arbeitete und stolz auf sein Kunstwerk zu seiner Gattin sagte: »Mariann, die werd’n recht, bis die Knöpf’ noch dran sind.«

Es war also wenig Aussicht, dass der Backnickel unter sotanen Umständen sein Meisterstück machen und selbständig werden könne. Deshalb trat er eines Tages vor seine Mutter und erklärte: »Er wolle einmal die Erdkugel unter die Füße nehmen. Entweder käme er mit einem Zylinder auf dem Kopfe wieder oder nie mehr.«

 

Seine Mutter weinte und suchte ihm das Wagestück auszureden. Er blieb bei seinem Entschluss und wanderte eines Tages, den Berliner, aus dem rechts ein Pantoffel, links eine Schuhbürste neugierig ins Land hineinsahen, auf dem Rücken, zum Tore hinaus. Er schrieb nicht. Er schrieb um alle Welt nicht und ließ seine Mutter und sonst jedermann im Unklaren, ob er diesseits oder jenseits des Äquators weile. Endlich nach acht langen Wochen kam ein unfrankierter Brief, der seine Mutter einen Augenblick in Verlegenheit brachte, denn sie hatte neben dem Mangel an großem zur Stunde auch kein kleines Geld im Hause. Und doch hätte sie für ihr Leben gern gewusst, was in dem Briefe stehe.

Sie nahm einige Eier in die Schürze und eilte zum Krämer Schütteldich. Unternehmend wie der war, kaufte er den ganzen Vorrat, und die arme Frau konnte vom Postamt den Brief ihres geliebten Backnickels abholen. Es sei zum voraus bemerkt, dass er kein Geld enthielt, und nur die kurze Bemerkung, er weile für einen Tag in Bonames, weil er sich seine Stiefel sohlen lasse. Sei dies geschehen, so werde er nordwärts wandern, so lange, bis er nichts mehr fände, worauf er treten könne. Das war nicht viel, was der Brief sagte, aber es war doch ein Lebenszeichen, und wenn man nur erst wusste, wo Bonames lag, so hatte man doch ungefähr eine Ahnung, unter welchem Sternbild der Verwegene weilte.

Frau Lulay wandte sich an einen, den man den Hausleerer nannte, weil er vordem ein Gerichtsvollzieher war. Der Mann lebte von einer kleinen Pension und besaß einen Globus, auf den bei einer Zwangsversteigerung kein Mensch geboten hatte. Dass man diese »Welt überhaupt« um ihre Achse rollen konnte, das war’s, was dem Gerichtsvollzieher a. D. manche vergnügte Stunde bereitete und ihn in den Ruf brachte, er beschäftige sich mit geographischen Problemen.

Frau Lulay legte ihm die Frage vor, wo Bonames liege? Der Hausleerer drehte seinen Globus, beguckte ihn, fand aber den Namen nicht. »Eine Hauptstadt,« meinte er, »wie London oder Moskau kann es nicht sein, das sei sicher, das andere aber sei ebenso sicher, dass es nicht zwischen Frankreich und dem Böhmerwald liegen könne, dafür klinge der Name doch zu barbarisch. Vielleicht sei es ein kleines Pfarrdorf in Samarkand da herum.«

Was war nun da zu machen, man konnte keinen Steckbrief hinter dem Backnickel herjagen und musste sich gedulden, bis es ihm belieben würde, die Welt wieder einmal mit einem Hofbericht über sein Befinden zu beglücken.

Es dauerte einige Wochen, und es erschien ein neuer Brief, abermals unfrankiert. Frau Lulay schloss daraus, dass im Geldbeutel ihres Sohnes Ebbe herrsche, und dass sich seine Rückkehr mit Zylinder noch etwas hinausziehen werde. Sie bezahlte das Strafporto und erhielt als Gegenleistung ein seitenlanges Schreiben.

»Liebe Mutter!

Dass man mit krummen Beinen weit kommen kann, wenn man nur unverdrossen eins ums andere Walzer tanzen lässt, kannst Du aus dem Poststempel sehen. Beinah schon bin ich am Ende des Hessenlandes. Seine letzte Stadt habe ich erreicht und denke, hier liegen zu bleiben, und habe Arbeit genommen. Die Straßen sind krumm, und es gehen auch viele Studenten müßig dadrin herum. Auch dem Hans Höhrle bin ich begegnet. Er ist ein feiner Herr und hat ein gesticktes Käppchen auf seinem Kopf, wie jener Kirchweihaff, von dem ich haben wollte, dass Du mir ihn kaufen solltest. Hinter ihm her lief ein abscheulich großer Hund, so groß, wie bei uns ein rechtschaffenes Kalb, so dass ich nicht ganz sicher bin, ob es ein Hund ist oder sonst ein Rindvieh, wie’s bei uns keines gibt. Der Hund kommt in der biblischen Geschichte vor in der Nähe von den drei Jünglingen im Feuerofen, nur war’s damals kein Hund, sondern ein König. – Jetzt fährt mir sein Name als im Maul herum, aber ich kann nicht drauf kommen. – Der Hans ist aber – trotzdem er ein so feiner Herr ist – gegen mich sehr gemein gewesen. Er hat mich mitgenommen auf die Kneip zu seine Kumpane. Da sitze an die dreißig, vierzig und habe rote Wämser an mit bunte Schnüre dran. Herr Gott, könne die in denen Jacken saufe. – Beinah wär mir ebe der Name von dem Hund eingefalle, nun ist es wieder nichts – ’s Bier hat nichts gekost! Sie habe gesagt: Es wär dem Hans sein Examenssatz, weil er gerad eine Prüfung bestanden hätte, was sie Physikum heißen. Wie mer nachts heim sind, habe mich zwei geschleift. Auf einmal habe die Gläser in einer Laterne gerappelt, da sind die zwei durchgegange und habe mich liegen lasse. – Herrgott, wenn ich nur wüsst, wie der Hund heißt – Zwei Polizeidiener sind komme, und einer von dene hat gesagt: ›Das ist das Schwein.‹ ›Nein, sag’ ich, Schwein ist das keines, ich heiße Nickel Lulay. Schwein ist’s, wenn einer voll ist und doch ganz heim kommt. Wenn’s einem geht wie mir, so ist das Pech.‹

›Wie die Dinge jetzt weiter laufe, so logierst Du heut Nacht auf der Wache, und was eine Laterne kostet, das wirst Du morgen erfahren.‹ – Der Hund heißt: – – da, nu ist mir der Name doch wieder ausgeschlitzt. – Den Hans Höhrle hab ich von weitem als noch manchmal gesehen, aber ich bin ihm ausgewichen. Ich hab mich geniert, von wegen dem Rausch. Nur neulich, als ich im Philosophewald spaziert bin, da steht er plötzlich da unter einem Haufen Leuten, was sie hier Corona heißen, und ist mit Binden ganz verwickelt, so dass er aussieht, als ob er Hasen vom Krautfeld scheuchen wollte. Gleich drauf ist’s losgegange. Sie habe einen Duellzweikampf gemacht. Der Hans mit seim Säbel hat um sich geschlage, wie a Windmühl, aber ’s hat nichts genutzt, zu dritt habe se auf ihn geschlagen. Er hat geblut wie ‘ne Sau. Ich aber war stolz auf mein Landsmann, dass er sich vor dreien nicht gefürcht hat, und die andern, ich sag Euch, die haben auch ihr Teil kriegt. Neuigkeiten gibt’s hier keine, außer, dass die Welt doch viel weitläufiger ist, als wie mer sich das daheim so vorstellt, womit ich bleibe Dein geliebter Sohn

Nickel.

Apropos: Der Hund heißt Holofernes, das ist aber noch gar nichts demgegenüber, was hierzulande eine Gaslaterne kostet.«

Mit diesem Brief ging Frau Lulay zunächst zum Herrn Gerichtsvollzieher a. D. und machte ihm Vorwürfe, weil er ihr vorgeschnackt hatte, ihr Sohn könne da um Samarkand herum sein, während er tatsächlich noch im Hessenlande weilte.

Der Mann sagte: »Kam nicht sein vorletzter Brief von Bonames?«

»Doch, aber das liegt doch bei Frankfurt und nicht bei Samarkand. Was sollte er sich dorthin bemühen? Kamele kaufen? Die gibt’s hier auch.«

»Ich hoffe, Sie vermeiden Anzüglichkeiten, Frau Nachbarin.«

»Das hoffe ich auch,« rief Röse Ricke, die eben zwischen die beiden trat und vor Frau Lulay einen Hofknix machte.

»Ihr Diener, meine Gnädige, wie weit haben die kreuzstöckigen Bäckerbeine den Backtrog ihres Herrn Sohnes bereits getragen?«

»Jesses, kann sich das Känguru en Anstrich geben,« sagte Nickels Mutter, »nun auf von den langen Haxen und ins Dorf hineingehupft, du Beuteltier, damit die Neuigkeit rasch in der Umgegend herumkommt,« und sie überreichte der Neugierigen das Schreiben.

Röse Ricke las und wurde zusehends zappliger. Plötzlich ließ sie den Brief fallen, fasste mit beiden Händen ihre Röcke seitlich der Schenkel, und geschmeidig wie ein Wiesel, schlüpfte sie zur Türe hinaus.

In der Mühle war gegen Abend Gerichtstag. Der Angeklagte war nicht erschienen, aber er konnte in absentia verurteilt werden. Vater Höhrle mit dem stillen, schwermütigen Richtergesicht saß im Lehnstuhl. Röse Ricke, aggressiv wie immer, ging auf und ab. Sie schien den öffentlichen Ankläger vorstellen zu wollen. Agnes saß gedankenvoll da und suchte nach mildernden Umständen, und Suse sah fast objektiv aus, wie einer, der den Tatbestand zu Protokoll nimmt. Man sprach nichts, denn die Verhandlungen sollten erst beginnen, wenn Onkel Schütteldich anwesend wäre. Dieser kam endlich, offenbar in der friedfertigsten Stimmung, denn er hatte seine lange Pfeife mitgebracht und rauchte wie der Backofen eines kleinen Mannes um Pfingsten. Kaum war er da, so legte Röse Ricke los:

»Hinter dem hab ich gleich nichts Gutes gesucht. Er brachte so brutale Fäuste mit auf die Welt.«

»Wer weiß, was geschehen ist,« sagte Agnes, »es gibt Dinge, die ein Rechtschaffener sich nicht bieten lässt. Als er den Rauschkolb schlug, hat ihn niemand verurteilt.«

»Das Duell ist vom Gesetz und von der Kirche verboten, und warum fängt er gleich mit Dreien an?« eiferte Ricke.

»Unsinn,« fiel Onkel Schütteldich ein, »was versteht so ein Teigaffe vom Zweikampf. Da lasst mich reden. Einer gegen drei, das gibt’s nicht, daher der Name Zweikampf. Als ich noch bei Landfried in Heidelberg lernte, kam ich öfter mit Schnupftabak zu Tante Minchen auf die Hirschgasse und hab’ vom Hof durchs Fenster gesehen, wenn die Studenten Duell fochten. Zwei kämpfen miteinander mit blanken Klingen, und zwei andere sekundieren.«

»Ja, aber wenn’s keiner merkt, hauen die auch drauf. Weshalb hätte sonst Hans geblutet wie eine Sau – mit Verlaub zu sagen – mit einem allein hätt’ der es aufgenommen.«

»Rede vom Kartoffelsieden, Röse, es kann sein, dass du auch das nicht verstehst, aber man traut dir darin doch eher ein Urteil zu. Es hilft nichts, ich muss die Sache vor euer Auge führen, damit’s der Verstand begreift,« sagte Onkel Schütteldich, schraubte bedachtsam das lange Pfeifenrohr aus seinem Wassersack, dann suchte er nach der Elle, und damit alles perfekt werde, bewaffnete er Suse mit dem Kehrbesen und Agnes mit der Ofengabel.

»So,« sagte er; »Vater Höhrle stellt die Corona dar, Agnes und Suse sind die Sekundanten. Röse ist der eine Paukant, ich der andere und zugleich der Unparteiische. So Röse, nun die Klinge hoch, so wie ich. Der Unparteiische bietet zunächst: Silentium, für einen Gang Schläger ohne Mützen und mit Binden und Bandagen. Sobald es dann aber ›los‹ heißt, beginnt der Kampf.«

Röse Ricke in ihrem Kampfeseifer hatte den Erklärungen wenig Gehör geschenkt. Sie war aufgerückt und hatte mit der Elle dem Onkel Schütteldich eine Quart aufs Pfeifenrohr geschlagen.

»Halt,« schrie dieser.

»Warum halt? Herr Unparteiischer, drüben vor ›los‹ angeschlagen?«

»Jawohl. Bitte den Gegenpaukanten zum ersten Male zu monieren.«

Man sieht, Onkel Schütteldich hatte in diesem sonderbaren Zweikampf bereits drei Rollen. Nun übernahm er noch die des Stiefelfuchses und schob Röse mit der Elle wieder hinter den Mensurstrich zurück.

»Herr Unparteiischer, von unserer Seite kann’s weiter gehen«, rief er sich zu und kommandierte ›los‹ für sich und Röse. Diesmal war er vorsichtiger, und als der Gegner die Klinge hob, fuhr er blitzschnell mit einem Durchzieher unter dieser her und Röse mit der Pfeifenspitze ins Gesicht. Vielleicht ist, seitdem die Welt steht, niemals ein schönerer Durchzieher geschlagen worden, und es ist gut, dass er die Spur seines Dagewesenseins zurückließ. Von Röse Rickens Ohr nämlich bis in den Mundwinkel lief eine Zeichnung, die mit der Bügelfalte eines Hosenbeines einige Ähnlichkeit hatte.

»Das Vieh macht ernst,« schrie Röse Ricke und spuckte etwas Blut und einen klingenden Gegenstand auf den Boden. Wie schade, der eine Stoßzahn, der nun schon seit Jahrzehnten auf der Unterlippe getanzt hatte, war dem Verhängnis zum Opfer gefallen. Als Röse Ricke sich dieses Verlustes völlig bewusst wurde, verließ sie der Komment und jede Selbstbeherrschung und sie rückte stoßweise mit der Elle vor. Onkel Schütteldich ging rückwärts wie ein Seiler und suchte sein Schiff in einen Nothafen zu steuern. Leider legte eine Barre in Gestalt eines Fußschemels sich in seinen Kurs, er fiel und schlug donnernd mit dem Hinterkopfe wider die Zimmertäfelung.

Jetzt mit einem Male begriffen die Sekundanten Suse und Agnes ihre hohe Aufgabe. Sie warfen sich zwischen die Kämpfenden und bewahrten Onkel Schütteldich vor der gefährlichen Wut seines rabiaten Gegners.

»Wenn er nur das Genick gebrochen hätte,« schrie Röse erbost.

»Besinn’ dich auf dein Christentum,« klang es von Höhrles Sorgensitz.

»Was, wer das Schwert zieht, soll durchs Schwert umkommen,« entgegnete sie mit unerbittlicher Konsequenz, drehte sich um und betrachtete bekümmert die blutige Färbung dessen, was sie ihrem Taschentuch anvertraute.

Als Schütteldich den Rücken des furchtbaren Weibes sah, kroch er eilig vor und raffte einen Gegenstand vom Boden auf. Dann erhob er sich und verlangte Wasser.

»Ein verflucht blutiger Tag, der heutige,« murmelte er, während er sich die Hände wusch.

Die Folgen des gräulichen Waffenganges waren im Ganzen genommen keine unerfreulichen. Vater Höhrle und Suse waren einigermaßen beruhigt, und Onkel Schütteldich trug tagelang eine stolze Siegermiene zur Schau. Der Goldarbeiter hatte ihm, in Silber gefasst, einen kleinen Gegenstand an der Uhrkette befestigt.

 

»Sauhatze mitgemacht, Herr Nachbar,« sagte der Oberförster, der Onkels Weste musterte.

»Die gefährlichste meines Lebens!«

»Etwas lang für eine Eberkrone.«

»Ist’s auch nicht, stammt von einer alten Bache!«

Hans war durch Schütteldichs Eintreten gerettet. Für Agnes aber hatte die Burleske ein übles Nachspiel. Ihr Vater hatte, wie alle Welt, von Hansens blutigen Taten gehört, und nun wütete unterm Dache des Weltschirm’s ein gewaltiger Sturm, der dem armen Mädchen scharf geschliffene Schimpfworte wie Hagelkörner ins Gesicht trieb. Nach des Alten gefährlicher Rede schien das Ende aller Dinge gekommen zu sein.

Agnes sah nach den Sternen empor, die indes ruhig ihre Bahnen wandelten, gewann Vertrauen zu ihrem Stern und schlief beruhigt ein.

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